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C IRCLES OF SUPPORT – KLEINE NETZWERKE MIT GROSSER WIRKUNG Menschen mit unterschiedlichen Ressourcen entdecken Gemeinsamkeit Evemarie Knust-Potter (Hrsg.) Unter Mitwirkung von Andrea Grothus Alina Kirschniok Reinhard Nebel Carsten Rensinghoff Sandra Richardt Thomas Strenge Thomas Stukenberg

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Page 1: CIRCLES OF SUPPORT – KLEINE NETZWERKE MIT GROSSER …cos-transnational.net/pdf/5 dortmund/dortmund report.pdfEvemarie Knust-Potter (Hrsg.) Circles of Support – Kleine Netzwerke

CIRCLES OF SUPPORT –

KLEINE NETZWERKE MIT GROSSER WIRKUNG

Menschen mit unterschiedlichen Ressourcen

entdecken Gemeinsamkeit

Evemarie Knust-Potter (Hrsg.)

Unter Mitwirkung von

Andrea Grothus

Alina Kirschniok

Reinhard Nebel

Carsten Rensinghoff

Sandra Richardt

Thomas Strenge

Thomas Stukenberg

Page 2: CIRCLES OF SUPPORT – KLEINE NETZWERKE MIT GROSSER …cos-transnational.net/pdf/5 dortmund/dortmund report.pdfEvemarie Knust-Potter (Hrsg.) Circles of Support – Kleine Netzwerke

Evemarie Knust-Potter (Hrsg.) Circles of Support – Kleine Netzwerke mit großer Wirkung

Menschen mit unterschiedlichen Ressourcen entdecken Gemeinsamkeit

Unter Mitwirkung von Andrea Grothus Alina Kirschniok Reinhard Nebel

Carsten Rensinghoff Sandra Richardt Thomas Strenge

Thomas Stukenberg

Bericht zum Projekt Circles of Support in Indien und der EU für Menschen mit Behinderungen und Autismus:

Entwicklung universitärer Lehrangebote für personenzentrierte Netzwerke der Inklusion und Teilhabe von ausgegrenzten Menschen im Gemeinwesen

Ein Projekt in Deutschland, Indien und Großbritannien 2004-2006 www.cos-transnational.net

Lead Partner: Fachhochschule Dortmund, Deutschland

www.fh-dortmund.de

Operative Partner: Utkal University, Bhubaneswar, Orissa, Indien

www.utkal-university.org NYSASDRI, Bhubaneswar, Orissa, Indien

www.nysasdri.org University of Bolton, Großbritannien

www.bolton.ac.uk

Transnationaler Koordinationspartner: Klaus Novy Institut, Köln, Deutschland

www.kni.de

Gefördert durch die Europäische Union im Rahmen des EU-India Economic Cross Cultural Programme

Design von

Christine Falter, Berlin Display, Köln

© 2006 Evemarie Knust-Potter Dortmund 2006

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Inhaltsverzeichnis 1 Circles of Support in India and the EU – ein transnationales Projekt 4 1.1 Circles of Support für soziale Inklusion 4 1.2 Drei Beispiele für Circles of Support 5 1.3 Aspekte von Behinderung in Indien und Europa 7 1.4 Die Vorgeschichte des Projektes 7 2 Projektdesign und -ablauf 9 2.1 Projektziele 9 2.2 Zielgruppen und Methodik 10 2.3 Workpackages 11 2.4 Chronik und Meilensteine 13 3 Das Projekt COS in Dortmund 19 3.1 Behinderung, Inklusion, Circles of Support 20 3.2 Informelle soziale Netzwerke 24 3.3 Lokale / Regionale Kooperationspartner 27 4 Circles of Support in der Lehre 29 4.1 Entwicklung von Curricula 29 4.2 COS-Lebensfeld-Analyse: Inklusion als Maßstab und Programm 32 4.3 Curricularer Ablauf 36 5 Implementierung der Curricula in der Praxis 41 5.1 Exemplarische Darstellung einer COS-Gruppe 42 5.2 Ergebnisse aus den COS-Gruppen 43 5.3 COS aus Sicht der Studierenden 44 5.4 Aspekte interkulturellen Lernens im COS-Projekt 50 6 Weiterentwicklungen des Curriculums 53 6.1 COS und Schädel-Hirn-Trauma 54 6.2 COS und Fußball-WM der Menschen mit Behinderung 54 6.3 COS und die Arbeit mit Senioren 55 6.4 COS mit einem Studierenden als Fokus-Person 56 7 Fazit 61 8 Literatur 64

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1 Circles of Support in India and the EU – ein transnationales Projekt

1.1 Circles of Support für soziale Inklusion Sowohl in Indien als auch in der Europäischen Union werden behinderte Menschen schnell von der unmit-telbaren Nachbarschaft und der Gesellschaft ausge-schlossen. Offizielle Stellungnahmen fordern Chan-cengleichheit, soziale und wirtschaftliche Teilhabe und Empowerment von und für Menschen mit unter-schiedlichem Hilfebedarf. Doch Prozesse sozialen Wandels setzen die Gesellschaft unter starke Span-nung, und es kommt zu desintegrativen gesellschaft-lichen Tendenzen. Die gefährdetsten Mitglieder der Gesellschaft sind stark von sozial-ökonomischer Ausgrenzung bedroht. Obwohl die spezifischen

Merkmale dieser Spannungen zwischen der EU und Indien stark variieren, gibt es in beiden Regionen Bemühungen, den Zusammenhalt der Gesellschaft und ihre inklusiven Eigenschaften zu fördern. Wir möchten diese Bestrebungen unterstützen. Ein Ansatz liegt in der Stärkung der freiwilligen Unterstützungs-netzwerke in Gemeinden, die ihre Mitglieder befähi-gen, ihre behinderten Mitmenschen besser zu integ-rieren. In diesem Zusammenhang ist die Idee der Circles of Support ein viel versprechender Ansatz. Das Modell der Circles of Support (COS) wurde in den 1980er Jahren in Kanada entwickelt und ver-breitete sich schnell über Nordamerika und Großbri-

I don't want my house to be walled in on all sides and

my windows to be stuffed. I want the cultures of all landsto be blown about my house

as freely as possible. But I refuse to be blown off my

feet by anyone. (Mahatma Gandhi)

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tannien. Ende der 1990er Jahre wurde es erstmals in Deutschland vorgestellt. Ein Circle of Support ist eine informelle Kleinst-Gruppe von Menschen, die sich regelmäßig trifft, um ein Individuum (die Fokus-Person) zu unterstützen, seine oder ihre persönlichen Ziele im Leben zu erreichen. Der Circle agiert als eine Gemeinschaft um die Person herum, die aus dem einen oder anderen Grund nicht in der Lage ist, die eigenen Ziele selbstständig zu verwirklichen. Der Circle of Support kann sich aus Familienmitgliedern, Freunden der Fokus-Person oder anderen Mitglie-dern der Gesellschaft zusammensetzen, die in der Regel nicht für ihr Mitwirken bezahlt werden. Sie beteiligen sich, da ihnen die Fokus-Person so wichtig ist, dass sie ihre Zeit und Energie dafür einsetzen, dieser Person zu helfen, Hindernisse zu überwinden und mehr Möglichkeiten in ihrem Leben zu schaffen. Ein entsprechend unterstützter Circle ist für alle mit einbezogenen Mitglieder förderlich (nicht nur für die Fokus-Person) und verstärkt im Gegensatz zu vielen sozialen Systemen keine Abhängigkeiten. Ein Circle kann eine Fokus-Person in den unterschiedlichsten Lebens- Alltagsbereichen unterstützen: im Alltagsleben – Assistenz in Dingen des tägli-

chen Lebens, im Arbeitsleben – Assistenz in ökonomischen

Aktivitäten und im Arbeitsleben, im sozialen Leben – Assistenz in zwischenmensch-

lichen und sozialen Beziehungen. Die Hochschulen erkennen zunehmend die aktuellen Paradigmen von Empowerment und sozialer Teilha-be / Inklusion an. Dies betrifft die Disziplinen der Humanwissenschaften, insbesondere der Psycholo-gie, der angewandten Sozialwissenschaften und der Erziehungswissenschaften. Die Aufgabe der Hoch-schulen ist es, die Fachleute, die vor Ort mit Men-schen mit Assistenzbedarf arbeiten, zu qualifizieren. Bei den sozialen Diensten entsteht ein Wandel von Rollen und Rollenverständnissen: Vom Versorger zum fachkompetenten Vermittler. Dieser Wandel schafft

neue Herausforderungen und bringt gleichzeitig neue Gefahren mit sich. Die Hochschulen sind ge-fordert, ihre Lehrpläne entsprechend der neuen Anforderungen umzugestalten und Leitbilder der professionellen Assistenz auf dem Weg zu Selbstbe-stimmung und Gemeinwesenpartizipation aufzuneh-men. Dies erfordert auf der einen Seite ein Verständ-nis für die Kooperation mit Ressourcen aus dem Bürgerengagement, während auf der anderen Seite zur selben Zeit kritische Bewusstwerdungsprozesse über die Gefahren der Entwicklungen in sozialen Diensten zu schärfen sind. Unter Gefahren ist z.B. ein zu kurz gedachtes 'ambulant vor stationär'- Denk-muster gemeint, das davon ausgeht, dass ein Umzug von der ausgrenzenden Institutionsunterbringung in das Gemeinwesen genügt, ohne ein angemessenes formelles und informelles Dienstleistungssystem zu installieren. Universitäre Lehrpläne müssen nun Fachleute in der Unterstützung von Gemeinschaften und im Bereich des Empowerment ausbilden und das kritische Bewusstsein für die Ambivalenz dieser Entwicklung in den Humandiensten schärfen. Dieses Projekt wurde initiiert, um einen Beitrag dazu zu leisten. 1.2 Drei Beispiele für Circles of Support In der Gesellschaft können Menschen mit Hilfebe-darf, engagierte Bürger, Mitarbeiter der Human-dienste sowie Hochschulangehörige die aktiven Initiatoren eines Circle of Support werden. Ein Ziel hierbei ist es, die Mitglieder der Gesellschaft zu befähigen, Circles of Support zu organisieren, die im Idealfall autark sind. Die Durchführung von COS läuft oft in chronologischen Zyklen ab: Aufbau (Zusammenbringen von Interessierten), Führung (aktives Leiten und Eingreifen), Beobachtung (aktives Begleiten, weniger Ein-

greifen), Verankerung ('Ausblenden', Sicherstellen der

Circles of Support in Indien und der EU für Menschen mit Behinderungen und Autismus

Entwicklung universitärer Lehrangebote für personenzentrierte Netzwerke der Inklusion und Teilhabe von ausgegrenzten Menschen im Gemeinwesen

Ein Projekt in Deutschland, Indien und Großbritannien 2004-2006

Gefördert durch das 'EU-India Economic Cross Cultural Programme' der Europäischen Union

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Selbstständigkeit). Es folgen drei idealtypische Beispiele aus der prakti-schen Erfahrung. Ein Circle of Support im Alltagsleben - Assistenz bei Dingen des täglichen Lebens Elizabeth, eine Schülerin aus Bolton / England, be-nutzt den Rollstuhl. Sie möchte in eine Regelschule integriert werden. Die Schule vertritt aktiv die inklusi-ve Erziehung, und dieser Grundsatz wird auch von den Schulkindern allgemein akzeptiert. Aber es treten einige praktische und logistische Probleme auf, die überwunden werden müssen – die Ankunft in der Schule, der Raumwechsel zwischen den Stunden, Hilfe bei der Nutzung der Toiletten, das Überbrücken der Zeit nach der Schule, bevor die Mutter von der Arbeit kommt. Ein Mitarbeiter der Bürgerinitiative 'Partners in Policy-Making' greift ein und übernimmt die Verpflichtung, Elizabeth zu unterstützen, dieses Ziel zu erreichen. Er ermittelt alle Familienmitglieder, Freunde und Bekannte, die in das Leben des jungen Mädchens praktisch mit einbezogen sind, und führt diese zusammen zu einem Treffen mit der Fokus-Person. Gemeinsam überlegen alle Beteiligten, wel-che Mittel nötig sind um das Ziel zu erreichen und welche Mitglieder in der Praxis in einem Circle of Support mitwirken können. Elizabeth, die Fokus-Person, wird darin unterstützt stärkere Bindungen mit denen einzugehen, von denen sie beim Erreichen ihres Ziels profitieren kann. Der Mitarbeiter arbeitet so lange mit dieser Gruppe zusammen, bis sie selbstständig geworden ist. Ein Circle of Support im Arbeitsleben - Assistenz in ökonomischen Aktivitäten und in Arbeitsleben Nakula ist 14 Jahre alt und kommt aus einer Frisör-familie aus dem Dorf Routrai Sahi in Orissa / Ostin-dien. Er ist hörgeschädigt und spricht nicht, was zur

Folge hat, dass seine Familie Schwierigkeiten hat, ihn in den Familienbetrieb aufzunehmen, in dem er ein oder zwei Rupien pro Rasur hinzuverdienen könnte. Daher muss er einen anderen Weg finden, um wirtschaftlich aktiv werden zu können und Geld zu verdienen. Er trifft sich zweimal wöchentlich mit seinem Circle of Support, der Familienmitglieder und einen Gemeinwesenmitarbeiter umfasst. Gemeinsam haben sie mit ihm die Schritte eingeübt, die er benö-tigt, um bei einem Frisör im benachbarten Dorf zu arbeiten und das Handwerk zu erlernen. Ein länger-fristiges Ziel ist es, für Nakula einen Kleinkredit zu bekommen, um auf dem nahe gelegenen Markt einen eigenen Stand zu eröffnen. Hier kann er bis zu drei Rupien pro Rasur erhalten und wird somit finan-ziell unabhängig. Ein Circle of Support im sozialen Leben - Assistenz in zwischenmenschlichen Beziehungen Günther, ein junger Erwachsener mit Autismus, kommt aus Dortmund. Er erhält zwar professionelle Unterstützung, doch aufgrund von autismus-determinierten Problemen in sozialen Situationen hat er keine Freunde – es fehlt ein 'peer network'. Er möchte mit Gleichaltrigen an altersentsprechenden Aktivitäten teilnehmen, weiß aber nicht wie und möchte dies auch nicht nur mit Eltern oder Fachleu-ten tun. Eine universitäre COS-Gruppe wird gebildet. Sie besteht aus seinem direkten Netzwerk und 2-4 Studenten seiner Altersgruppe, die ihm vorgestellt werden. Günther selbst entscheidet, wer Mitglied seines Circles werden soll. Die Studenten nehmen im Rahmen des Projektes für ein akademisches Jahr an der COS-Gruppe teil und treffen sich einmal wö-chentlich (oftmals verbleiben sie nachher noch in Kontakt). Die Lehrenden der Hochschule sichern eine enge Verbindung zwischen den Netzwerkmitgliedern. Für alle Akteure, die in die COS-Gruppe mit einbe-zogen sind, eröffnen sich durch die Aktivitäten in der

Lead Partner Fachhochschule Dortmund, Deutschland

www.fh-dortmund.de

Operative Partner Utkal University, Bhubaneswar, Orissa, Indien

www.utkal-university.org NYSASDRI, Bhubaneswar, Orissa, Indien

www.nysasdri.org University of Bolton, Großbritannien

www.bolton.ac.uk

Transnationaler Koordinationspartner Klaus Novy Institut, Köln, Deutschland

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Gemeinschaft Lernchancen, welche die Studierenden durch die theoretische Reflexion in den wöchentlich stattfindenden achtstündigen Studien- und Supervisi-onsgruppen an der Hochschule verfestigen. 1.3 Aspekte von Behinderung in Indien und Europa In Deutschland und Großbritannien existieren jeweils unterschiedliche Traditionen des Umgangs mit und ein unterschiedliches Verständnis von Behinderung – mehr noch unterscheiden sich diese Traditionen und Wahrnehmungen von Behinderungen in einem asia-tischen Entwicklungsland wie Indien. Während in Deutschland von Selbsthilfe- und Advocacy-Gruppen in jüngerer Zeit der Begriff der 'Enthinderung' geprägt wurde, gibt es in der englischen Sprache kein ent-sprechendes Schlagwort. Andererseits kommt das Konzept des Empowerment wie auch die COS-Tradition überhaupt aus dem anglo-amerikanischen Raum. Das Konzept von COS geht davon aus, dass die Enthinderung behinderter Menschen – durch Circles of Support – allen Beteiligten, und letztlich der gesamten Gesellschaft, nämlich der sozialen Kohäsion, nutzt. Die Unterstützung behinderter Menschen hat in In-dien eine lange Tradition, ist jedoch wenig institutio-nalisiert. Anders als in Europa werden behinderte Menschen gerade im ländlichen Indien besser in die Dorfgemeinschaft integriert, auch wenn sie häufig stigmatisiert sind. Eine professionelle Unterstützung fehlt dagegen genau so oft wie die Mittel für das tägliche Überleben. Behinderte Menschen in Ländern wie Indien sind besonders in ländlichen Regionen aber dreifach stigmatisiert: Als behindert, arm und ländlich. Aus diesen Gründen konzentrieren sich Circles in Indien vor allem auf zwei Aspekte: Aus Sicht der Circle Members – oder der (professionel-len) Helfer – geht es vor allem um eine Vernetzung

zur gegenseitigen Unterstützung, zum Austausch und zur Professionalisierung. Aus Sicht der Fokus-Personen – oder der Menschen mit Unterstützungs-bedarf – geht es oft um Hilfe bei der Integration ins Arbeitsleben, damit für die Fokus-Person (und Ange-hörige) das Überleben gesichert ist. 1.4 Die Vorgeschichte des Projektes Das Projekt baut auf vorherigen Treffen der Partner bei internationalen Konferenzen auf, sowie auf Aus-tauschprogrammen und Kooperationsabkommen zwischen den beteiligten Universitäten. Zwischen Evemarie Knust-Potter von der Fachhochschule Dortmund und Sabita Swain von NYSASDRI (Natio-nal Youth Service Action and Social Development Research Institute, Bhubaneswar / Orissa, Indien) wurden erste Pläne bereits 1999 im Rahmen der Weltkonferenz der ICEA (International Community Education Association) in Oxford geschmiedet. Spä-ter im Jahr 2000 unternahmen Mitglieder von NYSASDRI eine Studienexkursion zur Fachhochschule Dortmund. Evemarie Knust-Potter wiederum unter-nahm 2001 und 2002 Besuche in Orissa. So inten-sivierte sich der Kontakt zu NYSASDRI wechselseitig. Während des Aufenthaltes in Orissa 2002 wurden auf Evemarie Knust-Potters Initiative hin Koopera-tionsabkommen geschlossen, sowohl zwischen der Fachhochschule Dortmund und der Utkal University, als auch mit zwei weiteren Universitäten in Bhuba-neswar (Utkal University of Agriculture und Orissa University of Culture and Technology). Der transnati-onale Studentenaustausch von Dortmund nach Oris-sa und von Orissa nach Dortmund begann 2002 und wurde in den darauffolgenden Jahren fortge-setzt. Zu diesem Austausch gehören auch For-schungs- und Diplomarbeiten. Soziale Unterneh-mensprojekte wurden ebenfalls entwickelt: Im Jahr 2000 entstand ein studentisches Projekt junger be-

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hinderter und nichtbehinderter Menschen aus Dort-mund, die Kunsthandwerks-Gegenstände verkauften, die in Orissa im Rahmen eines Beschäftigungspro-jektes von NYSASDRI produziert worden sind. Pläne, die Partner auf der 2003 ICEA Weltkonferenz 'Active citizens – strong communities' zusammenzu-führen, waren 2002 bereits fortgeschritten. Diese Konferenz hätte in Neu Delhi stattfinden sollen, wur-de aber wegen des drohenden Irak-Krieges, abge-sagt, nachdem sich bereits über 1000 Teilnehmer angemeldet hatten. Evemarie Knust-Potter war als eine der OrganisatorInnen der Konferenz u.a. dafür zuständig, eine Arbeitsgruppe zur Förderung trans-nationaler Aktivitäten zum Thema Behinderung und Assistenz zu organisieren. Diese neu entstehenden Netzwerke bilden die orga-nisatorischen, aber auch die interkulturellen Grund-lagen für das Projekt. Was in der Vergangenheit auf informellem Dialog, Austausch und Networking beschränkt war, konnte durch das Projekt 'Circles of Support in India and the EU' konsolidiert und struktu-riert werden.

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2 Projektdesign und –ablauf

2.1 Projektziele Das Ziel des Projektes ist es, durch einen trans-nationalen Lernprozess professionelle Kompetenzen in Humandienstleistungsberufen zu entwickeln, um somit informelle soziale Netzwerke (Circles of Sup-port – COS) zu fördern. Diese Netzwerke sollen Menschen mit Behinderungen und insbesondere Autismus, allgemeiner Menschen mit Assistenzbedarf, aus den Projektregionen erreichen und einen Beitrag zu Inklusion und Zusammenhalt leisten. Die Hauptzielgruppen sind Studierende der

Hochschulen, sozial ausgegrenzte Menschen und deren lokale Unterstützungsnetzwerke sowie informelle und formelle soziale Träger und bürgerschaftlich Engagierte. Die Haupttätigkeiten bestehen in der Entwicklung und dem Erproben von Qualifizierungsansätzen für die unterschiedlichen Regionen, der Durchführung und Auswertung von praktischen Ansätzen und der Analyse informeller sozialer Bindungen in der Gesell-schaft. Nicht zuletzt werden dabei die interkulturellen Fähigkeiten und die transnationale Zusammenarbeit der jeweiligen Partner ausgebaut.

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Das Projekt hat Wirkungen in folgenden Bereichen: 1. Verbreitung wissenschaftlichen Wissens: Erzielung eines tieferen Verständnisses von der

Beschaffenheit sozialer Netzwerke in der EU und in Indien und Verstehen der Muster schwacher und starker

Bindungen und Unterstützungsnetzwerke in den jeweiligen Regionen. 2. Verbreitung fachlichen Wissens und fachlicher Kompetenzen: Entwicklung von Lehrplänen für das Hochschul-

wesen und für Freie Träger von Humandienstleistun-gen, mit dem Ziel, informelle soziale Netze zu stär-ken und Förderung des Austausches unter Fachleuten der

Sozial- und Humanwissenschaften und der Human-dienstleistungen zum Ansatz Circles of Support. 3. Förderung der Ressourcen der sozialen Netzwerke der beteiligten Gemeinschaften: Anregung zu dialogischen/systemischen Lern-

prozessen zwischen Fachleuten der Humandienste und engagierten Bürgern sowie Selbsthilfegruppen und Fachleuten in eigener Sache Stärkung und Konsolidierung von Netzwerken

ehrenamtlicher Institutionen der Zivilgesellschaft. 4. Aufbau von beständigen Strukturen zur Verbrei-tung von Circles of Support in Politik, Praxis und Wissenschaft in den Regionen. 2.2 Zielgruppen und Methodik Die Zielgruppen des Projektes sind: Hochschulen und insbesondere Fachbereiche

der Humanwissenschaften wie etwa Pädagogik, Psychologie, Gesellschaftswissenschaften (Förderung der Lehrpläne des Hochschulwesens in Bereichen der

kulturellen Vielfalt, soziale Aspekte von Benachteili-gung, Behinderung, Empowerment und soziale Ex-klusion/Inklusion, verbesserte Fertigkeiten des inter-kulturellen und transnationalen Lernens ) Studierende der Humanwissenschaft und Hu-

mandienstleistungen (profitieren von erweiterten und verbesserten Lehrplänen, welche die handlungsorien-tierte Aneignung von Werten, Wissen und Fähigkei-ten zur Entstehung lokaler Unterstützungsnetzwerke ermöglichen) Soziale Dienstleistungsorganisationen (Vermitt-

lung organisatorischen Lernens in den teilnehmen-den Institutionen) Beschäftigte der sozialen Dienste (erweiterte

Fähigkeiten dieser, um die örtlichen Unterstützungs-netzwerke zu fördern und zu lernen, örtliche Ge-meinden effektiver zu stärken) Lokale Gemeinschaften (gestärkte lokale Netz-

werke zur Unterstützung ihrer durch Ausgrenzung gefährdeten Mitglieder) Menschen mit Assistenzbedarf und in Ausgren-

zungssituationen (profitieren von verbesserten Selbstbestimmungs- und Unterstützungsnetzwerken der Gesellschaft). Der anfängliche Schwerpunkt auf Menschen mit Behinderung, insbesondere mit Autis-mus ist im Laufe der Projektlaufzeit erweitert worden. Die Zivilgesellschaft (größerer sozialer Zusam-

menhalt in der Vielfaltsgesellschaft mit unterschiedli-chen Lebensentwürfen und Lebenslagen sowie erwei-tertes interkulturelles Verständnis). Eine adäquate Methodik des transnationalen Lernens erfordert dialogische und qualitative Paradigmen der Sozialwissenschaft, die paritätische und symmetrische Lernansätze anwenden. Unser Ansatz beruht auf zwei Grundannahmen: Damit aus Kommunikation eine Lernerfahrung

folgt, muss der jeweilige Adressat berücksichtigt werden. Zur Verbreitung von Wissen muss der jeweilige

Kontext berücksichtigt werden.

