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Coaching in der Schule Ein Praxisbuch für lösungsorientierte Beratung Thomas Kremers/Nicole Schlüter

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Coaching in der Schule

Ein Praxisbuch für

lösungsorientierte Beratung

Thomas Kremers/Nicole Schlüter

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Coaching in der Schule

Vorwort

Schulen sind Teil unserer Gesellschaft und mehr noch als andere Organisationen politischenEntscheidungen und Reformen unterworfen. Darüber hinaus stehen Schulen immer häufiger imZentrum der medialen Aufmerksamkeit und sind gefordert, gesellschaftliche Erwartungen undAnsprüche zu erfüllen. Mit zunehmender Autonomie der einzelnen Schule steigt die Notwen-digkeit ihrer Anpassungsbereitschaft und Wandelbarkeit.

Schulen müssen ihre Strukturen und Angebote so gestalten, dass sie die gestiegenen An-sprüche von Eltern, Schüler*innen sowie auch der Wirtschaft erfüllen. Als eine Möglichkeit,den Wandel aktiv zu gestalten, gilt Coaching: Die lösungsorientierte Beratung geht davon aus,dass der Ratsuchende bereits die notwendigen Ressourcen und Fähigkeiten mitbringt, eine eigene,funktionale Lösung für sein Problem zu finden und umzusetzen und so seine Potenziale und diePotenziale ganzer Systeme weiterzuentwickeln und besser auszunutzen.

Die in der Wirtschaft schon weitverbreitete Form der Beratung hat nun auch Eingang in denKontext Schule gefunden. Wie in jeder Organisation bietet auch das System Schule verschie-denste Anlässe für Coaching (zum Beispiel Rollenkonflikte, Mobbing, Lernschwierigkeiten,Berufsorientierung). Externe Beratungsangebote können jedoch aufgrund knapper zeitlicher undfinanzieller Ressourcen häufig nicht in Anspruch genommen werden. Wie interne Schulcoachesan Schulen stattdessen aktiv werden können und wie Coaching an Schulen ganz praktisch im-plementiert und umgesetzt werden kann, zeigt das vorliegende Buch.

Die Autoren dieses Buches sprechen aus eigener Erfahrung. Als Kernseminarleiter und -lei-terin gehören sie zu der Personengruppe, die schon seit einigen Jahren als ausgebildete Coachesan Schulen aktiv sind. Sie unterstützen mithilfe von Coaching angehende Lehrkräfte in derzweiten Phase ihrer Ausbildung. Darüber hinaus haben sie zahlreiche Coaching-Gespräche mitSchüler*innen und Kolleg*innen umgesetzt und etliche Lehrerfortbildungen zum Coaching inder Schule durchgeführt und coachen mittlerweile auch in anderen Kontexten. Ziel dieses Bu-ches ist es, zu zeigen wie Coaching in verschiedenen Teilen des Systems Schule gewinnbrin-gend eingesetzt werden kann, zum Beispiel in der Beratung von ratsuchenden Lehrer*innen, zurUnterstützung von Schüler*innen in ihrer persönlichen Entwicklung, als Lernberatung, im Eltern-gespräch oder im Kontext von Organisationsentwicklungsprozessen an Schulen. Auf diese Weisekann Coaching zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit und Qualität von Schulen beitragen.

Was kann Coaching leisten und wo liegen seine Grenzen? Welche Themen können mit Coachingbearbeitet werden? Mit welchen Methoden gelingt das? In welcher Form kann Coaching anSchulen eingesetzt und wie kann es nachhaltig implementiert werden? Das vorliegende Buchgibt Antworten auf diese Fragen und vermittelt auf spannende und anschauliche Art und WeiseEinblicke, von der praktischen Tätigkeit als Coach und einzelnen Methoden, die im Coachingeingesetzt werden können, über theoretische und fachliche Hintergründe von Coaching, bis hinzu Hinweisen für die Implementierung von Coaching als strategischem Element an Schulen: Ei-nerseits zeigen die Autoren anhand praktischer Beispiele verschiedene Anlässe, Konstellationenund Methoden von Coaching im Kontext Schule auf. Andererseits erläutern sie exkursartig auchdie dahinterliegenden theoretischen Konzepte (zum Beispiel Humanistische Psychologie, Ge-waltfreie Kommunikation, Transaktionsanalyse). Auf diese Weise findet jede Leserin und jederLeser dieses Buches das, wonach sie oder er sucht.

Camelia Reinert-Buss

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Einleitung 6

1. Systemisches Coaching – Was ist das? 9

Inhalt

2. Wie strukturiere ich ein Coaching-Gespräch? 24

3. Wie kann ich intuitives Wissen und kreatives Potenzial nutzen? 38

4. Wie soll ich mich entscheiden? 52

5. Stark im Stress? 65

6. Wie kann Coaching das Lernen unterstützen? 80

ThemaFallbeispiel

Grundhaltung

„Der provozierendeSchüler“

Gesprächsstruktur

„Angst vor einerschlechten Note in Mathematik“

Symbolarbeit

„Schwierigkeiten mitdem Verhalten einerKlasse“

Entscheidungen treffen

„Die interessante Stellenausschreibung – Bewerbe ich mich?“

Umgang mit Stress

„Ich brauche immereeeewig für die Unter-richtsvorbereitung.“

Lerncoaching

„Der Lern-Berg vor den Klassenarbeiten“

Methoden

Systemische Fragen und Impulse

GROW-Struktur

Visualisierung

Analoge Verfahren: Tiere und andere Symbole

Entscheidungsstühle

Glaubenssätze

Regeltransformation

Selbstmanagement-Prozess-Modell

Lernfieberkurve

Exkurs und Zusatzinformationen

Rollen und VerantwortlichkeitenKonstruktivismus Systemtheorie

Strukturen von Coaching-Gesprächen

Beratungsprozess nach Rogers

Schritte im CoachingPersönlichkeitsmodelle

(vier Elemente, PSI,H.D.I®)

Emotion und KognitionGestalttherapieNeurolinguistisches ProgrammierenAnkern

Zeitmanagement

Resilienz

Lernstrategien

Motivation

Übung

Wander-CoachingSelbstreflexion

Mein Selbstverständnisals Coach

Stimmungsbild: Wo stehe ich gerade?

Affektbilanz

Entscheidung mit Kopfund Bauch

Ressourcen undStressoren

Achtsamkeitsübung

Innere Antreiber

Ziele konkret in Angriff nehmen

Checkliste „Mein Lernen“

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Coaching in der Schule

12. Literaturverzeichnis 182

13. Sachregister 186

Konflikte lösen

„Harte Interventionversus sozialeIntegration“

„Ich fühle michinnerlich hin- undhergerissen.“

Ungute Musterdurchbrechen

„Täglicher Stress mitden Hausaufgaben“

AbgrenzungCoaching-Therapie

„Alle ärgern mich.Ich halte das nichtmehr aus!“

Schulentwicklung

„Implementierung des Coachings an meiner Schule“

Tools

Konflikt-Coachingmit zwei Parteien

„Inneres Team“

Regelkreis

Referenztransformation

Systemvisualisierungdurch Aufstellungsfiguren

Strategieprozess: VisionssucheBrainstormingStakeholder-AnalyseTimeline

Herdplatten-ModellBrainstormingSystemvisualisierungStakeholder AnalyseSWOT-AnalyseLogische EbenenVisionsarbeitTimelineKonflikt-CoachingDas Innere TeamKollegiale FallberatungWunderfrageReaktionsweisenBuddy Book

Intra- / interpersonaleKonfliktarten undEskalationsstufenDas „Innere Team“Vier Seiten einer NachrichtFeedbackMediationGewaltfreie Kommunikation

