der gott von jesus · 2020. 9. 23. · – franz julius delitzsch (1813-1890) mein aufrichtiger...

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Page 1: DER GOTT VON JESUS · 2020. 9. 23. · – Franz Julius Delitzsch (1813-1890) Mein aufrichtiger Dank gilt meiner Frau Lauren für ihre Liebe und Geduld während meiner vielen späten

DERGOTTVONJESUSIMLICHTECHRISTLICHERDOGMEN

mdash Die Wiederherstellung neutestamentlicher Theologie mdash

KeganAChandler

Restoration Fellowship McDonough Georgia

Originaltitel THE GOD OF JESUS IN LIGHT OF CHRISTIAN DOGMA - The Recovery of New Testament Teology -

Copyright copy 2016 2020 by Kegan A Chandler Published by Restoration Fellowship German Edition translated by Andreas C Fischer Restoration Fellowship httpwwwrestorationfellowshiporg McDonough Georgia Most Scripture quotations taken from the New American Standard Biblereg Copyright copy 1960 1962 1963 1968 1971 1972 1973 1975 1977 1995 by The Lockman Foundation Used by permission (wwwLockmanorg) Most concordance references taken from Strongrsquos Exhaustive Concordance New American Standard Bible Updated ed La Habra Lockman Foundation 1995 Retrieved from httpwwwblueletterbibleorg Cover Design by Lauren M Chandler The cover displays a detail of the 13th century Christ Pantocrator icon from the Serbian monastery on Mount Athos in Greece It is set against the Great Isaiah Scroll from the Dead Sea Scrolls collection located at the Shrine of the Book in Jerusalem All rights reserved First Published 2016 Printed in the United States of America ISBN 10 0-9673249-3-9 ISBN 13 978-0-9673249-3-7

Deutsche Ausgabe September 2020

Uumlbersetzung Andreas C Fischer BA

Das vorliegende Buch ist nicht

fuumlr den offiziellen Verkauf bestimmt

Es kann zum Selbstkostenpreis bezogen werden bei

wwwmonotheismusch wwwtrinitaetcom

Fuumlr meine Soumlhne meine kleinen Lehrer

bdquoGott ist der Gott der Wahrheit Die Liebe zur Wahrheit die Unter-werfung unter die Kraft der Wahrheit die Aufgabe traditioneller An-sichten die der Pruumlfung der Wahrheit nicht standhalten ist eine heilige Pflicht ein Element der Gottesfurchtrdquo

ndash Franz Julius Delitzsch (1813-1890)

Mein aufrichtiger Dank gilt meiner Frau Lauren fuumlr ihre Liebe und Geduld waumlhrend meiner vielen spaumlten Stunden an Michael und Hildy meine ergebenen Eltern fuumlr ihre dauerhafte Un-terstuumltzung und Anleitung an Sarah fuumlr ihre unschaumltzbare Hilfe beim Durchstoumlbern des Ma-nuskripts Carlos Barbara Jesse Pierre Shaun Tony Talitha Randy Ric Menashe Nathan und vielen anderen fuumlr ihre Ermutigung und Partnerschaft in der Arbeit des Glaubens Ein besonderer Dank gilt auch Sir Anthony Buzzard fuumlr seine persoumlnliche Anleitung und sein Engagement fuumlr das Evangelium ohne das dieses Buch moumlglicherweise niemals entstanden waumlre

Inhaltsverzeichnis Vorwort - 1 -

Vorwort des Uumlbersetzers - 4 - Einfuumlhrung - 7 -

Jesus aus der Kirche geworfen - 10 - Das bdquoAlterdquo muss raus - 17 - Unsere Voraussetzung - 20 - Ein Aufruf zur Einigkeit um Jesus - 23 -

TEIL I - 26 -

Die Dunkelheit - 26 - Die unvollendete Reformation - 27 -

Die christliche Trinitaumlt - 29 - Orthodoxie und Protestantismus - 32 - Die Protestantische Beweissicherung - 37 - Die dunkle Seite der Reformation - 41 - Eine Lehre der fruumlhen Kirche - 46 - Die Autoritaumlt der Tradition - 56 - Eine Warnung - 59 -

Die Wurzeln des Baumes - 62 - Jenseits von Afrika - 65 - Der Same der Seele - 67 - Die persoumlnliche Seele und die Inkarnation Aumlgyptens - 69 - Der Weise von Athen - 72 - Der Demiurg und der Logos - 75 - Weitere platonische Entwicklungen - 78 - Judaismus und Plato - 80 - Der Jude Philon und der Logos-Engel - 82 - Justin der Maumlrtyrer und der Aufstieg des platonischen Christentums - 88 -

Ein anderer Jesus - 95 - Der kosmische Jesus - 97 - Doketismus und der orthodoxe Jesus - 103 - Johannes gegen Kerinthus - 106 -

Der valentinische Christus - 107 - Das gnostische Kreuz und die zwei Personen - 112 - Der gnostische sbquoWesensgleichesbquo (homoousios) - 117 - Die Gnosis uumlbersetzen - 122 - Die gnostischen Hypostasen - 133 -

Kampf und Entwicklung - 142 - Der Uumlbergang zur heidnischen Philosophie - 142 -

Die fruumlhen Judenchristen - 144 - Waren die Kirchenvaumlter des 2 und 3 Jahrhunderts Trinitarier - 152 - Subordinationismus - 153 - Der Subordinationismus kollidiert mit dem Sabellianismus - 157 - Justinus der Maumlrtyrer ein uumlberzeugter Trinitarier - 162 - Irenaumlus von Lyon - 168 - Origenes Adamantius - 171 - Tertullian von Karthago - 175 - Ignatius und das allgemeine Problem der patristischen Faumllschung - 178 - Am Ende des dritten Jahrhunderts - 181 -

Nicaumla und die Daumlmmerung - 183 - Das Christentum des fruumlhen vierten Jahrhunderts - 184 - Alexandrinische proto-orthodoxe Christenheit - 186 - Alexander Athanasius und der Nicaumlnische Jesus - 195 - Weichenstellung fuumlr Nicaumla - 199 - Des Kaisers neue Kleider - 202 - Ein nachtraumlglicher Blick auf Nicaumla - 205 - Die Politik des Glaubens - 212 - Die Nicaumlnische Haumlresie - 221 -

Credo und Chaos - 224 - Nicaumla wird umgestoszligen - 225 - Die Subordination im Reich - 229 - Der Glaube der juumldischen Christen haumllt an - 231 - Der Aufstieg des Orthodoxen Trinitarismus - 238 - Mit Theodosius wendet sich das Blatt - 245 - Durch das Mysterium gefesselt - 251 -

Der unloumlsbare Trinitarische Jesus - 254 - Konsequenzen des Dogmas - 274 -

Konsequenzen fuumlr die Worte Jesu Christi - 276 - Konsequenzen fuumlr die Vernunft - 279 - Konsequenzen fuumlr den Judaismus und den Gott des Judentums - 293 - Die Christenheit heute - 301 -

TEIL II - 305 -

Die Wiederherstellung - 305 - Der Schoumlpfer aus juumldischer Sicht - 306 -

Die Bedeutung des Judentums - 306 - Die Sprache des Biblischen Gottes - 311 - bdquoEinerrdquo oder bdquoMehr als Einerrdquo - 317 - Lasst uns Menschen machen - 324 - War Jesus der Schoumlpfer in der Genesis-Geschichte - 329 - Jesus und das kuumlnftige Zeitalter - 332 -

Gott und sein Messias - 341 - Der Vater von Jesus der Gott der Juden - 342 - Der Messias der Gefaumlhrte des einen Gottes - 345 - Der Mensch der Mittler - 354 - Meshiach ben Joseph wie ist Christi Unterordnung und seine Rolle zu verstehen - 360 - Die neutestamentliche Adam-Christologie - 366 - Der leidende Adam - 368 - Hat der Messias uumlber einen Dreieinigen Gott gelehrt - 379 -

Vor Grundlegung der Welt - 383 - Platonische Prauml-Existenz gegen klassische Juumldische Prauml-Existenz - 384 - Problem Der Geist Christi - 386 - Problem Die Inkarnation des Gottes-Foumltus - 391 - Problem Ewig gezeugt oder geboren von Maria - 400 -

Biblische Prauml-Existenz - 413 - Judaismus versus mystisch-hellenistischen Judaismus - 415 - Die Alternative Klassische juumldische Prauml-Ezistenz in Gottes Plan - 418 -

Prauml-Existenz im Judentum und Christus im Neuen Testament - 424 - Vom bdquoHimmel gekommenrdquo - 429 - Bedeutet bdquovon Gott gesandtrdquo woumlrtlich eine Prauml-Existenz - 432 - Vor Abraham - 436 - Die bdquoIch binrdquo - Aussagen - 439 -

Der Sohn Gottes - 445 - bdquoSohn Gottesrdquo oder bdquoGott der Sohnrdquo - 448 - Jesus als bdquoGottrdquo - 457 - In Jesus Gott bdquosehenldquo - 462 - Christus der Herr - 465 - Ein Gott und ein Herr - 475 - bdquoGoumlttliche Identitaumltrdquo - 479 -

Die bdquoAnbetungrdquo des Herrn - 493 - Anbetung nach dem biblischen Weltbild - 494 - Uumlbersetzungen welche die Anbetung der Gottheit durchsetzen - 497 - Die bdquoErhoumlhungrdquo im Judaismus in der Aumlra des Zweiten Tempels - 503 - Ist die bdquoAnbetungrdquo Jesu Idolatrie - 506 - Ehre und Herrlichkeit - 514 -

Am Anfang war das Wort - 519 - Moumlglicher Einfluss - 522 - Der hebraumlische Logos des Johannes - 525 - bdquoAm Anfang war das Wort rdquo - 533 - Gottes Wort wird schlieszliglich zur Person - 541 - Alternative Uumlbersetzungen - 544 -

Christus und der Geist Gottes - 548 - Eingestaumlndnis der mangelnden biblischen Unterstuumltzung - 550 - Die vernachlaumlssigte Dritte Person - 551 - Der biblische Gebrauch des Wortes bdquoGeistrdquo - 555 - Der Geist als Atem als Leben oder als Geisteshaltung - 555 - Der Geist als Kraft und als Einflussnahme - 557 - Der Geist als das Denken Gottes - 558 - Der Geist als das Denken Christi - 559 - Der Geist als Geschenk Gottes - 559 -

Die Verwirrung um den Geist - 560 - Personifizierung des Geistes - 561 - Der erhoumlhte Jesus Der mit dem Geist tauft - 563 - Verwirrung in der Bibel stiften - 567 -

Die Entflechtung - 570 -

Anhang - 576 -

Literaturverzeichnis - 576 - Weitere Informationen - 587 -

Einfuumlhrung

- 1 -

Vorwort

ies ist kein Buch fuumlr Leute mit schwachen Nerven Auch eignet es sich nicht fuumlr die welche sich mit dem Status quo zufriedengeben Es ist eine Herausforderung und zwar eine radikale gegenuumlber dem bdquowas wir schon immer geglaubt habenrdquo Da die christliche Definition von

Gott so massiv und so lange schon als garantiert und als unverhandelbar gefoumlr-dert wurde scheint es als Tabu zu gelten sie zum Thema einer Untersuchung zu machen Viele beweinen den erbaumlrmlichen Zustand der Kirche Aber die wenigs-ten scheinen den Mut zu haben die Kernfrage nach der Moumlglichkeit zu stellen ob mit der Quelle unserer Glaubensbekenntnisse etwas grundlegend falsch sein koumlnnte Der sehr einsichtige leider mittlerweile verstorbene F F Bruce schrieb mir vor vielen Jahren diese weisen Worte bdquoEvangelikale Protestanten koumlnnen ebenso sehr Sklaven der Tradition sein wie roumlmisch-katholische oder griechisch-orthodoxe Christen nur ist ihnen nicht bewusst dass es sich genauso um sbquoTradi-tionrsquo handelt Leute welche dem Grundsatz sola scriptura glauben folgen in Tat und Wahrheit der traditionellen Lehre der Sola-Scriptura-Schule (1361981)rdquo Mit genau dieser Tradition setzt sich Kegan A Chandler in seinem Buch auseinander

Wichtig ist zu betonen dass Chandler kein Erneuerer ist Des Autors umfassende Forschung in der Geschichte der Christenheit wie auch in der Bibel zeigt uns dass er bei seiner Suche nach der befreienden Wahrheit nichts unversucht gelas-sen hat Dabei hat er entdeckt dass es andere Definitionsmoumlglichkeiten fuumlr den Messias und seine Beziehung zu Gott gibt die altbekannten Grundsaumltze der bdquoOr-thodoxierdquo jedoch muumlssen von den Fragenden herausgefordert werden Auf fried-fertige Weise und ohne Streit zu suchen deckt Kegan die Quellen auf aus denen die uns vertrauten und lieb gewonnenen Glaubengrundsaumltze stammen Er laumlsst das Unbehagen verschwinden welches unweigerlich entsteht wenn der geneigte Leser oder die Leserin schockierende - jedoch unwiderlegbare - Fakten uumlber den Glauben an Gott den Gott von Jesus und den Gott der Bibel zur Kenntnis neh-men muumlssen Wenige Kirchengaumlnger die woumlchentlich in die Kirche gehen haben je ernsthaft die Kirchengeschichte studiert um herauszufinden ob die ihnen ver-trauten Ideen eine solide biblische Grundlage haben Wer ist Gott Es wird oft

D

Einfuumlhrung

- 2 -

lautstark verkuumlndet dass wer diesen bdquoGlaubenrdquo nicht hat nicht gerettet werden kann

Kegan ist tief in das uumlberaus wichtige Thema eingedrungen Die groszligen zentralen Grundlagen unseres Glaubens - wie wir das Universum definieren den Sinn den wir dem Leben gemaumlszlig Gottes grossem in Jesus offenbartem Plan zuschreiben - dies alles sind Themen die Chandler mit eindruumlcklicher Intensitaumlt und groszliger Uumlberzeugung anpackt Nochmals er hat nichts Neues erfunden Er ist zweifels-ohne sehr belesen und hat sich weitherum erkundigt Seine Suche fuumlhrte ihn zu der Entdeckung was man als bdquoVerschwoumlrung des Schweigensrdquo bezeichnen moumlchte Dinge welche die bibellesende Gemeinschaft in arge Verlegenheit brin-gen koumlnnten werden einfach verschwiegen Doch es gibt beweisbare Fakten uumlber die Entwicklung der (kirchlichen) Doktrinen in nachbiblischen Zeiten Diese las-sen erkennen dass sie oft nicht mehr mit Jesu ausdruumlcklicher Definition uumlberein-stimmen Fuumlr ihn ist Gott der Gott des juumldischen Glaubens der Gott Israels Ihm zu dienen bezeichnete Jesus als das bdquogroumlszligte das vornehmste Gebotrdquo aber wer houmlrt schon hin obwohl es klar heiszligt bdquoHoumlrerdquo (Shema)

Kegan widmet die erste Haumllfte seines Werkes den historischen Zusammenhaumlngen und den zweiten Teil der Auslegung (Exegese) der biblischen Texte Er fuumlhrt uns durch vier Jahrhunderte wilder nach-biblischer Streitigkeiten daruumlber wer Gott ist und wer Jesus war Die erbitterten Zwistigkeiten und internen Querelen wur-den erst durch Entscheidungen der Kirchenkonzilien beendet die mittels Edik-ten der roumlmischen Kaiser unter Androhung der Todesstrafe durchgesetzt wur-den Aber hat Jesus an den Gott geglaubt den er vermeintlich definierte Sollten die Fakten zeigen dass er es nicht tat dann leiden wir die wir vorgeben ihm zu folgen unbewusst unter dem Makel der Unehrlichkeit der Luumlge Denn kann man wirklich Dinge uumlber Gott und den Sohn Gottes glauben die Jesus nicht glaubte und dies alles bdquoin seinem Namenrdquo

Es gibt kein aktuelleres Thema als dasjenige welches unser Autor anschneidet Eine Milliarde Muslime und eine Milliarde Christen zusammen mit Millionen von glaumlubigen Juden sind von der Frage bdquoWer ist Gottrdquo betroffen Diese Frage der Definition Gottes genuumlgt um unuumlberbruumlckbare Barrieren zwischen den gro-szligen religioumlsen Bloumlcken aufzubauen ganz zu schweigen von der tragischen Zer-splitterung der Denominationen die alle unter dem Sammelbegriff bdquoChristen-heitrdquo einherkommen Paulus sagt bdquoIch wuumlnsche aber dass ihr alle einmuumltig redet und nicht Spaltungen unter euch seien sondern dass ihr in demselben Sinn und in derselben Meinung voumlllig zusammengefuumlgt seietrdquo Dieses Buch zeigt die er-schreckende Moumlglichkeit auf dass diejenigen welche die Bibel als Quelle ihrer Inspiration bezeichnen in Tat und Wahrheit zwischen sich und anderen eine fast unuumlberwindbare Schranke aufgebaut haben Diese ist voumlllig unnoumltig wenn es da-rum geht mit dem Einen Gott eine Beziehung einzugehen Unser Autor stellt die

Einfuumlhrung

- 3 -

grundlegende Frage in welchem Maszlige bekennende Christen in dieser Hinsicht Jesus wirklich nachfolgen

Kegan Chandler schreibt auf einem fuumlr Gelehrte wie fuumlr Laien gleichermassen packenden Niveau Er laumldt auf eine Entdeckungsreise ein die unsere Wahrneh-mung des Universums revolutionieren koumlnnte Er plaumldiert dafuumlr die Heilige Schrift mit groumlszligerer Ehrlichkeit lesen Die Bibel koumlnnte uns helfen die uns laumlh-menden und oft unverstaumlndlichen Dogmen abzuwerfen welche uns die Zeit und die Uumlberlieferung bescherten und die wir unbedacht als Wahrheit aufgenommen und verehrt haben

Sir Anthony F Buzzard MA (Oxon) MA Th Hon PhD

Einfuumlhrung

- 4 -

VorwortdesUumlbersetzersbdquoSelten habe ich ein Buch gelesen das so genau und eloquent die Vergangenheit vergegenwaumlrtigtldquo schrieb ich im Mai 2019 dem Verfasser des amerikanischen Textbuchs THE GOD OF JESUS Schon waumlhrend meiner ersten Lektuumlre des umfangreichen und intellektuell anspruchsvollen Werkes spielte sich in meinem Kopf eine Art Frage-und-Antwort-Dialog ab bdquoWie wuumlrde ich diesen Satz auf Deutsch uumlbersetzenldquo Kegan A Chandlers Buch ist 2016 erschienen Ein Freund hat vor kurzem mir fast beilaumlufig ein Exemplar geliehen In der Tat gibt es wenige Buuml-cher die mich derart fasziniert haben wie dieses und ich verspuumlrte einen starken Wunsch es einem an geistlichen Dingen interessierten Publikum in Europa in deutscher Sprache zugaumlnglich zu machen Da ich in England Theologie und an der Philosophischen Fakultaumlt der Universitaumlt Zuumlrich studiert hatte und Englisch und Deutsch zu meinen Hauptsprachen gehoumlren bot ich dem Autor und dem Herausgeber von THE GOD OF JESUS meine Dienste an bdquoJedes Talent ist dem Menschen von Gott gegeben benuumltzen muss er es selberrdquo lautet ein Sprich-wort Bietet sich eine Gelegenheit ein Talent umzusetzen liegt es an uns den ersten Schritt zu machen

Mir war klar dass ein Werk von uumlber 500 Seiten und mit mehr als 1500 (kleinge-druckten) Fussnoten eine gigantische Anstrengung sein wuumlrden und rechnete mit einem Zeitaufwand von etwa 1200 Stunden Die Uumlbersetzungsarbeit lief mir von Anfang an mit einer erstaunlichen Leichtigkeit bdquovon der Federldquo obwohl ich na-tuumlrlich jedes einzelne der uumlber 200rsquo000 Woumlrter in den Computer tippen musste Ich war dankbar dass Kegan A Chandler mir das gesamte Werk auf Englisch in einem pdf-Format zugesandt hatte Dies erleichterte das Lesen des Textes und das Studium der Zusammenhaumlnge enorm und sparte Zeit Bei Unklarheiten und Fragen half mir der Autor und lieferte mir jeweils uumlber Nacht die Antworten und wichtige Erklaumlrungen die ich mit seiner Zustimmung im Text einbauen konnte

Schon die Uumlbersetzung des Titels war nicht einfach DER GOTT JESU oder (mit dem Genitiv) JESU GOTT klang mehrdeutig und nicht richtig und HAT JESUS EINEN GOTT vom hinteren Buchdeckel ist irgendwie schwerfaumlllig DER GOTT VON JESUS als Titel ist exakt und wird das Werk im Internet sehr weit vorne platzieren Die am Thema Gott ndash Trinitaumlt ndash Jesus Christus Interessierten werden unmittelbar zu diesem Textbuch geleitet Die fuumlnfzehn Kapitel sind his-torisch und theologisch in chronologischer Sequenz aufgebaut die Zusammen-haumlnge sind fuumlr Studenten der Geisteswissenschaften wie auch fuumlr alle anderen dank der umfangreichen Bibliografie nachpruumlfbar aufgefuumlhrt sodass uns prak-tisch ein Nachschlagewerk vorliegt Zitierte Bibelverse lassen sich dank einem Schriftstellen-Index mit Seitenangaben leicht wiederfinden

Einfuumlhrung

- 5 -

Im Prinzip forscht der Kegan A Chandler in laumlngst vergangenen Zeiten und Voumll-kern die wir nicht mehr kennen Er versucht die Sprache(n) die Geschichte und die Kultur der Vergangenheit zu verstehen um herauszufinden weshalb wir mo-dernen Menschen Dinge der Antike glauben meist ohne sie zu hinterfragen Beim Uumlbersetzen eines philosophischen Buches muumlssen nicht nur die linguisti-schen sondern auch gesellschaftliche kulturelle und wissenschaftliche Belange beruumlcksichtigt werden Unterschiedliche Ideologien und selbst politische Per-spektiven koumlnnen bei der Wahrheitsfindung eine Rolle spielen weshalb manch-mal der Original-Text nicht bdquoeins-zu-einsldquo in die Zielsprache transkribiert werden kann Die letzten zehn oder zwanzig Jahre haben der Wissenschaft viele neue Erkenntnisse gebracht Chandlers Buch beruumlcksichtigt den neuesten Stand der Forschung

Englisch wie Deutsch sind seit der bdquoReformationldquo mehrere Dutzend Bibeluumlber-setzungen entstanden in vielen Versionen spielt sogar der Jahrgang der Ausgabe eine Rolle ob eine gewisse Lehre (wie die der Dreifaltigkeit) tendenzioumls kommu-niziert wird Es war eine echte Herausforderung die vom Autor gefuumlhrte bibli-sche Argumentation zum Thema der Trinitaumlt sinngemaumlss mithilfe der gaumlngigen deutschen Bibeluumlbersetzungen in unserer Sprache zu fuumlhren sagen doch die ame-rikanischenenglischen Bibeln nicht immer genau das Gleiche aus wie die deut-schen Nicht nur die Sprache selbst sondern auch Wortbedeutungen aumlndern sich im Verlaufe der Zeit So ist es in einem solchen Werk unumgaumlnglich den hebrauml-ischen und den griechischen Urtext zu konsultieren Zu unserem Vorteil sind diese Werkzeuge heute uumlbers Internet verfuumlgbar Auch das ist ein Segen Gottes

Um zusaumltzliche Erklaumlrungen - wo sie noumltig erschienen - im deutschen Text zu markieren habe ich eckige Klammern [hellip] gesetzt Zum besseren Verstaumlndnis habe in ein paar wenigen Faumlllen eine Bemerkung in runden Klammern (hellip) zu-gefuumlgt diese aber mit dem Kuumlrzel bdquoAnm d Uumlldquo (Anmerkung des Uumlbersetzers) versehen Dort wo ein englischer Paragraph aus sehr langen Saumltzen bestand und moumlglicherweise missverstanden werden konnte habe ich die Aussagen des Au-tors in einzelne kuumlrzere Saumltze aufgeteilt sorgfaumlltig darauf achtend den Sinn und Geist nicht zu veraumlndern

Das Sprachentalent und die Freude am Uumlbersetzen die Schulung in der theolo-gischen Materie die Bibelkenntnis den Glauben an den Einen Gott sowie an Seinen Sohn der Jude Jeshua haMaschiach der in der Koineacute spaumlter Jesus Chris-tus der Gesalbte genannt wurde all das habe ich von Gott unserem himmlischen Vater empfangen und bin Ihm unendlich dankbar dafuumlr Ich will mit dieser Arbeit dem interessierten Leser und der geneigten Leserin einen Dienst der christlichen Liebe leisten Gott hat das Wollen gewirkt und Er wirkt auch das Vollbringen Die Ehre gebuumlhrt unserem grossen Gott allein

Einfuumlhrung

- 6 -

Ich wuumlnsche Ihnen viel Freude und Segen bei der faszinierenden Lektuumlre dieses auszligerordentlichen Buches

Andreas C Fischer BA

Einfuumlhrung

- 7 -

Einfuumlhrung

bdquoFolge mirrdquo ndash Jesus von Nazareth

Johannes 143 1027 1226 1336 2119+22 Lukas 527 959 Markus 214 Matthaumlus 419 822 99

1038

OR UumlBER ZWEITAUSEND JAHREN wanderte ein junger Rabbiner durch die Gegenden von Galilaumla Sein Geburtsort und der Ort wo er aufwuchs sowie der Aktionskreis seiner Mission sind in der Archaumlologie

wohlbekannt Seine Taten sind ebenfalls geschichtlich gut dokumentiert aufge-zeichnet durch eine Reihe unterschiedlicher Augenzeugen und Forscher Sie wur-den durch die Jahrhunderte mit unvergleichlicher Ehrfurcht uumlberliefert Der Ein-fluss von Jesus Christus auf die Weltkultur ist heute immer noch spuumlrbar Wir schreiben nicht einmal unser aktuelles Datum ohne auf sein Geburtsjahr Bezug zu nehmen Auch reist man kaum durch ein westliches Land ohne auf Gebaumlude zu stossen die ihm gewidmet sind Nach zwei Jahrtausenden erhalten Kinder stets noch Namen die seine Juumlnger trugen werden Festtage zu seinen Ehren be-gangen und ein groszliger Teil der Bevoumllkerung unseres Planeten gibt vor sich nach ihm zu orientieren und seinen Grundsaumltzen zu folgen Zweifelsohne ist Jesus von Nazareth die beruumlhmteste und einflussreichste Persoumlnlichkeit die je gelebt hat Sein Ruf ist unuumlbertroffen Doch ist es vorstellbar dass die eigentlichen Lehren dieses Mannes von damals bis in die heutige Welt weitgehend missverstanden worden sind Koumlnnte der weltweit am besten bekannte Mann auch gleichzeitig der unbekannteste sein

V

Einfuumlhrung

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Schon seit jeher waumlhrend Menschen bdquoPapier und Tinterdquo benutzten wurde ver-sucht was nicht einmal Gott gelingt Die Vergangenheit zu aumlndern Die uns be-kannte Geschichte besteht aus Aufzeichnungen einiger auserlesener Individuen die beschlossen etwas niederzuschreiben das ihnen wichtig erschien Es ist die grosse Aufgabe der Historiker neue Ansichten und Perspektiven der Vergangen-heit ans Licht zu bringen in einer Welt die durch Vorurteile und Verschleierun-gen dunkel geworden ist

Studenten der Menschheitsgeschichte werden immer wieder durch die muumlhselige Tatsache enttaumluscht dass es eine Gruppe von Uumlbeltaumltern gibt die es sich zur Aufgabe gemacht hat sogar die heiligsten und bedeutungsvollsten Dinge zu zer-trampeln Auf bdquoReligionrdquo nehmen sie keine Ruumlcksicht Der Beweis muumlsste erst noch erbracht werden dass ausgerechnet das Christentum dieses finstere Durch-einander der Menschheitsgeschichte irgendwie unbeschadet uumlberstanden hat Einwandfrei belegt werden kann die Tatsache dass man dem Jesus der Christen-heit weit und breit auf Schritt und Tritt begegnet Der Nachweis des geschicht-lichen dh historischen Jesus ist bedeutend schwieriger Durch den Anbruch des so genannten Informations-Zeitalters sind laumlngst verschuumlttet geglaubte ver-staubte Schatztruhen der Vergangenheit aufgedeckt worden Ermittlern die sich nicht scheuen die Haumlnde bdquoschmutzigrdquo zu machen erlauben diese Schaumltze durch das Zusammensetzen vieler Bruchstuumlcke das bdquochristliche Puzzlerdquo wieder zusam-menzufuumlgen Wenn man einmal den Entschluss gefasst hat und mit einer gehouml-rigen Portion Skepsis sowie einem Quaumlntchen Vorsehung ans Werk geht gelingt es vielleicht vielfach vernachlaumlssigte Informationen herauszufinden Sie betref-fen den Entwicklungsprozess der uns heilig gewordenen Traditionen Sie bieten einen neuen Blick auf das Urchristentum und auf seinen Gruumlnder Das Ergebnis ist eine unorthodoxe vielleicht nicht in allen Teilen der offiziellen Lehrmeinung entsprechende und eine nicht bdquoaufpolierterdquo Perspektive des Glaubens der Antike

Waumlhrend Jahrhunderten hielt die christliche Uumlberlieferung Jesus von Nazareth nicht unbedingt fuumlr einen Theologen Sie hielt ihn fuumlr das Thema einer Theologie an sich Unzaumlhlige Millionen von ernsthaft Glaumlubigen haben sich religioumlses Wis-sen uumlber Jesus angeeignet aber das religioumlse Wissen von Jesus selber weitgehend ausser Acht gelassen Sind die speziellen theologischen Ansichten von Jesus dem juumldischen Rabbiner des ersten Jahrhunderts unberuumlcksichtigt geblieben oder so-gar straumlflich missachtet worden Ein deutscher Philosoph kommentierte diese Tatsache mit mutigen Worten und stellte die Frage ob sich die breite Masse der Christenheit bdquonicht mit der Imitation Christi sondern mit der Imitation einer Imitation befasst mit Legenden uumlber Christus mit Mythen uumlber Christus mit

Einfuumlhrung

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christlichen Dogmen und mit der Idealisierung Christirdquo1 Der Anspruch des vor-liegenden Buches ist es schlicht und einfach diese Besorgnis aufzugreifen Ein Weg soll aufgezeigt werden nicht nur zuruumlck in die unbekannte Vergangenheit sondern auch zu spaumlter datierten christlichen Konventionen oder Abkommen zu finden Die Geschichtsforschung belegt dass die fruumlhchristliche Theologie of-fensichtlich durch solche bdquoKonventionenrdquo verdraumlngt und ersetzt wurde

Die Geschichte offenbart auch dass sich das Schachbrett der urchristlichen The-ologie mit seiner klar umrissenen biblischen Datenbasis schon fruumlh in der nach-biblischen Zeit zu einem Bereich mit eher schwammigen Grenzen verwandelte Heute fragen wir uns allen Ernstes wie und wo wir anfangen sollen diesen Gra-benbruch zwischen den Aussagen Jesu und den philosophischen Lehren der mo-dernen Christenheit zu uumlberbruumlcken Ein Gelehrter namens A E Harvey schrieb einmal uumlber Jesus und die bdquoEinschraumlnkungen der Geschichterdquo2 dass wie es scheint diese Grenzen durch die populaumlren metaphysischen Interpretationen sei-ner sogenannten Juumlnger stets gesprengt worden sind Je laumlnger und oumlfter solche Aus-sagen wiederholt und je weiter man sich vom historischen Jesus wegbewegt desto unheilvoller wird die Situation In der Tat die Anzahl ehrlicher Christen die sich durch einen zunehmend breiter werdenden Abstand zwischen Fakten und Glau-ben quasi abgeschnitten fuumlhlen steigt stetig an Was ist wenn diese historischen Fakten nun ploumltzlich wieder in den Vordergrund des christlichen Denkens ge-ruumlckt werden und so anfangen eine echte Glaubensgrundlage zu bilden Die ge-schichtlichen Tatsachen sind dann nicht mehr nur eine simple Herausforderung einer Doktrin an die Geistlichen Man entdeckt dadurch die zentrale Frage wel-cher die Christologie heute gegenuumlbersteht Ist der geschichtliche Mann Jesus wirklich Gott zu dem ihn das christliche Dogma erklaumlrt und erhoben hat

Ziel dieses Buches ist es zum Kern der Frage vorzustoszligen Was bedeutet es ge-nau ein Christ oder eine Christin zu sein Die Antwort lautet Christus nachfol-gen Und was waumlre wenn sich herausstellte dass Jesus eine Theologie (die Lehre von Gott) vertrat die sich radikal von den Lehren unzaumlhliger Kirchen unterschei-det auch wenn sie seinen Namen tragen Weshalb erscheinen selbst die Worte Christi oft wirkungs- und belanglos Warum sind die wichtigsten Fragen mit Ta-bus belegt Wer war Jesus Wer ist Gott Ja genau Wie wuumlrde Jesus selber diese Fragen beantworten Kein Mensch der beschlieszligt Christus nachzufolgen kann es sich leisten die aufruumlttelnde unmissverstaumlndliche und brillante Meinung Jesu uumlber wer ist Gott in den Wind zu schlagen Diese Meinung Christi wird uns in der Bibel bei genauem Hinschauen klar vor Augen gefuumlhrt Hat sie etwa in einer

1 Peter Slotterdijk Kritik der Zynischen Vernunft II (Frankfurt Suhrkamp 1983) S 518 2 AE Harvey Jesus and the Constraints of History (London Duckworth 1982)

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Ecke des christlichen Denkens ein Schattendasein gefuumlhrt und ist dabei fast im Staub erstickt Sie wartet nur darauf erneut aufgegriffen zu werden

JesusausderKirchegeworfenMan kann nicht umhin sich zu fragen was Jesus selber von der heutigen Durch-schnitts-Christenheit hielte sollte er je in ein Gotteshaus irgendeiner der grossen Denominationen hereinspazieren und auf der Kirchenbank Platz nehmen Waumlre er mit dem was gepredigt wird wohl einverstanden Wuumlrde sich seine Sicht der Dinge mit dem was gesagt wird decken Wir setzen voraus dass die Worte der Hymnen und Lieder die Ausdrucksweise der Predigten die theologischen Argu-mente der Glaubensbekenntnisse ihm vertraut vorkommen Sind es aber seine eigenen Worte ndash wo er doch schlieszliglich der Gruumlnder dieses Glaubens ist Zwei-felsohne wuumlrde jede der heute existierenden christlichen Denominationen (schaumlt-zungsweise uumlber 41rsquo000 an der Zahl)3 darauf beharren Christus in ihrer Ge-meinde willkommen zu heiszligen Doch wuumlrde er sich in ihrer Mitte wirklich so behaglich fuumlhlen wie sie es hoffen Es gibt sicher wenige Christen welche die Worte Jesu ausdruumlcklich ablehnen oder verbieten Noch weniger wahrscheinlich ist dass Christen in ihren Versammlungen dem Christus Hausverbot erteilen Die Kirchengeschichte ist jedoch in dieser Hinsicht voller Berichte - mehr denn an-dere Chroniken der Vergangenheit ndash der tragisch-bizarren Art Im Jahr 529 n Chr gab der bdquochristlicherdquo Kaiser Justinian eine Neufassung des roumlmischen Ge-setzes in Auftrag etwas das im Kaiserreich bis anhin noch nie vorgekommen war Gemaumlszlig spaumlterer juumldischer Aufzeichnungen verfuumlgte Justinian dass die bdquojuuml-dische Spracherdquo nicht mehr gebraucht werden durfte Es betraf im Besonderen das Hauptgebet bekannt als bdquoShemardquo Es durfte im gesamten Roumlmischen Reich nicht mehr rezitiert werden und wurde aus allen religioumlsen Anlaumlssen bdquovollstaumlndig verbanntrdquo4

3 Pew Research Center ldquoMethodology for Estimating Christian Movementsrdquo Appendix B in ldquoGlobal

Christianity A Report on the Size and Distribution of the Worldrsquos Christian Populationrdquo Pew Research Center Religion amp Public Life Project 19 Dezember 2011 (Pew = Kirchenbank))

4 Meir Holder History of the Jewish People From Yavneh to Pumbedisa (Die Geschichte des juumldischen Volkes von Jawne nach Pumbedita eine Stadt in Babylonien am Fluss Euphrat (New York Mesorah Publications 2004) p 254 See also Hyam Maccoby Antisemitism and Mo-dernity Innovation and Continuity (New York Routledge 2006) p 20 Die Berichte stuumltzen sich auf spaumltere juumldische Uumlberlieferungen das Gesetz ist nicht ausdruumlcklich im noch vorhan-denen Codex Justinian enthalten Ein roumlmischer Bann des Shema wird auch in anderen Zeit-abschnitten erwaumlhnt siehe Oppenheimer der aus der Periode Hadrians berichtet bdquoDie Rouml-mischen Behoumlrden haben nicht das Gebet generell verboten nur das Shema Es scheint dass dieser Bann ausgesprochen wurde da das Shema insbesondere die Einheit Gottes betonterdquo (Aharon Oppenheimer ldquoEthical and Halakhic Responsesrdquo Religious Responses to Political Crises in Jewish and Christian Tradition London TampT Clark 2008) p 116) Siehe auch Solomon Grayzel ldquoThe Jews and Roman Lawrdquo The Jewish Quarterly Review Vol 59 No

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Shema bedeutet hebraumlisch bdquoHoumlrerdquo oder bdquoHorcherdquo Die Aufforderung leitet das allgemein bekannte juumldische Glaubensbekenntnis ein bdquoHoumlre Israel Jahwe unser Gott Jahwe ist nur einerrdquo (5 Mose 64 Textbibel 1899) Es ist die Quintessenz des Judaismus Seit Urzeiten rezitieren Juden das Shema als Basis ihres Glaubens wouml-chentlich in ihren Synagogen Tradition ist dass jedes juumldische Kind dieses Be-kenntnis schon in fruumlher Jugend lernt und es sind die letzten Worte die beim Tod eines juumldischen Menschen gesprochen werden Auszliger Frage steht dass die-ses einfache Zeugnis uumlber Gott das juumldische Denken mehr beeinflusst hat als jede andere hebraumlische Schrift Wenn man den Berichten uumlber Justinians Bann trauen kann dann fragt man nach dem Grund weshalb ausgerechnet diese be-ruumlhmte biblische Aussage (aus der Hebraumlischen Bibel) in der christlichen Welt nicht mehr erwaumlhnt werden durfte In welche Auseinandersetzung war da die Christenheit wohl hineingeraten Immerhin gab sie vor aus dem Herz und der Seele der juumldischen Religion hervorgegangen zu sein Zumindest kann man sich fragen wieso der Bruch mit der Vergangenheit in den christlichen Kirchen heut-zutage fortbesteht und das Shema in ihren Gottesdiensten nicht zitiert wird Die radikale Fixation der Juden auf das Shema wirkte sich auf die besondere juumldische Mentalitaumlt aus die auch Jesus hatte dies verbindet uns mit den Fragen die uns beschaumlftigen

Das zwoumllfte Kapitel des Markus-Evangeliums gibt Zeugnis von einer fesselnden Diskussion zwischen einem Torahgelehrten und dem Rabbi Jesus Der neugierige Jude war offenbar von dem was er vom jungen Lehrer in der oumlffentlichen De-batte gehoumlrt hatte sehr angetan Es veranlasste ihn eine aumluszligerst wichtige Frage zu stellen deren Antwort ihm - wie er hoffte ndash helfen wuumlrde Jesu Theologie besser zu verstehen

bdquoUnd einer der Schriftgelehrten der gehoumlrt hatte wie sie miteinander strit-ten trat hinzu und da er wusste dass er ihnen gut geantwortet hatte fragte er ihn Welches Gebot ist das erste von allen Jesus antwortete ihm Das erste ist Houmlre Israel Der Herr unser Gott ist ein Herrrdquo (Markus 1228-29 Elberfelder)

Wie er das vernahm geriet der Jude beinahe in Ekstase Jesu Wiederholung des Shema als der wichtigsten aller heiligen Vorschriften Gottes war genau das was man von einem frommen und glaumlubigen Juden erwartete Vielleicht war dieser Jesus gar nicht so bdquogotteslaumlsterlichrdquo wie seine Ratskollegen immer behaupteten

2 (Okt 1968) p 103 no 33 hier lassen sich Spuren aumlhnlicher Berichte aus anderen Gegen-den des christlichen Kaiserreichs finden Man beachte Marmorstein in der Revue des Etudes Juives Vol 77 pp 166-176 welcher rabbinische Zitate aus dem vierten Jahrhundert er-waumlhnt die bezeugen dass das Shema in juumldischen Gottesdienst verboten war Die Juden mussten sich etwas einfallen lassen es (das Shema) in anderen Gebeten zu verbergen

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Zugegeben Jesus machte viele tiefgruumlndige und sogar mysterioumlse Aussagen doch hier bewegte sich Jesus offensichtlich in der juumldischen Hauptrichtung Der dar-uumlber gluumlckliche Jude uumlbernimmt den Kommentar dazu gleich selber und inter-pretiert Jesu Aussage persoumlnlich

bdquoUnd der Schriftgelehrte sprach zu ihm Recht Lehrer du hast nach der Wahrheit geredet denn er ist einer und es ist kein anderer auszliger ihmrdquo (Vers 32)

Viele Christen haben gelernt dass die Einheit Gottes die im Shema angesprochen wird eigentlich eine bdquozusammengesetzte Einheit mehrerer Personenrdquo sei naumlm-lich des Vaters des Sohnes und des Heiligen Geistes Dies entspricht der christ-lichen Dreieinigkeitslehre Trinitarier vertreten die Meinung die bdquoEinheitrdquo im Shema beziehe sich wirklich auf bdquoeine Substanzrdquo an welcher alle drei Personen der Dreifaltigkeit gleichermassen teilhaben Ihrer Ansicht nach bedeutet das Shema potenziell einer Versammlung von mehreren Personen5 Aber weist nicht gerade die Reaktion des juumldischen Schriftgelehrten und Jesu eigene Aussage da-rauf hin dass bdquounser Gottrdquo (dh der Gott von Jesus und der Gott der Juden) als bdquoein Herrrdquo bekannt ist (Vers 29) und folglich nicht aus zwei zusaumltzlichen Einhei-ten oder kollektiv aus drei Referenten bestehen kann6 Durch den natuumlrlichen Sprachgebrauch und der der Verwendung vieler persoumlnlicher Fuumlrwoumlrter in der Einzahl haben die Juden ihre Gottheit in den heiligen Schriften klar umschrie-ben offensichtlich da sie ihn als eine singulaumlre Persoumlnlichkeit sahen In der Tat bestaumltigt ein Professor der Oxford Universitaumlt bdquoFuumlr die Juden konnte das Wort Gott nur eine einzelne Person bedeutenrdquo7

5 Die dreieinigkeitsglaumlubige Christenheit hat argumentiert dass es sich beim Juumldischen Gott bdquonicht um eine

einzelne Einheit sondern um einen Einheitsverbundrdquo handelt (D Bloesch God the Almighty (Downers Grove IVP 1995) p 184) Es wurde auch vorgeschlagen dass die Wirklichkeit von Unterschieden in der Gottheit erst noch von den Juden verstanden werden muumlsse Die finale Offenlegung einer multi-persoumlnlichen Gottheit bdquosei in den Tagen Christi nicht ausdruumlcklich oder vorbehaltlos offenbart worden da die Juden anfaumlllig fuumlr Goumltzenkult gewesen seienrdquo (Pietro Galatino De Arcanis Catholicae Veritatis (Ortona Gershom Soncino 1516) p 41) Es wird argumentiert dass in Wirklichkeit die Juden un-bewusst einen dreifaltigen Gott verehrt haumltten Die fortdauernde Unterdruumlckung der Trinitaumltsidee in-nerhalb des (christlichen) Judaismus wurde als blosse Weiterfuumlhrung der Ignoranz und der Unkenntnis ihres eigenen Gottes und der heiligen Schriften erklaumlrt