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Für uns alle stellen die Methoden des Wissenstrans-fers in zweierlei Hinsicht eine Herausforderung dar: die anderen, d.h. unterschiedliche soziale Akteu-

re, zum Gebrauch unseres Wissens befähigen und das Wissen in einer anderen Umgebung als der

uns gewohnten zur Anwendung bringen. Die Untersuchungsmethodik unseres Forschungs-ansatzes weist vier charakteristische Merkmale auf: Qualitativ: Qualitative Untersuchungsmethoden

sind geeignet, da sie die subjektive und kontextbezo-gene Natur der empirischen Interventionen berück-sichtigen, die nicht unabhängig von der Sichtweise und den Interessen der Akteure verstanden werden kann. Kommunikativ: Datenerhebung und Wissensge-

nerierung ist ein kommunikativer und dialogischer Prozess. Deshalb sind das Management und die Förderung von interaktiven Gruppenprozessen be-deutsam. Für die Forschungsmethodik bedeutet dies, dass sie dialogisch sein muss. Somit wird die traditi-onelle Rollenaufteilung zwischen Forscher und For-schungsgegenstand zugunsten eines gegen- und wechselseitigen Forschungsansatzes zurückgewiesen. Partizipativ: Darüber hinaus berücksichtigt unser

methodischer Ansatz die Tatsache, dass in der zugrunde liegenden Organisationsform (ein Netz-werk von Peergruppen) Hierarchien nicht geeignet sind und statt dessen Akzeptanz und Motivation sichergestellt sein müssen. Dies lässt sich am besten durch einen heuristisch-induktiven Ansatz erreichen, bei dem Schlüsselfragen und Interventionsstrategien gemeinschaftlich entwickelt werden. Iterativ: Schließlich betont unser Ansatz die Be-

deutung von iterativen Prozessen für die Wissensge-nerierung. Der Weg vom kontextbezogenen Lernen hin zur transferfähigen Erkenntnis ist keine Einbahn-straße, sondern vielmehr ein Prozess. Hierbei wird das Zusammenspiel zwischen dem Einzelfall und dem Allgemeinen berücksichtigt. Die Struktur, die dem Projekt zu Grunde liegt, erwar-

tet von allen Partnern, bei jedem Umsetzungsschritt ähnlich intensive Aktivitäten auf der jeweiligen regio-nalen Ebene und eine paritätische Partnerschaft: Dokumentation der sozialen Unterstützungsnetz-

werke im regionalen Zusammenhang Förderung von sozialen Netzwerken im regiona-

len Kontext Entwicklung und Anwendung von Lehrplänen Erprobung der entwickelten Lehrpläne in den

Regionen der jeweiligen Partner Beteiligung und Entscheidungskompetenz bei

den Projekttreffen Beteiligung an transnationalen Studienaufenthal-

ten und Auswertungen Paritätische Beteiligung an der

Informationsverbreitung. Dies betont die Vorteile, die durch wechselseitige, im Optimalfall dialogische und systemische Interaktion beim Streben nach Wissen und Fertigkeiten erzielt werden. So ist auch die Zusammenstellung der Part-nerschaft gelenkt von den Möglichkeiten der gegen-seitigen Ergänzung und Synergie. Die drei Partner des Hochschulwesens repräsentieren die sich ergän-zenden Humanwissenschaften: Psychologie, Sozial-wissenschaften und Pädagogik. In jeder dieser drei mitarbeitenden Regionen gibt es Synergieeffekte zwischen der Ausbildung und den sozialen Diensten. 2.3 Workpackages Die operativen Workpackages 'Analyse informeller sozialer Netzwerke', 'Entwicklung von Curricula für COS' und 'Implementierung von COS in die Praxis' bilden den Kern unseres transnationalen Projektes. Alle operativen Partner waren an diesen Workpa-ckages beteiligt. Sie sind eingebettet in einer Struktur von kommunikativen Workpackages, die dem Trans-fer dienen. Zu den kommunikativen Workpackages gehörten die internen Workshops, der Austausch mit

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dem Projektbeirat und die externe Verbreitung / Mainstreaming. Operative Workpackages Analyse informeller sozialer Netzwerke: Hier ging es um die Gewinnung von Erkenntnissen über die Merkmale der Sozialsysteme der drei Regi-onen: die Bedeutung von Behinderung, die Prozesse der Exklusion und Inklusion. Wir untersuchten die vorhandenen informellen sozialen Netze als Ressour-cen für Circles of Support (COS): informelle Struktu-ren sozialer Unterstützung, schwache und starke soziale Bindungen und ihre jeweiligen Funktionen in sozialen Beziehungen, die Rolle der nicht-familiären Bindungen, Geschlechterrollen. Uns ging es auch um den gesellschaftlichen Wandel in Bezug auf die Desintegration der gesellschaftlichen Kohäsion. Entwicklung von COS-Curricula: Schaffung von an die jeweiligen regionalen Umstän-de angepassten COS Theorie-Praxis-Programmen. Unsere Aufgabe war es, kulturell angepasste Lehr-methoden zur Qualifizierung der Hauptakteure (Stu-dierende der Humanwissenschaften, professionelle Humandienstleister, Ehrenamtliche) zu entwickeln: darunter Werthaltungen, wissenschaftliche Erkennt-nisse und professionelle Instrumente zur Förderung unterstützender Netzwerke in den Gemeinwesen mit und für Menschen mit Behinderung und Autismus. Uns ging es um die Entwicklung einer professionellen Kultur der Assistenz, als Katalysator für einen sozia-len Wandel zu einer Kultur der Partizipation und Inklusion. Implementierung von COS in der Praxis: Es galt auch, die entwickelten Curricula in der Praxis zu erproben: Im Gemeinwesen setzt sich der Kreis der aktiven Initiatoren der Circles of Support aus den Menschen mit Assistenzbedarf, sozial engagierten

Akteuren und Fachleuten der sozialen Träger zu-sammen. Das Ziel der COS ist es, die Mitglieder des Gemeinwesens in die Lage zu versetzen, Circles of Support zu installieren, die sich im Idealfall selbst tragen. Die Installierung von COS-Gruppen fand sowohl innerhalb der beteiligten Hochschulen als Teil der Lehrpläne als auch im Gemeinwesen als Teil der Aktivitäten von NGOs (Non Governmental Or-ganisations) und CBOs (Community Based Organi-sations) statt. Kommunikative Workpackages Interne Kommunikation: Von zentraler Bedeutung für die Effektivität eines transnationalen Projektes war die Installierung eines internen Kommunikationssystems für den Austausch zwischen den Partnern in einer vertrauten Umge-bung. Hier waren die halbjährlichen internen Workshops, die abwechselnd bei den beteiligten Partnern stattfanden, die wichtigsten Elemente. Es handelte sich dabei nicht nur um ein Forum für den Austausch über organisatorische, inhaltliche und methodische Angelegenheiten, vielmehr war es eine Gelegenheit für die Förderung der interkulturellen Verständigung unter den Partnern und für das Erpro-ben von geeigneten Gruppenmoderationstechniken für transnationale Kommunikation. Besonders wichtig war der Aufbau einer Kultur der 'konstruktiv-kritischen Freundschaft' unter den Partnern. Semi-externe Kommunikation: Die operativen Partner können auf die Mitglieder des ehrenamtlichen Beirats oder 'Think Tank' zurückgrei-fen: ExpertInnen, die ihre außerordentlichen wissen-schaftlichen und praktischen Kompetenzen in der Rolle als 'kritische Freunde' einbringen. Der Beirat hat auch in der Endphase eine besonders wichtige Funktion zur Bildung eines Netzwerks von Akteuren und externen Institutionen zur Sicherung der Nach-

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haltigkeit und des Mainstreamings. Externe Kommunikation: Dis Sicherung von Nachhaltigkeit und Mainstrea-ming durch externen Wissenstransfer war ursprüng-lich vor allem durch die Veranstaltung von zwei Kongressen (in Europa zu Beginn und in Indien zum Ende des Projekts) sowie durch Printveröffentlichun-gen und Internetpräsenz vorgesehen. Bereits zu Be-ginn des Projekts wurde deutlich, dass die externe Kommunikation eine wichtigere Rolle einnehmen sollte. So wurden sämtliche internen Workshops mit externen Veranstaltungen verbunden, die das Projekt vor Ort an die Öffentlichkeit gebracht haben. Dar-über hinaus wurden mehrere ad hoc Seminare orga-nisiert, die einzelne Aspekte des Projekts aufgegriffen haben. Die Homepage des Projekts stellt das Projekt und die Partner vor, dokumentiert die Projektaktivitäten und stellt der Öffentlichkeit Dokumente im PDF-Format zur Verfügung.

www.cos-transnational.net Im Übrigen setzt sich die Arbeit des Projekts auch nach Ende der Förderphase im Mainstreaming-Arbeitskreis fort. Dieser besteht sowohl aus Mitglie-dern der operativen Partner als auch aus Mitgliedern des Beirats. Die Aufgabe des Arbeitskreises besteht darin, Nachhaltigkeit und Mainstreaming sowohl horizontal (im Bereich der Hochschulen und sozialen Träger) als auch vertikal (im Bereich der politischen Entscheidungsträger und der Zivilgesellschaft) zu sichern. 2.4 Chronik und Meilensteine Das Projekt erstreckte sich von Januar 2004 bis Juni 2006. Die ersten Circles of Support an der Fach-hochschule Dortmund gab es allerdings schon

seit 1999. Die Haupttreffen des hier beschriebenen Projekts fanden halbjährlich statt. Auch nach Ab-schluss der EU-Förderung wird es Circles of Support an der FH Dortmund weiter geben. Im Folgenden die wichtigsten Ereignisse des Projekts COS – Circles of Support in India and the EU. Erster interner Workshop, Bhubaneswar, April

2004 Pressekonferenz, Bhubaneswar, Mai 2004 Erste öffentliche Konferenz, erste Sitzung des

Beirats (Think Tank), zweiter interner Workshop, Dortmund, Oktober 2004 Dritter interner Workshop, Utkal University,

Bhubaneswar, Februar 2005 Meeting von Studenten und Mitarbeitern der

Fakultäten Psychologie und Politikwissenschaften, Utkal University, Bhubaneswar, zum COS-Projekt, Februar 2005 Treffen der Leiter von Behindertengruppen und

von professionellen Kräften im Bereich Behinderten-arbeit Utkal University, Bhubaneswar, Februar 2005 Bikalanga Bandhu Samillani - Konferenz mit

behinderten Menschen und ihren Freunden, Gondia Block, Dhenkanal District, Orissa/ Indien, Februar 2005 Meeting von COS- Vertretern mit Merry Barua,

Action for Autism, New Delhi, März 2005 Austauschbesuch von Mitgliedern von Circle

Network / England, in Dortmund, April 2005 Austauschbesuch von Mitarbeitern und Studie-

renden der Fachhochschule Dortmund in London, Mai 2005 Besuch von Prof. Narayan Chandra Pati / Utkal

University, Bhubaneswar, im Fachbereich Sozialwis-senschaften an der Fachhochschule Dortmund, Juni 2005 Vierter interner Workshop, University of Bolton/

England, September 2005

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Europäische Ansätze zur Curriculum-Entwicklung für soziale Dienste: Internationales Seminar am Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften Fachhochschule Dortmund, Dezember 2005 Zweite internationale öffentliche Konferenz,

zweite Sitzung des Beirats (Think Tank), fünfter inter-ner Workshop, Bhubaneswar/ Indien, Januar 2006 April 2004: Erster interner Workshop der Projekt-partner mit anschließender Pressekonferenz, Bhubaneswar. An diesem Startworkshop nahm neben VertreterInnen aller Projektpartner auch die zuständige Programm-leiterin des EU-Programms (ECCP) als Drittmittelge-berin teil. Im Anschluss an den Workshop fand eine gut besuchte Pressekonferenz statt. Oktober 2004: Erste öffentliche Konferenz, erstes Treffen des Beirats, zweiter interner Workshop, Dortmund. An dieser Konferenz nahmen alle Kooperationspart-ner und der Beirat teil. Am 11. und 12. 10., der öffentlichen Konferenz, nahmen ca. 70 eingeladene Gäste teil. Am ersten Tag ging es in den Referaten aller Kooperationspartner um die konkrete Arbeit in den jeweiligen COS-Projekten; der 2. Tag wurde von Beiträgen der Beiratsmitglieder bestimmt, die alle über spezifisches, relevantes und herausragendes Expertenwissen verfügen. Am 13. 10. fand der inter-ne Workshop der Kooperationspartner mit dem Beirat statt. Ein Schwerpunkt dieses Workshops war (neben Austausch der Aktivitäten vor Ort und ge-meinsamer Reflexionen mit dem Beirat) die Konstitu-ierung des Koordinationsteams der Utkal University in Bhubaneswar. Viele Studierenden haben aktiv an der Vorbereitung und Durchführung dieser Konferenz teilgenommen. Einige haben im Bereich der Video- und Foto-Dokumentation Arbeitsgruppen gebildet. Diese Fotografien dienten der Dokumentation des

COS-Projektes und bildeten die Grundlage für eine Powerpoint-Präsentation. Februar 2005: Dritter interner Workshop, Bhubaneswar. Der Workshop wurde organisiert von den Fachberei-chen Psychologie und Politikwissenschaften an der Utkal University. Februar 2005: Treffen zum COS-Projekt von Studen-ten und Mitarbeitern der Fakultäten Psychologie und Politikwissenschaften, Utkal University, Bhubaneswar. Die Lead-Partnerin stellte die Projektziele vor, unter besonderer Berücksichtigung des Aspektes Autismus. Die Bedeutung der transnationalen Kooperation im Bereich Behinderung wurde betont. Als primäres Ziel des Projekts wurde der Aufbau inklusiver Gemein-schaften hervorgehoben. Die Projektpartner stellten ihre bisherigen Arbeiten zum Thema vor. Februar 2005: Treffen der VertreterInnen von Behin-dertengruppen und Selbsthilfegruppen sowie mit professionellen VertreterInnen aus dem Bereich Be-hindertenarbeit, Utkal University, Bhubaneswar. Im Anschluss an den dritten internen Workshop fand ein informelles Vernetzungstreffen von AktivistInnen und professionellen SozialarbeiterInnen aus Orissa / Indien aus dem Bereich Behindertenarbeit statt. Im Sinne von Networking und Austausch zwischen Aka-demikerInnen und AktivistInnen sowie Betroffenen war dieses innovative Treffen von besonderer Bedeu-tung. Februar 2005: Bikalanga Bandhu Samillani - Konfe-renz mit behinderten Menschen und ihren Freunden und Familien, Gondia Block, Dhenkanal District, Orissa. Ging es am vorherigen Tag um ein Treffen mit Ver-treterInnen aus dem urbanen Bereich, so fand dieses Treffen im ländlichen Raum statt, mit Repräsen-tantInnen und AktivistInnen dieser Lebensräume.

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März 2005: Treffen von COS-Vertretern mit Merry Barua, Action for Autism, New Delhi. Action for Autism ist der erste Autismus-Elternverband in Indien. Der Verband hat sich in kurzer Zeit einen Namen in ganz Indien gemacht. Neben der pädagogisch-therapeutischen Arbeit im Therapieinstitut und in der Schule spielt auch die professionelle Aus-, Fort- und Weiterbildung der MitarbeiterInnen eine wichtige Rolle. Action for Au-tism ist Mittelpunkt eines sehr dichten lokalen und regionalen Netzwerkes in New-Delhi und entwickelt weitere Verbindungen innerhalb Indiens und im transnationalen Raum. April 2005: Besuch von Mitgliedern von Circle Net-work UK, Dortmund. Ein junger Mann mit Assistenzbedarf aus England und seine zwei Unterstützer besuchten vom 26. - 28. April das COS Projekt in Dortmund. Es fanden ver-schiedene Treffen zwischen den englischen und den derzeitigen sechs deutschen COS-Gruppen statt, die während der ersten öffentlichen Konferenz in Dort-mund im Oktober 2004 begonnen hatten. Die deut-schen Circles – einschließlich der Fokus-Personen – haben sich auch in englischer Sprache vorgestellt. Ein Ziel des Treffens war es, Austauschgespräche über die verschiedenen COS-Ansätze in England und Dortmund weiterzuführen. Außerdem ging es um Vorbereitungen und Absprachen für eine Circle Network Konferenz in London. Der Austausch in Dortmund fand zwischen Studierenden, Fokus-Personen und dem COS-Team des Forschungspro-jektes statt. Bilaterale Gespräche und Informationen fanden sowohl auf formeller Ebene über Präsentatio-nen in Handlungsfeld-Seminaren als auch auf infor-meller Ebene, z.B. beim gemeinsamen Essen und Museumsbesuch statt. Mai 2005: Gegenbesuch von zwei Dortmunder COS-Gruppen mit Begleitung in London. Auszüge aus dem Bericht einer Studentin: '…Zwei

Fokus-Personen, zwei Dozentinnen des COS – Handlungsfeldes und drei Studentinnen, die bereits mehrmonatige Erfahrungen mit dem praktischen Zirkelerleben gesammelt hatten, wollten sich durch Eindrücke der COS – Bewegung in England inspirie-ren lassen. Die Zeit vor der Englandreise war durch inhaltlich-praktische Vorbereitungen für die aktive Teilnahme an der COS – Konferenz bestimmt. Es waren zum Beispiel deutschsprachige Kurzvorträge unserer Fokus-Personen vorgesehen, die Überset-zungsbemühungen erforderlich machten…Da die ganze Veranstaltung englischsprachig war, galt für uns Studentinnen die Herausforderung, verstandene Vortragspassagen für uns selbst wie Mosaiksteinchen zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzusetzen. Dabei unterstützte unsere ganze Gruppe sich über-setzungstechnisch nach Möglichkeit gegenseitig, damit alle Gruppenmitglieder die wesentlichsten Zusammenhänge verstehen konnten. Die soziale Bewegung der Circles of Support wird besonders anschaulich durch die Arbeit von 'Circles Network' verdeutlicht. Außerdem setzen in England verschie-dene andere Institutionen und Organisationen die Prinzipien der sozialen Bewegung in die Praxis um, was sich auf die Lebensmöglichkeiten beeindruckend vieler von Behinderung Betroffener auswirkt…. Prä-sentationen bedienten sich einer Vielzahl an Techni-ken, um die teilweise durchaus sehr persönlich gehalten Botschaften und Anliegen zu vermitteln. Die filmische Variante fand genauso Verwendung wie das Interview, die Kurzreferate ( zum Beispiel von ALLEN Mitgliedern unserer Gruppe)… Erlebte Fort-schritte sowie der persönlich empfundene Gewinn Beteiligter aus der sozialen Bewegung Circles of Support war deshalb wichtiger inhaltlicher Bestand-teil der Präsentationen… Alles, was ich an Kommu-nikation wahrnahm, zeugte von einer bestimmten seelischen Haltung und Einstellung untereinander, die ich mit den Begriffen Wertschätzung, Empathie, Respekt, Zuneigung und Achtung beschreiben möch-te und sich in Körpersprache wie Gestik, Mimik und

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Körperhaltung ausdrückte…Überhaupt wurde in vorbildlicher Weise überall praktische Rücksichtnah-me gezeigt! Das begann mit der Fähigkeit des ge-duldigen Zuhörens von artikulationsbeeinträchtigten Teilnehmern und setzte sich durch die ganze Konfe-renzgestaltung darin fort, dass sowohl vor wie auf der Bühne die Bedürfnisse des Gegenübers wie selbstverständlich kontinuierlich berücksichtigt wur-den.' Juni 2005: Besuch von Prof. Narayan Chandra Pati, Fachbereich Psychologie, Utkal University, Bhuba-neswar, in Dortmund. Vorträge in Seminaren des COS-Projektes und Lehr-schwerpunktes 'Inclusion and Diversity Studies' zu Themen der Sozialen Arbeit, spezifisch mit Menschen mit Behinderungen in Indien. Schwerpunkte waren CBR (Community Based Rehabilitation); schulische und gesellschaftliche Inklusion oft auch als ökono-misch einzig realisierbare Möglichkeit; Inklusion im Rahmen von kulturellen Aktivitäten; unterstützte Be-schäftigung und Training zur Selbstversorgung. Es fand darüber hinaus ein Besuch bei einer Fokus-Person mit Autismus in dessen Elternhaus statt. September 2005: Vierter interner Workshop, Bolton. VertreterInnen aller Partnerorganisationen nahmen am vierten internen Workshop im englischen Bolton teil. Nach der Eröffnung durch das gastgebende Institut an der University of Bolton diskutierten die Partner den Fortschritt bei der Arbeit an den Work Packages. Ausführlich wurde über Zielsetzung und Organisation der Abschlusskonferenz im Januar in Bhubaneswar / Indien diskutiert. Die Teilnehmer einigten sich darauf, dass die Partnerorganisation NYSASDRI für die Konferenzorganisation hauptver-antwortlich zeichnet, in Kooperation mit der Utkal University und dem transnationalen Koordinator. Die Teilnehmer aus den Partnerorganisationen nutzten den Workshop auch für einen Austausch mit Famili-en von Menschen mit Autismus und Aktivisten.

Oktober 2005: Effet 2005 der Fachhochschule Dortmund. Am 18. und 19. Oktober 2005 präsentierte sich das Projekt ''Circles of Support' in Indien und der EU – auf dem Weg zu inclusiven Gemeinwesen' im Rah-men der Ausstellung 'effet 2005 – Spitzenprojekte der Fachhochschule Dortmund aus Forschung und Entwicklung'. Die im Harenberg City-Center der Stadt Dortmund gezeigten Präsentationen aus allen Fachbereichen der FH Dortmund wurden von Dort-munds Oberbürgermeister Dr. Langemeyer eröffnet. November 2005: Vorstellung des Projektes COS bei der Präsentation 'Lebendige Forschung' an der Fach-hochschule Köln. Während dieser eintägigen Veranstaltung haben nordrhein-westfälische Hochschulen ihre Spitzenpro-jekte aus den Sozialwissenschaften einem interessier-ten Fachpublikum aus politischen und gesellschaftli-chen 'Stakeholdern' und Entscheidungsträgern vorge-stellt. Dezember 2005: Europäische Ansätze zur Curricu-lum-Entwicklung für soziale Dienste im Kontext des demographischen Wandels: Internationales Seminar am Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften, Fachhochschule Dortmund. Unter dem Titel 'European approaches to curriculum development for social care in contexts of demo-graphic change' fand im Rahmen eines Seminars am 2. Dezember 2005 an der Fachhochschule Dort-mund ein erster Austausch mit Lehr- und Fachkräften der Gerontologie und verwandter Bereichen aus schwedischen und deutschen Hochschulen statt. Januar 2006: Zweite internationale öffentliche Kon-ferenz, zweite Sitzung des Beirats, fünfter interner Workshop, Bhubaneswar. Unter dem Titel 'Circles of Support in India and Europe: Community resource networks for people with disabilities and autism' fand diese Konferenz am

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6. und 7. Januar 2006 in Bhubaneswar, Orissa, statt. Sie diente der Präsentation der wesentlichen Projektergebnisse für die interessierte – vor allem indische – Öffentlichkeit. Projektpartner, Beiratsmit-glieder und externe Experten aus Indien und Europa haben an der Konferenz teilgenommen. Unter den etwa 150 Teilnehmern, überwiegend aus Indien, waren vor allem Wissenschaftler, RepräsentantInnen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und andere AktivistInnen und NetzwerkerInnen vertreten. Um der besonderen Situation im Gastland Indien und speziell in Orissa, einem der ärmeren indischen Unionsstaaten, Rechnung zu tragen, wo eine Vernet-zung von Aktivisten und Organisationen für behin-derte Menschen oft an infrastrukturellen und finan-ziellen Mitteln scheitert, wurde auf der Konferenz ein besonderes Forum für die VertreterInnen von Behin-dertenorganisationen aus Orissa geschaffen. Bei allen operativen Partnern sind im Rahmen des Projektes spezielle Curricula für Studenten der Hu-manwissenschaften zum Studium von COS entwickelt worden. Die indische Partner-NGO NYSASDRI, federführend in der Organisation der Konferenz, präsentierte ein Verzeichnis und ein Handbuch zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen und deren Unterstützer im ländlichen Orissa. Die Teilnehmer betonten, dass die Bewegung zur Verbesserung der Situation von behinderten Menschen in Indien gerade in den länd-lichen Regionen gestärkt werden müsse. Von ande-ren wurden die gesetzlich-administrativen und histo-risch-kulturellen Hemmnisse – Kastenwesen – her-vorgehoben. Obwohl seit 1993 drei wichtige Geset-ze zur Stärkung der Lage behinderter Menschen in Indien verabschiedet wurden und sich seitdem eini-ges zum Besseren getan hat, ist die Situation gerade in ländlichen Regionen noch unbefriedigend. Vom Fachbereich Psychologie an der Utkal University

wurde ein Curriculum und ein Handbuch für COS vorgestellt. Der Lead-Partner Fachhochschule Dort-mund stellte den Teilnehmern die Projektergebnisse, darunter auch das Curriculum für COS im Rahmen des curricularen Moduls 'Großes Handlungsfeld' vor. Vom britischen Partnerinstitut, der University Bolton, wurden Trainingsmodule für einen BA-Studienkurs zum Thema COS vorgestellt. Insbesondere in Indien ist der Ansatz der 'Community based Rehabilitation' (CBR), der gemeinwesenbasier-ten Rehabilitation bedeutsam. Als ein wesentlicher Unterschied zwischen Indien und Europa wurde wiederholt hervorgehoben, dass Indien mit menschli-chen Ressourcen sehr gut ausgestattet sei, es aber unter deutlichen Fachkompetenz- und infrastrukturel-len Schwächen leide. Während der Konferenz wurde die 'Bhubaneswar Declaration – a Resolution by Conference partici-pants' angenommen, deren wesentliche Punkte wie folgt lauten: Sensibilisierung der zuständigen Organisatio-

nen, Stiftungen und öffentlichen Stellen, damit die betroffenen Menschen mit Behinderung besseren Zugang zu medizinischen und anderen Förderungen erhalten Sensibilisierung der Bürokratie zur Öffnung für

Nichtregierungsorganisationen Verbesserung der Einkommen-schaffenden

Maßnahmen für behinderte Menschen durch Stär-kung der entsprechenden Finanzinstitutionen Sicherstellung barrierefreier Zugänge zu allen

Gebäuden, Anlagen und Institutionen Bekämpfung der (staatlichen) Diskriminierungen

auf Grund von Behinderungen Stärkung der Bewusstseinsbildung für die Belan-

ge der behinderten Menschen durch Aufnahme in Bildungs- Curricula, von der Grundschule bis zum Hochschulniveau Stärkung von Ressourcen-Zentren mit allen

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wesentlichen Informationen über Behinderung in Indien Entwicklung einer Taskforce als Lobbygruppe für

die Belange behinderter Menschen. Zusammenfassend hat die zweite internationale COS-Konferenz entscheidende Impulse für die regi-onale (Orissa), nationale (Indien) und transnationale (Indien / Europa) Vernetzung gegeben, sowie auch für Austausch und Vernetzung zwischen akademi-schen und nicht-akademischen Fachleuten, Sozialar-beitern, Aktivisten aus den NGOs, Politik und Ver-waltung – und natürlich den direkt betroffenen Men-schen im Fokus, den Menschen mit Unterstützungs-bedarf und ihren Angehörigen. Zur Unterstützung und im Sinne der Nachhaltigkeit dieser Vernetzung werden auch verschiedene Fachveröffentlichungen zu den Ergebnissen des Projektes erarbeitet. Eine wichtige Entwicklung ist die im Projektzeitraum entstandene Elterngruppe von Eltern mit autistischen Kindern in Bhubaneswar, als erster Autismus-Elternverband dieser Art im Staat Orissa. Mit dieser Gruppe wurden transnationale Kooperationen über den Projektzeitraum hinaus vereinbart.

