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/. Embryol. exp. Morph. Vol. 20, 3, pp. 307-18, November 1968 307 Printed in Great Britain Auto- und allotypische DifFerenzierungen aus Blastemen der Halterenscheibe von Drosophila melanogaster nach Kultur in vivo W. GEHRING, 1 G. MINDEK 1 & E. HADORN 1 Von unserer Arbeitsgruppe wurden verschiedene Imaginalscheiben von Drosophila im Abdomen weiblicher Fliegen kultiviert (siehe Arbeiten von Hadorn und Mitarbeitern). Die Hamolymphe des Adultwirtes dient als Kultur- medium, in welchem die Blasteme proliferieren, wobei sie jedoch ihren larvalen Differenzierungszustand beibehalten. Die Adultdifferenzierung kann durch Riicktransplantation der Blasteme in eine Wirtslarve, mit der das Implantat die Metamorphose durchlauft, vollendet werden. Die imaginalen Strukturen des Integumentes konnen anschlief3end aus dem Abdomen des metamorpho- sierten Wirtes herausprapariert und untersucht werden. Die Imaginalscheiben der verpuppungsreifen Larve, die als Ausgangsmaterial fur unsere Kulturen dienen, stellen Mosaike von Organanlagen dar, in denen die Zellen mindestens arealspezifisch determiniert sind. Wahrend der Proliferation im Adultwirt entstehen Mehrfachbildungen der kultivierten Primordien. Es werden aber nicht nur zusatzliche Organe gebildet, die der prospektiven Bedeu- tung der betreffenden Scheibe entsprechen {autotypische Differenzierungen), sondern auch Organe, die normalerweise aus anderen Imaginalscheiben hervor- gehen und deshalb als allotypisch bezeichnet werden (Hadorn, 1965a). Der Prozeti, der zur Bildung allotypischer Elemente fiihrt, wird als Transdetermina- tion interpretiert (Hadorn, 1965 b, 1966). In Klonen genetisch markierter Zellen zeigte sich, dafi die allotypischen Zellen aus autotypisch determinierten Zellen durch eine qualitative Determinations-Anderung hervorgehen (Gehring, 1967). Nach Tobler (1966) und Wildermuth (1968) sind Zellteilungen eine notwendige Voraussetzung fur Transdeterminationen. Das Inventar an allotypischen Organen, die nach Dauerkultur in den bisher untersuchten Scheiben festgestellt wurde, umfafit alle Korperregionen des imaginalen Integumentes aufter dem dorsalen Metathorax und den vorderen Abdominalsegmenten. Der dorsale Metathorax mit dem Metathorakal-Stigma und den Halteren entsteht aus den paarigen Halterenscheiben (Zalokar, 1943; Adresse der Verfasser: Zoologisch-vergl. anatomisches Institut der Universitat, Kiinstler- gasse 16, 8006 Zurich, Schweiz.

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/ . Embryol. exp. Morph. Vol. 20, 3, pp. 307-18, November 1968 3 0 7Printed in Great Britain

Auto- und allotypischeDifFerenzierungen aus Blastemen der Halterenscheibe

von Drosophila melanogaster nach Kulturin vivo

W. GEHRING, 1 G. M I N D E K 1 & E. HADORN 1

Von unserer Arbeitsgruppe wurden verschiedene Imaginalscheiben vonDrosophila im Abdomen weiblicher Fliegen kultiviert (siehe Arbeiten vonHadorn und Mitarbeitern). Die Hamolymphe des Adultwirtes dient als Kultur-medium, in welchem die Blasteme proliferieren, wobei sie jedoch ihren larvalenDifferenzierungszustand beibehalten. Die Adultdifferenzierung kann durchRiicktransplantation der Blasteme in eine Wirtslarve, mit der das Implantatdie Metamorphose durchlauft, vollendet werden. Die imaginalen Strukturendes Integumentes konnen anschlief3end aus dem Abdomen des metamorpho-sierten Wirtes herausprapariert und untersucht werden.

