data rich, intelligence poor? gesucht: marketing intelligence

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74 KARRIERE Marketing&Kommunikation9/14 führen grosse Datenmengen au- tomatisch zu einem besseren Kundenver- ständnis? Natürlich nicht. Ein Beispiel aus der Praxis Der neueste Newsletter unseres Telekommunikationsanbieters, unserer Hauptversicherung oder unseres Lieblingsautoherstellers erscheint im Posteingang. Wir öffnen ihn und stellen nach we- nigen Augenblicken fest, dass der Inhalt uns nicht interessiert, weil er für unsere Bedürfnisse schlicht nicht relevant ist. Ein besonders gelungenes Beispiel verschickte vor einigen Monaten ein Mobil- funkanbieter. Ein Vertragskun- Keine Frage: Die marktori- entierte Führung von Unterneh- men benötigt Informationen: über den Markt, die Kunden, die Wettbewerber. Lag der Fokus der Informationsbeschaffung lange bei der Marktforschung, ist heu- te das Zauberwort «Big Data» im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dies hat viele Ursachen, wovon zwei besonders wichtig sind: Zum einen hinterlassen Men- schen aufgrund ihres Informa- tions- und Kaufverhaltens heute breite Datenspuren, zum anderen machen die technologischen Ent- wicklungen die Sammlung und Auswertung dieser Daten immer einfacher und billiger. Und dies hat Konsequenzen: Die blosse Existenz grosser Datenmengen verleitet Unternehmen zu dem Eindruck, dass sie immer mehr über ihre Kunden wissen und damit beispielsweise auch we- niger klassische Marktforschung benötigen. Aber de erhielt einen Newsletter mit verschiedenen Angeboten. Das Problem dabei: Angebot eins war an der Wohnadresse des Kunden aus technischen Gründen nicht verfügbar. Angebot zwei hatte der Kunde bereits (Abo). Ange- bot drei (Vertragsverlängerung) war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, da der Kunde gerade vor sechs Monaten verlängert hatte. Und Angebot vier kam aus Al- tersgründen (bis 26 Jahre) nicht infrage. Das geschilderte Problem do- kumentiert, dass Unternehmen, die auf riesigen Datenbeständen sitzen, die sie aus Vertragsanga- ben beziehungsweise dem Nut- zungsverhalten beziehen, die- se Datenflut nicht wertsteigernd nutzen. Weder für das Unterneh- men noch für die Kunden wird ein sichtbarer Mehrwert gene- riert. Unternehmen sollten ihre werden Abertausende Newsletter verschickt, die für die Empfänger keine oder kaum Relevanz haben. Die Konsequenz davon ist eine sinkende Öffnungsrate des News- letters und eine Steigerung der Newsletter-Abbestellungen. Das alles hätte jedoch verhindert wer- den können, wenn das Unterneh- men die verfügbaren Daten mit et- was Intelligenz angereichert hätte und jene Kunden ausgeschlossen hätte, die bestimmte Services an ihrer registrierten Adresse tech- nisch gar nicht nutzen können oder bestimmte Leistungen be- reits in Anspruch nehmen. All das weiss das Unternehmen ei- gentlich. Und wenn es smart wä- re, würde es dieses Wissen auch nutzen. Dabei geht es nicht um hochkomplexe Analysen des Kundenverhaltens oder Data-Mi- ning-Modelle. Nein, es geht um einfache Adressselektionen oder die dynamische Gestaltung eines Newsletters in Abhängigkeit vom genutzten Produkteportfolio und der Adresse der Kunden. Intelligente Datennutzung ist gefragt Marketing Intelligence beschreibt ein umfassendes Konzept: Es geht um die systematische und ziel- orientierte Verknüpfung von klas- sischer Marktforschung, der Ana- lyse von Märkten und von Wett- bewerbern (sehr oft unterschätzt) sowie die intelligente Nutzung intern vorhandener Daten. Fun- dierte Marketingentscheide brau- chen verlässliche Informationen und die intelligente Nutzung ver- schiedener (!) Informationsquel- len. Hierbei muss im Einzelfall untersucht werden, welche Quel- len die besten, zuverlässigsten und relevantesten Informationen liefern können. Die Verfügbarkeit von «Big Data» allein ist keine Lösung, wenn die Daten nicht zielorientiert erhoben und mit einer Mischung aus Markt-/Kun- denwissen, Kreativität und ana- lytischer Kompetenz ausgewertet sowie interpretiert werden. Ne- ben einer zuverlässigen und aktu- ellen Datenbasis braucht es hier- für zum einen Systeme/Tools zur Datenanalyse, zum anderen aber auch entsprechend qualifizierte Mitarbeitende, die den Markt ver- stehen und diese Tools zielorien- tiert einsetzen können. Im Kontext von Marke- ting 3.0 wird sehr viel über die Schaffung von Werten (value) gesprochen. Gerade wenn ein Unternehmen in- dividualisiert Kunden an- sprechen möchte, muss für die Adressaten auch ein Mehrwert erkennbar sein. Uninteressanter bzw. nicht rele- vanter Inhalt ist nicht nur wert- los, sondern zerstört sogar das In- teresse an Produkten oder Unter- nehmen. n VON MICHAEL GRUND* Data Rich, Intelligence Poor? Gesucht: Marketing Intelligence MARKETING INTELLIGENCEVieleUnternehmensitzenaufriesigenDatenbeständen,gehenmitdiesenDaten abernurbegrenztintelligentum.AusdenvorhandenenDatenlassensichaberwertvolleInformationen generieren,dieeinebessereBearbeitungderbestehendenundpotenziellenKundenermöglichen. * Prof. Dr. Michael Grund leitet das Center for Marketing an der HWZ und ist u.a. Studiengangs- leiter des EMBA - Marketing und des CAS Luxury Management. Bei immer grös- seren Daten- mengen besteht die Herausfor- derung darin, diese zielführend einzusetzen. Kunden eigentlich kennen, bear- beiten sie aber dennoch mit sol- chen Schrotflinten-Aktivitäten. Dies in der Hoffnung, dass der eine oder die andere die Ange- bote interessant finden könnte. Ist das realistisch? Wohl kaum. Denn wenn das Unternehmen sich nicht die Mühe macht, die Daten, die aufgrund des Abon- nements alle vorliegen, sorgfäl- tig für den Newsletter zu nutzen,