Transaktionsanalyse

Von Opfern und Rettern –das Dramadreieck

Mobbing in der Schule

No Blame Approach

Therapie

Schulen als lernende Organisationen

ProfessionelleLerngemeinschaften

Implementation Dip

Bedeutung von Personenin der Schulentwicklung

Mein Konfliktverhalten

Mein Lieblingsfeind

7. Wie können Konflikte gelöst werden? 95

8. Immer wieder der gleiche Ärger – Wie kann ich aus dem Regelkreis aussteigen? 112

9. Wo stößt das Coaching an Grenzen? 127

10. Wie kann das Coaching an der Schule implementiert werden? 140

11. Wie kann ich das Coaching durch geeignete Tools intensivieren? 162

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In der zweiten Phase der Lehrerausbildung,dem Referendariat, wird die personenorien-tierte Beratung mit Coaching-Elementen inNordrhein-Westfalen bereits seit Jahren prak-tiziert. In diesem Kontext sind wir als Kern-seminarleitungen in den Genuss einer hoch-wertigen Coaching-Ausbildung gekommen.Oft haben wir diskutiert, wie die wertvollenImpulse des Coachings noch weiter im SystemSchule wirksam werden können. Die Mög-lichkeiten, Menschen durch Coaching wert-schätzend und zielführend zu begleiten, sollten„Schule machen“. In diesem Sinn soll diesesBuch interessierten Kolleg*innen, Bera tungs -lehrer*innen, Schulsozialarbeiter*innen, Schul -lei tungen, Eltern, aber auch Schüler*innenpraxisorientierte Hilfen geben, wie sie dasCoaching produktiv umsetzen und im SystemSchule implementieren können.

Unter Coaching verstehen wir eine freiwil-lige, personenzentrierte Beratung. Der Coachunterstützt als wertfreier Begleiter den Coachee(den Ratsuchenden oder Fallgeber) beim Fin-den eigener Lösungswege. Zentral ist hierbeidas Menschenbild des Coachs, seine Haltung,nicht alles besser zu wissen und Ratschläge zugeben, sondern sein Gegenüber durch aufmerk -sames Zuhören, geschickte Fragen und durcheine zielführende Gesprächsstruktur zu eige-nen Erkenntnissen und Handlungsoptionen zuführen. Die Entwicklung von Lösungs stra te gienbasiert auf Wertschätzung, Ressourcenorientie-rung und auf der Selbstreflexion des Coachees.Diese Beratungsform zeichnet sich durcheinen ganzheitlichen Blick auf den Menschenaus, der rationale und emotionale Prozesse

angemessen berücksichtigt. Produktive Impul-se und kluge Fragen sind das wichtigste Werk-zeug des Coachs. Sie dienen vor allem derErforschung der „inneren Landkarte“ desCoachees. Häufig kann dieser ein Problemnicht lösen, weil seine Gedanken immer umdieselbe Sache kreisen. Fragen erzeugenEmotionen, lösen Denkprozesse aus und füh -ren in neue Assoziationsräume. Mit den rich-tigen Impulsen können andere Bilder, neueGefühle und Gedanken entstehen – und neueLösungen.

Schulen sind komplexe und hierarchischstrukturierte Systeme, die sich durch vielfälti-ge Widersprüche auszeichnen. Bei unseremAnsatz von Coaching in der Schule geht esnicht darum, die im System lernenden und ar-beitenden Menschen für eine Gesellschaft zuoptimieren, die immer höhere Leistungen ein-fordert. Im Sinne einer humanistischen Psy-chologie geht es uns vornehmlich um die Per-sönlichkeitsentwicklung der im System Schu-le arbeitenden und lernenden Menschen undeine Humanisierung der Lern- und Arbeits-kultur. Kinder und Jugendliche befinden sichin vielfältigen Veränderungsprozessen mitkrisenhaften Phasen wie der Pubertät oderdem Übergang in das Erwachsenenalter. Kör-perliche und psychosoziale Veränderungen,die Entwicklung der eigenen Persönlichkeitund Identität sowie Ängste vor der privatenund beruflichen Zukunft stellen große Her-ausforderungen dar. Die hier vorgestellte Formder personen- und lösungsorientierten Be ra -tung bietet großes Potenzial zur individuellenFörderung und Begleitung und zur Erweiterung

Einleitung

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Coaching in der Schule

der Problemlösekompetenz. Schüler*innen, diekonstruktive Konfliktlösemodelle lernen undpraktizieren oder ihre Lernstrategien verbes-sern und größere Lernleistungen erbringen,entwickeln und stärken ihre Persönlichkeit.Somit erweitert Coaching die Möglichkeitender fachlichen wie psychosozialen Beratung,der Schullaufbahn- und Lernberatung.

Auch Lehrkräfte und mit LeitungsaufgabenBetraute können Coaching nutzen, um beruf-liche Ziele zu verwirklichen, Belastungenund Stress zu meistern, konkrete Entschei-dungen zu treffen, Konflikte zu lösen oderihre Work-Life-Balance wiederherzustellenund somit eine „gesunde Schule“ zu leben.Durch die Kooperation im Kollegium unddurch die gegenseitige Unterstützung durchkollegiale Hospitationen in Verbindung mitBeratungsgesprächen können Lehrkräfte inihrem stressigen Beruf entlastet werden. Ebensokönnen Eltern von dieser Form der Erzie-hungsbegleitung profitieren. In diesem Sinnehat Coaching viel mit gegenseitiger Wert-schätzung und Solidarität zu tun.

Alle Kapitel dieses Buches sind ähnlichstrukturiert: Im Zentrum stehen jeweils einoder zwei Fallbeispiele, die verschiedeneCoaching-Konstellationen (Wer coacht wen?),unterschiedliche Coaching-Themen und di-verse Tools (Coaching-Methoden) abbilden.Basis der Fallbeispiele sind „echte“ Coachings,die wir im Laufe der Jahre in unterschiedli-chen Konstellationen selbst geführt oder –zum Beispiel in Rahmen von Fortbildungen –begleitet oder supervidiert haben. Bei der

Aufbereitung für dieses Buch haben wir diezugrunde liegenden authentischen Fälle ver-fremdet, um Rückschlüsse auf konkrete Per-sonen und Situationen zu verhindern. In Ex-kursen werden auszugsweise Theorien undModelle als Hintergrundinformationen ver-mittelt. Hinzu kommen hilfreiche Tipps, wel-che Punkte der Coach besonders beachtensollte. Literaturtipps sollen dabei helfen, ausder Fülle der Literatur zum Coaching je nachInteressenlage weiterführende Bücher auszu-wählen. Links verbinden die Informationender einzelnen Kapitel miteinander.

Wir hoffen, dass wir mit diesem Buch IhreNeugier auf das Coaching wecken und Ihnenviele praxisorientierte Anregungen gebenkönnen. Die Aneignung des Coachings erfor-dert Zeit, und erst das häufige Üben machtden Meister.

Wir möchten unseren Dank insbesondereHerrn Speckin aussprechen, der unsere Inhal-te hervorragend grafisch umgesetzt hat. Stell-vertretend für die vielen Menschen, die unsbei der Arbeit an dem Buch unterstützt haben,danken wir Uwe Hildebrandt, Deike Lembergfür ihre Anregungen zum Lern- und Konflikt-Coaching, Claas Hörner für seine Ideen zurOrganisationsentwicklung, Heike Sturm fürihre Impulse zum Thema „Coaching und The-rapie“ sowie Tanja Spezia und Achim Ziel-lenbach, die uns Denkanstöße zum Neurolin-guistischen Programmieren gegeben haben.

Thomas Kremers und Nicole Schlüter

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Systemisches Coaching – Was ist das? 1.Systemisches Coaching – Was ist das?

In diesem Kapitel ...u lernen Sie die unterschiedlichen Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten

des Coachs und des Coachees im Coaching kennen.uwird deutlich, wie wichtig die Einstellung des Coachs fur eine gute Beratung ist.ubekommen Sie uber ein Fallbeispiel einen Einblick in ein Coaching-Gespräch.uvernetzen wir den Begriff „Coaching“ mit verschiedenen Beratungsfeldern und -formen.uwird das Coaching im Kontext des Systems Schule eingeordnet.uwerden Grundannahmen aus dem Konstruktivismus und der Systemtheorie fur produktive

Beratung zusammengestellt.uwerden die Grenzen des Coachings aufgezeigt, wenn es um therapeutische Fragen geht.u finden Sie eine Partnerubung und einen Reflexionsbogen zum Beraten ohne Ratschläge.