Die Imaginalscheiben der verpuppungsreifen Larve, die als Ausgangsmaterialfur unsere Kulturen dienen, stellen Mosaike von Organanlagen dar, in denen dieZellen mindestens arealspezifisch determiniert sind. Wahrend der Proliferationim Adultwirt entstehen Mehrfachbildungen der kultivierten Primordien. Eswerden aber nicht nur zusatzliche Organe gebildet, die der prospektiven Bedeu-tung der betreffenden Scheibe entsprechen {autotypische Differ enzierungen),sondern auch Organe, die normalerweise aus anderen Imaginalscheiben hervor-gehen und deshalb als allotypisch bezeichnet werden (Hadorn, 1965a). DerProzeti, der zur Bildung allotypischer Elemente fiihrt, wird als Transdetermina-tion interpretiert (Hadorn, 1965 b, 1966). In Klonen genetisch markierter Zellenzeigte sich, dafi die allotypischen Zellen aus autotypisch determinierten Zellendurch eine qualitative Determinations-Anderung hervorgehen (Gehring, 1967).Nach Tobler (1966) und Wildermuth (1968) sind Zellteilungen eine notwendigeVoraussetzung fur Transdeterminationen.

Das Inventar an allotypischen Organen, die nach Dauerkultur in den bisheruntersuchten Scheiben festgestellt wurde, umfafit alle Korperregionen desimaginalen Integumentes aufter dem dorsalen Metathorax und den vorderenAbdominalsegmenten. Der dorsale Metathorax mit dem Metathorakal-Stigmaund den Halteren entsteht aus den paarigen Halterenscheiben (Zalokar, 1943;

Adresse der Verfasser: Zoologisch-vergl. anatomisches Institut der Universitat, Kiinstler-gasse 16, 8006 Zurich, Schweiz.

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Loosli, 1959). In der vorliegenden Arbeit berichten wir nun iiber die Differen-zierungsleistungen von kultivierten Blastemen der Halterenscheibe. Es war vorallem festzustellen, ob sie sich grundsatzlich anders verhalten als die Primordiender iibrigen Scheiben.

MATERIAL UND METHODE

Da Vorversuche gezeigt hatten, daft halbierte Halterenscheiben im Adultwirtnur wenig proliferieren, verwendeten wir Kombinate aus vier Halterenscheibenals Ausgangsmaterial fur unsere Kulturen. Diese Viererkombinate werden nachder Methode Nothiger (1964) durch mechanisches Durchmischen der Scheibenmit zwei feinen Wolframnadeln hergestellt, wobei die Peripodialmembran,welche die Scheibe umgibt, aufgerissen wird. Solche Kombinate proliferierenstarker als intakte Scheiben (Gehring, 1966; Tobler, 1966).

In einer ersten Versuchsanordnung wurden die Kombinate fur 22d in einenersten Adultwirt implantiert und anschliefiend fur 14, resp. 20d in neue Adult-wirte (2. Transfergeneration) iibertragen. Nach dieser Proliferationsphase, inder die Zellen ihren larvalen Differenzierungszustand beibehalten, wurden dieKombinate in larvale Wirte riicktransplantiert, mit denen sie die Metamorphosedurchlaufen konnten. In diesen kurzfristigen Kulturen, wie auch in den Dauer-kulturen (s.u.), wurden diejenigen Kombinate, die stark proliferiert hatten, inmehrere Fragmente aufgeteilt, die wir getrennt in verschiedene Adult resp.Larvalwirte implantierten.

AuCer den kurzfristigen Kulturen wurden, ausgehend von Kombinaten, auchDauerkulturen nach der von Hadorn (1963) entwickelten Technik angesetzt.Dabei wird stets ein Teil des Blastemmaterials, das im Adultwirt wahrend 2-4Wochen herangewachsen ist, in neue Adultwirte transferiert, wahrend der Restdes Materials durch Riicktransplantation in Larvalwirte auf seine Differen-zierungsleistungen gepriift wird (Testimplantate). Dieses Vorgehen konnte ineiner Kultur (H 51) iiber mehr als 32 Transfergenerationen (18 Monate)wiederholt werden (vergl. Abb. 4). Nach der 12. Transfergeneration war dieProliferation so stark, dafi nur noch Stichproben der Kultur weitergefiihrtwerden konnten.