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3 Das Projekt COS in Dortmund

Dieses Kapitel dokumentiert den Ablauf des curricu-laren Moduls 'COS' an der FH Dortmund. Im enge-ren Sinne meint dies den Dortmunder Anteil des Circles of Support-Projektes, das im Rahmen des 'EU-India Economic Cross-Cultural Programme' von 2004 bis 2006 gefördert wurde. Im weiteren Sinne existieren erste Circles an der FH Dortmund schon seit 1999, als sie im kleineren Rahmen durchgeführt wurden. Diese Circles sind ein organischer Vorläufer der heutigen COS-Projekte. Im Rahmen eines curri-cularen Moduls ('Handlungsfeld') im Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften an der FH Dort-mund werden Circles of Support auch nach Beendi-

gung der projektbezogenen EU-Förderung weiter laufen. Es erfolgt zunächst eine Auseinandersetzung mit der Thematik sozialer Netze für Menschen mit Behinde-rung und Autismus. Hierzu gehört als traditionelles soziales primäres Netz auch die Familie. Die Ent-wicklung der neuen praxisbezogenen Forschungs- und Lehransätze – eben Circles of Support – steht im Kontext dieser Analyse der sozialen Situation von behinderten Menschen und, allgemeiner, Menschen mit Assistenzbedarf.

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Auf die curriculare Entwicklung dieser neuen Ansätze wird dann im darauffolgenden Kapitel 3 eingegan-gen. Es folgt im Kapitel 4 eine Dokumentation der bisherigen Umsetzung der curricularen Ansätze in die Praxis. Im 5. Kapitel werden schließlich die im Zuge des Projektes erarbeiteten Erweiterungen und Ergän-zungen der COS-Curricula dargestellt. Beim gesamten Projekt COS ist als zentrales und bewusst intendiertes Element zu beachten, dass Cur-riculum-Entwicklung, Implementierung in die Praxis und Weiterentwicklung der Curricula mit anschlie-ßender erneuter Praxisumsetzung einen spiralförmig sich fortsetzenden Prozess bildet: Wissenschaft und Praxis sollen sich – so das grundlegende wissen-schaftliche Paradigma – gegenseitig befruchten – denn die Wissenschaft kann nur durch Austausch mit der Praxis, hier mit dem Gemeinwesen, sinnvoll existieren. 3.1 Behinderung, Inklusion, Circles of Support Was versteht der Gesetzgeber unter Behinderung ? Da sich das Projekt Circles of Support schwerpunktmäßig an Menschen mit Behinderung richtet, welche jeweils die Fokus-Personen darstellen, bedarf es auch einer juristischen Klärung des Behinderungsbegriffs im deutschen Kontext. 'Anders als bei den anderen Diskriminierungsgrün-den gibt es in den nationalen Rechtsvorschriften bezüglich der Behinderung eine Vielzahl von Beg-riffsbestimmungen. [...] Wenn in den Antidiskriminie-rungsvorschriften der Begriff der Behinderung defi-niert wird, gibt es eine Reihe gemeinsamer Elemente: Zeitliche Anforderungen: Die Beeinträchtigung

muss permanent sein oder lang andauern;

Grad der Beeinträchtigung: Verschiedene Grade der Schwere; Tatsächlicher Status: Behandlung der vergange-

nen, gegenwärtigen und künftigen Beeinträchtigun-gen' (Cormack/Bell 2005, 24 f.). Bisher hat das Bundesverfassungsgericht den verfas-sungsrechtlichen Behinderungsbegriff gemäß § 3 Absatz 1 Satz 1 Schwerbehindertengesetz definiert. Demzufolge ist Behinderung die Konsequenz einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchti-gung, welche auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht (vgl. Auktor 2003, 29). Das Sozialgesetzbuch SGB IX sagt, dass gemäß §2 Abs. 1 Menschen behindert sind, 'wenn ihre körperli-che Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Ge-sundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchti-gung zu erwarten ist' (BIH 2002, 14). Dieser Geset-zestext besagt, dass die Menschen mit Behinderun-gen nicht mehr nur als Fürsorgeempfänger und Bittsteller zu betrachten sind, sondern statt dessen als Gewinn das Recht auf Gleichwertigkeit als Bürger bei sämtlich vorliegender Verschiedenheit beanspru-chen dürfen. Mit Bezug auf das Grundgesetz Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 analysiert Auktor (2003, 39), dass früher die soziale Sicherung, also die Fürsorge und Versorgung, von Menschen mit Behinderungen im Zentrum der bundesrepublikanischen politischen Bestrebungen stand. Gegenwärtig ist eine Änderung der Zielsetzung zu konstatieren. Der Mensch mit Behinderung, einschließlich der ihm zustehenden Rechte, steht nunmehr im Fokus jeglicher behinder-tenpolitischer Anstrengungen. Für diesen Sinneswan-del führt Auktor ein neues Selbstverständnis der Betroffenen an, welches zuvorderst seinen Ausdruck

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in der Interessenvertretung findet. Diese hat dann schließlich in der Ergänzung des Grundgesetzes um den weiter oben angeführten Artikel ihren Nieder-schlag gefunden, dessen Regelung eine verfassungs-rechtliche Wertentscheidung darstellt. Hierdurch wird vom Staat die gleichberechtigte Teilhabe von Men-schen mit Behinderungen am Leben in der Gesell-schaft eingefordert. 'Behinderung ist [...] nicht ein 'pathologisches', son-dern ein 'entwicklungslogisches' Ergebnis des Versu-ches des Menschen, sich an ihn isolierende Bedin-gungen bestmöglich anzupassen und seine individu-elle Existenz mittels dieser Anpassung an und der Aneignung von isolierenden Bedingungen zu erhal-ten' (Feuser 1984, 103). So gesehen ist unter Behin-derung ein ökosystemischer Begriff zu verstehen. 'Er beschreibt [...] eine soziale Relation und kann nur im Kontext der Wechselwirkungen zwischen Individuum und Gesellschaft verstanden werden, aus dem sich der Lebens- und Lernweg eines jeden ableitet' (Knust-Potter 1998, 5). Was verstehen wir unter Inklusion? Das traditionelle medizinisch-orientierte Modell von 'Behinderung' hat einen eher individuumsbezogegen und defizitorientierten Fokus. Diese Perspektive wird jedoch von VertreterInnen der Inclusion and Disabili-ty Studies kritisiert und erweitert: Diese verstehen 'Behinderung' nicht als individuelles Problem, son-dern als Produkt gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse. Dies ist Teil einer transnationalen Bewegung unter dem Schlüsselbegriff Inklusion. Inklusion bedeutet gesellschaftliche Teilhabe ohne Aussonderung, unter gleichgestellten Bedingungen, volle Partizipation von Menschen mit unterschiedlichen Unterstützungsbe-darfen.

Die Inklusion sollte als eine Bewegung gesehen werden, deren Weg von zahlreichen Spannungen begleitet wird und noch lange nicht abgeschlossen ist. Auf dem sich schrittweise vollziehenden Weg zur Inklusion bedarf es jedoch einer ständigen Reflexion unseres Bewusstseins und unserer Denkweise. Der Maßstab sollte dabei nicht als eine Angleichung der 'behinderten' Menschen an die Normen und Werte der 'nichtbehinderten' Menschen verstanden werden. Es handelt sich eher um einen reziproken Prozess von Veränderung und Anpassungen. Berührungs-ängste und Vorurteile können sich innerhalb eines gemeinsamen Agierens und der daraus folgenden gegenseitig veränderten Wahrnehmung der einzel-nen Akteure umwandeln von einer defizitorientierten Perspektive samt ihrem Spektrum an Negativ-Konnotationen, und verschieben hin zu einer mög-lichkeitsorientierten Wahrnehmung und der Betrach-tungsweise 'normal ist es, verschieden zu sein'. Der dem COS Gedanken zugrunde liegende Ansatz bezeichnet den Weg von der Segregation und institu-tionellen Ausgrenzung zur Inklusion, der gesellschaft-lichen Teilhabe im Gemeinwesen; von der Stigmati-sierung hin zum Leitsatz 'It's normal to be different', von defizitorientierten zu entwicklungs- und emanzi-pationsorientierten Handlungsansätzen der Sozialen Arbeit. Da Inklusion ein Schwerpunkt der Lehre ist (Knust-Potter 1998-2006), gab es verschiedenste Überlegungen, diesen zu operationalisieren und den Studierenden der Sozialen Arbeit näher zu bringen. Die Entwicklung eines Praxis-Lehr-Forschungsprojektes Circles of Support bot sich hier an. Inklusion bringt strukturelle Veränderungen mit sich, welche die uneingeschränkte Teilhabe an der Ge-sellschaft und am Leben im Gemeinwesen möglich machen – unabhängig von Behinderung oder Beein-trächtigung. Sie setzt auf die Zusammenarbeit aller Akteure im Gemeinwesen und richtet sich auf die

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unmittelbare Lebenswelt der Adressaten. Es existieren in Deutschland überwiegend formelle professionelle, institutionsbasierende Hilfesysteme für Menschen mit Assistenzbedarf. Im Alltag befinden sich Menschen mit Behinderung und Autismus immer noch überwiegend in einem verengten Raum von institutioneller Förderung, Therapie und Betreuung. In der Forschung und Literatur finden wir immer noch primär defizitorientierte Darstellungen differenter Verhaltensweisen. Es gibt aber auch Ansätze, in denen es darum geht, die Ressourcen von Menschen mit Assistenzbedarf in den Vordergrund zu stellen und ihren Beitrag zum kulturellen Ganzen zu thematisieren. Das lässt hof-fen, in einer Gesellschaft, in der Differenz stigmati-siert und pathologisiert wird. Es entwickeln sich neue Handlungsanforderungen an die Soziale Arbeit durch die Anforderungen des Leitbildes von Inklusion: Gemeinwesenmitgliedschaft (Community Living) anstelle von Institutionalisierung und gesellschaftlicher Segregation, Wertschätzung von Differenz. Der soziale Wandel in Deutschland bringt auch einen Wandel im Selbstverständnis von Dienstleistungsträgern mit sich hin zu mehr Gemein-wesenorientierung und Erkennen der Notwendigkeit, an den Qualitäten des Gemeinwesens anzuknüpfen. Professionelle Selbstverständnisse und Sichtweisen haben sich zu einer Sichtweise erweitert, Menschen, die als behindert bezeichnet werden, als Kompetenz-träger zu sehen. Institutionelle soziale Dienstleistungsträger sind je-doch weiterhin von strukturellen Zwängen und Auf-lagen betroffen. Traditionelle informelle Solidarnetz-werke, wie Familie und Nachbarschaft, befinden sich im Wandel und sind nicht mehr in dem Maße ver-fügbar, wie sie es waren. Selbstbestimmung, Ge-meinwesenmitgliedschaft und soziale Teilhabe sind

berechtigte Bürgerrechte. Um die Welt nicht auf den Nullpunkt sozialer Kälte abkühlen zu lassen, stehen wir vor der Herausforderung, Ergänzungen zu entwi-ckeln. COS sehen wir als eine Möglichkeit einer solchen gesellschaftserwärmenden Ergänzung. Was ist unser Verständnis von einem Circle of Support? Ein COS ist eine Gruppe von Menschen, die sich konstituiert und regelmäßig trifft, um einen Men-schen mit Assistenzbedarf bei der Erreichung von ihm selbst bestimmter, persönlicher Zielsetzungen zu unterstützen. Ein allen COS zugrunde liegender Leitgedanke gilt dem Aspekt von Selbstbestimmung: Der Mensch steht im Mittelpunkt, nicht ein Dienstleis-tungssystem oder Dienstweg, der eingehalten werden muss. Der Schlüssel zu COS ist das Lernen vonein-ander und die Schaffung und Erhaltung von Bezie-hungen, in denen jeder etwas für jeden tut. Stärken und Talente werden so multipliziert und individuelle Schwächen, aufgrund der gemeinsamen Fähigkeiten der Gruppe, ausgeglichen. Die Teilnehmer des Circ-le of Support können sich aus Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten, Nachbarn, Studierenden und einer Koordinationsperson zusammensetzen. Alle COS-Mitglieder sollen immer die Gewissheit haben, sich Unterstützung und Fachkompetenz ein-holen zu können. Ein Circle of Support mit seinem Ansatz der non-formellen Unterstützung kann als eine Erweiterung zur Verbesserung der Lebensqualität gesehen wer-den. COS leisten einen wichtigen Beitrag, gesell-schaftliche Teilhabe, Inklusion und Selbstbestimmung in die Tat umzusetzen. Das geht nicht über Verord-nungen und das geht nicht über große Strukturen und Verwaltungen. COS sind klein, informell und unabhängig.

Circles of Support ermöglichen: Erfahrungen in Alltagssituationen im Gemeinwesen zu

machen, die Erfahrung der Wichtigkeit menschlicher Beziehun-

gen und Begegnungen, COS als eine Brücke zwischen Qualifizierung und

Alltagspraxis anzubieten und zu erfahren, das Leitprinzip einer emanzipierenden Assistenz han-

delnd erwerben und internalisieren zu können, den Menschen in seiner Persönlichkeit zu stärken, ihm mit Respekt vor erlebter Erfahrung in Partner-

schaftlichkeit zu begegnen.

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Es ist nichts Spektakuläres, das COS ausmacht, sondern etwas verblüffend Einfaches: ein Mensch mit Assistenzbedarf und vielleicht drei oder mehr unter-stützende Personen bilden eine COS-Gruppe. Unser Verständnis von COS ist, dass es als unterstüt-zendes Kleinst-Netzwerk für Menschen mit Behinde-rung oder Autismus ein Konzept bietet, das Unter-stützung in Form von Assistenz in Alltagslebefeldern gewährt, nicht in institutionellen Settings. Die Per-spektive der Menschen mit Assistenzbedarf steht im Vordergrund. Es geht um neue Wege der Identitäts-findung hin zu Selbstbestimmung und Selbstvertre-tung. Es geht um das Gewahrwerden und die Ent-wicklung eigener Stärken und Fähigkeiten. Im Ge-gensatz zu expertendominierten Interventionen setzen die Interaktionen in den COS-Gruppen bei den Fähigkeiten von Einzelnen zu Selbstbewusstsein, Selbstorganisation und Selbstbestimmung ihrer Le-bensform an. Auch wenn der Grad von Selbstbe-stimmung von Person zu Person sehr variiert, ist es doch so, dass die Möglichkeiten und Fähigkeiten der Menschen, besonders auch der Menschen, die als geistig behindert oder die als autistisch bezeichnet werden, vielfach unterschätzt wurden und werden. Wir haben erlebt, wie Menschen, die völlig zurück-gezogen lebten, Freude an sozialen Kontakten ent-wickelten, wie Menschen aus den COS-Gruppen ihre Schul- und Hochschulabschlüsse machten und (im Rahmen des Projektes) auf internationalen Ta-gungen in Dortmund und London vortrugen. Fokus-Personen in den COS-Gruppen erleben sich nicht in der Rolle von Hilfs- und Fürsorgeempfängern son-dern als Anbieter und werden auch so in der Öffent-lichkeit wahrgenommen. Dies ermöglicht eine neue Sichtweise der Betroffenen von sich selbst, von einem eher negativen, von Selbstzweifeln und Ohnmachts-gefühlen geprägten hin zu einem selbstbewussten und positiven Selbstbild. Das ist über solche kleinen COS und ihre oft eher minimalistischen Ansprüche oft viel eher zu erreichen als durch aufwendig konzi-

pierte Curricula oder teure Therapieprogramme. Individuelle Fähigkeiten und Stärken werden multipli-ziert und individuelle Schwächen, aufgrund der ge-meinsamen Möglichkeiten der Gruppe, ausgegli-chen. Ein weiterer Schlüssel ist das gegenseitige Lernen voneinander. An die Professionalität werden keinesfalls weniger Ansprüche gestellt, aber es werden andere Fähigkei-ten und Fertigkeiten benötigt, als sie traditionell in Institutionssettings erwartet werden. Die Interaktionen finden nicht mehr in geschlossenen, von der Gesell-schaft aus- und abgegrenzten Lebensräumen statt, sondern in kleinen Einheiten inmitten der Gesell-schaft. Die COS Mitglieder verstehen sich nicht als die ausgewiesenen Fachleute. Die Beziehung ist nicht mehr geprägt von einem gut meinenden, aber dominierenden Anspruch auf Autorität und Wahrheit. Diese Einstellungen werden in den Reflexionsgruppen immer mehr in Frage gestellt. Interaktionen und Beziehungen zwischen COS-Gruppenmitgliedern und Fokus-Person werden als Prozess verstanden, in dem alle Akteure sich verändern und entwickeln. Wir als gelernte Fachleute befinden uns auf dem Weg der Erkenntnis, dass auch Menschen mit Assistenz-bedarf – als Fachleute in eigener Sache – Lehrende sein können, von denen wir lernen können und sol-len. Der soziale Kontakt ohne therapeutische oder pädagogische Anspruchshaltung in COS bedeutet auch: Nicht die 'autistische Verhaltensweise' oder 'die Behinderung' ist der Ansatzpunkt sondern das Fehlen sozialer Einbindungen. Gerade deshalb kann ein Circle of Support viel bewirken hinsichtlich persönlichen Wachstums aller beteiligten Akteure. Im Mittelpunkt steht das Entde-cken und Erschließen von Ressourcen aller Involvier-ten. Selbstbestimmung ist ein Anspruch, der uns alle unser Leben hindurch begleitet, denn: Wollen wir

Ein Schlüssel von COS ist die Schaf-fung und Erhaltungvon Beziehungen,

in denen jeder etwas für jeden tut.

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Selbstbestimmung und Inklusion wirklich realisieren, müssen wir die Schritte auf einer basalen Bezie-hungsebene beginnen, denn Selbstbestimmung ist nur in einer angstfreien Atmosphäre möglich. 3.2 Wie haben sich COS für Menschen mit Autismus entwickelt? Die COS am Fachbereich Angewandte Sozialwissen-schaften an der Fachhochschule Dortmund entstan-den 1998 in Anlehnung an Ansätze im anglo-amerikanischen Raum. Einflussreich war vor allem die Arbeit von John O'Brien, einem großer Verfechter nicht nur von Circles of Support, sondern auch der Community Living-Bewegung, Inklusion und gesell-schaftlicher Teilhabe von Menschen mit Assistenzbe-darf. Weitere KooperationspartnerInnen waren KollegIn-nen aus dem Autismus-Therapie-Zentrum (ATZ, ein Dortmunder Freier Träger) für umfassende professio-nelle Austauschgespräche und die Beziehungsstiftung zu Menschen mit Autismus. Es kristallisierte sich in diesen Zusammenkünften heraus, dass es im Alltag und dem Dienstleistungssystem für Menschen mit Autismus ein 'missing link' gibt: Die sozialen Kontakte mit Gleichaltrigen, die nicht in einem therapeuti-schen oder anderweitigen institutionellen Bereich angesiedelt sind. Jugendliche mit Autismus artikulier-ten oft den Wunsch, mit Gleichaltrigen etwas zu unternehmen, dass sie gleichzeitig aber auch riesige Angst davor haben. Sie wollen nicht mit der Mutter oder der Therapeutin in die Disko gehen, ihre Klei-dung kaufen, an Kursen teilnehmen oder die Freizeit gestalten. Die Studierenden in den Seminaren der Sozialen Arbeit und die jungen Menschen des Therapieinsti-tuts waren im ähnlichen Alter. Diese Erfahrungen und Beobachtungen führten zur Installierung von

ersten Circles of Support als Basisbaustein von Community Living und als Praxisprojekt in der Fach-hochschule. Es wurde durch diese Angebote für Menschen mit Autismus möglich, soziale Kontakte mit Menschen ihrer Altersgruppe zu knüpfen, Be-kanntschaften zu entwickeln und an Aktivitäten im Gemeinwesen oder wo immer er oder sie es wünsch-ten teilzunehmen: Mit Menschen zusammen sein zu können, denen vertraut werden kann und die auch bei unsicheren oder missbilligenden Blicken oder Äußerungen von Passanten zu ihnen halten. Ein Satz eines COS-Teilnehmers mit Autismus, der die COS in Dortmund prägt, ist: Ich bin nicht mehr einsam, wir sind dreisam. Dieser Schlüsselsatz hat all die Aktivitäten des Dortmunder COS-Projekts begleitet und motiviert. 3.3 Informelle soziale Netzwerke Die Familie als soziales Netz Der Familienbegriff wie er bisher verwendet wurde, verliert zunehmend an Gültigkeit. Die Formen des Zusammenlebens haben sich pluralisiert. Zur Ver-wendung des Begriffs Familie unabdingbar ist das Vorhandensein von wenigstens zwei aufeinander bezogenen Generationen. Sie 'stehen zueinander in Eltern-Kind-Beziehung, dabei muss die 'soziale El-ternschaft' nicht in jedem Fall auch die biologische Elternschaft sein. Es gibt [...] auch so genannte 'Ein-Eltern-Familien' und andere Formen wie etwa 'Fort-setzungsfamilien', bei denen Kinder nur bei einem leiblichen Elternteil und dessen neuem Partner oder neuer Partnerin aufwachsen' (Klenner 2005, 22 f.). Zur Familie gehören dann auch im weiteren Sinne nicht im selben Haushalt lebende Verwandte. Er-kennbar ist, dass es sich bei der Familie um ein Netzwerk besonderer sozialer Beziehungen handelt. Von besonderer Bedeutung ist diese Tatsache, wenn ein Familienmitglied krank bzw. pflegebedürftig wird.

Ich bin nicht mehr einsam, wir sind drei-sam.

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So bedeutet Familie ein Füreinander-Einstehen über den Rahmen der Haushaltsgemeinschaft hinaus. Die 'Kehrseite' der Familie als soziales Netz tritt bei Armut zu Tage: Häufig sind Behinderungen, wie sie in Schulen für Lernbehinderte bzw. Erziehungsschwieri-ge vorkommen, das Resultat von familiärer Armut, hervorgerufen z. B. durch elterliche Arbeitslosigkeit. Schülerinnen und Schüler aus armen Familienver-hältnissen weisen bereits im Vorschulalter deutliche Entwicklungsdefizite auf, beispielsweise Einschrän-kungen des Sprachverhaltens. Informelle soziale Netzwerke von Menschen mit Behinderung Die Erfahrungen mit COS zeigen, dass einige Circles ohne die aktive Unterstützung durch die Familie der Fokus-Person kaum nachhaltig funktionieren können. Daraus sollte jedoch nicht der Schluss gezogen wer-den, dass ein Rückgriff auf traditionelle familiäre Strukturen, Werte und Kräfte möglich oder sinnvoll wäre. Behinderte Menschen verfügen in der Regel über weniger soziale und Unterstützungsnetzwerke als nichtbehinderte Menschen. Der Unterschied tritt dann besonders deutlich zutage, wenn es um länger-fristige Beziehungen und Unterstützung geht. Traditi-onellen Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen fällt trotz des sozialen Wandels eine bedeutende Rolle zu. Die Unterstützung bei behinderten Personen ist häufig auf wenige Netzwerkmitglieder, oft sogar auf einen einzigen weiblichen Familienangehörigen begrenzt (Hamel / Windisch 1993). Die Familie als einziges Netz ist zunehmend überfordert, selbst wenn sie auf Unterstützung durch soziale Dienste zurück-greifen kann. Familien benötigen flexible Hilfen, die das formelle Netz aber oft nicht bieten kann, in Form von ergänzenden und unterstützenden Angeboten. Die sich verändernden Strukturmerkmale der Familie

fordern eine stärkere Einbeziehung non-professioneller Hilfen und mehr Beachtung des bür-gerschaftlichen Engagements im Unterstützungssys-tem für Menschen mit Behinderungen.

Auch im Beziehungsgeflecht von Fokus-Personen in COS-Gruppen des Fachbereichs Angewandte Sozi-alwissenschaften sind mehrheitlich Familienmitglieder und professionelle Fachkräfte vertreten. Kontakte und soziale Beziehungen zu Nachbarn und Freunden lassen sich insbesondere bei Menschen mit Autismus weniger finden. Soziale Unterstützung ist ein wichtiges Fundament innerhalb sozialer Netzwerke. Die Definition der sozialen Unterstützung ist breit gehalten und stellt für den Einzelnen im Netzwerk ein bedeutendes Kapital zum Meistern täglicher Schwierigkeiten dar. Thimm/ Wachtel (2002) führen den Begriff der Unterstützer-kreise auf, die dem COS sehr ähnlich sind. Eine Gruppe, bestehend aus Familienmitgliedern, Nach-barn, Freunden und Mitarbeitern von Einrichtungen wird gebeten, dem Menschen mit Assistenzbedarf bei der Umsetzung von Zielen behilflich zu sein. Dies dient der Intensivierung des sozialen Netzes aller Involvierten. Eine Hauptaufgabe besteht darin, ande-re und viele Personen aus dem nahen Raum zu fin-den, die gemeinsam die Person mit Behinderung unterstützen (Thimm/ Wachtel 2002). Bollag (2000) betont den Aspekt, dass das soziale Netz groß sein sollte, damit die Ressourcen aus vielen Personen geschöpft werden können. Wichtig ist an dieser Stelle, den Dialog zu Fokus-Personen zu suchen und nach informellen Strukturen von sozialer Unterstützung, nach dem Bedarf und den Wünschen zu fragen. Unterstützung wird individuell und je nach Lebenssituation unterschiedlich gedeutet. Besonders bei Menschen mit Autismus kann in bestimmten Lebensphasen eine hohe Anzahl von Unterstützungs-personen eher destruktiv sein.