Rollen und Verantwortlichkeiten im Coaching

Coaching ist eine personenzentrierte Bera-tung, die in der Regel die freiwillige Teilnah-me des Coachees voraussetzt. Es gibt zahlrei-che Themen und Anlässe für ein Coaching.Der Coachee wünscht sich bspw. Klärunghinsichtlich einer Frage, die ihn umtreibt, erhat Schwierigkeiten, eine Entscheidung zutreffen, oder er sucht eine Strategie, um ein Zielzu verwirklichen. Häufig stellt er ein Problemvor, für das er eine Lösung suchen will.

„Coach“ geht auf das englische Wort für„Kutsche“ oder „Kutscher“ zurück und wurdeim 19. Jahrhundert umgangssprachlich fürprivate Tutoren von Studenten in Englandverwendet. Der Begriff wurde zunächst aufden sportlichen und schließlich auf den wirt-schaftlichen Bereich übertragen.

Der Coachee ist weitgehend verantwortlichfür den Inhalt des Coachings. Auf der ande-ren Seite versteht sich der Coach als wertfrei-er Begleiter, der den Coachee dabei unter-stützt, eigene Lösungswege zu finden. DerCoach ist wesentlich verantwortlich für denCoaching-Prozess.

Coach und Coachee sollten ungefähr ineinem Winkel von 90 Grad zueinander sitzen.So besteht jederzeit die Möglichkeit sowohl zurdirekten Kommunikation (face-to-face) alsauch zur Innenschau des Coachees, die Raumfür eigene Bilder und Gefühle öffnet. Oft ist essinnvoll, das Thema, das Ziel und die Ideendes Coachees auf Karten oder einer Flip-chart zu visualisieren.

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„Coachee“ Der „Coachee“ ist der oder die „Ratsu-

chende“ und wird in der Literatur auch als„Fallgeber“ oder „Klient“ bezeichnet. DerBegriff „Klient“ ist eher im therapeutischenoder wirtschaftlichen Kontext passend. DieFormulierung „Ratsuchender“ legt dagegennahe, dass der Coach „Ratschläge“ erteilt,was nicht der zentrale Sinn des Coachingsist. Deshalb ziehen wir im Folgenden denneutraleren Begriff „Coachee“ vor. DieserBegriff wird in der Literatur mit femininemwie maskulinem Artikel gesetzt („der oderdie Coachee“). Wir werden hier beide For-men verwenden.

Verantwortung für Inhalte: • Was ist mein Thema?• Was will ich lernen?• Was ist mein Ziel?• Was ist meine Lösung?• Öffne ich mich im Gespräch?• Reflektiere ich mein Verhalten?• Bin ich bereit etwas zu verändern?• Was ist mein nächster Schritt?

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„Coach“ und „Coachee“In der Literatur werden verschiedene Be-

griffe für die jeweiligen Rollen im Coa-ching verwendet:

„Coach“ / „Coachin“

Der „Coach“ fungiert in der Rolle des Bera-ters, der für die Organisation, die Strukturie-rung und die Kommunikation des Coaching-Gespräches verantwortlich ist. Laut Duden istdie feminine Form „die Coachin“ korrekt.

Verantwortung für Prozess:• Organisation (Raum, Sitzordnung,

Zeit usw.)• Strukturierung des Coachings• Wertschätzung• Ressourcenorientierung • Kommunikation• Produktive Fragen und Impulse• Methoden (Tools)

Systemisches Coaching – Was ist das?

Achten Sie als Coach auf einen ruhigen Raum, in dem Sie möglichstungestört coachen können! Hängen Sie ein Schildan die Tür:

Coaching

Bitte nicht stören!

FallbeispielBevor die Grundlagen des Coachings diffe-

renzierter dargestellt und die theoretischenHintergründe ausführlicher abgehandelt wer-den, soll ein Fallbeispiel diesen Beratungs-prozess verdeutlichen. Das folgende Proto-koll stellt eine anonymisierte, kurze Zusam-menfassung eines Coaching-Gespräches dar,in dem ein Lehrer von einer Kollegin beratenwird. Die Kollegin hatte im letzten Jahr eineWeiterbildung zum SchulCoach (vgl. S. 146)ge macht. Das Gespräch findet in einem kleinenBeratungsraum der Schule statt.

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Systemisches Coaching – Was ist das?

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„Der provozierende Schüler“

Coachin: Bevor wir mit dem Coaching anfangen, sollten wir nochetwas vereinbaren: Alles, was wir in dem Gespräch besprechen, bleibtvertraulich unter uns.Coachee: Das ist in Ordnung.Coachin: Wie lange haben wir Zeit?Coachee: In der folgenden Stunde habe ich wieder Unterricht. Davorist aber noch die Pause.Coachin: Also haben wir ungefähr 45 Minuten Zeit für das Ge-spräch. Worüber möchtest du sprechen?Coachee: Ich hatte gestern eine sehr ärgerliche Situation mit einemSchüler im Sportunterricht. Eigentlich ist der Schüler nett, aber jetzthat er mich übel provoziert.Coachin: Würde dein Thema dann „Umgang mit einem provozierendenSchüler“ lauten?Coachee: Ja, das trifft mein Anliegen recht gut.Coachin: Was ist dein Ziel für das Coaching? Was möchtest du amEnde für dich aus dem Gespräch mitnehmen?Coachee: Ich möchte eine Strategie entwickeln, wie ich mit demSchüler trotz meiner Wut konstruktiv umgehen kann.

Die Coachin notiert das Thema und das Ziel jeweils auf eine Karte.

Coachin: Dann wollen wir uns den Konflikt genauer ansehen. Beschreibemal möglichst ge nau, was im Sportunterricht vorgefallen ist. Coachee: Die Lerngruppe sollte in der Sportstunde mit Seilen Choreo-grafien zu einer Musik entwickeln. Der Schüler, der sonst oft hilfsbe-reit ist und sich sehr interessiert am Sportunterricht beteiligt, hat trotzmehrfacher Ermahnungen mit seinem Seil immer wieder andere Schü-lerinnen und Schüler geschlagen. Ich habe ihm schließlich das Seil ab-genommen und ihn auf die Bank verbannt. Als Strafe sollte er zu Hauseeinen Bericht über sein Fehlverhalten schreiben.Coachin: Und? Hat er den Bericht dann auch abgegeben?Coachee: Ja, und der hat mich dann noch so richtig sauer gemacht.Coachin: Was hat dich an dem Bericht so sehr geärgert?Coachee: Der Schüler hat geschrieben, dass er eine gute Erziehung ge-nießen würde und deshalb genau wüsste, dass er sich ganz schlecht ver-halten habe. Er hat sich zwar für sein Fehl verhalten entschuldigt, aberhat gleichzeitig so ironisch geschrieben, dass keine wirkliche Einsichtoder Reue sichtbar wurde.

Der Coachee beschreibt die Situation genauer und die Coachin notiertElemente des Konfliktes auf Karten.

Coachin: Hast du in der Zwischenzeit andere Kolleg*innen angespro-chen, ob sie momentan auch mit dem Schüler Probleme haben und wiesie damit umgehen?Coachee: Ja, aber der Schüler scheint sonst eher unauffällig zu sein.

Aspekte des Coachings

1. Orientierungsphase

Verschwiegenheit

Zeitlicher Rahmen

Thema des Coachings

Zielformulierung

Visualisierung

2. Klärungsphase

Visualisierung

Kooperation

Thema:

Umgang mit einem

provozierenden Schüler

Ziel:Strategie für einen konstruktivenUmgang mit dem Schüler

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Vergangenheit/ vergleichbare Erfahrungen

Positive Erfahrung als Ressource

Struktur Gewaltfreie Kommunikation

3. Lösungsphase

Handlungsmöglichkeiten

formulieren

4. Abschlussphase

Verbindliche Absprache

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Systemisches Coaching – Was ist das?