Um Spender- und Wirtszellen eindeutig unterscheiden zu konnen, wurdendie Wirte mit den Genen ebony (e, 3-70,7) und multiple wing hairs (mwh, 3-28,8)markiert. Der Faktor e bewirkt eine dunkle Farbung aller Cuticularstrukturenund mwh modifiziert die als Trichome bezeichneten Zellharchen, wobei Einzel-harchen durch ein Biischel von Trichomen ersetzt werden (Di Pasquale, 1952;Peyer & Hadorn, 1965). Als Larvalwirte wurden Larven des friihen 3. Stadiums(70-80 h nach Eiablage), als Adultwirte 1-3 tagige Weibchen verwendet. ZurHerstellung der Kombinate dienten Halterenscheiben aus verpuppungsreifenSpender-La.TWQn, die heterozygot fur die drei rezessiven Markierungsgene yellow(y, 1-0,0), singed3 (sns, 1-21,0) und mwh waren. Infolge somatischer Mutationenoder somatischem Crossing-over konnen bei dieser Konstitution genetisch

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markierte Einzelzellen auftreten, deren Nachkommen ein Mosaikareal liefern.Anhand solcher Klone kann das 'Cell Lineage' und die Sequenz der Trans-determination analysiert werden (Gehring, 1967).

Die Fliegen wurden auf Standardfutter bei 25 °C gehalten. Die DauerkulturH51 wurde nach dem 26. Transfer auf 18° C iibertragen.

ERGEBNISSE

1. Das autotypische Differenzierungsinventar

In einem Kontrollexperiment wurden 15 Halterenscheiben aus verpuppungs-reifen y Larven in 70 h alte e mwh Larven implantiert und nach der Metamor-phose die gebildeten Strukturen untersucht. Dabei konnten wir die Befunde vonLoosli (1959) iiber die Differenzierungsleistungen der transplantierten Halteren-scheibe bestatigen. Ein charakteristisches Transplantat ist in Abb. 1 dargestellt.

CB

Abb. 1. Differenzierungen eines Kontroll-Implantates der Halterenscheibe. M =Metathorax mit Metathorakalborsten (MB) und Stigma (St). S = Scabellum mitSensilla campaniformia (ScS) und Hicks'sche Papillen (HP). P = Pedicellus mitseinen Sensillen (ScP). C = Capitellum mit Borsten (CB). E = Endosklerite.AB = Adventivborsten.Im Implantat ist die Anordnung der Halterenglieder gestort.Vergr. 180 x.

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Da der normale Ausstulpungsprozess in isolierten Imaginalscheiben unter-bleibt, sind die Strukturen invertiert. Die gebildeten Organteile umfassen diedrei Halterenglieder, Teile des dorsalen Metathorax mit dem Metathorakal-Stigma sowie ein Areal mit sog. Adventivborsten (vergl. Loosli, 1959). DerMetathorax kann anhand des Metathorakal-Stigmas mit den Reusenhaaren,sowie auf Grund einer Gruppe von 3-4 Metathorakalborsten identifiziertwerden. Das Basalglied der Haltere, das Scabellum, weist Langsreihen vonSensilla campaniformia (Sinneskuppen) auf, die durch eine Reihe von Trichomenvoneinander getrennt sind und in der Aufsicht kreisformig erscheinen. Aufier-dem tragt es einzelne Sinneskuppen, sog. Hicks'sche Papillen. Der Pedicellus,das mittlere Glied, ist durch reihenformig angeordnete 'ovalen' Sensilla cam-paniformia charakterisiert, die im Unterschied zu den Sensillen des Scabellumsmiteinander verwachsen sind. Es finden sich auch keine Trichome zwischendiesen Sensillenreihen. Das Endkopfchen, Capitellum, tragt 15-20 schwachpigmentierte Borsten, die auf den anderen Gliedern fehlen. Die ganze Haltereist dicht mit Trichomen besetzt. Aufier diesen Teilen wurde in alien Transplan-taten noch ein Areal gebildet, dessen Borsten und Trichome morphologischdenjenigen des ersten Abdominaltergiten entsprechen. Aus Exstirpations-versuchen schlofi Loosli (1959) jedoch, da6 die Halterenscheibe in situ keineabdominalen Strukturen liefert und die Potenz zur Borstenbildung in diesemAreal erst im Transplantationsexperiment manifest wird. Er bezeichnete dieseBorsten als 'Adventivborsten'. Auf diese Problematik soil hier nicht weitereingegangen werden. Ausgehend von dem in Abb. 1 dargestellten normalen(autotypischen) Differenzierungsinventar sollen nun die Leistungsqualitatennach verlangerter Proliferationsphase untersucht werden.