6 Man muss sich schon fragen ob mehrere Personen (definiert bdquoals Individuumrdquo Websterrsquos) mit einem singulaumlren magistralen Epithet (einem einzelnen Amtstitel) wie bdquoHerrldquo bezeichnet werden koumlnnten Der biblische Ausdruck bdquoHerrrdquo wird durchwegs als passende Beschreibung von solitaumlren Persoumlnlichkeiten wie zB Moses (4 Mose 362) David (1 Chronik 213) und Abraham (1 Mose 2448) verwendet Die Mehrzahl dh bdquoHerrenrdquo schlieszligt immer eine Vielzahl von Persoumlnlichkeiten mit ein (1 Mose 192) Wie sollte sonst der Ausdruck bdquoder Herr Yahwehrdquo (Amos 95) der einer einzelnen Person zugedacht ist gewertet werden Siehe auch Jesaja 2613 bdquoHERR unser Gott uumlber uns haben auszliger dir andere Herren geherrscht allein durch dich haben wir an deinen Namen gedachtldquo

7 D E H Whiteley The Theology of St Paul (Oxford Blackwell 1980) pp 105-106

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Wir fragen uns auch ob es im Juumldischen Denken je Sinn gemacht haumltte dass die im Shema beschriebene Einheit Gottes in Wirklichkeit eine Substanz oder eine Es-senz sein koumlnnte die irgendwie auf eine Gruppe verschiedener Individuen verteilt worden war Pflegten die Juden insgeheim einen philosophischen Monotheismus Auf was weist die exakte Sprache des Schriftgelehrten in Markus 12 genau hin Samuel Clarke (ein englischer Philosoph und Theologe in der fruumlhen Aufklauml-rungszeit 1718 Jh) schrieb dass das Wort bdquoeinrdquo oder bdquoeinerrdquo (gr heis) im Zu-sammenhang mit der Beschreibung Gottes wirklich bdquoeine Person bedeute und mehr noch die Antwort des Schriftgelehrten in Markus 1229 ff nicht auf eine Substanz bezogen werden koumlnne sondern nur auf ein Errdquo8 Dieser Ansicht stim-men Gelehrte Neutestamentler zu bdquoDer unbestimmte Artikel sbquoein(er)rsquo in Galater 320 ist maumlnnlich persoumlnlich und begrenzt sich auf eine Personrdquo9 Interessant ist dass selbst moderne trinitarisch orientierte Bibelversionen welche sich darauf spezialisieren verschiedene Uumlbersetzungsvarianten des Originaltexts auszuloten schreiben bdquoGott ist nur Einerrdquo und bdquoGott ist nur eine Personrdquo (Galater 320)10

Wer also hat Recht Sind es diejenigen die behaupten bdquoein(er)bdquo beziehe sich auf eine Substanz oder jene die sagen bdquoein(er)rdquo begrenze sich auf eine Person Was haben die Juden wirklich geglaubt was die Kernaussage des Shema uumlber Gott sei

Wie ein zeitgenoumlssischer juumldischer Theologe erklaumlrt hatte das Volk Israel die Stelle in 5 Mose 64 als zentrales Bekenntnis ausgewaumlhlt bdquoum die Einheit Gottes vor jeglicher Multiplikation vor Verwaumlsserung vor Vermischung mit den Riten der benachbarten Welt zu beschuumltzenrdquo11 Ein viel beachteter Kommentar fuumlgt hinzu bdquoDas groszlige Gebot wurde nie in Zweifel gezogen das Shema wurde durch die Juden taumlglich wiederholt Es bildete den Grundtext ihres Monotheismus (Ein-Gott-Glaubens) der sich nicht als spekulative Theorie sondern als praktische Uumlberzeugung erwiesrdquo12 Es war undenkbar dass diese Einheit von 5 Mose 64 wie sie von allen Juden des ersten Jahrhunderts verstanden wurde ploumltzlich eine alternative Interpretation zulassen oder eine Ausweitung erfahren sollte Gemaumlszlig

8 Samuel Clarke The Works (London John amp Paul Knapton 1738) p 367 9 Kenneth S Wuest Wuestrsquos Word Studies from the Greek New Testament for the English Reader Vol 1 (Grand Rapids Eerdmans 1973) p 106 10 Der Vermittler aber ist nicht sbquoVermittlerlsquo von einem Einzigen (heis) Gott aber ist ein Einziger (heis)

Neue Genfer Uumlbersetzung 11 Pinchas Lapide Jewish Monotheism and Christian Trinitarian Doctrine (Philadelphia Fortress Press 1981) p

27 (Juumldischer Monotheismus - christliche Trinitaumltslehre) 12 Arthur Samuel Peake schreibt bdquoDarin stimmte Jesus voumlllig und bewusst mit den Pharisaumlern

uumlbereinldquo(Arthur Samuel Peake A Commentary on the Bible (New York Thomas Nelson amp Sons 1920) p 696) Professor Joseph Klausner von der Hebrew University bestaumltigt bdquoWie jeder pharisaumlische Jude glaubte auch Jesus absolut an einen einzigen Gottrdquo (Joseph Klausner Jesus of Nazareth His Life Times and Teachings (New York Bloch 1989) p 377)

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eigenen juumldischen Aussagen bdquowar der Judaismus stets strikt unitarischrdquo13 was be-deutet dass der eine Gott an den sie glaubten eine bestimmte persoumlnliche Ein-heit eine klare Einzelidentitaumlt aufweist Tatsaumlchlich haben Trinitarier selber zu-gegeben dass

bdquoes den Juden hellip nie in den Sinn gekommen waumlre die Dreieinigkeit zu einem Glaubensgrundsatz zu erheben Die Juden versichern auch heute noch dass Gott in Person und Natur nur ein Einziger istrdquo14

Jesus wird als Gruumlnder des Christentums bezeichnet Waumlre er mit den Juden zu seinen Lebzeiten uumlber die Natur Gottes fundamental uneinig gewesen (wie es die modernen Christen tatsaumlchlich sind) oder haumltte er in den Judaismus eine neuar-tige und wichtige Information (vielleicht uumlber sich selbst oder uumlber Gott) einzu-bringen gehabt dann waumlre dies doch fuumlr Jesus der ideale Zeitpunkt gewesen Er haumltte seinem Ruf als bdquoOffenbarer Gottesrdquo gerecht werden koumlnnen (Joh 118)

Gemaumlszlig Vertretern dieser These habe sich Jesus bereits in den (biblischen) Be-richten uumlber ihn als Gottheit ausgegeben15 Dies waumlre der Moment gewesen in einer oumlffentlichen Debatte in Jerusalem die Wirklichkeit ihres Gottes und sich selbst als den wahren Schoumlpfergott zu erklaumlren Angeblich habe er dies getan16 Haumltten jedoch seine Zuhoumlrer ihr Grundverstaumlndnis des Konzepts Gottes (so wie es die Vorvaumlter und auch der Jesus-freundliche Schriftgelehrte kannten) aufgrund der jesuanischen Aussagen aktualisieren muumlssen stuumlnde doch mindestens etwas daruumlber in den Schriften Wie die angesehene Hastingrsquos Encyclopedia of Religion and

13 Kaufmann Kohler Emil G Hirsch ldquoDeismrdquo Jewish Encyclopedia 1906 Jewish Encylcopediacom Web

14 August 2014 (Deismus) 14 William Beveridge Private Thoughts Upon Religion and Upon Christian Life Part II (Literary Licensing LLC

1829) p 66 (Private Uumlberlegungen zur Religion und zum Christlichen Leben) Note Die vielbeachteten Be-merkungen des trinitarischen Gelehrten Emil Brunner verstaumlrken die Tatsache noch zusaumltzlich dass bdquoder Judaismus unitarisch istrdquo (Dogmatics Vol 1 p 205) Der Trinitarier Leonard Hodgson pflichtet dem bei bdquoDer juumldische Monotheismus war damals und ist heute unitarischrdquo (Christian Faith and Practice p 74) Uns wird oft nachdruumlcklich empfohlen zu entdecken dass der biblische Judaismus eine Art Trinitaumltsglauben im Winterschlaf sei aus dem er erst noch aufwachen muumlsse Allerdings sind es Tausende von persoumlnlichen Fuumlrwoumlrtern in der Einzahl mit welcher die Hebraumlische Bibel Gott unmiss-verstaumlndlich als ein Einzelwesen umschreibt Die Juumldischen Schriften legen die staumlrkste Betonung auf die strikte Einheit ihrer Gottheit Es gibt ausdruumlcklich keine Pluralitaumlt in ihr Diese wird auch nie irgend-wie gelehrt und betont oder zu einer Voraussetzung des Glaubens erhoben

15 Siehe Sue Bolin ldquoJesusrsquo Claims to be God ndash Yes Jesus Said He is Godrdquo (Probe Ministries 1992 Web 5 Mai 2014 (Jesus behauptet Gott zu sein ndash Ja Jesus sagte er ist Gott)

16 Oftmals houmlrt man die Behauptung dass zu diesem Zeitpunkt in der Jesus-Geschichte er laumlngst mit seinen beruumlhmten bdquoIch binrdquo-Aussage der Gott Israels zu sein kommuniziert haumltte Dies schlieszligt die Stelle in Johannes 818 ein welche sich beim Tempel zutrug als er mit den Pharisaumlern uumlber den Vorvater Abraham debattierte Wuumlrde dies zutreffen dann koumlnnten wir erwarten dass Jesus dies in seinen na-chfolgenden Argumenten gegenuumlber dem ihm freundlich gesinnten Schriftgelehrten auch bestaumltigt haumltte

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Ethics dagegen berichtet bdquowaren Abraham Moses und Elijah allesamt eifrige Mo-notheisten und bei keinem einzigen ihrer Nachfolger findet man ein Abgleiten der houmlchsten und reinsten Form des unitarischen Glaubensrdquo17 Doch Jesus war weit davon entfernt den Juden eine neue und fuumlr ihren Glauben erforderliche Information uumlber Gott zu geben Was er sagte wird manche in Erstaunen verset-zen

bdquoDa Jesus aber sah dass er vernuumlnftig antwortete sprach er zu ihm Du bist nicht ferne vom Reich Gottes Und es durfte ihn niemand weiter fra-genrdquo (Markus 1234)

Ist es nicht erstaunlich dass sich Jesus oumlffentlich zum tiefgruumlndigen juumldischen Verstaumlndnis des Shema bekannte und daraus sogar eine Frage der Weisheit machte dass die Schrift nicht missbraucht oder missverstanden werden sollte Der Bischof N T Wright beurteilt die Antwort Jesu die er in Markus 1229 gab eindeutig als unumstritten hellip das Shema war damals wie heute fuumlr den Judaismus absolut zentral18 Die Juden und Jesus demonstrieren in dieser Beziehung eine solide Uumlbereinstimmung nicht nur was die korrekte Interpretation des Shema be-trifft sondern auch dessen wesentlicher Vorrangstellung bei der Erfuumlllung religi-oumlser juumldischer Pflichten Der New Century Bible Commentary ein angesehener Bi-belkommentar sieht darin die Bestaumltigung bdquodass Jesus mit beiden Fuumlszligen inner-halb der juumldischen Froumlmmigkeit standrdquo19 Mit anderen Worten gesagt war die Theologie Jesu (die Lehre von Gott) foumlrmlich juumldisch20

Die Frage draumlngt sich auf Weshalb erfreut sich das bdquojuumldischerdquo Shema das Christus selber als Brennpunkt von Gottes Anweisungen an den Menschen identifiziert hatte ausgerechnet in der christlichen Lehre so geringer Bedeutung Wieso wird es durch die Jahrhunderte immer weniger zitiert Schlimmer noch als die Verach-tung war die Verurteilung mit welcher die christlichen Fuumlhrer im Jahre 529 n Chr Jesu Glaubensbekenntnis bestraften sollten die uumlberlieferten Berichte zu-treffen Sie empfanden die Worte anscheinend als derart offensiv bedrohlich und unchristlich dass sie das Shema kurzerhand im ganzen Kaiserreich verboten

17 J Hastings (ed) ldquoJudaismrdquo Hastingrsquos Encyclopedia of Religion and Ethics Vol VII (New York Charles

Scribnerrsquos Sons 1915) p 582 18 N T Wright Jesus and the Victory of God (Minneapolis Fortress Press 1996) p 305 Hinzufuumlgung 19 Hugh Anderson New Century Bible Commentary on Mark (Grand Rapids Eerdmans 1981) p 280 20 Der Word Biblical Commentary (Biblischer Wort-Kommentar) von 2001 zieht erstaunlicher-weise den

Schluss dass Jesu Lehre hier bdquonicht spezifisch christlichrdquo gewesen sei (WBC (Nashville Thomas Nelson 2001) p 261)

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Dieser Bann erfolgte da scheinbar im Shema des 5 Buches Mose die totale Un-vereinbarkeit mit der Trinitaumltsdoktrin erkannt wurde21 Das Shema war zweifels-frei das Bekenntnis von Jesus Christus aus der bdquochristlichenrdquo Welt wurde es bdquover-bannt weil es die Trinitaumlt verleugnetrdquo22 Die orthodoxe Doktrin der Dreifaltig-keit ist das beruumlhmteste und zugleich das eigenartigste Dogma der abendlaumlndi-schen Religion Es hat nicht nur viel zu reden gegeben sondern ist gleichzeitig zum wichtigsten Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Christentum und sei-nen strikt unitarischen juumldischen und muslimischen Cousins geworden Es gilt bei den meisten populaumlren Denominationen immer noch als untruumlglicher Lack-mustest (Fachausdruck aus der Chemie Test zur Bestimmung des Saumluregehalts hier bild-lich angewendet) einer authentisch christlichen Gesinnung Man kann jedoch sagen dass Jesus selber die Pruumlfung seines landlaumlufigen Glaubens diesbezuumlglich gemaumlszlig den Standards der Katholischen Kirche kaum bestanden haumltte

Obwohl Jesus oumlffentlich lehrte dass Gottes ausschlieszliglicher Herrschaftsan-spruch die notwendige Grundlage und die houmlchste Anforderung seiner eigenen Hingabe war schienen Christen der roumlmischen Zeit bestrebt nicht nur seine Worte sondern auch diejenigen Menschen zu verbannen die es wagten die Worte des Shema zu wiederholen Historiker erinnern daran dass staatliche In-spektoren durch das Land zogen um sicherzustellen dass niemand gegen das Verbot verstieszlig bdquoWachleute wurden eingestellt um in den Synagogen die Rezi-tation des Shema zu unterbinden denn selbst stillschweigend proklamierte das Bekenntnis Gottes Einheit und bestritt unmittelbar die christliche Lehre der Trinitaumltrdquo23 Auch nur indirekt ein orthodoxes Dekret herauszufordern selbst ein weniger wichtiges als die offizielle Vorstellung eines dreieinigen Gottes bedeu-tete eine Bedrohung der Kirchenautoritaumlt sowie der kaiserlich-goumlttlichen Gewalt welche die Kirche autorisierte Der roumlmische Kaiser war eine Verbindung mit dem dreieinigen Gott eingegangen Er amtierte als Huumlter der Orthodoxie des rechten Glaubens und zwar als Gottes bevollmaumlchtigter Stellvertreter auf Er-den24 Offensichtlich war in der christlichen Welt kein Platz mehr fuumlr bdquodas Rezi-

21 Standford Rives Did Calvin Murder Servetus (Charleston BookSurge Publishers 2008) p

268 (Hat Calvin Servetus umgebracht)) 22 Hyam Macoby Antisemitism and Modernity (London Routledge 2006) p 20 (Antisemitismus

und Modernitaumlt) 23 W D Davies Louis Finkelstein The Cambridge History of Judaism Vol 4 (Cambridge CUP 1984)

p 17 24 Eine Minderheit pflegte den Kaiser als irdische Emanation der Trinitaumlt zu sehen Siehe Steven Runci-

man The Byzantine Theocracy (Cambridge CUP 2004) p 24 Freeman beobachtete dass in den fruumlheren Jahren bdquoDiocletian den Prozess der Erhoumlhung des Kaisers uumlber seine Untertanen vervollstaumln-digte indem er sich selbst mit seinem heidnischen Lieblingsgott verbandrdquo Fuumlr Konstantin war dieser Gott bereits christlich wie im Werk von Eusebius Das Leben Konstantins bdquoder ideale christliche Mon-arch das Spiegelbild Gottes auf Erdenrdquo beschrieben ist bdquoHierin sind Spuren des Platonismus sichtbarrdquo

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tieren des Shema dessen klare Aussage der Einheit Gottes in flagrantem Wider-spruch zur christlichen Doktrin (der Trinitaumlt) standrdquo25 Wie ist das alles passiert Wie ist das Christentum in diesen Verfassung hineingeraten in welcher es nicht mehr erlaubt war Jesu eigenes Bekenntnis in sbquoseinerrsquo Kirche zu sprechen

DasbdquoAlterdquomussrausOffensichtlich hat im christlichen Erbe ein frappanter Wechsel der Prinzipien stattgefunden Das Shema (Gott ist Einer) wurde scheinbar gegen das Bekenntnis zur Dreifaltigkeit ausgetauscht Dieses galt nun als das fundamentale Dogma der Christus-Nachfolger Der Katechismus der Katholischen Kirche haumllt fest

Das Mysterium der heiligsten Dreifaltigkeit ist das zentrale Ge-heimnis des christlichen Glaubens und Lebens Es ist das Myste-rium des inneren Lebens Gottes der Urgrund aller anderen Glau-bensmysterien und das Licht das diese erhellt Es ist in der bdquoHie-rarchie der Glaubenswahrheitenrdquo (DCG 43) die grundlegendste und wesentlichste26

Tatsaumlchlich genieszligt die Idee eines dreieinigen Gottes eine immense Vorrangstel-lung in der gemeinsamen Gottesverehrung Die Doktrin war waumlhrend Jahrhun-derten ein wesentlicher Bestandteil der konventionellen Christenheit Es uumlber-rascht demgegenuumlber dass der beruumlhmte katholische Gelehrte Hans Kuumlng er-klaumlrt dass bdquodie Doktrin der Trinitaumlt wohl zentral jedoch auch disputabel dh bestreitbar istrdquo27 Erstaunlich viele andere trinitarische Lehrer Apologeten und Kirchenfuumlrsten geben ehrlich zu dass diese fundamentale Doktrin bdquonicht direkt oder unmittelbar aus dem Worte Gottes stammtrdquo28 und bdquokein Teil der urspruumlng-lichen Botschaft istrdquo29 Sie ist in der Tat houmlchst eigenartig Gelinde gesagt ist die-ser Zustand skandaloumls Die Trinitaumltsdoktrin hat in der Vergangenheit mehr Kont-roversen ausgeloumlst und ist kritischer untersucht worden denn jede andere christ-liche Idee der Geschichte Wie soll sich nun ein heutiger Bibelstudent zu solch

(Charles Freeman The Closing of the Western Mind The Rise of Faith and Fall of Reason (Wie sich das westliche Denken verschloss Aufstieg des Glaubens und Abstieg der Vernunft) (New York Vintage Books 2002) p 252) Ambrosiaster von Rom (4 Jh) schrieb bdquoDer Koumlnig (Kaiser) traumlgt das Ebenbild Gottes wie der Bischof das Ebenbild Christi traumlgtrdquo Der Redner Themistius (4 Jh) pflichtet dem bei bdquoDer Kaiser ist die Emanation (Ausstrahlung) der goumlttlichen Natur er ist die Vorsehung auf Erdenrdquo

25 Meir p 195 26 Katechismus der Katholischen Kirche I 2 234 27 Hans Kuumlng ldquoForewordrdquo Born Before All Time (New York Crossroad 1998) p xix 28 The Catholic University of America ldquoTrinityrdquo New Catholic Encyclopedia (New York

McGraw-Hill 1967 Vol XIV) p 304 29 W R Matthews God in Christian Experience (Whitefish Kessinger Pub 2010 [1930]) p 180

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verbluumlffenden Vorwuumlrfen vonseiten respektierter trinitarischer Professoren ver-halten die offen zugeben dass die bdquoBibel die Dreifaltigkeit nicht lehrt denn we-der das Wort Trinitaumlt noch Ausdruumlcke wie sbquoeiner in dreirsquo sbquodrei in einemrsquo sbquoSub-stanzrsquo oder sbquoEssenzrsquo der biblischen Sprache entstammenrdquo30 Der Trinitarier Christopher B Kaiser Professor der historischen und systematischen Theologie des Western Theology Seminars liefert das folgende umwerfende Aussage

Die Trinitaumltslehre der Kirche scheint wohl am entferntesten von Jesus und den Autoren des Neuen Testaments sowie ihrem Den-ken zu sein Der heutige Leser mag sich fragen ob es hilfreich sei ein derartiges Dogma ins Spiel zu bringen wenn es darum geht die Theologie des Neuen Testaments zu erfassen Wenn die Kirche die Trinitaumltslehre diskutiert dann bezieht sie sich auf eine Glau-bensthese dass Gott ewig in drei unterschiedlichen Personen exis-tiert die innerhalb der Gottheit ebenbuumlrtig und in der Substanz eins sind Doch diese Aussage ist nirgendwo im Neuen Testament zu finden bis ins 4 Jahrhundert wurde sie nie und nirgends deut-lich artikuliert31

Wenn nun eine klare biblische Aussage zum Thema der essentiellen christlichen Philosophie eher Mangelware ist oder gar voumlllig fehlt aus welcher Quelle schoumlpfte dann die Kirche ihren Einfluss fuumlr diese gewaltige Doktrin Im Jahr 2014 veroumlffentlichte das Charisma Magazine ein Eingestaumlndnis des beliebten trini-tarischen Professors des Fuller Theologischen Seminars Charles Peter Wagner bdquoHeute glauben wir an die Dreieinigkeit nicht weil diese direkt in der Bibel offen-bart worden waumlre sondern weil an gewissen Konzilen die meisten Teilnehmer dafuumlr gestimmt hatten ndash mit anderen Worten aufgrund auszliger-biblischer Offen-barungrdquo32 Viele evangelische Christen schauen von oben herab auf ihre katholi-schen Cousins weil diese ihre Dogmen durch Uumlberlieferung und auf Konzilsbe-schluumlssen begruumlnden anstatt durch die Heilige Schrift Vielen ist dabei nicht be-wusst dass eine ihrer eigenen und ihrer beliebtesten Doktrinen genau in diese Kategorie passt Die vielen trinitarischen Akademiker die den Makel offen zuge-ben dass eine der wichtigsten Lehren ihres Glaubens nicht mit den Lehren Jesu und der Apostolischen Kirche uumlbereinstimmt machen das Raumltsel nur noch schlimmer Ein protestantischer Theologieprofessor der Universitaumlt Hull hat sich weit vorgewagt

30 Shirley C Guthrie Christian Doctrine (Louisville Westminster John Knox 1994) pp 76-77 31 Christopher B Kaiser The Doctrine of God (Eugene Wipf amp Stock 2001) p 27 32 Peter C Wagner ldquoBut Thatrsquos Not in the Wordrdquo Charisma Magazine 2 June 2014 Web 19 December

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Kein Gelehrter des Neuen Testaments wuumlrde je behaupten die Dreifaltigkeit sei durch Jesus gelehrt oder die Trinitaumlt sei durch die fruumlhen Christen gepredigt geschweige denn durch die Autoren des Neuen Testaments schriftlich festgehalten worden Das Dogma entwickelte sich langsam und schrittweise im Verlaufe der ersten Jahrhunderte33

Tatsache ist dass die Trinitaumltsdoktrin kein Diskussionsthema der fruumlhen christli-chen Gemeinschaft war Es war ein Produkt spaumlterer kirchlicher Entwicklung und war lang umstritten Es ist Gegenstand der Untersuchung in folgenden Ka-piteln dieses Buches Einfach zu belegen ist wie viele renommierte christliche Experten offen eingestehen dass sich der Geist des (wahren) Glaubens aus der judaistischen Welt verabschiedet hat und schon fruumlh in die Welt der griechischen Philosophie verwandelt hat Der anerkannte Bibelgelehrte James Strong Autor der massgeblichen Strongrsquos Concordance schrieb

Gegen Ende des ersten und waumlhrend des zweiten Jahrhunderts ka-men viele Gelehrte aus dem hellenistischen Judentum sowie aus dem Heidentum zum christlichen Glauben Mit ihnen kamen pla-tonische Ideen und die Ausdrucksweise in die christlichen Theolo-gieschulen hinuumlber34

Diese Verschiebung beguumlnstigte offensichtlich die Produktion von Glaubensre-geln und -bekenntnissen die fuumlr Urchristen voumlllig unverstaumlndlich gewesen waumlren Speziell im Hinblick auf die Trinitaumltslehre finden wir trinitarische Theologen die eingestehen dass bdquoSt Paulus diese weder kannte noch in der Lage gewesen waumlre die Bedeutung der Ausdruumlcke der theologischen Formeln zu verstehen mit de-nen sich die Kirche jedoch einverstanden erklaumlrterdquo35 Wenn dies stimmt wie wol-len dann christliche Sekten heutzutage eine direkte theologische Verbindung zur apostolischen Kirche (des 1 Jahrhunderts) ableiten Wie wollen sie mit sprachli-chen und philosophischen Uumlberlegungen argumentieren welche den Aposteln komplett unverstaumlndlich gewesen waumlren Beschreiben die Apostel nicht mit eige-nen Worten den Glauben Dieselbe Frage trifft auch auf die Sprache und Theo-logie Jesu zu War er [Jesus] ein Lehrer der angeblich die Grundbedingungen der christlichen Juumlngerschaft selber nicht richtig formulieren konnte Mussten zu die-sem Zweck die bdquoplatonischen Ideen und ihre Ausdruckweisenrdquo hinzugezogen werden welche in spaumlteren Jahrhunderten in die sich entwickelnde Christenheit

33 A T Hanson The Image of the Invisible God (London SCM Press 1982) p 87 34 James Strong John McClintock ldquoTrinityrdquo Cyclopaedia of Biblical Theological and Ecclesiastical

Literature Vol 10 (New York Harper 1891) p 553 35 Matthews God in Christian Experience p 180

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eingefuumlhrt und zu Dogmen wurden Wenn es wahr ist dass die griechische Phi-losophie auch heute noch die Bedingungen des christlichen Glaubens diktiert dann ist die Folge fuumlr die allgemein anerkannte Froumlmmigkeit zurecht ziemlich alarmierend Die Hauptthemen des Neuen Testaments tanzen auffaumlllig nach der bdquoMusik welche auf ausgesprochen heidnischen Instrumenten gespielt wirdrdquo um hier bildlich zu sprechen

UnsereVoraussetzungWaumlhrend Jahrhunderten hat in der Szene der christlichen Apologetik eine an-scheinend unaufhaltsame Epidemie um sich gegriffen die wir als historischen Ak-tivismus (Durchsetzung bestimmter Absichten) bezeichnen koumlnnten Durch Auslassun-gen und mittels waumlhlerischer Betonungen jener Momente und Zahlen die der Mission der voreingenommenen Evangelisten am zutraumlglichsten sind Man geht sehr subtil ans Werk Der beliebte und bdquooffiziellerdquo Bericht der Kirchengeschichte wird pauschal in eine noble Erzaumlhlung umfunktioniert So geschah es mit der Sage des groszligen trinitarischen Glaubens der sich angeblich aus dem apostoli-schen Zeitalter herausbewegt und unter dem Schutz der katholischen Bischoumlfe uumlberlebt haben soll Dann haumltten gefaumlhrliche Marodeure die wahren und echten Doktrinen uumlberfallen und erneuert Ein fein saumluberliches Bild ist entstanden das in Buumlchern dokumentiert wurde und in den Vorlesungssaumllen der angesehensten Schulen gelehrt wird Doch der Prozess der Umfaumlrbung hatte schon sehr fruumlh eingesetzt Auf weiten Strecken zeigt die Geschichte des so genannten orthodo-xen (rechtglaumlubigen) Dogmas den Einfluss die polemischen Schriften des Atha-nasius (gestorben 373 n Chr) oder die Berichte des Eusebius von Caesarea (ge-storben 339 n Chr) Um hier einen Vergleich zu wagen aumlhnelt die von Forschern entdeckte Kirchengeschichte des Eusebius eher bdquoeinem abstrakten Werk von Picasso als einem gegenstaumlndlichen Gemaumllde von Da Vinci eine Karikatur der Ge-schichte gesehen durch die Augen eines politischen Uumlberlebenskuumlnstlersrdquo36 Wie

36 Historiker aller Zeiten haben die Vorurteile in den Aufzeichnungen des Eusebius herausgefordert und

kamen zum Schluss dass er weitgehend daran interessiert war dem Staat zu gefallen Socrates Scholas-ticus (5 Jh) beschrieb das Werk des Eusebius als bdquorhetorische Veredelungrdquo bestimmt dazu dass sie bdquovom Kaiser gelobtrdquo wuumlrde eher als bdquodie Tatsachen akkurat festzuhaltenrdquo (Socratesrsquo Church History Book I Ch 1) Der groszlige Geschichtsschreiber Edward Gibbon bemerkte dass Eusebius alles unterdruumlckte bdquowas die Religion in Verruf haumltte bringen koumlnnenrdquo (Decline and Fall Vol 2 (New York Collier 1876) p 676) (Verfall und Untergang des roumlmischen Imperiums) Einer der Gelehrten ging sogar so weit und sagte dass bdquoEusebius der erste unehrliche und durchaus voreingenommene Historiker der Antike warldquo (Jakob Burckhardt zitiert bei Robert L Wilken The Myth of Christian Beginnings (Eugene Wipf and Stock 1971) p 57) (Der Mythos der christlichen Anfaumlnge) Andere Gelehrte charakterisierten Eusebius als bdquopolitischen Stimmungsmacherrdquo (Erik Peterson Der Monotheismus (Munich 1951) p 91) und als bdquoden groszligen Pub-lizisten des ersten roumlmischen Kaisersrdquo (Robert A Markus ldquoThe Roman Empire in Early Christian His-toriographyrdquo The Downside Review Vol 81 No 265 (Downside College of St Gregory 1963) p 343 (Das Roumlmische Reich in der fruumlhen christlichen Historiographie) Zu guter Letzt betitelte man ihn als bdquopolitischen Theologenrdquo (Hans Eger bdquoKaiser und Kircherdquo Zeitschrift fuumlr die neutestamentliche Wissenschaft Vol 38 (Berlin Degruyter 1939) p 115)

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moderne Historiker treffend bemerkten sind bdquowenige geschichtliche Interessens-gebiete im Verlaufe der letzten zwanzig Jahre so komplett umgeschrieben wor-denrdquo wie die theologischen Kontroversen des vierten Jahrhunderts im Bestre-ben die christliche Wahrheit zu definieren37 Wir verdanken es zwei Entwicklun-gen der Moderne naumlmlich a) einem kritischeren Geist des akademischen Ermes-sens und groumlszligerem Spielraum sowie b) verschiedenen archaumlologischen Entde-ckungen Die Schriftfunde von Nag Hammadi und die Schriftrollen vom Toten Meer (Qumran) sind zwei herausragende Beispiele davon Sie geben einer neuen Perspektive Aufschwung und lassen die fruumlhe Christenheit ohne die monolithi-sche orthodoxe Struktur und ohne die alles uumlberragende trinitarische Doktrin erscheinen Sie zeigen einen Jesus der fest in der monotheistischen Tradition des Judaismus gegruumlndet war Gerade dieser Aspekt seines Glaubens an einen Gott wurde jedoch vom spaumlteren Christentum verworfen

Wollen wir heute die Theologie Jesu und die der Autoren des Neuen Testaments besser verstehen muumlssen wir zuerst lernen wie die Urchristen Gott sahen Sie waren wirkliche historische Personen in einem realen religioumlsen Umfeld Wie er-warteten sie dass ihre eigene Literatur (das Neue Testament) von der Welt auf-genommen wuumlrde Kann man in den Aufzeichnungen der Apostel einen trinita-rischen Hintergrund entdecken Schwelte in ihrem geschichtlichen Milieu wie ein Brand vielleicht schon ein philosophisches Konzept das ihnen eine dreieinige Gottheit und einen Jesus als multipersonales Wesen oder als eine bdquoPersonrdquo viel-leicht eine Hypostase davon vorgegeben haumltte Doch die Bedingung ihres juumldi-schen Umfeldes welches das hebraumlische Denken zementierte war die Vorstel-lung von einem Gott Sollten wir entdecken dass ein trinitarisches Konzept ihrem Hintergrund tatsaumlchlich voumlllig fremd war und wenn es wahr ist dass sie selber weder eine solche Neuerung einfuumlhren noch verbreiten wollten waumlre dann eine objektive Beurteilung ihres Glaubens ohne Spekulation moumlglich Das konkrete religioumlse Geruumlst des Judentums zur Zeit der Juumlnger Christi in welches auch ihre Vision des Kommens Jesu Christi passte ist bekannt Koumlnnten wir in unserer heutigen Zeit durch die Wiederherstellung derselben Theologie von damals zu einem besseren Verstaumlndnis von Jesus gelangen Koumlnnte die Bibel selber genuuml-gend Informationen bereithalten welche die im vierten Jahrhundert eingebrach-ten und inzwischen im Christentum beliebten Bekenntnisse [das Nicaumlnum zB] als radikal unnoumltig erscheinen lassen Milde ausgedruumlckt sind die aus dem vierten Jahrhunderten stammenden Glaubensbekenntnisse der meisten Denominationen mehr oder weniger verwirrend

Durch das vorliegende Buch werden wir sehen wie viele gelehrte Trinitarier schon offengelegt haben dass das Neue Testament nirgends fuumlr einen dreieinigen

37 Freeman Closing of the Western Mind p 163 (Wie sich das Westliche Denken schloss)

Einfuumlhrung

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Gott plaumldiert Die Entwicklung eines trinitarischen Systems war nur durch Inferenz moumlglich38 dh durch die Logik von (meist faumllschlichen) Schlussfolgerungen Die daraus resultierende Theorie entstammt mit Sicherheit nicht der Bibel Sie kann ohne ein paralleles metaphysisches und voumlllig fremdartiges Geruumlst gar nicht existieren Wir gehen davon aus dass sich die Bibelinterpretationen der spaumlteren christlichen Orthodoxie nicht mehr ausschliesslich auf die heiligen hebraumlischen Schriften und die von den Aposteln uumlbernommene juumldische Weltanschauung stuumltzten Eine metaphysische oder transzendentale Auslegung wurde aus einzelnen externen Philosophien uumlberwiegend griechischer Herkunft kuumlnstlich zusammengesetzt und den biblischen Schriften aufgepfropft Das Resultat dieses Vorgangs war die groszlige Transformation des urspruumlnglichen hebraumlischen Glaubens der ersten Ju-den die Jesus nachfolgten Wie beobachtet wurde bdquowar das Christentum wie ein riesiger Ozean in den eine Anzahl geistlicher Stroumlme aus fernen und unterschied-lichen Gegenden muumlndeten ndash aus gewissen Religionen Asiens und Europas groszlige Ideen griechischer Weisheit besonders maszliggeblich die des Platonismusrdquo39 Doch wenn man die tief-juumldischen Dokumente des Neuen Testaments genau be-trachtet fragt man sich unweigerlich weshalb die spaumlteren Christen so ernsthaft nach einer bdquoheidnischenrdquo Brille verlangten Wieso fanden sie es fuumlr noumltig unermuumld-lich zu spekulieren wie vermeintliche Luumlcken der theologischen Zusammen-haumlnge am besten uumlberbruumlckt werden koumlnnten obschon die Apostel selber kein Missbehagen daruumlber ausdruumlckten Fehlte in ihren Manuskripten wirklich etwas Grundsaumltzliches

Unser ultimatives Ziel ist zu zeigen dass das orthodoxe Gottes-Dogma der Trini-taumlt in erster Linie das Konstrukt einer unnoumltigen Problemloumlsung ist Die Philoso-phen des spaumlten Roumlmischen Reiches versuchten zwei Raumltsel zu loumlsen die eigent-lich gar keine Raumltsel waren Zunaumlchst befuumlrchteten sie christliche Auswirkungen auf die griechische Philosophie Sie waren der Ansicht dass die Christus-Bewe-gung die etablierten intellektuellen Systeme ihrer Zeit philosophisch uumlbertreffen und in sie eingreifen koumlnnte Ohne ihre Absicht oder ihre Froumlmmigkeit in Frage zu stellen koumlnnen wir die Vorteile erkennen die eine solche Versoumlhnung der Ideen mit sich bringt Zweitens beabsichtigten sie die vermeintlichen Diskrepan-zen zwischen dem Alten und Neuen Testament zu bereinigen Im Bericht des Jesus-Ereignisses glaubten sie die Fleischwerdung (Inkarnation) eines zweiten goumlttlichen Wesens zu entdecken Darin unterschied sich der Monotheismus (Ein-

38 Trinitarische Akademiker erklaumlrten schon lange dass diese Lehre nirgends in den biblischen Dokumen-

ten belegt ist sondern durch Implikation erreicht wird dh bdquoEs wird zugegeben dass die Lehre der Dreieinigkeit weder im Alten noch im Neuen Testament ausdruumlcklich steht ihr jedoch beide Teile still-schweigend zustimmenrdquo (J Hampton Keathley ldquoThe Trinity (Triunity) of Godrdquo Bibleorg 18 May 2004 Web 23 October 2015)

39 H F Amiel quoted in L L Paine The Ethnic Trinities and Their Relations to the Christian Trinity (New York Houghton Mifflin and Co 1901) p 199

Einfuumlhrung

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Gott-Glaube) der juumldisch-biblischen Gemeinschaft stets von den benachbarten Heiden Vielleicht war es nur eine Wunschvorstellung doch das Ereignis der Ge-burt von Jesus verlangte nach einer Erklaumlrung im Licht des Monotheismus Die Loumlsungen die sie konstruierten waren zugegebenermaszligen oft genial Aber die Probleme fuumlr die sie kreiert wurden existierten in Tat und Wahrheit gar nicht Die scheinbaren Unterschiede welche die heidnischen Philosophen zu sehen glaubten waren meist Missverstaumlndnisse die sich aus ihrem Mangel an Vertraut-heit mit der hebraumlischen Weltanschauung ergaben Die Schluumlsse zu denen sie kamen basierten auf ihren platonischen und gnostischen Ideen von denen sie durchdrungen waren Da gab es zwei Stolpersteine a) die allmaumlhliche Scheidung vom Judentum und b) die Verliebtheit mit den uumlberlieferten hellenistischen For-meln und Thesen Sie genuumlgten offenbar um das religioumlse Denken der fruumlhen (Heiden-)Christen in Schieflage zu bringen so dass sie nicht nur den originalen juumldischen Glauben Jesu verdrehten sondern einen voumlllig neuen erfanden

Fuumlr diejenigen die eine Wegbeschreibung dieser Entwicklung wuumlnschen werden die oben erwaumlhnten Ideen in unserem Buch auf zwei Arten demonstriert der erste Teil befasst sich zunaumlchst mit der sich entwickelnden Geschichte der ortho-doxen Theologie und der Wechselwirkung mit den platonischen und gnostischen Gedanken sowie den daraus resultieren fruumlhkirchlichen Herausforderungen Der zweite Teil fokussiert sich auf die biblische Darlegung im Licht der Argumente des Dogmas Es bleibt zu hoffen dass sich durch diese tiefschuumlrfende Hinterfra-gung der Trinitaumlt dem Markenzeichens der christlichen Orthodoxie ein ver-staumlndlicheres Bild von Jesu historischer Theologie entdecken laumlsst

EinAufrufzurEinigkeitumJesusWaumlhrend Jahrhunderten erlebte die Welt eine gespaltene Christenheit Die Zivi-lisation wartete geduldig auf eine Befreiung der Christen von den internen Mei-nungsverschiedenheiten Sie sehnten sich nach der Einigung unter demjenigen dem sie zu folgen vorgaben Doch von dieser Einigkeit sind wir heute wohl noch weiter entfernt als in der Vergangenheit wo der Same der Verwirrung ausgesaumlt worden war Es steht nicht zur Debatte dass der apostolische Frieden schon sehr fruumlh durch teure interne Konflikte betreffend der Prinzipien der Dreifaltigkeit Gottes gestoumlrt worden war Was auch untersucht werden muss ist das Ausmaszlig des angerichteten Schadens Bekannt ist dass bdquodie Trinitaumltsdoktrin im Blut von Abertausenden von Maumlrtyrern geboren und gewachsen warrdquo40 Was genau recht-fertigte einen so hohen Preis H G Wells schrieb in The Outline of History (Uumlber-blick der Geschichte) dass bdquowir jetzt sehen koumlnnen wie im Verlaufe der Zeit die gesamte Christenheit durch die Auseinandersetzungen uumlber die Trinitaumlt zerrissen

40 Thomas Jefferson Letter to theologian James Smith December 8 1822

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wurderdquo Diese Tatsache ist umso schlimmer wenn Wells auch damit Recht hat dass bdquoes nicht bewiesen werden kann die Apostel Christi haumltten je von einer Dreieinigkeit Gottes insbesondere von Jesus gehoumlrtrdquo41

Aufgrund dieser Anspielungen koumlnnen wir mit hoher Gewissheit davon ausge-hen dass der Grund fuumlr die erwaumlhnte Zerrissenheit der Christenheit weder in der politischen Korruption noch in einer zunehmenden Scheidungsrate in der Ge-sellschaft noch in der allgemeinen Habgier liegt sondern in der tragischen Ab-kehr von den Lehren Christi Diese Trennung diesen Bruch haben einige der angesehensten Evangelikalen bereits in ihren Kommentaren zugegeben Ein be-kannter Presbyterianer Dr James Kennedy schrieb bdquoViele glauben heute der Kern des Christentums basiere auf den Lehren Christi aber dem ist nicht so hellip das Christentum fokussiert sich nicht auf Jesu Lehren sondern auf die Person Jesus die als fleischgewordener Gott in die Welt [Inkarnationslehre] gekommen warrdquo42 Dr Harold OJ Brown pflichtet dem bei bdquoChristentum ist nicht der Glaube an Jesu Lehren sondern an das was uumlber ihn gepredigt wird hellip ein Aufruf zu sbquoglauben wie Jesus geglaubt hatrsquo eher denn sbquoJesus zu glaubenrsquo hellip ist eine dramatische Trans-formation der grundlegenden Natur des Christentumsrdquo43

Man kann sich schon fragen warum das traditionelle Christentum dh die Durchschnitts-Christenheit weitgehend uninteressiert ist an dem was der histo-rische Jesus gelehrt hat durch Anweisungen zu bdquoglauben wie Jesus geglaubtrdquo hat weicht man krass von der christlichen Religion ab Indirekt gibt man damit auch zu dass was Jesus lehrte tatsaumlchlich den Lehrmeinungen des uumlberlieferten Sys-tems der Orthodoxie widerspricht Wie weit ist sich die christliche Allgemeinheit dieser Diskrepanzen und Widerspruumlche bewusst Hat die uumlberwiegende Mehrheit der modernen Denominationen unbewusst nach-biblische Ideologien uumlbernom-men welche Jesus von seiner eigenen Theologie getrennt haben Die Folgen da-von sind nicht weniger als weltbewegend gewesen Kein Wunder also dass der Glaube heute in einer tiefen Krise steckt

Schliesslich koumlnnten sich die Fesseln beliebter Gewohnheiten fuumlr viele als zu streng festgeschnuumlrt erweisen Dr Jason BeDuhn bemerkte bdquoGewissen Dingen wird durch Alterung eine Art Unantastbarkeit verleihen angefangen damit dass

41 H G Wells The Outline of History Being a Plain History of Life and Mankind (London The

Waverley Book Company 1920) p 284 42 James Kennedy ldquoHow I Know Jesus is Godrdquo Truths that Transform James Kennedy Ministries 11

November 1998 Web 15 December 2015 Hinzufuumlgung 43 Harold Brown Heresies (Peabody Hendrickson 1984) p 13 Hinzufuumlgung

Einfuumlhrung

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Dinge erscheinen als ob sie schon immer da gewesen waumlren und eine Veraumlnde-rung eine gefaumlhrliche Erneuerung waumlre hellip doch eine groszlige Anzahl oder eine lange Zeitdauer der Dinge waren noch nie Kriterien der Wahrheitrdquo44

Koumlnnte das Zeugnis des Jesus von Nazareth das urspruumlnglich als selbstverstaumlnd-lich und unwandelbar galt erneut einen Funken zuumlnden und fuumlr Millionen eine umfassende Neubeurteilung ihres Glaubens ausloumlsen Solange jedoch die Schrift-auslegung von der Leitung kirchlicher Konventionen (lat ex cathedra) abhaumlngig ist ist die Chance dazu wenig wahrscheinlich Es obliegt uns durch einen bdquoMas-senexodus aus den orthodoxen Dogmenrdquo in das bdquoLand der biblischen Wahrhei-tenrdquo den zersplitterten Koumlrper Christi (die Kirche) wieder zu restaurieren