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Michael Grund, Leiter Center for Marketing, HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich in der Publikation Marketing & Kommunikation Ausgabe 9/14

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Page 1: Data Rich, Intelligence Poor? Gesucht: Marketing Intelligence

74 Karriere� Marketing�&�Kommunikation�9/14

führen grosse Datenmengen au-tomatisch zu einem besseren Kundenver-ständnis? Natürlich nicht.

ein Beispiel aus der PraxisDer neueste Newsletter unseres Telekommunikationsanbieters, unserer Hauptversicherung oder unseres Lieblingsautoherstellers erscheint im Posteingang. Wir öffnen ihn und stellen nach we-nigen Augenblicken fest, dass der Inhalt uns nicht interessiert, weil er für unsere Bedürfnisse schlicht nicht relevant ist. Ein besonders gelungenes Beispiel verschickte vor einigen Monaten ein Mobil-funkanbieter. Ein Vertragskun-

Keine Frage: Die marktori-entierte Führung von Unterneh-men benötigt Informationen: über den Markt, die Kunden, die Wettbewerber. Lag der Fokus der Informationsbeschaffung lange bei der Marktforschung, ist heu-te das Zauberwort «Big Data» im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dies hat viele Ursachen, wovon zwei besonders wichtig sind: Zum einen hinterlassen Men-schen aufgrund ihres Informa-tions- und Kaufverhaltens heute breite Datenspuren, zum anderen machen die technologischen Ent-wicklungen die Sammlung und Auswertung dieser Daten immer einfacher und billiger. Und dies hat Konsequenzen: Die blosse Existenz grosser Datenmengen verleitet Unternehmen zu dem Eindruck, dass sie immer mehr über ihre Kunden wissen und damit beispielsweise auch we-niger klassische Marktforschung benötigen. Aber

de erhielt einen Newsletter mit verschiedenen Angeboten. Das Problem dabei: Angebot eins war an der Wohnadresse des Kunden aus technischen Gründen nicht verfügbar. Angebot zwei hatte der Kunde bereits (Abo). Ange-bot drei (Vertragsverlängerung) war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, da der Kunde gerade vor sechs Monaten verlängert hatte. Und Angebot vier kam aus Al-tersgründen (bis 26 Jahre) nicht infrage.