Coachin: Fällt dir eine ähnliche Situation ein, in der dich ein Schülerprovoziert hat? Was hast du damals gemacht?Coachee: Ich hatte vor Jahren als Klassenlehrer eine sehr schwierigeSchülerin. Unsere Beziehung wurde erst besser, nachdem wir uns mallänger unterhalten haben. Coachin: Wie ist das Gespräch damals abgelaufen?Coachee: Es war im Sommer. Wir haben uns nach dem Unterricht aufdem Schulhof zusammengesetzt. Ich habe ihr keine Vorwürfe gemacht,sondern zunächst beschrieben, wie ich eine besonders heftige Situationin der letzten Stunde wahrgenommen habe. Dann habe ich geäußert,welche Gefühle ihr Verhalten bei mir ausgelöst hat. Ich habe mein Be-dürfnis formuliert, mit der Klasse ungestört unterrichten zu können,und habe sie gebeten, ihr Verhalten zu verändern. Ich fand sehr span-nend, wie sich die Schülerin geöffnet hat und von ihrer üblen Situationzu Hause erzählt hat. Eigentlich tat ihr ihr eigenes Verhalten im Unter-richt leid, aber sie wusste nicht, wie sie sich anders verhalten könnte.Wir haben dann gemeinsam nach Lösungen gesucht.Coachin: Das hört sich nach einer guten Erfahrung an. Könnte das einModell dafür sein, wie du nun auf das Fehlverhalten des Schülers rea-gieren könntest?Coachee: Ja, ein ähnliches Gespräch könnte vielleicht Sinn machen.

Nach einer differenzierten Analyse der Situation entwickelt derCoachee weitere Lösungsideen, die von der Coachin ebenfalls aufKarten notiert werden:

Coachin: Fallen dir außer dem Gespräch mit dem Schüler noch andereLösungsmöglichkeiten ein?

Nach 40 Minuten betrachtet der Coachee die Karten auf dem Tisch,auf denen in Stichworten sowohl die verschiedenen Facetten der ärger-lichen Situation als auch mögliche Lösungsstrategien notiert wurden.

Coachin: Was ist nun die Idee, die du für gut hältst?Coachee: Ich will nicht, dass sich andere einmischen. Ich werde demSchüler ein Gespräch anbieten.Coachin: Wann willst du das tun?Coachee: Ich werde den Schüler nach der Sportstunde am Freitag ansprechen und ihm anbieten, in Ruhe ein Gespräch zu führen.Coachin: Was hältst du davon, wenn du mir am Ende der nächstenWoche kurz berichtest, wie das Gespräch gelaufen ist?Coachee: Gerne, entweder sehen wir uns oder ich schreibe dir eine Mail.

Gespräch mit dem

Schüler

Verhalten des Schülersignorieren

Gespräch mit

KlassenlehrerinGespräch mit Eltern

Klassenkonferenz

Den Schulleiter umUnterstützung bitten

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Systemisches Coaching – Was ist das?

KommentarIm Verlauf der Beratung überwindet der

Lehrer seinen anfänglichen Ärger auf denSchüler. Nach einer differenzierten Analyseder Situation entwickelt er Ideen, wie er mitdem Schüler so umgehen kann, dass einekonstruktive Lösung möglich wird. Am Endedes Gesprächs hat er klar formuliert, was nunsein erster Handlungsschritt sein wird. DasCoaching-Gespräch folgt einer klaren Struk-tur, die den Kollegen darin unterstützt, selberzu einer Lösungsstrategie zu kommen:1. In der Orientierungsphase geht es um

Kontaktaufnahme, Zeitabsprachen und denHinweis auf Verschwiegenheit. Der Aus-gangspunkt für eine produktive Beratungist eine Eingrenzung des Themas und einemöglichst konkrete Zielformulierung. Diesführt zu einem klaren Auftrag für denCoach.

2. In der Klärungsphase erfolgt eine diffe-renzierte Analyse des Ist-Zustandes. Hilf-reiche Fragen sind: Wie ist die gegenwärtigeSituation? Wo genau liegen die Probleme?Was hat dazu geführt? Was sind möglichezukünftige Szenarien?

3. Nun werden in der Veränderungsphasemöglichst viele Handlungsoptionen ent-wickelt.

4. In der Abschlussphase entscheidet sich derCoachee für einen Handlungsplan und legtden ersten konkreten Handlungsschritt fest.Das Fallbeispiel zeigt, dass manchmal be-

reits in einer Coaching-Sitzung ein Anliegenabschließend bearbeitet werden kann. Oft istallerdings das Anliegen komplexer oder sitztdas Problem tiefer. Dann macht es Sinn, eineSerie von mehreren Coaching-Gesprächendurchzuführen, da eine Lösung oder Klärungnicht in einer Sitzung erreicht werden kann.

Haltung als CoachNeben der grundsätzlichen Verschwiegen-

heit und Vertraulichkeit stellt die Haltung alsCoach eine entscheidende Voraussetzung fürein gelungenes Coaching dar. Eine wertschät-zende und ressourcenorientierte Gesprächs-führung ermöglicht es dem Ratsuchenden,sich zu öffnen und konstruktiv Lösungsstrate-gien zu entwickeln. Das dahinterstehendeMenschenbild zeichnet sich durch die Über-zeugung aus, dass der Coachee alle Ressour-cen zur Verfügung hat, selber produktive Ant-worten für seine Fragen und Probleme unddamit passsende Lösungen zu finden. Der

Coach führt sein Gegenüber durch aufmerk-sames Zuhören, produktive Fragen und Im-pulse sowie durch eine zielgerichtete Ge-sprächsstruktur zu eigenen Erkenntnissen undHandlungsoptionen. Er glaubt nicht, allesbesser zu wissen und vermeidet das typische„Ratschläge geben“. Zentral ist die Selbstre-flexion des Coachees. Dabei werden Themennicht nur kognitiv analysiert, sondern ebensopsychosoziale und emotionale Elementeberücksichtigt. Coaching zeichnet sich alsodurch einen ganzheitlichen Blick auf denMenschen aus.

Grundannahmen in der personen-orientierten, systemischen Beratung

Aus der Systemtheorie und dem Konstruk-tivismus ergeben sich wesentliche Grundan-nahmen für das systemische, personenorien-tierte Coaching. Insbesondere die subjektiveWeltsicht des Coachees und die Orientierungan dessen Ressourcen spielen hierbei eineentscheidende Rolle.

Menschen reagieren auf ihr persönlichesModell der Realität. Die Voraussetzung fürgute Kommunikation ist die Bereitschaft, dasWeltmodell des anderen wahrzunehmen, zurespektieren und darauf einzugehen.Als Coach gehe ich mit in die Perspektivemeines Gegenübers.

LINKStrukturierungsmodelle von Coaching-Serienund einzelnen Coaching-Gesprä chen werdenim zweiten Kapitel differenzierter dargestellt.

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LINK

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Systemisches Coaching – Was ist das?

Ein wichtiges Ziel beim Coaching ist es, einestabile persönliche Basis zu schaffen, die sub -jektiv empfundenen Belastungen standhält.

Das Empfinden des Coachees steht imVordergrund!

Coaching dient der Verbesserung aller vor-handenen (!) Fähigkeiten, inneren Haltungenund Verhaltensweisen, die zur Umsetzung einespersönlichen Ziels erforderlich sind. Achten Sie auf die persönlichen Ressourcen Ihres Coachees!Nutzen Sie die verschiedenen Elemente(Fähigkeiten, Haltung, Verhalten)!

Jede Person verfügt (potenziell) über alleRessourcen, die sie benötigt, um ihre Proble-me lösen zu können. Der Coach unterstütztimmer als unabhängiger und weitgehendwertfreier Begleiter beim Finden eigenerLösungswege. Die Lösungsoptionen sollen zum Coacheeund zu dessen Lebensumständen undPersönlichkeit passen!

Hintergrundinformationen zum systemischenCoaching finden Sie ab Seite 17.

Coaching als Lernprozess – keine vorschnellen Ratschläge

Das System Schule zeichnet sich dadurchaus, dass es noch immer eher auf Belehrungausgerichtet ist statt auf Unterstützung. Leh-rer*innen glauben zu wissen, was für Schü -ler*innen, Lehramtsanwärter*innen oder an-

dere Kolleg*innen wichtig ist, und neigen dazu,vorschnell Tipps oder Ratschläge zu erteilen.

