crowley, aleister - liber lege libellum

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    LiberCL

    DE LEGELIBELLUM

    L-L-L-L-L Aleister CrowleyVorwort:Das Gesetz

    Tu was du willst, soll sein das Ganze des Gesetzes.

    Mit redlichem Herzen komme her und lausche: denn ich, TO MEGATHERION, habe dieses Gesetz jedem gegeben, der sich heilig hlt. Ichbin es und kein anderer, der deine ganze Freiheit will, und das Aufgehendes vollen Wissens und der Macht in dir.

    Siehe! Das Knigreich Gottes ist in dir, ebenso wie die Sonne ewig amHimmel steht, sowohl um Mitternacht wie am Mittag. Sie geht nicht auf,noch geht sie unter; nur der Schatten der Erde ist es, der sie verbirgt,oder die Wolken auf ihrem Antlitz.

    La mich dir also dieses Mysterium des Gesetzes erklren, wie es miran verschiedenen Orten bekanntgegeben wurde, auf den Bergen und inden Wsten, aber auch in groen Stdten, und dieses sage ich, damitdu Trost und Mut darin findest. Und so sei es fr euch alle!

    Wisse zunchst, da aus dem Gesetz vier Strahlen oder Emanationenentspringen, so da, wenn das Gesetz das Zentrum deines eigenen

    Wesens ist, sie dich notwendigerweise mit ihrer geheimen Gte erfllenmssen. Und diese vier sind Licht, Liebe, Leben und Freiheit.

    Durch das Licht sollt ihr auf euch selbst blicken und alle Dingegewhren, die in Wahrheit nur ein Ding sind, dessen Name Kein Dinggenannt worden ist, aus einem Grunde, welcher euch spter erklrtwerden wird. Aber die Substanz des Lichtes ist Leben, da es ohneDasein und Kraft nichts wre. Durch das Leben seid ihr daher zu euchselbst gemacht, ewig und unzerstrbar, strahlend wie Sonnen, selbst-erschaffen und selbst-erhalten, jeder das einzige Zentrum desUniversums.

    Wie ihr nun durch das Licht wahrnehmt, so fhlt ihr durch die Liebe. Es

    gibt eine Ekstase reinen Wissens, und eine andere reiner Liebe, unddiese Liebe ist die Kraft, welche verschiedene Dinge vereinigt, damitman sie im Lichte ihrer Einheit betrachte. Wisse, da das Universumnicht in Ruhe ist, sondern in uerster Bewegung, deren Summe Ruheist. Und diese Erkenntnis, da Stabilitt Wechsel und Wechsel Stabilittist, da Sein Werden und Werden Sein ist, ist der Schlssel zumgoldenen Palaste dieses Gesetzes.

    Aus der Freiheit schlie lich kommt die Kraft, deine Bahn deinem Willengem zu lenken. Denn der Umfang des Universums ist ohne Grenzen,und ihr seid frei, euch nach eurem Willen Freude zu machen, da dochdie Mannigfaltigkeit des Daseins auch unendlich ist. Denn darin liegtebenfalls die Freude des Gesetzes, da nicht zwei Sterne gleich sind,

    und ihr msset auch begreifen, da diese Vielfltigkeit selbst Einheit ist,und ohne sie knnte Einheit nicht sein. Und dies ist ein harter Spruch frden Verstand: ihr sollt begreifen, da, wenn ihr euch ber den Verstanderhebt, welcher nur eine Tti keit des Gemtes darstellt, ihr zum reinen

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    Wissen durch unmittelbare Wahrnehmung der Wahrheit gelangt.

    Wisset auch, da diese vier Emanationen des Gesetzes auf allenPfaden leuchten: ihr sollt sie nicht nur auf den Hauptstraen desUniversums anwenden, von denen ich geschrieben habe, sondern auchauf jedem Nebenpfade eures tglichen Lebens.

    Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen.

    I. ber die Freiheit

    Von der Freiheit will ich euch zunchst schreiben, denn wenn ihr nichtfrei seid zu handeln, so knnt ihr nicht handeln. Dennoch mssen allevier Gaben des Gesetzes in gewissem Grade gebt werden, da diesevier eins sind. Aber fr den Strebenden, der zum Meister kommt, ist daserste, was er braucht, Freiheit.

    Die groe Fessel aller Fesseln ist Unwissenheit. Wie soll ein Mensch freihandeln knnen, wenn er nicht seine eigene Bestimmung kennt? Zuallererst mut du daher herausfinden, welcher Stern von allen Sternendu bist, deine Beziehung zu den anderen Sternen um dich herum, deineBeziehung zum Ganzen und deine Identitt mit ihm.

    In unseren heiligen Bchern sind verschiedene Mittel angegeben, wieman zu dieser Entdeckung gelangt, und jeder mu sie fr sich selbstmachen, indem er absolute berzeugung durch unmittelbare Erfahrungerlangt, nicht nur durch Vernnfteln und Berechnen von dem, waswahrscheinlich ist. Und einem jeden wird das Wissen seines endlichenWillens zukommen, durch welchen der eine ein Dichter, einer einProphet, einer ein Stahlarbeiter, ein anderer ein Steinarbeiter ist. Aber

    jedem sei auch das Wissen seines unendlichen Willens gegeben, seineBestimmung, das Groe Werk zu vollbringen, die Verwirklichung seineswahren Selbstes. Von diesem Willen lat mich daher deutlich sprechen,da er alle betrifft.

    Erkennt nun, da in euch eine gewisse Unzufriedenheit ist. Analysiertihre Natur gut: am Ende derselben liegt in jedem Falle die eineSchlufolgerung. Das Bse entspringt aus dem Glauben an zwei Dinge,an das Selbst und das Nicht-Selbst und den Zwiespalt zwischen ihnen.Auch dies ist eine Beschrnkung des Willens. Wer krank ist, ist imZwiespalt mit seinem eigenen Krper: wer arm ist, befindet sich inUneinigkeit mit der Gesellschaft; und so in allen andren Fllen. LetztenEndes besteht daher das Problem darin, wie diese Wahrnehmung der

    Dualitt zerstrt werden kann, um das Begreifen der Einheit zu erlangen.

    Nun lat uns annehmen, da ihr zum Meister gekommen seid, und daEr euch den Weg dieser Vollendung erklrt hat. Was hindert euch dann?Ach! Dann liegt viel der Freiheit noch immer in der Ferne.

    Versteht folgendes recht: wenn ihr eures Willens und eurer Mittel sicherseid, dann sind alle Gedanken und Handlungen, welche gegen dieseMittel sind, auch gegen diesen Willen. Wenn daher der Meister euch einGelbde heiligen Gehorsams abverlangen sollte, so ist ein Eingehendarauf nicht ein Aufgeben des Willens, sondern nur dessen Erfllung.