2. Differenzierungsleistungen nach verlangerter Proliferationsphase

(a) Kurzfristige Kulturen

In unseren kurzfristigen Kulturen wurden Kombinate von vier Halteren-scheiben wahrend 36 resp. 42 d in Adultwirten kultiviert, wo sie zum Teil aufein Vielfaches ihrer Grofie heranwachsen. AnschlieBend wurde das gesamteZellmaterial, das wahrend dieser verlangerten Wachstumsphase gebildet wordenwar, in Larvalwirte riicktransplantiert und zur Metamorphose gebracht. Voninsgesamt 31 Kulturen lieferten 23 nur Strukturen, die zum normalen auto-typischen Differenzierungsinventar der Halterenscheibe gehoren. In 8 Kulturenjedoch traten zusatzlich zu den Elementen der Halterenscheibe auch allotypischeFlugelstrukturen auf (Abb. 2). Es wurden Teile der Fliigelspreite, der Costa undder Fliigelbasis festgestellt. In einem Fall konnte nicht entschieden werden, ob essich um Fliigelspreite oder Maxillar-Palpus handelt, da keine Sensillen, sondernnur Trichome ausgebildet waren. Auch in vier Dauerkulturen (unten) traten alserste allotypische Elemente Strukturen auf, die in der Normalentwicklung ausder Flugelscheibe hervorgehen. Der haufigste initiale Transdeterminations-

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schritt fuhrt somit von Halteren zu Fliigelzellen, wobei haufig noch ein direkterKontakt zwischen den beiden besteht (Abb. 2).

(b) Dauerkulturen

Von den 21 angesetzten Dauerkulturen gingen die meisten infolge dergeringen Proliferationsrate schon in den ersten Transfergenerationen verloren.Eine Dauerkultur lieferte jedoch schon nach dem ersten Transfer allotypische

Abb. 2. Initiate Transdetermination: Capitellum (C) mit charakteristischen Borsten(CB) in Direktkontakt mit Fliigelspreite (FS). Vergr. 210 x .

Fliigelstrukturen, und in zwei weiteren Kulturen traten die Flugelstrukturen inder 3. Transfergeneration auf. Einzig die Kultur H 51 konnte iiber eine grofiereZeitspanne weitergefiihrt werden und befindet sich jetzt in der 36. Transfer-generation. Eine Obersicht iiber die in den Testimplantaten gefundenen Struk-turen und ihre prozentuale Haufigkeit gibt die Abb. 3. Wahrend den ersten 8Transfergenerationen proliferierte die Kultur relativ wenig, so dafi nur 1 bis 2Testimplantate pro Generation abgezweigt werden konnten. In dieser Anfangs-phase werden vor allem autotypische Halterenteile gebildet. In der 5. Genera-tion treten jedoch als erste allotypische Elemente wiederum H%e/strukturenauf. In der 9. Generation beginnt die Kultur stark zu proliferieren (Abb. 4), undgleichzeitig treten verschiedene allotypische Elemente auf: Tftoraxstrukturen,die in der Normalentwicklung ebenfalls aus der Flugelscheibe entstehen,Antennen- und PalpusteilQ (Palpus bereits in der 8. Generation), sowie Teile derKopfkapsel, die in situ aus der Augen-Antennenscheibe hervorgehen. In der 10.Generation liefien sich erstmals Cibarium-TQilQ nachweisen (Abb. 4 C), die insitu von einer paarigen Gruppe von Imaginalzellen des Clypeo-Labrumsgebildet werden (Gehring & Seippel, 1967). Die ersten ite/wstrukturen folgen

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erst in der 12. Generation (Abb. 4A). Zu diesem Zeitpunkt wurde die Prolifera-tion so stark, da6 nur noch Stichproben des Materials weitertransplantiertwerden konnten. Die Halterenzellen scheinen jedoch ihre Proliferationsratenicht wesentlich zu verandern und wurden wahrscheinlich deshalb in der 12.Generation vollstandig von den allotypischen Zellen verdrangt (Abb. 4A).

H

F

Th

Ant

P

Cib

Au

K

100%

1 5 10 15 20 25 30—321 2 — 2 1 — 2 1 12 13 49 88 34 29 76 — 80 80 45 80 38 33 20 61 19 24 32 27 27 32 34

Abb. 3. Kultur H51. Prozentuale Haufigkeit der wahrend der Dauerkultur fest-gestellten Differenzierungsqualitaten. Autotypisch: Haltere (H). Allotypisch:Flugel (F), Thorax (Th), Antennenglieder (Ant), Palpus (P), Cibarium des Clypeo-Labrums (Cib\ Augenpigment und Facetten (Au) und die iibrigen Derivate derAugenscheibe (Z),Bein (B). Trg. Transfergenerationen 1-32. n: Anzahl Testimplan-tate pro Transfergeneration.