Dabei ist es durchaus legitim, wenn derCoach im Coaching eigene Ideen einbringt.Dies sollte aber im Coaching-Prozess– erst dann erfolgen, wenn der Coachee bereits

viele eigene Lösungsideen formuliert hat– und wenn der Coachee ausdrücklich dem

Angebot des Coachs, eigene Ideen einzu-bringen, zustimmt oder selber den Coachbittet, eigene Lösungsansätze zu nennen.Eine Lösungsidee, die mir als Coach vielleicht

schlüssig erscheint, ist für meinen Coachee inseinem System und mit seiner Persönlichkeiteventuell nur sehr schwer oder gar nicht umsetz-bar. Daher gilt es, Zurückhaltung zu zeigen,wenn „meine“ Idee nicht gewählt wird.

Auch im Coaching finden Lernprozesse statt:Der Coachee reflektiert differenziert seine Si-tuation, seine Fragestellung oder sein Problemund entwickelt neue Lösungsideen und Verhal-tensmuster. Deshalb spielen im Coaching-Pro-zess konstruktivistische Konzepte eine wichtigeRolle. Der Coach kann dem Coachee keine Lö-sung überstülpen: Verfrühte – oft gut gemeinte– Ratschläge oder Tipps behindern die Ent-wicklung eigener Ideen durch den Coachee.Vielmehr muss der Coachee in einem persön-lichen Konstruktionsprozess eigene Lösungenfür seine Fragestellung oder sein Problem fin-den. Somit ist der Coach verantwortlich furdie Organisation der Rahmenbedingungen undden kommunikativen Prozess. Er bringt seineMethodenkompetenz ein und hilft damit demCoachee, selber neue Sichtweisen und Per -spektiven zu entwickeln.

„Die Landkarte ist

nicht das Gebiet.“

Menschen reagieren auf ihr persönliches Modell

der Realität, nicht auf die Realität selbst.(Konstruktivismus)

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Systemisches Coaching – Was ist das?

Exkurs:

Impulse des lernpsychologischenKonstruktivismus für das Coaching

Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts fin-det der Konstruktivismus breiten Eingangin die Frage, wie produktive Lernprozesseinitiiert werden können und welche Me-thoden in diesem Kontext angewendetwerden sollten. Der eher philosophisch ori-entierte radikale Konstruktivismus, derbspw. von Ernst von Glasersfeld vertretenwird, ist eine erkenntnistheoretische Positi-on, die davon ausgeht, dass jede Wahrneh-mung vollständig subjektiv ist. Wahrneh-mungen sind kein Abbild einer bewusstseins-unabhängigen Realität. Vielmehr stellt Rea-lität für jedes Individuum immer eine sub-jektive Konstruktion aus Sinnesreizen undGedächtnisleistung dar.

Der lernpsychologische Konstruktivis-mus beschreibt diese kognitiven Konstruk-tionsprozesse durch das lernende Subjektund berücksichtigt stärker den soziokultu-rellen Kontext des individuellen Lerners:Lernprozessen kann eine produktive Ge-stalt gegeben werden, wenn sich das Indi-viduum auf der Basis sinnesphysiologi-scher, neuronaler, kognitiver und sozialerProzesse Inhalte aktiv aneignet und diesein seine mentalen Strukturen integriert.Demnach zeichnet sich menschliches Erle-ben und Lernen vornehmlich durch subjek-tive Konstruktionsprozesse aus. Auf die-ser Basis schaffen sich Lernende im Lern-prozess eine individuelle Repräsentationder Welt. Was also jemand unter bestimm-

ten Bedingungen lernt, hängt wesentlichvon dem Lernenden selbst, seinen Erfah-rungen und seinem Vorwissen ab.

Ein wichtiger Vertreter des interaktioni-stischen Konstruktivismus ist KerstenReich1, der in seiner konstruktivistischenDidaktik intensiv Lerntheorien berücksich-tigt. Charakteristisch für seinen Ansatz sinddrei Erkenntnisschritte:uRekonstruieren (Entdecken von Welt),uKonstruieren (Erfinden von Welt) unduDekonstruieren (Kritisieren von Welt).

Diese Schritte sind stets an die Handlun-gen der Lernenden geknüpft. Der subjektiveEigenanteil der Lernenden verbindet sich mitder soziokulturellen Lernumgebung. Dem-nach ist Lernen dann effektiv und führt zuhöheren Lernebenen, wenn die Lernendenihren Lernprozess möglichst weitgehendselbst steuern können. Jeder Lerner weiß ambesten selbst, wie er effektiv lernen kann. Al-lerdings setzt dieses Wissen eine Methoden-kompetenz voraus, die in vielen Lernschrit-ten erworben werden muss. Als produktiv er-weisen sich so mit Lernformen, in denen derLehrer nicht bloß Wissensvermittler, sondernebenfalls ein „Lernprozessberater“ ist, dersich eher im Hintergrund hält, Lernangeboteschafft, Wissensquellen bereitstellt und denLernprozess beobachtet.

Anregungen hierzu finden Sie auch im 6. Kapitel zum Lerncoaching.

Coaching – ein Modebegriff?In den 1960er-Jahren wurde der Begriff

„Coaching“ zunächst im Bereich des Sportsübernommen. Hier hat der Coach die Aufga-be, einen Sportler oder eine Sportlerin dabeizu unterstützen, Spitzenleistungen zu erbrin-gen. In diesem Kontext fungiert der Coachnicht als Trainer bspw. für körperliche Fitness,sondern thematisiert Einstellungen, Befürch-tungen, Ängste, Zweifel und Hoffnun gen. Eswerden also eher psychologische Themen be-arbeitet: Wie geht der Sportler oder die Sport-lerin mit Misserfolgen um? Was traut er odersie sich zu? Ist sie oder er davon überzeugt,erfolgreich zu sein, oder gibt es Zweifel anden eigenen Fähigkeiten?

In den 1980er-Jahren wurde dieser Ansatzauf den Bereich der Wirtschaft übertragen:Der Coach hat im beruflichen Kontext dieAufgabe, Führungskräfte, Projektleiter, Fach-experten, Mitarbeiter und Teams darin zu un-terstützen, effektiv ihre Ziele zu erreichen.Dies hängt damit zusammen, dass sich Unter-nehmen zusehend dann als erfolgreich erwei-sen, wenn sie sich nicht nur auf technischeInnovationen, sondern vermehrt auf die Ent-wicklung von Kompetenzen der Mitarbei -ter*innen fokussieren. Unternehmen habenbegriffen, dass es im sogenannten „Wissens-zeitalter“ wesentlich auf das Wissen und dieKompetenzen von Mitarbeiter*innen an-kommt. Dies bedingt eine andere Art vonFührung: weniger Anweisung und Kontrolle

1 Kersten Reich (2006): Konstruktivistische Didaktik

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Systemisches Coaching – Was ist das?

und ein Mehr an Unterstützung und „Coaching“der Mitarbeiter.

Mittlerweile boomt das „Coaching“ undder Begriff wird in vielfältigen anderen ge-sellschaftlichen Bereichen verwendet. Es gibtzahllose Coaches, die im beruflichen, aberebenso im persönlichen Kontext beraten.Dabei wird der Begriff „Coaching“ als Sam-melbegriff für unterschiedliche Beratungsme-thoden (Einzelcoaching, Teamcoaching, Projekt-coaching etc.) oft willkürlich und widersprüch-lich verwendet. So findet man heutzutage einnahezu unübersehbares Angebot von Mode-Coaches, Garten-Coaches, Color-Coaches(Farb beratung), Verkehrs-Coaches oder im eso -terischen Bereich bspw. Schamanen-Coaches.

Coaching als Form der BeratungCoaching stellt eine besondere Form der

Beratung dar. Es existieren vielfältige For-men der Beratung: Mediation, Training, Fort-bildung, Supervision, philosophische oder pa-storale Lebensberatung oder Mentoring. Undschließlich kann auch in Freundschaften einegute Beratung stattfinden. Dem Coaching ander Schule kommen das Konzept der Super-vision, das Mentoring und die Mediation amnächsten. Diese sollen deshalb kurz vorge-stellt werden.