    Denn siehe, was hindert euch? Es kommt entweder von auen oder von

    innen, oder von beiden Seiten. Fr den Suchenden von starkem Geistemag es leicht sein, der ffentlichen Meinung zu trotzen, oder die Dinge,die er liebt, in gewissem Sinne aus seinem Herzen zu reien; aber eswerden noch viele zwies lti e Nei un en in ihm bleiben, wie auch die

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    Fesseln der Gewohnheit, und auch diese mu er besiegen. In unseremheiligsten Buche steht geschrieben: "Du hast kein Recht als das, deinenWillen zu tun. Tue diesen, und kein anderer soll nein sagen." Schreibt esauch in eure Herzen und in euer Hirn: denn dies ist der Schlssel derganzen Angelegenheit.

    Hier mag die Natur selbst euch predigen; denn in jedem Phnomen derKraft und der Bewegung verkndet sie laut diese Wahrheit. Selbst ineiner solchen Kleinigkeit, wenn ein Nagel in ein Brett geklopft wird,vernehmt diese selbe Predigt. Euer Nagel mu hart, glatt und spitz sein,sonst dringt er nicht schnell in der gewollten Richtung ein. Nun stellteuch einen Nagel aus Brennholz mit zwanzig Spitzen vor - wahrlich, erist kein Nagel mehr. Und dennoch sind fast alle Menschen ihm gleich.Sie begehren zehn verschiedene Laufbahnen; und die Kraft, dievielleicht ausgereicht htte, um in einer einzigen Bedeutung zu erlangen,wird auf die anderen verschwendet; sie sind gleich Null.

    Hier lat mich offen beichten und folgendes sagen: Obwohl ich mich fastschon im Knabenalter dem Groen Werke gelobte, obwohl mir die

    mchtigsten Krfte im ganzen Universum zu Hilfe kamen, um michdaran festzuhalten, obwohl mich die Gewohnheit selbst jetzt in dierichtige Bahn hineinzwingt, so habe ich dennoch meinen Willen nichterfllt: tglich wende ich mich von der festgelegten Arbeit ab. Ichschwanke. Ich stocke. Ich zaudere.

    Mag dies euch allen ein groer Trost sein, da, wenn ich sounvollkommen bin - und weil ich mich schmte, habe ich nicht mehrNachdruck auf diese Unvollkommenheit gelegt - wenn ich, der Erwhlte,noch versage, wie leicht ist es dann fr euch, ber mich hinauszugehen.Oder solltet ihr mir auch nur gleich werden, wie groe Vollendungwrdet ihr dann erlangen! Seid darum guten Mutes, da doch meinVersagen, sowohl als auch mein Erfolg, Grnde des Mutes fr euch

    sind.

    Ich bitte euch, erforscht euch aufs Genaueste und analysiert eureinnersten Gedanken. Und zuerst sollt ihr all die groben, deutlichsichtbaren Hemmungen fr euren Willen aufdecken; Trgheit, trichteFreundschaften, nutzlose Beschftigungen oder Vergngungen, ich willdie Verschwrer gegen die Wohlfahrt eures Staates nicht aufzhlen.

    Danach suchet das Minimum der tglichen Zeit, welche wirklich alsRuhe fr euer natrliches Leben notwendig ist. Die brige Zeit sollt ihrden wahren Mitteln eurer Vollendung widmen. Und sogar diesenotwendigen Stunden sollt ihr dem Groen Werke weihen, indem ihreuch allezeit whrend dieser Arbeiten bewut sagt, da ihr sie nur tut,

    um euren Krper und Geist gesund zu halten, zur rechten Anwendungfr jenes erhabene und einzige Ziel.

    Ihr werdet sehr bald zu der Einsicht kommen, da ein solches Lebenwahre Freiheit ist. Ablenkungen von eurem Willen werdet ihr als dasempfinden, was sie sind. Nicht lnger werden sie angenehm undanziehend erscheinen, sondern als Fesseln, als Schande. Und wenn ihrdiesen Punkt erreicht habt, so wisset, da ihr das mittlere Tor diesesWeges durchschritten habt. Denn ihr werdet euren Willen zur Einheitgebracht haben.

    Gerade so wrde ein Mensch, der in einem Theater sitzt, wo das Spielihn langweilt, jede Zerstreuung willkommen heien und an jedem Vorfall

    Vergngen finden; doch wre er mit ganzer Aufmerksamkeit beim Spiel,so wrde ihn jeder solche Zwischenfall verdrieen. Seine Einstellungdiesen e enber ist also ein Anzeichen seiner Einstellun dem S iel

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    selbst gegenber.

    Zuerst ist es schwierig, sich an Aufmerksamkeit zu gewhnen. Wenn duausharrst, wirst du periodisch krampfhafte Ablenkungen haben. DerVerstand selbst wird dich angreifen und sagen: Wie kann eine so starkeBindung der Pfad der Freiheit sein?

    Harre aus. Bisher hast du die Freiheit noch nicht gekannt. Sind dieVersuchungen berwunden, die Stimme des Verstandes zumSchweigen gebracht, dann wird deine Seele ungehindert vorwrtsstrmen auf ihrer erwhlten Bahn, und zum erstenmale wirst du dasunbndige Entzcken erfahren, Herr deines Selbstes zu sein und damitdes Universums.

    Ist dies ganz erreicht, sitzest du sicher im Sattel, dann kannst du auchjene Zerstreuungen genieen, die dich zuerst ergtzten und dannverdrossen. Von nun an werden sie nichts derartiges mehr tun; denn siesind deine Sklaven und Spielzeuge.

    Bis du nicht diesen Punkt erreicht hast, bist du nicht vollstndig frei. DieBegierde mut du tten, und die Furcht mut du tten. Das Ende von alldiesem ist die Macht, in bereinstimmung mit deiner eigenen Natur zuleben, ohne die Gefahr, da sich ein Teil zum Nachteile des Ganzenentwickelt, und ohne die Sorge zu haben, da Gefahr entstehen knnte.

    Der Trunkenbold trinkt und ist betrunken; der Feigling trinkt nicht undschaudert; der Weise, tapfer und frei, trinkt und gibt dem hchsten GotteEhre.

    Dies ist also das Gesetz der Freiheit; du besitzest alle Freiheit in deinereigenen Rechten, aber du mut das Recht durch Macht sttzen; deineFreiheit mut du dir in mancher Schlacht erringen. Wehe den Kindern,

    die in der Freiheit schlafen, die ihnen ihre Vorvter gewonnen haben!

    "Es gibt kein Gesetz, auer Tu was du willst"; aber nur die Grten derRasse sind es, die die Kraft und den Mut haben, ihm zu gehorchen.

    O Mensch, sieh dich selbst an! Mit wieviel Leiden wurdest du gestaltet!Wieviele Zeitalter sind nicht zu deiner Gestaltung dahingegangen! DieGeschichte des Planeten ist in die gesamte Substanz deines Gehirnsverwebt! War das alles umsonst? Ist kein Ziel in dir? Wurdest du sogeschaffen, damit du issest, dich vermehrst und stirbst? Denke dasnicht! Du verkrperst so viele Elemente, du bist die Frucht so vielerAeonen der Arbeit; so wie du bist und nicht anders, bist du zu einemgewaltigen Ziele gebildet.