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Selbsthilfegruppen als informelle soziale Netzwerke Selbsthilfegruppen sind Zusammenschlüsse von sechs bis maximal zwölf Personen, die in ähnlichen Lebenssituationen oder in vergleichbaren Schwierig-keiten sind. Das Ziel ihrer gemeinsamen Arbeit ist die Bewältigung sozialer, persönlicher oder krank-heitsbedingter Belastungen, die ihnen gemeinsam sind. Das Ziel von Selbsthilfegruppen ist, die per-sönliche Situation des einzelnen Gruppenmitglieds zu verbessern und seine sozialen Fähigkeiten zu stärken oder zu erweitern. Selbsthilfegruppen arbeiten ohne formelle oder professionelle Leitung. Sie gestalten die Form ihres Miteinanders entsprechend den Bedürfnissen ihrer Mitglieder. Die Methode von Selbsthilfegruppen ist das regelmäßige – meist wöchentliche – gemeinsa-me und gleichberechtigte Gespräch. Menschen, die in einer Selbsthilfegruppe arbeiten, stärken sich durch ihre vertrauensvolle Beziehung zu den ande-ren Gruppenmitgliedern. Sie festigen ihr Selbstwert-gefühl und lernen, ihre sozialen Beziehungen außer-halb der Gruppe zu verbessern (Moos-Hofius/Rapp 1993, 11f.). Selbsthilfegruppen bieten ein hervorra-gendes Klima zum Austausch behinderungsspezifi-scher Erfahrungen, im Sinne des Peer Counseling bzw. Peer Support (vgl. Rensinghoff 2004). Die gemeinsame Aktivität hat die Bewältigung sozialer, persönlicher oder behinderungs- bzw. krankheitsbe-dingter Traumata zum Ziel. Das Engagement in einer Selbsthilfegruppe bedingt zeitgleich Empowerment. Empowerment hat einen politischen Anspruch. 'Die Betonung der eigenen Ressourcen, die Gewinnung von Identität und das Kennen der eigenen Chancen stehen im Vorder-grund' (Mathis/Schliehe 2000, 108). 'Das Konzept des 'Empowerment' müsste unter vielen im Behinder-tenbereich professionell Arbeitenden eigentlich eine

Krise auslösen, beruht doch deren Professionalität bislang auf einer komplementären Beziehung, einer Bedürftigkeit und einem Mangel beim Anderen' (Carsten Rensinghoff in einer COS-Projekt-Sitzung). 'Die eigenen Vorstellungen von einer erfolgreichen Intervention, von sinnvollen Zielen oder wünschba-ren Ergebnissen lassen sich nur verfolgen, wenn davon ausgegangen wird, dass der Andere nicht darüber verfügt' (Hollenweger 2003, 152). Die unterschiedlichen Aussagen und Erfahrungen ma-chen deutlich, dass die Schnittstelle zwischen Profes-sionalität und Bürgerengagement/Ehrenamt eine sehr sensible und eine immer mehr in den Focus geratende Herausforderung an eine tiefgreifende Neugestaltung professioneller Selbstverständnisse ist. Die Schnittstelle zwischen Professionalität und Ehrenamt Die Zusammenarbeit zwischen professionellen Unter-stützungssystemen mit bürgerschaftlichem Engage-ment entwickelt sich jedoch zögerlich. In der Fach-diskussion der Behindertenhilfe herrscht die Besorg-nis, z. B. dass soziale Dienstleistungen nun von Lai-enhilfe abgelöst wird, d.h. die Professionalität schwindet, oder dass die Kosten der Fachkräfte eingespart werden und durch billige oder kosten-neutrale qualifizierte Bürgerengagierte übernommen werden, d.h. die finanziellen Lebensgrundlagen durch die Gehälter schwinden. Wichtig ist in der Diskussion, dass das bürgerschaftliche Engagement als Ergänzung, keinesfalls als Ersatz angesehen wird. Die Soziale Arbeit, in ihrer Funktion des Brücken-Bauens, widmet sich verstärkt den Brücken zu den Ressourcen des Gemeinwesens. Dabei geht es dar-um, die durch die Individualisierung isolierten Bürger wieder miteinander und füreinander zu encouragie-ren. Dies könnte zu einem Mehr an Bürgeraktivität und sozialer Anteilnahme führen. Durch soziales

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Engagement lernen die Menschen, dass Engagement notwendig und sowohl für das eigene Leben als auch für das von anderen sinnvoll ist. Sozialarbeiter sind zur Verantwortungsübernahme aufgefordert, sich über ihren Beruf hinaus als Bürger für die gesell-schaftliche Partizipation und Teilhabe behinderter Menschen zu engagieren. 'Es geht darum, freiwilliges soziales Engagement als ergänzendes Element per-sonaler Beziehungen zwischen Menschen mit Behin-derung und sozialem Nahraum zu organisieren und das wieder öffentlicher zu gestalten' (Thimm/ Wach-tel 2002). Der Professionelle übernimmt dabei die Aufgabe eines vertikalen und horizontalen Netzwerkarbeiters. Auf der Mikroebene kann sich soziale Netzwerkarbeit mit und für die Adressaten und als Beziehungsarbeit unter Professionellen auswirken, wobei auf der Me-soebene insbesondere das Vermittelnde zwischen den Lebenswelten der Adressaten und den System-welten wie Politik, Verwaltung, Institutionen im Vor-dergrund steht. Auf der Makroebene hat Netzwerk-arbeit das Ziel, gesellschaftspolitische Entwicklungen zu beeinflussen. Zur Gemeinwesenarbeit gehört, dass die Professionellen sich in diesen beiden Welten auskennen. Aus den Fragestellungen im Rahmen des COS-Projektes und der Studierenden des Handlungsfeldes haben sich erste Workshops zu den Themen 'Ehren-amt' und 'Autismus' ergeben. Hierbei wurden Chan-cen und Probleme der Einbindung von ehrenamtli-chen Mitarbeitern in die COS-Projekte diskutiert, besonders auch im Hinblick auf die Einbindung von bürgerschaftlich Engagierten in die komplexen COS-Gruppen-Konstellationen mit einem Menschen mit Autismus. Im Laufe der weiteren Arbeit entwickelten und verstärkten sich Vernetzungen mit örtlichen Ak-teuren und Gruppen, wie im folgenden aufgeführt.

3.4 Lokale / Regionale Kooperations-partner Freiwilligenagentur Dortmund http://www.freiwilligenagenturdortmund.de/ Im Herbst 2005 fanden erste Kontakte mit der Dort-munder Freiwilligenagentur statt. Der Leiter der A-gentur zeigte großes Interesse am Projekt COS. Nach seinen Worten gibt es in Dortmund ein bedeu-tendes noch ungenutztes Potential an Freiwilligen, die sich wünschen, ein sinnvolles Projekt wie COS ehrenamtlich zu unterstützen. Die Kontakte werden weitergeführt, gemeinsame Workshops sind ins Auge gefasst. In einem COS-internen Workshop sind im Sommer 2005 Chancen und Probleme der Freiwilli-genarbeit schon diskutiert worden. Hier gilt es, in 2006 zusammen mit der Freiwilligenagentur wieder anzusetzen, um dieses Potential zu nutzen. Schultenhof http://www.awo-schultenhof.de/ Der Schultenhof in Dortmund wird von der Arbeiter-wohlfahrt betrieben. Hier leben und arbeiten Men-schen mit geistigen und körperlichen Behinderungen auf einem anerkannten Bioland-Bauernhof: Tierpfle-ge, Gemüsebau und künstlerisch-kreative Angebote sind hier vereint. Unter der Co-Leitung einer ehema-ligen Studentin des Schwerpunkts ‘Inclusion and Diversity Studies' finden am Schultenhof jährlich 'Kunstseminare' unter Beteiligung von Menschen mit Behinderung statt. Kalkutta-Gruppe http://www.kalkuttagruppe.de/ Mit der Dortmunder Kalkuttagruppe liefen seit Winter 2005 erste Kontakte / gemeinsame Workshops zur sozialen Lage im östlichen Indien. Die Kalkuttagrup-pe unterstützt in Westbengalen, dem zur COS-Projektregion Orissa benachbarten indischen Uni-onsstaat, unter anderem auch Menschen mit Behin-derung. Weitere gemeinsame Workshops mit COS

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und der Kalkuttagruppe sind für 2006 fest geplant; nicht zuletzt geht es um die Stärkung des transnatio-nalen studentischen und wissenschaftlichen Aus-tauschs. Autismus-Therapie-Zentrum (ATZ) Das 'Autismus-Therapie-Zentrum: Therapie und Beratung für Menschen mit Autismus' in Dortmund ist eine Einrichtung von 'hilfe für das autistische kind – Vereinigung zur Förderung autistischer Menschen, Regionalverband Dortmund und Umgebung e.V.' Das ATZ bietet nicht nur Therapien für Menschen mit unterschiedlichen Formen von Autismus, sondern auch Öffentlichkeitsarbeit und Beratung zu dem Thema. Letzteres war und ist in der Kooperation mit dem COS-Projekt besonders bedeutsam: Zur Kon-taktierung und Auswahl von Fokus-Personen mit Autismus für die COS-Gruppen wurden regelmäßig informelle Vorgespräche zwischen COS und dem ATZ durchgeführt. Diese Kooperationsstrukturen sind auf Dauer angelegt, auch nach Ende des formalen transnationalen COS-Projektes. Mobile http://www.mobile-dortmund.de/info/info.html MitarbeiterInnen des Vereins 'Mobile – Selbstbe-stimmtes Leben Behinderter e.V.' haben in Vorge-sprächen und in verschiedensten regionalen Ge-sprächs- und Interaktionszusammenhängen mit der Projektleitung Informationen ausgetauscht. Auch wurden durch Mobile potenzielle Fokus-Personen auf das COS-Projekt aufmerksam gemacht. Autea http://www.autea.de/ AUTEA ist ein lokaler Partner, mit dem über die internationale Beirats-Mitgliedschaft (im Rahmen des internationalen TEACCH Netzwerkes) langjährige Arbeitsbeziehungen bestehen; TEACCH = Treatment and Education of Autistic and related Communicati-on handicapped CHildren (Behandlung und Förde-

rung autistischer und ähnlich kommunikationsgestör-ter Kinder). Das Programm wendet sich jedoch nicht nur an Kinder, sondern ist für alle Altersgruppen und alle Behinderungsgrade anwendbar. Es bietet ein Kontinuum von Diensten an, angefangen von dia-gnostischer Abklärung über Förderplanung bis hin zur Begleitung im Schul- und Arbeitsbereich. Ein methodischer Basisbaustein von TEACCH ist neben der Visualisierung der Einsatz von individuell abge-stimmten Strukturierungshilfen. Die Methode des 'Strukturierten Lernens' wurde 1966 im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität von North Carolina in Chapel Hill entwickelt. Seitdem wird sie unter wissenschaftlicher Begleitung in der Praxis ständig weiterentwickelt und erfolgreich in den unter-schiedlichsten Lebens- und Lernbereichen angewandt (vgl. www.autea.de).

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4 Circles of Support in der Lehre

4.1 Entwicklung von Curricula In diesem Kapitel folgt eine Darstellung des Curricu-lums für das Handlungsfeld 'Inclusion and Diversity Studies. Circles of Support: Brücken zu Empower-ment und gesellschaftlicher Teilhabe von Menschen mit Behinderung und Autismus' an der Fachhoch-schule Dortmund. Das COS-Curriculum hat eine Struktur, die flexibel ist und je nach Fragestellungen der Studierenden / COS-Gruppen aus der Praxis

differiert. Im Rahmen des Projektes sind COS-relevante Curriculum-Bausteine entwickelt und so-wohl praktisch im Gemeinwesen angewandt als auch theoretisch und methodisch-didaktisch überprüft worden. In Dortmund sind hierfür einjährig angelegte Theo-rie-Praxisprojekte von Studierenden des 4. und 5. Semesters konzipiert worden; in diesen werden rele-vante empirische Daten erhoben, gesammelt und

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ausgewertet. Die Theorie-Praxis-Projekte sind so konstruiert, dass hierfür im ersten Semester acht Stunden pro Woche und im zweiten Semester vier Stunden pro Woche Theorie und Praxis-Reflexion sowie Evaluation an der Hochschule stattfinden; darüber hinaus sind die Studierenden über beide Semester hindurch an einem Nachmittag pro Woche in Circles of Support in den Praxisfeldern tätig. Arbeitsschwerpunkte der Studierenden und Dozenten der Hochschule und der Mitarbeiter in den NGOs im Rahmen des Projektes sind: sich mit dem Spektrum der Behinderung und

Inklusion - einschließlich des autistischen Syndroms - unter verschiedenen sozialwissenschaftlichen und pädagogischen (sozialpädagogischen) Perspektiven auseinander zu setzen, d. h. sie einzuschätzen und professionell begründet Stellung zu nehmen (vgl. hierzu insbesondere die 'Five Accomplishments' der Inklusion), Problemlagen (insbesondere integrationshem-

mende Bedingungen) von Menschen mit Behinde-rungen und Autismus erkennen und beurteilen zu lernen (ein lebenslanger Lernprozess), sich mit Methoden der ressourcenorientierten

und personenzentrierten Informationsgewinnung und Beratung auseinander zu setzen, sich mit dem Paradigmenwechsel in der Behin-

derten- und Inklusionspädagogik auseinander zu setzen und ihn weiter zu entwickeln, Entwicklung pädagogisch-andragogischer Inter-

ventionen vor dem Hintergrund sich verändernder Normen, Werte und Menschenbilder in den hiesigen und internationalen sozialen und kulturellen Zusam-menhängen zu verstehen, das Handlungsspektrum institutionalisierter und

gemeinwesenintegrierter Dienstleistungen und Initia-tiven kennen zu lernen, theoretische Erkenntnisse in konkreten pädago-

gischen Handlungsfeldern umzusetzen, zu konkreti-sieren und zu aktualisieren,

interkulturelle Sensibilität und Kompetenzen zu entwickeln durch transnationalen Austausch der Studierenden und Lehrenden, Wertschätzung der interkulturellen Ressourcen

von Studierenden mit Migrationshintergrund. Interkulturelle Aspekte im Projekt COS sind nicht nur auf Grund der Tatsache von Bedeutung, dass es sich um ein tri-nationales EU-Projekt mit Partnern in Deutschland, England und Indien handelt. Gerade in Deutschland nehmen interkulturelle Aspekte in allen Studiengängen seit Jahren zu. Bei einigen Dortmun-der COS-Gruppen findet dies seinen Ausdruck in der internationalen bzw. interkulturellen Zusammenset-zung mit Studenten unter anderem aus China, der Türkei, Russland, Polen und Spanien – und natürlich aus Deutschland. Die Lebenssituationen behinderter Menschen sind in diesen Ländern teilweise sehr unterschiedlich. Das Spektrum reicht von 'Behinderte Menschen sieht man bei uns in China nicht' bis 'In Russland sind sie untergebracht in psychiatrieähnli-chen Großeinrichtungen und auf der Straße sind sie kaum zu sehen' über 'Ich kenne Menschen mit Be-hinderung durch das Studium und über die Arbeit'. Aus der Vorstellungsrunde heraus ergeben sich Dis-kussionen zum unterschiedlichen Gebrauch der Begriffe 'Behinderte', 'Kranke', 'Assistenzbedürftige'. Es geht also auch darum, den Circle Members nicht nur soziale Fähigkeiten zu vermitteln, sondern auch Fähigkeiten in interkulturellem Handeln – ein weite-rer Aspekt, dass COS allen zugute kommt, nicht nur den Fokus-Personen. Besondere Aufmerksamkeit erhält der Aspekt der Artikulation der eigenen Erfahrung und der Rezeption der Erfahrungen und Realitätskonstruktionen weiterer Akteure im Handlungsfeld (Fokus-Personen, ehren-amtliche Akteure, die Öffentlichkeit in formellen und informellen Konstellationen). Diese Artikulation und Rezeption im Sinne eines Selbstverständnisses und einer professionellen Wertehaltung von Interdepen-

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denz zu realisieren, ist ein Schwerpunkt der Curricu-lumentwicklung für COS. Erforderlich hierfür ist eine intensive Auseinanderset-zung mit den vielfältigen methodischen, sozialpäda-gogischen, ethischen und praktischen Anforderun-gen, d.h. die Entwicklung eines systemisch-ökologischen Blickwinkels auf die Situation von Circ-les of Support inmitten gesellschaftlicher Zusammen-hänge. Dabei ist es von besonderer Bedeutung, sich mit den konkreten Handlungsanforderungen, z.B. ressourcenorientierte Diagnostik und Intervention, personenzentrierte Haltung und systemische Bera-tung, Förderung von Selbstbestimmung und Empo-werment, Kooperation, soziale Interaktion und Zu-sammenarbeit mit unterschiedlichsten Akteuren in unterschiedlichen Situationen, vertraut zu machen. Hier ist es notwendig, sich mit relevanten sozialpä-dagogischen Theorien auseinander zu setzen wie sie unter anderem im Situationsansatz und der Commu-nity Education/Community Living-Bewegung entwi-ckelt wurden und sich in stetiger Weiterentwicklung befinden. Darüber hinaus wird daran gearbeitet, Leitbilder, Selbstverständnisse und Konzeptionen verschiedener Dienstleistungsträger und Initiativen kennen und fachkompetent einschätzen zu lernen. Sowohl die Konsolidierung der vorhandenen lokalen und transnationalen Netzwerke als auch deren Er-weiterung (die sich im Rahmen eines solchen Projek-tes zwangsläufig ergibt) bleibt über den gesamten Projektzeitraum hinaus Thema. COS – Curriculum: Auszug aus Kommentierungen zur Begleitveranstaltung und aus Protokollen der COS-Teamsitzungen Es handelt sich um ein Lern-Forschungsprojekt. Beim forschenden Lernen haben die Studierenden hier die

Möglichkeit, sich wissenschaftliches, theoretisches und Erfahrungswissen anzueignen. Durch die Refle-xion der Erfahrungen im Handlungsfeld der Praxis können Fragen an Theorie und Wissenschaft formu-liert und Theorien kritisch analysiert werden. In die-sem Curriculum ist nicht das traditionelle, lineare Paradigma der Universität sondern ein vernetztes Paradigma angesetzt: Lernen in echten Alltagssitua-tionen, nicht im Elfenbeinturm und nicht in künstli-chen Laborsituationen. Das Team besteht aus den COS-Gruppen und dem COS-Forschungsteam. Die Forschungsfragen stehen nicht fest sondern werden im Rahmen der Felderfahrungen entwickelt. Der Bezugsrahmen ist das Feld der 'Inclusion and Diversi-ty Studies'. Die Studierenden des COS-Forschungsprojektes werden während der theoretischen Reflexionsphasen mit Forschungsmethoden vertraut gemacht, die sie für die Bearbeitung ihrer Fragestellungen benötigen, auch über Datenauswertung und Präsentation von Forschungsergebnissen. Systematische kritisch forschende Reflexionshaltung. Kennen lernen und bewusstes Wahrnehmen ganz unterschiedlicher Perspektiven und individueller Realitäten. Empathie und sich Hineinversetzen kön-nen in unterschiedliche Perspektiven. Entwicklung und Weiterentwicklung von Kommunikationskompe-tenz, sozialen Kompetenzen, personenzentrierter Beratungskompetenz, Teamkompetenz. Die Ausei-nandersetzung mit wissenschaftlichen Theorien und Forschungsmethoden wird lebendig und spannend. Biographischer Zugang: Eigenbeobachtungen: Wie nehme ich mich in der Gesellschaft wahr? Wo und wann fühle ich mich anders als die anderen, wie empfinde ich das? Wie verhalte ich mich? Wie war meine Lebens- und Ler-nerfahrung bis zum heutigen Tag? Wo habe ich Ausgrenzungserfahrungen gemacht oder beobach-

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tet? Wie bin ich damit umgegangen? Biographischer Zugang (Biographiearbeit) in der Interaktion mit der Fokus-Person. Erfahrungen aus den verschiedensten Lerninstitutionen und anderen Alltagsbereichen Praxisbeschreibung: Ressourcenorientierte Analysen: Beobachten und Beschreiben der Aktivitäten. Am Anfang: Beschreibung von Interessen, Verhalten, Voraussetzungen, Lern- und Lebenswegen und –Bedingungen. Wo ist die Beschreibung defizitorien-tiert, wo ist sie ressourcenorientiert? Diversität als Reflexionselement: Umgang mit kultureller und sozialer individueller Vielfalt/Heterogenität. Differenzen in Bezug auf Sprache, Ethnizität, Geschlecht, Behinderung (sozia-le, kognitive, motorische, emotionale Differenz). Studierende lernen sukzessive, diese nicht länger defizitorientiert wahrzunehmen sondern als Ausdruck von Individualität und mit einem Fokus auf die diffe-renten Kompetenzen. Gegenwärtig bestehen die COS-Gruppen primär aus Studierenden und der Fokus-Person. Es ist ge-plant, in der Zukunft noch weitere Akteure hinzuzu-gewinnen, z.B. gesetzliche Vertreter, Assistenten auf 400 Euro Basis etc.. Die Frage ist, wie sie eingebun-den werden können. Möglich wäre es, sie zu be-stimmten Abschnitten des an der FH stattfindenden Handlungsfeld-Moduls einzuladen, evtl. gemeinsam mit den Fokus-Personen. Wie könnte ein, den unterschiedlichen Bedarfen angepasstes, abgestuftes Informations-, Bildungs- und Professionalisierungsangebot aller beteiligten Akteure aussehen? Diskussionen mit den unter-schiedlichsten Akteuren hierzu finden statt. Damit verbunden wäre auch eine Erweiterung des COS-Wissens in Bereiche außerhalb der FH.

4.2 COS-Lebensfeld-Analyse: Inklusion als Maßstab und Programm Für die Curriculumentwicklung und die methodisch-didaktischen Überlegungen zu COS spielt die Ausei-nandersetzung mit der COS-Lebensfeld-Analyse, wie wir es in unserer Arbeit nennen, oder den '5 Ac-complishments' von O'Brien eine zentrale Rolle. Es handelt sich hierbei sowohl um Prüfsteine für den Grad der Inklusion als auch um Leitlinien des päda-gogischen Handelns, um Inklusion zu fördern. Die COS-Lebensfeld-Analyse über die 5 Accomplish-ments ist somit ein Operationalisierungsinstrument zur Implementierung der Inklusion. Die Hauptquellen hierfür befinden sich in 'Framework for accomplish-ment' (O'Brien / Lovett 1992; O'Brien / Forest 1993). Die COS-Lebensfeld-Analyse ist insbesondere für die Analyse und Entwicklung individueller Inklusion im Gemeinwesen geeignet. Circles of Support sind individuumsbezogen, aber nicht im herkömmlichen Sinne. Nicht mehr die Kompetenzen bzw. Nicht-Kompetenzen des einzelnen Menschen stehen im Vordergrund, sondern die Handlungsmöglichkeiten und die Lebensumwelt des einzelnen. Die Ermögli-chung entsprechender Rahmenbedingungen steht im Vordergrund, und hier erweisen sich die 5 Accom-plishments als ideales Instrument: Mit einer solchen Fragerichtung ist von vorne herein ausgeschlossen, Kompetenz auf ein rein individuelles Merkmal zu reduzieren (vgl. auch Markard 1992, Knust-Potter 1995). Die Formulierungen der 5 Accomplishments stellen einen Rahmen dar und sind kein Programm an sich, das heißt sie enthalten keine konkreten Handlungs-anweisungen. Es werden keine Aussagen dazu for-muliert, wie das Leben von Menschen mit Assistenz-bedarf aufgewertet werden kann, noch werden invol-

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vierte Akteure dazu veranlasst, Aussagen darüber zu formulieren. Die Accomplishments ermöglichen aber Fokus-Personen, Eltern, Familienmitgliedern sowie Professionellen und Laien, auf symmetrischer Ebene in Dialog zu treten, ohne dass Fachsprache und Fachbegriffe diese Kommunikations- und Interakti-onsebene hemmen. Sie gelten somit als Operationa-lisierungsrichtlinien für die gesellschaftliche Inklusion von Menschen mit Assistenzbedarf und zugleich als Kriterien für die Evaluation der Fortschritte von Circ-les of Support in Richtung dieser Ziele. Bei der COS-Lebensfeld-Analyse handelt es sich um relativ elementare und einfache Kategorien, aus denen sich Leitvorstellungen für die Bereitstellung von Unterstützung ableiten lassen. Sie können bereits auf einer relativ elementaren, basalen Ebene, ohne umfassende Reflexion und Planung, eingesetzt wer-den. Je besser und tiefgreifender sie im Laufe der Zeit verstanden werden, desto differenziertere Inhalte können sie aber annehmen. Es gibt keine einheitliche Terminologie für die einzel-nen Accomplishments. Die Inhalte jedoch werden von dieser Uneinheitlichkeit nicht tangiert. In der häufigsten Verwendung (O'Brien / Lovett 1992, Kroese et al. 1990) lauten sie wie folgt: community presence / sharing places / Einbin-

dung in das Gemeinwesen real mixing / community participation / Teilhabe

am Gemeinwesen real choices / promoting choices and protecting

rights / Wahl- und Handlungsmöglichkeiten competence / developing / Kompetenzen-

Ressourcenorientierung status and respect / dignity / Status und Respekt

Die folgenden Ausführungen basieren primär auf O'Brien's Texten (O'Brien / Lovett 1992; O'Brien 1989). Bei jedem Accomplishment wird die Be-

schreibung durch ein Fragenraster (Kroese et al. 1990) ergänzt, das dazu dient, die Accomplishments in den COS-Gruppen zu operationalisieren. Community presence / sharing places Einbindung in das Gemeinwesen bedeutet, Orte und Aktivitäten mit anderen Menschen der Nachbarschaft zu teilen. COS-Gruppen sollten die Fokus-Personen unterstützen, in der gewünschten Umgebung leben zu können. In der Praxis heißt dies, dass die Wohn- und Lebensmöglichkeiten mit den dazugehörigen Unterstützungsangeboten (u.a. COS) sich in gewöhnlichen Wohngebieten befinden sollten. Wenn Fokus-Personen wirklich die Chance haben sollen, mit Nachbarn Kontakt aufzunehmen, ist es notwendig, dass Geschäfte, Freizeitangebote, Unter-haltungsangebote, Kultur, Kirche, Friseur, Arzt etc. zumindest teilweise in fußläufiger Nähe sind. Wichtig ist auch, dass öffentliche Verkehrsmittel in ebenso erreichbarer Nähe sind. Diese Aspekte werden in der COS-Gruppe gemeinsam aufgenommen. Fragestellungen in den Praxis- und Reflexions-gruppen: Welche alltäglichen Angebote werden wahrge-

nommen (z.B. Geschäfte, Kneipen, Busse, Post, Büros, Banken, Parks, Klubs, Kinos, Bibliothek, Ca-fés)? Wie oft (z.B. täglich, wöchentlich, monatlich,

jährlich)? Gibt es Schwierigkeiten bei der Nutzung der

Angebote, gegebenenfalls welche? Artikulieren andere Menschen Schwierigkeiten,

wenn die Fokus-Person die Angebote nutzt, gegebe-nenfalls welche? Wünscht die Person andere lokale Angebote

wahrzunehmen, oder häufiger wahrzunehmen oder

DIE 'FIVE ACCOMPLISHMENTS' community presence / sharing places

/ Einbindung in das Gemeinwesen real mixing / community participation

/ Teilhabe am Gemeinwesen real choices / promoting choices and

protecting rights / Wahl- und Hand-lungsmöglichkeiten competence / developing / Kompe-

tenzen-Ressourcenorientierung status and respect / dignity / Status

und Respekt

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unabhängiger wahrzunehmen? Welche Bedingungen wären notwendig, um dies

zu realisieren (z.B. mehr ÖPNV, Barrierereduktion, neue Fertigkeiten; jemanden, der/die mitgeht)? Real mixing / community participation Teilhabe am Gemeinwesen und unterschiedliche Beziehungen zu haben. Hier geht es darum, über die räumliche Einbindung hinaus, soziale Partizipation in der Nachbarschaft zu realisieren (vgl. Atkinson, 1987). Wohnangebote in gewöhnlichen Nachbarschaften zu installieren ist ein wichtiger Schritt in Richtung 'ambu-lant vor stationär'. Problematisch ist aber vielfach, dass Fokus-Personen zwar in der Nachbarschaft wohnen, jedoch wenig oder gar keinen Kontakt - keine 'Ties and Connections', wie Blunden (1991) es nennt - mit den NachbarInnen haben. In der Nach-barschaft wohnen heißt noch lange nicht, auch Teil davon zu sein! Für viele der Fokus-Personen sind immer noch die einzigen Kontakte die zu bezahlten Mitarbeitern. In der normalen Wohnumwelt zu wohnen ist ein Be-ginn: damit wird aber nicht gleich das Ziel erreicht, ein partizipierendes Mitglied der Nachbarschaft zu sein. Eine Aufgabe der COS ist es, bei Bedarf Unter-stützung bei dem Aufbau und der Entwicklung von Freundschaften (Atkinson, 1987) und Kontakten (strong and weak ties / starke und schwache Bin-dungen: siehe Henning, 1993) zu leisten. Fragestellungen in den Praxis- und Reflexions-gruppen: Mit wem verbringt die Fokus-Person ihre Zeit? Wie viele Begegnungen finden mit Fachpersonal

statt und wie viele mit Freunden, Nachbarn bzw.