Die Haufigkeit der allotypischen Flugel-, Antennen- und Beinelemente zeigtbis zur 18. Transfergeneration nur zufallige Fluktuationen (Abb. 3); dies istbesonders auch fur Palpus der Fall. Die Frequenz der Thoraxteile nimrntjedoch deutlich ab, was im Gegensatz zu Beobachtungen an anderen Dauer-kulturen steht (Hadorn, 1966). Das Cibarium bleibt, bezogen auf das Gesamt-material, stets relativ selten, ist jedoch in einzelnen Subkulturen angereichert(Abb. 4C).

(c) Genetisch markierte Zellen

Kleine genetisch markierte y sn Areale oder einzelne y sn Borsten wurden inder Kultur H 51 mehrmals beobachtet. In einer Subkultur trat ein grofieresKlon von markierten Thoraxzellen auf, das jedoch keine weiteren Zelltypenlieferte. Dies bestatigt unsere fruheren Befunde, wonach Thoraxblasteme weit-

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Differenzierungen der Halterenscheibe 3131 Trg

10

15

20

25

30

• Haltere

| Bein

irn

| Fliigel+Thorax

r i

• •i

I

1 Trg

10

15

20

25

30

•El

I .

I Kopf (ausser Auge)

c Cibarium

rra|c |c

n|c|

nII

\f\

r

Auge

II I!I III

Abb. 4. Kultur H 51. Diflferenzierungsqualitaten wahrend 32 Transfergenerationen(Trg 1-32). n: 941 Testimplantate. Die unterbrochenen diinnen Linien bedeuten dasFehlen von Informationen (keine Testimplantate).

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gehend stabil sind (Hadorn, 1966; Gehring, 1966). Somatisches Crossing-overoder somatische Mutationen treten somit auch spontan in unseren Kulturenauf. Ahnliches fand Mindek (1968) in Kulturen, ausgehend von weiblichenGenitalscheiben.

Abb. 5. Direktkontakt zwischen Fliigelspreite (FS) und Augen mit Facetten (Fa)und Augenpigment (AP). Aus Trg 20 der Kultur H 51. Vergr. 230 x.

K>

Abb. 6. Kultur H 51 (Trg 30). Einige, mit Facetten (Fa) und Augenpigment gleich-zeitig stark vermehrte Kopfkapselstrukturen: Postorbitalia (PO), Frontoorbitalia(FO), Frons (Fr) und Ocellen (Oc). Vergr. 180 x .

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{d)'Facetten-Subkultur'

Ganz unerwartet traten in der Kultur H 51 von der 18. Generation an Arealemit normalen Facetten und Augenpigment auf (Abb. 4D und 5). Da dieseStrukturen bisher nur ausnahmsweise in Genital- und Beinscheibenkulturenfestgestellt wurden (Hadorn, 1966; Schubiger & Hadorn, 1968), anderten wirdie Strategie des Experimentes und fiihrten nicht mehr zufallige Stichprobendes Zellmaterials weiter, sondern transferierten nur noch diejenigen Subkul-turen, deren Testimplantate viel Facettenmaterial und Augenpigment geliefertbatten. Durch diese Selektion gelang es, die Facettenblasteme zu vermehrenund uber 18 Generationen weiterzukultivieren (Abb. 4D). So konnten biszur32. Trg. 260 Testimplantate mit Augenmaterial gewonnen werden. Gleichzeitigkam es auch zu einer Vermehrung der ubrigen Teile der Kopfkapsel (Abb. 6),wahrend die Haufigkeit der anderen allotypischen Elemente weitgehend un-veriindert blieb. In einzelnen Implantaten der Facetten-Subkulturen konntenbereits vor der Metamorphose im Adultwirt rotlich pigmentierte Areale fest-gestellt werden. In vorlaufigen papierchromatographischen UntersuchungenIief3en sich in diesem Pigment keine Drosopterine nachweisen, wohl aber imPigment, das normalerweise erst wahrend der Metamorphose gebildet wird.Dieses Verhalten entspricht demjenigen von Augenscheiben, die im Adultwirtnur Ommochrome, nicht aber Drosopterine bilden (Schlapfer, 1963).