    Spanne denn deine Nerven an, suche es und vollbringe es, nichts kanndich befriedigen, als die Erfllung deines erhabenen Willens, der in dirverborgen ist. Dafr also auf, zu den Waffen! Gewinne dir selbst deineFreiheit! Kmpfe kraftvoll!

    II. ber die Liebe

    Es steht geschrieben "Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen." Hierinliegt ein Arkanum verborgen, denn in der griechischen Sprache hatAGAPE, Liebe, denselben Zahlenwert wie THELEMA, Wille. Hieraus

    erkennen wir, da der Universale Wille seiner Natur nach Liebe ist. Nunist die Liebe das Entflammen in Ekstase von Zweien, die den Willenlieben, Eins zu werden. Somit ist es eine universale Formel hoherMa ie. Denn sieh hin, wie alle Din e, die durch Trennun in Leid

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    geraten sind, notwendigerweise Einheit als ihr Heilmittel wollen.

    Hier wacht auch die Natur ber diejenigen, welche an ihrer BrustWeisheit suchen; denn in der Vereinigung von Elementenentgegengesetzter Polaritt entsteht eine Strahlenpracht von Hitze, Lichtund Elektrizitt. So gewahren wir auch in der Menschheit die spirituelle

    Frucht der Poesie und allen Genies, die aus einem Samen entsteht, derin der Bewertung derjenigen, welche im philosophischen Denkengeschult sind, nichts als eine tierische Geste ist. Und es ist alsbedeutsam zu beachten, da die heftigsten und gttlichstenLeidenschaften zwischen Menschen von gnzlich unharmonischemWesen bestehen.

    Aber nun mchte ich, da ihr wit, da es im Geiste keine solchenBeschrnkungen in bezug auf die Spezies gibt, die einen Menschendavon abhalten knnten, sich in einen unbeseelten Gegenstand odereine Idee zu verlieben. Denn demjenigen, der in irgend einer Weise aufdem Wege der Meditation fortgeschritten ist, erscheinen alleGegenstnde, mit Ausnahme des Einen Gegenstandes, unangenehm,

    so wie vorher seine flchtigen Wnsche dem Willen. So mssen alsoalle Gegenstnde vom Geiste ergriffen und im siebenfachenSchmelzofen der Liebe erhitzt werden, bis da sie mit der Explosion derEkstase sich verbinden und verschwinden; denn da sie unvollkommensind, werden sie in der Schpfung der vollendeten Vereinigungvollkommen zerstrt, ebenso wie die Personen des Liebenden und derGeliebten in das geistige Gold der Liebe verschweit werden, die keinePersnlichkeit kennt, sondern alles umfat. Aber da jeder Stern nur einStern und das Zusammentreffen von zwei beliebigen nur eineeingeschrnkte Wonne ist, so mu der nach unserer heiligenWissenschaft und Kunst Strebende bestndig durch diese Methode derAssimilation von Ideen wachsen, damit er am Ende fhig werde, dasUniversum in einem Gedanken zu umfassen, sich mit der gesammelten

    Wucht seines Selbstes darauf zu strzen, und, sie beide zerstrend,jene Einheit zu werden, deren Name Kein Ding ist. Suchet euch alledaher bestndig in Entzcken mit jedem Dinge, das ist, zu vereinigen,und zwar durch hchste Leidenschaft und Lust nach Vereinigung. Zudiesem Zwecke nehmt hauptschlich solche Dinge, die von Natur ausabstoend sind. Denn das, was angenehm ist, wird leicht und ohneEkstase assimiliert; die Verwandlung des Ekelhaften und Abscheulichenin das Geliebte ist es, wodurch das Selbst bis auf die Wurzel in Liebeerschttert wird. Was sollen wir, die wir uns von allen niederen Gesetzenbefreit haben, nun tun, um unseren Willen zur Einheit zu befriedigen?Wir haben keine geringere Geliebte als das Universum! Bedenke, da,so wie die Liebe mchtig genug ist, alle Ekstase hervorzubringen, so ruftMangel an Liebe die grte Begierde hervor. Wer in der Liebe

    verschmht wird, leidet in der Tat, aber in wessen Herzen jeneLeidenschaft nach einem Dinge nicht lebendig ist, der wird geqult vomSchmerz der Begierde. Und dieser Zustand wird mystische "Trockenheit"genannt. Dagegen gibt es, so glaube ich, keine andere Heilung alsgeduldiges Ausharren in einer Regelung des Lebens.

    Indes hat diese Trockenheit ihre Tugend, weil dadurch die Seele vonden Dingen gereinigt wird, die den Willen behindern; denn wenn dieTrockenheit ganz vollkommen ist, dann ist es sicher, da die Seeledurch kein anderes Mittel befriedigt werden kann, als durch dieVollbringung des Groen Werkes. Und dies ist in starken Seelen einAnsporn fr den Willen. Der Ofen des Durstes ist es, der alle Schlackenin uns verbrennt.

    Aber jedem Willensakt entspricht eine besondere Art der Trockenheit;und in dem Mae, als die Liebe in dir zunimmt, wchst auch die Pein bei

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    ihrer Abwesenheit. Mag dir auch dies ein Trost in der Prfung sein! Jewilder brigens die Qual des Unvermgens ist, um so rascher undpltzlicher pflegt sie nachzulassen.

    Die Methode der Liebe in der Meditation ist wie folgt: Der Strebende besich zunchst und schule sich sodann in der Kunst, die Aufmerksamkeit

    nach seinem Willen auf irgend einen beliebigen Gegenstand zusammeln, ohne die denkbar geringste Abschweifung zu gestatten. Erbe auch die Kunst der Analyse von Ideen, sowie auch die, das Gemtan seiner natrlichen Reaktion auf dieselben zu hindern, sei sieangenehm oder unangenehm, wodurch er sich in Einfachheit undGleichmut festigt. Sind diese Dinge in der Flle ihrer Zeit vollbracht, sosollst du wissen, da alle Ideen fr deine Auffassung gleich gewordensein werden, insofern, als jede einfach und jede indifferent ist. Jedebeliebige bleibt gewollt im Gemt, ohne sich zu rhren oder sich zustruben, oder das Bestreben zu haben, in eine andere berzugeben.Aber jede Idee wird eine besondere Eigenschaft haben, die allengemeinsam ist: nmlich, da keine von ihnen das Selbst ist, da sie vomSelbst als etwas Entgegengesetztes wahrgenommen wird.