SupervisionProzessexperten regen im beruflichen Kon-

text mit einem Klienten oder in einem Teamdie Reflexion des beruflichen Handelns anund entwickeln mit den Teilnehmer*innenLösungen für berufliche Frage stellungen oderKonflikte.

MentoringEin Experte mit einem großen Maß an Be-

rufserfahrung begleitet einen Berufsanfängerdurch seine ersten Berufsjahre. Dabei hilft erdem Berufsanfänger durch Rat und Unterstüt-zung.

MediationEin Mediator ermöglicht die allparteiliche

und ergebnisoffene Vermittlung zwischenzwei Konfliktparteien, die dann nachhaltigwirkt, wenn die gemeinsame Lösung einekonstruktive Win-win-Situation für beide Seitenbewirkt.

Coaching im Kontext des SystemsSchule

„Coaching“ ist also zu einem Modewortgeworden und sollte deshalb genauer defi-niert werden, damit es im Kontext von Schuleseriös praktiziert werden kann. Im wirtschaft-lichen Kontext wird Coaching als „professio-nelle Beratung, Begleitung und Unterstützungvon Personen mit Führungs-/Steuerungsfunk-tionen und von Experten in Unternehmen/Organisationen“ (Deutscher BundesverbandCoaching DBVC 2009)2 verstanden.

Björn Migge löst das Coaching aus demBereich der Wirtschaft und öffnet es für ande-re Lebensbereiche:

„Coaching ist eine gleichberechtigte, part-nerschaftliche Zusammenarbeit eines Prozess-beraters mit einem Klienten. Der Klient be-auftragt den Berater, ihm behilflich zu sein:bei einer Standortbestimmung, der Schärfungvon Zielen oder Visionen sowie beim Ent-wickeln von Problemlösungs- und Umsetzungs -strategien: Die Klienten sollen durch die ge-meinsame Arbeit an Klarheit, Handlungs- undBewältigungskompetenz gewinnen. Coachingist keine Wissenschaft, sondern eine hand-lungsorientierte hilfreiche Interaktion.“3

Für ein Coaching in der Schule ist eben-falls die Definition von Christopher Rauenhilfreich:

„Coaching ist ein interaktiver, personen-zentrierter Beratungs- und Begleitungspro-zess, der berufliche und private Inhalte um-fassen kann. Im Vordergrund steht die berufli-che Rolle bzw. damit zusammenhängende An-liegen des Gecoachten.“4

Demnach wird im Coaching eine Person imHinblick sowohl auf berufliche als auch aufprivate Fragestellungen beraten und begleitet.Im Fokus steht die berufliche Situation. ImRahmen der Institution Schule würde Coachingsomit zwar auch private Themen umfassen,wäre aber vornehmlich auf Aspekte des Le-bens, Lernens und Arbeitens im Kontext derSchule fokussiert. Lerncoaching als eine be-sondere Form des Coachings setzt an einemzentralen Interesse von Schüler*innen an, ihreLernstrategien zu verbessern und Lern- oderLeistungsblockaden zu lösen. Im Coachingkönnen aber ebenso Konflikte mit anderenSchüler*innen oder Lehrkräften thematisiert

2 Vgl. Eckard König / Gerda Volmer (2009), S. 12.3 Björn Migge (2005), S. 22.4 Christopher Rauen (2008), S. 3.

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Systemisches Coaching – Was ist das?

werden. Auch ein Coaching von Kolle g*in nenund Lehramtsanwärter*innen kann viele Be-reiche tangieren: Umgang mit schwie rigenKlassen oder Unterrichtsstörungen, Konflikteunter Kolleg*innen, Entwicklung von Strate-gien zum Stressabbau und vieles mehr. Esgibt also vielfältige Zusammenhänge, in denenin der Schule gecoacht werden kann. In demSchaubild werden einige mögliche Situationenund Themen von Coaching-Gesprächen auf-geführt.

Systemisches Coaching„Niemand ist eine Insel.“ Dies gilt auch

und besonders für die Personen, die in derSchule miteinander zu tun haben, da es sichhier um einen höchst interaktiven und kom-munikativen Mikrokosmos handelt. Es gibteine Vielzahl von offenen und verdeckten Re-geln, von Haltungen, von Interessen, Motivenund Bedürfnissen sowie von subjektiven Per-spektiven auf schultypische Situationen. Oftist auch eine starke Wechselwirkung von Per-

sonen aufeinander zu beobachten. Für Men-schen, die ein Coaching in Anspruch nehmen,ist der systemische Blick besonders lohnens-wert, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.

Das Verhalten eines sozialen Systems lässtsich gemäß der Systemtheorie nicht kausal(auf der Basis eines Ursache-Wirkungs-Den-kens) erklären. Vielmehr resultiert das sozialeSystem aus dem Zusammenwirken verschie-dener Faktoren wie bspw. den Handlungenund Einstellungen der für die Fragestellungwichtigen Personen, den im jeweiligen Sys-tem wirkenden sozialen Regeln oder die Um-welt des Systems. Anfang der 1990er-Jahrewurde die personale Systemtheorie im Kon-zept der systemischen Organisa tions beratungvon Eckard König und Gerda Vollmer ausge-führt und weiterentwickelt. Sie charakterisie-ren folgende Elemente als wichtige Merkmaleeines sozialen Systems:1. „Das Verhalten eines sozialen Systems ist

durch die einzelnen Personen beeinflusst.(…)

Coachingin derSchule

Schüler*innen• Fachliche Beratung• Lernberatung• Psychosoziale Beratung• Persönlichkeitsentwicklung• Motivation• Umgang mit Konflikten• Schullaufbahnberatung• Entwickeln beruflicher Perspektiven …

Kolleg*innen• Interkollegiale Beratung bspw. im Kontextvon Hospitationen oder Konflikten

• Umgang mit schwierigen Lerngruppen• Umgang mit Stress• Entwicklung neuer Perspektiven und Konzepte mithilfe eines SchulCoachs (auf individueller Ebene bis hin zur Schulentwicklung) …

Eine Beratung von Kolleg*innen durch Mitglieder der Schulleitung ist möglich, aber wegen des hierarchischen Verhältnissesnicht unproblematisch.

Lehramtsantwärter*innen Praktikant*innen• Personenorientierte Beratung mit Coaching-Elementen durch Kernseminarleiter*innen

• Expertenberatung (Mentoring) durch Ausbildungslehrer*innen

• Begleitung bei persönlicher Entwicklung durch coachingerfahrene Ausbildungslehrer*innen

Eltern• Erziehungsberatung• Konfliktgespräche …

LINKWeitere Informationen zur kollegialen Fallberatungund die Struktur des Ablaufs finden Sie auf S. 175 f.,und zur Beratung durch Schulleitungen auf Seite 156.

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Systemisches Coaching – Was ist das?

2. Das Verhalten eines sozialen Systems istdurch die ‚subjektiven Deutungen‘ der je-weiligen Personen beeinflusst. Die einzelnenPersonen reagieren nicht einfach auf Reize,sondern sie machen sich gedanklich einBild über die Wirklichkeit und handeln aufder Basis dieses Bildes. (…) Diese ‚subjek-tiven Deutungen‘ (das heißt die Gedanken,die sich eine Person über die Wirklichkeitmacht) bestimmen ihr Handeln. (…)

3. Das Verhalten eines sozialen Systems istdurch soziale Regeln bestimmt. Regelnsind Anweisungen, wer etwas tun soll, tundarf oder nicht tun darf. (…) Regeln können‚offiziell‘ oder ‚verdeckt‘ sein. (…)

4. Das Verhalten eines sozialen Systems istdurch immer wiederkehrende Verhaltens-muster, durch ‚Regelkreise‘ beeinflusst. Ausden jeweiligen subjektiven Deutungen undden sozialen Regeln entwickeln sich ineinem sozialen System immer wiederkeh-rende Verhaltensmuster (Regelkreise oderInteraktionsstrukturen). (…)