Betreffend die ausgesprochene Betonung die Jesus in Markus 12 auf das Shema legte bietet ein christlicher Gelehrter eine alarmierende Betrachtung an bdquoJesu Be-staumltigung des Shema ist an sich weder besonders bemerkenswert noch spezifisch christlichrdquo45 Doch die Tatsache dass Jesus oumlffentlich eine nicht-christliche Theologie (die juuml-dische) vertrat ist houmlchst bemerkenswert Fuumlr moderne Studenten die ihn (Jesus) nachahmen wollen mag dies zumindest beunruhigend oder gar peinlich sein Die Frage warum Jesus im Neuen Testament nicht bdquoausgesprochen christlichrdquo klingt ist vielleicht nicht massgebend doch im umgekehrten Sinn zu fragen warum die heutigen Christen nicht wie Jesus klingen schon eher Wenn es wirklich zutrifft dass das Christentum bdquodas wahre Christsein weggetan hat ohne es zu merkenrdquo46 dann gilt wie JW Bowman so treffend formulierte bdquoDie Kirche kann nicht un-ablaumlssig etwas uumlber Jesus behaupten das er selber (Jesus) als unzutreffend be-zeichneterdquo47

Den Gott den Jesus predigte entdecken und zu ihm stehen bedingt die feierliche Verpflichtung ihm zu folgen Diesem Gott hat Jesus seine Zeit seine Energie und seine ganze Liebe gewidmet Ein Juumlnger des Mannes von Nazareth muss denselben Gott mit der gleichen feurigen Hingabe wie Jesus selber suchen und ihm dienen ohne Ruumlcksicht auf die Kosten

44 Jason David BeDuhn Truth in Translation Accuracy and Bias in English Versions of the New Testa-

ment (Lanham University Press of America 2003) p xiv xv 45 Craig Evans Word Biblical Commentary Mark 34b (Nashville Thomas Nelson 2001) p 261 46 Soslashren Kierkegaard Time Magazine Dec 16 1946 p 64 47 John Wick Bowman The Intention of Jesus (London SCM Press 1945) p 108

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TEILI

DieDunkelheit

Die Geschichte der Orthodoxen Theologie und

deren fruumlhe Herausforderungen

bdquoDie wahre Kritik des Dogmas ist in sei-ner Geschichte zu findenrdquo

David Friederich Strauss

bdquoWir glauben die Doktrin eines dreifaltigen Gottes da wir sie durch Uumlberlieferung emp-fangen haben obwohl sie nirgends in der Schrift erwaumlhnt wirdrdquo

Cardinal Stanislaus Hosius

1

DieunvollendeteReformation

bdquoDer Reformer hat immer Recht uumlber das was falsch ist Nur liegt er manchmal falsch uumlber das was Recht istrdquo

G K Chesterton

IE ERSTEN SECHSHUNDERT JAHRE der Kirche Jesu Christi wa-ren eine unglaublich gefahrvolle Zeit Die vielen konkurrierenden Dokt-rinen uumlber die Identitaumlt Christi warfen die Kirche wie ein Schifflein auf

einem tobenden Meer hin und her Woge um Woge uumlberrollten die Debatten die Glaubenden die Wellen brachen sich an ihnen und zersplitterten sie Viele sbquoer-trankenlsquo in der Brandung auf tragische Weise Gegner wurden ins Exil geschickt Buumlcher verbrannt Haumlretiker umgebracht und die Theologie (Gotteslehre) Jesu geriet tiefer und tiefer in Verwirrung Schreckliche Berichte uumlber christliche Grau-samkeiten begegnen uns durch die gesamte Kirchengeschichte wie die der Kreuzzuumlge und der Inquisition doch der wuumltende Sturm der Gewalttaumltigkeiten von Christen gegen Christen des 5 und des 6 Jahrhunderts ist schwerlich zu uumlbertreffen48

Als sich der Staub der ersten sechshundert Jahre etwas gelegt hatte glich die Re-ligion der Christenheit einer grundlegend anderen als derjenigen der bescheide-nen Anfaumlnge des ersten Jahrhunderts Diese einst schwer verfolgte juumldische Sekte war eine ausgesprochene Randerscheinung in der Gesellschaft geworden Sie wirkte in Hauskreisen und oumlrtlichen Synagogen Doch sobald sie eine vom Staat zugelassene Religion wurde verwandelte sich das Christentum allmaumlhlich in eines der maumlchtigsten Regierungssysteme der Menschheitsgeschichte Angefangen mit

48 John Philip Jenkins Jesus Wars How Four Patriarchs Three Queens and Two Emperors Decided

What Christians Would Believe For the Next 1500 Years (New York HarperOne 2011) p xxi

D

Die unvollendete Reformation

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seinen Leitprinzipien uumlber die Rituale bis hin zur operationellen Organisation - kein Aspekt der urspruumlnglichen christlichen Religion blieb unberuumlhrt Durch die Aumlra der kirchlichen Gemeinschaftsarbeit aus welcher oft nach heftigen Ausei-nandersetzungen Glaubensgrundsaumltze und ndashverdikte hervorgingen erlebte die Christenheit einen dramatischen Wandel nicht nur in Bezug auf ihre Theologie sondern auch auf ihre Lebenseinstellung und Ethik Infolge einer tragischen Wende wurde aus den bewundernswerten Christen die einst Opfer brutaler re-ligioumlser Intoleranz waren selber verabscheuungswuumlrdige Unterdruumlcker die ihre theologischen Gegner auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen pflegten Im Ent-wicklungsprozess der christlichen Religion von ihren schlichten Anfaumlngen bis zur vollen Einflussnahme auf die Gesellschaft finden wir die ironischsten und tragischsten Berichte der Menschheitsgeschichte Der Grundsatz scheint sich zu bewahrheiten Ein vormals verfolgtes Volk wenn es ploumltzlich an die Macht ge-langt verliert ndash in schockierender Weise ndash die Erinnerung an das eigene erlebte Unheil und das menschliche Mitgefuumlhl In der Tat kaum waren die Striemen auf dem Ruumlcken der nun eingesetzten Kirchenfuumlrsten verheilt als sie schon ihre ei-genen Peitschen knallen liessen und uumlber die Schultern unzaumlhliger theologischer Dissidenten zogen Das Urchristentum hatte sich zuerst dank seiner verbluumlffen-den Botschaft der Liebe und der Barmherzigkeit der Christen unter den Heiden-voumllkern ausserordentlich erfolgreich ausgebreitet Umso bestuumlrzender waren dann der Hass und die religioumlse Intoleranz die von spaumlteren Kirchensynoden ausgingen welch unermesslichen Schaden haben sie der christlichen Religion zu-gefuumlgt

Wie ein gewaltiges Gewitter brach in den fruumlhen Jahrhunderten das innerkirchli-che Blutvergiessen uumlber die Christenheit herein In erster Linie waren es Mei-nungsverschiedenheiten betreffend eine Vielzahl von eigenartigen Doktrinen in Bezug auf die Identitaumlt der Person Jesus von Nazareth um die es ging Wie kam es nur dass sich dieser Jesus nachdem er groszlige Kuumlhnheit und Kraft ausstrahlte sowie Christen einigte so verheerend veraumlnderte Durch die fruumlhen Zeiten der roumlmischen Verfolgung hindurch scheint die christliche Theologie noch einiger-massen positiv wirksam und fuumlr viele Bekehrungswillige eine mutige Wahl gewe-sen zu sein Doch dann wurde sie unvermittelt zum politischen sbquoBlitzableitersbquo der die dunkelsten menschlichen Verhaltensweisen hervorrief Eigenartige doktrinaumlre Entwicklungen uumlber die Person Jesu (christologische) Formeln von einer Viel-zahl von Gelehrten waumlhrend Jahrhunderten ins Feld gefuumlhrt zeitigten schlieszliglich ihren zerstoumlrerischen Erfolg Die Religion christlicher Theologie die einst Men-schen freiwillig zur Reue und Bekehrung bewegte mutierte zum Zwangsmodell einer Partei die mithilfe der Speere von Imperatoren ruumlcksichtslos durchgesetzt wurde Viele der auszligerordentlichen dogmatischen Spekulationen der christlichen Religion haben sich bis in unsere heutige Zeit erhalten Die tiefgreifendste theo-logische Auswirkung des turbulenten Wandels der fruumlhen Christenheit von ihren

Die unvollendete Reformation

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bescheidenen Anfaumlngen bis zur offiziellen Staatsreligion ist jedoch mit Abstand die Lehre der Dreieinigkeit

DiechristlicheTrinitaumltUngefaumlhr dreihundert Jahre nach Christi Auferstehung und seiner Auffahrt in den Himmel war der roumlmische Kaiser Konstantin (circa 272 ndash 337 n Chr) der Initiator einer Reihe von Konzilen Sein Ziel war die verschiedenen uneinigen christlichen Fraktionen des Roumlmischen Reiches zusammenzubringen Jahrzehnte nach seinem Tod sowie nach vielen boumlsartigen Diskussionen und politischen Auseinandersetzungen wurde im Jahre 381 n Chr beschlossen dass Kraft des staatlichen Gesetzes jeder wahre Christ folgendes glauben muumlsse

Gott bdquoexistiert ewig als drei sbquoHypostasenrsquo (Personen) und einer sbquoou-siarsquo (Substanz)rdquo Gott der Vater Gott der Sohn und Gott der Hei-lige Geist49

Jesus Christus hellip (ist) bdquoder einziggeborene Sohn Gottes ewig (vor aller Zeit) gezeugt vom Vater Licht vom Licht wahrer Gott vom wahren Gott gezeugt nicht erschaffen eines Wesens mit dem Va-ter hellip der hellip vom Himmel herabgestiegen und Fleisch geworden ist durch den Heiligen Geist und von der Jungfrau Maria Mensch geworden ist rdquo 50

Im Jahre 451 n Chr wurde folgendes zum Bekenntnis hinzugefuumlgt

Jesus Christus der einziggeborene Sohn und Herr der in zwei Na-turen unvermischt unveraumlnderlich ungetrennt und unteilbar er-kannt wird wobei nirgends wegen der Einung der Unterschied der Naturen aufgehoben ist vielmehr die Eigentuumlmlichkeit jeder der beiden Naturen gewahrt bleibt und sich in einer Person und einer Hypostase vereinigt51

Um das Jahre 500 n Chr

Wer gerettet werden will muss Gott in der Trinitaumlt anbeten und die Trinitaumlt in der Einheit die Personen sind nicht zu verwechseln die Substanz darf nicht geteilt werden Denn eine Person ist der Vater eine der Sohn und eine der Heilige Geist hellip So ist der Vater Gott der Sohn ist Gott und der Heilige Geist ist Gott Und doch

49 The Cappadocian Trinitarian formula circa 381 CE 50 An excerpt from the updated Niceno-Constantinopolitan Creed 381 CE 51 Auszug aus dem Chalcedonischen Bekenntnis am Konzil von Chalcedon 451 nChr

Die unvollendete Reformation

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sind nicht drei Gott sondern ein Gott hellip Wer gerettet werden will soll so uumlber die Trinitaumlt denken52

Heutige Christen machen oft den Fehler zu glauben es gaumlbe nur eine Trinitaumlts-lehre und dass alle legitimen Christen diese eine Formel benutzen und schon im-mer benutzt haben In Wahrheit hat man sich obwohl es offiziell eine Reihe von Floskeln gibt die anscheinend alle dieselbe Doktrin ausdruumlcken bis auf den heu-tigen Tag nicht auf einen allgemein guumlltigen Wortlaut einigen koumlnnen Die trini-tarische Christenheit ist diesbezuumlglich tatsaumlchlich gespaltener als es die Welt glau-ben soll Orthodoxe Theologen haben sich waumlhrend Jahrhunderten gestritten nicht daruumlber ob die Bibel uumlberhaupt die Trinitaumlt lehrt sondern uumlber was die unterschiedlichen Credi (= Bekenntnisse) uumlber die Trinitaumlt eigentlich aussagen Die simple Anweisung in einer der Versionen man bdquosoll so uumlber die Trinitaumlt denkenrdquo hat sich fuumlr die Mehrheit der Christen als zu schwierig erwiesen Es stellt wirklich ein ernstes Problem dar vor allem wenn in den Bekenntnissen erklaumlrt wird dass bdquodie Errettung vom richtigen Denken uumlber diese Dinge abhaumlngig istrdquo

Heute versichern viele Apologeten und behaupten die Trinitaumltsdoktrin oder de-ren Interpretation sei in den heiligen Schriften augenfaumlllig impliziert Die Ge-schichte legt die Illusion offen Sollten biblische Dokumente tatsaumlchlich die Drei-faltigkeitslehre beweisen weshalb hat sich dann die Kirche so leidenschaftlich und uumlber so lange Zeit um einen unumstoumlszliglichen Beweis bemuumlht Warum hat die Debatte uumlber den Wortlaut und den Sinn der Bekenntnisse die angeblich die of-fensichtliche Dreieinigkeit verteidigen sollen bis in unsere Tage nie aufgehoumlrt Im Hinblick auf diese Mannigfaltigkeit der Ideen fokussieren wir uns auf den Rahmen der Bekenntnisse selbst Wie entstand die These und was haben die ers-ten Vertreter damit beabsichtigt Wie wollten sie begruumlnden und beweisen dass die Trinitaumlt der Theologie und der Religion des historischen Jesus entsprach

Ungeachtet der Interpretationsprobleme hat die Katholische Kirche unbeirrt an den oben erwaumlhnten Bekenntnissen festgehalten und die unterschiedlichen Aus-sagen der Credi seit dem 5 Jahrhundert zum Rahmenwerk der Orthodoxie dh der Rechtglaumlubigkeit erklaumlrt Eine interessante Tatsache ist dass eine uumlberwie-gende Mehrheit der protestantischen Christenheit ebenfalls entschieden daran fest-haumllt

Dies ist insbesondere im Hinblick auf einen bekannten und einflussreichen pro-testantischen Schweizer Theologen des 20 Jahrhunderts Emil Brunner erwaumlh-nenswert Er gab unumwunden zu bdquoMit Sicherheit erscheint weder der Ausdruck sbquoTrinitaumltrsquo (Dreieinigkeit) in der Bibel noch bezieht sich das (biblische) Glaubens-bekenntnis der Apostel irgendwo ausdruumlcklich auf die Dreifaltigkeitrdquo Brunner

52 Auszug aus dem Athanasischen Bekenntnis c 500 n Chr

Die unvollendete Reformation

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verlangt deshalb von seinen theologischen Kollegen bdquoWir muumlssen ehrlich zuge-ben dass die Trinitaumltslehre kein Teil der Botschaft der fruumlhen Christenheit und des Neuen Testaments warrdquo53 Dieses Eingestaumlndnis ist beinahe unglaublich denn wie konnten so viele fromme christliche Theologen uumlber die Gotteslehre Jesu hinweg gehen und sie zugunsten einer Botschaft aufgeben zu der sich Jesus selber weder bekannt noch ihr beigepflichtet haumltte

Zweifelsohne hat der durchschnittliche Kirchenbesucher wenig von oder uumlber Christen gehoumlrt die nicht an die Trinitaumlt glauben und was sie zu diesem Thema zu sagen haben Viele koumlnnen sich jedoch auszligerhalb des katholischen Glaubenssys-tems nicht einmal eine Christologie vorstellen die aufgrund der Schrift zu bele-gen waumlre Zudem ist ihnen nicht bewusst dass fruumlhe trinitarische Sekten welche drei Personen in einer Gottheit befuumlrworteten waumlhrend langen Zeitabschnitten in der Vergangenheit im religioumlsen Lager eine Minderheit waren Das Nachschla-gewerk Encyclopedia Britannnica bestaumltigt dass geschichtlich die bdquoTrinitarier mit den Unitariern stets im Streit lagen die Letzteren jedoch bei Beginn des 3 Jahrhun-derts klar die Mehrheit bildetenrdquo54 Offensichtlich brauchte die Trinitaumltsdoktrin Jahrzehnte bis sie den von ihr begehrten Platz in der Orthodoxie erringen konnte

Von denen die das Ergebnis der Auseinandersetzungen unterstuumltzen werden die erbitterten dogmatischen Streitigkeiten oft als sbquoFunkenflugsbquo erklaumlrt der sich aus den unzaumlhligen kursierenden Irrlehren ergab Diese Haumlresien zirkulierten als Her-ausforderung des von den Fruumlhchristen geerbten Dogmas Ihrer Meinung nach war das Herzstuumlck des Glaubens naumlmlich die Trinitaumlt laumlngst bewiesen Als Folge der modernen Forschung und durch Funde der Archaumlologie ist diese bdquooffizielle Versionrdquo der Kirchengeschichte jedoch arg zerbroumlckelt Der Prozess des Auf-stiegs bis zur Dominanz im bdquoorthodoxen Glaubenrdquo war verworrener und schmerzlicher als es die volkstuumlmlichen Berichte wahrhaben wollen Wenn wir die sich entwickelnde Trinitaumltsdoktrin und ihren langwierigen Anspruch auf Ak-zeptanz ihrer Grundsaumltze durch die Kirche untersuchen stellen wir zudem fest dass ein bischoumlfliches Wetteifern stattfand Historiker und Apologeten haben gleichermaszligen erkannt dass bdquovielfach ins Feld gefuumlhrt wird die Trinitaumlt sei eine offenbarte Doktrin die jedoch hellip alle gegen sie vorgebrachten Argumente einfach umgehtrdquo55 Im Lichte der juumlngsten Forschung und infolge eines fruumlher noch nie dagewesenen verbesserten Zugangs zu religioumlsem Wissensstoff stellen viele

53 Emil Brunner Dogmatics Vol 1 (London Lutterworth Press 1949) p 205 (Dogmatik I Die christ-

liche Lehre von Gott 1946) 54 Encyclopedia Britannica Inc ldquoTrinityrdquo Encyclopedia Britannica Vol 27 (Chicago Encyclopedia Britan-

nica Inc 1956) p 2941 55 Cyril C Richardson The Doctrine of the Trinity A Clarification of What it Attempts to Express (Nashville TN

Abingdon Press 1958) p 16

Die unvollendete Reformation

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christliche Studenten die Bedeutung des Trinitaumltsdogmas und seines Platzes in der Orthodoxie mutig in Frage

OrthodoxieundProtestantismusOrthodox ist ein zusammengesetztes griechisches Wort Orthos bedeutet bdquorichtigrdquo und doxa bdquodie Meinungrdquo Essentiell umschreibt der Ausdruck den Zustand des Glaubens an das was von der Gesellschaft allgemein als wahr akzeptiert wird Der Glaube an irgendetwas das von der Gesellschaft nicht genehmigt wird be-zeichnet man als Heterodoxie oder als bdquounterschiedliche Meinungrdquo Von diesem Wort ist der Begriff Haumlresie (Irrlehre) abgeleitet Durch die gesamte Kirchenge-schichte hindurch war der Ausdruck ein beliebtes Schlagwort wenn es darum ging mit Argumenten (den Gegner) zu uumlberzeugen56

Auch heute noch werden Christen uumlblicherweise als Haumlretiker [Ketzer] gebrand-markt wie vor tausend Jahren obwohl diese Betitelung heutzutage koumlrperlich weit weniger spuumlrbare Folgen haben mag als damals Manche Christen die es nicht dulden dass man dem uumlberlieferten Bekenntnis zuwiderlaufende Argu-mente entgegenwirft bringen ihrerseits vor bdquodie Konzile seien von Gott geleitet wordenrdquo57 Damit wollen sie sagen dass die doktrinaumlren Schluumlsse die die Konzile der fruumlhen Katholischen Kirche zogen wohl durch den Heiligen Geist inspiriert wurden Demgegenuumlber steht die verbluumlffende Erkenntnis der Geschichte dass heute allgemein guumlltige Grundsaumltze der christlichen Orthodoxie in Bezug auf Gott und Jesus uumlber lange Zeitraumlume hinweg vom gleichen Konzilsystem als unorthodox verurteilt worden waren Vielleicht ist sich mancher Student der ge-lernt hat das Konzil von Nicaumla (325 n Chr) sei ein einheitlicher und entschei-dender Schritt der Kirche gewesen christliche Wahrheiten ein fuumlr alle Mal zu klaumlren und zu bereinigen der Realitaumlt uumlber Nicaumla nicht bewusst Wir werden in folgenden Kapiteln noch naumlher auf dieses Thema eingehen

Manche Christen messen den Doktrinen wie derjenigen der Trinitaumlt in ihrem Glaubensleben grosse Bedeutung bei da in der Kirche die orthodoxen Konzile in Bezug auf doktrinaumlre Fragen eindeutig Vorrang genieszligen Protestanten oder Christen mit evangelikaler Tradition hingegen sehen sich dadurch mehr als An-dersglaumlubige in einem Dilemma Fuumlr sie gelten die Entscheidungen der alten rouml-mischen Synoden ebenfalls als massgeblich doch nur bis zu einem gewissen Punkt Der durchschnittliche Protestant pflichtet den fruumlhen katholischen Ent-

56 Im Christentum wurde der Ausdruck bdquofalsche Lehrerdquo oder Haumlresie immer oumlfter gebraucht nachdem

Irenaumlus im 2 Jahrhundert sein Werk bdquoGegen die Haumlresienrdquo veroumlffentlichte On the Detection and Overthrow of the So-Called Gnosis popularly known as Against Heresies See n 91 on p 37

57 Willis C Newman You Can Believe the Bible (Willis Newman 2010) p 97

Die unvollendete Reformation

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scheidungen zwar bei besinnt sich jedoch ploumltzlich auf die Irrtuumlmer der katholi-schen Erlasse insbesondere in der Aumlra vor Martin Luthers Herausforderung der Reformation Wie haumltten konziliarische Fehlbeschluumlsse in der vor-reformatori-schen Zeit verhindert oder aufgedeckt werden sollen Es faumlllt auf wie wenige Protestanten und Evangelikale sich heutzutage trotz ihrer stolzen Ablehnung bi-schoumlflicher (katholischer) Autoritaumlt in doktrinaumlren Fragen bereitwillig den offizi-ellen Verkuumlndigungen der Bischoumlfe von vor 1600 Jahren unterstellen Dieses Thema wird selten wenn uumlberhaupt oumlffentlich aufgenommen und diskutiert

Tatsaumlchlich gleicht es einem freien und beliebigen Auswahlverfahren welche Konzile als wichtig und welche Entschluumlsse dieser Konzile von der Geistlichkeit als maszliggebend eingestuft wurden Einige Protestanten sind bereit lediglich die sieben bdquooumlkumenischen Konzilienrdquo als autoritativ zu akzeptieren andere wiede-rum gehen weiter Am meisten beunruhigend ist die Tatsache dass manche heu-tige Evangelikale die zwar eine orthodoxe Theologie befuumlrworten und deren Ein-haltung fordern sich je nach ihrer Uumlberzeugung im direkten Widerspruch zu vie-len orthodoxen Konzilsbeschluumlssen befinden Als Beispiel Ein Konzil bestaumltigte die goumlttliche Natur Christi und verkuumlndete gleichzeitig dass Maria bdquoTheotokosrdquo die bdquoMutter Gottesrdquo war nicht nur die Mutter des Jesus mit menschlicher Natur58 Ein anderes Beispiel ist der Beschluss eines Konzils dass am Kreuz faktisch Gott gelitten habe nicht ein Mensch59 Des Weiteren wurde durch ein Konzil dekre-tiert jegliche Art des Militaumlrdienstes sogar derjenige eines Feldgeistlichen60 ei-nem wahren Christen verboten sei61 Gegen die meisten dieser Beschluumlsse gehen

58 Katholiken wissen dass Protestanten manchmal erschrecken wenn Maria als bdquoMutter Gottesrdquo benannt

wird Um Verwirrung zu verhindern versichern Fundamentale dass Maria nur den menschlichen Christus getragen habe Diese Behauptung erneuert eine Haumlresie des 5 Jahrhunderts genannt Nestorianismus hellip Aber Frauen gebaumlren nicht humane Naturen sondern Personen Maria hat demzufolge die Person Jesus zur Welt gebracht und die Person die sie ausgetragen und geboren hat war Gott (aus ldquoMary Mother of Godrdquo Catholic Answers Web 28 Dezember 2014) (Maria Mutter Gottes Katholische Antworten)

59 Konzil von Ephesus (431 n Chr) Nestorius glaubte dass die goumlttliche Natur (Gott das Wort) nicht gelitten hat aber Cyril erklaumlrte in einer seiner zwoumllf Verfluchungen gegen ihn bdquoWenn jemand nicht bekennt dass das Wort Gottes im Fleisch gelitten hat und gekreuzigt wurde im Fleisch und den Tod schmeckte im Fleisch und der Erstgeborene von den Toten wurde obwohl er als Gott Leben und Le-bensgeber ist der sei verfluchtrdquo (Dritter Brief an Nestorius) Unsere Uumlbersetzung

60 Das Konzil von Chalcedon erklaumlrt in seinem 7 Kanon dass der Klerus bdquokeinen Militaumlrdienst akzeptieren soll und auch keine weltliche Wuumlrde auf sich nehmenrdquo und falls sie bdquodies nicht bereuen hellip sie verflucht seienrdquo

61 Das Konzil von Nicaumla 325 n Chr wurde wegen seiner Erklaumlrung der Wesensgleichheit Christi mit dem Vater beruumlhmt Es wurde auch bestaumltigt dass es den Christen verboten ist Militaumlrdienst zu leisten im Kanon 12 Will sich ein Soldat bekehren dann soll er waumlhrend zehn Jahren Buszlige tun was sogar noch mehr ist als die sieben Jahre Buszlige die einem Christusverleugner unter Verfolgung auferlegt wurden Der Kaiser Konstantin der dem Konzil von Nicaumla vorstand wusste dass Christen keinen Militaumlrdienst leisten durften Er wusste auch dass Kaiser da sie Militaumlroffiziere waren nicht Christen sein konnten Dies mag der Grund gewesen sein weshalb er sich erst auf seinem Sterbebett taufen liess Spaumlter

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die Meinungen der evangelikalen und protestantischen Gemeinschaften inzwi-schen weit auseinander Mehrere Konzile bekraumlftigten ihre verbindliche Zustaumln-digkeit indem sie einfach festlegten bdquoWer in irgendeiner Weise versucht die Be-fehle dieser heiligen Synode zu uumlbergehen hellip der soll ausgeschlossen werdenrdquo62 Waumlhrend oumlfter die Argumente der Evangelikalen mit Vorwuumlrfen der Haumlresie ge-gen Christen uumlbersaumlt sind die nicht mit ihrer konfessionellen Theologie uumlberein-stimmen stellt sich die Frage wie viele von ihnen erkennen dass sie auch als Ketzer selbst gebrandmarkt werden koumlnnten Wie Stefan Zweig in seinem Buch uumlber die Ketzerei in der Reformation zu Recht feststellte bdquoFuumlr eine protestanti-sche Kirche ist der Begriff des Ketzers an sich schon absurd denn die Protestan-ten fordern dass jeder das Recht auf [eigene] Auslegung hatrdquo63

Im Oktober des Jahres 2014 fuumlhrten zwei groszlige trinitarische Organisationen (LifeWay Ministries and Ligonier Ministries) in den Vereinigten Staaten unter evangelikalen Christen eine Meinungsumfrage durch Fuumlr sie war das Resultat der Umfrage bdquoenttaumluschendldquo denn es zeigte dass bdquodie meisten amerikanischen Evangelikalen Ansichten vertraten welche durch eines oder mehrere der Konzile der fruumlhen Kirche als haumlretisch (von der Wahrheit abweichend) erklaumlrt worden wa-renldquo64 Die Erhebung zeigte auch dass die Mehrheit der Evangelikalen (96) sagt sie glaube an die Dreieinigkeit und Jesus sei ganz Gott und ganz Mensch gewesen (88) Fast ein Viertel von ihnen (22) ist der Ansicht dass Gott der Vater goumlttlicher ist als Jesus und nur 9 hatten keine sicheren Ansichten uumlber diese Fragen 16 sagten Jesus sei die erste Kreatur das erste erschaffene Wesen von Gottes Schoumlpfung und hier waren nur 11 nicht so sicher Wie die Meinungs-forscher erklaumlrten bdquohaben Verse wie Joh 316 sbquoseinen eingeborenen Sohnrsquo und Kol 115 sbquoder Erstgeborene der ganzen Schoumlpfungrsquo schon andere Glaumlubige in der Religions-geschichte zu dieser Meinung gefuumlhrt hellip Ihre Ansicht ist unter dem Begriff Ari-anismus bekanntrdquo Die erwaumlhnte Meinungsumfrage zeigte uumlberdies dass ndash waumlh-rend die meisten Evangelikalen an die Dreifaltigkeit glauben ndash mehr als die Haumllfte (51) sagt dass der Heilige Geist eine Kraft sei kein persoumlnliches Wesen Nur 7 waren da nicht so sicher

schrieb Ambrosius seine Kritik des Kaisers Theodosius I (gestorben 395 n Chr) Sein Werk lieferte Augustinus den Stoff fuumlr seine systematische Theorie uumlber den gerechten Krieg Im Hochmittelalter verfeinerte Thomas Aquinas (gestorben 1274 n Chr) das christliche Denken uumlber den sbquoMilitaumlrdienst unter gewissen Voraussetzungenlsquo Eine kurze Geschichte dieser Entwicklung findet sich bei Wim Smit Just War and Terrorism (Leuven Peeters 2005) pp 108-122 (Gerechter Krieg und Terrorismus)

62 Siehe den 6 Kanon des Konzils von Ephesus von 431 n Chr 63 Stefan Zweig Eden Paul The Right to Heresy Castellio Against Calvin Boston The Beacon Press 1951

Web 9 May 2014 httpwwwgospeltruthnetheresyheresy_chap6htm 64 Kevin P Emmert ldquoNew Poll Finds Evangelicalrsquos Favorite Heresiesrdquo Christianity Today 28 October

2014 Web 14 November 2014

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Fast unglaublich aber wahr ist dass die Mehrheit der Evangelikalen in die Rich-tung Arianismus tendiert eine klar nicht-trinitarische christliche Uumlberzeugung Ob-wohl viele sich nach aussen also zur Dreieinigkeit bekennen glauben die meisten nicht wirklich daran oder koumlnnen sie zumindest nicht erklaumlren Da sie bdquodie dritte Person in der Dreieinigkeitrdquo ablehnen zaumlhlt mehr als die Haumllfte aller evangelika-len Amerikaner per definitionem nicht zu den Trinitariern Man schaumltzt die Zahl der evangelikalen Christen in den USA statistisch auf etwa 60 Millionen dies ist ein ungeheures Potenzial an Zweifel Ablehnung und Verwirrung in einer Gesell-schaft die als gluumlcklich vereint gilt aufgrund ihres bewaumlhrten und wahren christ-lichen Glaubens Die Vorspiegelung der christlichen Einheit in diesem Thema ist demzufolge nur Fassade Trotzdem sich viele sicher sind die These der Dreiei-nigkeit werde von allen bekennenden Christen vorbehaltlos unterstuumltzt kommt ein baptistischer Geistlicher zum Schluss dass sie

eine vielfach umstrittene Doktrin ist die uumlber Jahrhunderte hinweg Diskussionen innerhalb der Kirche ausloumlste hellip und die viele uumlber ihren eigenen Glauben verunsichert da sie noch immer als eine der am meisten missverstandenen und bestrittenen Doktrinen gilt65

Ein katholischer Gelehrter machte folgende zutreffende Wahrnehmung dass die Theorie (der Dreieinigkeit) noch lange nicht bereinigt ist

da bis heute eine grundlegende Krise uumlber die Plausibilitaumlt und die Akzeptanz der kirchlichen Christologie weiterbesteht Unverstaumlnd-lichkeit Komplexitaumlt Lebensfremdheit und Entfernung von der Bibel sind die Gruumlnde fuumlr die Glaubenskrise66

Die erwaumlhnte Studie unter den Evangelikalen deckt ohne Frage ein gewisses Durcheinander auch unter Christen auf die nicht wirklich an die Trinitaumltsdoktrin glauben Die These jedoch herauszufordern oumlffentlich einzugestehen dass sie diesbezuumlglich formell vom bdquorechten Glaubenrdquo abweicht wuumlrde vielen Angst ma-chen und sie sogar erschrecken Denn selbst in diesen Kreisen stammen viele dogmatische Uumlberzeugungen aus beliebten Traditionen aus der Uumlberlieferung es besteht gesellschaftlicher Druck oder ganz einfach infolge von Missverstaumlnd-nissen die wenigsten Glaumlubigen sind durch persoumlnliches und direktes Studium der Schriften zu ihrer religioumlsen Uumlberzeugung gelangt

65 Millard J Erickson God in Three Persons A Contemporary Interpretation of the Trinity (Grand Rapids Baker

Publishing Group 1995) pp 11-12 66 Karl Josef Kuschel Born Before All Time (New York Crossroad 1998) p 59 (Geboren vor aller

Zeit Piper 1990)

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Ein weiterer im Jahr 2014 veroumlffentlichter Forschungsbericht sagt aus dass sieb-zig Prozent der Christen die historischen christlichen Bekenntnisse weder woumlrt-lich wiedergeben koumlnnen noch sich in ihrer Christus-Nachfolge danach richten dreiszligig Prozent sehen keinen Wert darin die Bekenntnisse oder den Katechismus zu studieren67 Beinahe unvorstellbar aber wahr ist die Tatsache dass die Be-kenntnisse welche die Bedeutung der Trinitaumlt beinhalten und die Aussagen die angeblich jemandes wahre christliche Gesinnung ausweisen kaum je diskutiert werden Das Credo mag sich in offiziellen Regeln und Bestimmungen der jewei-ligen Denomination befinden doch gehoumlrt es offenbar nicht zu den Pflichten der uumlberwiegenden Mehrheit der Glaumlubigen es zu beachten oder zu praktizieren Diese Fakten sind von ausschlaggebender Wichtigkeit denn sie beweisen dass eine groszlige Anzahl bekennender Christen auf schlechtem Fuszlig mit dem bdquooffiziel-lenrdquo Dogma uumlber Gott steht Sie lehnen diesbezuumlglich die Zustaumlndigkeit der or-thodoxen Konzile ab entweder weil sie wesentliche doktrinaumlre Aspekte anzwei-feln oder einfach die Vorrangstellung der Konzile verneinen Das etablierte Christentum mag dies vielleicht nur bdquoenttaumluschendrdquo finden doch diejenigen Christen die den von der katholischen Kirche festgelegten Glauben ablehnen sehen darin vielleicht eine Chance ihre eigenen Ansichten zu bilden und im gros-sen Stil eine neue Reformation zu beginnen

In der beruumlhmten bdquoGlaubenskonfession der Baptistenldquosbquo von 1689 ist zu lesen dass die bdquoSchrift die houmlchste Richterin aller religioumlsen Kontroversen ist und alle Dekrete von Konzilien die Meinungen von Schreibern der Antike von Menschen verfassten Doktrinen und unreine Geister durch sie (die Schrift) gepruumlft und be-urteilt werden sollenrdquo68 Manch ein protestantischer Fuumlhrer wurde (im 16 Jahr-hundert) zur Reformation inspiriert als er in der Bibel die vielen Zeugnisse las und erkannte dass diese den offiziellen Edikten Roms in flagranter Weise wider-sprechen The Westminster Confession of Faith (Westminster Glaubenskonfession) die beruumlhmte Richtlinie des Protestantischen Glaubens urteilt wie folgt uumlber die Au-toritaumlt der Konzile

IV Alle Synoden oder Konzilien seit der apostolischen Zeit sei es im allgemeinen oder teilweise moumlgen irren und viele haben sich geirrt deshalb sind sie nicht zu einer Regel des Glaubens zu ma-chen oder der Ausuumlbung aber sie koumlnnen fuumlr beide als Hilfe her-beigezogen werden69

mdash Chapter XXXI Of Synods and Councils

67 Ligonier Ministries ldquoThe State of Theologyrdquo Ligonier Ministries 2014 Web 20 Dec 2014 68 Siehe httpwwwreformedorgdocumentsindexhtml Hinzufuumlgung 69 ldquoWestminster Confession of Faith 31 4rdquo Center for Reformed Theology and Apologetics Web 23

September 2014

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Westminster Confession of Faith 1646

Wieviele reformierte Christen sind sich der Tatsache bewusst viele Konzile haumlt-ten sich bei der Uumlberlieferung der Glaubensgrundsaumltze geirrt so wie es eines ihrer angesehensten Gruumlndungsdokumente erklaumlrt Dieses gesteht naumlmlich ein dass sich Konzile und Synoden irren koumlnnen und so draumlngt sich die Frage auf Wie umfassend war der Irrtum Sollten die Urheber der reformierten Tradition Recht ha-ben und die orthodoxen Konzile nicht frei von doktrinaumlren Fehlern sein und daher houmlchstens als eine Art Richtlinie benutzt werden welches Mass an Verlaumlss-lichkeit kann man ihnen uumlberhaupt beimessen Wie wollen moderne reformierte Christen wissen welche Edikte anzunehmen und welche zu verwerfen sind Sollte eine derartige mangelnde Linientreue gegenuumlber orthodoxen Dekreten tat-saumlchlich ein verdammungswertes Vergehen sein dann bewegen sich Nicht-Katholiken staumlndig auf einem rutschigen Abhang70

DieProtestantischeBeweissicherungEine triftige Frage die sich ein heutiger Protestant stellen kann ist diese bdquoGegen was protestiere ich eigentlichrdquo Martin Luthers urspruumlnglicher Feuersturm begann als Funke in seiner Ablehnung dessen was damals allgemein als christliche Ortho-doxie galt Jene die dem untypischen deutschen Revolutionaumlr nacheiferten such-ten ebenfalls sich zu befreien vom orthodoxen roumlmischen System Sie wollten die Glaubensrichtlinien der Schrift wiedererlangen die wie sie es damals sahen weit-gehend ausgemustert und entsorgt worden waren Eine weitere vernuumlnftige Frage fuumlr den modernen Protestanten ist die folgende bdquoGing die Reformation je zu Ende oder gibt es noch Unerledigtes zu reformierenrdquo

Heutige Protestanten bruumlsten sich manchmal groszligartig mit ihrem Erbe Sie sehen sich als die Gruppe die erfolgreich die bdquounbiblischenrdquo Dogmen Roms verwarf Die urspruumlnglichen Protestanten haben zwar lautstark Luthers beruumlhmten Aus-spruch bdquoSola Scripturardquo (lat allein durch die Schrift) als Kampfesruf wiederholt doch die spaumlteren Nachfolger Luthers konnten oder wollten sich wie es scheint nicht vollstaumlndig von den roumlmischen Glaubenskonstrukten loumlsen

70 Die reformierte Westminster Glaubenskonfession wird auch heute noch von vielen Zweigen der Pres-

byter-Denomination bestaumltigt Was das Bekenntnis selbst anbetrifft verlangt die Kirche der Presbyter in Amerika von ihren bdquogeistlichen Leitern einen Eid abzulegen dass sie die Glaubensdokumente erns-thaft sbquoannehmen und adoptierenrsquo rdquo Aber machen sie sich dieses Mantra wirklich zu Eigen obschon die Konzile voll von Irrtuumlmern waren und als Glaubensregeln nicht vertrauenswuumlrdig sind Oder verbannen und verachten sie weiterhin andere Christen welche entscheiden den orthodoxen Konzilen und deren Haumlresien nicht zu folgen Siehe ldquoWestminster Confession of Faithrdquo Administrative Committee PCA 2015 Web 14 Januar 2015

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Es wurde oft gesagt dass bdquoalle nach der Wahrheit schreien doch danach leben wol-len sie nichtrdquo71 Die Aufsehen erregendsten Machenschaften Roms bleiben in den Herzen von beiden Katholiken und Protestanten fest verankert Der bekannte katholische Gelehrte Graham Greene druumlckte seine Beobachtungen von heutigen Protestanten wie folgt aus

Unsere Gegner sagen manchmal dass kein Glaube der nicht aus-druumlcklich in der Schrift gefunden wird dogmatisiert werden duumlrfe Doch die Protestantischen Kirchen selber haben Dogmen wie die Dreifaltigkeit akzeptiert obschon es dafuumlr keine praumlzise Be-rechtigung in den Evangelien gibt72

Die Reformatoren des 16 Jahrhunderts forderten die Autoritaumlt manch eines ka-tholischen Dekrets heraus welchem die Berechtigung der Schrift mangelte doch ausgerechnet das Dogma der Dreieinigkeit lieszligen die bekannten protestantischen Fuumlhrer weitgehend unangetastet Diese Tatsache wurde erkannt und von einem Nachschlagewerk kommentiert bdquohellip dass obwohl die Doktrin in der Schrift nicht voll entwickelt ist hellip die Protestantische Kirche zur Zeit der Reformation die Trinitaumltsdoktrin - ohne sie ernsthaft zu hinterfragen - uumlbernahmrdquo73 bdquoLuther Cal-vin Melanchthon und andere scheinen an diesem Dogma achtlos vorbeigegan-gen zu sein ohne es zum Thema ihrer eigenen theologischen Uumlberlegungen zu machenrdquo74 Doch wieso wurde dieses Dogma nicht derselben Uumlberpruumlfung un-terzogen wie zum Beispiel die Doktrinen der Transsubstantiation (dh der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu) oder die Vorrangstellung (das Primat) des Papstes War die Dreifaltigkeit bereits so beliebt oder so grund-legend dass man es nicht fuumlr noumltig erachtete dieselben textkritischen Standards anzuwenden Wir fragen uns natuumlrlich warum protestantische Traditionen heute immer noch einer unerlaumlsslichen Konfrontation dieses Dogmas mit den bibli-schen Fakten aus dem Weg gehen In diesem Zusammenhang machte ein mo-derner Gelehrter folgende einleuchtende Bemerkung

Die protestantische Ausrichtung des Christentums beharrt unter dem Motto bdquoSola Scripturardquo darauf dass alle legitimen christlichen Glaubensgrundsaumltze (und -praktiken) in der Bibel gefunden oder zumindest dort verankert sein muumlssen ein sehr klares und lobens-wertes Prinzip Das Problem liegt aber darin dass die protestanti-sche Christenheit damals nicht in ein historisches Vakuum hinein

71 George Berkeley Siris 1744 72 Graham Greene ldquoAssumption of Maryrdquo Life Magazine 30 October 1950 p 51 73 Frank Moore Colby Talcott Williams (ed) New International Encyclopedia Vol XXII (New York Dodd

Mead and Company 1916) p 477 74 Emil Brunner Dogmatik I

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geboren wurde und schon gar nicht direkt auf die Aumlra zuruumlckgeht in der die Bibel geschrieben wurde Der Protestantismus war und ist die Reformation eines bereits voll entwickelten katholischen Christentums So als sich die protestantische Reformation vor etwa 500 Jahren ereignete wurde das Christentum nicht von Grund auf neu erfunden Viele Doktrinen wurden uumlbernommen die vom Katholizismus waumlhrend mehr als tausend Jahren entwi-ckelt worden waren In diesem Sinn kann man mit Recht argumen-tieren dass die protestantische Reformation keineswegs abge-schlossen ist und die hehren Ziele die sie sich setzte nicht voumlllig erreicht worden sind

Um das Erbe von als wahr geltenden Doktrinen anzutreten ver-langte der Protestantismus dass sie in der Bibel gefunden werden muumlssen Und genau weil viele Dogmen bereits als wahr galten gerie-ten die Protestanten unter enormen Druck diese Wahrheiten in die Bibel zuruumlckzulesen ob sie nun da geschrieben stehen oder nicht Protestantische Christen sehen sich nicht gerne als solche die etwas ausbauen das nicht (ausdruumlcklich) in der Bibel steht Folglich lassen sich die meisten wenn nicht alle Ideen oder Konzepte der protestantischen Christen in der Bibel finden oder zumindest sind sie dort irgendwie angetoumlnt (impliziert) Bewusst oder unbewusst besteht der Druck die Ideen und Konzepte im biblischen Text auf-zubauen die Worte zu paraphrasieren (= umschreiben) oder was in der Bibel steht auszudehnen Ziel ist zu erreichen dass in der Schrift steht was der moderne Leser wuumlnscht beziehungsweise braucht75

Den uumlberlieferten Glauben zu verteidigen ist ein loumlbliches und ehrenwertes Un-terfangen Waumlhrend der Glaube dem Sanftmuumltigen in dieser chaotischen Welt einen festen Anker zu geben vermag koumlnnte er fuumlr den Radikalen leicht zu einem Vorwand werden Bei einem einseitig Interessierten besteht durchaus die Ten-denz das unnachgiebige Bewahren seines Glaubens zunehmend als eine Frage der Ehre zu sehen Je mehr die innere Uumlberzeugung durch Argumente von auszligen unter Druck geraumlt desto eher wird der Versuchung nachgegeben Fakten zu be-schoumlnigen um dem Guten etwas nachzuhelfen Selbstverstaumlndlich ist es nie ehr-lich Unwahrheiten zu beguumlnstigen Aber die Wahrheit zu sprechen auch wenn dadurch eine bdquoLieblingstheorierdquo kaputt gemacht wird ist nicht nur ehrenwert sondern wird vom Gott des Christentums so verlangt