    Wenn dies vollstndig und grndlich verwirklicht ist, dann ist fr denStrebenden der Augenblick gekommen, seinen Willen zur Liebe daraufzu richten, so da sein ganzes Bewutsein im Brennpunkte dieser EinenIdee gesammelt wird. Und im Anfang ist sie vielleicht fest oder tot odernur leicht festgehalten. Dies geht dann vielleicht in Trockenheit oder inAbwehr ber. Dann wird schlielich durch reines Ausharren in jenemWillensakte zur Liebe die Liebe selbst entstehen, als Vogel, als Flamme,als Gesang, und die ganze Seele wird sich auf den feurigen Schwingender Musik zum hchsten Himmel des Besitzes erheben.

    Nun gibt es in dieser Methode viele Wege und Straen, einige einfachund direkt, andere verborgen und geheim, ebenso wie es mit der

    menschlichen Liebe ist, von der kein Mensch auch nur mehr als dieersten Skizzen zu einer Karte gemacht hat: denn die Liebe ist unendlichin ihrer Mannigfaltigkeit, wie die Sterne es sind. Aus diesem Grundeberlasse ich es der Liebe selbst, als Meister im Herzen eines jeden voneuch zu wohnen: denn sie wird euch recht lehren, wenn ihr nur mit Fleiund Verehrung ihr dient bis zur vollen Hingabe.

    Auch sollt ihr nicht an den seltsamen Streichen Ansto nehmen, die sieeuch spielen wird, noch euch darber wundern, denn sie ist einlaunischer Knabe und ausgelassen, erfahren in den Listen derAphrodite, unserer Herrin, ihrer holden Mutter; und alle ihre Scherze undGrausamkeiten sind Wrzen in einer Mischung, der keine Kunstgewachsen ist.

    Freuet euch daher an all ihrem Spiele, vermindert keineswegs eurenEifer, sondern erglht unter dem Antrieb ihrer Peitsche und macht selbstaus dem Lachen ein Sakrament, das der Liebe dient, so wie im Weinevon Rheims sowohl Gefunkel als Schrfe ist, als wren es Ministrantenfr den Hohenpriester ihres Rausches.

    Es ist auch notwendig, da ich euch von der Bedeutung der Reinheit inder Liebe schreibe. Zwar betrifft diese Sache in keiner Weise denGegenstand oder die Methode der bung; das Wesentliche ist aber das,da kein fremdes Element eindringe, und dies ist von hchsterWichtigkeit fr den Strebenden bei der anfnglichen und weltlichen Seiteseines Werkes, in dessen Methode er sich durch seine natrlichen

    Neigungen festigt.

    Denn wisse, da alle Din e Masken oder S mbole der Einen Wahrheit

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    sind, und die Natur ist allezeit dazu da, auf die hhere Vollendung unterdem Schleier der niederen Vollendung hinzuweisen. So soll denn alleKunst und List menschlicher Liebe dir als eine Hieroglyphe dienen; dennes steht geschrieben, Das, was oben ist, ist gleich dem, das unten ist;und Das, was unten ist, ist gleich dem, das oben ist.

    Deshalb geziemt es dir auch, dich wohl zu hten, da du nicht in irgendeiner Weise in dieser Frage der Reinheit versagst. Denn obgleich auchjede Handlung auf ihrer eigenen Ebene vollstndig sein mu und keinEinflu von irgend einer anderen Ebene dazwischentreten oder sichdamit vermischen soll, weil das alles Unreinheit ist, so sollte doch jederAkt in sich so vollstndig und vollkommen sein, da er ein Spiegel derVollendung jeder anderen Ebene ist und dadurch am reinen Lichte desHchsten teilnimmt. Da ferner auch alle Handlungen auf jeder EbeneHandlungen des Willens in Freiheit sein sollen, so sind alle Ebenen inWirklichkeit nur eine; und so soll der niedrigste Ausdruck irgend einerTtigkeit jenes Willens gleichzeitig ein Ausdruck des hchsten Willensoder des einzigen Wahren Willens sein, welcher bereits in der Annahmedes Gesetzes liegt.

    Verstehe auch recht, da es nicht ntig oder richtig ist, natrlicheTtigkeiten irgendwelcher Art auszuschalten, wie gewisse falschdenkende Leute, Eunuchen des Geistes, zur Vernichtung Vieler hchstunwrdig lehren. Denn jedem Dinge, was es auch sei, wohnt seinebesondere, ihm eigentmliche Vollendung inne, und dieVernachlssigung der vollen Auswirkung und Funktion irgend einesTeiles bringt Verzerrung und Degeneration fr das Ganze. Wirke daherauf alle Weise, aber verwandle die Wirkung aller dieser Wege in denEinen Weg des Willens. Und dies ist mglich, weil alle Wege in Wahrheitnur Ein Weg sind, das Universum ist in sich selbst Eines, und seinErscheinen als Mannigfaltigkeit ist die Hauptillusion, deren Vernichtunggerade das Ziel der Liebe ist.

    Im Werk der Liebe gibt es zwei Prinzipien, das des Bemeisterns und dasdes Nachgebens. Aber ihre Natur ist schwer zu erklren, denn sie sindzart und werden am besten im Laufe der Operationen von der Liebeselbst gelehrt. Es kann aber allgemein gesagt werden, da die Wahl dereinen oder der anderen Formel automatisch erfolgt, denn sie ist dasWerk jenes innersten Willens, der in euch lebendig ist. Sucht also nicht,diese Entscheidung bewut herbeizurufen, denn hierin kann der wahreInstinkt nicht irren. Nun aber schliee ich, ohne weitere Worte; denn inunseren heiligen Bchern sind viele Einzelheiten der wirklichen Werkeder Liebe geschrieben. Und diejenigen sind die besten und wahrsten,welche am feinsten in Symbol und Bild geschrieben sind, besonders inTragdie und Komdie, denn die ganze Natur dieser Dinge ist dieser Art;

    das Leben selbst ist nur die Frucht der Blume der Liebe.

    Darum mu ich euch notwendigerweise jetzt vom Leben schreiben,angesichts der Tatsache, da ihr es durch einen jeden Willensakt in derLiebe erschafft; eine geheimnisvollere und freudvollere Quintessenz, alsihr erahnt; denn das, was die Menschen Leben nennen, ist nur derSchatten jenes wahren Lebens, eures Geburtsrechtes, und die Gabedes Gesetzes von Thelema.

    III. ber das Leben

    Systole (Zusammenziehung des Herzens) und Diastole (Ausdehnungdes Herzens), das sind die Phasen aller zusammengesetzten Dinge.Dazu gehrt auch das Leben des Menschen. Seine Kurve steigt aus derVerbor enheit des befruchteten Eies, sa t ihr, zu einem Zenit em or,

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    von wo es zum Nichts des Todes herabsinkt? Recht betrachtet ist dasnicht ganz wahr. Das Leben des Menschen ist nur ein Abschnitt einerSerpentinenkurve, die bis in die Unendlichkeit reicht, und seineNullpunkte bedeuten nur die bergnge vom Plus zum Minus und vomMinus zum Plus, den Koeffizienten seiner Gleichung. Dies ist einer vonvielen Grnden, warum weise Mnner in alten Zeiten die Schlange als

    Hieroglyphe des Lebens whlten.