Das geschilderte Problem do-kumentiert, dass Unternehmen, die auf riesigen Datenbeständen sitzen, die sie aus Vertragsanga-ben beziehungsweise dem Nut-zungsverhalten beziehen, die-se Datenflut nicht wertsteigernd nutzen. Weder für das Unterneh-men noch für die Kunden wird ein sichtbarer Mehrwert gene-riert. Unternehmen sollten ihre

werden Abertausende Newsletter verschickt, die für die Empfänger keine oder kaum Relevanz haben. Die Konsequenz davon ist eine sinkende Öffnungsrate des News-letters und eine Steigerung der Newsletter-Abbestellungen. Das alles hätte jedoch verhindert wer-den können, wenn das Unterneh-men die verfügbaren Daten mit et-was Intelligenz angereichert hätte und jene Kunden ausgeschlossen hätte, die bestimmte Services an ihrer registrierten Adresse tech-nisch gar nicht nutzen können oder bestimmte Leistungen be-reits in Anspruch nehmen. All das weiss das Unternehmen ei-gentlich. Und wenn es smart wä-re, würde es dieses Wissen auch nutzen. Dabei geht es nicht um hochkomplexe Analysen des Kundenverhaltens oder Data-Mi-ning-Modelle. Nein, es geht um einfache Adressselektionen oder die dynamische Gestaltung eines Newsletters in Abhängigkeit vom genutzten Produkteportfolio und

der Adresse der Kunden.

intelligente Datennutzung ist gefragtMarketing Intelligence beschreibt ein umfassendes Konzept: Es geht um die systematische und ziel-orientierte Verknüpfung von klas-sischer Marktforschung, der Ana-lyse von Märkten und von Wett-bewerbern (sehr oft unterschätzt) sowie die intelligente Nutzung intern vorhandener Daten. Fun-dierte Marketingentscheide brau-chen verlässliche Informationen und die intelligente Nutzung ver-schiedener (!) Informationsquel-len. Hierbei muss im Einzelfall untersucht werden, welche Quel-len die besten, zuverlässigsten und relevantesten Informationen liefern können. Die Verfügbarkeit von «Big Data» allein ist keine Lösung, wenn die Daten nicht zielorientiert erhoben und mit einer Mischung aus Markt-/Kun-denwissen, Kreativität und ana-lytischer Kompetenz ausgewertet sowie interpretiert werden. Ne-ben einer zuverlässigen und aktu-ellen Datenbasis braucht es hier-für zum einen Systeme/Tools zur Datenanalyse, zum anderen aber auch entsprechend qualifizierte Mitarbeitende, die den Markt ver-stehen und diese Tools zielorien-

tiert einsetzen können.Im Kontext von Marke-

ting 3.0 wird sehr viel über die Schaffung von Werten (value) gesprochen. Gerade wenn ein Unternehmen in-dividualisiert Kunden an-sprechen möchte, muss für die Adressaten auch ein

Mehrwert erkennbar sein. Uninteressanter bzw. nicht rele-vanter Inhalt ist nicht nur wert-los, sondern zerstört sogar das In-teresse an Produkten oder Unter-nehmen.�n

VON MiCHaeL GrUND*

Data Rich, Intelligence Poor? Gesucht: Marketing IntelligenceMARKETING INTELLIGENCE�Viele�Unternehmen�sitzen�auf�riesigen�Datenbeständen,�gehen�mit�diesen�Daten�aber�nur�begrenzt�intelligent�um.�Aus�den�vorhandenen�Daten�lassen�sich�aber�wertvolle�Informationen��generieren,�die�eine�bessere�Bearbeitung�der�bestehenden�und�potenziellen�Kunden�ermöglichen.

* Prof. Dr. Michael Grund leitet

das Center for Marketing an der

HWZ und ist u.a. Studiengangs-

leiter des EMBA - Marketing und

des CAS Luxury Management.

Bei immer grös-seren Daten-mengen besteht die Herausfor-derung darin, diese zielführend einzusetzen.

Kunden eigentlich kennen, bear-beiten sie aber dennoch mit sol-chen Schrotflinten-Aktivitäten. Dies in der Hoffnung, dass der eine oder die andere die Ange-bote interessant finden könnte. Ist das realistisch? Wohl kaum. Denn wenn das Unternehmen sich nicht die Mühe macht, die Daten, die aufgrund des Abon-nements alle vorliegen, sorgfäl-tig für den Newsletter zu nutzen,