5. Das Verhalten eines sozialen Systems istvon der materiellen und sozialen Umweltbeeinflusst.“5

Das systemische Coaching kann somit alsUntersuchung der verschiedenen Facetten ei nessozialen Systems verstanden werden, das sichu. a. durch folgende Dimensionen auszeichnet(siehe Grafik):

Produktive Fragen und Impulse findenSie auf Seiten mit diesem Symbol

Durch Fragen Dimensionen des personalen Systems erschließenDie Analyse des sozialen Systems hilft dem

Coachee, seine Situation differenzierter zuverstehen. Hieraus ergeben sich produktiveImpulse und Fragen. Die folgende Liste sollIhnen als Coach erste Anregungen bieten:

Fragen / Impulseu zu den handelnden Personenu zu Bedürfnissen, Interessen der beteiligten

Personen u zu den subjektiven Deutungen der Personenu zu „Drittmeinungen“u zu möglichen Auswirkungen auf Dritteu zu ausgelösten Emotionen und Gedankenu zu inneren Haltungen und Überzeugungen

(Glaubenssätzen)u zu Vorbildernu zu den sozialen Regelnu zu immer wiederkehrenden Verhaltensmustern

(Regelkreise)u zur materiellen und sozialen Systemumwelt u zu Vergleichen, Metaphern, Symbolenu zur bisherigen Entwicklung (Vergangenheit) u zu früheren vergleichbaren Situationenu zu einer exemplarischen, ganz konkreten

Situationu zur gegenwärtigen Situation (Gegenwart)u zu zukünftigen Szenarien (Zukunft)u zu neuen Lösungen

Aspektedes systemischen

Coachings

wiederkehrendeVerhaltensmuster

soziale Regeln

materielle Umwelt

Systemgrenzen

subjektiveDeutungen

soziale Umwelt

wichtigePersonen

bisheriger Prozess

5 Eckard König/Gerda Volmer (2009), S. 20/21.

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Systemisches Coaching – Was ist das?

Exkurs:

SystemtheorieDie Systemtheorie ist eine entscheiden-

de Voraussetzung für das Coaching undhilft dem Coach, durch hilfreiche Impulsedie vielfältigen Dimensionen einer Frage -stellung zu erschließen. Die Systemtheorieist Ende der 1940er-, Anfang der 1950er-Jahre entstanden. Der Biologe Ludwig vonBertalanffy formuliert den Begriff der all-gemeinen Systemtheorie. Er spricht vonoffenen Systemen und entwickelt das Kon-zept der organisierten Komplexität, der dendynamischen Austausch eines Systems mitder Umwelt beschreiben soll. Seine Arbei-ten bilden zusammen mit der Kybernetikvon Norbert Wiener und W. Ross Ashby dieGrundlage des neuen systemischen Wissen-schaftsansatzes. Alfred Daniel Hall undRobert E. Fagen sehen die Systemtheorieals ein neues Modell der gesellschaftlichenWirklichkeit. Sie verdeutlichen dies an kom -munikativen Prozessen: Kommunikation istkein einseitiger Prozess, sondern ist ein„Regelkreis“: Beide Kommunikationspart-ner wirken wechselseitig aufeinander ein.Der Sender wirkt ebenso auf den Empfän-ger wie der Empfänger zugleich auf denSender wirkt. Somit wird zunehmend deut-lich, dass das vorher gängige lineare Ursa-che-Wirkungs-Denken zur Lösung komple-xer Probleme nicht ausreicht. Komplexe bio-logische oder soziale Prozesse lassen sichnicht einfach aus einer Ursache erklä ren,sondern es wirken verschiedene Fak torenwechselseitig aufeinander. So wurde diebiologische Systemtheorie von FredericVester entwickelt, für den unsere Welt „einvernetztes System“ ist.

Die soziologische Systemtheorie ver-steht sich als eine allgemeine Theorie, dieversucht, alle Formen des sozialen Zusam-menlebens in einer umfassenden und in sichstimmigen Theorie zu erklären. Der sozio-logische Systembegriff geht auf TalcottParsons zurück. Er betrachtet Handlungenals wichtige Elemente sozialer Systeme undprägt den Begriff der strukturfunktiona-listische Systemtheorie. Niklas Luhmannfokussiert seine Systemtheorie auf dieAnalyse der Kommunikation. Demnachweisen die Strukturen der Kommunikation

in weitgehend allen sozialen Systemenvergleichbare Formen auf. Luhmann cha-rakterisiert u. a. die Differenz zur Umweltals wesentliches Element seines Verständ-nisses von sozialen Systemen. So ergibtsich bspw. die Definition des Systems „Fa-milie“ nicht aus der Zahl der Personen,sondern durch die Abgrenzung gegenüberder Umwelt. Bestimmte Verhaltensweisensind auf die Familie begrenzt. Dies führtzu einer neuen Definition der Elementeeines sozialen Systems: Für Luhmann sindnicht die Personen die Elemente des Sys-tems, sondern die einzelnen Kommunika-tionsereignisse, die Personen werden derSystemumwelt zugeordnet. Das sozialeSystem „Familie“ besteht demnach nur ausKommunikationen. Die Menschen und dieBeziehungen zwischen Menschen treten inden Hintergrund. Dieser Ansatz ist hilf-reich, um die Kommunikation in Organisa-tionen differenziert zu erfassen und zu ana-lysieren. Aber der fehlende Fokus auf Per-sonen schränkt die Möglichkeit ein, dassdieser Ansatz produktive Impulse für dasCoaching geben kann, denn Coachingwendet sich in erster Linie an Personen.

Der Anthropologe Gregory Bateson hatin den 1950er-Jahren in Zusammenarbeitmit dem Psychiater John D. Jackson diefrüheren systemtheoretischen Ansätze umdie personale Dimension erweitert und zueiner Theorie sozialer Systeme weiterent-wickelt. Wegen dieser personalen System-theorie gilt Bateson heute als geistigerVater der systemischen Therapie und dessystemischen Coachings. Einer seinerSchüler ist der Therapeut und SchriftstellerPaul Watzlawick. Gemeinsam mit Janet H.Beavin und Don D. Jackson hat er 1969einer breiten Öffentlichkeit in dem Buch„Menschliche Kommunikation – Formen,Störungen, Paradoxien“ eine allgemeinver-ständliche Zusammenfassung von BatesonsSystemtheorie präsentiert. Angewandtwurde dieser Ansatz zunächst in der syste-mischen Familientherapie. Batesons sy-stemtheoretischer Ansatz beeinflusste we-sentlich die personale Systemtheorie vonEckard König und Gerda Volmer (vgl. S.17 f.) und bildet eine wichtige Grundlagefür das Neurolinguistische Programmieren(vgl. S. 59).

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Systemisches Coaching – Was ist das?

Coaching ist keine Psychotherapie!Die meisten Coaching-Methoden wurden

zwar im Kontext psychotherapeutischer Ver-fahren entwickelt, dass aber im Coachingkeine psychischen Krankheiten wie bspw.Angststörungen, narzisstische Persönlichkei-ten oder Borderline-Störungen geheilt werdenkönnen, liegt auf der Hand. Dafür ist einCoach nicht qualifiziert; es sei denn, er kannz. B. eine Ausbildung zum Psychotherapeutenvorweisen.

Allerdings sind die Grenzen zur Psychothe-rapie in der Praxis oft fließend. Im Kontextvon Schule kann der Coach bspw. auf Themenwie Mobbing, sexueller Missbrauch, Traumataoder Angststörungen treffen. Wenn der Coacheederartige Themen anspricht, bewegt sich derCoach in einer Grauzone und muss für sichselber eindeutig klären, wo seine Grenzen lie-

gen. Es ist jedoch nicht zwingend erforder-lich, das Coaching sofort abzubrechen: DerCoach sollte stattdessen seine Rolle darinsehen, den Coachee darin zu beraten, wie ersich an anderer und kompetenter Stelle Unter-stützung holen kann.

Es werden also keine Lösungsideen ent-wickelt, sondern Strategien entworfen, wound wie sich der Betroffene kompetente Hilfeholen kann. Der Coach kann somit zum wich-tigen Wegbegleiter für den Coachee werden,der möglicherweise im Coaching erstmalssein Problem offenbart. In derartigen Situa-tionen kommt dem Coaching eine wichtigeBrückenfunktion zu, weil der Coachee überdas Coaching einen Weg in psychotherapeuti-sche Behandlung finden kann.