    Das Leben also ist unzerstrbar, wie alles andere. Alle Zerstrung undaller Aufbau sind Vernderungen in der Natur der Liebe, wie ich es euchin dem unmittelbar vorhergehenden Kapitel geschrieben habe. Aber wiedas Blut in dem einen Pulsschlag des Handgelenks nicht dasselbe Blutist wie im nchsten, so wird die Individualitt teilweise zerstrt beimAufhren eines jeden Lebens, ja, sogar mit jedem Gedanken.

    Was macht dann den Menschen aus, wenn er stirbt und mit jedemAtemzuge als Wechselbalg wiedergeboren wird? Es ist dies dasBewutsein der Fortdauer, das durch das Gedchtnis gegeben wird; dieVorstellung seines Selbstes als etwas, dessen Existenz, weit entfernt

    durch diese Vernderungen bedroht zu sein, in Wahrheit dadurchgesichert ist. Der Aspirant der heiligen Weisheit betrachte also seinSelbst nicht lnger als einen Teil der Schlange, sondern als die ganzeSchlange. Er dehne sein Bewutsein so weit aus, da er sowohl Geburtals auch Tod als belanglose Ereignisse anschaut, wie es dieZusammenziehung und Ausdehnung des Herzens sind, und notwendigwie diese zu dessen Funktion. Um den Geist in dieser Auffassung desLebens zu festigen, werden zwei Verfahren bevorzugt, als Vorbedingungzu den greren Ausfhrungen, die in ihrer richtigen Reihenfolge zubesprechen sind, Erfahrungen, die selbst ber jene Vollendungen in derFreiheit und der Liebe hinausgehen, von denen ich bislang geschriebenhabe, sowie ber die des Lebens, die ich jetzt in dieses kleine Bucheintrage, das ich fr euch schreibe, auf da ihr zur groen Erfllung

    kommen mget.

    Die erste Methode ist die Erwerbung des sogenannten magischenGedchtnisses, und die Mittel dazu werden mit Genauigkeit und Klarheitin gewissen unserer heiligen Bcher beschrieben. Aber dies erweist sichfr fast alle Menschen als eine bung von auerordentlicherSchwierigkeit. Der Strebende folge daher dem Impuls seines EigenenWillens in der Entscheidung, ob er dies whlt oder nicht.

    Das zweite Verfahren ist leicht, angenehm, nicht langweilig und amEnde so sicher wie das andere. Wie aber der Weg des Irrtums beimersteren in der Entmutigung liegt, so mt ihr euch beim letzteren vorIrrwegen hten. Ich kann tatschlich allgemein von allen Werken sagen,

    da zwei Gefahren bestehen, das Hindernis des Fehlschlages und dieFalle des Erfolges.

    Nun besteht diese zweite Methode darin, da ihr die Dinge, welche euerLeben ausmachen, absondert. Zuerst, weil es am leichtesten ist, solltetihr jene Form, welche der Lichtkrper (aber auch mit vielen anderenNamen) genannt wird, absondern und euch bereit machen, in dieserForm zu reisen, indem ihr systematische Entdeckungsreisen in jeneWelten macht, die in bezug auf andere materielle Dinge das sind, waseuer eigener Lichtkrper fr eure eigene materielle Form ist.

    Nun wird es euch auf diesen Reisen begegnen, da ihr zu vielen Torenkommt, die zu passieren ihr nicht imstande seid. Das kommt daher, da

    euer Lichtkrper bislang noch nicht stark genug, oder fein genug, oderrein genug ist; dann mt ihr lernen, die Elemente jenes Krpers durcheinen dem ersten hnlichen Proze zu trennen, indem euer Bewutsein

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    im Hheren verbleibt und das Niedere verlt. Fahrt in dieser bungfort, spannt euren Willen wie einen groen Bogen, um den Pfeil euresBewutseins durch die immer hheren und immer heiligeren Himmel zutreiben. Aber das Beharren auf diesem Wege ist an sich vonwesentlichem Wert; denn dann wird die Gewohnheit selbst euchberzeugen, da der Krper, der innerhalb eines so kleinen Zeitraums

    wie ein Umlauf des Neptun durch den Tierkreis geboren wird und stirbt,kein wesentlicher Teil eures Selbstes ist; da das Leben, an dem ihreinen Anteil gewonnen habt, whrend es dem Gesetze von Aktion undReaktion, von Ebbe und Flut, Systole und Diastole unterworfen ist, dochfr die Schmerzen jenes Lebens unerreichbar ist, das ihr vorher fr eureeinzige Verbindung mit dem Dasein gehalten habt. Und hier mt ihreuer Selbst zu dem Entschlusse bringen, da es die mchtigstenAnstrengungen macht; denn so blumenreich sind die Wiesen diesesEdens und so s die Frchte seiner Grten, da ihr euch sehnt, dort zuverweilen und eure Freude am Nichtstun und am Tndeln zu nehmen.Deshalb schreibe ich euch nachdrcklich, da ihr damit nicht eurenwahren Fortschritt hindern solltet, weil alle diese Freuden auf derDualitt beruhen, so da ihr wahrer Name Leid der Illusion ist, gleich

    dem normalen Leben des Menschen, ber das hinauszugehen ihr euchanschicktet.

    So geschehe es nach eurem Willen; doch lernt noch dies, da (wie esgeschrieben steht) nur diejenigen glcklich sind, die das Unerreichbarebegehrt haben. Letzten Endes ist es dann das Beste, wenn es euer Willeist, immer eure Hauptfreude in der Liebe zu finden, in der Eroberung undim Tode, das heit in dem Sich-Ergeben, wie ich euch bereitsgeschrieben habe.

    So also sollt ihr euch an diesen oben genannten Freuden erfreuen, abernur als ein Spielzeug, und sollt eure Mnnlichkeit fest und khn erhalten,um zu tieferen und heiligeren Ekstasen vorzudringen, ohne den Willen

    aufzuhalten.