anderen in der Nachbarschaft lebenden und arbeitenden Personen (z.B. im Haus, während der Arbeit, in anderen Alltagssituationen, in der Freizeit)? Wie viel Zeit verbringt die Fokus-Person mit der

Familie und mit persönlichen FreundInnen? Welche FreundInnen und Bekanntschaften hat

die Fokus-Person? Welche Interaktionen sind wirklich herzlich und

engagiert? Welche sind rein professionell und be-zahlt? Über welche starken und schwachen Bindungen

verfügt die Fokus-Person? Was wäre gegebenenfalls notwendig, um mehr

Beziehungen zu Menschen der Nachbarschaft, zu Menschen mit gleichem und zu Menschen mit unter-schiedlichem Erfahrungshintergrund zu entwickeln? Welche Barrieren limitieren oder verhindern den

Aufbau von Beziehungen zu anderen (z.B. Fehlen von Erfahrungen mit Aufnahme und dem Erhalt von Beziehungen; Erwartungen anderer; Stigmatisierung; soziale und interpersonale Fähigkeiten; Geld, Zeit)? Real choices / promoting choices and protecting rights Über Wahl- und Handlungsmöglichkeiten zu verfü-gen bedeutet, Kontrolle darüber zu haben, was geschieht, und zwar sowohl in Alltagsroutinen und Freizeit als auch bezüglich bedeutender Entschei-dungen in Arbeits- und Beziehungszusammenhän-gen. Die Fokus-Personen haben das Recht und for-dern, Entscheidungen bezüglich ihrer täglichen Akti-vitäten, ihres Alltags und Lebens selbst zu treffen. Die Aussage hört sich lapidar an, bedeutet aber häufig einen großen Umdenkungsprozess bei den verschie-densten Akteuren der COS-Gruppen (und des Um-feldes). Menschen, die in einer Institution gelebt haben oder die aus einem überbehüteten Elternhaus ausziehen

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oder die über eine differente Kommunikations- und Interaktionskompetenz verfügen, empfinden es oft als sehr schwierig und anstrengend, eigene Entschei-dungen zu treffen, sogar in den basalsten Alltagsan-gelegenheiten. Fragestellungen in den Praxis- und Reflexions-gruppen: Welche Entscheidungen trifft die Person - jeden

Morgen, Nachmittag, Tag, jedes Wochenende, in den Ferien etc.? Über welche Rechte verfügt die Person bezüglich

ihrer persönlichen Angelegenheiten, des persönli-chen Besitzes, persönlichen Raumes sowie ihrer Zeit? Wie individualisiert ist das Leben der Person

(persönlicher Besitz, Routinen, Aktivitäten und Ereig-nisse, Termine)? Wie kann die Anzahl der individuellen Entschei-

dungen erhöht werden (z.B. Raum, Bedingungen und Möglichkeiten für Auswahl- und Entscheidungsmög-lichkeiten schaffen; Übertragung von Verantwortung; Möglichkeit aus Fehlern zu lernen; die Person für sich selbst sprechen lassen und zuhören)? Wie können die Vorlieben und Interessen der

Fokus-Person festgestellt und deren Umsetzung / Berücksichtigung gewährleistet werden? Welche Barrieren existieren, die verhindern, dass

die Fokus-Person mehr Kontrolle über ihr Leben übernehmen kann (z.B. Fehlen von Erfahrungen der Mitarbeiter /COS-Studierenden und der Fokus-Person; Erwartungshaltungen; Routinen; Entschei-dungsängste)? Competence / developing Zur Kompetenz gehört der Bereich der individuellen Interessen und Fähigkeiten und deren Entwicklungs-möglichkeiten und z.B. die Forderung nach Erwach-senenbildung (Improving competences and acquiring

skills), die Fähigkeiten zu entwickeln, Dinge erledi-gen zu können, sowie persönliche Kompetenzen wahrzunehmen, zu erweitern und zu verbessern sowie Fertigkeiten zu erwerben. Effektive COS-Gruppen werden der Fokus-Person dazu verhelfen, Fertigkeiten und Kompetenzen wahr-zunehmen, zu erwerben bzw. auszubauen, um: ihre Abhängigkeit von den Dienstleistungen zu

verringern, sie zu bestärken und befähigen, an allgemeinen

Angeboten im Quartier teilzunehmen bzw. mitzuwir-ken, im Quartier akzeptiert und geschätzt zu sein

(dies kann über die Präsenz in allgemein zugängli-chen Lebensfeldern, die zum Misstrauensabbau, Abbau von Vorurteilen und Ängsten bei der Bevölke-rung beitragen, geschehen). Angestrebte Fertigkeiten sollten auch im angemesse-nen Umfeld (im Alltag, d.h. in den tatsächlichen Lebensvollzügen, nicht in einer künstlichen pädago-gischen oder therapeutischen Scheinwelt) gelehrt und gelernt werden. Fragestellungen in den Praxis- und Reflexions-gruppen: Welche Ressourcen stehen der Fokus-Person zur

Verfügung? Über welche speziellen Kenntnisse und Erfah-

rungen verfügt sie? Gibt es weitere Menschen, die daran interessiert

sind, die Person dabei zu begleiten, neue Dimensio-nen zu erschließen (Freunde, Nachbarn, Familie, Verwandte, Bekannte, Ehrenamtliche, professionelle Fachleute)? Wie ist die finanzielle Situation der Person? Welche Hilfen zum täglichen Leben sind verfüg-

bar?

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Status and respect / dignity Status und Respekt bedeutet, als angesehenes Mit-glied des Gemeinwesens behandelt und wahrge-nommen zu werden. Achtung vor anderen und Selbstachtung hängen von einem positiven Selbstbild ab, das wiederum vom Fremdbild, d.h. von anderen mitdeterminiert wird. Fokus-Personen haben oft wenig Selbstachtung und Selbstvertrauen. Sie können den Eindruck vermitteln, dass sie einen eigenen höheren Status in der Gesellschaft nicht schätzten. COS-Gruppen inmitten der Alltagsbezüge in den Gemeinwesen können eine Schlüsselrolle spielen, diese Wahrnehmung und Sichtweise zu verändern. Um Selbstrespekt aufzubauen und ein gutes Selbst-gefühl entwickeln zu können, ist es notwendig, mit Respekt und Achtung behandelt zu werden. Hierzu gehört die Erfahrung, dass z.B. die Mitglieder der COS-Gruppen wirklich mit Interesse zuhören, was die Fokus-Personen zu sagen haben und Bedürfnisse und Wünsche ernst nehmen und berücksichtigen. Hierzu gehört auch die Erfahrung, sich in Self Advo-cacy-Gruppen, d.h. in Interessengruppen von Men-schen mit dem gleichem Erfahrungshintergrund und aufgezwungenen Stigmata, gegenseitig ernst zu nehmen und zuzuhören. Es gibt eine Reihe von Ent-scheidungen, die bestimmen, wie ein Mensch in der Gesellschaft beurteilt wird: sein Ansehen und Status. Fragestellungen in den Praxis- und Reflexions-gruppen: Wie wird die Fokus-Person von anderen Perso-

nen in der Nachbarschaft wahrgenommen (z.B. NachbarInnen, BusfahrerInnen, VerkäuferInnen und Geschäftsleuten, Fremden)? Wie werden andere Personen von der Fokus-

Person wahrgenommen und wie fühlt sich die Person von anderen wahrgenommen (z.B. NachbarInnen, BusfahrerInnen, VerkäuferInnen und Geschäftsleute,

Fremde)? Wie nimmt sich die Fokus-Person selbst wahr? Was ist einmalig und besonders an der Fokus-

Person? Welche Anlagen, Fähigkeiten, Kenntnisse, Ei-

genschaften möchte sie erweitern bzw. ausbauen? Was möchte sie abbauen, an sich bzw. an ihrer

Umgebung? Reflexion Das Instrument O'Briens dient uns im COS-Projekt sowohl als Grundlage für die Konzeptentwicklung als auch später zur Überprüfung und Evaluation der Praxis. Die Flexibilität des Rasters erlaubt es, die Fragestellungen der 5 Dimensionen immer detaillier-ter zu formulieren und durch Fragen aus dem eige-nen Erfahrungsbereich zu ergänzen; es geht nicht darum, vorgegebene Fragen zu beantworten son-dern darum, das eigene Spektrum der Fragen zu erweitern, die eigene Reflexionsfähigkeit anzustoßen. 4.3 Curricularer Ablauf Das COS-Projekt wird an der Fachhochschule Dort-mund unter dem Modul-Titel 'Handlungsfeld Inclusi-on and Diversity Studies. Circles of Support: Brücken zu Empowerment und gesellschaftlicher Teilhabe von Menschen mit Behinderung und Autismus' angebo-ten. Im Rahmen des Projektes haben die Studierenden, Circle Members genannt, die Möglichkeit, einen Menschen mit Behinderung/Autismus (Fokus-Person genannt), in den verschiedensten Alltagslebefeldern zu begleiten und zu unterstützen und mit und von ihm zu lernen. Das Projekt wird gemeinsam mit dem Autismus-

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Therapie-Zentrum und weiteren gemeinwesenorien-tierten sozialen Trägern in Dortmund durchgeführt, aus denen professionelle Fachkräfte eine Schnittstelle zwischen der Fachhochschule und der Praxis, insbe-sondere zwischen den Circle Members und der Fo-kus-Person, bilden. Die professionellen Fachkräfte der Praxis (Facilitators) sind vielfach schon in die Vorbereitungen involviert. In diesem Kontext werden in der Regel die sogenannten Relationship Maps und Activity Plans (s.u.) erstellt, die eine Basis für die weitere COS-Struktur bilden und ein erstes gegensei-tiges Kennenlernen von Studierenden und Fokus-Person ermöglichen können. Ebenfalls von Anfang an involviert sind die Dozierenden der Hochschule. Ausgangslage für COS ist überwiegend die Tatsa-che, dass einige Personen mit Assistenzbedarf, be-sonders mit Autismus, Wünsche nach Kontakten und Partizipation im Gemeinwesen äußern. Die Fokus-Person erhält durch die Gruppe mehr Macht und Kraft, seine Wünsche und Visionen zu artikulieren und Bereiche seines eigenen Lebens zu beeinflussen. COS wird oft ein wichtiger Bestandteil im Leben von Menschen mit Autismus, da er in verschiedensten Lebenssituationen, z.B. beim Problem der Isolation, der personellen Engpässe in Sozialdiensten oder bei Schwierigkeiten im familiären Bereich informelle Unterstützung bieten kann. Die professionelle Fach-kraft aus der Praxis nimmt eine bedeutende Rolle ein, muss sich aber sukzessive zurückziehen, bei Bedarf ansprechbar sein und ist für ein gelungenes COS unentbehrlich. Regelmäßige Reflexion/ Supervision ist für alle Beteiligten unabdingbar. Die gemeinsamen Aktivitäten im Circle finden wö-chentlich primär im Gemeinwesen statt. Der curricu-lar festgelegte Zeitraum für die beteiligten Studieren-den erstreckt sich über zwei Semester (1 Jahr). Für die Focus Person ist nach dem Jahr entweder der COS beendet oder er geht mit einer neuen Studie-

renden-Gruppe weiter. Mindestens zwei Monate vor Abschluss der COS-Gruppe ist es notwendig, die Ablösungsphase zwischen allen COS-Mitgliedern und der Fokus Person anzubahnen. Schlüsselelemente der Informations-gewinnung von COS-Gruppen Activity Plan: Ein Activity Plan beschreibt die aktuellen und ver-gangenen Aktivitäten und Interessen der Fokus-Person. Der Plan entsteht in den vorbereitenden Gesprächen zwischen Fokus-Personen, COS-Mitgliedern und Dozierenden und wird schriftlich festgehalten. Future Plan: Oft entsteht über die Beschäftigung mit dem Activity-Plan ein Future-Plan mit Wünschen und Zielen der Fokus-Person, die mit Unterstützung der Circle Mem-bers erreicht werden sollen. Es wird damit eine Basis für die zukünftigen Zusammentreffen der Circle-Mitglieder geschaffen. Die einzelnen Wünsche oder Ziele können nach Prioritäten und Zeitphasen geordnet sein und je nach Situation individuell ver-ändert und angepasst werden. Die Ziele und Wün-sche im Future- Plan lassen sich einem breitem Spektrum zuordnen und reichen von 'lockerer spre-chen, selbstständiger werden' bis hin zu 'die Ausbil-dung schaffen' über Begleitung und Unterstützung bei Aktivitäten im Freizeitbereich. Weiteres wie 'Freundeskreis aufbauen, Unterstützung bei der Su-che nach einer Partnerin' und 'neue Figur auf den Markt bringen; Trickfilm und ein Buch mit eigenen Zeichnungen über mein Leben' gehören ebenfalls zu den Zielen, die mit Unterstützung des Circles erreicht werden sollen. Relationship Map: Eine Relationship Map erfasst die Personen, die die

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Fokus-Person kennt oder mit denen sie sich trifft. Dies können Familienmitglieder, Freunde, Bekannte oder Personen aus Dienstleistungsunternehmen sein. Dabei wird nach Nähe und Distanz unterschieden. Visualisiert werden kann eine Relationship Map durch vier konzentrische Kreise, die die Nähe und Distanz der Beziehung noch einmal durch die bildli-che Darstellung verdeutlicht. Reflexionsprotokolle: Reflexionsprotokolle werden von jeder COS-Gruppe für jedes Treffen mit der Fokus-Person erstellt und sind die Grundlage für die wöchentlichen Seminare an der Hochschule. Sie werden spätestens zwei Tage vor dem Seminar abgegeben. Inhalt der Reflexions-protokolle ist die Auseinandersetzung mit verschie-denen Fragestellungen, wie beispielsweise 'Was haben wir heute in unserer COS-Gruppe erlebt, wie war der Ablauf? Was hat mich heute besonders beschäftigt?' Die Dokumentation ermöglicht den Studierenden, sich mit ihren Erlebnissen auseinan-derzusetzen und diese zu reflektieren. Die Reflexio-nen und Fragestellungen werden im Verlauf des Jahres immer dichter und komplexer. Darüber hinaus haben die Studierenden mit ihrer Dokumentation die Möglichkeit, ihre persönlichen Entwicklungen zu beobachten. Die Phasen beim COS-Handlungsfeld

Anmeldung: Im Internet der Fachhochschule sind allgemeine Informationen zum Handlungsfeld-Modul einzuse-hen. In Absprache mit den Dozierenden geschieht die verbindliche Anmeldung zum COS-Projekt. Vorgespräche: Es werden vor Seminarbeginn Vorgespräche mit Studierenden, den sozialen Einrichtungen (ATZ, Mobile u.a.) und mit den Fokus-Personen durchge-

führt. Ziel dieser Gespräche ist es, den Interessierten COS vorzustellen. Dabei sind folgende Informatio-nen von Bedeutung: Wer sind die TeilnehmerInnen des COS Projek-

tes? Wie sahen die bisherigen Circles of Support

aus? Welche besonderen Merkmale und Ziele haben Circles? Welche Bedingungen sind erforderlich, um an

COS teilzunehmen? Was ist das Neue am transnationalen EU-COS

Projekt? Im Gespräch mit den Fokus-Personen werden in dieser Phase in der Regel die Relationship Map und ein Activity Plan, evtl. auch ein Future-Plan erstellt. Anfangsphase: Die Anfangsphase ist in der Regel geprägt von der Auseinandersetzung mit eigenen Erwartungen der Studierenden, ihren Ängsten, Wünschen sowie Gründe der Entscheidung für COS. Die Studieren-den erhalten die Möglichkeit, sich mit ihren Erwar-tungen, Ängsten und Wünschen auseinander zu setzen und diese z.B. auf Moderationskarten zu for-mulieren. Die Ergebnisse der Einzelarbeit werden vorgetragen und münden in einen gemeinsamen Austausch. Es kristallisieren sich so erste Fragestel-lungen heraus, die ganz unterschiedliche Dimensio-nen aufweisen, wie 'Was muss ich bei einem autisti-schen Menschen beachten?', 'Besteht eine Aufsichts-pflicht oder sollen wir uns wie Freunde der Person verhalten?' und 'Gibt es Probleme beim Zusammen-arbeiten wegen der Kulturdifferenz?'. Zusammensetzung von COS-Gruppen: Im Kontext des Handlungsfeldseminars besteht eine COS-Gruppe in der Regel in fester Zusammenset-zung von einer Fokus-Person und zwei bis vier Stu-dentInnen als Unterstützer über ein Jahr. Einige Gruppen hatten bisher auch über diesen 'Pflichtteil' hinaus Bestand. Entgegen einigen Befürchtungen hat

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sich aber auch ein Wechsel der Circle-Zusammensetzung für die jeweils davon betroffene Fokus-Person in der Regel als unproblematisch er-wiesen. Dieser Wechsel muss und kann professionell gemanagt werden. Die geplante Ausweitung der Ehrenamtlichen-Strukturen für COS soll eine längere COS-Gruppendauer ermöglichen. Theoretische Inputs zu Autismus, Behinderung, Situa-tionsansatz etc.: Die StudentInnen erhielten vorbereitend (z.B. in spe-zifischen Seminaren zu diesen Themen) sowie wäh-rend des Handlungsfeldes theoretische Inputs zu Grundlagen des Autismus, der Behinderungs-Theorien sowie methodischen Aspekten: Die Studie-renden setzen sich mit dem Spektrum der Behinde-rung / Inklusion – einschließlich des autistischen Syndroms – unter verschiedenen sozialwissenschaftli-chen und sozialpädagogischen Perspektiven ausein-ander und erhalten im Reflexionsteil prozessorientier-te Begleitung. Theorie und Praxis fließen ineinander über. Wie wichtig dieser Aspekt ist, ist der Aussage eines Studierenden zu entnehmen: 'Ich gebe zu, dass ich mich am Anfang des Projekts auf eine gewisse Art verstellt habe, um es Ines recht zu machen. Zum Beispiel hatte ich gelernt, dass Menschen mit Autismus anders kommunizieren als nicht autistische Menschen, da ihre Informationsver-arbeitung different ist. (Ich habe also einfache kurze Sätze gebildet etc.) Mittlerweile rede ich bei unseren Treffen genau so wie sonst auch, denn ich habe nach und nach die Erfahrung gemacht, dass Ines keine Verständnisschwierigkeiten hat und auch einem Ge-spräch ohne Probleme folgen kann.' Hier zeigte es sich, wie wichtig es ist, die Menschen im Alltag kennen zu lernen und nicht nur über Theo-rieseminare und Fachbücher‚ Erst hier wird die Rela-tivität theoretischer Aussagen deutlich. In der Begeg-nung mit den Fokus-Personen erwerben die Studie-renden darüber hinaus Schlüsselqualifikationen, wie

z.B. Handeln im Team, Selbstständigkeit und Kom-munikationsfähigkeit, Selbstreflexion und Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung. Prozessorientierte Begleitung: Die prozessorientierte Begleitung beginnt zum Bei-spiel mit offenen Fragen nach dem Erleben, nach den Erfahrungen im COS-Treffen. Die Studierenden einer COS-Gruppe beginnen zu erzählen. Neben der Aufmerksamkeit, die dabei jedem Erzählenden zuteil wird, fokussiert die Seminarleitung insbesonde-re folgenden Frage-Katalog, der bei der Reflexion hilfreich ist: Auf was habe ich besonders geachtet? Was ist mein Konzept? Wo lege ich einen Schwerpunkt bei den

Erzählungen? Von welchen Hintergrundannahmen lasse ich

mich leiten? Wie gehe ich an etwas heran? Wie löse ich

etwas? Wie tausche ich meine Beobachtungen und

Wahrnehmungen aus? Was entdecke ich dabei? Was war förderlich, was war behindernd? Wie verstehe ich das, was ich mache?

Mit Hilfe dieser Fragen wird im Dialog ein Bild über sich produziert, und dadurch kann viel über die eigene Person gelernt werden. Insbesondere das situative Handeln bei Interventionen an der Schnitt-stelle zwischen Fremd- und Selbstbestimmung, der Umgang mit Nähe und Distanz, die Authentizität und Klarheit im Verhalten, das Lernen, auf den Prozess zu achten, Ambivalenzen auszuhalten und Perspekti-venänderungen zuzulassen, werden immer wieder thematisiert. Prozessorientierte Begleitung ist aber auch geprägt davon, eigene Beispiele aus der Praxis einzubringen, um die theoretischen Inputs zu berei-chern. Von Bedeutung ist im Verlauf des Seminars, eine

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Bilanz zu ziehen (Lernergebnisse, Einschätzung des eigenen Lernerfolges und des Nutzens) sowie kon-struktive Kritik zu äußern. Feststellbar ist die beson-dere Wichtigkeit, sich an einem roten Faden für die Planung zu orientieren und Raum für ungeplante Prozesse zu lassen. Wichtig in der Rolle als Seminarleitung ist es, sich als Anregung zu verstehen und dabei aufmerksam das Maß an Strukturierung und Zurückhaltung ('Nichtintervention als wichtige pädagogische Möglichkeit entdecken') zu balancieren, und dabei insbesondere der Versuchung zu widerstehen, alle Lücken und Freiräume zu schnell mit eigenen Ideen und Vorschlägen zu füllen. Man sollte abwarten können, Chaosphasen und längere Schweigephasen sowie Gegensätze akzeptieren und nicht alles in Harmonie auflösen müssen, Fehler erlauben – dazu gehört jedoch hohe Verantwortung und ein gewisses Maß an Feingefühl für die Stimmung des anderen und der Gruppe. Wichtig in der Rolle als Seminarleitung ist es auch, auf belehrende Urteile zu verzichten und eher Ver-trauen auf die Kraft des Selbst-Denkens zu setzen (im Austausch von Gedanken, im Gespräch oder in der Erzählung). Dies geschieht durch dialogisches Fra-gen und/ oder nacherzählendes Interpretieren. Der Hintergrund dieser Haltung entstammt der sokrati-schen Methode ('Lehren heißt lernen lassen'). Da-durch wird kritisches Denken und Handeln gefördert. Es geht um die Kunst, mit dem Lehren aufzuhören.

Me-ti sagte: Jeder Lehrer muss lernen, mit dem Lehren aufzuhören, wenn es Zeit ist. Das ist eine schwere Kunst. Sie wenigsten sind imstande, sich zu gegebener Zeit von der Werklichkeit vertreten zu lassen. Die

Wenigsten wissen, wann sie mit dem Lehrenfertig sind. Es ist freilich schwer, zuzusehen,

wie der Schüler, nachdem man versucht hat, ihm die Fehler zu ersparen, die man

selbst begangen hat, nunmehr solche Fehler macht. So schlimm es ist, keinen Rat

zu bekommen, so schlimm kann es sein, keinen geben zu dürfen. (Bertold Brecht))

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5 Implementierung der Curricula in der Praxis

Seit Beginn des transnationalen Projektes werden COS-Gruppen im Rahmen des durch die Curricu-lumreform entwickelten, so genannten Handlungs-feld-Moduls an der Fachhochschule aufgebaut (vor-her wurden COS Gruppen im Rahmen von Praxis-projekten angeboten). Von April 2004 bis April 2006 konstituierten sich insgesamt 13 COS-Gruppen. Jede COS-Gruppe besteht aus zwei bis vier Studierenden der Sozialen Arbeit und einer Fo-kus-Person (d.h. einem Menschen mit Autismus oder einem anderen Assistenzbedarf). COS-Aktivitäten

finden in lokalen Settings statt und werden prozess-orientiert theoretisch und praktisch von der Projektleiterin, der wissenschaftlichen Mitarbeiterin und den Lehrbeauftragten begleitet. Die theoretisch-reflektorische Veranstaltungen and der Fachhoch-schule umfasst im ersten Semester 8 Semester-Wochenstunden und im zweiten Semester 4 Semes-ter-Wochenstunden. Die ersten beiden Treffen mit den Fokus-Personen im Gemeinwesen werden in der Regel von professionellen Fachkräften aus der Praxis unterstützt.