Um Hilfe bei gravierenden psychischenProblemen oder Störungen zu erhalten, solltesich der Coachee an Psychi ater*innen oderPsychotherapeut*innen wenden oder der Coachden Kontakt zu diesen vermitteln.

Wenn im Verlaufe eines Coachings The-men angesprochen werden, die der ein oderandere mit Psychotherapie in Verbindungbringt, so erleben wir in unseren Fortbildun-gen manchmal Verunsicherung bei den Teil-nehmer*innen („Darf man über so etwassprechen?“). So kann es bspw. sein, dass demCoachee plötzlich ein Muster deutlich wird,das er aus seiner Kindheit übernommen hat o.Ä.. Wir möchten ermutigen, dem Coacheezuzutrauen, dass er sich soweit öffnet, wie esihm angemessen erscheint und dass er Er-kenntnisse aus allen Ebenen seines „Systems“zur Klärung seines Anliegens nutzt. Kurz:keine „Behandlung“ von Essstörungen, Neu-rosen und Co. – aber keine „Angst“ vor per-sönlichen Themen. Der Coach sollte jedochstets aufmerksam sein und darauf achten, ober nicht die Grenzen seiner Kompetenzen undQualifikation überschreitet.

Sowohl die Chancen als auch die Grenzendes Coachings werden im 9. Kapitel anhandzweier Beispiele abgehandelt. Im ersten Fallgeht es um einen Schüler, der gemobbt wird,im zweiten kommen schmerzhafte Kindheits-erinnerungen ans Licht. Außerdem finden Siedort eine differenzierte Darstellung diverserTherapieformen und der gesetzlichen Grund-lagen für therapeutische Interventionen.

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Systemisches Coaching – Was ist das?

Übung:

Wander-Coaching

Eine ärgerliche SituationTreffen Sie sich mit einer Kollegin oder

einem Kollegen an der Schule und nehmenSie sich ca. eine Stunde Zeit.1. Zuerst überlegt sich jede(r) für sich, wel-

che Situationen im beruflichen Kontextsie/ihn in der letzten Zeit besondersgeärgert haben. Jede(r) wählt eine Situa-tion aus, die sie/ihn besonders betroffengemacht hat und mit der sie/er sich nungenauer befassen will.Nehmen Sie sich jetzt etwas Zeit und er-innern Sie sich so genau wie möglich andie Situation.

2. Gehen Sie nun im Umfeld der Schulespazieren.Eine(r) übernimmt die Rolle des Coacheesund beschreibt die ärgerliche Situation. Der/Die Andere stellt als Coach Fragen,die dem Coachee helfen sollen, ein dif-ferenzierteres Bild von der Situation zubekommen.ACHTUNG: Tipps, Ratschläge, Mei-nungsäußerungen etc. sind „verboten“.Sie dürfen als Coach in dieser Übungnur Fragen stellen (z. B. Wie oft kommtso etwas im Alltag vor? Welches Be-dürfnis steht für dich dahinter? Wie siehtdas Herr Meier vermutlich?).

3. Nach 10 Minuten wechseln Sie die Rollen.4. Suchen Sie sich nun einen ruhigen

Raum und reflektieren Sie Ihre Erfah-rungen.Zuerst beschreibt der Coachee aus derersten Runde seine Gefühle und gibt sei-nem Coach ein Feedback:

u Habe ich mich angenommen gefühlt?u Wie produktiv habe ich die Fragen oder

Impulse des Coachs erlebt?

u Hat der Coach Ratschläge oder Tippserteilt?

u Wie habe ich das empfunden? …5. Anschließend stellt der Coach seine Be-

obachtungen und Gefühle vor:u Wie habe ich mich in der Rolle des

Coachs gefühlt?u Ist es mir leicht gefallen, produktive

Fragen oder Impulse zu geben?u Wollte ich Ratschläge erteilen oder habe

ich tatsächlich Ratschläge gegeben? …6. Dann beschreibt der Coachee aus der

zweiten Runde seine Gefühle und gibt sei-nem Coach ein Feedback. Anschließendstellt der Coach seine Beobachtungen undGefühle vor.

7. Werten Sie nun gemeinsam aus:u Was hat gut funktioniert?u Auf welche Schwierigkeiten ist jeweils

der Coach gestoßen?8. Konsequenzen:

Was nehmen Sie sich als Coach für Ihrnächstes Coaching vor?

SchwierigkeitenMögliche Schwierigkeiten wären bspw.: u Die Strukturierung des Gespräches war

schwierig.u Es fiel schwer, hilfreiche Fragen zu stellen

oder Impulse zu geben.u Der Coach wusste bereits sehr früh, was

„das wirkliche Thema“ des Coachees ist.u Der Coach war dominant und konnte

sich kaum zurücknehmen.u Der Coach wollte Ratschläge erteilen

oder Tipps geben.u Welche Konsequenzen ziehen Sie dar-

aus?

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Systemisches Coaching – Was ist das?

Bogen zur Selbstreflexion

Als Coachee (!) fand ich es hilfreich, als mein Coach …

Als Coachee (!) hat mich besonders gestört …

Das möchte ich als Coach vermeiden …

Als Coach finde ich besonders herausfordernd … /

Das möchte ich noch lernen …

FAZIT: Als Coach nehme ich mir vor …

Hilfreiche Fragen / Impulse für meine Sammlung:

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Systemisches Coaching – Was ist das?

Literatur-TippJudith Tolhurst (2012): Coaching und Mentoring für Lehrkräfte, Aulis Verlag in derStark Verlagsgesellschaft.

Dieses Buch bietet eine praxisorientierte Einführung, die sich explizit auf das Coachingin der Schule bezieht, und richtet sich dabei an alle Personengruppen, die an Schulen ar-beiten. Nach einer differenzierten Einführung in die Grundlagen des Coachings, die wich-tigsten Fertigkeiten und einer Beschreibung des Coaching-Prozesses werden wesentlicheAspekte der Entwicklung einer Coaching-Kultur an der Schule dargestellt. Es folgen Kapi-tel, in denen jeweils verschiedene Facetten der vielfältigen Coaching-Anlässe aufgegriffenund differenziert abgehandelt werden. Dass Buch enthält viele Fallstudien und praxistaug-liche Tipps. Es erschien 2010 erstmals in Großbritannien unter dem Titel „The EssentialGuide to Coaching and Mentoring – Practical Skills for Teachers“.

Ein Blick zurückuEin professionell durchgeführtes Coaching gibt Menschen wichtige Anregungen und Im-

pulse für die Lösung ihrer Fragen oder Erreichung ihrer Ziele. Da der Begriff nicht„geschützt“ ist, gibt es vielfältige Ausprägungen – hier hilft eine klare Informationüber das Angebot, das Sie machen.

uVerantwortlich für die Inhalte ist der Coachee. Er entscheidet, welche Themen er ein-bringen möchte und wo seine Prioritäten liegen. Der Gesprächsrahmen und die Ge-sprächsführung hingegen obliegen dem Coach. Er sorgt für die Struktur und die Lö-sungsorientierung. (Mehr hierzu im folgenden Kapitel.)

uEntscheidend für ein gelungenes Coaching ist die Haltung des Coachs. Diese zeichnetsich dadurch aus, dass der Coach davon überzeugt ist, dass der Coachee alle Ressourcendazu hat, selber eine Lösung zu finden.

uHierzu haben wir einige aus der Systemtheorie und dem Konstruktivismus abgeleiteteGrundannahmen (Welt- und Menschenbild) zusammengestellt.

uCoaching ist eine besondere Form der Beratung, die sich von anderen Beratungskonzeptenunterscheidet. Als Coach muss man sich stets über die Grenzen des Coachings bewusstsein: Coaching ist keine Psychotherapie!

uEs wurden Situationen im Kontext von Schule beschrieben, in denen unterschiedlichePersonen durch Coaching unterstützt werden können.

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