    Ferner mchte ich, da ihr wit, da in dieser bung, wenn sie mitunbesiegbarer Inbrunst fortgesetzt wird, die besondere Gnade liegt, daihr sozusagen durch Glck in Zustnde hineinkommt, welche ber diebung selbst hinausgehen, denn sie gehren ihrer Natur nach zu jenemWerke reinen Lichtes, von dem ich euch im folgenden Kapitel schreibenwill. Denn es gibt gewisse Tore, welche kein Wesen durchschreiten darf,das noch im Bewutsein der Teilung lebt, das heit, des Selbsts unddes Nicht-Selbst als Gegenstze, und bei der Erstrmung dieser Toredurch feurigen Angriff himmlischer Begierde wird eure Flamme heftiggegen euer grobes Selbst schlagen, obwohl es bereits ber eure jetzigeVorstellung hinaus gttlich sein mag, und wird es in einem mystischen

    Tode verzehren, so da beim Passieren des Tores alles in formlosesLicht der Einheit aufgelst wird. Wenn ihr nun von diesenBewutseinszustnden zurckkehrt - und in der Rckkehr liegt ebenfallsein Mysterium der Freude! - werdet ihr von der Milch der Finsternis desMondes entwhnt und zu einem Teilnehmer am Sakrament des Weinesgemacht werden, welcher das Blut der Sonne ist. Doch gibt es zunchstvielleicht Erschtterung und Kampf; denn der alte Gedanke bleibthartnckig bestehen, infolge der Kraft seiner Gewohnheit. An euch istes, durch wiederholte Handlungen die wahre rechte Gewohnheit diesesBewutseins des Lebens zu schaffen, welches im Lichte wohnt, und dasist leicht, wenn euer Wille stark ist; denn das wahre Leben ist um so vielmehr lebenskrftig und wesentlicher als das falsche, da (nachoberflchlicher Schtzung) eine Stunde des ersteren einen eben solchen

    Eindruck auf das Gedchtnis macht wie ein Jahr des letzteren. Eineeinzige Erfahrung, mag sie in der Zeitdauer nur wenige Sekundenunserer irdischen Zeit in Ans ruch nehmen, en t, um den Glauben an

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    die Wirklichkeit unseres eitlen Lebens auf Erden zu zerstren. Aber dasverschwindet allmhlich wieder, wenn das Bewutsein infolge derErschtterung oder Furcht nicht daran festhlt und der Wille nichtunausgesetzt nach der Wiederholung dieser Wonne ringt, die schnerund furchtbarer als der Tod ist, und die sie durch die Kraft der Liebeerrungen hat.

    Es gibt auerdem viele andere Methoden, um zum Verstehen deswahren Lebens zu gelangen, und die folgenden beiden sind sehrwertvoll, um das Eis eures menschlichen Irrtums in der Vision euresWesens zu zerbrechen. Und die erste davon ist die bestndigeBetrachtung der Identitt von Liebe und Tod und die Erkenntnis derAuflsung des Krpers als einem Akt der Liebe auf dem Leib desUniversums, wie es auch ausfhrlich in unseren heiligen Bcherngeschrieben steht. Und damit vereint geht, gewissermaen wie dieSchwester mit ihrem Zwillingsbruder, die bung sterblicher Liebe als einSakrament, das fr diesen groen Tod symbolisch ist; wie geschriebensteht: "Tte dich selbst", und wiederum: "Stirb tglich".

    Und die zweite dieser untergeordneten Methoden besteht in der bungmentaler Vorstellungen und der Analyse von Ideen, hauptschlich so,wie ich es euch bereits gelehrt habe, aber mit besonderer Betonung derWahl solcher Gegenstnde, welche von Natur abstoend sind,besonders des Todes selbst und der ihn begleitenden Phnomene. Soforderte der Buddha seine Jnger auf, ber die Zehn Unreinheiten zumeditieren, das heit, ber zehn Flle des Todes durch Zersetzung, soda der Strebende durch Identifizierung seines eigenen Leichnams mitallen diesen vorgestellten Formen den natrlichen Abscheu, Ekel, Furchtund Widerwillen, die er vielleicht dafr gehabt hat, verliert. Wisse, dajeder Gedanke jeder Art unwirklich, phantastisch und offenbarste Illusionwird, wenn er durch Konzentration der beharrlichen Untersuchungunterzogen wird. Und dies ist besonders leicht bei allen krperlichen

    Eindrcken zu erlangen, weil alle materiellen Dinge, und besonders die,derer wir uns zuerst bewut werden, nmlich unsere eigenen Krper, diegrbsten und unnatrlichsten aller Tuschungen sind. Denn in uns allenliegt latent das Licht verborgen, vor dem kein Irrtum bestehen kann, undes lehrt schon unseren Instinkt, zunchst all die Schleier auszuscheiden,die am engsten darum geschlungen sind. So ist es auch in derMeditation fr viele am ntzlichsten, den Willen der Liebe auf dieheiligen Zentren der Nervenkraft zu konzentrieren; denn sie, wie alleDinge, sind geeignete Bilder oder wahre Reflexe ihrer Ebenbilder infeineren Sphren; so da, wenn ihre grobe Natur durch die auflsendeSchrfe der Meditation zerstrt ist, ihre feineren Seelen sozusagen nackterscheinen und ihre Kraft und Glorie im Bewutsein des Strebendenentfalten.

    Ja, wahrlich, lat euren Willen zur Liebe entbrennen, hin zu dieserSchpfung des wahren Lebens in euch selbst, das seine Wogen berdas uferlose Meer der Zeit dahinrollt! Lebt nicht euer kleinliches Leben inFurcht vor der Zeit! Der Mond und die Sonne und die Sterne, durch dieihr die Zeit messet, sind selbst nur Diener des Lebens, das in euchpulsiert, ein frhlicher Trommelschlag, bei dem ihr triumphierend auf derStrae der Zeitalter dahinschreitet. Wenn erst jede eurer Geburten undjeder Tod in dieser Vorstellung als bloe Meilensteine auf eurem ewiglebendigen Wege erkannt sind, was sind dann die trichten Ereignisseeurer armseligen Leben? Sind sie nicht Sandkrner, die der Wstenwindumherweht, oder Kiesel, die ihr mit euren beflgelten Fen fortstot,oder grasige Vertiefungen, auf deren weichem, elastischem Torf und

    Moos ihr lyrische Tnze auffhrt? Den, der im Leben lebt, berhrt nichts;er ist ewige Bewegung, Kraft, Freude am immerwhrenden Wechsel.Unermdlich wandert ihr von Aeon zu Aeon, von Stern zu Stern, das

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    Universum euer Tummelplatz, die unendliche Mannigfaltigkeit seinesSpiels immer alt und immer neu. Alle Ideen, die Furcht und Leiderzeugen, werden als das erkannt, was sie sind, und werden so zumSamen der Freude; denn ber allen Zweifel hinaus ist es doch gewi,da ihr niemals sterben knnt; da, wenn ihr euch verndert, dieVernderung ein Teil eurer eigenen Natur ist: der Groe Feind ist zum

    Groen Verbndeten geworden.

    Und nun, in dieser Vollendung wurzelnd, euer Selbst der Baum desLebens selbst geworden, habt ihr eine Sttze fr euren Hebel; ihr seidimstande zu erkennen, da dies Pulsieren der Einheit an sich Zweiheitist und daher, im hchsten und heiligsten Sinn, immer noch Leid undIllusion. Wenn ihr dies begriffen habt, strebt weiter, bis zur vierten derGaben des Gesetzes, zum Ende des Pfades, ja, bis zum Licht!