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5.1 Exemplarische Darstellung einer COS-Gruppe Dieser Circle besteht aus einer weiblichen Fokus-Person (19 Jahre) und drei weiblichen Circle Mem-bers. Der Circle trifft sich überwiegend im häuslichen Umfeld der Fokus-Person. Folgende Aktivitäten wer-den gemeinsam geplant und durchgeführt. Die Fokus-Person Claudia, 19 Jahre alt, wohnt mit ihrer Mutter und Schwester in Bochum und besucht aufgrund der Diagnose 'Frühkindlicher Autismus' das Autismus-Therapie-Zentrum in Dortmund. Die Vor-gespräche haben ergeben, dass Claudia eine alters-entsprechende Freizeitgestaltung und den Aufbau von Freundschaften wünscht. Die Therapeutin möch-te durch COS die anstehende Ablösung aus dem Therapiezentrum erleichtern. Die Relationship-Map sieht wie folgt aus: An erster Stelle steht die Familie, bestehend aus Mutter, Vater, Schwester, den Katzen sowie Verwandte wie Cousins und Tanten/ Onkel. An zweiter Stelle stehen für Claudia Freunde; damit sind Beatrice, eine ehemalige Mitarbeiterin im fami-lienentlastenden Dienst, und Roland, ihr Freund, gemeint. Im dritten Kreis der Relationship Map er-wähnt Claudia ihre Lehrer und macht eine Aufteilung in nette und nicht nette MitschülerInnen. Der Activity Plan zeigt: Claudia mag Ausschlafen, 'Die Moldau' hören, Bummeln gehen, Schwimmen, Eisdielenbesuch, Pommes, Freund besuchen, Kino, Museum und Wochenende/ Ferien. Fazit von Mona, einer der drei Circle Members, die Claudia unterstützten: 'Für mich stellt COS eine wertvolle Veranstaltung dar. Ich denke, dass die Arbeit mit Menschen mit Behin-derung ein großes Maß an Flexibilität fordert, vor allem der Aspekt des Annehmens und Sehens der Menschen. Durch die COS-Treffen wird das Hierar-chiedenken abgebaut. Es herrscht ein Miteinander, in

dem man unterstützende Hilfe leistet, den Menschen aber nicht versucht zu erziehen. Für mich sind die Treffen daher eine Bereicherung, weil ich diese Beziehungsform des Gemeinsamen in meine spätere Arbeit einfließen lassen kann, indem ich den Menschen, mit denen ich zukünftig arbeite, auf einer humanistischeren Ebene begegne. Das COS-Projekt steht vor allem für ein barrierefreies Miteinander und sollte daher in Zukunft viel mehr Menschen erreichen. Ich habe eine gute Plattform gefunden, auf der ich mit Claudia kommuniziere. Situationen lasse ich einfach mal ablaufen, ohne zu maßregeln. Es ist durchaus spannend, was sich aus Claudias Verhalten entwickelt. Als Beispiel ist hier die Situation im Su-permarkt zu nennen. Mit Claudia bin ich damals durch die Gänge gestreift, als sie plötzlich vor der Wursttheke stehen blieb, nach einem Stück Wurst fragte, selbstständig wohl bemerkt, diese dann auch bekam und dankend wieder ihren Weg fortsetzte. Die Treffen zu Beginn des Projekts, die mit einer Begleitperson stattfanden, erschienen mir wichtig, obwohl sie in meinen Augen, trotz des angenehmen Umfeldes, etwas steif ausfielen. Wichtig in dem Sin-ne, um einmal grundsätzliche Fragen z. B. Pflege, Finanzierung usw. zu klären und zum anderen fun-giert die Begleitperson als eine Art Vermittler zwi-schen der Fokus-Person und uns. Sie erleichtert das Aufeinanderzugehen und gibt auch Auskunft darüber, was im Umgang mit der jeweiligen Person zu beach-ten ist. Unsere Gruppe nehme ich als sehr angenehm wahr. Claudia vertraut uns meiner Ansicht nach und zeigt uns über Berührungen aber auch durch ihre Worte, dass sie uns mag. Wir geben dies dann auch gerne zurück. Entweder ebenfalls durch Körperkontakt, wenn sie es zulässt, oder durch direkte Ansprache. Wir können uns eigentlich alle aufeinander verlas-sen. Wenn ein COS-Teilnehmer aus berechtigten Gründen nicht an einem Treffen teilnehmen kann, finden diese in der Regel trotzdem statt.

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Unser Ziel in der Gruppe, wie ich es beurteile, be-steht zum größten Teil darin, mit Claudia Sachen zu unternehmen die sie mag, wie z. B. die Bibliothek zu besuchen, um zu schmökern oder ein wenig durch das Unicenter in Bochum zu bummeln. Mir ist aber durch die Treffen auch bewusst gewor-den, wie sehr man auffällt wenn Claudia sich außer-gewöhnlich benimmt und wie sich das anfühlt. Vor allem während der ersten Treffen hat man ständig die Blicke der anderen Menschen gespürt, als wir mit Claudia Bahn gefahren sind oder als wir durchs Einkaufscenter liefen. Mir war es von Anfang an egal dahingehend, dass ich mich nicht für Claudia ge-schämt habe, aber es war trotzdem irgendwie sehr unangenehm, ständig einen Fixpunkt für fremde Leute darzustellen. Mir ist klar, dass ich mich, was das Gucken angeht, auch nicht ausschließen kann, aber es öffnet einem schon die Augen und bewegt zum Nachdenken, wenn man einmal selber in dieser Situation steckt.' 5.2 Ergebnisse aus den COS-Gruppen Seit 2004 sind in Dortmund 13 COS-Gruppen auf-gebaut worden. Acht der 13 betreuten Fokus-Personen sind Menschen mit (verschiedenen Formen von) Autismus, fünf Fokus-Personen sind dem Spekt-rum kognitive Differenzen zuzuordnen. Die meisten Gruppen bestehen über zwei Semester, bei einigen besteht der Kontakt auch darüber hinaus, das heißt auch im Anschluss an die für das Studium obligatori-sche Veranstaltung finden Treffen, Telefonate, Brief-kontakte statt. Zusammensetzung: Die COS Gruppen bestehen in der Regel neben der Fokus-Person aus zwei bis vier unterstützenden Circle Members, die sich im Projektzeitraum primär aus StudentInnen des Handlungsfeldes rekrutierten. Die männlichen Fokus-Personen wurden teilweise sowohl

von männlichen wie von weiblichen Circle Members unterstützt. Die Anzahl von männlichen Studierenden variierte, war aber, im Vergleich zu anderen Lehrver-anstaltungen, repräsentativ Weibliche Fokus-Personen hatten auch COS-Konstellationen, die sich ausschließlich aus weibliche Circle Members zu-sammensetzten. Interkulturalität: In einigen der COS-Gruppen war die Zusammenset-zung stark interkulturell geprägt, mit StudentInnen aus China, Russland, der Türkei und anderen Län-dern. Hier hat die Reflexion interessante Aufschlüsse über die Wahrnehmung von Behinderungen in den jeweiligen Kulturen gegeben, die durch die Erfah-rungen und Inputs der transnationalen Projektpartner ergänzt wurden. Dem Lernen auf der Spur: In fast allen COS-Gruppen wurde in der Reflexion seitens der StudentInnen betont, wie sehr die Arbeit mit den verschiedensten Assistenzbedarfen der Fo-kus-Personen ihre Wahrnehmung, ihr professionelles Selbstverständnis, ihre Wertehaltung und ihr Weltbild erweitert hätte. Für einige StudentInnen bot sich durch die COS-Arbeit zum ersten Mal die Möglich-keit zum direkten Kontakt mit behinderten Menschen. Für alle Studierenden erschloss sich die Möglichkeit, sich informell und unabhängig von Dienstleistungs-strukturen, mit einem Menschen mit Assistenzbedarf im Gemeinwesen zu treffen. Soziale und kommunikative Fähigkeiten: Ein weiteres häufig anzutreffendes Ergebnis war, dass durch die COS-Gruppen die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten gestärkt und erweitert wurden – und zwar nicht nur für die Fokus-Personen, sondern in gleichem Maße für die Circle Members.. Orte und Gründe der Begegnung: Bei den meisten Circles lag der Schwerpunkt der

Ein Circle ist ein Netzwerk von

unterschiedlichen Menschen, die Gemeinsamkeit

entdecken

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Arbeit im nachbarschaftlichen oder häuslich-privaten Umfeld der Fokus-Personen. Die überwiegende Mehrzahl der Fokus-Personen äußerte am stärksten das Bedürfnis nach Unterstützung im sozialen Be-reich und in der Freizeitgestaltung. Hierin unter-scheiden sich die deutschen COS-Gruppen tenden-ziell deutlich von den Gruppen in Indien, wo das Gewicht stärker auf der Unterstützung bei der Ein-gliederung ins Berufsleben lag. In einigen der Dort-munder COS-Gruppen spielte aber die Berufsaus-bildung und –findung, und einmal auch der Studienabschluss der Fokus-Personen eine Rolle (s. Kapitel 6.4). Familie: In den meisten Fällen war das Verhältnis zu den Familien sehr gut; in wenigen Fällen gab es gele-gentlich Spannungen, zwei COS Gruppen hatten keine Elternkontakte, da es von der Fokus-Person nicht gewünscht wurde. Öffentlichkeit: In einigen Fällen gab es Probleme bei Begegnungen von Fokus-Personen mit Autismus in der Öffentlich-keit: Einige Studierende äußerten sich dahingehend, dass sie es nicht immer leicht empfanden, bei Be-gegnungen in der Öffentlichkeit, d.h. bei Freizeitun-ternehmungen in der Stadt etc. Verständnis und Offenheit für 'seltsames Verhalten' der autistischen Fokus-Person zu finden. Solche schwierigen Erfah-rungen erforderten dann jeweils erhöhten Reflexions- und teilweise professionellen Unterstützung. In der Langzeitreflexion ist aber auch festgestellt worden, dass es mehr Akzeptanz als Ablehnung in der Öffent-lichkeit gibt. Mobilität: In verschiedenen Gruppen gab es Schwierigkeiten durch mangelhafte öffentliche Verkehrsanbindung zwischen der Familie der Fokus-Person und ihrer COS-Gruppe. Oft wurden private Autos für die

Begegnungen eingesetzt. Jeder Traum beginnt mit einem ersten Schritt: Manche Fokus-Personen äußerten in ihrer Gruppe besonders Unterstützungsbedarf bei der Konkretisie-rung und Realisierung ihrer privaten 'Träume' wie 'einen Mann finden', 'Romane schreiben', 'meine Figur auf den Markt bringen'. Für so weit reichende 'Projekte' ist die Zeitdauer einer COS-Gruppe aber in der Regel zu kurz bemessen. Hier war es wichtig, die Träume ernst zu nehmen und realistische erste Schrit-te zu planen und zu realisieren. Isolation und Einsamkeit: Oft ist gerade die soziale Isolation bei den Fokus-Personen ein Kernthema. Die COS-Gruppen konn-ten und können hier Unterstützung leisten, indem sie ihre Zeit einbringen und ihren Enthusiasmus über die gemeinsam verbrachte Zeit deutlich machen und so oft Motivation und Selbstbewusstsein der Fokus-Person stärken. Die Problematik einer erneuten Ein-samkeit nach der COS-Gruppe kann nicht immer überwunden werden; das Ziel ist es, einen Bekann-tenkreis oder eine Gruppenzugehörigkeit anzubah-nen, die auch über den COS-Zeitraum erhalten bleibt. Keine der Focus-Personen möchte aber aus Gründen dieser Möglichkeit ganz auf COS verzich-ten. ‚Es ist besser, die Erfahrungen für ein Jahr zu machen als überhaupt nicht’, wie es eine Focus Person ausdrückte. Hier liegt aber eine wichtige Aufgabe für die zukünftige Arbeit. 5.3 COS aus Sicht der Studierenden In diesem Abschnitt erfolgt eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Vorbereitung der Studierenden auf COS, d.h. der Bestandsaufnahme der Erwartungen, Motivationen etc. Diese werden dem Fazit gegenübergestellt, das die StudentInnen selbst aus COS am Ende gezogen haben:

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Die StudentInnen knüpfen positive Erwartungen an COS insbesondere in Richtung 'Gestaltungsfreiheit', 'Flexibilität und keine einschränkenden strukturellen Vorgaben' sowie 'Möglichkeiten, Erfahrungen für die berufliche Zukunft zu sammeln', 'persönliche Weiter-entwicklung sozialer Kompetenzen' und 'Freundschaf-ten entwickeln' etc. Gleichzeitig gab es auch ambiva-lente Erwartungen und Ängste bezüglich des Um-gangs mit behinderten respektive autistischen Men-schen. Diese wurden dann aber auch positiv umfor-muliert in die 'Erwartung, Angst zu überwinden'. Speziell hinsichtlich Fokus-Personen mit Autismus wurden aber auch Ängste geäußert, dass man sich nicht verstehen bzw. verständigen könne. Viele der im Vorfeld artikulierten Ängste und Erwartungen zeigen die Bereitschaft und Erkenntnis der Notwen-digkeit, sich auf eine sehr herausfordernde und nahe Beziehungsebene mit den Fokus-Personen und der Aufgabe einzulassen – und gleichzeitig auch Gren-zen zu setzen. Diese Ängste, Erwartungen und Wünsche wurden im Rahmen der Prozessbegleitung angesprochen und bearbeitet. Im Rückblick stellte die überwiegende Mehrzahl der studentischen Circle Members fest, dass Ängste und Unsicherheiten im Umgang mit Menschen mit Autismus und anderen Beeinträchti-gungen abgebaut wurden und so der Wahrneh-mungs- und Erfahrungshorizont der Teilnehmer sowie ihre sozialen und kommunikativen Kompeten-zen erweitert wurden. Beim Seminar-Feedback durch die StudentInnen fällt ein hohes Bedürfnis nach theoretischem Wissensin-put auf, insbesondere, aber nicht nur zum Thema Autismus. Andererseits besteht anschließend bei vielen Studierenden ein Konsens: 'Uns ist aufgefallen, dass, wenn viele Informationen schon zu Anfang oder im Vorfeld herausgegeben worden wären, das uns dann nur voreingenommen hätte... '

Es liegen schriftliche Dokumente von Studierenden zu den Fragestellungen 'Was bedeutet COS für mich? Welchen Schwerpunkt habe ich bei der Be-richterstattung? Wie setze ich COS um? Welche Erwartungen habe ich an das Seminar?' vor sowie Zwischen- und Endberichte, die sich im theoretischen Teil mit Autismus/ Geistige Differenzen und im Pra-xis-Teil mit den Erfahrungen im COS auseinander-setzen. Die folgenden Kommentare der Studierenden sind zum Teil zu Beginn, dann auch während und zum Ende der jeweiligen Mitarbeit als Circle Member entstanden. Bericht eines Studenten 'Nach unserem damaligen Verständnis sollte es bei dem Projekt darum gehen, einen jungen Menschen mit Autismus ein Stück seines Lebens zu begleiten und ihn bei der Erreichung bestimmter, von ihm selbst gewählter, Zielsetzungen zu unterstützen, ge-meinsam Schwierigkeiten zu überwinden und ihm neue Möglichkeiten zu eröffnen. Bei den potenziellen Fokus-Personen der 3 COS-Gruppen, aus dem sich mein Reflexionsseminar zusammensetzte, handelte es sich um drei junge Frauen, die alle bereits Erfahrungen mit dem Projekt Circles of Support sammeln konnten. Um uns den Einstieg in das Projekt zu erleichtern, fand kurz vor Projektbeginn ein Treffen mit den Studierenden statt, die im vergangenen Semester mit ‚unseren’ Fokus-Personen das Projekt durchgeführt hatten, . In dem gemeinsamen Treffen, bei dem die Studierenden aller ehemaligen und aktuellen COS-Gruppen sowie unsere Projektleiterin anwesend waren, erfuhren wir eine Menge über unsere Fokus-Personen. Dabei hatten wir auch die Möglichkeit, den Mitgliedern der ehemaligen COS- Gruppen Fragen zu stellen, gera-de auch im Bezug darauf, wie es gewesen war, einen Zugang zu den Fokus-Personen zu finden. Das Ge-

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spräch konnte uns ein wenig von der Unsicherheit nehmen, die wir alle in uns trugen, denn M., unsere Fokus-Person, schien ein unkomplizierter Mensch zu sein, der gerne an dem COS- Projekt teilnahm. Wir Studierenden waren uns einig darüber, gemein-sam mit den jeweiligen Fokus-Personen bei den Gruppentreffen Aktionen im Freizeitbereich durchzu-führen. Dabei sollten zum einen die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Fokus-Personen, die ja schließlich im Mittelpunkt unserer Circles stehen sollten, berücksichtigt werden. Zum anderen wollten wir aber auch gerne unsere Interessen in das Projekt mit einfließen lassen, damit alle voneinander etwas lernen konnten. Außerdem war es uns wichtig, ein gleichberechtigtes, freundschaftliches Verhältnis zu den Fokus-Personen aufzubauen. Zu diesem Zweck setzten wir uns in einem nächsten Schritt in unseren jeweiligen COS-Gruppen zusammen, und sammelten Vorschläge und Ideen dafür, was man bei den ein-zelnen Treffen unternehmen könnte. Es wurde eine Vielzahl an Ideen gesammelt. Für die gemeinsame Freizeitgestaltung mit der Fokus-Person wurden unter anderem Kino-, Kneipen- und Discobesuche, Stadt-bummel, gemeinsames Kochen und Backen, Spa-ziergänge, Zoo- und Planetariumsbesuche, Spiel-nachmittage, gemeinsames Eisessen, Schwimmen und Schlittschuhlaufen vorgeschlagen. Wir wollten außerdem mit unserer jeweiligen Fokus-Person zum Autismus- Therapie- Zentrum (ATZ) fahren, Da die Aktivitäten im Gemeinwesen mit der jeweiligen Fo-cus-Person jede Gruppe alleine unternimmt, wurde auch ein gemeinsames Treffen aller COS- Gruppen genannt, an dem sich alle einmal gemeinsam ken-nenlernen und austauschen können.. Wir wurden außerdem gebeten, uns Gedanken dar-über zu machen, welche Erwartungen, Ziele und Wünsche wir an das Projekt Circles of Support hat-ten, und diese schriftlich auszuformulieren. Dabei sollten wir außerdem unsere Stärken, Befürchtungen,

Ängste und Sorgen bezüglich des Projekts benennen. Das hielten wir für sinnvoll – schließlich konnte es nur von Vorteil sein, sich darüber klar zu werden, mit welcher Einstellung wir an das Projekt herantraten. Wir denken, dass es wichtig war, gerade über unsere Sorgen und Ängste im gemeinsamen Plenum zu sprechen, denn das ist es, was das Projekt Circles of Support ausmacht – gegenseitige Unterstützung. In einem letzten Schritt wurden gemeinsam mit der Projektleiterin einige organisatorische Aspekte ge-klärt, zu den wöchentlichen Treffen im Gemeinwesen und in der Hochschule. um über die Treffen mit den Fokus-Personen zu sprechen, im Sinne von Planung, Durchführung und Reflexion. Wir hatten so das Ge-fühl, nicht alleine gelassen zu sein und immer eine Ansprechpartnerin zu haben, das hat uns zu der Zeit sehr entlastet. Außerdem bekamen wir die Aufgabe, einen Bericht zu jedem stattgefundenen Treffen zu verfassen. Mir hat das Projekt Circles of Support sehr viel Spaß bereitet. Ich muss sagen, dass ich mit meiner COS-Gruppe großes Glück gehabt habe. Auch wenn ich meine beiden Teammitglieder F. und C. bis zu Be-ginn des Projekts nur sehr flüchtig kannte, haben wir sehr gut zueinander gefunden. Die Zusammenarbeit stellte sich für mich nie als Problem dar, da sie sich wirklich immer sehr kooperativ zeigten. Die Stimmung zwischen uns empfand ich immer als sehr angenehm und harmonisch. Ohne das Projekt hätte ich die beiden wahrscheinlich nicht so gut kennen gelernt. Auch in dieser Hinsicht war 'Circles of Support' eine Bereicherung für mich. Ebenso großes Glück hatten wir auch mit unserer Fokus-Person M.. Auch wenn es anfangs einige kommunikative Unsicherheiten oder Unstimmigkeiten gab, ist es uns allen gelungen, dass die Kommunikation und soziale Interaktion und das Vertrauen in unserer Gruppe stetig gewachsen ist…. Die Treffen verliefen in der Regel in harmonischer freundschaftlicher Atmosphäre. Entscheidend dazu

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beigetragen hat auch M.s Mutter, die immer liebevoll und kooperativ war. Die Atmosphäre bei Michaela zu Hause hat in meinen Augen nicht unerheblich zu der guten Stimmung innerhalb der Gruppe beigetragen. Man fühlte sich irgendwie immer willkommen. Neben unseren Treffen mit M. fand einmal wöchent-lich ein Reflexionsseminar statt. Hier trafen wir uns mit den anderen beiden COS- Gruppen sowie mit unserer Projektleitung, um uns gegenseitig von unse-ren Treffen mit den Fokus-Personen zu berichten und uns gegenseitig zu beraten. Wir hatten im Seminar immer die Gelegenheit, Fragen zu schwierigen Situa-tionen zu stellen und uns Anregungen für unsere Treffen zu holen. Auch wenn es innerhalb unserer Gruppe wenig gravierende Probleme gab, halte ich das Seminar für sehr wichtig. Auch die Studierenden der beiden anderen Gruppen hatten die Gelegen-heit, über ihre Treffen mit den Fokus-Personen zu sprechen. Es war gut, dass wir uns auf diese Weise gegenseitig austauschen und unterstützen konnten. Neben der Reflexion unserer Treffen stand auch regelmäßig die Erarbeitung theoretischer Aspekte im Zusammenhang mit dem Projekt auf der Tagesord-nung. Während wir anfangs über unsere Erwartungen oder Ängste vor dem Projekt sprachen, erstellten wir später zum Beispiel ein Flussdiagramm, welches die einzelnen Stationen des Projekts, sowie unsere jewei-lige Stimmung in diesen Zeiträumen ausdrücken sollte. Darüber hinaus erfuhren wir mehr darüber, wie man eine 'Relationship Map' oder einen 'Activity Plan' erstellt. Mir hat gut gefallen, wie unsere Projektleiterin uns an das Projekt herangeführt hat. Auch wenn etwas ande-res auf der Tagesordnung angesetzt war, standen unsere Fragen und Sorgen wegen des Projekts immer im Vordergrund. Unsere Projektleiterin verstand es immer, trotz häufiger Abschweifungen von dem an-gesetzten Thema, das Gespräch zu uns in eine struk-

turierte Richtung zu lenken, so dass ich am Ende unserer Sitzungen immer das Gefühl hatte, dass ich etwas aus dem Seminar für mich mitnehmen konnte, und dass unser Abschweifen vom Thema etwas Sinn-volles hatte. Natürlich gab es auch Aspekte innerhalb des Pro-jekts, die mir zunächst nicht so gut gefallen hatten. Diese Aspekte lagen zumeist im organisatorischen Bereich. Aber jetzt, wo das Projekt beendet ist, kann ich sagen, dass alle Probleme im organisatorischen Bereich nicht sonderlich ins Gewicht fallen, und dass im Endeffekt alles gut gelaufen ist. Mich störte zu Beginn , dass wir sehr lange im Unklaren gelassen wurden, was es überhaupt mit dem Projekt 'Circles of Support' auf sich hatte… Als das Projekt begann, habe ich mich sehr darüber gefreut, soviel Unterstüt-zung gerade auch durch M.s ehemaligen Circle zu erhalten. Wir erfuhren eine Menge über M., ehe wir sie das erste Mal trafen. Mittlerweile denke ich aber, dass all diese Informationen nicht notwendig, viel-leicht sogar eher hinderlich gewesen sind. Wenn ich ehrlich bin, neigte ich zu Beginn des Projekts dazu, M. voreingenommen, aus der Sicht der alten COS-Members, entgegenzutreten. Gerade auch bei einer der anderen Gruppen wurde sehr deutlich, dass die Mitglieder des Circles ihrer Fokus-Person und ihrer Mutter gegenüber voreingenommen waren. Ich bin der Meinung, dass jeder sich selber ein Bild von seinem Circle machen sollte. Insgesamt hat mir das Projekt 'Circles of Support' aber sehr gut gefallen und ich bin froh, dass ich mich für dieses Projekt ent-schieden hatte. Ich habe eine Menge Erfahrungen sammeln können, und einiges von M. und meinen Mitstudierenden F. und C. lernen können. Ebenso hoffe ich, dass ich die drei während des Projekts unterstützen konnte.'