75 BeDuhn pp 163-164

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Historisch gesehen haben sich die Protestanten anscheinend immer davor ge-druumlckt biblische Dokumente mit einem allzu kritischen Auge zu pruumlfen Im De-zember 2015 erschien ein Artikel in der angesehenen christlichen Zeitschrift Christianity Today in welchem folgendes zugegeben wird bdquoDas akademische Stu-dium der Bibel hat den Ruf Studenten und Lehrer uumlber die Schutzmauer zu sto-szligen die den orthodoxen Glauben umgibtrdquo76 Aus dieser Feststellung folgerte der Gelehrte James F McGrath bdquodass viele Evangelikale sich genau aus diesem Grunde davor scheuen ein (theologisches) Studium anzufangen Denn ein sol-ches koumlnnte sie ndash wenn ernsthaft betrieben ndash zu Schluumlssen fuumlhren die sie eigent-lich lieber haumltten vermeiden wollenrdquo77 Der durchschnittliche Christ mag es ein-fach nicht einheitliche Strukturen der Orthodoxie gegen biblische oder ge-schichtliche Informationen auszuspielen da sich dies als zu sbquoteuersbquo erweisen koumlnnte Es ist klar ein Versagen auf pastoralem Niveau dass den Glaumlubigen nicht mehr Vertrauen in das christliche Dogma eingefloumlszligt wurde Die Tatsache dass uumlber die Haumllfte der Evangelikalen zwar vorgeben an die Dreifaltigkeit zu glau-ben aber genau genommen keine Trinitarier sind legt offen dass sie (von ihren Geistlichen) nicht genuumlgend uumlber die angeblichen Glaubensgrundlagen belehrt worden sind Wir moumlgen verstehen weshalb sich ein Laie vor akademischen Un-tersuchungen der Bibel scheut Die Trinitaumltsdoktrin macht fuumlr einen religioumlsen Laien schon an sich keinen Sinn noch tiefer zu schuumlrfen koumlnnte seine Zweifel verstaumlrken und ihn schlieszliglich in eine Zwangslage bringen Doch aus welchem Grund hat es die evangelikale Geistlichkeit versaumlumt ihre Gemeinschaften dar-uumlber aufzuklaumlren was landlaumlufig als Echtheitszeichen des christlichen Denkens gilt Reicht die Mehrdeutigkeit des Dogmas etwa bis ins houmlchste Kader der Geist-lichkeit Einige trinitarische Kirchen weisen ihren Klerus an jaumlhrlich mindestens an einem Sonntag uumlber die Trinitaumltsdoktrin zu predigen78 Ein fruumlherer Seelsorger und Professor am Pittsburgh Seminar der Theologie gesteht dass

vielen Pfarrern vor dem Trinitaumltssonntag graut Sie hoffen dass dieser auf irgendeinen Gedenktag auf den Sonntag der Abschluss-feier oder auf den Muttertag faumlllt ndash alle sind genehm solange nicht

76 Andrew Byers ldquoDispatches from the Wondrous Terrifying World of Biblical Scholarshiprdquo Christianity

Today 28 Dezember 2015 Web 12- Januar 2016 77 James F McGrath ldquoMore on Markrsquos Christologyrdquo Exploring Our Matrix 18 January 2016 Web 28

January 2016 (Mehr uumlber die Christologie von Markus) 78 bdquoDer Trinitaumltssonntagrdquo wird normalerweise in liturgischen westlichen Kirchen nach dem Pfingstsonntag

begangen und in oumlstlichen Kirchen am Pfingsttag selbst bdquoEr istrdquo wie ihn ein Pfarrer der Episkopal-kirche nannte bdquoder Schrecken aller Prediger und der Unsegen aller Seminaristenldquo (Susan Sloan ldquoTrinity Sundayrdquo 26 Mai 2013 St Stephenrsquos Episcopal Church Huntsville AL) Ein evangelischer Professor an der Biola Universitaumlt fuumlgte dem hinzu bdquoWenn sich schon Prediger vor dem Trinitaumltssonntag fuumlrchten und dem ist so wer weiszlig was die Glaumlubigen davon haltenrdquo (Fred Sanders ldquoThe Trinity Yes A Doc-trine About Godrdquo The Scriptorium Daily 3 Juni 2012 Web 28 Januar 2016)

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uumlber das Trinitaumltsprinzip gesprochen werden muss Was ist die Trinitaumlt uumlberhaupt Zu was ist sie nuumltze79

Das offizielle Dogma uumlber Gott hat seit jeher bei Laien und beim Klerus gleich-ermaszligen Unschluumlssigkeit ausgeloumlst Weit davon entfernt eine brillante Offenba-rung zu sein die man tiefer erforschen und dann verkuumlnden koumlnnte ist sie fuumlr die Mehrheit der Glaumlubigen zu einem Relikt geworden das aus weiter Ferne ver-ehrt wird Dem Altar zu nahe zu kommen wuumlrde bedeuten darin zu viele Unge-reimtheiten zu erkennen was den Glanz verblassen lieszlige Ist aber wirklich Gott der Schuldige an dieser Entfremdung der christlichen Gottheit aus dem christli-chen Leben Haben nicht gerade die Protestanten am Anfang versucht den Dog-matismus zu uumlberwinden der das Selbstbestimmungsrecht unterbunden hatte Sicherlich sollte ein fragender Geist der staumlndige Begleiter des Protestantismus sein Aber die Widerstandskraft des verankerten Dogmas ndash von der Geistlichkeit gehandhabt ndash bringt alles zum Schweigen und uumlberbruumlckt selbst Grenzen zwi-schen Denominationen Im Verlaufe der gesamten Kirchengeschichte war die Erhaltung der Doktrinen von beiden Katholiken und Protestanten wichtiger als Bedenken der Vagheit des Dogmas Es aufrechtzuerhalten stand uumlber der Ge-dankenfreiheit und sogar weit uumlber dem Wert des menschlichen Lebens

DiedunkleSeitederReformationViele wissen nicht dass es in der Aumlra der Reformation eine groszlige Anzahl von mutigen Herausforderern gegeben hat welche mutig ihre Stimme erhoben und die katholische Trinitaumltsdoktrin in Frage stellten Diese christlichen Denker wauml-ren heute wohl bekannter haumltten ihre Buumlcher und sie selber den unglaublichen Eifer ihrer reformatorischen Weggenossen uumlberlebt So tragisch es ist stand die-ser Eifer demjenigen der katholischen Vorfahren in nichts nach Aber die Ge-schichte verdunkelt allgemein gerne jene Ereignisse die dem Ruf einer bestimm-ten Gruppe abtraumlglich sein koumlnnten Wie John Quincy Adams so treffend er-klaumlrte ist bdquodie offizielle Geschichtsschreibung in allen Laumlndern und durch alle Zeiten hindurch hellip stets eine Art reichlich bunte Gesichtsmaske gewesen Die Machenschaften hinter ihr waren garstig und verdorbenrdquo80 Es ist beinahe uumlber-fluumlssig zu erwaumlhnen dass die heutigen religioumlsen Systeme von der Ausklamme-rung skandaloumlser Vorkommnisse vielfach profitieren Doch ist es nicht nur die Exklusion (das Verschweigen) der Skandale sondern auch die bestimmte The-menwahl und der uumlberhoumlhten Berichte welche unser Vergangenheitsverstaumlndnis vernebeln Sicherlich gibt es generell in allen Gruppen von Menschen Helden

79 Teresa Stricklen as quoted by Ronald J Allen Preaching is Believing The Sermon as Theological Reflection

(London Westminster John Knox Press 2002) p 91 80 John Quincy Adams November 9 1832 quoted in Robert Nowlan The American Presidents Washington

to Tyler (Jefferson McFarland 2012) p 251

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und Uumlbeltaumlter Die Faumlhigkeit selber eine Linie zwischen Heldentum und Gemein-heit zu ziehen sowie eigenstaumlndig und uneingeschraumlnkt daruumlber entscheiden zu koumlnnen wird jedoch drastisch behindert wenn der Uumlberblick uumlber das Ganze staumlndig verschleiert wird Um es konkret auszudruumlcken koumlnnte ein moderner Christ seine eigene Autoritaumlt als frei handelnder Mensch in der Geschichte besser ausuumlben wenn er eine breitere Perspektive uumlber die Antike der Kirche haumltte sozusagen einen klaren Blick zuruumlck in die Vergangenheit machen duumlrfte Um ein eigenes Urteil zu bilden sind die Beispiele von Christen welche von der Ortho-doxie abgelehnt und verfolgt wurden ebenso wertvoll wie die Berichte derjeni-gen die Buumlcher schrieben und uumlberlebten

Es genuumlgt zu erwaumlhnen dass viele Protestanten unserer Zeit wenig oder nichts uumlber die dunkle Seite der Reformation des 16 Jahrhunderts erfahren Allgemein kann davon ausgegangen werden dass sogar diejenigen die sich einst mit der edelsten Gesinnung auflehnten zu leidenschaftlichen Despoten werden wenn sie erst einmal an die Macht gelangen Sie legen ploumltzlich dieselbe Intoleranz an den Tag die sie einst durch ihren Aufstand bekaumlmpften Die Brandfackel des Revolutionaumlrs war schon immer ein schwer zu handhabendes Ding auf der einen Seite legte sie Feuer an die Irrtuumlmer der Tyrannei auf der anderen entflammt sie leicht die eigenen Ideen des Revolutionaumlrs Oder noch schlimmer sie loumlst beim Aufstaumlndischen einen Verfolgungswahn aus der sich gegen seine eigenen Weg-genossen richtet und diese womoumlglich auf den Scheiterhaufen liefert Wie wider-waumlrtig auch immer die eigenen Geschichtsannalen heutigen Reformierten er-scheinen moumlgen die ersten Protestanten waren genauso blutruumlnstig wie die Ka-tholiken wenn es um die Verteidigung der aktuellen Orthodoxie ihrer Epoche ging Wie es Edward Gibbon bildhaft ausdruumlckte

Die Reformatoren hatten das ehrgeizige Ziel die Tyrannen zu er-setzen die sie entthront hatten Sie setzten dann mit gleicher Haumlrte ihre Dogmen und die Bekenntnisse in Kraft und sie erklaumlrten als Magistraten das Recht zu besitzen an Haumlretikern die Todesstrafe zu vollziehen Die Natur des Tigers blieb also die gleiche81

Die Gewalt begann in der Schweiz Felix Manz (1498 ndash 1527 n Chr) ein brillan-ter junger Theologe und Mitbegruumlnder der Versammlung der Anabaptisten (Taumlu-ferbewegung) in diesem Land war der erste Maumlrtyrer der Reformation der durch seine protestantischen Glaubensgenossen getoumltet wurde Manz war ein Student des beruumlhmten Reformators Ulrich Zwingli gewesen Als er aber dessen Art der Eucharistie herausforderte und spaumlter sogar noch die Kindestaufe ablehnte be-

81 Edward Gibbon The Decline and Fall of the Roman Empire Vol 6 (London Metheun amp Co 1902 [1776-

1789]) p 127

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fand er sich ploumltzlich auf der falschen Seite des Protestantismus Der protestan-tische Rat von Zuumlrich hatte die Wiedertaufe von Erwachsenen verboten doch Manz hielt daran fest dass es keine biblische Vollmacht fuumlr die Kleinkindertaufe gab Er weigerte sich zu widerrufen Da er offensichtlich so auf einer Wiedertaufe erpicht war fuumlhrten ihn die Zuumlrcher Protestanten zum Fluss Limmat und er-traumlnkten ihn82 Der Mord an Manz stellte die Weichen fuumlr eine elende und er-baumlrmliche Wegstrecke der christlichen Geschichte auf der unzaumlhlige treue Pro-testanten die das biblische Zeugnis den orthodoxen Dekreten vorzogen dafuumlr mit ihrem Leben bezahlten

Waumlhrend die Zahl der bibeltreuen Christen in die Dutzende ja in die Hunderte geht die durch die Hand ihrer Landsleute den Tod fanden ist das Martyrium von Michael Servetus 1553 wohl die infamste Kroumlnung der Episoden uumlber Gewalt von Reformator gegen Reformator Servetus war ein spanischer Theologe ein angesehener Kartograph ein brillanter Mathematiker sowie der Physiologe der die kleine Blutzirkulation in der Lunge entdeckte und beschrieb Trotz seiner wis-senschaftlichen Seriositaumlt erwies sich seine unorthodoxe Theologie fuumlr die Geist-lichkeit als nicht tolerierbar Die fruumlhen Reformatoren allen voran Johannes Cal-vin (1509 ndash 1564 n Chr) behandelten ihn auf eine Art und Weise die den Ent-scheidungen der roumlmischen Konzile an Haumlrte in nichts nachstand Ihr Dogma-tismus hatte nichts an Feuer und Glut eingebuumlsst Da Calvin die Orthodoxie ver-teidigen wollte lieszlig er seinen ehemaligen Freund als Haumlretiker festnehmen vom Rat verurteilen und auf dem Scheiterhaufen verbrennen83 Servetus der es gewagt hatte die orthodoxe Doktrin der Dreieinigkeit abzulehnen84 wurde durch Calvin in eine Falle gelockt und den katholischen Kirchenbehoumlrden in Genf uumlberant-wortet Calvin reagierte so bitter auf die Ideen von Servetus dass er waumlhrend der Gerichtsverhandlung den Wunsch aumluszligerte bdquoServetus moumlge mit dem Tod be-straft werdenrdquo85 Obwohl er sich einer aumluszligerst schmerzhaften Exekution gegen-uumlber sah hat Servetus seine Uumlberzeugung nicht widerrufen Schlieszliglich hat

der Rat der Zweihundert angeordnet bdquoman fuumlhre Servetus nach Champel ab wo er am naumlchsten Tag lebendigen Leibes zusammen mit seinen Buumlchern verbrannt werden sollerdquo Nur zwei Punkte

82 Alister E McGrath Christianityrsquos Dangerous Idea The Protestant Revolution A History from the

Sixteenth Century to the Twenty-First (New York HarperOne 2007) p 71 83 Elgin Sylvester Moyer The Wycliffe Biographical Dictionary of the Church (Illinois Moody Press

1982) p 366 84 Merrick Whitcomb (ed) ldquoThe Complaint of Nicholas de la Fontaine Against Servetus 14 August

1553rdquo in Period of the later reformation in Translations and Reprints from the Original Sources of Euro-pean History Vol 3 (Philadelphia University of Pennsylvania History Department 1898-1912) no 3

85 Walter Nigg The Heretics (New York Alfred A Knopf Inc 1962) p 328

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wurden in der Anklage erwaumlhnt die Trinitaumltslehre und die Kinder-taufe Das Urteil stuumltzte sich auf den Codex Justinianus der die Todesstrafe fuumlr die Leugnung der Trinitaumlt vorschrieb86

Als Servetus sein Todesurteil vernahm plaumldierte er Calvin solle Milde walten und ihn durch Koumlpfen sterben zu lassen weil er befuumlrchtete wegen der Folterqualen nicht standhaft zu bleiben Statt der Bitte nachzugeben wurde befohlen gruumlnes Holz fuumlr den Scheiterhaufen zu nehmen um das Leiden zu verlaumlngern Zudem solle Schwefel auf das Haupt von Servetus gelegt werden damit ndash wenn die Flam-men endlich hoch genug reichten ndash der Schwefel sich entzuumlnde und sein Haupt mit noch groumlszligerer Intensitaumlt brenne87 Doch waumlhrend Servetus lebendig ver-brannt wurde hat er nicht widerrufen Calvin zeigte (auch nach der Hinrichtung) keine Reue sondern wies andere an seinen blutigen Fuszligspuren zu folgen bdquoUn-terlasst nichts eure Laumlnder von Schurken zu saumlubern welche das Volk zur Re-volte gegen uns aufhetzen Diese Monster muumlssen ausgerottet werden so wie ich Michael Servetus den Spanier ausgerottet haberdquo88 Calvin und andere haben die unruumlhmliche Sitte der Roumlmischen Kirche weitergepflegt Gegenbeweise nicht mit stichhaltigen Argumenten zu gewinnen sondern durch die Hinrichtung der Geg-ner Ein Historiker schreibt dazu

Aus dem gleichen Grunde aus dem Paumlpste und Kardinaumlle Haumlreti-ker attackierten weil sie fuumlrchteten die Irrlehre koumlnnte die Kirche zerstoumlren haben die neuen protestantischen Fuumlhrer ihre bdquoHaumlreti-kerrdquo (Katholiken und Protestanten die haumlretische Ansichten ver-traten) mit aumlhnlicher Grausamkeit angegriffen Genau wie die ka-tholische Inquisition zu Missbraumluchen fuumlhrte so erfolgten auch die protestantischen Saumluberungen im Namen Gottes Fuumlr die Leiter der Protestanten war die Leugnung der Trinitaumlt die groumlszligte Irrlehre Genau wie in der katholischen Inquisition waren die Herausforde-rung der Dreieinigkeit Gottes des Papstes und der Inquisition die groumlszligten Haumlresien89

86 Ken Westby ldquoMichael Servetus Murdered by John Calvinrdquo Kingdom Ready 9 July 2012 Web 19

November 2014 This was the same law introduced in 529 CE which also forbade the utterance of the ldquoShemardquo creed preached by Jesus (Mark 1229) (Michael Servetus von Calvin ermordet Das Urteil stuumltzte sich auf dasselbe Gesetz welches auch die Rezitierung des Shema im Jahre 529 verbot dem Credo das von Jesus in Markus 1229 bestaumltigt wurde)

87 Ebenso 88 Merrick Whitcomb (ed) ldquoCalvin to the Marquis Paet high chamberlain to the King of Navarre 1561rdquo

Period of the later reformation in Translations and Reprints from the Original Sources of European History Vol 3 (Philadelphia University of Pennsylvania History Department 1898-1912) no 3

89 Michael Thomsett The Inquisition A History (Jefferson McFarland 2010) p 205

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Der franzoumlsische Reformator Sebastian Castellio (1515 ndash 1563) verurteilte Jean Calvins uumlbermaumlszligig harte Behandlung des Servetus90 Seine Aussage trifft zu bdquoei-nen Menschen zu toumlten bedeutet nicht eine Doktrin zu verteidigen sondern ei-nen Menschen zu toumltenrdquo91 Das groszlige Raumltsel der Reformation ist und bleibt die Frage warum es die protestantische Geistlichkeit fuumlr noumltig befand solch einen gewalttaumltigen Eifer an den Tag zu legen um die Trinitaumltsdoktrin zu verteidigen In der Tat was rechtfertigte die Anrufung der Staatsgewalt um eine Ansicht durchzusetzen die doch selbstverstaumlndlich und gemaumlszlig der Schrift als eine gesunde Lehre galt Die Frage koumlnnte den christlichen Parteien immer wieder gestellt wer-den und zwar in jeder Aumlra der christlichen Geschichte Jedes Mal koumlnnte man sich an den Grundsatz erinnern bdquodass nur Irrtum Unterstuumltzung von der Staats-regierung braucht Die Wahrheit steht fuumlr sich selbstrdquo92

Heutige Christen sollten damit einverstanden sein dass kein Eifer ob er sich ge-walttaumltig oder friedlich aumluszligert der Verteidigung von unbiblischen Thesen ange-messen oder zutraumlglich ist Sind nun moderne Protestanten bereit ihr doktrinaumlres Erbe durch die Wiederaufnahme des alten Rufes bdquoSola Scripturardquo erneut zu uumlber-pruumlfen sollte sich die Gelegenheit dazu bieten Katholiken haben traditionsge-maumlszlig keine Skrupel Doktrinen von ausserhalb der Schrift zu akzeptieren Die Sprachrohre des katholischen Klerus insbesondere der Papst galten uumlber lange

90 Castellio war einst - vor der Hinrichtung von Servetus - ein enger Freund Calvins Er war

einer der ersten Reformatoren welcher religioumlse Toleranz forderte sowie Gewissensfreiheit Er war ein Mensch von unglaublich groszligem Intellekt und hatte viele Talente sodass Voltaire uumlber Castellios Beziehung zu Calvin folgendes bemerkte bdquoWir koumlnnen die Boumlsartigkeit der Tyrannei am Ausmaszlig der Verfolgung Calvins messen die Castellio erlebt hat und der er durch Calvin ausgesetzt war ndash und obwohl er ein weit groumlszligerer Gelehrter als Calvin war ihn dessen Eifersucht aus Genf vertrieben hatrdquo (Zweig The Right to Heresy p 89 Das Recht auf die Haumlresie)

91 Earl Morse Wilbur A History of Unitarianism Socinianism and its Antecedents (Boston Beacon Press 1946 1972) p 203 (Eine Geschichte des Unitarianismus des Socianismus und deren Vorlaumlufer) Castellio fuumlgt hinzu bdquoWas meinen wir eigentlich mit dem Ausdruck Haumlretiker Wen duumlrfen wir Haumlretiker nennen ohne ungerecht zu sein Ich glaube nicht dass alle die Haumlretiker ge-nannt werden auch wirklich Haumlretiker sind hellip Dass die Benennung Haumlretiker in unseren Tage so missbraumluchlich verwendet und so erschreckend geworden ist beweist die Atmo-sphaumlre der Schande die sie ausstrahlt Wenn immer jemand einen seiner privaten persoumlnli-chen Feinde ausmerzen moumlchte findet er sicherlich einen passenden Vorwand diesen Feind der Haumlresie anzuklagen Sobald andere diesen furchteinfloumlszligenden Ausdruck houmlren bekom-men sie solch laumlhmende Angst dass sie ihre Ohren verstopfen und blindwuumltig nicht nur den vermeintlichen Haumlretiker angreifen sondern auch alle diejenigen die es wagen sollten ir-gendein Wort zu seiner Verteidigung zu aumluszligernrdquo (Zweig The Right to Heresy p 89)

92 Thomas Jefferson Notes on Virginia

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Zeit als Quellen der Glaubensgrundsaumltze und ihre Autoritaumlt ist die der Bibel eben-buumlrtig93 Ungeachtet der Haltung die man gegenuumlber diesen Fragen einnimmt ist es bemerkenswert wie anti-katholische Kreise die historisch gesprochen den Entscheidungsprozessen gegenuumlber eher kritisch sind unbewusst auffallend aumlhn-liche Standards anwenden

EineLehrederfruumlhenKircheSeit langem wurden schon viele biblische Verse von Trinitariern herbeigezogen um das Dogma der Dreifaltigkeit als apostolisches Erbe darzulegen und zu un-termauern Allerdings liefert keine der angefuumlhrten Stellen einen Beleg fuumlr die entwickelte Trinitaumltsdoktrin und der Prolog des Evangeliums von Johannes macht da keine Ausnahme Die so genannten Beweistexte koumlnnen deshalb nur als Bedingungen gewisser doktrinaumlrer Prinzipien anerkannt werden waumlhrend das Hauptdogma selber nur durch Inferenz (dh Schlussfolgerung) formuliert wer-den kann Oft houmlrt man dass das Alte Testament bdquogewisse Referenzen zu enthalten scheint welche diese Doktrin im Voraus angedeutet haumlttenrdquo94 und dass bdquosie dann im Neuen Testament vollumfaumlnglich impliziertrdquo sei95 Einige gehen sogar so weit dass sie sagen bdquodie Trinitaumlt ist eine unergruumlndliche jedoch unfehlbare Doktrin in der Schriftrdquo96 Wie ein baptistischer Gelehrter jedoch sagte bdquosind bei naumlherem Hin-schauen viele Schriftstellen nur mit der groumlszligten Muumlhe zu diesem Zwecke an-wendbarldquo97

Beinahe alle der beliebten bdquoBeweiserdquo stammen aus dem Evangelium des Johan-nes Apologeten (Erklaumlrer) versuchen in den wenigsten Faumlllen die Doktrin unter Zuhilfenahme eines oder aller der synoptischen Evangelien zu untermauern Ein Heer von Gelehrten bestaumltigt dass Matthaumlus Markus und Lukas weder die Prauml-Exis-tenz noch die Goumlttlichkeit Jesu lehren98 bdquoLiberalererdquo Gelehrte kommen oft zum

93 ldquoWhen in the exercise of his office as shepherd and teacher of all Christians in virtue of his supreme

apostolic authority [the Pope] defines a doctrine concerning faith or morals to be held by the whole Churchrdquo (First Vatican Council First Dogmatic Constitution of the Church Ch 4 9)

94 Jack Cottrell What the Bible Says About God the Redeemer (Eugene Wipf and Stock Publishers 1987) p 133 emphasis added

95 John Richardson Illingworth quoted in Alister McGrath Christian Theology An Introduction (Oxford Blackwell Publishing 2011) p 236 emphasis added

96 John F MacArthur New Testament Commentary on 1-3 John (Chicago Moody Publishers 2007) p 162 97 Erickson God in Three Persons pp 108-109 98 See AT Hanson ldquoTwo Consciousnesses The Modern Version of Chalcedonrdquo Scottish Journal of Theology

37 (1984) p 478 (Zwei Bewusstsein die moderne Version des Konzils von Chalcedon) Siehe auch Dale Moody The Word of Truth (Grand Rapids Eerdmans 1981) p 393 (Das Wort der Wahrheit) James Dunn Christology in the Making (Grand Rapids Eerdmans 1980) p 89 (Christologie im Entstehen) James F McGrath ldquoMore on Markrsquos Christologyrdquo Exploring Our Matrix 18 January 2016 Web 28 January 2016 (Mehr zur Chris-tologie des Markus Untersuchung unserer Matrix) Adela Yarbro Collins John Joseph Collins King and Messiah

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Schluss dass Johannes einfach vom Portraumlt Jesu in den synoptischen Evangelien abweicht da Jesus weder als Gott gedacht noch dargestellt wurde bis zum spaumlte-ren Zeitpunkt der Niederschrift des johanneischen Evangeliums99 bdquoKonservati-vererdquo Gelehrte vertreten dagegen die Ansicht dass auch die synoptischen Evan-gelien irgendwo Hinweise und Feinheiten enthalten muumlssen die ihre Uumlberein-stimmung mit Johannes erlauben Doch stellen wir die Frage der dritten Art Koumlnnte es sein dass weder Johannes noch die Synoptiker trinitarische Prinzipien lehren Sind die wahrgenommenen Unvereinbarkeiten zwischen den Evangelien nicht einfach das Resultat des Versuchs alle vier zu harmonisieren indem wis-senschaftliche Ideen des vierten Jahrhundert (auf die Synoptiker) bdquozuruumlckproji-ziertldquo werden Obwohl er das Johannes Evangelium sehr fuumlr seine Zwecke ver-wendet hat schreibt der herausragende Trinitarier JAT Robinson

Wie alle anderen im Neuen Testament weicht Johannes keinesfalls vom Grundprinzip des Judentums dem unitarischen Monotheismus ab (Vgl Roumlmer 330 Jakobus 219) Es gibt nur einen den wahren und einzigen Gott (Johanes 544 173) alle anderen sind Abgoumltter (1 Joh 521) In der Tat ist der Judaismus des Johannes nirgendwo klarer ersichtlich (als hier) wie aus allen Studien der juumlngsten Zeit hervorgeht100

Trifft diese Aussage zu dann fragen wir uns zu Recht wieviele der johanneischen Texte welche anscheinend die Goumlttlichkeit Jesu implizieren in diesem Licht noch als sbquoehrliches Missverstaumlndnislsquo aufrecht stehen bleiben Es ist interessant dass ein Hauptthema des Johannes-Evangeliums tatsaumlchlich der sbquomissverstandene Jesuslsquo ist In mindestens 15 der 21 Kapitel finden sich Gegebenheiten die beschreiben wie die Zuhoumlrerschaft Jesus missverstanden hat101 Koumlnnte es sein dass das breite Publikum heutzutage die Absichten und Ziele Jesu ebenso missversteht wie das Volk von damals in seiner eigenen Zeit

Im Zeitalter der grenzenlosen Kommunikation sind wir uns der Folgen bewusst wenn die Uumlbermittlung von Nachrichten und die Verstaumlndigung zwischen ver-schiedenen Kulturen versagen Zum Beispiel wenn ein Englaumlnder sagt etwas war

as Son of God Divine Human and Angelic Messianic Figures in Biblical and Related Literature (Grand Rapids Eerdmans 2008) p 209

99Bart Ehrman How Jesus Became God The Exaltation of a Jewish Preacher from Galilee (New York HarperOne 2014) p 44

100 J A T Robinson ldquoThe Fourth Gospel and the Churchrsquos Doctrine of the Trinityrdquo Twelve More New Testament Studies p 175

101 Siehe Johannes 219-22 34-13 431-34 651-6171 733-36 818-1921-222733-3438-4451-5256-58 939-41 101-626-36 1111-14 1123-25 121632-3440 136-1227-2933-37 142-57-11 1616-18 1625-29 209 2122-23 Siehe auch Matthaumlus 1310-17 1334-36 1511-20 165-12 2746-47 Markus 410-1333-34 Lukas 250 945 1834 Siehe auch Spruumlche 285 Jesaja 69

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eine bdquototale Bomberdquo (engl total bomb) dann meint er es war erfolgreich Ein Ame-rikaner hingegen wuumlrde genau das Gegenteil verstehen Sagt der Englaumlnder er bdquowill etwas auf den Tisch bringenrdquo (engl table an issue) weil bdquoes sich um einen Streitpunkt handeltrdquo (engl moot point) dann will er daruumlber aktiv diskutieren der Amerikaner houmlrt und versteht dass der Punkt nicht relevant sei Wenn nun selbst zwischen zeitgleichen Kulturen die sogar noch dieselbe Sprache sprechen die Bedeutung so leicht verloren gehen kann wie einfach war es dann dass der Sinn von Redewendungen von Persoumlnlichkeiten des Neuen Testaments ein anderer war seither abhandenkam In folgenden Kapiteln dieses Buches werden wir im Einzelnen untersuchen wie stark Kulturunterschiede Traditionen und Vorein-genommenheit bei der Uumlbersetzung moderne Christen in ihrem Urteil uumlber au-thentische biblische Ansichten beeinflusst haben Es kommt vielleicht als Schock fuumlr viele Trinitarier zu vernehmen dass manche Christen vor ihnen bestaumltigten Jesus habe sich nie als der Gott Israels gesehen Eine eingehende Untersuchung der Sprache der Kirchengeschichte und mittels methodischer Erklaumlrungen wird sich eine Begruumlndung fuumlr ihre Skepsis finden lassen die vielleicht beunruhigend ist Die Meinung einer Vielzahl von Trinitariern aller Zeitperioden in Bezug auf die unsichere Basis der Doktrin in der Schrift mag das Zuumlnglein an der Waage sein

Wie Martin Luther selber richtig feststellte bdquoist es in der Tat wahr dass sich das Wort sbquoTrinitaumltlsquo nirgends in der Heiligen Schrift finden laumlsst sondern von Men-schen ausgedacht und erfunden worden istldquo102 Die trinitarische Tradition beharrt unablaumlssig auf der Versicherung dass die besondere und wichtige bdquoEinheitrdquo de-rer sich die Mitglieder der goumlttlichen Triade erfreut diese einzigartige Einheit das ausschlieszligliche Unterscheidungsmerkmal des christlichen Glaubens vom heidni-schen Vielgoumltterglauben ist So ist es doch frappant dass sich bdquoin der Schrift keine einzige Beschreibung finden laumlsst welche die drei goumlttlichen Personen zusammen erwaumlhnenldquo103 Es ist allgemein bekannt dass der Ausdruck bdquoTrinitaumltldquo im Zusam-menhang mit dem Christentum bis ins 2 oder 3 Jahrhundert nie aufgekommen ist In den Schriften des Theophilus von Antiochien (gestorben 183 AD) finden wir dass er das Wort als erster Christ verwendete (lat trinitas gr trias) doch nicht mit derselben Bedeutung wie die spaumltere Orthodoxie Theophilus benuumltzte den Ausdruck in der Mehrzahlform als Referenzwort und schrieb dass bdquodie drei Tage vor der Erschaffung der Lichter die Trinitaumlt versinnbildlichen Gott sein Wort und seine Weisheitldquo104 Gelehrte wie Dr Dale Tuggy haben erklaumlrt bdquoTheophilus hat den Ausdruck [Trinitaumlt] nicht mit der Bedeutung von sbquoDrei-in-Einemsbquo gebraucht

102 Martin Luther Complete Sermons of Martin Luther Vol 2 (Grand Rapids Baker Books 2000) pp 406-

407 103 George Joyce ldquoThe Blessed Trinityrdquo The Catholic Encyclopedia Vol 15 (New York Robert Appleton

Company 1912) p 47 104 Theophilus Apology to Autolycus 2

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sondern eher um einfach zu sagen dass drei Dinge VOR dem Menschen da wa-ren Gott Sein Wort und Seine Weisheit hellip [und damit den Bezug machten] zu einer Trinitaumlt einer Triade oder Dreiheit doch keinesfalls zu einer dreifaltigen Gottheit die als drei Personen [in einem Wesen] existierterdquo105 Nach dieser Er-waumlhnung findet sich das Wort bdquoTrinitaumltrdquo im theologischen Kommentar des latei-nischen Theologen Tertullian des 3 Jahrhunderts (106 ndash 225 n Chr)106 Wie wir in folgenden Kapiteln sehen werden weichen auch die Vorstellungen Tertullians wesentlich von der spaumlterentwickelten Trinitarischen Doktrin ab diese festigte sich erst nach Jahrhunderten erbitterter Debatten im roumlmischen synodalen Sys-tem

Des Oumlfteren wird von Apologeten vorgebracht es haumltte seit der apostolischen Aumlra einen unaufhoumlrlichen trinitarischen Fluss gegeben der sich ins zweite und dritte Jahrhundert ergoss nur behindert durch Haumlretiker die aufstanden ihn zu hemmen Ein Gelehrter jedoch beobachtete eine Verschiebung in unserer heuti-gen Betrachtungsweise der Kirchengeschichte und schreibt

Das klassische Verstaumlndnis der Beziehung zwischen Orthodoxie und Haumlresie blieb groumlszligtenteils bis in die moderne Aumlra ohne (the-matische) Herausforderung hellip Lehrte Jesus und lehrten seine Apostel einen Glauben welcher der Kirche im 2 und 3 Jahrhun-dert unveraumlndert uumlbermittelt wurde Die Antwort darauf lautet wie wir jetzt wissen wahrscheinlich nein Wissenschaftler die diese These zuerst vorlegten wagten sich in ein risikoreiches historisches Gelaumlnde vor Doch inzwischen sind ihre Erkenntnisse auf so brei-ter Basis akzeptiert dass man fast von Allgemeinplaumltzen reden kann107

In unserer eigenen Darstellung vertreten wir eine gemaumlszligigte Ansicht der For-schungsfortschritte uumlber den Glauben der vor-nicaumlnischen Periode Mit einem sorgfaumlltigen Uumlberblick der Schriften von Tertullian Irenaumlus Justinus der Maumlrty-rer Origenes und vielen anderen werden wir enthuumlllen dass sie mitnichten uumlber-zeugte Trinitarier waren108 Wir sollten uns in der Tat daran erinnern dass bdquodas

105 Dale Tuggy ldquoHistory of Trinitarian Doctrinesrdquo Stanford Encyclopedia of Philosophy 2013 106 See Tertullian Against Praxeas 2 107 Bart D Ehrman Lost Christianities The Battles for Scripture and the Faiths We Never Knew (New

York OUP 2003) pp 168-169 (Verloren Christenheiten Die Kaumlmpfe um Schrift und Glauben die wir nie kannten)

108 Unsere hier folgende Uumlbersicht uumlber die Kirchenvaumlter wird zeigen dass obschon deren Sprache trini-tarisch geklungen haben mag sie nie die fuumlr eine Trinitaumlt notwendigen Qualitaumlten beinhaltete dh sie enthielt weder die ewige Ko-Existenz noch die Gleichheit der drei Personen untereinander Die Theol-ogie vertrat jedoch was wir als Unterordnung (Subordination) und als Unitarismus bezeichnen koumlnnen

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Wort Trinitaumlt in der Bibel gar nicht zu finden ist hellip [weil] es formal in der Kir-chentheologie bis ins vierte Jahrhundert dafuumlr keinen Platz gabrdquo109 Jahrhunderte nachdem Jesus auf dieser Erde wandelte wurden die ersten Grundkomponenten dieser bdquochristlichenrdquo Philosophie anlaumlsslich des Konzils von Nicaumla (325 n Chr) durch die roumlmische Regierung autorisiert Nochmals Jahrzehnte danach wurde eine erweiterte Doktrin allgemein festgelegt (381 n Chr) noch weiter ausgebaut (451 n Chr) und schlieszliglich ums Jahr 500 n Chrsbquo als zur Errettung notwendig dekretiert wie das Athanasische Glaubensbekenntnis demonstriert

Welche fortschrittliche Ausgestaltung und Einfuumlhrung sind dem orthodoxen Mo-dell vorausgegangen Die Geschichte offenbart eine Reihe von Debatten uumlber rivalisierende Christologien welche die vor-nicaumlnischen Christen beschaumlftigten Die Mehrheit der Glaumlubigen schien jedoch trotz der eskalierenden platonischen Synthese im 2 und 3 Jahrhundert durchwegs im traditionellen unitarischen Mo-notheismus der Juden verankert geblieben zu sein Wie eine beachtenswerte Mei-nung lautet

Es gibt keine Tatsache die historisch besser belegt ist als die Dokt-rin des Glaubens an einen Gott einfach und rein waumlhrend der ers-ten Zeit des Christentums Diese Lehre war eines der wirkungs-vollsten Instrumente gegen den Polytheismus der Antike uumlber den sie triumphierte hellip Kein Argument der Vernunft konnte die Ein-heit des houmlchsten Wesens aus dem christlichen Denken verdraumlngen hellip dies wurde erst durch das Schwert der weltlichen Staatsgewalt moumlglich110

Aus historischer Sicht hat das etablierte Christentum stets groszligen Wert auf die Evangelisation der Welt gelegt Es ist eine Tatsache dass bdquodas Evangelium seinen ersten und wichtigsten Triumph ohne die Formel der trinitarischen Doktrin er-rungen hatrdquo und diese Feststellung trifft sicher zu111

Wenn wir die geschichtliche Entwicklung dieser Doktrin betrachten ist die Frage sicher zulaumlssig Wer war dann der erste Trinitarier War es Johannes der Taumlufer Oder vielleicht Paulus von Tarsus Oder trifft es wirklich zu wie die Geschichte beweist dass die ersten Trinitarier sich aus verschiedenen griechisch-roumlmischen Philosophen der spaumlteren Periode der Fruumlhkirche erhoben Haumltten die Apostel des ersten Jahrhunderts an die Dreifaltigkeit geglaubt dann scheint es dass ihnen

109 R A Finlayson ldquoTrinityrdquo Illustrated Bible Dictionary Vol 3 (Westmont IVP Tyndale House Publishers

1980) p 1597 unsere Hervorhebung 110 Thomas Jefferson Letter to Theologian James Smith December 8 1822 (Vergleiche auch James Car-

roll und sein Buch Constantinersquos Sword The Church and the Jews A History ndash Das Schwert Konstan-tines Die Kirche und die Juden eine Geschichte)

111 Matthews God in Christian Experience p 180

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nicht viel an einer Erklaumlrung der Prinzipien gelegen war ganz zu schweigen von einer Erwaumlhnung derselben Nirgendwo erklaumlren sie etwas uumlber einen bdquodrei-per-sonalen Gottldquo oder die bdquoGoumlttlichkeit Christildquo wie es die Christen der folgenden Jahrhunderte taten Im Gegensatz zur lauten und umfangreichen Fixiertheit der Katholiken (Hohe Christologie) auf das Thema der Trinitaumlt scheinen sich die Apostel in ein bdquoohrenbetaumlubendes Schweigenrdquo gehuumlllt zu haben Waumlre die Drei-einigkeitslehre so zentral und wichtig fuumlr die Christenheit und waumlre gemaumlss dem Athanasischen Bekenntnis jeder verflucht der nicht daran glaubt weshalb finden wir dann keine klare Darlegung in der Bibel Tatsaumlchlich scheint es sogar auf-grund katholischer Quellen bdquodass in den Schriften der apostolischen Vaumlter nichts dieser Mentalitaumlt oder Perspektive auch nicht in der entferntesten Form nahe-kamrdquo112 Das Bibel-Lexikon von John L McKenzie welches das offizielle Impri-matur-Siegel der Katholischen Kirche113 traumlgt enthaumllt folgenden Passus zum Thema der Trinitaumltsdoktrin

Die Trinitaumlt Gottes wird durch die Kirche definiert als der Glaube dass in Gott drei Personen in einer Natur existieren Zu dieser Uumlberzeugung ist man erst im 4 und 5 Jahrhundert gelangt und sie stammt daher nicht ausdruumlcklich und formal aus dem biblischen Glauben114

McKenzie war ein erstklassiger Bibelgelehrter des 20 Jahrhunderts und er machte hier eine erstaunlich offene Feststellung Sind sich die modernen Apolo-geten die auf dem apostolischen Ursprung der Trinitaumlt beharren solcher Aussagen aus den houmlchsten Raumlngen der christlichen Forschung bewusst Die neue katholi-sche Enzyklopaumldie legt doppelt nach und offenbart dass die Diskussionen uumlber die Trinitaumlt im Kontext des ersten Jahrhunderts als anachronistisch zu betrachten sind

Es ist schwierig in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts einen einfachen klaren und objektiven Bericht zu liefern uumlber die Offen-barung die doktrinaumlre Entwicklung und die theologische Ausarbei-tung des Mysteriums der Trinitaumlt hellip Historische Dogmatiker und systematische Theologen erkennen dass wenn die Rede von einer uneingeschraumlnkten Dreifaltigkeit ist man sich von der Periode des Fruumlhchristentums ins letzte Viertel des 4 Jahrhunderts bewegt

112 ldquoTrinityrdquo The New Catholic Encyclopedia p 299 113 Die Akkreditierung auf den ersten Seiten des Buches lautet sbquoNihil Obstatrsquo und ist durch John B Amber

unterzeichnet Jesuit Erzdioumlzesan Zensor und sbquoImprimatursbquo (= Es werde gedruckt) ist gezeichnet von Cletus F OrsquoDonnell J C D Generalvikar Archdioumlcese von Chicago am 18 Februar 1965 Das Im-primatur und Nihil Obstat sind offizielle Bestaumltigungen dass ein Buch oder ein Pamphlet frei von dokt-rinaumlren oder moralischen Irrtuumlmern ist

114 John L McKenzie Dictionary of the Bible (New York Touchstone 1995) p 899

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Erst in dieser Zeit begann man von einem so genannten Trinitaumlts-dogma zu sprechen bdquoein Gott in drei Personenrdquo ein Gedanke der sich dann durch und durch im christlichen Denken und Leben ein-nistete es war das Produkt einer dreihundertjaumlhrigen Entwick-lung115

Natuumlrlich sind es nicht nur katholische Gelehrte die bestaumltigen das Drei-in-Ei-nem-Konstrukt von Gott bewege sich ausserhalb der Grenzen der Heiligen Schrift die Meinungen von Experten aus allen Ecken der Christenheit pflichten ihnen uumlberaus deutlich bei Bruce Metzger ein ausserordentlich respektierter und einflussreicher Neutestamentler des 20 Jahrhunderts kommt zu folgendem klu-gen Schluss

Da die Trinitaumlt ein so wichtiger Teil der spaumlteren christlichen Lehre ist faumlllt auf dass der Ausdruck nicht im Neuen Testament er-scheint Desgleichen ist das in spaumlteren Bekenntnissen erschei-nende Konzept einer Gottheit die aus drei gleichberechtigten gleichartigen Partnern besteht im Kanon nirgends klar zu entde-cken Waumlhrend die Autoren des Neuen Testaments wohl viel uumlber Gott Jesus und den Geist der beiden aussagen legt keiner in Ein-zelheiten die Beziehung zwischen den dreien dar so wie es spaumltere christliche Schreiber taten116