    IV. ber das Licht

    Ich bitte euch, habt Geduld mit mir bei dem, was ich ber das Lichtschreiben werde; denn hier besteht eine stndige, wachsendeSchwierigkeit im Gebrauch der Worte. Zudem werde ich selbstfortwhrend durch die Erhabenheit des Gegenstandes fortgerissen undberwltigt, so da die einfache Sprache vielleicht in Lyrik dahinstrmt,whrend ich mich doch friedlich mit didaktischen Ausdrcken abmhenmchte. Meine einzige Hoffnung ist, da ihr vermge der Sympathieeurer Intuition versteht, wie Liebende sich in einer Sprache unterhaltenknnen, die anderen ebenso unverstndlich wie albern, lcherlich unddumm erscheint; oder wie in jenem anderen Rausch, den der Aethererzeugt, die Teilnehmer sich mit unendlichem Witz oder mit Weisheit, jenachdem die Stimmung es ihnen eingibt, sich durch ein Wort oder eineGeste verstndigen, da sie durch die Feinheit des Narkotikums zu

    unmittelbarem Verstndnis gefhrt werden. Mge auch ich, der ich vonder Liebe zu diesem Lichte entflammt und vom therischen Weinedieses Lichtes berauscht bin, nicht so sehr mit eurem Verstand undeurer Intelligenz verbunden sein, als mit dem in euch verborgenenPrinzip, das bereit ist, mit mir daran teilzunehmen. Ebenso knnen Mannund Frau vor Liebe auer sich sein, ohne da ein Wort zwischen ihnengesprochen wird, sozusagen durch die Induktion ihrer Seelen. Und eureErkenntnis wird von der Reife fr das Verstndnis meiner Wahrheitabhngen. Wenn brigens das Licht in euch bereit ist, hervorzubrechen,dann wird das Licht diese dunklen Worte euch in der Sprache desLichtes deuten, so wie eine richtig gespannte Saite ihrem besonderenTone entsprechend schwingt, wenn dieser auf einer anderen Saiteangeschlagen wird. Lest daher nicht nur mit dem Auge und dem Gehirn,

    sondern mit dem Rhythmus jenes Lebens, das ihr durch euren Willenzur Liebe erlangt habt, und das bis zum Tanzrhythmus durch dieseWorte beschleunigt wird, welche die Bewegungen des Stabes meinesWillens der Liebe darstellen und so euer Leben zum Lichte entznden.

    [In dieser Stimmung unterbrach ich mich beim Schreiben dieses kleinenBuches und habe zwei Tage und zwei Nchte lang schlaflosBetrachtungen angestellt und leidenschaftlich mit meinem Geistegerungen, damit ich nicht etwa durch Hast oder Unachtsamkeit euchgegenber etwas versumen mchte.]

    Mit der Ausbung von Wille und Liebe sind Bewegung und Wechselverbunden, aber im Leben wird eine Einheit erlangt, die sich nun im Puls

    oder in der Phase bewegt und der Musik gleich ist. Doch werdet ihrbereits in der Erlangung dieses Lebens erfahren haben, da dessenQuintessenz reines Licht ist, eine formlose Ekstase und ohne Grenzeoder Kennzeichen. In diesem Lichte hat nichts ein Dasein, denn es ist

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    gleichartig; und daher haben es die Menschen Schweigen, Finsternisund Nichts genannt. Aber darin, wie in jeder anderen Bemhung, es zubenennen, liegt die Wurzel alles Falschen und allen Miverstndnisses,da alle Worte eine Dualitt enthalten. Wenngleich ich es daher Lichtnenne, so ist es doch nicht Licht, noch die Abwesenheit von Licht. Vielehaben auch versucht, es durch Gegenstze zu beschreiben, da es von

    einigen Naturen durch erhabenes Verneinen aller Rede erreicht werdenkann. Die Menschen haben sich auch bemht, es durch Bilder undSymbole auszudrcken; aber allezeit vergebens. Dennoch sinddiejenigen, die reif waren, die Natur dieses Lichtes zu begreifen, durchSympathie zur Erkenntnis dahin gekommen; und so soll es mit euchsein, die ihr dieses kleine Buch lest und es liebt. Wit jedoch, da diebeste Belehrung hierfr, und das fr das Aeon des Horus am bestengeeignete Wort, im Buche des Gesetzes geschrieben steht. Immerhin istauch das Buch Ararita sehr wertvoll im Werke des Lichtes, wie dasTrigrammaton in dem des Willens, das Cordis Cincti Serpente fr denWeg der Liebe, und Liberi fr den des Lebens. Alle diese Bcherbeziehen sich auch auf diese vier Gaben, denn schlielich werdet ihrsehen, da jedes einzige untrennbar vom anderen ist.

    Ich mchte fr euch noch ber die Zahl 93, die Zahl von THELEMAschreiben. Denn es ist nicht allein die Zahl seiner Ausdeutung alsAGAPE, sondern auch die eines euch unbekannten Wortes, wenn ihrnicht Neophyten unseres Heiligen Ordens des A.'.A.'. seid, welches Wortin sich das Entstehen der Sprache aus dem Schweigen und am Endedie Rckkehr dorthin darstellt. Nun ist diese Zahl 93 dreimal 31, welcheZahl im Hebrischen LA bedeutet, und das heit NICHT, und auf dieseWeise leugnet es die Ausdehnung auf die drei Dimensionen desRaumes. Ferner mchte ich, da ihr so intensiv wie mglich ber denNamen NU, der 56 ist, meditiert, welche Zahl wir, wie uns gesagt wird,zu dividieren, zu addieren, zu multiplizieren und zu erkennen haben.Durch Division kommt 0,12 heraus, als stnde da geschrieben Nuith!

    Hadith! Ra-Hoor-Khuit! vor der Dyade. Durch Addition entsteht Elf, dieZahl der Wahren Magie; und durch Multiplikation Dreihundert, die Zahldes heiligen Geistes oder des Feuers, der Buchstabe Schin, in dem alleDinge vollkommen verzehrt werden. Mit diesen Erwgungen und einervollen Erkenntnis der Mysterien der Zahlen 666 und 418 werdet ihr frdiesen Pfad des fernen Fluges mchtig ausgerstet sein. Aber ihr solltetauch alle Zahlen in ihren Maen betrachten. Denn es gibt keine bessereLsung als die durch die reine Mathematik, da hierin bereits grobe Ideenverfeinert werden, und alles angeordnet und bereit ist fr die Alchemiedes Groen Werkes.

    Ich habe euch bereits davon geschrieben, wie im Willen zur Liebe dasLicht als der geheime Teil des Lebens aufsteigt. Und in den ersten, den

    kleinen Lieben, ist das erreichte Licht noch persnlich; spter wird esunpersnlich und universal. Dann ist der Wille, wenn ich so sagen darf,an seinem magnetischen Pole angelangt, von wo aus die Kraftlinienberall und nirgendwo hindeuten; und die Liebe ist nicht lnger eineHandlung, sondern ein Zustand.