DISKUSSION

Die von uns angesetzten Halterenscheiben-Kulturen zeigten im Gegensatz zuden meisten bisher untersuchten Imaginalscheiben anfanglich eine auffallendniedrige Proliferationsrate. Es ist daher schwierig, Dauerkulturen zu erhalten.Diese Schwierigkeit lafit sich durch die Verwendung von Kombinaten alsAusgangsmaterial (S. 308) teilweise iiberwinden, weil Kombinate starkerproliferieren als intakte Scheiben. Die Dauerkultur H 51 zeigte eine typischeProliferations-Charakteristik, wie sie auch bei verschiedenen anderen Imaginal-scheiben-Kulturen beobachtet wurde (Abb. 4). Nach einer Anfangsphase mitschwacher Proliferation, in der vorwiegend autotypische Zellen vermehrt wurden,setzte in der 9. Transfergeneration ein intensives Wachstum ein, das zumAuftreten zahlreicher allotypischer Elemente fiihrte. Die Griinde fiir diesenunvermittelten Anstieg der Proliferation sind unbekannt. Moglicherweise habensich die Zellen zu diesem Zeitpunkt an das Adultmilieu adaptiert oder dierascher proliferierenden Zellen sind herausselektioniert worden. Die autotypi-schen Zellen scheinen in dieser Phase nicht wesentlich rascher zu proliferieren, sodafi sie von den allotypischen Zellen bald verdrangt werden und in unserem Fallin der 12. Generation vollstandig aus der Kultur verschwinden. Von diesemZeitpunkt an enthalt die Kultur nur noch allotypische Zellen, bei denen einehohere Proliferationsrate anhalt.

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In bezug auf die Transdetermination verhalten sich Blasteme von Halteren-scheiben nicht grundsatzlich anders als diejenigen der bisher untersuchtenScheiben. Die Frage, ob Halterenblasteme zu Abdominalzellen transdeter-minieren, konnen wir vorlaufig nicht entscheiden, da bereits in den Kontroll-implantaten Areale mit 'Adventivborsten' (Loosli, 1959) gebildet werden, diemorphologisch vom lateralen Teil des ersten Abdominaltergiten nicht zu unter-scheiden sind. Es erscheint aber unwahrscheinlich, dafi eine Transdeterminationzur Bildung der 'Adventivborsten' fuhrt, da diese in alien Kontrollimplantatenauftreten. Strukturen der Abdominalsternite wurden in unseren Kulturen nichtfestgestellt. Die 'Adventivzellen' verschwanden gleichzeitig mit den Halteren-zellen aus der Kultur H 51.

Die initiate Transdetermination fiihrt von autotypischen Zellen, die furHaltere determiniert sind, zu allotypischen Fliigelzellen (Abb. 2), in seltenenFallen moglicherweise zu Palpuszellen. Aus diesen allotypischen Zellen gehendie iibrigen allotypischen Elemente wahrscheinlich sekundar hervor und nichtdirekt aus Halterenzellen (Abb. 5). Sicher sind die allotypischen Augenteile aufeine solche Transdetermination hoherer Ordnung zuruckzufiihren, weil sieerst 7 Transfergenerationen nach dem Verschwinden der Halterenzellen erst-mals auftraten (Abb. 3 und 4 D). Da erstmals und auch spater in mehrerenTestimplantaten die Facettenareale in direktem Kontakt mit Fliigelspreitestehen (Abb. 5), nehmen wir an, dafi sie durch Transdetermination aus Zellen,die fur Fliigelspreite determiniert waren, entstanden sind; doch mufi dieseAnnahme noch durch Untersuchung des 'Cell Lineage' bestatigt werden.Dieser Transdeterminations-Schritt wurde bisher nur sehr selten beobachtet(Schubiger & Hadorn, 1968); anschliefiend an die Transdetermination konnendie prasumptiven Ommatidien-Zellen ihre Determinationsqualitat iiber zahl-reiche Zellgenerationen reproduzieren. Dies spricht fur eine andauerndeZellhereditdt, da nach den Versuchen von Nothiger (1964) und Garcia-Bellido(1966) die einzelne Zelle und nicht der Zellverband als Ganzes die Determinations-qualitat tragt. Diese Zellhereditat kann durch den Transdeterminations-Prozess durchbrochen werden. Eine Selektion fiir Implantate, die Facettenausbilden, ist wohl nur deshalb erforderlich, weil andere allotypische Zellenrascher proliferieren, so dafi diese mit der Zeit die Ommatidienzellen verdrangenwurden.