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Ausschnitte aus weiteren Auswertungsberichten Frauke: 'Ich habe gelernt, mich auch einmal zurück zu neh-men, und nicht immer alles sofort in die Hand zu nehmen. Ich habe es mir zum Lernziel gemacht mich zurückzuhalten, wenn es um das Verantwortung übernehmen geht. Nachdem ich mich mit dem Buch von Irene Klein: 'Gruppenleiten ohne Angst' beschäf-tigt hatte, wurden mir einige gruppendynamische Prozesse deutlich. Das Thema der Interpunktion in der Kommunikation fand ich besonders spannend, da es das Schema von Reiz und Reaktion sowie der Schuldzuweisung für das eigene Verhalten be-schreibt. Ich habe mir zum Ziel gemacht, mein Ver-halten nicht von dem meines Gegenübers abhängig zu machen, beziehungsweise meinem Gegenüber nicht die Verantwortung für mein Handeln zuzuwei-sen. Die Treffen in der großen Gruppe fand ich hin-sichtlich der unterschiedlichen Erfahrungen, von denen berichtet wurde, sehr interessant. Teilweise fand ich das Arbeiten in der großen Gruppe aber auch anstrengend, weil es mir etwas zu langsam war. Ich hatte teilweise das Gefühl, dass keine Dynamik in die Arbeit kam. Oft mussten wir allerdings auch über Dinge diskutieren, die meiner Ansicht nach von An-fang an hätten klar sein müssen (Gruppeneinteilung, Berichte, Ende des Projektes). Die Unklarheit gewis-ser Rahmenbedingungen stelle ich aus meiner Sicht in die Ecke der Kritik. Es mag allerdings auch Grup-pen geben oder einzelne Personen, die mit solchen Rahmenbedingungen besser umgehen können als mit vorgegebenen. Die Arbeit mit der Seminar–Anleitung fand ich sehr angenehm. Von ihr fühlte ich mich in Problemsituationen unterstützt. Gut gefallen haben mir auch die Rückmeldungen, beispielsweise zu den Praxisberichten. Gegen Ende des Projektes konnte ich die Art der Gruppenanleitung noch einmal aus einer anderen Sicht sehen. Dadurch, dass die Gruppenleiterin sich sehr zurückhielt, hatten wir als

Gruppe die Möglichkeit, sehr viel selbst zu entwi-ckeln. Die gemachten Erfahrungen und die daraus gezogenen Erkenntnisse haben einen größeren Wert, als wenn das ganze Projekt in vorgeschriebenen Bahnen verlaufen wäre. Abschließend möchte ich noch darauf eingehen, was das COS Projekt für mich ist, welche Ziele es verfolgt, beziehungsweise wel-ches Verständnis ich davon habe. Unter COS im allgemeinen verstehe ich einen Kreis, in dem die Bedürfnisse jedes einzelnen berücksichtigt werden. Ziel ist es, zu lernen sich selbst und andere sensibler wahrzunehmen. Für mich speziell bedeutet COS, mich selbst in der Gruppe wahrzunehmen. Wo stehe ich? Welche Rolle habe ich? Und wo steht jede an-dere Persönlichkeit aus dem COS und welche Rol-le/n hat sie? Des weiteren bedeutet COS für mich die Möglichkeit, mich weiterzuentwickeln, Fähigkeiten zu entwickeln und entdecken und am eigenen Bild zu arbeiten (zum Beispiel: Korrigieren von Vorurteilen, Dinge in einem anderen Licht sehen). COS bedeutet für mich eine Bereicherung, da ich hier die Möglich-keit habe, mich mit Menschen aus anderen Kulturen und Lebenswelten auszutauschen. Umgesetzt worden sind diese Vorstellungen von COS in den Treffen und in den Reflexionen. Während der Treffen versuchte ich, alle Mitglieder des COS mit dem gleichen Maß an Aufmerksamkeit zu beachten und habe das Grup-pengeschehen aufmerksam beobachtet. So konnte ich beobachten, wer welche Rolle einnimmt. Andere Kulturen und Lebenswelten erschlossen sich mir durch die Gespräche mit Yasmin, Paula und Ying. Ich habe mich durch das Projekt weiter entwickelt, in völlig andere Richtungen als ich es erwartet hätte. Ich bin bereichert.' Sabine: 'COS ist für mich eine ganz neue und andere Per-spektive, die ich erst entdecken und erforschen muss-te. Mein Ziel war es, viel mit unserer Fokus-Person zu unternehmen, ihr einiges beizubringen, ja sogar von ihr zu lernen. Für mich war es ein Ziel, immer für sie

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da zu sein und mit ihr zu sprechen oder ihr zuzuhören bei Bedarf. Es war für mich wichtig, auf alle Fragen von ihr eine Antwort zu finden, ihr aufmerksam zuzu-hören oder einiges mit ihr zu teilen, wie z.B. ihre Hobbies, Sammlungen oder Urlaubserinnerungen.' Andreas: 'Für mich ist COS ein Zusammenschluss von einer Gruppe Studierender und einer Fokus-Person mit Autismus. Ich habe COS immer als die Möglichkeit gesehen, Erfahrungen im Umgang mit einem Men-schen mit Autismus zu machen. Es sollte dabei darum gehen, gemeinsam mit der autistischen Person in regelmäßigen Treffen Freizeitgestaltung zu machen. Dabei sollte die Fokus-Person mit ihren individuellen Wünschen und Bedürfnissen im Mittelpunkt stehen. Darüber hinaus ist COS für mich auch die Möglich-keit, mich in Bezug auf Kommunikation und Grup-penprozesse zu sensibilisieren. Es sollte meiner Mei-nung nach darauf ankommen, gemeinsam vonein-ander zu lernen und sich gegenseitig zu unterstützen. Ich gebe zu, dass ich mich am Anfang des Projekts auf eine gewisse Art verstellt habe, um es Ines recht zu machen. Zum Beispiel hatte ich angenommen, dass man mit einem Menschen mit Autismus anders kommunizieren muss als mit einem nicht autistischen Menschen (einfache kurze Sätze bilden etc.). Mittler-weile rede ich bei unseren Treffen genau so wie sonst auch, denn ich habe nach und nach die Erfah-rung gemacht, dass Ines keine Verständnisschwierig-keiten hat und auch einem Gespräch zwischen uns Studierenden ohne Probleme folgen kann. Außerdem habe ich erfahren, dass es der Stimmung während der Treffen zu Gute kommt, wenn unverfänglich und ungezwungen kommuniziert wird. Ich muss dazu auch sagen, dass ich Ines mittlerweile nicht mehr als Mensch mit Autismus sehe, bzw. spielt der Autismus bei den Treffen für mich keine große Rolle. Ich sehe sie als Menschen mit gewissen Fähigkeiten oder auch Eigenarten, die ich aber akzeptiere und respektiere und in der jeweiligen Situation berücksichtige. Ich habe den Eindruck, dass unsere

Ich habe den Eindruck, dass unsere gemeinsamen Treffen mittlerweile ein fester Bestandteil in Ines' Leben sind. Dadurch entsteht bei mir die Sorge, wie es für Ines werden wird, wenn das Projekt beendet ist und wir uns nicht mehr (zumindest regelmäßig) tref-fen werden.' Annette: 'Inzwischen wo sich alles ganz gut entwickelt hat, habe ich ein weiteres Ziel, nämlich auch nach dem Projekt mit Tina in Kontakt zu bleiben, sie vielleicht wenigstens einmal im Monat zu besuchen und somit ganz inoffiziell ihre sozialen Kontakte/Beziehungen zu fördern.' 'Tina hat mich immer wieder auf Neue erstaunt, und ich habe mich das ein oder andere Mal dabei er-tappt, dass auch ich mich nicht ganz frei davon ma-chen konnte, Tina ein Stück weit von ihrem äußeren Erscheinen zu beurteilen. Doch vor allem wenn Tina mit uns über FC (Facilitated Communication, eine spezielle Methode der Kommunikation von und mit autistischen Menschen) kommunizierte oder uns einen Brief schrieb, wurde mir wieder deutlich, dass es ein sehr großer Fehler ist, Menschen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. Verhalten zu beurtei-len. Natürlich war mir das auch schon vor diesem Projekt bewusst, jedoch hat mir diese Zeit noch ein ganzes Stück mehr die Augen geöffnet, und ich den-ke schon, dass ich nun Menschen mit Behinderungen ganz anders gegenüber trete als ich es zuvor tat. Ich möchte sagen, dass ich mich manchmal sehr bemü-hen musste, Tina wirklich wie eine erwachsene Frau zu behandeln, da ihr Erscheinungsbild und auch ihre Wünsche und Vorlieben oft sehr kindlich erschienen. Wie sehen nur das Handeln aber nicht, was der Kopf eines Menschen mit Autismus denkt. Aber wie uns der Ausflug auf dem Weihnachtsmarkt wieder gezeigt hatte, ist sich Tina ihres Alters völlig bewusst und möchte auch dementsprechend behandelt werden.'

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Angelika: 'Wir sind im Umgang mit ihr schon einige Male an unsere Grenzen gestoßen und haben Situationen erlebt, in denen wir uns absolut hilflos fühlten. Aber genau das war gut, denn ich lernte mich in der Situa-tion selber kennen und sah, wie ich reagierte. Nach den Treffen setzte ich mich innerlich mit den vergangenen Vorfällen auseinander und beobachtete meine Reaktion beim nächsten Treffen. Durch die Konflikte mit Noras Mutter, lernte ich auch (wenn bisher auch nur in Ansätzen) meine Bedürfnisse zu äußern und durchzusetzen. Ich merke, dass dies ein Prozess ist, der noch längst nicht abgeschlossen ist.' 5.4 Aspekte interkulturellen Lernens im COS-Projekt Interkulturelle Aspekte im Projekt COS sind nicht nur auf Grund der Tatsache von Bedeutung, dass es sich um ein tri-nationales EU-Projekt mit Partnern in Deutschland, England und Indien handelt. Gerade in Deutschland nehmen interkulturelle Aspekte in allen Studiengängen seit Jahren zu. So, zum Beispiel, haben auch Mitglieder der transnationalen Partner-organisationen und des COS-Beirats durch Lehrver-anstaltungen in Dortmund zur interkulturellen Sensi-bilisierung beigetragen: Bei seinem Besuchen in Dortmund im Juni 2005

und Mai 2006 hat Professor Dr. Narayan Pati von der Utkal University in Bhubaneswar durch Gastvor-träge Lehrimpulse im Rahmen des Handlungsfeldes gegeben, insbesondere hinsichtlich der interkulturel-len Kommunikation und Öffnung der StudentInnen für die behindertenrelevanten Aspekte der indischen Kultur. Joe Whittaker vom COS-Projektpartner Bolton

University in England sowie die Beiratsmitglieder Lennardt Andersson aus Schweden und Bent Vand-borg Sørensen aus Dänemark waren ebenfalls in

2005 zu Gastvorträgen in Dortmund. Bei einigen Dortmunder COS-Gruppen findet dies seinen Ausdruck in der internationalen bzw. interkul-turellen Zusammensetzung mit StudentInnen unter anderem aus China, der Türkei, Russland – und natürlich aus Deutschland. Die Lebenssituationen behinderter Menschen sind in diesen Ländern teilwei-se sehr unterschiedlich. Das Spektrum reicht von 'Behinderte Menschen sieht man bei uns in China nicht' bis 'In Russland sind sie untergebracht in psy-chiatrieähnlichen Großeinrichtungen und auf der Straße sind sie kaum zu sehen' über 'Ich kenne Men-schen mit Behinderung durch das Studium und über die Arbeit'. Aus der Vorstellungsrunde heraus erge-ben sich Diskussionen zum unterschiedlichen Gebrauch der Begriffe 'Behinderte', 'Kranke', 'As-sistenzbedürftigte'. Man könnte sagen, COS liegt in interkultureller Hinsicht 'im Trend'. Es geht aber viel mehr darum, den Circle Members nicht nur soziale Fähigkeiten zu vermitteln, sondern auch Fähigkeiten in interkulturellem Handeln – ein weiterer Aspekt, dass COS allen zugute kommt, nicht nur den Fokus-Personen. Die folgenden Berichte zweier chinesischer Studen-tinnen, die als Circle Members in zwei unterschiedli-chen COS-Gruppen arbeiteten, dokumentieren einige dieser interkulturellen Aspekte: Ling: 'Als ich an der COS-Gruppe teilnahm, hätte ich viele Schwierigkeiten getroffen. Ich und Fokus-Person haben fehlende Kommunikationsfähigkeit. Bei mir ist, noch nicht gut eine Fremdsprache beherrschen. Bei Fokus-Person ist, keine Fähigkeit mit anderen zu kommunizieren. Aber in der COS-Gruppe arbeiten wir mit der Person im Fokus gemeinsam daran, Schwierigkeiten zu überwinden und neue Möglichkei-ten zu eröffnen. Am Anfang denke ich, in Deutsch-land bin ich wie 'Menschen mit Behinderung', wie ich

Unsere Gruppe ist eine auffällige

Gruppe. Lena ist Deutsche, Yasmin

kommt aus der Türkei, ich bin

Chinesin.

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ihnen die Hilfe geben kann. Durch die mehrmaligen Treffen hat die Fokus-Person das Gefühl der Sicher-heit von mir, gleichzeitig habe ich mit ihr die Freund-schaft hergestellt, ich möchte mit ihr treffen, weil ich habe keine Belastung mit ihr zu kommunizieren. (…) Früher bleibe ich in den Ferien nur zu Hause, oder mit meiner chinesischen Freunden zu verbringen. Und ich bin oberflächlich für die Kennenlernen von Deutsche Leben und Kultur…. Unsere Team für mich ist auch wichtig. Das hat immer eine gute Harmonie. Da können wir uns gut zusammenfühlen. Und wir können uns gegenseitig unterstützen und helfen. In der Zukunft möchte ich meine Erfahrung, COS-Gruppenerfahrung nach China bringen, und ich hoffe, das COS-Projekt wird in China durchgeführt .' Ying: 'Vor Beginn des Projektes hatte ich ein großes Gefühl der Unsicherheit, weil vorher ich gar keine Erfahrun-gen mit behinderten Menschen hatte. Ich wusste nicht, wie ich mich mit ihnen austauschen kann. Damals dachte ich, dass es für mich zwei Bereiche gibt, in denen ich vielleicht auf die Schwierigkeiten treffen werde. Erstens kann ich nicht fließend Deutsch sprechen und zweitens wegen der unterschiedlichen Kultur. Es ist möglich, dass Missverständnisse zwi-schen mir und Menschen mit Autismus entstehen. Besonders bei der Körpersprache von Mimik und Gestik. Vor Beginn des Projektes waren meine Erwar-tungen, dass ich nicht nur die Fokus-Person unterstüt-ze, die Freundschaft mit ihr aufzubauen, sondern auch mit meinen Kolleginnen von COS gut zusam-menarbeite und Unterstützungen und Hilfe von ihr bekomme. Gleichzeitig möchte ich durch COS meine Kommunikationsfähigkeiten verbessern und meine Schwächen ausgleichen und meine Selbstbestim-mung fördern. Allerdings möchte ich als eine auslän-dische Studentin viele Praxiserfahrungen sammeln, um mich auf zukünftige, persönliche und beruflichen Entwicklung im Heimatland vorzubereiten. Als das Projekt im Juli 2004 anfing, hatte ich auf viele

Schwierigkeiten getroffen. Ich und die Fokus-Person haben fehlende Kommunikationsfähigkeiten. Bei mir ist es, dass ich Deutsch als Fremdsprache gut beherr-sche. Bei Fokus-Person ist eine störende Fähigkeit mit andern zu kommunizieren. Aber in der COS-Gruppe arbeiten wir mit der Person im Fokus gemeinsam daran, Schwierigkeiten zu überwinden und neue Möglichkeiten zu finden... Unsere Gruppe ist eine auffällige Gruppe. Lena ist Deutsche, Yasmin kommt aus der Türkei, ich bin Chinesin, aber nicht mit Migrationshintergrund. Wie können wir die Missver-ständnisse wie möglich vermeiden und die Freund-schaft schnell aufbauen um einander zu helfen und zu unterstützen in dieser internationalen Gruppe? Mit diesen Fragen wurden die regelmäßigen Treffen durchgeführt. Durch die mehrmaligen Treffen hat die Fokus-Person das Gefühl der Sicherheit in mir ge-weckt, gleichzeitig habe ich mit ihr eine Freundschaft hergestellt. Ich bin sehr erleichtert und glücklich in einer Gruppe wie dieser gewesen zu sein. Vor Be-ginn des Projektes hatte ich die Angst, wegen der unterschiedlichen Kultur, dass Missverständnisse zwischen mir und Menschen mit Autismus entstehen könnten. Besonders bei der Körpersprache von Mi-mik und Gestik. Später fand ich heraus, dass es fast keinen offensichtlichen Unterschied zwischen China und Deutschland bei einer non-verbalen Kommunika-tion gibt. Im Gegenteil die non-verbale Kommunika-tion ist eine wichtige Rolle zwischen mir und den Fokus-Personen. Diese Punkte habe ich in meinem Theorieteil schon näher erläutert. Unser Team ist für mich sehr wichtig. Es ist eine Harmonie vorhanden, wir können uns gegenseitig unterstützen und helfen. In vielen Berichten habe ich mich oft auf diese Punkt bezogen. Durch dieses Projekt habe ich Kontakte und die Motivation, die Informationen von der Stadt, den Zoo, den Park usw. kennen zu lernen, deshalb über-lege ich oft den Unterschied zwischen Ost- und West- Kultur. An diese Punkte hatte ich vor Beginn des Projektes nicht gedacht. Jetzt ist unser Projekt schon beendet. Ich bin über meine Erwartungen hinaus

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geschlittert und bin deshalb sehr zufrieden. Früher kritisierte ich oft die Nachteile in unserem Land. Diese führte zur einer einseitige Denkweise. 'Was soll das Land für uns tun.' Jetzt habe ich oft Heimweh. Durch die Rollenaustausche denke ich immer: 'Was sollen wir für unser Land tun.' Die Gedanken ent-scheiden sich eher für meine Rückkehr nach China. Vielleicht werde ich im Sommer ein Praktikum im ATZ (Autismus- Therapie- Zentrum) in Peking machen, wenn es freie Platz gibt.'

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6 Weiterentwicklungen des Curriculums

Im folgenden Kapitel wird dargestellt, welche Erwei-terungen entwickelt wurden über das ursprüngliche COS-Projekt hinaus, wie es im 'Handlungsfeld' im Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften an der FH Dortmund verankert ist. Dies betrifft zum einen inhaltliche Veränderungen bzw. Ergänzungen wie z.B. den Bereich Sport oder die Arbeit mit Senio-ren, zum anderen strukturelle Erweiterungen über den 'engen Rahmen' der Fachhochschule hinaus; allerdings hat die weitere Vernetzungsarbeit noch keine COS-Lavine ausgelöst - insbesondere die Entwicklung der Einbindung von Ehrenamtlichen geht langsamer voran als antizipiert. Alle Entwicklungen befinden sich in einem ständigen Prozess. Das Team des Dortmunder Projekts Circles of Sup-port hat im April 2005 zu einer zweitägigen Zu-kunftswerkstatt zum Thema 'Zukunftsvisionen für Circles of Support?' zusammengefunden. Aus der

'Kritikphase' wurden drei herausragende Punkte festgehalten: zum Wert der Behindertenarbeit zum Wert des ehrenamtlichen Engagements zum Wert von Selbsthilfe und damit auch Netz-

werkarbeit. Im Bewusstsein dieser relevanten Aspekte hat die Gruppe im Ergebnis herausgestellt, dass es nützlich und gut sei, das jeweils Behindernde zu erkennen und Differenz als Ressource zu erkennen und ihr auch einen Wert zukommen zu lassen. Als weiterer Punkt in dieser Phase wurde das Ehrenamt beleuch-tet, was den Umbau bürokratischer Hierarchien bedeuten kann. Schließlich haben sich dann aus der 'Verwirklichungs- und Praxisphase' heraus zwei As-pekte herauskristallisiert, die im weiteren Verlauf in Form von Workshops näher beleuchtet werden soll-ten. Hierbei handelt es sich um einen Workshop zum

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Thema Autismus und einen zum Thema 'Bürger-schaftliches Engagement'. Allgemein hat die Zu-kunftswerkstatt nicht unwesentlich zur Motivation und Kohäsion im COS-Team beigetragen, also weitere Zusammenarbeit gestärkt. 6.1 COS und Schädel-Hirn-Trauma Ein Mitarbeiter im Dortmunder COS-Team ist Betrof-fener einer Schädel-Hirn-Verletzung. Auf seine Initia-tive hin konnten die COS-SeminarteilnehmerInnen im November 2005 an einer Sitzung der Kölner Selbsthilfegruppe 'hirnverletzt und jung' teilnehmen und mit der Gruppe aktiv in Kontakt treten. Die Selbsthilfegruppe wurde maßgeblich von Wolfgang Steves, der selbst mit den gravierenden Folgen einer Hirnblutung lebt, initiiert und trifft sich einmal im Monat in den Räumen des Neurologischen Thera-piecentrums in Köln. Der Initiator der Gruppe, Wolfgang Steves: 'Wir, junge Menschen mit den unterschiedlichsten Hirnver-letzungen (irgendwo zwischen 20 und 45 Jahre alt), wollen unser Schicksal noch nicht der Rentenkasse überlassen. Unser Leben soll weiterhin einen Sinn bekommen und wir wollen unsere Erfahrungen auch der Gesellschaft zur Verfügung stellen. Denn durch unsere schwere Erkrankung haben wir ein ungeheu-res Potential an Mut und Durchhaltevermögen be-wiesen. Auch Krisenmanagement ist kein Fremdwort für uns. Weitere praktische Erfahrungen haben wir bei unserer Identitätsfindung, in der Sinnfrage und unserer tatsächlichen Realität innerhalb der Gesell-schaft sammeln können. Neben dem Auftreten als Experten in eigener Sache können wir unsere Erfah-rungen anderen zugänglich machen. Wir wollen kein Mitleid sondern in unseren Lebensmöglichkeiten akzeptiert werden.' (Steves 2005). Für die Weiterentwicklung der COS-Konzepte traf es

sich günstig, dass zu einem Menschen mit Schädel-Hirn-Trauma Kontakt aufgenommen wurde, der inzwischen Fokus-Person einer COS-Gruppe ist. Das Thema 'Schädel-Hirn-Trauma' war im Sommersemes-ter 2005 zusätzlicher Bestandteil des Seminars 'Be-hinderung-Enthinderung: Von der Ausgrenzung zur Teilhabe von Menschen mit Assistenzbedarf' mit vier Semesterwochenstunden im Schwerpunkt 'Inclusion and Diversity Studies' an der FH Dortmund. Während der Projektlaufzeit wurde es integrierter Bestandteil des großen Handlungsfeldseminars COS. Es ist geplant, das Thema auszuweiten und mehr Men-schen mit Schädel-Hirn-Verletzung als Fokus-Personen anzusprechen. Als wichtige Aufgabe von Circles im Bereich Schädel-Hirn-Trauma wurde unter anderem auch die Öffentlichkeitsarbeit benannt. 6.2 COS und Fußball-WM der Menschen mit Behinderung Seit dem Winter 2005/ 2006 besteht ein weiterer Ansatz zur Ausweitung des Projektes COS: Ebenfalls im Rahmen des Seminars 'Behinderung - Enthinde-rung: Von der Ausgrenzung zur Teilhabe von Men-schen mit Assistenzbedarf' wird die Kampagne zur Fußball-WM 2006 der Menschen mit Behinderung unterstützt. Diese WM findet unter federführender Beteiligung der Lebenshilfe Oberhausen im August und September 2006 in Deutschland statt (http://www.inas-fid-wm2006.de/). Naturgemäß ist dieses Projekt befristet und wird nach der Fußball-WM im Herbst 2006 auslaufen. In solidarischer Zusammenarbeit engagieren sich beide Institutionen gemeinsam für die gesellschaftli-che Kampagne zur Fußball-WM 2006 der Menschen mit Behinderung. Es ist das Ziel beider Einrichtun-gen, soziale Ausgrenzung von Menschen mit Behin-derung abzubauen und gesellschaftliche Teilhabe möglich zu machen. In gemeinsamen Aktionen wird

ANDERS IST AUCH NORMAL

Kooperation der Lebenshilfe Oberhausen und der Fach-hochschule Dortmund zur

Fußball-WM von Menschen mit Behinderung.

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für die WM geworben und Kontakt zu Menschen mit und ohne Behinderung hergestellt. Darüber hinaus bietet die WM für alle Beteiligten die Chance, in einem internationalen Rahmen über den eigenen Tellerrand zu schauen und voneinander zu lernen. Stets ist das Ziel, bestehende Vorurteile in der Ge-sellschaft abzubauen, um ein 'Miteinander' zu errei-chen. Der Fachhochschule Dortmund und der Lebenshilfe Oberhausen ist es wichtig, dass Menschen mit Be-hinderung die gesellschaftliche Kampagne selbst gestalten und aktiv dabei sind. Auch hier ist das Motto nicht nur für die Menschen etwas zu tun, son-dern mit den Menschen gemeinsam zu einem erfolg-reichen Gelingen der WM beizutragen. Konkret sieht die Zusammenarbeit der Fachhoch-schule Dortmund und der Lebenshilfe Oberhausen so aus: Die Mitarbeiter der Lebenshilfe Oberhausen

haben ein WM-Team gebildet. Hier werden Aktionen bis zur WM und während der WM geplant und durch die Mitarbeiter und Menschen mit Behinderung durchgeführt. Das internationale Circles of Support - Projekt

an der Fachhochschule Dortmund ist in diese Aktio-nen mit 4 COS-Gruppen involviert und bringt eigene Ideen ein. Im Rahmen dieses Projekts geschieht die Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe zur Fußball-WM 2006 der Menschen mit Behinderung. 6.3 COS und die Arbeit mit Senioren Unter dem Titel 'European approaches to curriculum development for social care in contexts of demo-graphic change' fand im Rahmen eines Seminars am 2. Dezember 2005 an der Fachhochschule Dort-mund ein erster Austausch mit Lehr- und Fachkräften der Gerontologie und verwandter Bereiche aus schwedischen und deutschen Hochschulen statt:

Prof. Dr. Hedtke-Becker von der Universität Mannheim stellte das 'Kontaktstudium Angewandte Gerontologie' vor. Ähnlich wie im COS-Projekt spielt auch hier der Praxis-Theorie-Austausch bzw. die Begleitung und Weiterbildung von Berufspraktikern eine zentrale Rolle. Das Kontaktstudium läuft erstma-lig seit November 2005 mit einem ersten Abschluss im Februar 2007. Prof. Dr. Knust-Potter stellte das Projekt COS

vor. Prof. Dr. Pia Eriksson / Mälardalen University,

Eskilstuna und Prof. Dr. Cecilia Henning / School of Health Siences, Jönköping University stellten das im Rahmen des EU-Programm 'Leonardo da Vinci' ge-förderte transnationale Projekt 'MOSAIC, a deve-lopment of an interest based test course for mana-gers within old age care' vor. An dem Projekt sind neben schwedischen auch spanische und italienische Partnerorganisationen beteiligt. Hierbei geht es ins-besondere vor dem Hintergrund unterschiedlicher sozialpolitischer Erfahrungen und Rahmenbedingun-gen um das Management von Altenhilfe und Geron-tologie in alternden und sich sozial wandelnden Gesellschaften. Anschließend präsentierte Holger Stolarz vom

Kuratorium Deutsche Altershilfe die Studie 'Selbstbe-stimmtes Wohnen auch für Pflegebedürftige'. Die demographische Entwicklung – zunehmende Alte-rung der Bevölkerung – bei gleichzeitig wachsenden Ansprüchen und angespannten Haushalten fordert Umstrukturierungen in der Altenhilfe. Es müssen, ähnlich wie im Rahmen von COS, die strukturell-institutionellen Voraussetzungen geschaffen werden, damit den Bedürfnissen älterer Menschen in ökono-misch sinnvoller Weise entsprochen werden kann. Grundsätzlich gilt: Ältere Menschen wollen selbstbe-stimmt wohnen, und es ist auch ökonomisch not-wendig. Wesentlich dabei ist aber, dass soziale Net-ze gestärkt und wiederum mit professioneller Hilfe vernetzt werden. Herr Stolarz stellte dafür Quartiers-konzepte vor, die eine gute Basis bilden können.