Der beruumlhmte trinitarische Professor Charles Ryrie schreibt in seinem vielbe-achteten Buch Basic Theology dass in der Bibel die Doktrin nirgendwo gefunden werden kann Aus den Kreisen seiner evangelikalen Glaubensbruumlder houmlrt man oft die Kritik an katholischen Dogmen denen die Berechtigung durch die Schrift fehlt Doch ausgerechnet bei der Trinitaumlt macht Ryrie eine Ausnahme Er sieht im Fehlen der primaumlren biblischen Autoritaumlt keineswegs eine Unguumlltigkeitserklauml-rung Sein Argument

hellip viele Doktrinen werden durch die Evangelikalen akzeptiert wie wenn sie durch die Schrift gelehrt wuumlrden obwohl es keine Beweis-texte dafuumlr gibt Das beste Beispiel liefert die Trinitaumltslehre Man kann mit Fug und Recht sagen dass dieses Dogma nicht klar durch die Bibel gelehrt wird117

115 Thomas Carson The New Catholic Encyclopedia Vol XIV (Farmington Hills Gale 2003) p 295 116 Bruce Metzger Michael Coogan The Oxford Companion to the Bible (Oxford OUP 1993) p 782 117 Charles C Ryrie Basic Theology A Popular Systematic Guide to Understanding Biblical Truth (Chicago Moody

Publishers 1999) p 89

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Ryrie geht noch weiter und beleuchtet die Tatsache dass Evangelikale viele Dokt-rinen ohne biblischen Beleg akzeptieren Sie lehren das Dogma ohne einen Nach-weis in der Schrift was bdquodie Fehlannahme beweist man koumlnne etwas das nicht in der Bibel belegt ist nicht trotzdem schluumlssig lehren waumlre dem naumlmlich so dann koumlnnte ich weder die Trinitaumlt noch die Goumlttlichkeit Jesu noch diejenige des Heiligen Geistes lehrenrdquo118 Waumlhrend einige Theologen bereit sind den Mangel an biblischer Praumlzedenz leichtfertig hinzunehmen stellt der renommierte trinita-rische Theologe Millard J Erickson in seinem Werk God in Three Persons (Gott in Drei Personen) fest

Es wird behauptet die Trinitaumltsdoktrin sei sehr wichtig zentral und grundlegend Ist das nun wirklich so muumlsste sie dann nicht ir-gendwo in der Bibel klarer direkter und ausdruumlcklicher dargelegt werden Waumlre diese Trinitaumltslehre in der Tat das was die Einzigar-tigkeit des Christentums ausmacht und einerseits entgegen dem unitarischen Monotheismus und andererseits dem Vielgoumltterglauben steht wie kommt es dann dass sie nur als durch biblische Offen-barung impliziert wahrgenommen wird Man houmlrt oft allgemein den Vorwurf dass gewisse Teile der Heiligen Schrift zweideutig oder unklar seien damit gehen Erklaumlrungen einher dass diese Stel-len lediglich periphere Dinge betreffen die verschwommen sind oder mit biblischen Texten im Konflikt stehen der Kern des Glau-bens jedoch klar und unmissverstaumlndlich offenbart sei Diese Aus-fluumlchte erweisen sich insbesondere im Falle der Trinitaumltsdoktrin al-lerdings als haltlos denn hier geht es offensichtlich um eine sehr zentrale Angelegenheit und doch macht die Heilige Schrift genau daruumlber keine klare und unmissverstaumlndliche Aussage Es ist houmlchst unwahrscheinlich dass sich uumlber die Trinitaumltsdoktrin ein klarer un-mittelbarer und unmissverstaumlndlicher Beweistext (in der Schrift) finden laumlsst119

Alle diese Bemerkungen bringen uns zu unserer eingangs gestellten Frage zuruumlck Wer war der erste Trinitarier Moderne Gelehrte zwingen uns zu folgenden Uumlber-legungen Ist die beruumlhmteste kontroverseste und gleichzeitig die fundamentalste aller christlichen Doktrinen ein deplatziertes Artefakt das von wohlmeinenden und engagierten Glaumlubigen absichtlich in die Welt der neutestamentlichen Auto-ren hineingeschmuggelt wurde Trifft es zu dass bdquodie fragliche Doktrin in keinem Dokument oder Relikt der Kirche der ersten drei Jahrhunderte gefunden werden kann Greift man mit jedem Brief mit Kunstwerken bei jedem Brauch in der

118 Ebenso p 90 119 Erickson God in Three Persons pp 108-109

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Theologie dem Gottesdienst in den Bekenntnissen jeder Hymne jedem Lied in der Doxologie mit der Zuschreibung den Erinnerungsriten und allen Feier-lichkeiten (die man untersucht was die Doktrin anbetrifft) hellip uumlberall vollkom-men ins Leererdquo120 Wie sollte dann ein frommer Christ auf die mannigfachen und beliebten Behauptungen reagieren die Doktrin sei apostolisch und die Lehre der neutestamentlichen Kirche gewesen Emil Brunner legt das Dilemma offen in-dem er schreibt

Wenn wir uns dem Problem der Trinitaumltsdoktrin zuwenden sehen wir uns mit einer eigenartigen widerspruumlchlichen Situation kon-frontiert Einerseits lehrt uns die Geschichte der Dogmatik und der christlichen Theologie in Bezug auf die Dreifaltigkeit dass diese Doktrin ein Element und das besondere Unterscheidungsmerkmal der christlichen Gottes-vorstellung ist durch diese hebt sich das Christentum von der Gottesidee anderer Religionen wie dem Ju-dentum und dem Islam ab In der Tat sind gerade diese beiden mitsamt allen Formen des vernuumlnftigen Theismus strikt unitarisch Auf der anderen Seite muumlssen wir ehrlich zugeben dass die Dokt-rin der Dreifaltigkeit kein Teil der fruumlhen christlichen Botschaft des Neuen Testaments war121

Hat man Respekt vor der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung dann muumlsste ihr auch eine gewisse Dominanz in dieser Untersuchung beigemessen werden Es gibt Hinweise darauf dass die christliche Trinitaumlt bdquoein Konzept war fuumlr welches die Zeit noch nicht gekommen warrdquo122 Solche Aussagen wurden schon laumlngst von Historikern vorgebracht In den folgenden Kapiteln dieses Buches werden wir darlegen dass das Trinitaumltskonzept in der Tat ein deplatziertes Artefakt war und zwar nicht nur was die fruumlheste Aumlra der Kirche anbetrifft noch Generatio-nen darnach kaumlmpften monotheistische Hebraumler dagegen deren Geschichte uumlber viele einzelne Begegnungen mit Gott berichtet Wir wuumlrden erwarten dass diese die Basis fuumlr das christliche Verstaumlndnis bildeten Doch oft werden gelaumlufige Verse wie 1 Mose 126 ins Feld gefuumlhrt (Lasset uns Menschen machen ) um zu beweisen dass die Dreifaltigkeit schon in den Hebraumlischen Schriften belegt sei obwohl solche Vorstellungen (theologisch) problematisch sind Christliche Ge-

120 Alvan Lamson Ezra Abbot The Church of the First Three Centuries (Toronto University of Tornoto Li-

braries 1875) pp 466-467 121 Emil Brunner p 205 122 Ebenso p 467

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lehrte auf der ganzen Welt sind sich einig dass die bdquoDoktrin der Heiligen Dreiei-nigkeit im Alten Testament nicht gelehrt wirdrdquo123 Auch waumlhrend und nach der Zeit der juumldisch-christlichen Debatten uumlber Passah (Ostern) hat sich das Alte Testament nicht als williger Unterstuumltzer der grundlegenden Prinzipien dieser Doktrin benuumltzen lassen Die Absenz eines Katalogs von Argumenten der neu-testamentlichen Kirche uumlber die Natur Gottes ist ebenfalls houmlchst beunruhigend Die apostolische Gemeinschaft erlebte eine Reihe von erbitterten Auseinander-setzungen uumlber eine Vielzahl von wichtigen Angelegenheiten wie Essensvor-schriften die Beschneidung die Taufe und mehr Wo aber sind die Debatten uumlber die Grundprinzipien der Dreifaltigkeit Die Juden waren doch stets uumlberzeugte Monotheisten dh sie glaubten an einen Gott

Manch ein Trinitarier wird beteuern dass er oder sie ebenfalls am Ein-Gott-Glau-ben festhalten doch wir werden anerkannte trinitarische Theologen wie Leonard Hodgson zu Wort kommen lassen die darlegen dass bdquoder [juumldische] Monotheis-mus damals wie heute streng unitarisch istrdquo124 Die Geschichtsschreibung zeigt auf dass die Juden die orthodoxe Christenheit stets kritisiert haben die Hebraumli-schen Schriften mit der Behauptung zu verletzen der Gott Israels sei nun eine Vielfaumlltigkeit von Personen Untersucht man die grosse Anzahl der vorhandenen geschichtlichen Dokumentationen zwischen Juden und Christen aus der nach-apostolischen Zeit (1 bis 3 Jh) fragt man sich weshalb im Neuen Testament keine Spur eines Konflikts uumlber das offenbar wichtigste aller Themen die Iden-titaumlt Gottes zu finden ist Koumlnnte es sein dass die Christen die Jesus nachfolgten sowie die Apostel in ihrer Zeit nie etwas von einer Dreifaltigkeit Gottes gehoumlrt hatten Haumltten sie an die Trinitaumlt geglaubt waumlre es doch einleuchtend wenn sie uumlber den Kern ihrer Uumlberzeugung wenigstens gesprochen haumltten Wie ein Autor betont wurden fuumlnfzehn Kapitel des Neuen Testaments geschrieben um die Ju-den von einer aktualisierten Sicht auf das mosaische Gesetz zu uumlberzeugen

hellip muumlssten dann nicht ein oder zwei Kapitel zu finden sein die erklaumlren wie Gott von da an gesehen werden sollte Doch nicht einmal ein Vers schlaumlgt vor die juumldische Gottesvorstellung zu aumln-dern Die Bibel enthaumllt viele Verse welche die Rechtfertigung bdquolehrenrdquo die Taufe bdquolehrenrdquo die Auferstehung bdquolehrenrdquo aber nicht einen einzigen Vers der die Trinitaumltsdoktrin bdquolehrtrdquo Kein einziger

123 ldquoTrinityrdquo New Catholic Encyclopedia p 306 Trinitarische Gelehrte aller Zeiten haben zuge-

geben bdquoEs ist offensichtlich dass aufgrund der Autoritaumlt des Alten Testaments kein genuuml-gender oder klarer Beweis weder fuumlr die Trinitaumlt noch fuumlr die Pluralitaumlt der goumlttlichen Per-sonen herbeigezogen werden kannrdquo (unsere Uumlbersetzung) (Bishop Tostat De Sanct Trin p 14 zitiert von Wilson Uni Princ (1888) p 344) Siehe auch Gordon J Wenham Word Biblical Commentary on Genesis (Nashville Word Books 1987) pp 27-28

124 Leonard Hodgson Christian Faith and Practice Seven Lectures (Oxford Blackwell 1952) p 74

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Vers beschreibt erklaumlrt oder definiert sie Und kein Vers sagt uns dass wir diese Lehre glauben sollen125

Millard J Erickson hat sich ebenfalls gefragt wo die historische Diskussion der trinitarischen Theologie geblieben ist welche angeblich die fruumlhen Christen von ihren unitarischen juumldischen Glaubensbruumldern auf der einen Seite und den poly-theistischen heidnischen Nachbarn auf der anderen trennte Die auffallende Ab-wesenheit einer solchen kritischen Darlegung sollte doch jeden ernsthaften Bi-belstudenten zu einer tieferen Untersuchung reizen Ein Gelehrter (Dr Bart Ehr-man) beobachtete die sich entwickelnde Geschichtsaufzeichnung der Orthodo-xie wie sie sich von den biblischen Daten abhebt Er meint

hellip wir sollten von der klassischen Meinung wegkommen die Or-thodoxie habe ihre Wurzeln in den Lehren der Apostel und sei in den Evangelien des Neuen Testaments akkurat erhalten geblieben In Wirklichkeit haben sich die Doktrinen des orthodoxen Chris-tentums in einer viel spaumlteren Periode und nicht zur Zeit des histo-rischen Jesus und seiner Apostel entwickelt126

DieAutoritaumltderTraditionWas haben das Ptolemaumlische Weltbild die Bewegung von Koumlrpern des Aristote-les und die Humoralpathologie von Hippokrates und Galenus miteinander ge-meinsam127 Sie alle waren in der antiken Gesellschaft allgemein akzeptierte klas-sische Dogmen die einst durch beruumlhmte griechische Philosophen erdacht und verbreitet wurden Jedes Dogma konnte sich dank des Ruhmes seines Gruumlnders auch noch Jahrtausende nach seinem Tod aufrecht halten Sie sind Doktrinen aus dunkler Vergangenheit welche die moderne Forschung in neuerer Zeit als falsch bewiesen hat In dieser Studie ist das Erbe der Humoralpathologie ist von beson-derer Bedeutung

Der Einfluss von Galenus (129 ndash 199 n Chr) war derart groszlig und weitreichend dass noch im 13 Jahrhundert nachdem sich im west-lichen Europa laumlngst die Kunst der Sezierung eingefuumlhrt worden

125 Robert A Wagoner The Great Debate Regarding the Father Son amp Holy Spirit (Santa Ana 1997) p

12 (Die groszlige Debatte uumlber den Vater Sohn und Heiligen Geist) 126 Ehrman Lost Christianities p 170 127 Geozentrismus ist der Glaube der Planet Erde sei der Mittelpunkt unserer Galaxie Das Gesetz der

Bewegung des Aristoteles (384 - 322) besagt dass bdquoAlles was sich bewegt bewegt sich entweder von Natur oder durch eine aumluszligere Kraft oder vermoumlge seines eigenen Willensrdquo HumoralismusHumorismus glaubt die vier Koumlrpersaumlfte halten den gesunden Koumlrper im Gleichgewicht schwarze Galle gelbe Galle Schleim und Blut

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war Gelehrte oftmals Neuentdeckungen (ruumlckwirkend) dem Gale-nus zuschrieben nur um zu vermeiden dass seine veralteten Mo-delle (des 2 Jh) in Zweifel gezogen wuumlrden Im Verlaufe der Zeit wurde jedoch vermehrtes Gewicht auf die wissenschaftlichen Ex-perimentalmethoden gelegt aber die klassischen medizinischen Theorien galten erst im 16 und 17 Jahrhundert als uumlberholt Nichtsdestotrotz wurde der hippokratisch-galenische Aderlass noch bis ins 19 Jahrhundert weiter praktiziert obwohl die Erfah-rung gezeigt hatte dass diese Methode sowohl unwirksam wie auch houmlchst riskant war128

Aumlhnliche geschichtliche Entwicklungen koumlnnen auch in Bezug auf die geozentri-sche Kosmologie des Ptolemaumlus sowie dem Bewegungsgesetz des Aristoteles be-obachtet werden sie wurden erst 1543 beziehungsweise 1687 widerlegt129 In all diesen Faumlllen finden wir dass die Bedeutung und die Autoritaumlt die den Philoso-phen des Altertums zugeschrieben wurden den wissenschaftlichen Entwick-lungsprozess auf den Gebieten der Astronomie Physik und Medizin tatsaumlchlich uumlber die Maszligen verlangsamten Koumlnnte es sein dass auf dem Gebiet der christli-chen Theologie ein aumlhnliches Phaumlnomen stattfand Wir muumlssen die Frage stellen ob das eigenartige trinitarische Rahmenwerk der griechischen und lateinischen Kirchenvaumlter irgendwie dazu angetan war eine vernuumlnftige und beweisbare Got-tesidee zu vermitteln Oder hielt es vielmehr ein Traditionssystem aufrecht das geistlich von Geheimnissen und dem blinden Glauben ans Dogma abhaumlngig war Das Erbe des Humoralismus und das Schroumlpfen moumlgen hier als faszinierende Parallele dienen Waumlhrend Jahrhunderten wurde unermesslich viel Schaden ange-richtet nur weil man die bdquoorthodoxerdquo Medizin weiterpraktizierte obwohl es be-reits moumlglich gewesen waumlre dank neuen Perspektiven andere Heilpraktiken an-zuwenden Waumlhrend unzaumlhlige Christen unter der Fuchtel der Katholischen Kir-che gehalten wurden verhinderte die Geistlichkeit mit Erfolg dass die Glaumlubigen selber die Schrift in ihrer eigenen Sprache lesen und verstehen konnten Christen heutzutage haben das Privileg in Freiheit einen ungehinderten Zugang zu genie-szligen nicht nur zu den Heiligen Schriften sondern auch zu historischen Quellen zu kulturellen und linguistischen Informationen weit uumlber die Moumlglichkeiten ih-rer Ahnen hinaus Ohne Zweifel wurde wegen der Trinitaumltsdoktrin buchstaumlblich

128 World Public Library ldquoAncient Greek Medicinerdquo World Heritage Encyclopedia 26 July 2014 Web

12 September 2014 129 See Nicholas Copernicusrsquo ldquoOn the Revolutions of the Celestial Spheresrdquo and Sir Isaac Newtonrsquos ldquoLaws

of Motionrdquo

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viel Blut vergossen angefangen mit der Antike und spaumlter bis ins 17 Jahrhun-dert130 doch der bdquoAderlassrdquo am Christentum scheint trotz moderner Wissen-schaft und besserer Manuskripte noch nicht beendet Wann wird der aus der Antike stammenden Vorrangstellung der kirchlichen Obrigkeit ein Ende gesetzt denn dieser Zustand ist dem modernen Christen und der Christin laumlngst nicht mehr zuzumuten Es stehen uns heute Werkzeuge fuumlrs Bibelstudium zur Verfuuml-gung von denen die Philosophen der Antike nicht einmal zu traumlumen wagten

Sicher ist dass es sich moderne Studierende nicht leisten koumlnnen in Anbetracht der verfuumlgbaren und noch zu erwartenden zukuumlnftigen Beweislage die Bibel wei-terhin durch das Prismenglas des vierten Jahrhunderts zu lesen Doch gerade das ist es was viele Autoritaumlten nicht nur stolz zugeben sondern sich auch noch da-mit bruumlsten Der Anglikanische Priester und Professor Peter Toon zum Beispiel macht fast selig vor Gluumlck folgendes Eingestaumlndnis bdquoIch bin Theologe und ich fuumlhle mich dem Glauben verpflichtet so wie er im 4 Jahrhundert durch das Kon-zil von Nicaumla formuliert wurde Ich naumlhere mich der Schrift und erlaumlutere sie innerhalb dieses Bekenntnisses und dem doktrinaumlren Rahmenwerkrdquo131 Waumlhrend man die Loyalitaumlt von Professor Toon schaumltzt hofft man dass die hellsten und begabtesten christlichen Koumlpfe sich nur der exakten Erlaumluterung von biblischen Texten sowie einer echt biblischen Weltanschauung verpflichtet fuumlhlen ungeachtet der Auswirkungen auf den bdquoGlaubenrdquo Schlieszliglich sollte doch die Bibel die Quelle der christlichen Glaubengrundsaumltze sein oder etwa nicht Ist dies nicht was viele Kirchen heute fast routinemaumlszligig beteuern Zu behaupten die Bibel sei ein bdquoMu-nitionslagerldquo fuumlr die Verteidigung von gewissen bereits existierenden Dogmen und des von Professor Toon und anderen ausdruumlcklich erwaumlhnten Rahmenwerks legt den bedauernswerten Zustand der heutigen katholischen und protestanti-schen Exegese (= Auslegung) offen In der Tat wenn historische Dokumente wie die Schriften des Neuen Testaments des ersten Jahrhunderts vorsaumltzlich und ausschlieszliglich im Licht der Bekenntnisse und der Doktrinen bdquodes vierten Jahr-hundertsbdquo ruumlckblickend betrachtet werden dann ist das Schlimmste fuumlr das christliche Denken zu befuumlrchten Man kann sich zu Recht fragen in welche Richtung sich der Glaube durch die historische und philologische Genauigkeit entwickelt haumltte waumlre diesen (grundlegenden) Punkten auch nur die Haumllfte der

130 Das letzte Jahr in dem jemand wegen der Ablehnung der Trinitaumltsdoktrin offiziell vom englischen Staat

verfolgt und hingerichtet wurde war 1697 Die letzte Gefaumlngnisstrafe wegen Blasphemie in Groszligbritan-nien erfolgte 1922 Siehe T B Howell ldquoProceedings Against Thomas Aikenhead for Blasphemyrdquo A complete collection of state trials and proceedings for high treason and other crimes and misdemeanors from the earliest period to 1783 Vol 13 (London Longman Hurst Rees Orme and Brown 1816) (Eine vollstaumlndige Sammlung von Staatsprozessen und Verfahren wegen Hochverrats und anderer Verbrechen und Vergehen von der fruumlhesten Zeit bis 1783)

131 Peter Toon Our Triune God A Biblical Portrait of the Trinity (Vancouver Regent College Publishing 1996) p 10 (Unser dreieiniger Gott Ein biblisches Bild der Trinitaumlt)

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Liebe und Aufmerksamkeit gewidmet worden die man den Glaubensbekennt-nissen der Konzile zukommen lieszlig Gegenwaumlrtig scheint eine Leidenschaft fuumlr das bdquoalterdquo System aufzukommen welche die Energie fuumlr fundierte Erklaumlrungen in der christlichen Theologie lahm legt Man houmlrt unter den zuverlaumlssigsten der Bibelinterpreten oft das Eingestaumlndnis bdquoWir stellen uns einschraumlnkungslos hinter die Chalcedonische Formulierungrdquo132 Wie waumlre es dagegen mit einer uneinge-schraumlnkten Akzeptanz der Weltanschauung des historischen Jesus sowie des bib-lischen Glaubens und der Formulierungen der Schrift Die diesbezuumlgliche Frage sollte immer lauten Chalcedonisch oder nicht Doch die Tugend (der Aufrichtigkeit) scheint den Theologen staumlndig zu entgleiten weil sich das bdquoorthodoxerdquo Dogma auftuumlrmt und sein beaumlngstigendes Erbe einen Schatten uumlber das christliche Den-ken wirft

EineWarnungIm Licht der weitverbreiteten akademischen Akzeptanz der orthodoxen Tradi-tion muumlssen sich alle christlichen Studierenden immer wieder die Frage stellen Ist die Reformation je abgeschlossen worden oder gibt es da noch mehr zu reformieren Auf-grund des von ihren reformatorischen Vorkaumlmpfern erreichten fuumlhlen sich viele Protestanten einigermaszligen sicher sich heute nicht mehr aktiv gegen unbiblische Dogmen verteidigen und oder schuumltzen zu muumlssen Die seinerzeitige Ermahnung von Judas 13 bdquofuumlr den ein fuumlr alle Mal den Heiligen uumlberlieferten Glauben zu kaumlmpfenrdquo muss jedoch (auch heutzutage) von Gelehrten wie Laien als Vollzeit-Engagement aufgefasst werden Paulus warnte fast am Ende seiner Laufbahn die jungen christlichen Glaumlubigen

Ich weiszlig dass nach meinem Abschied grausame Woumllfe zu euch hereinkom-men werden die die Herde nicht verschonen Und aus eurer eigenen Mitte werden Maumlnner aufstehen die verkehrte Dinge reden um die Juumlnger abzu-ziehen hinter sich her Darum wacht und denkt daran dass ich drei Jahre lang Nacht und Tag nicht aufgehoumlrt habe einen jeden unter Traumlnen zu ermahnen (Apostelgeschichte 2029-31)

Die Apostel warnten dass kaum sei die Tinte ihrer Aufzeichnungen trocken schaumldliche Lehren auftauchen wuumlrden Sie waren der Ansicht dass diese Irrlehren aus der Kirche selber kommen und auch die Glaumlubigen davor nicht verschont blieben Paulus offenbart dass ihn Gott ausdruumlcklich gegen Mitglieder der christ-lichen Bewegung warnte die Irrlehren ausdenken und schaumldliche Ideen verbrei-ten bdquoDer Geist aber sagt ausdruumlcklich dass in spaumlteren Zeiten manche vom Glauben abfallen

132 R Douglas Geivett Timothy R Phillips Dennis L Okholm Alister E McGrath Clark H Pinnock

John Hick W Gary Phillips Four Views on Salvation in a Pluralistic World (Grand Rapids Zondervan 1996) p 74 unsere Hinzufuumlgung

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werden indem sie auf betruumlgerische Geister und Lehren von Daumlmonen achtenrdquo (1 Tim 41) Die Bestimmtheit mit der Paulus die Kirche ermahnte noch bevor die apostoli-sche Aumlra zu Ende ging ist sowohl tragisch als auch erschreckend

Denn es wird eine Zeit sein da sie die gesunde Lehre nicht ertragen sondern nach ihren eigenen Begierden sich selbst Lehrer aufhaumlufen werden weil es ihnen in den Ohren kitzelt und sie werden die Ohren von der Wahrheit abkehren und sich zu den Fabeln hinwenden (2 Timotheus 43-4)

Wie uumlberzeugend mussten Mythen und Lehren beschaffen sein um die apostoli-schen Zeugnisse herausfordern zu koumlnnen Offensichtlich ortete Paulus den Ur-sprung in den populaumlren philosophischen Ansichten seiner eigenen Zeit

Seht zu dass niemand euch einfange durch die Philosophie und leeren Be-trug nach der Uumlberlieferung der Menschen nach den Elementen der Welt und nicht Christus gemaumlszlig (Kolosser 28)

Rufen wir uns in Erinnerung dass als Paulus den Brief an die Kolosser schrieb bdquodie griechische Philosophie groszligen Einfluss in den Regionen um Kolossauml geltend machterdquo133 und damit hat sich der wahre Schuldige schon entpuppt Die hellenis-tischen Einwirkungen waren so subtil und doch so unwiderstehlich dass ihnen sogar viele Fruumlhchristen zum Opfer fielen die kaum eine oder zwei Generationen von der apostolischen Zeit entfernt waren Der Apostel Johannes der am Ende des ersten Jahrhunderts schrieb scheint noch zu seinen Lebzeiten Zeuge der Ge-burtswehen dieses Ungemachs gewesen zu sein bdquoVon uns sind sie ausgegangen aber sie waren nicht von uns denn wenn sie von uns gewesen waumlren wuumlrden sie wohl bei uns geblieben sein aber sie blieben nicht damit sie offenbar wuumlrden dass sie alle nicht von uns sindldquo (1 Joh 219) Die aumluszligeren Einfluumlsse gegen die Paulus warnte waren stark genug um so-gar fromme Anhaumlnger der fruumlhen Kirche zu uumlberzeugen Um wieviel staumlrker ist ihre Uumlberzeugungskraft unter heutigen Menschen die sprachlich kulturell und zeitlich weit von der Juumlngerschaft entfernt sind Professor Anthony Buzzard er-innert an den urspruumlnglichen Auftrag in Judas 13 wonach wir den apostolischen Glauben verteidigen sollten und schreibt bdquoWenn es damals ernsthafte Anstren-gungen brauchte um den Glauben zu schuumltzen wieviel mehr heute zweitausend Jahre spaumlterrdquo134

Unsere Aufgabe im ersten Teil dieses Buches ist es zu entscheiden ob die Integ-ritaumlt der Theologie Jesu trotz aller Warnungen wirklich so umfassend und ver-heerend kompromittiert wurde wie es den Anschein macht Sollte ein solcher

133 Albert Barnes Notes on the Bible Baker Books 1834 Web 5 January 2015 lthttpwwwsacred-

textscombibcmtbarnescol002htmgt Hinzufuumlgung 134 Anthony F Buzzard Our Fathers Who Arenrsquot In Heaven The Forgotten Christianity of Jesus the Jew

(McDonough Restoration Fellowship 1995) p 202

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Wandel tatsaumlchlich stattgefunden haben wie ist er passiert Wie wir unschwer feststellen koumlnnen hat unter den Aposteln der orthodoxe Dreifaltigkeitsglaube voumlllig gefehlt Wann genau ist dann der Glaube entstanden Jesus sei ein Gott ebenbuumlrtiges ewiges und gleich wichtiges Wesen und er sei als Person ein Mit-glied einer goumlttlichen Vielfaumlltigkeit Wer entschied dass diese Idee nicht nur als orthodox (= des rechten Glaubens) bezeichnet sondern fuumlr die Errettung notwendig sei Hat Jesus etwas Derartiges selber geglaubt und gelehrt

Wir werden in Kuumlrze in diesem Buch entdecken wie Menschen des Altertums fleiszligig raffinierte Ideen bdquoaus dem philosophischen Jargon des Platons des Aris-toteles und anderen Mystikern und elegant in das sich entwickelnde junge Chris-tentum einbrachtenrdquo135 Die gegenwaumlrtige Glaubensdogmatik wie wir sie kennen hat gar nichts mehr mit der puren Froumlmmigkeit des herrlichen Lehrers Jesus zu tun Duumlrfen wir gehen davon ausgehen dass sich was den (wahren) christlichen Glauben anbetrifft der ansteckende Optimismus von Thomas Jefferson erfuumlllen wird

Eines Tages wird die einfache und echte Religion Jesu so wie er sie predigte und lehrte wiederhergestellt Sie wurde leider sehr bald nach seinem Tod in Mysterien verstrickt worden und ist seither vor den Augen des gemeinen Volkes verborgen geblieben Um diese dunklen Wolken zu durchdringen und zu verscheuchen muss zu-erst das allgemeine Denken gestaumlrkt und (aus)gebildet werden136

Unser erklaumlrtes Ziel ist es genau diese Art von Ausbildung zu bewerkstelligen und beide die Orthodoxie und die Methodologie der Schrift einander gegenuumlber-zustellen Dies ist notwendig um den Gott von Jesus wiederzuentdecken Waumlh-rend wir uns nun auf den Weg begeben die antike Entwicklung des christlichen Dogmas zu untersuchen moumlgen uns die Worte eines groszligen deutschen Histori-kers auf die bevorstehende Geschichtspruumlfung vorbereiten bdquoWir muumlssen lernen uns von den Formen unseres christlichen Glaubens abzuloumlsen von Dingen wel-che die Leute durch das Brauchtum und die Tradition angenommen haben sie gehoumlrten zu seinem innersten Wesenrdquo137

135 Thomas Jefferson Letter to Dr Waterhouse 1815 136 Thomas Jefferson Letter to Van der Kemp 1820 137 Adolf von Harnack zitiert von Agnes Zahn-Harnack Adolf von Harnack (Berlin Tempelhof amp Bott

1936) p 80

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Dazu wird er den Obelisken von Beth-She-mensh die im Land Aumlgypten sind zerbre-chen und die Tempel der Goumltter Aumlgyptens mit Feuer verbrennen

mdash Jeremia 4313

EWISSE STIMMEN AUS DEM TRINITARISCHEN LAGER be-schreiben das Konzept des Drei-in-Einem Gottes oftmals als eine rein himmlische Offenbarung und einige bestehen darauf dies sei die einzige

Begruumlndung fuumlr deren Eigenartigkeit Der bekannte Trinitarier AW Tozer ver-sichert bdquoDie Tatsache dass das Konzept keine befriedigende Erklaumlrung findet ist eher eine Bestaumltigung als ein Gegenbeweis Eine derartige Wahrheit bedingte eine Offenbarung kein Mensch haumltte sie sich je ausdenken koumlnnenrdquo138 Der bap-tistische Gelehrte Millard Erickson stimmt dem zu

Die Trinitaumlt muss goumlttlich offenbart sein sie ist kein menschliches Konstrukt Aus menschlicher Sicht ist sie so absurd dass keiner sie haumltte erfinden koumlnnen Wir halten die Trinitaumltslehre nicht weil sie selbsterklaumlrend ist oder logisch uumlberzeugend waumlre139

Gemaumlszlig diesen Aussagen sind Absurditaumlt Unlogik und Undurchsichtigkeit die ty-pischen Merkmale goumlttlich beglaubigter Wahrheiten Auch wenn die Kritik der Doktrin mangele es an einer vernuumlnftigen Erklaumlrung natuumlrlich mehr Zweifel als Vertrauen einfloumlszligt gilt sie als sicherer Beweis dass ihr Ursprung bei Gott liege

138 A W Tozer The Knowledge of the Holy (New York HarperOne 1961) p 23 139 Millard J Erickson Christian Theology (Grand Rapids Baker Book House 1998) p 367

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Die orthodoxe Christenheit scheint mehr Fragen als Antworten zu haben Nor-malerweise denkt man Unklarheit einer Theorie sei eher ein Zeichen ihrer Schwaumlche Doch normales Denken ist noch nie die Hauptsorge der Trinitarier gewesen wie sie offen zugeben140

Tozer und Erickson argumentieren dass das Wissen um einen dreieinigen Gott weder das Produkt aus dem Einfluss historisch eingebrachter Philosophien sei noch weil Theologen waumlhrend Jahrhunderten daruumlber gebruumltet haumltten Doch den Studenten der Geschichte und der Religion faumlllt sogleich auf dass verschiedene Weltreligionen frappierend aumlhnliche Glaubensprinzipien beinhalten Viele der wichtigen Konstrukte der katholischen Thesenentwickler und sogar viele der prauml-zisen Redewendungen ihrer Beschreibungen lassen sich woumlrtlich in anderen Re-ligionen der Geschichte nachweisen Die Kulturen Mesopotamiens der Hindus der alten Iren der Griechen und der Aumlgypter sie alle haben ihre eigene bemer-kenswerte trinitarische Theologie die obschon sie systematisch voneinander ab-weichen moumlgen hingebungsvoll einen singulaumlren Gott beschreiben der myste-rioumls aus drei einzelnen Persoumlnlichkeiten existiert141 Wir zitieren hier einen weite-ren Historiker

Die Tatsache wird nicht angezweifelt dass mehr oder weniger auf der ganzen Welt Gottheiten in Triaden auftreten und dass diese Triaden auf eine mystische Art und Weise ein Wesen sind dass

140 Lord Francis Bacon ein Trinitarier schrieb bdquoEin Christ ist jemand der Dinge glaubt die seine Vernunft

nicht verstehen kannrdquo (Works Vol 2 (London D Midwinter 1753) p 372) Ein anderer Trinitarier schreibt bdquoDies sind Kenntnisse welche unserer Vernunft wohl Raumltsel aufgeben moumlgen wie passen wohl zusammen Aber sie sollten unseren Glauben nicht verwirren weshalb wir sie als wahr akzeptieren wir sollten uumlber sie meditieren nicht in der falschen Hoffnung dass wir sie je verstehen sondern mit der Bereitschaft sie zu bewundern in ihrer Gegenwart aus Ehrfurcht unser Gesicht zu verhuumlllen und unsere Vernunft vor sie hinzuwerfen zu Fuumlssen einer Weisheit welche die unsere so hoch uumlbersteigtrdquo (Isaac Barrow Defense of the Blessed Trinity in Works Vol 2 (New York John C Riker 1845) p 150)

141 Die alten Babylonier bdquoanerkannten eine Trinitaumltsdoktrin beziehungsweise drei Personen in einer Gottheit hellip eine Gottheit verbunden mit drei Koumlpfen erscheint in ihrer Mythologie und im Gebrauch eines gleichschenkligen Dreiecks als Emblem der Dreiheit in der Einheitrdquo (Thomas Dennis Rock The Mystical Woman and the Cities of the Nations (Whitefish Kessinger Publishing 1867) pp 22-23) Ein 3000 Jahre alter Hindu Text beschreibt einen Anbeter der in einem Hindu Tempel zu einer Hindu Trinitaumlt betet bdquoOh ihr drei Herren Wisset dass ich nur einen Gott anbete Lehrt mich deshalb welcher von euch die wahre Gottheit ist dass ich ihm allein meine grenzenlose Verehrung darbringen kannrdquo Brahma Vishnu und Shiva antworten ihm bdquoLerne oh Verehrer dass drei keine wirkliche Unterscheidung unter uns ist hellip das einzelne Wesen erscheint in drei Formen und er ist doch einsrdquo (Marie Sinclair Old Truths in a New Light (London Chapman and Hall 1876) p 383)

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sie eins sind im gleichen individuellen Wesen Die christliche trini-tarische Formel von Athanasius142 der in Aumlgypten lebte ist die-selbe wie fuumlr die Trinitaumlten aller heidnischen Religionen143

Im Licht der von Erickson aufgestellten Behauptung dass bdquoniemand diese These haumltte ausdenken koumlnnenrdquo ist die Frage fast zwingend ob all diese anderen Reli-gionen ebenfalls von Gott offenbart worden seien Ist die Antwort nein da ihre Formen sich nicht uumlberall exakt decken dann fragen wir wie nahe die Heiden an die orthodoxe Definition des vierten Jahrhunderts haumltten kommen muumlssen um eine Beziehung oder einen Einfluss zumindest vermuten zu lassen Trotz aller trinitarischen Behauptungen einer neuen und exklusiven Offenbarung eines Dog-mas vom Himmel das unberuumlhrt von der Welt ist duumlrfen wir eines nicht verges-sen

Das Gesetz der historischen Entwicklung ist universal und kennt keine Unterbrechungen der Kontinuitaumlt Dies ist ein erstes Prinzip der historischen Methode Es ist auf die Religions-geschichte in der Natur- und Menschheitsgeschichte mit ihren praktischen so-zialen und intellektuellen Bewegungen anwendbar Waumlre dem nicht so dann gaumlbe es keine Religionsgeschichte Die Verbindun-gen der ethnischen Trinitaumlten zum christlichen Dogma weisen ei-nen klaren historischen Untergrund auf Es gibt keinen Bruch [zur christlichen Dreifaltigkeitslehre] Viel eher bewegt sich die alte Ent-wicklung durch die uumlblichen historischen Kanaumlle144

Nichtsdestoweniger bleibt der unvermeidliche Protest der modernen Trinitarier nicht aus wie immer wenn das Thema der historischen Praumlzedenz aufkommt Die Einsprache lautet meistens Die heidnischen Religionen der antiken Welt waren groumlszlig-tenteils tri-theistisch und somit nicht auf der Linie des christlichen Trinitarianismus welcher nur einen Gott mit drei Personen sieht mitnichten beweisen diese Aumlhnlichkeiten dieselbe Sub-stanz (der Gottheit) Wir beabsichtigen nicht zu beweisen die Orthodoxie habe die Doktrin einfach direkt aus fruumlheren Theologien uumlbernommen Es ist weder unser Ziel noch unsere Uumlberzeugung Viel eher wollen wir darlegen wie verschiedene weltliche Theologien ihre Prinzipien der christlichen Nachwelt ausgeliehen haben

142 Athanasius wird oft als der Held der proto-trinitarischen Partei waumlhrend des Konzils von Nicaumla im Jahr

325 n Chr angesehen Seine lebhaften (und manchmal auch handgreiflichen) Anstrengungen ebneten der Katholischen Kirche den Weg zunaumlchst eine Doktrin der bdquoWesensgleichheitrdquo zwischen dem Vater und dem Sohn zu akzeptieren und spaumlter die die bdquotrinitarische Definition von Gottrdquo zu formulieren Diese Information werden wir in den folgenden Kapiteln dieses Buches erlaumlutern

143 James Bonwick Egyptian Belief and Modern Thought (London C Kegan Paul amp Co 1878) p 396 144 L L Paine The Ethnic Trinities and Their Relations to the Christian Trinity (New York Houghton Mifflin

and Co 1901) pp 191-192

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Die neue Religion war schon kompromittiert denn waumlhrend Jahrhunderten wur-den naumlmlich die besten traditionellen Philosophien aus ihren Kreisen ausgewaumlhlt und dem sich entwickelnden christlichen Glauben eingepflanzt Das Ergebnis war ein geschmeidiges Christentum das begann Bibelthemen durch eine Brille einer Weltanschauung zu interpretieren die der Schrift voumlllig fremd waren Dies ist sehr viel anders als nur zu sagen die bdquoTrinitaumltsdoktrin (wie sie die Katholischen Kirche lehrt) ist heidnischrdquo Nein die Sache ist keinesfalls so einfach Die Doktrin kann sicher als christlich bezeichnet werden insofern sie von historischen Christen formuliert wurde nachdem diese die Heilige Schrift gelesen hatten Unsere Auf-merksamkeit muss sich daher auf die Art und Weise fokussieren wie sie die Schrif-ten gelesen haben Welche historischen und damit zusammenhaumlngenden religiouml-sen Elemente haben ihre Interpretationen ermaumlchtigt

Zu diesem Zweck werden wir nicht nur die Reihe der Weltreligionen und ihren Einfluss auf spaumltere christliche Gelehrte darlegen sondern auch deren genaue Formeln die in der Kirchendogmatik vorhanden sind Uumlberdies werden wir die katholische Geistlichkeit zitieren und ihre oumlffentlichen Verlautbarungen mit wel-chen sie die von aussen kommenden Philosophien zur Begruumlndung der (christli-chen) Glaubensregeln rechtfertigen

JenseitsvonAfrikaDie (heidnische) bdquoDrei-in-Einem Gottheitrdquo zwingt den Trinitarianismus histo-risch gesehen in einen erstaunlich engen Rahmen mit verschiedenen unangeneh-men Quellen insbesondere aus der Welt der griechischen Philosophie Die Idee war fuumlr die orthodoxe Christenheit keineswegs eine groszligartige Neuigkeit Wie Erickson aufzeigt bdquostammte das spezifische metaphysische Mittel um die klassi-sche Trinitaumltsdoktrin auszudruumlcken aus der damals gaumlngigen griechischen Meta-physik die heutzutage jedoch meist niemandem mehr Sinn macht oder gar ver-staumlndlich waumlrerdquo145 Wir sollten deshalb nicht den voreiligen Schluss ziehen dass die griechischen und lateinischen Kirchenvaumlter welche die mutmaszliglichen Glau-bensformeln zusammenstellten Spezialisten gewesen seien die ndash ungeachtet ih-rer Tugenden ndash eine Vorliebe fuumlr die Philosophien gehabt haumltten die ihre Zivili-sationen ausmachten Die griechische Philosophie namentlich der Platonis-mus146 beherrschte schon laumlngst die Welt als die (christliche) Kirche gegruumlndet

145 Erickson God in Three Persons p 211 (Gott in Drei Personen) 146 Platonismus bezieht sich in erster Linie auf die von Platon (gestorben 347 v Chr) entworfenen philos-

ophischen Systeme sowie in einem modernen Sinn auf das System das die Wirklichkeit von abstrakten Objekten bestaumltigt Der Platonismus erlebte eine Reihe verschiedener sbquofarbigerrsquo Entwicklungsstufen Arcesilaus fuumlhrte im 3 Jh v Chr den Skeptizismus ein Antiochus den Stoizismus ca 90 v Chr der auch als Mittel-Platonismus bekannt ist Erst viel spaumlter im 3 Jh n Chr brachte Plotinus den Mystizis-mus ein auch als Neoplatonismus bezeichnet Der Neoplatonismus gekoppelt mit dem Gnostizismus werden von den Gelehrten allgemein als die Kraumlfte betrachtet die den bedeutendsten und direktesten

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wurde Viele der Prinzipien waren selbst fuumlr die Griechen nicht umwerfend neu und einzigartig Die erfinderischsten und schillerndsten Koumlpfe unter ihnen ver-danken viel dem religioumlsen Denken der alten Aumlgypter In der Tat haben Historiker laumlngst erkannt dass viele der von den Heiden uumlbernommenen Glaubensgrund-saumltze urspruumlnglich von den Aumlgyptern erdacht und von Platon idealisiert worden waren nur um spaumlter von den christlichen Synthetikern als bdquofuumlr den Glauben wertvollrdquo bezeichnet zu werden147

Es stimmt dass in der alten aumlgyptischen Theologie eine Fixierung auf die Idee einer goumlttlichen Dreifaltigkeit festgestellt werden kann Dazu kommentiert ein Forscher

Der Hymnus des Amun-Re dekretiert dass bdquokein Gott vor Amun-Re geworden warrdquo und dass bdquoalle drei Goumltter sind Amun Re und Ptahrdquo und dass ihnen kein Zweiter gleich ist Verborgen ist sein Name in Amun sein Gesicht ist in Re und sein Koumlrper ist Ptah Das ist das Statement der Trinitaumlt drei aumlgyptische Hauptgoumltter subsummiert in einem von ihnen Amun Es leuchtet ein dass das Konzept der organischen sbquoEinheit in der Vielfaltsbquo durch diese Formulierung einen enormen Schub bekam Theologisch gesprochen die etwas schwerfaumlllige alte Formel kam der spaumlteren christlichen Ausdrucksweise des pluralen trinitarischen Monotheis-mus sehr nahe148

- Der deutsche Aumlgyptologe und Religionshistoriker Siegfried Mo-renz erkannte ebenfalls

dass die Trinitaumlt die aumlgyptischen Theologen am meisten beschaumlf-tigte Drei Goumltter waren zusammengefasst wurden in einem singu-laumlren Wesen verehrt und als Einzelperson angesprochen In dieser Hinsicht ist die geistliche und religioumlse Kraft Aumlgyptens direkt mit der christlichen Theologie verbunden149