Es stellt sich nun die Frage, ob die Transdetermination eine partielle Dedif-ferenzierung voraussetzt. Eine solche ist bei unserer Versuchsanordnung schwie-rig zu erfassen, da wir immer nur das metamorphosierte Endstadium analy-sieren. Die 'Facetten-Subkultur' erlaubt uns jedoch Riickschliifie auf denDifferenzierungszustand der im Adultwirt kultivierten Zellen. Wahrend diemeisten facetten-bildenden Implantate keine sichtbaren Zeichen von Differen-zierung zeigten, konnten wir bei einigen Implantaten bereits vor der Meta-morphose rotbraunes Pigment feststellen. Dies ist als eine beginnende Adult-differenzierung aufzufassen. Die Frage, ob sich die Zellen, die Pigment gebildethaben, weiterhin teilen konnen, ist aber noch offen. Wie Schlapfer (1963)

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gezeigt hat, bilden Augenscheiben aus verpuppungsreifen Larven nach 7-14 dAufenthalt im Adultmilieu ebenfalls Pigment aus. Es werden jedoch nurOmmochrome und keine Drosopterine synthetisiert. Selbst Augenscheiben ausLarven des 1. Stadiums erreichen im Adultwirt den spatlarvalen Differenzierungs-zustand und bilden Pigment (Garcia-Bellido, 1965). Dies deutet darauf hin,dass die kultivierten Zellen im Adultwirt einen fortgeschrittenen Differ enzierungs-zustand erreichen. Eine kurzfristige, der Transdetermination vorausgehendeDedifferenzierung ware jedoch mit den angewendeten Methoden kaum zuerfassen. So muss die Frage offen bleiben. Dafi in Adultwirten erste Anfangeeiner imaginalen Differenzierung in Blastemen moglich sind, die keine Meta-morphose passiert haben, konnten auch Nothiger und Oberlander (1967) zeigen.Sie stellten in kultivierten Genitalblastemen Kontraktionen fest, wie sie furDuctus ejaculatorius und Samenpumpen charakteristisch sind.

SUMMARY

Auto- and allotypical differentiation of the haltere disc blastemata ofDrosophila melanogaster after culture in vivo

1. Haltere discs of mature larvae were cultured in the abdomen of adultflies. These primordia contain a mosaic of blastemata whose cells are determinedfor the different haltere parts and the structures of the dorsal metathorax. In thehost's hemolymph the cells proliferate, and for this reason maintain theirlarval state of differentiation. Adult development can be initiated by transplanta-tion of the blastemata into host larvae with which they undergo metamorphosis.

2. Two types of cultures were set up to test the developmental capacities ofblastemata. In short-term cultures the discs were grown for 36 and 42 daysrespectively in the adult host and then transplanted back into larvae. Long-termcultures were obtained by transferring the blastemata to a fresh adult host every2-4 weeks. In each transfer a fraction of the culture was transplanted intolarvae to be tested for its differentiative capacities. One long-term culture waskept for over thirty-two transfer generations (18 months).

3. During proliferation in the adult host, additional haltere parts (autotypicelements) are formed, as well as allotypic organs arising in normal developmentfrom other discs. For the process leading to such allotypic elements the termtransdetermination is used. An initial transdetermination leads from halterecells to wing cells. In a second step allotypic thorax, antenna, palpus, andcibarium structures are formed as well as parts of the head capsule and legsegments. Similar changes have been observed in cultures of other discs.

4. In one exceptional subculture ommatidia with eye pigment were formed.By selection the ommatidial blastemata were increased and propagated overtwenty-two transfer generations. Presumably, the quality (specificity) of deter-mination is transmitted by cell heredity.

5. In several implants of the 'ommatidial subculture', eye pigment formationin the adult host prior to metamorphosis was observed. However, final mor-

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phological differentiation takes place in the metamorphosing host only. Whetherpartial dediflferentiation has to precede transdetermination is still an openquestion.

Die Arbeit wurde ausgefiihrt mit Unterstiitzung des Schweizerischen Nationalfonds zurForderung der wissenschaftlichen Forschung.

LITERATUR

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{Manuskript erhalten am 20. Mdrz 1968)