    Diese Eigenschaften sind ein Teil des universalen Lebens geworden,welches, mit der Freude am Willen und der darin inbegriffenen Liebe bisin die Unendlichkeit weitergeht. Diese Dinge haben daher, wenn sievollendet sind, ihren Namen und ihre Natur verloren. Und doch warensie die Substanz des Lebens, sein Vater und seine Mutter; und ohne ihrWirken und ihren Antrieb hrt der Puls des Lebens allmhlich auf zuschlagen. Da aber die unendliche Energie des gesamten Universums

    darin enthalten ist, was ist dann anderes mglich, als da es zu seinerersten Absicht zurckkehrt und sich nach und nach in jenes Licht auflst,das seine eheimste und feinste Natur ist? Denn dieses Universum ist in

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    Wahrheit gleich Null, denn es ist eine Gleichung, deren Summe Null ist.Der Beweis dafr liegt darin, da, wenn dem nicht so wre, es sich nichtim Gleichgewicht befnde, und es wre etwas aus Nichts entstanden,was absurd ist. Dieses Licht oder Nichts ist also die Resultante oder dieSumme davon in reiner Vollendung; und alle anderen Zustnde, seiensie positiv oder negativ, sind unvollkommen, da sie ihre Gegenstze

    nicht einschlieen.

    Gleichwohl mchte ich, da ihr bedenkt, da diese Gleichheit oderIdentitt des Ausgleichs zwischen allen Dingen und KEINEM Dingschlechthin absolut ist, so da ihr ebensowenig bei dem einen verbleibt,wie ihr es bei dem anderen tatet. Und ihr werdet dieses grteMysterium sehr leicht im Lichte jener anderen Erfahrungen begreifen,derer ihr euch erfreut haben werdet, in denen Bewegung und Ruhe,Wechsel und Stabilitt und viele andere tiefe Gegenstze durch die Krafteurer heiligen Meditation zur Erkenntnis ihrer Identitt gekommen underlst worden sind.

    Das Grte, was das Gesetz gibt, entspringt also aus der

    vollkommensten Anwendung der drei kleineren Gaben. Und so grndlichmt ihr euch bei diesem Werke mhen, da ihr imstande seid, beliebigvon einer Seite der Gleichung zur anderen berzugehen; ja, sogar dasGanze sofort und fr immer zu begreifen. So, soll dann eure zeit- undraumgebundene Seele ihrer Natur gem in ihrer Bahn wandern unddas Gesetz denjenigen enthllen, die in Ketten gehen, denn dies ist euerbesonderes Amt.

    Hier ist nun das Mysterium vom Ursprunge des Bsen. Erstensverstehen wir unter dem Bsen das, was im Gegensatz zu unseremeigenen Willen steht; daher ist es eine relative und nicht eine absoluteBezeichnung. Denn was das grte bel fr den einen ist, ist das grteGut fr den anderen, gerade wie die Hrte des Holzes, das den

    Holzfller mde macht, dem zur Sicherheit wird, der sich in einem ausdiesem Holze gebauten Schiffe aufs Meer wagt. Und dies ist eineWahrheit, die leicht zu begreifen ist, weil sie oberflchlich und demgemeinen Verstande verstndlich ist.

    Alles Bse ist daher relativ oder scheinbar oder illusorisch. Um aber zurPhilosophie zurckzukehren, mchte ich wiederholen, da ihre Wurzelimmer in der Dualitt liegt. Deshalb besteht das Entkommen aus diesemscheinbaren Bsen darin, da man die Einheit sucht, was ihr so tun sollt,wie ich es euch bereits gezeigt habe. Nun aber will ich das erwhnen,was im Buch des Gesetzes darber geschrieben steht.

    Da der erste Schritt der Wille ist, so erscheint in dieser Definition das

    Bse als "alles, was die Ausfhrung dieses Willens hindert". Deshalbsteht geschrieben: "Das Wort der Snde ist Beschrnkung." Es sollteauch beachtet werden, da im Buch der 30 Aethyre das Bse alsChoronzon erscheint, dessen Zahl 333 ist, was im GriechischenUnvermgen und Trgheit bedeutet; und die Natur von Choronzon istZerstreuung und Zusammenhanglosigkeit.

    Schlielich erscheint auf dem Wege der Liebe das Bse als "alles das,was dazu neigt, die Vereinigung zweier Dinge zu verhindern". So sagtdas Buch des Gesetzes mit dem Bilde der Stimme Nuits: "Nimm deineFlle und deinen Willen der Liebe, wie du willst, wann, wo, und mit wemdu willst! Aber immer zu mir." Denn jeder Liebesakt mu "unter Willen"stehen, das heit, sich in bereinstimmung mit dem Wahren Willen

    befinden, was nicht darin besteht, da man sich mit einzelnen undvergnglichen Dingen begngt, sondern fest bis ans Ende weitergeht.So sind auch im Buche der 30 Aeth re die Schwarzen Brder

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    diejenigen, die sich abschlieen, weil sie sich nicht durch Liebe auflsenwollen. Drittens erscheint im Wege des Lebens das Bse in einerfeineren Form als "alles das, was nicht unpersnlich und universal ist".Hier belehrt uns Das Buch des Gesetzes durch die Stimme von Hadit:"In der Sphre bin ich berall der Mittelpunkt." Und wiederum: "Ich bindas Leben und der Geber des Lebens [...] 'kommet zu mir' ist ein

    trichtes Wort, denn ich bin es, der geht. [...]. Denn ich bin vollkommen,da ich nicht bin." Denn dieses Leben ist an jedem Ort und zu jeder Zeitzugleich, so da in ihm diese Beschrnkungen nicht mehr bestehen.Und ihr werdet es selbst gesehen haben, da in jedem Akte der LiebeZeit und Raum verschwinden mit der Erschaffung des Lebens durch ihreKraft, wie es auch mit der Persnlichkeit geschieht. Zum dritten Male,also in noch feinerem Sinne, "das Wort der Snde ist Beschrnkung."Schlielich ist auf dem Wege des Lichtes dieser selbe kurze Ausspruchder Schlssel fr den Begriff des Bsen. Doch liegt hier dieBeschrnkung in der Unfhigkeit, die groe Gleichung zu lsen, undspter darin, einen Ausdruck oder eine Phase des Universums eineranderen vorzuziehen. Hiervor werden wir im Buch des Gesetzes durchdas Wort der Nuit gewarnt, die da spricht: "Keins [...] und Zwei. Denn ich

    bin geteilt um der Liebe willen, zur Mglichkeit der Vereinigung", unddaher "Wenn dies nicht richtig ist; wenn ihr die Raumzeichen verkenntund sagt: Sie sind eines, oder sagt; Sie sind viele [...] dann erwartetfurchtbares Gericht [...]"

    Somit bin ich nunmehr mit der Hilfe Thoths zum Schlusse dieses kleinenBuches gelangt. Nun rstet euch demgem mit den vier Waffen; mitdem Stabe fr die Freiheit, mit dem Kelch fr die Liebe, mit demSchwerte fr das Leben, mit der Scheibe fr das Licht; und mit diesenwirket alle Wunder durch die Kunst der Hohen Magie unter dem Gesetzedes neuen Aeons, dessen Wort THELEMA ist.