Dieser Punkt wurde manchmal mehr manchmal weniger erfolgreich von einer Vielzahl von christlichen Trinitaumltskritikern benutzt Es ist indessen sehr schwierig zu beweisen das Christentum habe einfach ein intaktes Trinitaumltsmodell von den

Einfluss auf die christlichen Philosophen der katholischen Kirche ausgeuumlbt haben Siehe W R Inge ldquoThe Permanent Influence of Neoplatonism upon Christianityrdquo The American Journal of Theology Vol 4 No 2 (Chicago The University of Chicago Press 1900) pp 238-244)

147 Edward Gibbon History of Christianity (New York Peter Eckler 1891) p xvi 148 Simson Najovits Egypt Trunk of the Tree Vol 2 (New York Algora Publishing 2004) pp 83-84 149 Siegfried Morenz Egyptian Religion (New York Cornell 1992 [1973]) p 255 (Deutsche Ausgabe Aumlgyptische

Religion Kohlhammer 2 Aufl Stuttgart 1960) Andere Merkmale der aumlgyptischen Religion sind in dieser Hinsicht bemerkenswert wie zum Beispiel der Halb-Gott Status der dem aumlgyptischen Pharao zuge-schrieben wurde der bdquovom Moment seiner Thronbesteigung an den Titel sbquoSohn Gottesrsquo tragen durfte In der Tat hatte der Pharao eine zweifache Natur wahrer Gott und wahrer Mensch neben weiteren Attributen wie sbquoSohn einer jungfraumlulichen Mutter und eines goumlttlichen Vatersrsquo rdquo (Kuschel p 236)

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alten Aumlgyptern ausgeborgt Was die Drei-Einheit anbetrifft scheint der aumlgypti-sche Einfluss auf die Orthodoxie eher entfernter Natur gewesen zu sein Waumlh-rend der Vergleich als frappierend erscheinen mag werden wir nicht viel Zeit vergeuden um aufgrund dieser augenfaumllligen Aumlhnlichkeit einen unumstoumlszliglichen Beweis zwischen der aumlgyptischen und der orthodoxen Trinitaumlt zu etablieren Wir werden es bei diesen Gemeinsamkeiten belassen Es gibt einen viel grundlegen-deren und greifbareren philosophischen Einfluss der aus Aumlgypten hervorging und uumlber die Zeit in die hellenische Welt hineingetragen wurde Die Untersu-chung dieser Einwirkung ermoumlglicht einen viel kritischeren Blick auf die (aumlgypti-schen) Komponenten der orthodoxen Christologie Es ist die Doktrin der Un-sterblichkeit und der Transmigration der Seele

DerSamederSeeleDie antike Vorstellung der Seelenwanderung ist zweifelsohne das metaphysische Ruumlckgrat der heutigen trinitarischen Christologie Sie ist der philosophische Rah-men von dem die anderen Doktrinen abhaumlngen wie diejenige der zwei Naturen (Jesu) der Prauml-Existenz und der Fleischwerdung Gemaumlszlig den griechischen His-torikern des Altertums entstand diese Vorstellung die so umfassend die griechi-sche Weltanschauung praumlgte in der aumlgyptischen Theologie150 Ein anderer deut-scher Aumlgyptologe bestaumltigt

Die Doktrin [der unsterblichen Seele] beeinflusste die Systeme der griechischen Philosophen sie machte sich in den Lehren der Gnos-tiker bemerkbar wir finden ihre Spuren in den Schriften der christ-lichen Apologeten sowie der fruumlheren Kirchenvaumlter und durch ihre Vermittlung wurden das Denken und die Uumlberzeugungen unserer eigenen Zeit beeinflusst151

Dies ist wohl der rote Faden der sich nachhaltig durch das ganze Spektrum der Weltreligionen zieht Man kann sagen dass die altaumlgyptische Idee einer unsterb-lichen wandernden Seele ein Same war der gepflanzt wurde sie war ein geistli-cher Keim der uumlber Jahrhunderte in zahllosen umtriebigen Koumlpfen gehegt und gepflegt wurde dort ausgeschlagen hat und zu einem groszligen Baum geworden ist

150 Herodotus ( 490480 v Chr dagger um 430420 v Chr) berichtet dass die Aumlgypter die ersten waren

welche die Idee der Seelenwanderung entwickelten Er schrieb bdquoDie Aumlgypter unterhielten auch als erste die folgende Idee dass die menschliche Seele unsterblich ist und dass sie beim Tod des Koumlrpers in ein anderes lebendes Wesen eintritt das geboren wird und nachdem sie durch alle Kreaturen der Erde des Meeres und der Luft gewandert ist tritt sie bei der Geburt wieder in einen menschlichen Koumlrper ein der Zyklus der sich in dreitausend Jahren erfuumlllt Verschiedene Griechen haben diese Doktrin schon ver-wendet einige fruumlher die anderen spaumlter wie wenn sie ihre eigene gewesen waumlre ich kenne ihre Namen will sie aber nicht nennenrdquo(Histories 2 123)

151 Alfred Wiedemann The Ancient Egyptian Doctrine of the Immortality of the Soul (London H Grevel amp Co 1895) p viii (Die alt-aumlgyptische Doktrin der Unsterblichkeit der Seele)

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Er zeigte lebhafte Auswuumlchse in hunderten von Richtungen die Aumlgypter die Pla-toniker die Gnostiker und die Christen sie alle haben sich in seinen Aumlsten ein-genistet Dieser doktrinaumlre Same einer (unsterblichen) Seele weicht allerdings akut von der Weltanschauung der juumldischen Bibel ab und wirkt ihr entgegen wir fra-gen uns was passiert wenn die begleitende religioumlse Infrastruktur dieser Doktrin eines Tages einfach einstuumlrzt

Die weitverbreitete Doktrin der unsterblichen Seele ist in erster Linie durch fol-gende Unterschiede zwischen der Seele dh der Person und dem Fleisch bezie-hungsweise der koumlrperlichen Natur (des Menschen) charakterisiert Beide die Aumlgypter und die Griechen betrachteten die Seele als unzerstoumlrbare Substanz wel-che aus dem Zustand der Prauml-Existenz in den Himmeln herniederkam (= trans-migrierte) und menschliche Natur auf Erden annahm152 Es ist einfach zu sehen wie wichtig diese Weltanschauung fuumlr die orthodoxe Christologie ist Die Frage jedoch stellt sich ob sie fuumlr die Bibel von Wichtigkeit ist

Die International Standard Bible Encyclopedia legt dar bdquodass die griechische platoni-sche Idee waumlhrend der Koumlrper sterbe die Seele unsterblich sei dem israeliti-schen Bewusstsein diametral entgegengesetzt ist und nirgendwo im Alten Testa-ment gefunden werden kannrdquo153 Die Jewish Encyclopedia schreibt in aumlhnlicher Weise

Der Glaube dass die Seele weiterexistiert nachdem der Koumlrper zer-faumlllt ist Spekulation und wird nirgends in den Heiligen Schrif-ten gelehrt So lange wie gelehrt wird dass die Seele (nefesh שפנ ) einfach Odem und unzertrennlich mit dem Koumlrper verbunden ist um nicht zu sagen fleischlich (= materiell) ist kann ihr keine wirk-liche Substanz zugeschrieben werden154

Die Hebraumlische Bibel gibt keine Beschreibung daruumlber als ob Gott in den leeren Koumlrper Adams eine bereits existierende Seele eingefuumlllt haumltte Hier ist was in 1 Mose 27 geschrieben steht bdquoUnd Gott der HERR bildete den Menschen Staub vom Erdboden und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens und der Mensch wurde eine lebendige Seeleldquo Adam wurde eine lebendige Seele bdquoAus diesem Grunderdquo wie selbst

152 Gerald Massey Ancient Egypt the Light of the World (London T Fisher Unwin 1907) p 137 (Alt-Aumlgypten das Licht der Welt)

153 Geoffery W Bromley (ed) ldquoDeathrdquo International Standard Bible Encyclopedia Vol I (Grand Rapids Eerdmans 1960) p 812

154 Kaufmann Kohler ldquoImmortality of the Soulrdquo Jewish Encyclopedia 1941 pp 564 566

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evangelikale Geistliche anerkennen bdquowerden Geist und Seele zusammen mit dem menschlichen Koumlrper austauschbar und allgemein fuumlr die menschliche Natur ge-braucht nicht um drei separate Einheiten zu beschreiben sondern um mit diesem Parallelismus die volle Persoumlnlichkeit des Menschen auszudruumlckenrdquo155 In Kuumlrze werden wir feststellen wie die widerspruumlchliche Doktrin einer deutlich abge-grenzten transmigrierenden Seele sich in Verbindung mit anderen aumlgyptischen und griechischen Glaubensvorstellungen

DiepersoumlnlicheSeeleunddieInkarnationAumlgyptensZunaumlchst muumlssen wir uns einen Moment mit der detaillierten Analyse des aumlgyp-tischen Konzepts der unsterblichen Seele beschaumlftigen Das erste Merkmal das in dieser Doktrin auffaumlllt ist der Unterschied zwischen der Humanitaumlt (die phy-sischen Eigenschaften) und des bdquoBardquo der Seele (die geistlichen Eigenschaften)156 Fuumlr den aumlgyptischen Theologen war der Koumlrper ein Knochengeruumlst welches von einem prauml-existenten Geist-Menschen bewohnt war157 Beim Tod starb nur das ir-dische Wesen das heisst die koumlrperliche Natur Sie starb aber der Geist-Mensch

155 James Orr John L Nuelsen Edgar Y Mullins (ed) The International Standard Bible Encyclopedia Vol IV

(Chicago The Howard-Severance Company 1915) p 2497 Der Abschnitt faumlhrt fort bdquoSeele und Koumlrper sind beide von der Zerstoumlrung bedroht (Mat 1028) der Koumlrper ohne den Geist ist ein Leichnam (Jak 226) Seele und Geist sind austauschbar miteinander verbunden sbquo dass ihr fest steht in einem Geist und mit einer Seele zusammen rsquo (Phil 127)rdquo Dies beseitigt den volkstuumlmlichen Glauben vieler Chris-ten an ein Leben einer sbquoentkoumlrperten Seelesbquo in vollem Bewusstsein entweder im Himmel oder in der Houmllle nach dem Tod In der biblischen Weltanschauung wird viel eher dargelegt dass Verstorbene entweder auferweckt werden beim Letzten Gericht wenn ihnen neuer Geist eingehaucht wird oder sie werden auf ewig im feurigen Pfuhl (im Feuersee) ausgeloumlscht (Dan 122-3 Joh 528ff Ezekiel 3712ff) Um eine Einfuumlhrung in diese Materie zu erhalten verweisen wir auf das Buch von Anthony Buzzard Our Fathers Who Arenrsquot in Heaven (Restoration Fellowship 2001) Es mag wichtig sein zu erwaumlhnen dass die Ausdruumlcke Seele und Geist manchmal austauschbar verwendet werden um die Menschheit als solche im NT zu beschreiben Siehe die English Standard Version Biblersquos Fuszlignote von 1 Thessalonicher 523 bdquo Geist und Seele und Leib stellen die Ganzheit der Person dar Es scheint unwahrscheinlich dass damit eine dreiteilige Unterteilung der menschlichen Natur als Koumlrper Seele und Geist gemeint ist wobei sbquoSeelelsquo und sbquoGeistlsquo zwei separate unterschiedliche Teile waumlren Paulus braucht hier viel eher die drei Ausdruumlcke um eine Betonung zu erreichen [1 Thess 523] Aumlhnliche Ausdrucksweisen uumlber die Ganzheit einer Person sehen wir in Matthaumlus 1028 Markus 1230 1 Kor 734rdquo

156 bdquoEs gibt eine philosophische Erklaumlrung fuumlr den Unterschied zwischen Persoumlnlichkeit (Seele) und Per-son wenn wir auf Platon und seine Ideen zuruumlckgehen Die Aumlgypter scheinen das abstrakte Denken nicht gekannt oder praktiziert und daher ein rein gegenstaumlndliches Konzept fuumlr die Individualitaumlt geformt zu haben sie gaben ihr eine materielle Form die vollstaumlndig dem physischen Menschen entsprach ihm glich ein zweites Ich sein Doppelgaumlnger hellip (und sagten) die Persoumlnlichkeit (Seele) begleite die Personrdquo (Wiedemann S 11 13)

157 bdquoDie Seele wurde Ba genannt die Bedeutung dieses Wortes kann mit sbquoerhabenrsquo sbquonobelrsquo sbquomaumlchtigrsquo wiedergegeben werden Ba wohnte im Ka und scheint die Faumlhigkeit gehabt zu haben je nach Wunsch koumlrperlich oder nicht-koumlrperlich aufzutreten Sie hatte beides Substanz und Form Ba war mit dem Koumlrper in bemerkenswerter Weise verbunden und koumlnnte als abstraktes Individuum oder Persoumlnlichkeit definiert werden die ihre charakterlichen Eigenschaften besassenrdquo (Wallis Budge Of the Future Life Egyptian Religion (New York Kensington Publishing Corp 1997) pp 189-190) Zur Zeit von Amenophis III um ca 1500 v Chr bdquotrugen die Aumlgypter die Idee noch weiter --- Ka konnte ohne Koumlrper Leben

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lebte weiter158 Die koumlrperlose Seele begab sich nun im Augenblick des Aushau-chens auf eine unglaubliche Reise ausserhalb des Koumlrpers die Ruumlckkehr zum Goumlttlichen von dem sie stammte159 Wie wir demnaumlchst sehen werden korreliert diese Sicht mit Platon und den Gnostikern uumlber das Leben nach dem Tod und das Schicksal des Menschen Natuumlrlich haumlngen diese Erklaumlrungen auch mit der heutigen populaumlren christlichen Ansicht zusammen dass die Seele beim Tod un-mittelbar in den Himmel gehe eine Theorie die der Transmigration der Seele entspricht

Ein anderes Merkmal des aumlgyptischen Glaubens ist fuumlr unsere Studie von Bedeu-tung Die Goumltter selber auch der houmlchste Gott glaubte man haumltten jeder eine eigene goumlttliche Seele die wir als substantielle goumlttliche Natur bezeichnen koumlnnten Zu gewissen Zeiten galten Goumltter und Pharaonen als die einzigen die unsterbli-che Seelen besaszligen160 Houmlchst unglaublich ist das voll entwickelte und funktio-nierende Modell wonach sich eine unsterbliche Gott-Seele mit einem Mensch-Wesen vereinigen konnte ein Vorbild sozusagen der goumlttlichen Inkarnation (= Fleischwerdung)

Wir finden auch das die bdquoAumlgypter ein System der goumlttlichen Koumlnigsschaft erfun-den hatten der menschliche Pharao wurde ein Gott zusaumltzlich zu seinen Rollen als Repraumlsentant und Mediator (Vermittler) zwischen Gott und dem Men-schenrdquo161 Allerdings weit entfernt von einer bloszligen Vergoumlttlichung oder einer einseitigen Veraumlnderung seiner Natur glaubte man bdquoder Pharao sei die Inkarna-tion des Sonnengottes Amun-Rerdquo162 Die alten Aumlgypter waren hier wie uumlberall sehr betriebsam ihr mystisches Denken lieferte eine ziemlich systematische Er-klaumlrung der Doktrin bdquoDas Ka von Amun-Re musste zuerst in den Koumlrper des Pharaos wandern Amun-Re verflocht sich dann mit dem neuen Pharao Und

aber der Koumlrper nicht ohne Ka Nach dem Tode eines Menschen wurde Ka zu seiner eigentlichen Persoumlnlichkeitrdquo (Wiedemann p 13 15-16 19)

158 Siehe Ernst Von Bergmann Der Sarkophag des Panchemisis Vol I (Vienna 1883) p 22 Vol II p 74 et seq

159 Die spirituellen Eigenschaften eines Menschen hatten bdquoeinst ihren Sitz im lebenden Koumlrper doch beim Tod verlieszligen sie diesen um allein den Weg hin zu den Goumlttern zu finden auf diese Art wurden sie wieder mit ihnen vereint und traten in die Gemeinschaft der Seligen ein oder sogar mit den Goumlttern (Wiedemann p 10)

160 bdquoIn vor-dynastischen und auch fruumlh-dynastischen Zeiten war die Goumlttlichkeit des Pharaos auch dadurch beglaubigt dass nur die Goumltter und der Pharao Seelen hatten und nur der Pharao hatte das Anrecht auf Unsterblichkeit im Leben nach dem Tod In der gesamten aumlgyptischen Geschichte war der Pharao der Gouverneur der maat dem Prinzip der kosmischen Ordnungrdquo (Najovits p 153) Hier fragen wir uns nach der Beziehung dieses (aumlgyptischen) Prinzips zu dem spaumlter durch die griechischen Philosophen aufkommenden goumlttlichen sbquologosrsquo von dem sie sagten er sei die beherrschende Idee gewesen die Ord-nung ins chaotische Universum gebracht habe

161 Ebenso p 152 162 Paul Flux Ancient Egypt (Oxford Reed Educational and Professional Publishing 2001) p 17 Hin-

zufuumlgung

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die goumlttlichen Ka-Seelen die in seinem Koumlrper flossen wurden dem Pha-raoSohn uumlbertragenldquo163 Moderne Forscher interpretieren dies als die bdquoZwei Na-turenrdquo-Sicht auf den Pharao164 Uumlberdies wird der Gott Amun-Re als bdquoder Vaterrdquo und seine Inkarnation im Pharao als bdquoder Sohnrdquo gesehen165 Beim Tod des menschlichen Sohnes sagen sie kehrt dessen goumlttliche Seele in den Himmel zu-ruumlck wo sie sich wieder mit dem Vater vereinigt166 Die Gelehrten bestaumltigen uns auch

dass kein Zweifel daruumlber besteht der Pharao habe Anrecht auf die Goumlttlichkeit erhoben und dieses sei im alten Aumlgypten ernst genom-men worden dahingehend dass er nicht als gemeiner Sterblicher angesehen wurde Waumlhrend die meisten Aussagen uumlber die goumlttli-che Geburt aus der Periode des Neuen Reichs datieren (Das Neue Reich ca 1550 bis 1070 v Chr 18 - 20 Dyn) erfolgt die Bestaumlti-gung dass der Koumlnig bdquoSohn des Rerdquo ist durchaus bis in die ptole-maumlische Periode Der Titel bdquoSohn des Rerdquo laumlsst eine spezielle Ver-wandtschaft mit dem Goumlttlichen erkennen und zwar in der Her-kunft wie auch im endlichen Bestimmungsort nach dem Tod167

Im zweiten Teil dieses Buches werden wir die Idee der traditionellen Inkarnation (Fleischwerdung) des Christentums derjenigen des goumlttlichen Koumlnigtums wie sie in der israelitischen Religion gefunden wird gegenuumlberstellen Beim gegenwaumlrti-gen Stand unserer Untersuchung koumlnnen wir bereits erkennen dass die Inkarna-tion des houmlchsten aumlgyptischen Gottes in ihrer ontologischen Vereinigung der menschlichen und goumlttlichen Eigenschaften und der daraus resultierenden Aner-kennung als der bdquoSohn Gottesrdquo eine frappierende Aumlhnlichkeit mit den Ausge-staltungen (der Doktrinen) des spaumlteren Christentums traumlgt Aber weshalb kam im alten Aumlgypten uumlberhaupt eine solche Lehre der Inkarnation auf Hier ist die

163 Najovits pp 154-155 164 Adela Yarbro Collins John Joseph Collins King and Messiah as Son of God Divine Human and

Angelic Messianic Figures in Biblical and Related Literature (Grand Rapids Eerdmans 2008) p 9 165 Siehe Kuschel p 236 bdquoIn der Tat von Pharao Radjedefrsquos (Djedefra) (ca 2566-2558 v Chr) an war

der Pharao nicht nur Horus sondern hatte keinen menschlichen Vater Sein Vater war der Gott Amun-Re der auf magische Weise seine koumlnigliche Gattin schwaumlngerterdquo (Najovits pp 154-155)

166 bdquoDie Regenten Aumlgyptens zuerst die Koumlnige und spaumlter die Pharaonen waren Goumltter und Menschen zugleich die mit goumlttlichem Recht regierten Jeder Koumlnig war ein sbquoSohn Gottesrsquo der zum Zeitpunkt seines Todes mit seinem Vater wieder vereinigt und zu einem Gott im kosmischen Himmel wurde wurderdquo (Christopher Knight Robert Lomas The Hiram Key Pharaohs Freemasons and the Discovery of the Secret Scrolls of Jesus (Vancouver Fairwinds Press 2001) p 100) (Der Hiram-Schluumlssel Pharaonen Freimaurer und die Entdeckung der geheimen Jesus-Rollen)

167 Collins King and Messiah as Son of God p 7

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Spekulation eines Gelehrten zu dieser Frage bdquoEs kann sein dass (die alten Aumlgyp-ter) bewusst die Sehnsucht der Menschen nach dem Goumlttlichen ausgenutzt ha-ben den Wunsch die Goumltter moumlgen in die menschliche Domaumlne kommen und eine uumlbermenschliche Praumlsenz unter Menschen markieren ein immanenter Gott-Mensch der sie regiert versichert und troumlstetrdquo168 Wie wir auch etwas spaumlter ler-nen werden hat die Idee Alt-Aumlgyptens einer goumlttlichen Koumlnigsschaft bis in den Kaiserkult der antiken Griechen und der Roumlmer mitgeschwungen169 Nichtsdes-totrotz ungeachtet der Parallelen des entwickelten christlichen Glaubens zwei-feln wir daran ob moderne Trinitarier die aumlgyptische Theologie als von Gott of-fenbart betrachten wuumlrden Mit oder ohne Aumlhnlichkeiten wollen wir an unserem vorgegebenen Ziel festhalten Wir fokussieren unser Hauptaugenmerk auf den goldenen Faden dh die Uumlbermittlung des Wissens um eine prauml-existente Seele in die griechische Welt hinein und von dort zu den Gnostikern und schlieszliglich zu den orthodoxen Christen Die Litanei der Philosophen die wir zu dieser Studie herbeiziehen ist lang und vielschichtig doch wir werden laufend den Einfluss verschiedener wichtiger Theoretiker welche mehr oder weniger spekulativ den Motor der Entwicklung der christlichen Dogmatik anfeuerten untersuchen Diese Persoumlnlichkeiten und ihre Methoden wollen wir zuumlgig und ausgewogen Re-vue passieren lassen

DerWeisevonAthenDer griechische Philosoph Platon (427-347 v Chr) ist zweifelsohne die einfluss-reichste Persoumlnlichkeit der westlichen Geschichte Die Erhabenheit des Denkens dieses Atheners stellt einen edlen Schatz fuumlr unzaumlhlige Verehrer und Nachahmer dar Die christlichen Kirchenvaumlter der ersten Jahrhunderte legten eine wahre Ma-nie fuumlr die Religion des Platons an den Tag Bis heute pflegt die Mehrheit der Christen eine grundlegende Weltanschauung die ndash ohne dass sie sich Rechen-schaft daruumlber geben ndash das geistig-philosophische Eigentum des Atheners ist

Mit Sicherheit koumlnnen wir sagen dass die nachhaltigste und markanteste Doktrin die der Immortalitaumlt und der Transmigration der Seele ist (die Unsterblichkeit und die Seelenwanderung) Der genaue Zeitpunkt zu welchem der Begriff der unsterblichen Seele in das Denken des griechischen Volkes eindrang ist schwer zu sagen Waumlhrend die Berichte des kultischen Uumlbergangs zwischen Aumlgypten und

168 Najovits p 153 169 bdquoAlexander war der erste Grieche der behauptete er stamme von einem Gott ab er sei ein Sohn

Gottes Die Griechen haben ihm das nicht abgenommen doch bei den Ptolemaumlern in Aumlgypten hatte er mehr Erfolg mit seiner angeblichen Goumlttlichkeit Dort machte er Gebrauch der Tradition dass der Pharao als Sohn des Gottes Amun bezeichnet wurderdquo (Freeman p 40) Nach seinem Tod wurde Alex-ander der Mittelpunkt eines Kults und der Anbetung so wie die roumlmischen Kaiser die nach ihm kamen See L Cerfaux J Tondriau Le culte des souverains (Tournai Desclee 1957) p 202

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Griechenland als Ursprungsland klar Aumlgypten identifizieren170 ist die Zeitbestim-mung darin etwas verschwommener Je weiter wir uns vom Zusammentreffen antiker Kulturen entfernen desto mehr scheinen sich die verschiedenen Glau-bensfluumlsse miteinander zu vermischen und zu einem Strom zu werden der sich durch die Zeitalter bewegt Martin Bernal Professor nahoumlstlicher Studien an der Cornell Universitaumlt ist sicher dass die Uumlbermittlung des religioumlsen Denkens ganz klar von Afrika aus in Richtung antikes Griechenland stattfand

Wir finden dass die aumlgyptische Religion innerhalb wie auch auszliger-halb des Christentums uumlberlebte in Sekten wie die der Gnostiker und der Hermetiker auch Tradition des Hermetismus genannt die offen gesagt einfach heidnisch waren Griechische Zivilisation und Philosophie stammen aus Aumlgypten und die hauptsaumlchlichs-ten Wege auf denen sie uumlbermittelt wurden war die aumlgyptische Ko-lonisation von Hellas und spaumlter die Griechen die in Aumlgypten stu-dierten171

Tatsaumlchlich begann die hermetische Tradition in der christlichen Entwicklung des vierten Jahrhunderts eine Rolle zu spielen Sie fokussierte sich speziell auf die Beziehung zwischen aumlgyptischer Religion und Platonismus172 Allerdings waren die Hermetiker nicht die einzigen die in ihrem Kult diese Verbindung betonten Einige alte Historiker berichteten dass Platon selber Aumlgypten besuchte um die eigenartige mystische Theologie zu studieren Spaumlter schrieb Clemens von Ale-xandria (150 - 215) wie sich bdquoPlaton nach der Hinrichtung seines Meisters Sok-rates nach Aumlgypten davongemacht habe wo er dreizehn Jahre unter dem horiti-schen Priester Sechnuphis (in Heliopolis) studierterdquo173 Obwohl verschiedene an-tike Quellen eine direkte Begegnung Platons mit aumlgyptischen Doktrinen erwaumlh-nen sind moderne Wissenschaftler uumlber diese Aufzeichnungen geteilter Mei-nung Die Gruumlnde fuumlr ihre Zweifel an der Authentizitaumlt der Berichte uumlber des

170 Miguel Jauregui Orphism and Christianity in Late Antiquity (Berlin Walter de Gruyter 2010) p 51 171 Martin Bernal Black Athena Writes Back (London Duke University Press 2001) p 121 unsere Beto-

nung (Schwarze Athene schreibt zuruumlck) Es ist interessant dass ein weiterer Gelehrter diesen Fortschritt erkannt hat naumlmlich denselben historisch-religioumlsen Pfad den wir hier verfolgen wollen ndash von den Aumlgyptern zu den Griechen zu den nachchristlichen Gnostikern und schlieszliglich zur orthodoxen Chris-tenheit (Siehe auch Schwarze Athene Die afroasiatischen Wurzeln der griechischen Antike Wie das klassische Griechenland bdquoerfundenldquo wurde Verlag List Muumlnchen 1992 Anm d Uumlbersetzers)

172 Fuumlr eine Analyse der Hermetischen Lesungen Platons des vierten Jahrhunderts siehe Pier Franco Be-atrice ldquoThe Word lsquoHomoousiosrsquo From Hellenism to Christianityrdquo Church History Vol 71 No 2 (Cam-bridge Cambridge University Press 2002) pp 243-272

173 bdquoUnd es ist allgemein bekannt dass Platon die Aumlgypter staumlndig lobt und sich daran erinnert dass er und Pythagoras die meisten und edelsten ihrer Dogmen von den Barbaren gelernt haben Deshalb hat er die Rasse der Aumlgypter als die Rasse der barbarischen Philosophen bezeichnet von der man sagt sie habe die Seele unsterblich gemachtrdquo (Clement of Alexandria Stromata 115)

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Atheners Ferien in Afrika sind verschieden174 Trotzdem ob direkt oder indirekt Platon hatte offenbar eine Beruumlhrung mit dem aumlgyptischen Denken Was die Doktrin der unsterblichen Seele anbetrifft hatte Aumlgypten noch einen anderen Zugang zur hellenistischen Welt und damit zu Platon und zwar uumlber die Durch-dringung mit dem orphischen Kult

Irgendwann zwischen 700 und 600 vor unserer Zeitrechnung kam von Aumlgypten ein mystischer Kult im alten Griechenland an Orphismus genannt175 Der Kult behauptet vom Saumlnger und Propheten Orpheus bekannt aus der griechischen Sage gegruumlndet worden zu sein176 Ein grundlegendes Wissen der Orphiker be-traf die Faumlhigkeit die Seele in und aus dem Koumlrper bewegen zu koumlnnen insbe-sondere beim Tod Die Orphiker beschaumlftigten sich sehr mit den Leben nach dem Tod und waren davon so besessen wie ihre aumlgyptischen Vorgaumlnger177 Der Unterscheidung zwischen Seele und Leib kam daher eine maszliggebende Bedeutung zu An dieser Stelle trat die dualistische Ansicht der Koumlrper ist schlecht und boumlse die Seele ist gut und goumlttlich zum ersten Mal ins griechische Denken ein Auf-grund dieser Uumlberzeugung wurde die Beherrschung des Fleisches zum Hauptzeck der westlichen Philosophie und die Befreiung der Seele aus ihrer materiellen Knechtschaft zur Notwendigkeit178

174 Einige denken dass weil Platon selber seine Zeit in Aumlgypten nicht erwaumlhnte er gar nicht dort gewesen

sei Siehe Eduard Zeller Plato and the Older Academy (London Longmans Green and Co 1888) p 23 Jedoch hat der Historiker des ersten Jahrhundert v Chr Strabon gesagt man habe ihm in Heliopolis ein Haus gezeigt in welchem Platon bei Eudoxus waumlhren dreizehn Jahre gelebt habe Platon wird na-chgesagt er sei in Heliopolis geblieben bis er die Priester uumlberreden konnte ihm etwas von ihrem as-tronomischen Wissen mitzuteilen Wie auch immer sie haben den groumlszligten Teil ihrer Mysterien fuumlr sich selber behalten (Strabo Geography 17 1 29) Diogenes Laertius reiste im 3 Jh n Chr nach Aumlgypten und auch er berichtet uumlber den Besuch von Platon in Aumlgypten wo er bei den aumlgyptischen Theologen studierte Trotzdem ist der genaue akademische Wissensaustausch zwischen den Lehrern von Griechenland und den Lehrern von Aumlgypten bis auf den heutigen Tag umstritten Siehe Martin Bernal Black Athena (Brunswick Rutger University Press 1987) und der follow up Black Athena Writes Back (Durham Duke University Press 2001) in contrast to Mary R Lefkowitz Not Out of Africa (New York Basic Books 1997) (Schwarze Athene schreibt zuruumlck siehe Fuszlignote 171 oben)

175 Will Durant The Story of Civilization Vol 2 The Life of Greece (New York Simon amp Schuster 1966) pp 188-192

176 Clemens von Alexandria im dritten Jahrhundert schrieb spaumlter dass Jesus Christus der neue und houmlhere Orpheus war (Lamson p 179) Darstellungen von Jesus als Orpheus erschienen vielfach in der Spaumltantike der christlichen Kunst insbesondere als christliche Wandmalereien in den Katakomben

177 bdquoIn den orphischen Mysterien des antiken Griechenlands finden sich dieselben [aumlgyptischen] Lehren wieder den Verstorbenen wurden metallische Platten mit Inschriften mitgegeben auf denen In-struktionen fuumlr den Abstieg in den Hades standen Diese Anweisungen gleichen aufs Haar denen aus dem [aumlgyptischen] Totenbuchldquo (Katherine Tingley (ed) The Theosophical Path Vol XXI (Point Loma New Century Corporation 1921) p 436)

178 Ebenso Die orphische Religion wies verschiedene andere Weiterentwicklungen vertrauter Art auf Nach dem Tod wuumlrde die Seele gerichtetverurteilt und in den Hades hinunter verbannt wo sie die ewige Strafe erleiden muumlsste wenn sie als schuldig befunden wuumlrde oder zu besserem Leben aufstiege wenn sie rein waumlre Eine Abart des orphischen Kults sah sogar die Moumlglichkeit vor dass die ewige Strafe

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Es ist gut dokumentiert dass Platon viele seiner Doktrinen aus dem Orphismus erhielt Eine Enzyklopaumldie stellt fest dass bdquoPlaton dank der orphischen und eleusinischen Mysterien zur Doktrin der unsterblichen Seele gelangte in denen babylonische und aumlgyptische Ansichten in befremdlicher Weise vermischt wa-renrdquo Bertrand Russell bestaumltigt dass bdquoorphische Elemente in die Philosophie Pla-tons hereindrangenrdquo179 bdquound von Platon aus in die meisten folgenden Philoso-phien die einen Anflug von Religion aufwiesenrdquo180 Platons Zielpublikum war breit gestreut Juden Christen Gnostiker ndash viele Zweige der Weltreligionen ha-ben bewusst oder unbewusst seine Ansichten energisch weiter gefuumlhrt Doch Platons Lehre uumlber die Seele ist nicht das einzige System das in der spaumlteren Orthodoxie nach einer biblischen Interpretation suchte Seine ausgefallenen An-sichten uumlber Gott und die Schoumlpfung sollten unbestreitbare Schluumlsselrollen uumlber-nehmen

DerDemiurgundderLogosDer Schub der von Platons einschlaumlgigsten Lektionen ausging kann wie folgt beschrieben werden Er lehrte dass alle Materie von Natur aus imperfekt unvoll-kommen war Die Materie war unvollkommen da sie der Veraumlnderung unterwor-fen war denn alles das nicht imperfekt war muumlsste nicht modifiziert oder ver-aumlndert werden Eine Veraumlnderung der Perfektion wuumlrde unwillkuumlrlich eine Ver-schlechterung mit sich bringen Das All war daher in Stufen angeordnet mit der tiefsten Stufe oder den fuumlr Veraumlnderung anfaumllligsten Prinzipien zuunterst ndash wie unsere Welt ndash und den houmlchsten den unveraumlnderlichsten zuoberst an der Spitze Des Weiteren lehrte Platon dass alle menschlichen Seelen einst in einer houmlheren perfekteren Lebenssphaumlre existiert hatten wo sie alles Wissen besassen Bei der Fleischwerdung (Inkarnation) in menschliche Formen auf dieser Erde verblieb nur noch ein Restwissen als angeboren alles andere war verschwunden und die Menschheit war gezwungen von Grund auf alles neu zu erlernen

Fuumlr Platon gab es immer noch eine unterschwellige Ordnung unter der nach au-szligen chaotischen Welt (eine Ordnung die von den Philosophen logos genannt wurde) Dies bedeutete dass die Welt aufgrund eines vernuumlnftigen ordnungsge-maumlszligen Prinzip erbaut worden war In seinem Werk Der Staat (gr politeiacutea lat res publica) nennt Platon dieses houmlchste Prinzip bdquoDas Guterdquo (welches von einigen

nach dem Tod durch Verwandte abgewendet werden koumlnnte dies war vielleicht ein Vorlaumlufer der katholischen Doktrin des Fegefeuers (Purgatorium)

179 Jewish Encyclopedia pp 564 566 180 Bertrand Russell History of Western Philosophy (New York Simon amp Schuster 2008 [1946]) p 19 (Ge-

schichte der Westlichen Philosophie)

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sbquoGottlsquo) genannt wurde181 In einem anderen Werk Timaios stellt Platon noch eine andere ebenfalls goumlttliche Figur den Demiurgen vor dessen Name bdquoHandwer-kerrdquo bdquoErbauerrdquo bdquoSchoumlpferrdquo bedeuten kann Dieser Demiurg war ein hochrangi-ger aber offenbar begrenzter Gott (wahrscheinlich sbquoDem Gutensbquo untergeordnet) der unseren Kosmos als Modell mit einer perfekten mathematischen Ordnung in den Himmeln erschuf182 Fuumlr Platon selber scheint nicht ganz klar gewesen zu sein ob bdquoDer oder das Guteldquo und der bdquoDemiurgldquo ein und dasselbe oder aber von einander unterschiedliche Einheiten gewesen seien Es blieb spaumlteren Plato-nikern uumlberlassen in dieser Materie Klarheit zu schaffen So erfuhr Platons aus-gefallene Demiurg-Figur eine wichtige Veraumlnderung und zwar in der Periode der Hellenistischen Juden die ihn in einen bdquoEngelldquo umdeuteten Dieser Engel wurde in der Folge von den platonisch beeinflussten Christen als bdquoSohn Gottesldquo inter-pretiert

Die Idee des goumlttlichen logos wurde fuumlr das spaumltere Christentum zu einem wichti-gen Konzept Dieser (griechische) Terminus dem in der deutschen Sprache kein Begriff direkt entspricht wird uumlblicherweise als bdquoWortrdquo oder bdquoVernunftrdquo uumlber-setzt aber koumlnnte auch mit bdquoauf Verstehen angelegte Rederdquo bdquologisches Urteilrdquo bdquoumfassender Sinnrdquo bdquoPlanldquo oder bdquoFormelrdquo wiedergegeben werden183 Der erste Philosoph der den Begriff des logos gebrauchte war Heraklit (ca 535 ndash 475 v Chr) und er beschreibt damit das Prinzip des Kosmos das unser Universum or-ganisiert eine ewige Blaupause die hinter den Kulissen die hektische staumlndig sich aumlndernde Schoumlpfung zusammenhaumllt184 Die Stoiker spaumltere Philosophen emp-fanden den logos als das animierende Prinzip das allen Wesen Leben gab und das in der Welt und in jeder menschlichen Seele wohnt In der Zeit von Sokrates (der 399 v Chr starb) und von Platon war logos bereits zum etablierten Begriff fuumlr die Faumlhigkeit der menschlichen Vernunft geworden Platons Student Aristoteles (384ndash322 v Chr) definierte logos noch weiter in dieser Richtung

Ob Platon oder seine griechischen Kollegen je der Ansicht waren der logos habe eine wirkliche und unabhaumlngige Substanz bleibe dahingestellt Einige seiner Ver-ehrer besonders die von der Alexandrinischen Schule sahen im logos sicher eine

181 Platons bdquoGottldquo wird unter den Gelehrten immer noch als kontrovers diskutiert Platon selber verbindet

die Idee bdquoDes Gutenldquo nicht ausdruumlcklich mit bdquoeinem Gottldquo per se und einige wuumlrden wohl seine bdquoideasldquo (nous) in eine solche Verbindung der Erkenntnis bringen Nichtsdestoweniger unterhielt Platon einen Ort fuumlr personale Gottheiten insbesondere fuumlr den Demiurgen oder bdquoHandwerkerldquo der unser Univer-sum erschuf

182 Platon Timaeus 40c 183 Siehe Calvert Watkins ldquoAppendix I Indo-European Rootsrdquo The American Heritage Dictionary

of the English Language (Boston Houghton Mifflin 2000) 184 Siehe Robert Audi ldquoHeraclitusrdquo Cambridge Dictionary of Philosophy (New York CUP 1999)

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eigenstaumlndige und vernuumlnftige Einheit also eine wirkliche Person185 Etwas spaumlter fing man an diese persoumlnliche Logos-Einheit mit der Figur von Platons Demiurg zu identifizieren und schlieszliglich als die christliche Aumlra anbrach haben die Kir-chenvaumlter den Demiurgos-Logos-Schoumlpfer als Jesus von Nazareth kenntlich ge-macht

Aus all dieser Entwicklung kann nicht gesagt werden Platon sei der Prototyp eines Christen gewesen Es trifft viel eher zu dass die fruumlhen Kirchenvaumlter die oumlffentlich zugaben sich in Platon sbquoverliebtrsquo zu haben186 auch ein Geschick fuumlr die Synthese bewiesen In den Alexandrinischen Schulen hatte es eine Neuuumlber-pruumlfung des Platonismus im Licht der Bibel gegeben aus der ein aktiver Aussoumlh-nungsprozess erfolgte Platons Uumlberlegungen oumlffneten den christlichen Philoso-phen ein aktives Jagdrevier

Darin fanden sie verborgene Bedeutungen und Verbindungen zu den juumldischen und christlichen Schriften und entlockten diesen Doktrinen die sich sehr vom Geist Platons abhoben Da sie glaub-ten Platon sei vom Heiligen Geist inspiriert gewesen oder er habe seine Weisheit von Moses bekommen schienen sie in seinen Schriften die christliche Trinitaumlt das Wort die Kirche die Schoumlp-fung der Welt im juumldischen Sinn wie auch Gott selber oder sein Denken oder die Unsterblichkeit der Seele zu finden In den Ale-xandrinischen Schulen begegneten und vermischten sich Religio-nen und Philosophien Die Neo-Platoniker hatten eine Interpreta-tionsmethode mit der sie irgendwelchen Worten beliebige Bedeu-tungen entlocken konnten187

Ob der urspruumlngliche Geist von Platons Reden noch bei den Kirchenvaumltern vor-handen war oder nicht ist eigentlich nicht von Belang fuumlr die Tatsache dass die

185 Siehe Lamson Abbot The Church of the First Three Centuries p 66 (Die Kirche der ersten drei

Jahrhunderte) 186 Zum Beispiel nannte Eusebius von Caumlsarea Platon bdquoden einzigen Griechen der zum Portal der christ-

lichen Wahrheit gelangt warrdquo (Praep Evang 13 14) und Augustinus beschreibt die bdquoAussagen Platons als die reinste und weiseste Philosophie welche die Wolken des Irrtums verscheuchen koumlnnerdquo (Contra Acad 3 18)

187 Benjamin Jowett The Dialogues of Plato (New York Charles Scribnerrsquos Sons 1911) pp 455-456 (Die Dialoge Platons) W R Inge schreibt bdquoEs gibt einen feinsinnigen Spruch von Clemens von Alexandria dass die Wahrheit einem Strom gleiche welcher von allen Seiten Zufluumlsse erhalte Doch der Strom der alexandrinischen spekulativen Theologie gleiche dem Nil-Delta in welchem alles bluumlhe hellip und es waumlre einer ein sehr gelehrter oder ein selbstsicherer Mann der die Verpflichtungen eines alexandrinischen Juden eines Christen und eines Griechen genau definieren koumlnnte hellip in Alexandria gab es einen derart groszligen Gedankenaustausch dass es kaum moumlglich gewesen waumlre jede Doktrin mit einem Namen der Nationalitaumlt oder dem Bekenntnis zu versehenrdquo (Inge p 328)

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bdquoVaumlterldquo sich in ihrer platonischen Weltanschauung durch die Ankunft des Chris-tentums nicht beeintraumlchtigt fuumlhlten188 Platon hatte den notwendigen metaphy-sischen Rahmen geliefert innerhalb welchem die brillanten christlichen Konver-titen ein Bild einer herrlichen neuen Religion malen konnten in dem sich die transzendente moralische Philosophie des Neuen Testaments mit den beliebten akademischen Sitten ihrer Zeit verbinden liessen

WeitereplatonischeEntwicklungenWaumlhrend der Aumlra des Mittelplatonismus (90 v Chr - 200 n Chr) gestatteten sich die spaumlteren Studenten Platons seine Schriften einer bedeutenden Ausarbeitung zu unterziehen Der Philosoph Plutarch (ca 45 ndash 120 n Chr) zieht unsere Auf-merksamkeit besonders auf sich wegen seiner synkretistischen Anstrengungen Plutarch glaubte dass bdquoalle Religionen eins im Geist sind und dasselbe Ziel haben und dass eine gemeinsame Wahrheit allen unterschiedlichen Formen des religiouml-sen Glaubens zugrunde liegenrdquo189 Sein interessantestes Werk entstammt seinen Betrachtungen von Platons Figur des Demiurgs und seiner eigenen Fixation auf die Religion Aumlgyptens Plutarch erklaumlrte dass Platon bereits bdquouumlberwiegend das religioumlse Wissen der Aumlgypter in sein System uumlbernommen haberdquo190 So sah Plutarch seine Anstrengungen lediglich als Fortsetzung des Meisters (Platons) Werk In seiner Schrift bdquoDe Iside et Osiriderdquo interpretiert Plutarch den antiken aumlgyp-tischen Mythos von Isis und Osiris als Bericht uumlber den Demiurg und verbindet ihn direkt mit der Demiurg-Erzaumlhlung von Platon in Timaios (dem dann die Sage der Sophie der spaumlteren valentinischen Gnostiker traditionsgemaumlss folgte191 Bis zu diesem Punkt hatte Plutarch bereits Platons Demiurg mit bdquoDem Gutenrdquo oder dem bdquoHoumlchsten Gottrdquo identifiziert192 aber es gab da noch ein Problem Wenn dieser Gott nun perfekt und daher unwandelbar ist wie konnte er vom Zustand des Nicht-Erschaffens ploumltzlich in denjenigen des Erschaffens uumlbergehen was bedingt haumltte sich zu aumlndern Wenn er wahrlich gut ist wie haumltte er dann eine Welt er-schaffen koumlnnen die voll von Imperfektionen und Boumlsem ist Uumlberdies haumltte der Demiurg wirklich unsere unvollkommene Welt nach dem Vorbild der per-fekten Welt im Himmel erschaffen wer hat dann die perfekte Welt erschaffen