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Abschließend stellte Philip Potter / Transnational Evaluations, Bonn, unter dem Titel 'Curriculum deve-lopment through transnational learning' Beispiele für EU-kofinanzierte Projekte vor, die sich auf andere sozial ausgegrenzte Gruppen konzentrieren: Im Rahmen des EU-Programms SOCRATES lief von 2001 bis 2003 'module praxis locale' als transnatio-nales Projekt der Entwicklung von Trainingsmodulen zur Quartiersentwicklung. Im EU-Programm LEONARDO läuft seit November 2005 das zwei-jährige Projekt 'Guiding from School to Job – Profes-sionalism in the Work with young People at Risk of Social Exclusion'. Das Projekt setzt bei von sozialer Ausgrenzung bedrohten oder betroffenen jungen Menschen an, für die personenzentrierte und indivi-duelle Begleitprogramme in den Beruf entwickelt werden. Die sozialen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sind hierbei wiederum – wie auch schon im COS-Rahmen – zu berücksichtigen.

Von besonderem Interesse für COS ist nicht nur eine geplante Ausweitung der Zielgruppen auf Senioren als Fokus-Personen – was den Blickwinkel von der traditionellen Sichtweise von 'Behinderung' öffnet. Eine Kooperation mit schwedischen Partnern ist nicht zuletzt auch wegen der besonderen Erfahrung Schwedens mit Modellen des Sozialstaates und des bürgerschaftlichen Engagements/ der Freiwilligenar-beit für das Projekt interessant. Ein konkreter Ansatz-punkt kann sich zu einem Seniorenprojekt im Dort-munder Althoffviertel ergeben. 6.4 COS mit einem Studierenden als Fokus-Person Das folgende Beispiel für 'Circles of Support' geht über den durch das Handlungsfeld an der FH Dort-mund gesteckten Rahmen hinaus. Zum einen handelt es sich bei der Fokus-Person – anders als in allen anderen bisherigen Circles – um einen Informatik-

Studenten. Der Unterstützer ist kein Student und somit nicht an die curricularen Rahmenbedingungen gebunden. Da die Fokus-Person Student ist, konzent-riert sich die Arbeit mit ihm auf seinen Studienerfolg. Wie die zusammenfassenden Berichte anderer Circ-les zeigen, geht es bei den meisten anderen Circles mehr um soziale Kontakte, Kommunikationshilfen und Freizeitgestaltung. Die Beteiligten an diesem Circle waren der Student Klaus als Fokus-Person, die Projektleiterin als ver-antwortliche Professorin des Fachbereichs Ange-wandte Sozialwissenschaften, eine Therapeutin aus dem kooperierenden Autismus-Therapie-Zentrum (ATZ) sowie das unterstützende COS-Mitglied Volker, ein promovierter Naturwissenschaftler. Ansprech-partner waren außerdem Professoren des Fachbe-reichs Mathematik. Die folgenden vier Phasen lassen die unterschiedli-che Entwicklungen bei der Fokus-Person, Fortschritte und Rückschläge erkennen. Die Dauer der COS-Treffen betrug jeweils etwa zwei Zeitstunden, abhän-gig u.a. von der Tagesform (Startschwierigkeiten, zwischenzeitliches Abdriften, Länge der erforderli-chen Pausen) und von den durch die Mathematik vorgegebenen thematischen Abschnitten. Phase 1: 20 Treffen, 55 Emails Von Anfang an ging es bei den Treffen zwischen Klaus und Volker, an denen anfangs auch die Pro-jektleiterin und eine Mitarbeiterin des ATZ teilnahm, um die Vorbereitung auf und Bewältigung von Ma-thematik-Klausuren. Die Treffen fanden meist in Räumen an der FH Dortmund statt. Immer wieder zeigte sich, dass sich Klaus durch Zeitdruck und Nervosität stark unter Stress gesetzt fühlte und bei Nichtbestehen Schuldgefühle entwickelte. Dabei lag die Durchfallquote bei manchen Klausuren bei 80

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%! Nach Nichtbestehen zog Klaus dennoch den Abbruch des Studiums in Erwägung. Als Wendepunkt kann man vielleicht Volkers folgen-de Intervention bei Klaus bezeichnen: Beim Physik-praktikum für Studenten der Medizin, alles Menschen ohne Assistenzbedarf, hatte er erfahren, dass sie trotzdem und selbstverständlich mit zum Teil aben-teuerlichen Begründungen Sonderregelungen aus-handeln wollten; daher Volkers Bitte an Klaus zu überdenken, ob er wirklich vor den Prüfungsbedin-gungen (nicht vor dem Inhalt!) kapitulieren wollte, ein 'Spiel', in dem er von Anfang an immer die schlechteren Karten hatte. Bis zu dieser Zeit hatten sich die Beteiligten mit Begriffen wie 'Autismus' und 'Therapie' zurückgehalten, da Klaus es nicht 'offiziell' machen wollte. Nun änderte er seine Einstellung offenbar in der Hinsicht, dass er im weiteren Bemü-hungen um Chancenausgleich zulassen konnte. Die Abbruchstimmung verschwand. Phase 2: 10 Treffen, 25 Emails Vorrangig waren jetzt Analyse und Beseitigung for-maler/organisatorischer Hindernisse. Zum einen war in der Vorbereitung sozusagen das 'Thema verfehlt', da zwischenzeitlich eine Umschichtung der Klausur-inhalte erfolgt war. Weiterhin waren die Aussagen von Klaus zur verlangten Form der Beweisführung sehr vage, auch die Beispiellösungen dazu aus dem Internet keineswegs eindeutig. Daher erfolgte ein Treffen mit der Projektleiterin und dem zuständigen Dozenten der Mathematik zur verbindlichen Klärung von Klausurinhalt und gefor-derter Form der Lösungen. Zweitens organisierte die Projektleiterin den Chancenausgleich in Gestalt von Zeitbonus und separatem Raum (ausreichend Platz, Ruhe, gute Beleuchtung) zum Schreiben der Klausur; dabei zeigten sich hier und im weiteren alle beteilig-

ten Professoren als sehr kooperativ. Wegen Klaus' Unsicherheit in dieser neuen Situation war hierbei wichtig, den zeitlichen Ablauf genau festzulegen: Wer bringt ihn wann von wo nach wo? Erhalt der früher geschriebenen Klausur und deren Analyse legte auch nahe, über 'handwerkliche' Verbesserun-gen beim Rechnen nachzudenken. In dieser Zeit erwarb Klaus auch eine spezielle Brille zur Kontrast-steigerung. Die Nachholklausur war dieses Mal inhaltlich richtig vorbereitet, sie erfolgte unter hohem Druck für Klaus, da es sein letzter Versuch war, der Erhalt des Scheins außerdem Voraussetzung für weitere Informatik-Veranstaltungen und die Diplom-arbeit. Das Ergebnis war mit der Note 3.3 gelungen. Das wurde gefeiert mit einem Essen mit Klaus als Gastgeber, seinen Eltern und den Circle Members. Phase 3: 40 Treffen, 55 Emails In dieser Phase wurde der Mathematik-Stoff in Form von über 140 Aufgaben bearbeitet, die ab hier alle in LaTeX-Form wie die Skripten und Klausuren auf-geschrieben wurden, um auch im Erscheinungsbild Kontinuität zu wahren. Bearbeitet wurden diese Auf-gaben zum einen thematisch getrennt, langsam, detailliert, auch im Hinblick auf (zwangsläufig) auftretende Fehler, deren Erkennung und Korrektur, zum anderen auch gemischt und in Klausurform zusammengestellt als Arbeit gegen die Uhr, um eine Art Klausurstress einzubeziehen. Die Klausur zum Teil 2 der Vorlesung wurde bestanden. Das wurde gefeiert mit einer Grillparty bei Klaus zu Hause. Im Anschluss folgte die Konzentration auf die anstehenden Informatikklausuren und die Diplomarbeit. Phase 4: 2 Treffen, 40 Emails Hauptsächlich wurden in dieser Phase Emails ausge-tauscht, teils persönlichen Inhalts wie Urlaubsgrüße,

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zum anderen wurden z.B. spezielle Themen aus 'Rechner-Strukturen' und 'Bildverarbeitung' mit Me-thoden der Schulmathematik oder Linearen Algebra bearbeitet. Das war offenbar erfolgreich (Punkte in den entsprechenden Klausuren), vielleicht weil für beide Seiten kein Zeitdruck bestand: Klaus konnte jederzeit zu vorangegangenen Schritten zurückblät-tern, Volker konnte sich einen möglichst einleuchten-den Lösungsweg überlegen. Vor allem ging es auch um Organisatorisches, zum Teil Probleme, die die zwischenzeitlich erfolgte Um-strukturierung des Studiums von Diplom- auf Mas-ters-Studiengang mit sich brachte: Bin ich richtig angemeldet, hat das Sekretariat das richtig verstan-den, warum stehe ich auf der falschen oder auch auf keiner Teilnehmerliste? Das bedeutete Stress bis hin zu Exmatrikulationsgedanken. Letztlich wurden Dip-lomarbeit und zugehöriges Kolloquium mit der Note 1.7 bewertet, womit Klaus das Studium erfolgreich abgeschlossen hatte. Dieser Verlauf zeigt deutlich, dass die einzig wirkliche Hürde in den Mathematik-klausuren bestand und es daher äußerst sinnvoll war, bei deren Überwindung Hilfestellung zu geben. Zu einem richtigen Abschluss gehört nun noch eine erfolgreiche Bewerbung. Das ist in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ein allgemeines Problem, in diesem Fall speziell wäre es aber auch hilfreich, wenn Per-sonalleiter über die Bedeutung von 'Autismus' oder 'Asperger-Syndrom' informiert wären. Zum Organisatorischen Man braucht unbedingt einen zentralen An-

sprechpartner unter den Universitätsangehörigen aus dem pädagogischen Bereich: Günstig war z.B. die Bereitstellung eines Raums für die Treffen, nahe an der Uni-Atmosphäre und fern von Ablenkungen an anderen öffentlichen Plätzen oder in häuslicher Um-gebung; vor allem aber ist die Realisierung des Chancenausgleichs, der hier eine wesentliche Rolle

spielte, für Externe sicher mit wesentlich mehr Auf-wand verbunden, beginnend mit der Legitimation vor der Verwaltung. Im Unterschied zu Gruppen, in denen rein fach-

liche Unterstützung erforderlich ist, waren hier die 20 Treffen der Phase1 zu wenig Zeit für eine erfolgrei-che Zusammenarbeit. Die Klärung von Umfang und geforderter Bear-

beitungsform des mathematischen Stoffes in dieser Zeit muss effektiver sein, d.h. man sollte von Anfang an den Beitrag der Fokus-Person nicht überschätzen, sondern frühzeitig Kontakt zu einem Verantwortlichen aus der Mathematik aufnehmen. Wichtig war außerdem die durchgehende An-

sprechbarkeit per Email, sowohl für organisatorische als auch fachliche Probleme, in jedem Fall effektiver als ein Telefongespräch. Zum Handwerklichen Es erwies sich als sinnvoll, mit der Einteilung der

üblichen Blätter für die Klausurlösungen zu experimentieren: Als günstige Lage erwies sich DIN A4 quer, so dass eine logische Zeile auf jeden Fall in eine Zeile auf dem Papier passte bzw. noch Platz blieb für kleinere Nebenrechnungen am Blattrand, so dass man damit den Papierstapel nicht zusätzlich vergrößern musste. Ebenfalls wurden verschiedene Papier- und

Schriftfarben ausprobiert, um einen möglichst guten Kontrast zu erreichen. Zur Lösung solcher Probleme wären die zuständigen Professoren auch zu Klausur-ausdrucken in größerer Schrift oder zur Verwendung anderer Papierformate bereit gewesen. Bei der Verifizierung von Zwischenergebnissen

(es lohnt sich, denn Denken und Lesen ist einfacher als Denken und Schreiben und gibt Sicherheit vor dem Weiterrechnen) kann man ruhig die Finger als Fixpunkte auf dem Papier einsetzen (z.B. Matrixmulti-plikation).

An dieser Stelle ein Beispiel aus der COS-Arbeit: 'Eine Probe nach Integration der Funktion f(x) = x² zu machen erübrigt sich, aber schon bei nur wenig komplizierteren Integranden wie in

Cxxxxxdx

+−

++−−+=+∫ )

312arctan(

31)1²ln(

61)1ln(

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³1 ist der Zusammenhang nicht mehr offensichtlich. Die Idee, 'nichts in der Luft hängen' zu lassen, bezieht sich auch auf Begriffe. So war es z.B. lohnend darauf hinzuweisen, dass das 'Fundamentalsystem' einer homogenen Differentialgleichung nicht einfach nur ein neuer Begriff ist, sondern wirklich ein Fundament der Lösungsfunktionen darstellt, in dem Sinn, dass sich alle möglichen Lösungen daraus zusammensetzen lassen oder, umgekehrt, alle Linearkombinationen daraus Lösungen sind - vergleich-bar mit der (früher behandelten) Basis eines Vektorraums.'

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Das Zuhalten von Zeilen mit den Fingern oder Zulegen mit Papierstreifen kann als Führung für die Augen dienen (z.B. Doppelbrüche, Determinanten-entwicklung). Dass es der Dozent an der Tafel nicht so macht, ist nicht verbindlich; ich selbst tue es auch, wenn es hilft. Von einer Zeile zur nächsten sollte man nicht zu

viele Umformungen auf einmal durchführen - wie es vielleicht ebenfalls der Dozent an der Tafel macht, um Schreibarbeit zu sparen. Das hilft beim Vermei-den oder späteren Auffinden von Fehlern. Zum Inhaltlichen Aufbereitung des Stoffs: Zum einen konnte allein die Menge abschreckend wirken (z.B. 400 Seiten Analy-sis-Skript). Verwirrend und daher belastend war weiterhin, dass bei Beweisen die Begründungen für die einzelnen Schritte über sämtliche vorausgegan-genen Seiten verteilt sein können, die Sätze außer-dem oft sehr allgemein formuliert sind (mit mehrfa-chen, zum Teil indizierten Indizes). Um eine gewisse Übersicht zu schaffen, erfolgte daher als erstes eine Reduktion des Materials auf klausurrelevante Bei-spielrechnungen, gemeinsames Erarbeiten von im Idealfall einem einzigen Merkzettel pro Verfahren oder einem Vorschlag dazu. Zur Strukturierung mehrschrittiger Verfahren

(Matrixdiagonalisierung, Integration durch Substituti-on, Lösung von Differentialgleichungen) konnte man ein 'Flussdiagramm' aufstellen, wie es vom Pro-grammieren her bekannt ist. Das fixiert den Plan zum Abarbeiten der einzelnen Abschnitte des Lösungswe-ges; man weiß, an welcher Stelle man ist und verliert nicht das Ziel aus den Augen. Bei einigen Rechnungen lässt das Ergebnis von

der Form her keinen Zusammenhang mit der Aus-gangsfrage mehr erkennen. Dann erwies es sich manchmal als sinnvoll eine Probe zu machen, also z.B. zu zeigen, dass Differenzieren des Ergebnisses

als Umkehrung einer vorher durchgeführten Integra-tion tatsächlich wieder auf die Aufgabenstellung zurückführt. Neben der Sicherheit richtig gerechnet zu haben, brachte das meist Erstaunen und Zufrie-denheit (?) darüber, dass offenbar nichts 'in der Luft hängt'. Allerdings sind solche Proben oft sehr zeit-aufwendig und dann für die Klausur selbst nicht geeignet. Persönliche Erfahrungen Wichtiger Faktor bei der Rechenarbeit ist immer

die Konzentration; hier führten Irritationen von außen oder kleine Rechenfehler oft zum Abschweifen vom Thema, zu wortreicher und detaillierter Beschreibung von Hindernissen aller Art bis hin zum Aufstellen von 'Verschwörungstheorien'. Eine logische Argumentati-on (Aufregung über Fehler führt zu noch mehr Feh-lern), Einbringen eigener guter Erfahrungen oder gar ein 'Abwürgen' mit Blick auf die Uhr führte hier nicht zur Beendigung des 'Zwischenspiels'. Ich denke, dass ich in den meisten Situationen ruhig bleiben und zuhören kann; hier konnte ich darüber hinaus ler-nen, dass manchmal ein Einstimmen in die pessimis-tischen Reden mit einer Steigerung ins Absurde ('grü-ne Männchen') erfolgreich war und dass dieses Mit-fantasieren durchaus Spaß machen konnte. Vielleicht kann etwas von diesem Ablauf auch in Klausursitua-tionen erinnert werden. Eine weitere Erfahrung war, dass ich zwischen

Spaß und Ernst gut unterscheiden und im 'Ernstfall' meine Wortwahl genau überlegen musste, denn innerhalb eines mathematischen Problems zitierte Klaus oft wörtlich eine meiner früheren Argumentati-onen. Das hätte man im Standard-Schulalltag viel-leicht als 'Einschmeicheln' beim Lehrer deuten kön-nen, ist als eine solche Reaktion bei einem Autisten natürlich unmöglich. Hier ist es wahrscheinlich eher als ein Test meiner Worte auf Verlässlichkeit zu ver-stehen, ob sie in gleichen Situationen auch gleiche

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Bedeutung haben. Interessanterweise konnte mir Klaus mit Hilfe 'meiner' Argumente in einigen Fällen eine schnellere Lösung einer Aufgabe bieten, als sie mir selbst eingefallen war. Was das Fachwissen in den Informatikbereichen

betrifft, war mir Klaus weit überlegen; ich hoffe, dass ich meine Anerkennung darüber auch vermitteln konnte. Da aber auch die meisten dieser Themen mathematisch-logisch strukturiert sind, blieb mir bis zum Schluss unklar, worin das eigentliche Problem beim Hineinfinden in die Lösungsalgorithmen be-stand, warum die Rechenschemata offenbar häufig eher einengend wirkten statt Hilfe zu geben. Wegen der insgesamt großen Anzahl von Ar-

beitstreffen gab es die Zeit (und auch Interesse mei-nerseits) für Themen, die abseits des direkten Prü-fungsstoffs lagen. So verbrachte Klaus einen Teil seiner Freizeit damit, für Auftritte von Popbands in einem bestimmten Lokal die dortige Elektronik einzu-regeln. Erstaunlicherweise führten Gespräche über seine Arbeit am Mischpult zurück zu einem Gebiet der Linearen Algebra, nämlich den Eigenwerten von Matrizen. Im Gegensatz zur 'reinen' Mathematik stellte Klaus nun viele Fragen. Einen Bezug zum Alltag habe ich dann auch in anderen Bereichen gesucht und z.B. spezielle Fälle des Federungsverhal-tens von Autos auf holpriger Straße mit Hilfe der im Skript behandelten Differentialgleichungen diskutiert. Auch so kann ein 'abgehobenes' Lösungsverfahren vielleicht 'Bodennähe' und Interesse gewinnen. Und vielleicht bietet auch das Erstellen von Computer-programmen mehr Anwendungsbezug und Raum für eigene Ideen und wird deshalb leichter bewältigt.

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7 Fazit

'Behindert ist man nicht, behindert wird man' ist ein bekannter Slogan aus der Behinderten-Selbsthilfebewegung. 'From disabilities to different abilities' ist eine Forderung indischer Behinderten-Aktivisten. Diese und andere Slogans zeigen, dass sich weltweit in der Sichtweise von Behinderung etwas ändert – aber immer nur so weit und so schnell, wie es Gruppen gibt, die sich für Empower-ment und Selbstbestimmung einsetzen. Behinderte Menschen sind sowohl in Indien als auch in der Europäischen Union ausgegrenzt oder von Ausgrenzung aus ihren Gemeinden und Nachbar-schaften bedroht. Obwohl die Erscheinungsformen dieser Spannungen in der Europäischen Union und in Indien sehr unterschiedlich sind, besteht dennoch

in beiden Regionen eine Suche nach Wegen zur Teilhabe und Partizipation in den Gemeinwesen. Dies ist Teil einer transnationalen Bewegung unter dem Schlüsselbegriff Inklusion. Inklusion bedeutet gesellschaftliche Teilhabe ohne Aussonderung, unter gleichgestellten Bedingungen, volle Partizipation von Menschen mit unterschiedlichen Unterstützungsbe-darfen. An diesen Bestrebungen knüpft das COS Projekt an. Das Dortmunder Projekt entwickelte sich sowohl an der Fachhochschule als auch im kommunalen Netz-werk. Eine neue Aufgabe im Rahmen von Inklusion und im Besonderen der COS-Gruppen ist die Kom-munikation und Interaktion mit Laien und Professio-nellen des Gemeinwesens: die Kooperation ver-

Willst du ein Schiff bauen, so rufe nicht die Menschen zusammen, um Pläne zu machen, die Arbeit zu

verteilen, Werkzeuge zu holen und Holz zu schlagen, sondernlehre sie die Sehnsucht nach

dem großen Meer. (Saint Exupéry)

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schiedener lokaler Akteure durch Aktivierung und Einbeziehung in einen öffentlichen Bewusstseinsbil-dungsprozess. COS-Gruppen wollen Anonymität und sozialer Kälte entgegenwirken – und gemeinsa-me Aktivitäten innerhalb der Nachbarschaft können hier kleine und große Bewusstwerdungsprozesse ermöglichen. COS entlastet auch die Familien und hilft dabei, Ablösungsprozesse zu initiieren, die bei Jugendlichen in dem Alter notwendig werden. Diese Ablösungs-prozesse sind für die Mütter oft besonders schwer, da sie teilweise ihre gesamte Lebensstruktur den Bedürf-nissen ihres Kindes angepasst haben. Eltern: In gemeinsamen Treffen aller COS-Gruppen – meistens als Beginn- und Abschlussfeste konzipiert – haben die Eltern Gelegenheit, sich kennen zu lernen, sich auszutauschen und bei Bedarf weitere Treffen zu organisieren. Diese informellen Ge-sprächs- und Austauschsituationen werden als sehr hilfreich erfahren, oft hilfreicher als viele vorherige formelle Beratungssituationen. Auch hier spielt der informelle, angstfreie Raum eine wichtige Rolle da-für, sich öffnen zu können für die Erfahrungen ande-rer und für die Reflexion der eigenen Situation. Fokus-Personen: Diese gemeinsamen Treffen sind ebenfalls für die Fokus-Personen eine Möglichkeit, sich kennen zu lernen und eventuell auch zu vernet-zen. Wir erkennen in den COS-Gruppen, dass die Fokus-Personen eine neue Sichtweise von sich selbst bekommen. Ohnmachtgefühle, Unsicherheiten und Minderwertigkeitsgefühle verändern sich in selbstbe-wusstere und selbstbestimmtere Wahrnehmungen des Selbst. Studierende: Die Studierenden der vorherigen und zukünftigen Circles haben in den jährlich stattfinden-den Gesamttreffen ebenfalls die Möglichkeit, sich auszutauschen und gegebenenfalls Termine für wei-

tere Austauschtreffen auszumachen. Mit den Veränderungen des Selbstbewusstseins und Selbstbildes der Fokus-Personen gehen aber auch ein neues Selbstverständnis und Veränderungen der Haltungen der Kommunikations- und Interaktions-partner einher: der COS-Mitglieder, der Öffentlich-keit und auch der die Prozesse begleitenden Fach-leute. COS sieht in der Praxis oft anders aus als in der Theorie und erfordert kontinuierliches Lernen und Selbstreflexion – und ist eine spannende Reise. In den reflektierenden Begleitveranstaltungen drehen sich die Diskussionen immer wieder darum, sich der eigenen Macht und Machtposition bewusst zu wer-den. Neu ist die Entwicklung hin zu einem Verständ-nis von gegenseitiger Abhängigkeit und beidseitigem Expertenwissen. Wir befinden uns gerade mit den COS-Gruppen auf einem Weg der Erkenntnis, dass auch Fokus-Personen Lehrende sein können, von denen andere Circle-Mitglieder lernen können. Ein Circle of Support kommt also allen Beteiligten zugu-te: COS fördert die Entwicklung und Entfaltung der menschlichen Potentiale sowohl der Fokus-Personen als auch der weiteren Circle Members; auch die Familie und andere Bezugspersonen der Fokus-Person sowie letztlich die gesamte Gesellschaft kön-nen von den Circles profitieren. Die Studierenden im COS-Projekt können auf einen umfangreichen Lern- und Erfahrungsprozess zurück-blicken. Es wird nicht mehr ausschließlich für den Menschen mit Behinderung/Autismus gedacht und gehandelt und nicht nur mit ihm, sondern es geht noch einen Schritt weiter, indem er die Richtung angibt. Dafür werden besondere Anforderungen an alle gestellt: Beziehungsfähigkeit, Selbstreflexion und Selbstbestimmung sind Qualitäten, die Menschen mit und ohne Behinderung in unserer schnelllebigen und anonymen Welt immer wieder neu lernen müssen.

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Die Fachkräfte in der Sozialen Arbeit verstehen ihre Aufgaben aber nicht nur darin, an den individuellen Ressourcen, sondern immer mehr auch darin, an den Ressourcen des Gemeinwesens anzuknüpfen und diese auszubauen. Damit entsteht ein Wandel in ihrer Rolle und ihrem Rollenverständnis - vom Ver-sorger zum fachkompetenten Vermittler. Dieser Wandel schafft neue Herausforderungen und bringt gleichzeitig neue Gefahren mit sich. Die Hochschu-len sind gefordert, ihre Lehrpläne den neuen Anfor-derungen entsprechend umzugestalten. Leitbilder der professionellen Assistenz auf dem Weg zu Selbstbe-stimmung und Gemeinwesenpartizipation sind auf-zunehmen. Für die Lehre stellt sich die Frage: Wie kann den Studierenden der Paradigmenwechsel in der Sozialen Arbeit – ambulant vor stationär; von der Institutiona-lisierung zur sozialen Teilhabe in der Nachbarschaft; von der Fremdbestimmung hin zur selbstbestim-mungsorientierten Begleitung von Menschen mit Assistenzbedarf - so vermittelt werden, dass die pro-fessionelle Haltung, von der Dominanz zur Interde-pendenz, nicht nur gehört oder gelesen, sondern wirklich erlebt und internalisiert wird? Ein Zitat einer Studierenden: Was ich in der COS-Gruppe begriffen habe, habe ich während meines gesamten Studiums vorher nicht kapiert. Es mag sein, dass uns Visionismus und Utopismus nachzusagen ist; wir aber antworten mit Saint Exupé-ry (1959): Willst du ein Schiff bauen, so rufe nicht die Menschen zusammen, um Pläne zu machen, die Arbeit zu verteilen, Werkzeuge zu holen und Holz zu schlagen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem großen Meer. Die Teilnehmenden aller COS-Gruppen an der Fachhochschule Dortmund in den letzten sieben Jahren haben diese Botschaft verstan-den und gelebt.

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