188 Siehe Clement von Alexandrias Anerkennung der Trinitaumlt bei Platon in Strom 1031 189 Paine The Ethnic Trinities p 138 190 Ebenso p 140 191 Siehe Carl Sean OrsquoBrien The Demiurge in Ancient Thought Secondary Gods and Divine Mediators

(Cambridge CUP 2015) pp 83-116 (Der Demiurg im Antiken Denken Halbgoumltter und goumlttliche Mit-tler)

192 Israel Gallarte Lautaro Lanzillotta Plutarch in the Religious and Philosophical Discourse of Late Antiquity (Lei-den Koninklije Brill 2012) p 80

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Gibt es da nicht noch einen anderen einen houmlheren Gott Auf diese Fragen hat-ten andere Platoniker die Antwort parat Der Demiurg der die Welt erschuf ist in der Tat ein zweiter Gott193

Numenius (2 Jh n Chr) lehrte dass um das Universum zu verwalten und da Gott aus seiner Natur heraus das All nicht selber erschaffen haben kann Gott aus seiner Essenz (seinem Wesen) heraus ein geringeres Prinzip generiert hat Der Demiurg hat folglich als Puffer zwischen Gott und der Schoumlpfung gehandelt als Mediator oder Vermittler Numenius postulierte des Weiteren wenn es zwei Goumlt-ter gebe ein drittes Prinzip notwendig sei Das Universum welches der zweite (Gott) erschaffen hat Es sind daher drei Prinzipien der Realitaumlt die Trinitaumlt des bdquoErsten Gottes des Demiurgs und der Welt-Seelerdquo194 Der erste Gott ist charak-terisiert durch seinen Geist seine Guumlte seine selbstaumlndige Existenz Er hat nicht selber erschaffen sondern die gesamte Kreation dem Demiurg delegiert der in einer ihm untergeordneten Position existiert gleich der Welt-Seele welche die geistige Substanz zur erschaffenen Welt ist Diese drei Prinzipien sagte Nu-menius sind voneinander verschieden und doch bdquoeinsrdquo195

Dieses Denken hatte monumentale Auswirkungen auf die platonische Philoso-phie der naumlchsten Generation insbesondere auf Plotinus (204 ndash 270 n Chr) den so genannten Gruumlnder des Neoplatonismus196 Wie wir spaumlter sehen werden uumlbersetzte Plotinus die goumlttlichen Prinzipien und nannte sie Hypostasen (Exis-tenzen Realitaumlten) und es ist diese goumlttliche Triade der Platoniker die ndash kombi-niert mit dem griechischen Modell der Seelenwanderung [Transmigration] ndash be-reitwillig und direkt den Weg zur Produktion der spaumlter aufkommenden christli-chen Trinitaumlt ebnete mehr denn einzelne aumlgyptische Erkenntnisse Doch es ist interessant dass dem Transfer des griechischen Gedankengutes direkt ins christ-liche Denken tatsaumlchlich eine fruumlhere Uumlbertragung der griechischen Philosophie in die Welt des Judentums vorausgegangen war

193 Svetla Griffin Pauliina Remes The Routledge Handbook of Neoplatonism (London Routledge 2014) p 49 194 OrsquoBrien p 154 195 Robbert M van den Berg ldquoGod the Creator God the Creation Numeniusrsquo Interpretation of Genesis

12 (frg 30)rdquo The Creation of Heaven and Earth Re-interpreations of Genesis 1 in the Context of Judaism Ancient Philosophy Christianity and Modern Physics (Leiden Brill 2005) pp 109-123

196 Plotinus wurde in Aumlgypten geboren und siedelte nach Rom um (244 n Chr) wo er zehn Jahre lang lehrte Zu seinen Nachfolgern zaumlhlen der beruumlhmte Porphyrios (234-305 n Chr) und Proclus (412 ndash 485 n Chr) Die foumlrmliche Tradition des Neoplatonismus setzte sich fort bis nach dem Kaiser Justinian I als die Platonische Akademie in Athen um 529 n Chr geschlossen wurde Die Prinzipien lebten jedoch weiter und zwar in der spekulativen Philosophie des orthodoxen Christentums

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JudaismusundPlatoDer vorherrschende Judaismus sogar bis in die Zeit Christi wich sehr deutlich von den Ansichten der Griechen in Bezug auf die Natur der Menschheit ab Fuumlr die Hebraumler war die Seele kein unsterblicher Funke der in einem Koumlrper verbor-gen war und nur darauf wartete beim Tod mit Freuden zum Goumlttlichen zuruumlck-zukehren Gemaumlszlig ihren Schriften war die lebendige Seele der ganze Mensch (1 Mose 27) Der Tod wurde schon immer als die Stille als das Schweigen als das Ende der Gedanken und der Werke des Menschen und als ein Abstieg in die Welt des Nichts gesehen197 Fuumlr sie war der Tod ein langer Schlaf ohne Bewusst-sein198 Die Hoffnung eines glaumlubigen Juden des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung warsbquo nicht das Leben einer entkoumlrperten Seele im Jenseits im Him-mel sondern das Warten auf eine kuumlnftige Auferstehung des ganzen Menschen Gott wird in der Zukunft eine Ruumlckkehr vom Tod ins Leben zuruumlck zu einer materiellen Existenz bewerkstelligen Der Prophet Daniel erklaumlrte es ihnen so bdquoUnd viele die im Staub der Erde schlafen werden aufwachen die einen zum ewigen Leben die andern zu ewiger Schmach und Schanderdquo (Daniel 122) Bis unmittelbar vor der Wiederbelebung sbquoschlafensbquo die Toten bdquoim Staub der Erderdquo sie befinden sich nicht in einem houmlheren geistlichen Reich Die den frommen Juden versprochene Zukunft war keine transmaterielle Angelegenheit Im 2 Mak-kabaumler steht die Geschichte eines Juden der von einem griechischen Tyrannen zum Tode durch Folterung verurteilt worden war bdquoEr hielt unerschrocken die Haumlnde hin und sagte tapfer Diese Glieder sind mir vom Himmel gegeben darum will ich sie gern gering achten um seiner Gesetze willen denn ich hoffe er wird sie mir wiedergebenldquo (711)199 Es ist naheliegend dass der juumldische Rabbi (Leh-rer) Jesus fortwaumlhrend eine leibliche Auferstehung von den Toten betonte und

197 Viele Verse in den Hebraumlischen Schriften geben Klarheit uumlber den Zustand in welchem sich Ver-

storbene befinden bdquoDenn im Tode gedenkt man deiner nicht wer wird dir bei den Toten dankenrdquo (Ps 63-5) bdquoNicht die Toten loben den HERRN keiner der hinunterfaumlhrt in die Stille (Psalm 11517) bdquoDenn des Menschen Geist muss davon und er muss wieder zu Erde werden dann sind verloren alle seine Plaumlnerdquo (Ps 1464) bdquoDenn die Lebenden wissen dass sie sterben werden die Toten aber wissen nichts sie haben auch keinen Lohn mehr denn ihr Andenken ist vergessen Ihr Lieben und ihr Hassen und ihr Eifern ist laumlngst dahin fuumlr immer haben sie keinen Teil mehr an allem was unter der Sonne geschiehtrdquo (Pred 95-6) Siehe auch Apg 22934 bdquoErzvater David er ist gestorben und begraben und sein Grab ist bei uns bis auf diesen Tag hellip Denn David ist nicht gen Himmel gefahren helliprdquo

198 Der Tod wird stets im Alten wie im Neuen Testament als ein Schlaf beschrieben mit anderen Worten handelt es sich um einen Zustand der Bewusstlosigkeit was sich doch sehr unterscheidet von der un-mittelbaren und bewussten Transmigration (Wanderung) der Seele [nach dem Tod] eine Lehre der Aumlgypter und der Platoniker bdquo im Tode entschlafenrdquo (Ps 134) bdquo so ist ein Mensch wenn er sich niederlegt wird nicht wieder aufstehen er wird nicht aufwachen hellip noch von seinem Schlaf erweckt werdenrdquo (Hiob 1412) bdquoDies sprach er und danach sagt er zu ihnen Lazarus unser Freund ist eingeschlafen aber ich gehe hin damit ich ihn aufwecke Dann sagte ihnen Jesus geradeheraus Lazarus ist gestorbenrdquo (Joh 1111-14) bdquoNun aber ist Christus aus den Toten auferweckt der Erstling der Entschlafenenrdquo (1 Kor 1520)

199 Die Ereignisse die in 2 Makkabaumler beschrieben sind fanden zwischen 180 und 161 vuZ statt Der Autor berichtet in abgekuumlrzter Fassung die Geschichte des Jason von Kyrene der um das Jahr 100 v Chr fuumlnf Buumlcher uumlber den Makkabaumleraufstand schrieb Siehe 2 Makk 224

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diese als ploumltzliche Rekonstruktion des Lebens aus einem unbewussten Schlafzu-stand beschrieb bdquoWundert euch daruumlber nicht denn es kommt die Stunde in der alle die in den Graumlbern sind seine Stimme houmlren und hervorkommen werden die das Gute getan haben zur Auferstehung des Lebens die aber das Boumlse veruumlbt haben zur Auferstehung des Gerichtsldquo (Joh 528-29) Dies entspricht daher exakt der Hoffnung der Juden-Christen der ersten Stunde denn bdquowenn aber der Geist dessen der Jesus aus den Toten aufer-weckt hat in euch wohnt so wird er der Christus Jesus aus den Toten auferweckt hat auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen seines in euch wohnen-den Geistesrdquo (Roumlmer 811) NT Wright schlieszligt daraus dass bdquodie fruumlhchristliche Hoffnung auf eine koumlrperliche Auferstehung klar juumldischen Ursprungs ist ohne dass dafuumlr ein moumlgliches heidnisches Bezugsmodell ausgemacht werden koumlnnterdquo200

Waumlhrend die Juden und auch die fruumlhen Christen glaumlubig auf die Wiederherstel-lung ihres Koumlrpers aus dem Grab hofften wurde die Doktrin der wandernden bedingungslos unsterblichen Seele von den Griechen in das Judentum einge-bracht sie wurde gebuumlhrend als ein Abweichen vom Glauben gebrandmarkt Eine juumldische Quelle bestaumltigt dass bdquoPropheten und Gesetzgeber vom Glauben an eine Weiterleben der Seele hellip abrieten und ihn weil er dem Glauben an JHWH dem Gott des Lebens entgegengesetzt war zu unterdruumlcken versuch-tenrdquo201 Wir koumlnnen nicht umhin uns mit der Fuumllle der wissenschaftlichen Argu-mente einverstanden zu erklaumlren die zum Schluss kommen

Der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele kam zu den Juden uumlber den Kontakt mit dem griechischen Denken und hauptsaumlchlich durch die Philosophie Platons den Hauptexponenten der durch die orphischen und aumlgyptischen Ansichten dazu geleitet wurde202

In der Tat finden wir in einigen juumldischen Exponaten spaumlteren Datums wie zum Beispiel im Gebet Josephs (ca 1 bis 3 Jh unserer Zeitrechnung) und im Slawischen Henochbuch203 (1 Jh unserer Zeitrechnung) die Vor-Existenz und die Fleischwer-dung (Inkarnation) angedeutet Es faumlllt auf dass sich nur dank dem vorherrschen-den griechischen Einfluss dieses Wissen im Verlaufe der Zeit und lediglich als Randerscheinung im Judaismus einnisten konnte204

200 NT Wright ldquoThe Resurrection of Resurrectionrdquo Bible Review Vol 16 No 4 (Biblical Archaeology

Society 2000) 201 ldquoImmortality of the Soulrdquo Jewish Encyclopedia pp 564-566 202 Ibid 203 Slawischer Henoch 235 (Die Buumlcher der Geheimnisse Henochs G Nathanael Bonwetsch Leipzig

1922) 204 Kuschel p 184

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Als Nachwirkung der Eroberungen Alexander des Groszligen (4 Jh vor Chr) erwies sich der Platonismus der die Religionen des oumlstlichen Mittelmeers durchdrungen hatte bereits als unumkehrbar Im spaumlteren 4 Jahrhundert der christlichen Zeit-rechnung als die hellenisierenden Kraumlfte Palaumlstina erreichten und als die in der Diaspora lebenden Juden begannen sich in den grossen Zentren wie Alexandria und Antiochia zu assimilieren kamen die griechischen Metaphysiker nicht nur in direkten Kontakt sondern gerieten in Konflikt mit dem Judaismus Um diese Zeit entzuumlndete sich ein neuer aber lang anhaltender Streit unter dem juumldischen Volk wie sich ihr Glaube unter dem immer staumlrker werdenden griechisch-roumlmi-schen Einfluss anpassen sollte Schon im Verlaufe des ganzen 2 Jahrhunderts sahen sich die Juden in zunehmendem Maszlige entzweit die hellenisierenden Juden waren bereit den religioumlsen Synkretismus zu akzeptieren waumlhrend die Traditio-nalisten jede Vermischung zuruumlckwiesen und die ersteren als bdquoehebrecherische Kompromisslerrdquo sahen Es darf nochmals gesagt werden dass es erst nach der Begegnung des juumldischen Segments mit dem Hellenismus und seiner Zusammen-arbeit mit der griechischen Philosophie im Judentum zur Uumlbernahme platoni-scher Modelle wie Prauml-Existenz Transmigration und Inkarnation kam die dann auf biblische Geschichten angewendet wurden und einer juumldischen Mythologie neues Leben einhauchten Tatsaumlchlich haben Gelehrte bemerkt dass schon in der Periode des 2 Tempels hellenistisch-juumldische Schreiber die griechisch-roumlmischen Ideen als Metamorphose aufgenommen hatten205 Die Juden in der Diaspora zeigten sich als besonders eifrig in der Annahme bdquofremder Elementerdquo und mit der bdquoEin-fuumlhrung heidnischer Gedanken im Dienste des juumldischen Glaubensrdquo206 Eine wichtige Frage in unserem umfassenden Studium ist diese Waren die Apostel des Neuen Testaments ebenfalls Hellenisten Sahen sie die Welt und das Kommen des Messias in diese Welt durch die philosophische platonische Brille War Jesus selber ein Synkretist oder ein Traditionalist In Kuumlrze werden wir auf diese Fra-gen Antworten geben Im Moment mag es genuumlgen dass lange vor der Zeit Jesu zwischen der griechischen und der juumldischen Welt bereits ein sozio-kultureller Streit und ein religioumlser Kampf tobten Diese alten Auseinandersetzungen haben die christliche Religion von ihrem Beginn an bis in die heutige Zeit begleitet und entscheidend mitgepraumlgt

DerJudePhilonundderLogos-EngelEin juumldischer Denker des ersten nachchristlichen Jahrhunderts zeigte eine beson-dere Vorliebe fuumlr den Platonismus Er war etwa fuumlnfzig Jahre alt als weit weg in

205 Simon S Lee Jesusrsquo Transfiguration and the Believerrsquos Transformation (Tubingen Mohr Siebeck 2009) p 28

emphasis added 206 Gerald van Groningen zitiert Wilson First Century Gnosticism Its Origin and Motifs (Leiden Brill 1967)

pp 62-63

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Judaumla Jesus Christus von den Roumlmern ans Kreuz geschlagen wurde Der beharr-liche und synkretistische Geist dieses alexandrinischen Juden bluumlhte in einem ak-tiven Randgebiet (der juumldischen Diaspora) auf und strahlte in das beginnende Christentum hinein Es ist kaum anzuzweifeln dass dieser Mann mehr denn alle anderen Theologen dank seiner betriebsamen synkretistischen Aktivitaumlten waumlh-rend der Periode des Mittelplatonismus die theologische Spur vorpfadete sodass sich Platon mit Christus anhaltend verschmelzen konnte Die Rede ist von Philon von Alexandria der von ca 15 v Chr bis 50 n Chr lebte

Als Knabe wurde er von seiner wohlhabenden Familie an einer griechischen Schule immatrikuliert wo er Kunst Mathematik und Philosophie studierte Er begeisterte sich zunehmend fuumlr das griechische Drama und Athletismus im Be-sonderen fuumlrs Boxen Spaumlter im Leben so wird uns berichtet fuumlhlte sich Philon zum Asketentum hingezogen Er beschrieb wohlwollend die Genuumlgsamkeit der Essener eine juumldische monastische Gemeinschaft die oft mit den Schriftrollen von Toten Meer in Verbindung gebracht wird207 Mit zunehmendem Alter sah sich Philon zwischen dem tugendhaften Leben eines Philosophen und den Pflich-ten eines roumlmischen Aristokraten hin- und hergerissen208 Einmal trifft man ihn an wie er unterschiedliche Interpretationen von Platon diskutiert und ein anderes Mal wie er die Noumlte von Juden im Kaiserreich vor Caligula repraumlsentiert209 Alles deutet darauf hin dass das Leben Philons viele Schnittstellen zwischen der juumldi-schen und der heidnischen Welt aufwies wobei sein religioumlses Denken keine Aus-nahme machte

Als Philosoph (und Jude) lag ihm offenbar viel daran die griechische Philosophie mit dem Judentum zu harmonisieren Vielleicht war er der groumlszligte aller hellenisie-renden Juden auf jeden Fall hat er staumlrker fuumlr den Zusammenfluss des biblischen

207 Siehe Philon Every Good Man is Free XII 75-87 XIII 88-91 Bis in die 1990er Jahre glaubte fast jeder

Gelehrte dass die Sekte der Essener (vom 2 Jh Vor bis 1 Jh nach Chr) die Schriftrollen vom Toten Meer verfasst haumltten die im Wadi Qumran entdeckt worden waren um 1946 Dann wurden diese langge-hegten Thesen herausgefordert und es stellte sich heraus dass die Rollen in Jerusalem geschrieben worden waren um dann in die Houmlhlen von Qumran transportiert zu werden Dies war noumltig um sie vor der Zerstoumlrung durch die Roumlmer zu bewahren welche im Jahre 79 n Chr die Stadt belagerten Siehe Norman Golb Who Wrote the Dead Sea Scrolls (New York Charles Scribnerrsquos Sons 1995)

208 Philon wird von einigen nachgesagt er haumltte eine Art Identitaumltskrise gehabt Er sei mit den weltlichen Dingen von Alexandria unzufrieden gewesen und vielleicht sei er sogar einer aumlgyptisch-juumldischen Sekte die bdquoTherapeutaeldquo genannt beigetreten bevor er dem Ruf gefolgt sei sich um seine Landsleute und ihre Noumlte zu kuumlmmern Siehe Matt Stefon (ed) Judaism History Belief and Practice (New York Rosen Pub-lishing 2012) p 312

209 Dank seiner Ausbildung nominierten sie Philon als Anfuumlhrer einer Gruppe von juumldischen Gesandten die um ca 40 n Chr nach Rom delegiert wurden Dort plaumldierte Philon mit dem Kaiser und kaumlmpfte fuumlr Rechte der leidenden Juden von Alexandria Er verurteilte Caligulas Plan fuumlr sich selber eine Statue erstellen zu lassen und zwar im juumldischen Tempel Sie sahen darin eine Kriegserklaumlrung Nachdem die diplomatischen Demarchen nichts gefruchtet hatten sagt man habe Philon seine Landsleute ermutigt mit den Worten dass Gott Caligula nicht ungestraft davonkommen lasse Einige Monate spaumlter wurde der Kaiser von seinen eigenen Soldaten umgebracht

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Inhaltsstoffs mit dem umfassenden platonischen Rahmenwerk gesorgt als die meisten hellenistisch-juumldischen Autoren Philons Heimatstadt Alexandria war schliesslich der lebhafteste aller intellektuellen Orte des Planeten Erde und ndash wie schon erwaumlhnt ndash bdquotrafen und vermischten sich alle Religionen und Philosophien an den Schulen von Alexandriardquo210 In diesem vielfaumlltigen akademisch kompeti-tiven Schmelztiegel produzierte Philon unermuumldlich ein System biblischer Be-gruumlndung fuumlr die philosophische Weltanschauung und bdquointerpretierte die Hebrauml-ischen Schriften entlang platonischer Richtlinien um damit schlieszliglich einen im-mensen Einfluss auf das sich entwickelnde Christentum auszuuumlbenrdquo211

Aufgrund seiner nicht traditionellen Ansichten sowie dem Beharren auf seinen eigenen brillanten platonischen und stoischen Reinterpretationen der Bibel lehnte ihn die Gemeinschaft der Mainstream-Juden ab Tatsaumlchlich duumlrften seine schriftlichen Werke nicht uumlberlebt haben haumltten sich nicht die heidenchristlichen Kirchenvaumlter so dafuumlr begeistert Die Jewish Encyclopedia erinnert daran

Philon schlieszligt in seiner Philosophie beide die griechische Weis-heit und die hebraumlische Religion mit ein die er zu verschmelzen und zu harmonisieren suchte Er verwendete die Kunst der Allego-rie die er von den Stoikern gelernt hatte Seine Arbeit wurde vom zeitgenoumlssischen Judentum jedoch nicht akzeptiert Er nennt die Juden bdquobuchstabengetreue Sophisten die ihre Augenbrauen uumlberheblich hoch-zogenrdquo (De Sommiis 16-17) wenn immer er ihnen die Wunder seiner eigenen Exegese erklaumlren wollte umso mehr wurde Philon mit Enthusiasmus von den Fruumlhchristen empfangen die in ihm sogar einen bdquowahren Christenrdquo sahen Die sogenannten Kirchenvaumlter wa-ren diejenigen welche die Werke Philons die wir heute verfuumlgbar haben bewahrten212

Um welche platonischen Lehren ging es genau welche die Juden kategorisch als mit dem biblischen Glauben unvereinbar zuruumlckwiesen die jedoch von den christlichen Philosophen mit Begeisterung aufgegriffen wurden Natuumlrlich hatte Philon in seinem Denken schon laumlngst die Theorie Platons der bdquounsterblichen Seelerdquo adoptiert naumlmlich dass beim Tod die Seele - bdquounerschaffen und unsterb-lichrdquo wie sie ist - zu einer bdquohoumlheren Existenzrdquo aufsteige213 Doch Philons wich-tigste und am meisten bearbeitete Doktrin war seine eigene Ansicht des Logos Er elaborierte die Berichte der fruumlheren Platoniker uumlber den Logos und den De-

210 Jowett p 456 211 Edward Moore ldquoMiddle Platonismrdquo Internet Encyclopedia of Philosophy Web 16 May 2014 212 C H Toy C Siegfried J Z Lauterbach ldquoPhilo Judaeusrdquo Jewish Encyclopedia 1906 213 Philo On the Giants 14 (De Gigantibus - Uumlber die Riesen)

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miurg mit dem Schoumlpfungsbericht der Hebraumlischen Bibel Diese Synchronisie-rung beschleunigte die direkte Einfuumlhrung Platons in den Blutkreislauf des jun-gen unerfahrenen Christenglaubens

Wie wir schon etwas fruumlher in diesem Buch gesehen haben war der Terminus logos seit langem in der griechischen Konversation gebraumluchlich mindestens schon seit dem 5 Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung Im Verlaufe der Jahrzehnte erfuhr der logos eine Veraumlnderung seiner Bedeutung und zwar zu-naumlchst bei Heraklit der in ihm das Prinzip oder die Ordnung oder das goumlttliche Wissen im Universum sah Weiter bei den Stoikern die den logos als das die ge-samte erschaffene Welt belebende Prinzip auslegten und wiederum als den inne-ren vernuumlnftigen Diskurs des Menschen bei Aristoteles Das griechische Wort logos koumlnnte auch als bdquoBitterdquo oder bdquoEinspracherdquo mit bdquoMeinungrdquo bdquoErwartungrdquo als bdquoRederdquo bdquoBerichtrdquo und bdquoVernunftrdquo oder einfach als bdquoWortrdquo neben vielen an-deren Ausdruumlcken uumlbersetzt werden In der Septuaginta der Uumlbersetzung der Heb-raumlischen Bibel ins Griechische zwischen dem 3 und dem 1 Jahrhundert vor Christi Geburt wurde der griechische Terminus bdquologosrdquo verwendet um das heb-raumlische bdquodavarrdquo zu uumlbersetzen das ebenfalls Wort bedeutet und eine adaumlquate Uumlbersetzung zu sein scheint Beispiele sind die ersten Ausspruumlche Gottes (in 1 Mose 1369) wie auch Gottes Handlungen (Zephanja 51-4) sowie die Botschaften die er durch seine Propheten kommunizierte (Jeremia 14 -19) Aber es liegt in der Natur der Sache dass die juumldischen Uumlbersetzer (von Hebraumlisch ins Griechi-sche) das Wort mit einem anderen Sinn gebrauchten als die Platoniker214 Hier muumlssen wir betonen dass die Juden in der Septuaginta das Wort logos als Beschrei-bung von Gottes Aktivitaumlt benutzten215 Doch der Hellenistische Philon scheint darin etwas ganz anderes gesehen zu haben

In griechischen und juumldischen Sprachgebrauch des logos hat Philo eine brilliante Verbindung zwischen zwei parallelen Anschauungen erkannt Philon pruumlfte ob der logos aus dem Platonismus und das Wort durch dass der Gott Israels die Welt in Existenz brachte ein und dasselbe ist216 Er uumlberzeugte sich schlieszliglich selber

214 Gelehrte haben berichtet dass bdquodie [juumldischen] Autoren der Septuaginta und die Platoniker denselben

Terminus (Logos) verwendeten um total unterschiedliche Ansichten auszudruumlcken Die ersteren einfach fuumlr einen Handlungsmodus der Gottheit die letzteren um ein reales Wesen seinen Agenten und seinen Diener der seinen Willen ausfuumlhrt zu beschreibenrdquo (Lamson Abbot p 68)

215 Marian Hillar ldquoPhilo of Alexandriardquo Internet Encyclopedia of Philosophy Web 10 August 2015 216 OrsquoBrien stellt eine Parallele zwischen dem fruumlhen Mittelplatoniler Plutarch fest der sich

anstrengte um den Platonismus im Isis und Osiris Mythos der Aumlgypter zu lokalisieren und dem spaumlteren Mittelplatoniker Philon der sich bemuumlhte um Platon in der Juumldischen Bibel zu finden bdquoBeim Wiedererzaumlhlen des Isis und Osiris Mythos werden philosophische Dok-trinen dargelegt manchmal in einer etwas verwirrenden Art da verschiedene Einzelheiten in den Mythos eingeschoben werden Man koumlnnte die Situation Plutarchs mit derjenigen von Philon vergleichen der ebenfalls mit einem schoumlpfungsbezogenen Mythos zu tun hatte (des

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von der Richtigkeit seiner Beobachtungen und bearbeitete sie noch weiter Fuumlr Philon war der logos komplex einmal war er die Summe von Gottes Vernunft dann jedoch vordergruumlndig eine Person217 Einige Gelehrte sind sogar der Ansicht dass bdquoPhilon der erste gewesen sei der ndash wie sie annehmen ndash dem Logos eine permanente persoumlnliche Subsistenz zugewiesen hat Durch diese Erkenntnis ging er einen Schritt weiter als Platonrdquo218 Offensichtlich war sein logos nicht allein Gottes vernuumlnftige Ordnung sondern eine machtvolle goumlttliche Einheit ein Mittler zwischen Gott und der Menschheit219 OrsquoBrien schreibt dass Philons Lo-gos bdquobei der Schoumlpfung mehr als nur ein Werkzeug oder ein Messer in der Hand Gottes gewesen sei Er ist eine vermittelnde Einheit die als Ko-Kreator quasi als Mit-Schoumlpfer funktioniert und der nach der Genese eine aktive Rolle im Univer-sum ausuumlbtrdquo220 Philon identifiziert ihn sogar als bdquoeinen Engelrdquo221 Er behauptete diese Figur entspreche genau dem bdquoEngel des Herrnrdquo der Hebraumlischen Bibel (1 Mose 167-14 2 Mose 32-4 Richter 21-3) und dem bdquoobersten der Botenrdquo222 dem bdquoerstgeborenen Sohn Gottesldquo dem aumlltesten aller engelhaften Wesenrdquo223 Doch Philon glaubte auch dieser Engel sei eine bdquoHypostasierungrdquo (Individuali-sierung) der Vernunft Gottes224 Wenn man den ausladenden mystischen Schreibstil Philons analysiert ist es moumlglich dass er selber nie wirklich festlegte ob der logos ein vollstaumlndiges und unterscheidbares persoumlnliches Wesen oder ob

Pentateuchs) Doch da gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen den beiden Faumlllen Plu-tarch sah sich nicht gezwungen seinen Mythos zur Darlegung seiner Philosophie zu ver-wenden Er tat es weil es ihn offenbar interessierte und er scheinbar uumlberzeugt war dass darin (bis zu einem gewissen Grad) eine philosophische Wahrheit steckte Philon hingegen versuchte einen anderen schoumlpferischen Bericht den Pentateuch in philosophischer Spra-che wiederzugeben fuumlr einen frommen Juden ist dies jedoch das Herzstuumlck seines Glaubens das er nicht leichtfertig auszliger Acht lassen durfte wie Plutarch den Isis-Mythos ignorieren konnteldquo (OrsquoBrien pp 83-116)

217 Auch heute noch gibt es eine groszlige Debatte uumlber die Frage bdquoIst Philons Logos eine Person oder eine Abstraktionrdquo (Stewart Salmond Critic Review of Theo amp Phil Lit Vol 13 (Edin-burgh T ampT Clark 1903) p 2)

218 Lamson Abbot p 68 219 OrsquoBrien p 43 220 Ebenso p 45 221 Philo De Somniis 1 228-239 De Cherubim 1-3 Cher 3 and 35 Mut 87 Deus 182 222 Philo Her 205 223 Hillar IEP Das hermetische Werk Poimandres stellt gleicherweise einen demiurgischen Logos vor eine

Einheit in dem es der bdquoSohn Gottesrdquo genannt wird Der Hermetismus und seine Verbindung zum al-exandrinischen Judentum hat eine Affinitaumlt mit dem Werk von Philon Siehe Dragos Giulea Prauml-Nicaumlnische Christologie im paschalen (oumlsterlichen) Kontext (Leiden Brill 2014) pp 68-72

224 Ebenso

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er nur die personifizierte Ausdrucksweise des einen Gottes war225 Dessen unge-achtet bdquoPhilons Idee der logos sei von Gott gezeugt und sei sein Erstgeborener hellip ob unmittelbar oder nicht diese Idee bahnte sich ihren Weg ins christliche Denkenrdquo226 Eine Enzyklopaumldie erkennt die Verbindungslinie zwischen Platon und Philon die sich schlieszliglich in der persoumlnlichen Logos-Christologie und (der Doktrin) der Trinitaumlt der spaumlteren christlichen Philosophen fortsetzte

Durch Platons Timaios inspiriert fing Philon an die juumldische Bibel so zu lesen dass Gott den Kosmos durch sein Wort (logos) den Erstgeborenen Sohn Gottes kreierte Gott erschuf (die Dinge) ent-weder durch eine weitere Ausstroumlmung von diesem Wort oder mit-tels beider seiner Kraumlfte der Schoumlpferkraft und der Koumlnigskraft beide sind seine eigenen Kraumlfte aber dennoch Agenten die sich von ihm unterscheiden Einen weiteren Einfluss [auf die spaumltere Christenheit] uumlbte moumlglicherweise der neopythagoreische Mittel-platoniker Numenius aus der eine Triade von Goumlttern postulierte die er alternierend den Vater den Schoumlpfer und die Schoumlpfung nannte227

Die Philosophien von Philon und Numenius bdquovergleichen den Logos [in der Be-ziehung zur houmlchsten Gottheit] mit dem Licht der Sonne gleichzeitig identisch und doch verschiedenrdquo228 Wie wir in Baumllde sehen werden haben einflussreiche christliche Figuren wie Justin der Maumlrtyrer (gestorben 165 n Chr) die Beziehung zwischen Gott und dem Logos mit ihren Worten beschrieben Justin sah den Logos als den prauml-existenten Jesus und beschrieb ihn als Licht von der Sonne als Feuer vom Feuer als den Redner und seine Rederdquo229 Es ist einfach zu sehen wie durch Philon fuumlr spaumltere platonisierende Christen ein perfekter Kanal einer neuen pluralistischen Exegese geoumlffnet wurde durch welchen die Bibel gewandt und brillant auf den Stand der damaligen Akademiker gebracht wurde Zweifelsohne

225 Der logos von Philon war verworren Die Gelehrten streiten immer noch daruumlber ob der Logos eine

Person war oder nicht Wie Heuser sagt bdquoEs ist sehr problematisch zu erkennen was der Logos tatsaumlchlich ist Zu viele Philosophien waren am Werk in Alexandria um eine definitive Ansicht zu erhalten Die dominante Erkenntnis Philons war aber schon dass er sich auf die Stoiker verlieszlig die eine halb abstrakte halb konkrete Einheit zwischen Kreator und Kreation einschoben zwischen den Un-gezeugten und den Gezeugten doch zu sagen welcher Art das Wesen der Logos ist scheint fuumlr uns unmoumlglichrdquo (Herman Joseph Heuser The American Ecclesiastical Review Vol 54 (Philadelphia The Dol-phin Press 1916) p 229)

226 Richardson p 34 227 Dale Tuggy ldquoHistory of Trinitarian Doctrinesrdquo Stanford Encyclopedia of Philosophy Stanford University

Web 8 Aug 2014 228 Eduard Zeller Outlines of the History of Greek Philosophy (New York Henry Holt and Company 1889) p

815 229 Tuggy Stanford Encyclopedia of Philosophy

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war Philons Vorreiterrolle die Grundlage der Entwicklungsmodelle der bevorste-henden hellenistischen Interpretationen des hebraumlischen Denkens besonders durch Clemens von Alexandria Justin Tertullian und Origenes230 Justin der Maumlr-tyrer war es in der Tat der im Logos ein geringeres untergeordnetes Wesen sah und es als einen Engel beschrieb welcher Fleisch wurde als Mensch Jesus Christus Gemeinhin wird in der Kirchengeschichte verkannt dass im 2 und 3 Jahrhun-dert die meisten der beruumlhmten Kirchenvaumlter glaubten dass Jesus prauml-existent gewesen sei und zwar keinesfalls ewig als der eine wahre Gott selber sondern als ein untergeordnetes engelhaftes Wesen das erste von Gottes Schoumlpfung Diese Theo-logen predigten nicht etwa eine Doktrin von drei ewigen einander gleichgestell-ten Personen in einer Gottheit diese Doktrin kam erst im vierten Jahrhundert auf wie wir im ersten Kapitel sahen Damals wurde sie durch trinitarische Ge-lehrte zum (christlichen) Glaubengrundsatz erklaumlrt Wie A von Harnack in seinen Studien der Patristik erklaumlrte wird bdquodie Subordination Christi als himmlisches Wesen unter die Gottheit selten oder gar nie sonderlich betont obwohl sie oft augenfaumlllig in Erscheinung trittrdquo231 In den folgenden Kapiteln werden wir den weitverbreiteten bdquoSubordinationismusrdquo unter den beruumlhmtesten Kirchenvaumltern vor dem Nicaumlnischen Konzil (325 n Chr) ausfuumlhrlich analysieren und darlegen dass gerade sie nicht uumlberzeugte Trinitarier waren die an einen dreifaltigen Gott glaubten

JustinderMaumlrtyrerundderAufstiegdesplatonischenChristen-tumsZum Zweck der chronologischen Uumlbersicht ist es noumltig einen Bericht uumlber den beruumlhmten Justin der Maumlrtyrer (100 ndash 165 n Chr) zu geben und wie er sich die zu jener Zeit entwickelnde platonische Philosophie und ihren Anteil am Chris-tentum zu eigen machte Wie er selber berichtete war er ein Heide der in Judaumla geboren wurde232 Als heidnisches Kind das in einer vorwiegend juumldisch gepraumlg-ten Gesellschaft aufwuchs studierte Justin eifrig und wurde so zu einem idealen Bindeglied fuumlr verschiedene Glaubensstroumlmungen des zweiten Jahrhunderts In seinem beruumlhmten Buch Dialog mit dem Juden Tryphon beschreibt Justin seine Un-zufriedenheit mit den eigenen fruumlheren Studien die ihn mal hierhin mal dahin gefuumlhrt hatten durch die er jedoch die griechischen Philosophien kennengelernt

230 Marian Hillar ldquoPhilo of Alexandria (c 20 BCEmdash40 CE)rdquo Internet Encyclopedia of Philosophy Web 16

May 2014 231 Harnack History of Dogma Vol 1 (1894) p 193 (Dogmengeschichte) 232 Dawid Roqueah Justin Martyr and the Jews (Leiden Brill 2001) p 128

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hatte Die meisten davon fand er wenig inspirierend mit Ausnahme des Platonis-mus233 Etwas spaumlter um 132 n Chr machte Justin die schicksalshafte Bekannt-schaft mit einem Christen moumlglicherweise einem Syrer der die Ansicht vertrat die juumldischen Propheten seien verlaumlsslicher denn die griechischen Philoso-phen234 Justin wollte diese Behauptung genauer untersuchen und dieses Studium fuumlhrte ihn schlieszliglich zum christlichen Glauben Er gab aber selber zu dass er nach wie vor die Religion Platons nicht weniger liebte

Anstatt den Platonismus ganz aufzugeben waumlhlte Justin einen Mittelweg er sah wie die beiden Religionen das Christentum und der Platonismus sich gegenseitig ergaumlnzten ja sogar rechtfertigten Mehr als nur eine Angelegenheit der Vorliebe schien diese Art von Synkretismus in der Gesellschaft eine Sache des Uumlberlebens gewesen zu sein Ein Geschichtsschreiber ist der Ansicht dass Justins Situation die Bedraumlngnis der gesamten aufbluumlhenden Christenheit widerspiegelte

Es war uumlblich fuumlr Studenten in der griechischen Welt von einer Philosophenschule zur andern zu wandern den Debatten zuzuhouml-ren und Fragen zu stellen Solange Christen nicht faumlhig waren an solchen Streitgespraumlchen teilzunehmen wuumlrde das Christentum nie zu intellektueller Reife gelangen In der heran wachsenden Kirche waren die Mitglieder meist Konvertiten dh sie hatten fruumlher eine traditionelle philosophische Ausbildung erhalten entweder bevor sie zum christlichen Glauben uumlbertraten oder auch noch waumlhrend sie auf die Taufe warteten Es war unumgaumlnglich dass irgendein Arrangement mit der Griechischen Philosophie getroffen wurde Auch der Christ Justin Martyr (100 - 165 n Chr) ein ausgebildeter Platoniker war da einer der ersten die argumentierten das Chris-tentum koumlnne sowohl von den Heiligen Schriften wie auch von der griechischen Philosophie profitieren mehr noch es koumlnne die Phi-losophie zu seinem eigenen Zweck und Ziel einsetzen bdquoWas immer (die Philosophen) Gutes gelehrt haben gehoumlrt uns Christenrdquo Cle-mens von Alexandria (150 - ca 215) pflichtete dem bei und be-hauptete dass Gott den Griechen die Philosophie als bdquoSchulmeis-terrdquo gegeben habe bdquoals Vorbereitung die den Weg ebnete zur Ver-vollkommnung in Christus bis zur Wiederkunft des Herrnrdquo235

Justins Methoden erinnerten an diejenigen des fruumlheren Philons der ja auch eine Kompatibilitaumlt zwischen Platon und den juumldischen Schriften beobachtet hatte Obwohl es Justin vermied je den Namen Philons zu erwaumlhnen (Philons Tod war

233 Justin Martyr Dialogue with Trypho the Jew 2 8 234 Ebenso 235 Freeman Closing of the Western Mind pp 142-143

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mindestens 80 Jahre vor der Bekehrung Justins) koumlnnen wir unschwer den Ein-fluss seiner Exegese feststellen236 Die Gelehrten haben die Auswirkungen Phi-lons auf die Fuumlhrerschaft der Heidenchristen ebenfalls bemerkt

Wir wissen dass Justin und die nachfolgenden (Kirchen-)Vaumlter Philo gelesen haben Ihre Gedanken und Ausdruumlcke zeigen oft eine bemerkenswerte Uumlbereinstimmung mit denen Philos In der Tat sind ihre Schriften so tief von seinen Gefuumlhlen und seinem Geist durchdrungen dass sie ohne ihn wie Mosheim feststellt oft bdquovoumlllig unverstaumlndlichrdquo waumlren Daher bezweifeln wir nicht dass sie aus ei-ner gemeinsamen Quelle stammen und diese konnte keine andere sein als die Lehren von Platon wie seine spaumlteren Anhaumlnger der alexandrinischen Schule erklaumlrten237

Dementsprechend entdecken wir bei Justin Martyr dieselbe Identifikation wie bei Philon der den logos als engelhaftes Wesen sah als eine Art dienstbare beim Akt der Schoumlpfung Gott voumlllig untergeordnete goumlttliche Einheit238 Dieses Wesen wird von ihm im Alten Testament ebenfalls als bdquoder Engel des Herrnrdquo identifiziert (1 Mose 1613 2117)239 und es ist nur natuumlrlich dass Justin diesen Logos-Engel schwerpunktmaumlszligig durch eine platonische Lesung des Prologs im Evangelium Johannes auf Jesus Christus bezog240 Dieser alttestamentliche Engel wird von Justin eine bdquoChristophanierdquo also eine Christus-Erscheinung genannt oder eine fruumlhe Manifestation von Jesus bevor er ins Fleisch kam Aber war dieser vor-menschliche Christus fuumlr Justin der ewige und houmlchste Gott War Justin ein Trini-tarier Offenbar war er es nicht Justin betitelte den Sohn als einen bdquoanderen Gottrdquo der bdquounter dem Schoumlpfer aller Dingerdquo ist und der auch bdquoEngelrdquo genannt

236 Willis Shotwell The Biblical Exegesis of Justin Martyr (London SPCK 1965) p 115 For more on Philorsquos

influence on the thought of Justin Martyr see Demetrius Traketellis Pre-Existence of Christ in the Writings of Justin Martyr (Scholars PR 1976) p 47 pp 53-92 Alan Segal Two Powers in Heaven Early Rabbinic Reports About Christianity and Gnosticism (Leiden Brill 2002) p 224 Compare also Justinrsquos Dialogue 56 1 with Philorsquos De Mutatione Nominum 15 and Dialogue 56410 and Moses I 66

237 Lamson Abbot p 69 238 Justin Martyr Dialogue with Trypho the Jew Ch 2 8 239 Ebenso 56 240 Dieser auch heute noch heiszlig diskutierte Abschnitt wird uumlblicherweise von trinitarischen Christen so

uumlbersetzt bdquoAm Anfang war das Wort (logos) und das Wort (logos) war bei Gott und das Wort (logos) war Gottrdquo (Joh 11) In spaumlteren Sektionen dieses Buches werden wir die juumldische Sicht der Schoumlpfung sehen wie sie in der Bibel ausgedruumlckt wird und die uns dann eine angemessenere Interpretation von Joh 11-14 gibt Das heiszligt wir werden lernen dass der logos von Gott durch die Juden (zu denen Johan-nes gehoumlrte) nicht als unterscheidbare Person aufgefasst wurde wie Philon und Justinus es taten Am Ende dieser Untersuchung duumlrfte es klar sein dass das gesamte System Philons (und auch der Trinitar-ier) einer personalen Logos-Christologie von Johannes ernsthaft abgeschwaumlcht wird wenn man einmal die griechische Sichtweise aufgibt und die juumldische Sicht annimmt deren Schriften wenn es um die Grundlage des christlichen Glaubens geht einfach houmlher eingestuft werden sollten als die heidnischen Spekulationen

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wird Uumlberdies bdquoist er von Gott dem Schoumlpfer zu unterscheiden und zwar an-zahlmaumlszligig nicht jedoch in Sinn und Geist (englisch in mind soviel wie Psyche und Verstand)rdquo241 Mithilfe von diesem vor-existenten geringeren Gott hat JHWH die gegenwaumlrtige materielle Welt geschaffen er war Gottes Vizekoumlnig der bdquoMi-nister oder Diener des Willens seines Vaters (auch) da er durch einen Willens-akt des Vaters gezeugt wurderdquo242 Dieses letztere Zitat ist besonders interessant Justin war der Ansicht dass der Sohn gezeugt (empfangen) wurde nicht ewig exis-tiert habe wie die Trinitarier dann spaumlter sagten Ein Willensakt des Vaters das heiszligt der Entscheid einer anderen Person war (zur Zeugung) notwendig Daraus folgt dass bevor der Vater entschied den Sohn zu zeugen es keinen Sohn gab Gemaumlszlig Justins Ansicht wurde der Sohn erst ins Leben gerufen als ihn der Vater brauchte vielleicht zum Zweck der Schoumlpfung Umgekehrt existierte der Vater nicht aufgrund oder infolge von jemandes Entscheid sondern er ist der einzige und ewige Gott

Auf jeden Fall ist es an diesem Punkt wichtig zu betonen dass die platonische Christenheit des zweiten Jahrhunderts wenn wir Justin Martyr als Beispiel neh-men weder glaubte Jesus sei Gott dem Vater oder dem Heiligen Geist ebenbuumlr-tig und ebenso ewig Zur dieser Ansicht kam man erst viel spaumlter Justin blieb bei seiner Lehre fuumlr Christen dass der Sohn stets bdquoden zweiten Rangrdquo unter bdquodem wahren Gottrdquo innehatte243 In dieser Beziehung ist Justinus klar ein Repraumlsentant der weitverbreiteten Exegese des zweiten Jahrhunderts244 Doch welches Ge-wicht hatten die christologischen Ansichten Justins in seiner Zeit Glaubten alle Christen des 2 Jahrhunderts der (juumldische) Mensch Jesus habe eine fruumlhere Prauml-Existenz in den Himmeln gehabt In den folgenden Kapiteln werden wir mehr erfahren uumlber den Glauben Justins und den der uumlbrigen Kirchenvaumlter Wir wer-den sehen dass die beruumlhmtesten Theologen des 2 und 3 Jahrhunderts (noch) keine Trinitarier waren sondern Hellenisten die immer noch glaubten der Vater sei der einzig wahre Gott und Jesus sei eine von ihm unterscheidbare ihm un-tergeordnete Figur

Noch immer nicht geloumlst ist jedoch die Frage wie denn die Vision von Justin dem Maumlrtyrer Jesus sei ein goumlttliches vor-existentes Wesen im christlichen Glauben uumlberhaupt Fuszlig fassen konnte Haben vielleicht die fruumlhesten juumldischen Juumlnger Christi je an eine solche Auslegung gedacht Ist es sicher dass die Apostel keine Platoniker waren Genau was diese ersten juumldischen Christen glaubten

241 Justin Martyr Dialogue 56 242 Ebenso 61 243 Justin Martyr First Apology Ch 13 1 244 A Lukyn Williams Justin Martyr The Dialouge with Trypho (London 1930) p xiv William Horbury Jews

and Christians (Edinburgh Bloomsbury 1998) p 129 T D Barnes Tertullian (Oxford 1971) pp 106-108

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werden wir zu untersuchen haben Wie wir jedoch jetzt schon feststellen koumlnnen gab es eine dramatische Verschiebung in der christlichen Theologie in Richtung Platonismus im zweiten Jahrhundert Geschichtsforscher anerkennen dass

vom 2 Jahrhundert an also nach Abschluss der neutestamentli-chen Aumlra in der Zeit der apostolischen Vaumlter und der christlichen Apologeten [zu denen auch Justin gehoumlrt] als sich das geistliche Klima komplett veraumlnderte eine Fixation auf den Hellenismus und eine schrittweise Veraumlnderung der Doktrinen des Christentums einsetzte von diesem 2 Jahrhundert an das Christentum an die philosophischen kosmologischen und spekulativen Gedankensys-teme praktisch ausgeliefert wurde245

Ein Historiker zieht daraus den folgenden Schluss bdquoWenn es in der Geschichte der christlichen Theologie eine historische Tatsache gibt die sicherer ist als alle anderen dann ist es die des Dogmas der christlichen Trinitaumlt mit seiner kardina-len Logos-Doktrin die faktisch vom platonischen dualistischen Idealismus her-geleitet werden kannrdquo246 In der Tat haben die Philosophen dieser Aumlra welche den Grundstock fuumlr die spaumltere Lehre der Dreifaltigkeit legten die Christologie des Neuen Testaments mit der griechischen Kosmologie verwechselt Der histo-rische juumldische Mann Jesus wurde zu einem ganzheitlichen und jenseitigen Dienstleister umgebaut um der platonischen Welt zu entsprechen Diese intel-lektuelle Spekulation war der Versuch den messianisch-juumldischen Rahmen des Neuen Testaments zu entfernen und die Folgen dieser eigenartigen Aktivitaumlt muumlssen erst noch auf breiter Basis wahrgenommen werden William Sanday ein Theologe von Oxford hat versucht den riskanten Synkretismus fuumlr die platoni-schen Christen etwas auszuebnen

Fruumlher oder spaumlter war es unausweichlich die Christenheit in eine Beziehung zur zeitgenoumlssischen Philosophie zu bringen War es denn nicht eine edle Eingebung die Justin leitete den bdquoSamenldquo des goumlttlichen Logos zu sehen der in den heidnischen Denkern des Altertums am Werk war in Maumlnnern wie Heraklit und Sokrates oder Platon und Pythagoras dass die goumlttliche Welt als Ganzes einst in Christus Fleisch werden wuumlrde247

Doch Friedrich Loofs (1858 - 1928) Professor der Kirchengeschichte an der Universitaumlt Halle war der Ansicht dass es die Christen des 2 Jahrhunderts durch

245 Kuschel zitiert A von Harnack pp 43-51 unsere Hervorhebung 246 Paine The Ethnic Trinities p 202 247 William Sanday Christologies Ancient and Modern (Oxford OUP 1910) p 17

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diese Spekulation in der Hand hatten den urspruumlnglich juumldisch-christlichen Glau-ben grundlegend in eine hellenistische Mysterienreligion umzuwandeln Dies war eine gefaumlhrliche Pioniertat die schlieszliglich einen von Ewigkeit her existierenden Jesus fuumlr spaumlter folgende Bekenntnisse ermoumlglichte Professor Loofs sah es ganz klar

Ihre Christologie wirkte sich auf die spaumltere Entwicklung desastroumls aus Indem sie das Konzept des Sohnes Gottes auf einen prauml-exis-tenten Christus transferierten verursachten sie ein ernstes christo-logisches Problem fuumlr das vierte Jahrhundert Sie loumlsten eine Ver-schiebung des Ausgangspunktes des christologischen Denkens aus ndash weg vom geschichtlichen Leben Jesu das in den Schatten gestellt wurde um an dessen Statt die Idee der Inkarnation (oder der Fleischwerdung) zu foumlrdern248

Ein Vergleich zwischen einem Text aus dem Neuen Testament und einer christ-lichen Predigt des zweiten Jahrhunderts moumlge den grundlegenden Wandel veran-schaulichen den die Christenheit in dieser Periode durchmachte In 1 Petrus 120 lesen wir dass bdquoer zwar im Voraus vor Grundlegung der Welt erkannt ist aber am Ende der Zeiten offenbart worden ist um euretwillenrdquo In einem anonymen Text der als 2 Clemensbrief bekannt ist und zwischen 95-145 n Chr datiert wird liest man bdquoChristus war zuerst Geist und wurde dann Fleischrdquo249 Wir koumlnnen hier selber be-obachten wie aus Christus welchen Gott im Voraus erkannte ein Christus wurde der vorgaumlngig ein reales Geistwesen war Die geschichtliche Erscheinung Christi wurde in die Annahme einer menschlichen Gestalt umfunktioniert A von Harnack schrieb dass die Vision von 2 Clemens 95 das bdquogrundlegende theolo-gische und philosophische Bekenntnis darstellt auf dem die gesamten trinitari-schen und christologischen Spekulationen der Kirche der kommenden Jahrhun-derte aufgebaut worden sind und darin wurzelt das orthodoxe dogmatische Sys-temrdquo Die Veraumlnderung des neutestamentlichen Wortlauts in diesem Text spaumlte-ren Datums zeigt bdquoden Ersatz des historischen Jesus durch einen prauml-existenten Christusrdquo auf250

Der goumlttliche Logos der Apologeten des 2 Jahrhunderts wie zB von Justin dem Maumlrtyrer hat weiterhin die Bedeutung des menschlichen Jesus entleert bis er fast verschwunden ist Allerdings finden wir dass in einigen fruumlhchristlichen Kreisen

248 Friedrich Loofs Guide to Studying the History of Dogma (Niemeyer Verlag 1951 [1890]) p 97 249 bdquoDas Dokument das unter dem irrefuumlhrenden Namen zirkulierte ist weder ein Brief noch ein echtes

Werk von Clemens von Rom Es handelt sich um eine anonyme christliche Predigt geschrieben etwa um die Mitte des 2 Jh und waumlhrend sich Forscher uumlber seine Herkunft voumlllig uneins sind gibt es eine Anzahl Indikatoren die auf den Ursprungsort Aumlgypten hinweisenrdquo (Cyril Richardson Early Christian Fathers (New York Simon amp Schuster 1995) p 183)

250 Harnack History of Dogma Vol 1 (1894) p 328

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das Verschwinden bereits stattgefunden hatte Gehen wir einige Jahrzehnte vor Justins Geburt zuruumlck dann begegnen wir einer anderen dynamischen religioumlsen Bewegung welche das Christentum und den Platonismus schon aktiv miteinan-der verschmolzen hatte und zwar beginnend mit den letzten Tagen der Apostel des Neuen Testaments Diese Bewegung forderte den Gott des Judentums in aggressiver Weise heraus und drohte den gerade entstandenen christlichen Glau-ben von innen heraus zu zerstoumlren

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bdquoDenn wenn einer kommt und einen ande-ren Jesus predigt als den wir gepredigt ha-ben so ertragt ihr das recht gutrdquo

mdash Paulus in (2Kor 114)

IE GRIECHEN WAREN DIE GROSSEN MEISTER der Doktrin der unsterblichen Seele Ihr Einfluss war allgegenwaumlrtig und diese Lehre zu-sammen mit dem Konzept des Demiurgs wurde innert kurzer Zeit weit

uumlber die Grenzen Griechenlands hinaus von verschiedenen religioumlsen Gruppen angenommen Eine der Gruppierungen in deren Denken diese Doktrinen spezi-ell stark eingeschlagen haben war die Bewegung der fruumlhen christlichen Gnosti-ker bdquoGnostizismusrdquo ist eine moderne Bezeichnung fuumlr eine Kategorie alter Reli-gionen welche die Errettung der Seele aus dieser materiellen Welt durch die Er-leuchtung mit geheimem Wissen predigten Uumlber die Urspruumlnge des Gnostizis-mus wird unter den Gelehrten noch immer debattiert Einige spekulieren der Anfang datiere weit vor dem Christentum zuruumlck und andere sind sogar der An-sicht alles habe in einem Sektor des unzufriedenen Judaismus begonnen251 Aber die Entdeckung eines geheimen Verstecks von gnostischer Literatur in Nag Ham-madi im Jahre 1945 hat die Wiederaufnahme der Uumlberpruumlfung von vor-christli-chen Hypothesen seither nicht verstummen lassen252 Gewisse Forscher plaumldie-ren sogar dafuumlr dass die Kategorie des bdquoGnostizismusrdquo ganz aufgegeben werde

251 Siehe Carl Smith No Longer Jews The Search for Gnostic Origins (Hendrickson Publishers 2004)

(Nicht laumlnger Juden Die Suche nach den gnostischen Urspruumlngen) 252 Hengel schlieszligt daraus dass bdquoes in den Quellen keinen Gnostischen-Erloumlser-Mythos gab der chronol-

ogisch als vor-christlich dargelegt werden koumlnnte Dieser Stand der Dinge sollte nicht mit einem wirkli-chen Problem des spaumlteren Gnostizismus vermischt werden das abseits des Christentums entstand und das wir im Hermetismus und in einigen der Schriften von Nag Hammadi erkennen Gnostizismus selber

D

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da sie eine Reihe von Sekten unter einem Begriff schwerfaumlllig zusammenzufassen versuche253 Wieder andere Gelehrte finden die Kategorisierung als hilfreich um alle bdquodemiurgischenrdquo und die grundsaumltzlich bdquodualistischen Formenrdquo der christli-chen sowie auch nicht-christlicher Bewegungen zu beschreiben254 In vollem Wis-sen also uumlber die Verfaumlnglichkeit der Terminologie werden wir die Bezeichnung bdquognostischrdquo in dieser Untersuchung weiterhin zu Vergleichszwecken gebrau-chen255

Warum denn ist die Beachtung des gnostischen Christentums speziell wichtig fuumlr unsere Analyse der trinitarischen Entwicklung Die griechischen und lateinischen Kirchenvaumlter selber gaben ja zu dass sie Platoniker waren diese Tatsache ist weit herum bekannt und das moderne Christentum hat sich nicht darum gekuumlmmert Doch alle hochangesehenen bdquoVaumlterldquo die von den Trinitariern stets sehr geschaumltzt wurden verurteilten die gnostische Christologie gleich wie der Apostel Johannes im Neuen Testament Dies ist bedeutsam wie wir in Kuumlrze wenn wir mit unserer Uumlbersicht fertig sind feststellen werden Gewisse Christen des zweiten Jahrhun-derts benutzten in der Kirche houmlchst eigenartige metaphysische Glaubensgrund-saumltze und diese Christen in Wirklichkeit Gnostiker waren Trotz der historischen Verurteilung des Gnostizismus durch die bdquoproto-orthodoxerdquo Tradition kann

wird fruumlhestens am Ende des 1 Jh als geistliche Bewegung sichtbar und entwickelt sich erst richtig im 2 Jhrdquo (Martin Hengel The Son of God (Eugene Wipf amp Stock 1976) p 34) (Der Sohn Gottes) Siehe auch J M Robinson in ldquoSethians and Johannine Thoughtrdquo The Rediscovery of Gnosticism Vol 2 (Leiden EJ Brill 1981) p 662 Die Wiederentdeckung des Gnostizismus) Die Nag Hammadi Bibliothek eine Sammlung von zwoumllf Papyri die 52 Codices von gnostischen Werken in koptischer Schrift enthalten wurde 1945 gefunden diese Papyri waren in Tonkruumlgen im Sand Ober-Aumlgyptens vergraben Die Codices sind wahr-scheinlich dort versteckt worden nachdem Athanasius nicht-kanonische Literatur im Jahre 367 mit dem Bann belegt hatte Diese Werke haben einen bedeutenden Einblick in die unterschiedliche Natur der Christenheit von damals erlaubt doch gleichzeitig auch Zweifel an der gelaumlufigen These verstaumlrkt die Orthodoxie habe sich wie ein Block in den ersten zwei Jahrhunderten entwickelt Vorgaumlngig zu ihrer Veroumlffentlichung waren die Kenntnisse der Gelehrten uumlber den Gnostizismus auf die ablehnenden Schriften von Figuren wie Irenaumlus und Hippolytus beschraumlnkt welche den Gnostizismus als Haumlresie verurteilten

253 Siehe Michael Williams Rethinking Gnosticism (Princeton University Press 1999) 254 Dualismus wird uumlblicherweise als ein Grundprinzip des bdquoGnostizismusrdquo gesehen Jedoch ist der bdquoVal-

entinianismusrdquo die einflussreichste Form des gnostischen Christentums Es handelt sich eigentlich um Monismus [philosophisch-religioumlse Lehre von der Existenz nur eines einheitlichen Grundprinzips des Seins und der Wirklichkeit] und ist ein Ausnahmebeispiel dafuumlr wie schwierig es ist die Bewegungen klar zu kategorisieren

255 bdquo[Williams] anerkennt die gnostischen Unterschiedlichkeiten als Parallelen zu den Unterschieden wel-che die Gelehrten bereits beim Judaismus und dem Christentum erkannt haben Diese Unterschiedlich-keiten lieszlig Jacob Neusner sbquoJudaismenrsquo und Jonathan Z Smith sbquoChristenheitenrsquo vorschlagen als angemes-sene Termini fuumlr diese vielschichtigen religioumlsen Bewegungen Vielleicht sollten wir hier sinngemaumlszlig fuumlr sbquoGnostizismenrsquo oder sbquognostische Religionenrsquo [in der Mehrzahl] plaumldieren als aumlhnliche Anerkennung der Unterschiede der verschiedenen gnostischen Glaubensrichtungenrdquo (Willis Barnstone Marvin Meyer The Gnostic Bible (Boston Shambhala 2006) S 14) Unser Gebrauch des Wortes sbquognostischrsquo scheint durch den Umstand gerechtfertigt gemaumlszlig Irenaumlus von Lyon dass bdquosich die Sether selber als Gnostiker bez-eichnetenrdquo Dies ist die bdquohistorische Basis des Gebrauchs von sbquognostischrsquo zur Selbstbeschreibungrdquo (Ebenso S 15)

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nicht abgestritten werden dass diese gnostische Lehrmeinung einen bdquoweitrei-chenden Effektrdquo auf die bdquonachfolgende Ausbildung der christlichen Doktrin ge-habt hatrdquo256 So betrachtet ist ein Groszligteil der spaumlteren orthodoxen Dogmatik das Ergebnis der vielen Begegnungen zwischen der so genannten Proto-Ortho-doxie (woumlrtliche Uumlbersetzung die Urform der rechten Lehre) mit der Gnosis War es der christlichen Religion im vierten Jahrhundert vielleicht moumlglich die gnostische Theologie in ihrem (fundamental christlichen) Denken aufzuspuumlren einfach weil sie im 2 und 3 Jahrhundert bereits zur Genuumlge mit gnostischem Verstaumlndnis und deren Belangen gesaumlttigt worden war Wie wir sehen werden geschah diese Saumlt-tigung der Kirche in erster Linie durch den Einfluss der alexandrinischen und roumlmischen Schulen Allerdings muumlssen wir in unserer Untersuchung stets vor Au-gen halten wie genau die Gnosis die spaumltere Orthodoxie beeinflusste oder auch wie und weshalb nicht denn dies ist nicht immer offensichtlich Wie der Experte fuumlr Gnostizismus Kurt Rudolph erklaumlrte bdquoDie Verbindungslinien sind oft unterir-dische Kanaumllerdquo257 Waumlhrend in der bdquochristlichen Theologie mit Bestimmtheit gnostische Standpunkterdquo zuruumlckblieben konnten diese nur verewigt werden in-dem bdquodiese gnostischen Ideen und Uumlberlieferungen eine Transformation durch-machtenrdquo258 Viele der am meisten geschaumltzten christlogischen Ideen der heuti-gen Christenheit gehen in Wirklichkeit auf den Druck der Gnostiker zuruumlck wel-che schon fruumlh damit angefangen hatten den geschichtlichen Jesus durch einen vorgefertigten platonischen Rahmen zu pressen Obschon viele Christen gelernt haben dass Gnostisches Gedankengut haumlretisch und gefaumlhrlich ist erscheint der Jesus des orthodoxen Trinitarianismus mit dem mystischen Christus des Gnosti-zismus sehr viel naumlher verwandt zu sein als mit dem apokalyptischen Messias-Koumlnig der Juden Um die Dinge noch verfaumlnglicher zu machen sind fuumlr uns (Christen) im Neuen Testament Beweismittel aufbewahrt gemaumlszlig welchen die Ur-Kirche die Gnostische Christologie aufs Heftigste ablehnte und mit unheilvollen Warnungen zum Widerstand gegen den Antichrist aufrief

DerkosmischeJesusDer direkte apostolische Konflikt mit der gnostischen Bewegung ist in den Auf-zeichnungen des Apostels Johannes die aus dem spaumlten 1 Jahrhundert datieren

256 Rudolph Gnosis p 369 257 Ebenso S 368 258 Ebenso

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leicht zu finden259 Einige sind der Ansicht dass Johannes sein Evangelium zwi-schen 80 und 90 n Chr260 zu Papier brachte um die immer beliebter werdenden gnostischen Theorien zu bekaumlmpfen261 aber die meisten Forscher sind sich einig dass sich seine drei komplementaumlren Epistel [1 2 und 3 Johannes] in ausgespro-chener Weise mit der Widerlegung der Gnosis befassen262

Doch woran glaubten christliche Gnostiker Was machte sie so gefaumlhlich Im Wesentlichen haben die verschiedenen christlich-gnostischen Stroumlmungen aktiv mystische platonische aumlgyptische und oumlstliche Philosophien mit juumldischen und christlichen Lehren vermischt263 So viel wir wissen scheinen die Gnostiker zwar den [primitiven] Glauben von Platon uumlbernommen zu haben unsere materielle

259 Verschiedene gnostische Gruppen fuumlr die uns die Zeit fehlt sie hier zu untersuchen erhoben sich

unter den Juden gegen Ende des 1 Jahrhunderts Diese Faktionen waren die die Eleksaiten die Symma-chianer die gnostischen Ebioniter und andere Fuumlr eine Analyse dieser Bewegungen konsultiere man Kurt Rudolph Gnosis The Nature and History of Gnosticism (Edinburgh T amp T Clark 1983) p 307 (Gnosis Natur und Geschichte) Harnack History of Dogma Vol 1 Ch VI pp 245-246 301-317 (Die Geschichte des Dogmas) Die Kirchenvaumlter zogen die Aufmerksamkeit auf diese Gruppen die sie lauthals verdammten aber Klijn und Reinink legten dar dass die Berichte dieser gnostisch-juumldischen-christlichen Faktionen bdquowenig zu tun hatten mit der juumldischen Christenheitrdquo (A F J Klijn G J Reinink Patristic Evidence for Jewish Christian Sects (Leiden Brill 1973) pp 3-19 52-67) (Patristische Belege der juumldisch-christlichen Sekten) Der Unterschied zwischen diesen Gruppen und der bdquojuumldischen Christenheitrdquo ist unbestreitbar die zen-trale Frage Siehe Ray Pritz Nazarene Christianity (Jerusalem Hebrew University of Jerusalem Press 1988) (Die Nazarener Gemeinschaft) Wie Harnack bemerkte haben die bdquoJuden-Christen keinen nennen-swerten Teil an der Gnostischen Kontroverse gehabt diesem epochemachenden Konflikt der sich in-nerhalb des Zaunes eines breiteren Christentums abspielterdquo (Harnack History of Dogma Vol 1 S 290)

260 For the early date see D A Carson The Gospel According to John (Grand Rapids Eerdmans 1991) p 86 (Fuumlr eine Fruumlhdatierung siehe DA Carson Das Johannesevangelium)

261 bdquoSelbst wenn Irenaumlus nicht versichert haumltte dass Johannes sein Evangelium gegen die Gnostiker schrieb im Besonderen gegen Cerinthus wuumlrde der Inhalt des Evangeliums allein schon zu diesem Schluss fuumlhren Die Reden Christi die Johannes aufzeichnete wurden aus einer ganz anderen Sicht aus-gewaumlhlt als die der uumlbrigen drei Evangelisten Mit der spezifischen Wahl seiner Ausdruumlcke wie sbquoLichtrsquo sbquoLebenrsquo usw zielte Johannes auf die Philosophie der Gnostiker die diese Woumlrter auch brauchten oder besser gesagt missbrauchten Nur wenn Johannes einen Gegner bekaumlmpfen wollte der diese Ausdruumlcke verwendete ist die Wahl dieser Worte zu begruumlndenrdquo (J D Michaelis zitiert in Thomas Horne An Introduction to the Critical Study and Knowledge Vol 2 (New York Robert Carter 1847) p 316)

262 Gelehrte haben laumlngst bestaumltigt dass bdquoJohannes beabsichtigte gewisse gnostische Doktrinen hinsicht-lich Jesus Christus zu verurteilenrdquo (Ben David The Monthly Repository of Theology and General Literature Vol 21 (Hackney Sherwood Gilbert and Piper 1826) p 469)

263 Einige der Sekten lehnten sich sehr an die ost-asiatische Tradition an waumlhrend andere scheinbar die Darlegungen und das religioumlse Denken der alexandrinischen Schulen sprich den Platonismus bevorzugten Die oumlstlich orientierten Sekten gaben dem Zoroastrismus bzw Zarathustrismus den Vorzug eine Persische Religion die noch heute von Millionen von Anhaumlngern praktiziert wird Im Zoroastrismus sind zwei sich gegenuumlberstehende goumltt-liche Kraumlfte im Universum am Werk die bdquoProgressivenrdquo und die bdquoDestruktivenrdquo Die Kraumlfte sind einem einzigen Houmlchsten Gott unterworfen dem Ahura-Mazda der goumlttlichen Verkoumlr-perung der Weisheit Die Dichotomie (= Zweiteilung) zwischen Gut (Geist) und Boumlse (Ma-terie) war ein Dauerthema des gnostischen Denkens Natuumlrlich ist die Frage welche religiouml-sen Stroumlmungen genau das bdquognostische Denkenrdquo befruchteten und welche nicht und sie bleibt eines der groumlszligten Raumltsel der Religionsgeschichte

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physische Welt sei von Natur aus eine minderwertige Oberflaumlche die von einem Demiurg kreiert worden sei doch die meisten Gnostiker gingen noch einen Schritt weiter Waumlhrend Platon vom Demiurg urspruumlnglich eine positive Meinung hatte glaubten die Gnostiker dieser geringere Schoumlpfer sei entweder unfaumlhig oder boumlse gewesen oder sogar beides zusammen264 Das war ein ernst zu neh-mender Bruch mit der herkoumlmmlichen und uumlberlieferten platonischen Sicht Die Neuplatoniker kritisierten denn auch die Gnostiker mit aller Schaumlrfe weil sie so stark von Platon abwichen und den Demiurg sowie seine Schoumlpfung so sehr hass-ten Aus diesen (wenn gleich unterschiedlichen) Gruumlnden hielten die Platoniker und die christlichen Gemeinschaften die Gnostiker fuumlr Haumlretiker265

Die Gnostiker sagten dass der arge Demiurg-Schoumlpfer kein anderer sei als JHWH der Gott des Alten Testaments Des Weiteren sagten sie da die Welt vom boumlsen Gott des Alten Testaments erschaffen worden sei die gesamte Materie inhaumlrent boumlse sei und von der unsterblichen Seele verabscheut werden sollte da sie sich vom Koumlrper mittels der Erleuchtung durch geistliches Wissen (die Gno-sis) befreien koumlnne Das ultimative Schicksal des erleuchteten Gnostikers war die platonische Befreiung von aller Materie und eine Existenz als koumlrperloses Wesen in einem houmlheren goumlttlichen Bereich266

Die gnostische Vision von Jesus war wohl ihre wichtigste und beruumlchtigtste In-novation Die fundamentale gnostische These war dass Christus von Natur aus ein Geistwesen ja ein Gott gewesen sei267 Die meisten Platoniker wie Justin der Maumlrtyrer zogen eine scharfe Trennlinie zwischen der unveraumlnderbaren goumlttlichen Welt und der sich stets aumlndernden niedrigeren Welt sie konnten sich nicht vor-

264 Dieser Schoumlpfer-Gott war boumlse unwissend und sogar unfaumlhig Gutes zu tun Exakt aufgrund dieser

Inkompetenz landete die gnostische Seele in der Knechtschaft des Physischen Dieser Gott wurde auch schlieszliglich fuumlr die Katastrophe im Garten Eden verantwortlich gemacht In bestimmten gnostischen Werken wie im Zeugnis der Wahrheit werden Eva und die Schlange dargestellt als ob sie den Schoumlpfer haumltten uumlberlisten wollen Siehe Elaine Pagels The Gnostic Gospels (New York Vintage Books 1979) pp xiii-xxiii (Die gnostischen Evangelien) Die Valentinianer bilden hier eine Ausnahme wie in mehreren gnos-tischen Belangen denn sie sehen den Demiurg zwar als eine geringere jedoch immer noch positive Figur

265 Siehe Plotinus ldquoAgainst the Gnosticsrdquo in The Enneads (Gegen die Gnostiker in den Enneaden 29) Plotin zieht die Unsinnigkeit der Wirklichkeitsflucht der Gnostiker wie er sie sieht ins Laumlcherliche bdquoAber aus Nichtachtung dieser Weltschoumlpfung und dieser Erde sagen sie fuumlr sie gebe es eine neue Erde in die sie naumlmlich von hier aus gelangen wuumlrden und dies sei der Begriff der Welt (logos) Und doch was liegt ihnen daran in das Vorbild der Welt zu gelangen die sie hassenrdquo (Enneaden 295) Plotin fordert sie schlieszliglich heraus dass wenn sie schon so darauf erpicht seien diese Welt zu verlassen sie sich auch gleich selbst umbringen koumlnnten Siehe Williams Rethinking Gnosticism pp 134-135

266 Die volkstuumlmliche Christenheit verbreitet in ihren Lehren auch heute immer noch die Idee dass der Mensch beim Tod diese physische Welt verlasse und in einen houmlheren geistlichen Bereich aufsteige sprich bdquoin den Himmel geherdquo Siehe Buzzard Our Fathers Who Arenrsquot in Heaven 1999

267 Harnack History of Dogma Vol 1 (1894) p 193

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stellen dass der houmlchste Gott herunterkaumlme und sich mit der Menschheit verei-nige268 So war Christus fuumlr Justin der demiurgische Vermittler zwischen den Wel-ten Die Gnostiker hingegen kannten keine solchen Restriktionen Fuumlr sie war Christus eine eigentliche Ausstroumlmung [Emanation] des houmlchsten Gottes Dieser gute Gott war das genaue Gegenteil des boumlsen Schoumlpfer-Demiurgen und er war es der Christus auf die Reise zur Erde hernieder sandte um die menschliche Rasse aus den Faumlngen des Gottes des Alten Testaments zu retten Doch dieser goumlttliche Christus der nicht vom Demiurg erschaffen worden war konnte nicht im Fleisch zu den Menschen kommen (ansonsten waumlre er ja auch boumlse gewesen) Die offene Frage fuumlr die Gnostiker war natuumlrlich wie sie mit dem in den Evan-gelien beschriebenen sichtbaren Dienst Jesu [auf Erden] umgingen Es gab meh-rere Wege uumlber welche die verschiedenen Schulen versuchen konnten das Prob-lem zu loumlsen Dies sind die drei hauptsaumlchlichen gnostischen Christologien die vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts in Erscheinung traten

1) Doketismus Gemaumlszlig dieser Sichtweise die von Markion (85 ndash 160 n Chr) verbreitet wurde war Christus vollkommen geistlich Der Retter schien eine physische Gestalt zu haben seine Erscheinung jedoch war ein Phantasma ein Trugbild Der doketische Jesus hat nur den Eindruck erweckt Nahrung benoumltigt zu haben gelitten zu haben und gekreuzigt worden zu sein da er nicht wirklich ein Mensch war sondern ein goumlttliches Wesen hat er Menschgestalt nur angezogen Dies ist das vorherrschende Bild das in der gnos-tischen Christologie heraufbeschworen wurde

2) Kerinthischer Possessionismus Gemaumlszlig der Ansicht von Kerinthus (vom 1 - 2 Jh n Chr) waren der menschliche Jesus und der goumltt-liche Christus zwei verschiedene Einheiten Jesus wurde nicht von einer Jungfrau geboren sondern war der leibliche Sohn von Maria und Joseph Christus kam bei seiner Taufe auf den Mann Jesus hernieder und blieb waumlhrend seines Dienstes auf ihm Bei der Kreuzigung verlieszlig der Christus den Jesus sodass nur das mensch-liche Wesen allein den Tod erlitt

3) Valentinianismus Valentinus (100 ndash 160 n Chr) hatte zwei Schulen gegruumlndet Diese lehrten dass Jesus aus dem Himmel in einem be-sonderen vergaumlnglichen menschlichen Koumlrper hernieder gekom-men sei Dieser Jesus sei durch die Jungfrau Maria geboren wor-den und der Christus haumltte sich mit ihm entweder bei der Geburt oder bei seiner Taufe verbunden Die menschliche Natur habe

268 See Broek p 197 Justin Martyr Dialouge with Trypho 60

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Schmerzen und den Tod erlitten waumlhrend die goumlttliche Natur uumlberlebte269

Entgegen diesen gnostischen Lehren legte der Apostel Johannes dar dass der Schoumlpfergott des Alten Testaments und Jesus in perfekter Harmonie waren und dass Jesus infolge seines wirklichen Mensch-Seins in die von Gott geschaffene materielle Welt eingebunden war Um die Gnostiker zu bekaumlmpfen sah sich Jo-hannes veranlasst an den Anfang zuruumlckzugehen und zu bezeugen dass bereits vor der Schoumlpfung Gott fuumlr die Welt eine goumlttliche Idee oder einen weisen Plan hatte eine Absicht die voumlllig im Einklang mit seiner eigenen Guumlte war Im Ge-gensatz zum gnostischen Christus der angeblich kam um des alten Schoumlpfers Lauf der Welt zu aumlndern und sein Programm umzuschreiben zeichnete Johannes in sei-nen Schriften Jesus als den eigentlichen geistlichen Mittelpunkt von Gottes Ziel und Zweck dieser Welt Es entsprach der Weisheit und der Absicht des Schoumlp-fers dass sich schlieszliglich alles in der Person und im Werk von Jesus manifestierte und dies ist die Erklaumlrung im beruumlhmten Prolog von Johannes 11-15270

In seine Episteln schrieb Johannes gegen die doketische gnostische Christologie und sagte bdquoHieran erkennt ihr den Geist Gottes Jeder Geist der Jesus Christus im Fleisch gekommen bekennt ist aus Gott und jeder Geist der nicht Jesus bekennt ist nicht aus Gott und dies ist der Geist des Antichrists von dem ihr gehoumlrt habt dass er komme und jetzt ist er schon in der Weltrdquo (1 Johannes 42-3) Johannes argumentierte dass Jesus wirklich bdquoen sarxrdquo zu ihnen gekommen sei dh in den bdquoMenschheitsbereichrdquo als ein bdquomenschliches Wesenrdquo271

Mit anderen Worten sagte Johannes dass der wirkliche Jesus eine materielle Exis-tenz als eine echt menschliche Einheit genoss und er deshalb keinesfalls nur eine doketische Emanation war wie die Gnostiker behaupteten Fuumlr Johannes gehoumlrte die Person Jesus vollkommen und unzweideutig in den Menschheitsbereich272

269 Dies repraumlsentiert die bdquowestlicherdquo Schule des Valentinianismus wie er von Ptolemaumlus und Herakleon

dargelegt wurde Die valentinische Christologie war ungebunden und vielschichtig die Ansicht der bdquooumlstlichenrdquo Schule koumlnnte vielleicht sogar als bdquodoketischerdquo bezeichnet werden im Sinne von scheinbar nur einem goumlttlichen Christus der einen rein geistlichen Koumlrper annahm und durch eine Jungfrau ge-boren wurde

270 Der Gebrauch der Logos-Terminologie wird spaumlter in diesem Buch behandelt 271 bdquoSarxrdquo kann als bdquoKoumlrperrdquo uumlbersetzt werden oder auch als bdquoMenschrdquo Andere Definitionen geben dieses

Wort wieder als bdquoein lebendes Wesenrdquo bdquoein Menschrdquo hellip bdquoeine menschliche Natur einschlieszliglich die Seelerdquo Bei Johannes ist Christus einfach bdquoim Fleischrdquo dh Jesus benutzt nicht einen unpersoumlnlichen Koumlrper als Vehikel oder als eine Abstraktion die einer goumlttlichen Person angehaumlngt ist Viel eher ist der Zustand des historischen Jesus umschrieben wie er lebte und wirkte bdquoim Fleischrdquo das bedeutet als ein wirkliches menschliches Wesen Reale Humanitaumlt setzt nicht ein abstraktes Fleisch oder eine bloszlige [mentale] Erfahrung voraus sondern eine wirkliche menschliche Psyche und Persoumlnlichkeit

272 Hier muumlssen wir betonen dass Johannes den Terminus bdquosarxrdquo nicht als eine Verkapselung einer anach-ronistischen Trinitaumltsdoktrin verwendet hat Wir sollten aus seiner Polemik keinen anderen Schluss ziehen als dass er Jesus voll und ganz als Menschwesen bestaumltigt In den Notizen des klassischen Trin-itariers Albert Barnes zu 1 Johannes 42 finden wir eine interessante Auseinandersetzung Barnes

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Trotz der Anstrengungen der Apostel scheinen sich Elemente des gnostischen Jesus ab dem 3 Jahrhundert nach Christi Geburt in der weiteren christlichen Welt vor allem in Alexandria festgesetzt zu haben Wie wir heute wissen gedieh schon im 2 Jahrhundert eine bdquophilosophische Interpretationrdquo der christlichen Religion praumlchtig in Alexandria und in den Aumluszligerungen der einflussreichsten Stimmen dieses synkretistischen Milieus koumlnnen wir die gnostischen Artefakte entdecken Clemens von Alexandria (150-215 n Chr) und Origenes (184-254 n Chr) die zwar beide die Koumlrperlichkeit Christi anerkannten scheinen sich zu-ruumlckgehalten zu haben was die volle und normative menschliche Erfahrung Jesu anbetrifft Origenes lehrte dass die sterbliche Eigenschaft des Koumlrpers Jesu aumlthe-risch und goumlttlich gewesen sei bdquound dass sich die Materie seines Koumlrpers foumlrmlich veraumlndert habe je nachdem wer ihn angeschaut haberdquo273 Der Gnostiker Valen-tinus sagte ebenfalls dass bdquoChristi Fleisch geistlichldquo gewesen seirdquo274 und dass Jesus zwar bdquoaszlig und trankldquo aber dass er nicht bdquo[Kot] ausscheidenrdquo musste275 Der christliche Clemens schrieb

Es ist laumlcherlich dass der Koumlrper eben da er ein Koumlrper war die noumltigen Mittel zu seinem Unterhalt brauchte Er aszlig nicht um des Koumlrpers willen der seinen Unterhalt [eben] von einer heiligen Macht erhielt sondern um derentwillen in seiner Gesellschaft da-mit diese Leute nicht ploumltzlich anfingen anders uumlber ihn zu denken

schlieszligt zunaumlchst dass Johannes einfach vorbrachte bdquodass der Sohn Gottes in der Tat Mensch warrdquo Dieser kurzen und zutreffenden Bewertung widerspricht Barnes jedoch sogleich durch seine eigene sekundaumlre Spekulation dass Johannes gesagt habe ein goumlttliches Wesen bdquohabe eigentlich menschliche Natur in permanenter Verbindung mit dem Goumlttlichen angenommenrdquo Dies ist doch einfach nur Spekulation Spaumlter fasst Barnes zusammen bdquoDer Punkt dieser Bemerkung des Apostels ist das Christus wohl menschliche Natur angenommen hatte und dass er wirklich der Mensch war als der er erschienrdquo Das ist wiederum korrekt Doch Barnes fuumlhlt sich veranlasst etwas zuzufuumlgen hellip oder war da eine wirkliche Fleischwerdung [eines goumlttlichen Wesens] Trini-tarische Kommentatoren fuumlhlen sich genoumltigt zu den streitbaren doktrinaumlren Aussagen von Johannes eine weitere Polemik hinzuzufuumlgen obschon Johannes nichts anderes sagte als dass man sich Jesus als wirkliches menschliches Wesen vorstellen sollte Nichts hier weist unmissverstaumlndlich auf des Apostels Darlegung einer Inkarnation hin das heisst dass da eine zusaumltzliche goumlttliche Natur neben der menschli-chen anwesend waumlre

273 Origen Against Celsus 3 41 Origenes sagte dass der materielle Koumlrper Jesu eine Eigenschaft hatte von der man sagte bdquoEr hatte keine Gestalt und keine Prachtrdquo Und ein anderes Mal hatte er die Eigen-schaft so herrlich und auffallend und wunderbar zu sein dass die Apostel auf ihr Angesicht fielen (Contra Celsum 6 77) Chadwick schreibt bdquoDies ist eine Tradition gnostischen Ursprungs (Acts of John 93) wo Johannes sagt sbquoManchmal wenn ich ihn anfasste beruumlhrte ich einen materiellen und soliden Koumlrper und zu anderen Malen wenn ich ihn fuumlhlte da war die Substanz nicht materiell so wie wenn sie uumlberhaupt nicht existiertelsquo ldquo (Henry Chadwick Origen Contra Celsum (Cambridge CUP 1980 [1953]) p 390)

274 Tertullian De Carne Christi 15 1 275 Douglas Biow The Culture of Cleanliness (London Cornell University Press 2006) p 146

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Er war grundsaumltzlich emotionslos und keine Gefuumlhlsbewegung konnte Ihn durchdringen weder Freude noch Schmerz276

Es faumlllt sogleich auf dass sich diese Ideen schwierig mit den Lehren des Neuen Testaments vereinbaren lassen insbesondere mit der biblischen Tatsache dass Jesus bdquoin allem den Bruumldern gleichrdquo war (Hebr 217) und bdquoin jeder Beziehung ganz Menschrdquo und bdquoein Hohepriester der mitfuumlhlen konnte mit unserer Schwaumlcherdquo (Hebr 415) Aumlhnlich dem gnostisch-doketischen Christus und der quasi menschlichen Figur vieler alexandriner Christen so verhaumllt es sich auch mit dem spaumlteren trini-tarischen Jesus des vierten Jahrhunderts der Orthodoxie In der Beschreibung des Neuen Testaments erscheinen sie alle fragwuumlrdig Jesus wird von diesen Lehren mal eine unverstaumlndliche Existenz als houmlchstes Wesen zugeschrieben mit mul-tiplen Naturen Denken und Willen ndash oder er wird als eine Intelligenz aus einer anderen Welt ohne Anfang und ohne Ende dargestellt jemand der nicht der echten Vergaumlnglichkeit der Menschen unterworfen ist sondern der gleich ist dem allmaumlchtigen Gott In diesem Kapitel und den folgenden wie seit den ersten Jahr-hunderten der Christenheit und durch die Reformation hindurch bis hin in unsere moderne Aumlra es der Christenheit nie gelungen ist den Widerspruch von Christi unterschiedlichen Naturen zu loumlsen und zwar in einer Weise die sowohl oumlkume-nisch nachhaltig und als auch gegen die Fehler der gnostischen Christologie wi-derstandsfaumlhig waumlre

DoketismusundderorthodoxeJesusZunaumlchst untersuchen wir den latenten Doketismus in der orthodoxen Darle-gung von Jesus und seiner Menschlichkeit Gemaumlszlig der Orthodoxie ist die zweite Person der Trinitaumlt ein von Ewigkeit her existierender Gott der Sohn der aus dem Himmel herniederkam um sich mit der bdquomenschlichen Natur zu verbin-denrdquo277 Es wurde behauptet dass die menschliche Natur ihre Persoumlnlichkeit nicht uumlbertragen habe es waren daher nicht zwei Personen in Christus Genau um dieses Thema zu debattieren wurde das Konzil von Ephesus (431) einberu-fen und es wurde bestaumltigt dass Christus nur eine Person war ndash allerdings eine Person mit zwei Naturen Daraus ergab sich die Anerkennung dass der Sohn bei der Fleischwerdung (Inkarnation) einfach die unpersoumlnliche menschliche Natur angenommen habe278 Ein moderner Trinitarier muss zugeben dass bdquodie Menschlichkeit die in die Person des Logos aufgenommen wurde nicht ein per-

276 William A Jugens The Faith of the Early Fathers Vol 1 (Collegeville The Liturgical Press 1970) p 184 277 Thomas Ridgley A Body of Divinity Vol I (Philadelphia William W Woodward 1814) pp 288-289

(Ein Koumlrper der Goumlttlichkeit) 278 A E Whatham ldquoThe Psychology of the Incarnationrdquo The Church Eclectic Vol 26 (Chicago University

of Chicago 1898) pp 822-824 (Eklektizismus der Kurche)

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soumlnlicher Mensch ist sondern menschliche Natur ohne persoumlnliche Subsis-tenzrdquo279 Christus sollte man deshalb nicht als Mensch denken sondern als eine persoumlnlichkeitslose Abstraktion vereint mit Gott

Der Heilige Thomas von Aquin (1225 - 1274 n Chr) einer der einflussreichsten trinitarischen Theologen aller Zeiten schrieb in seiner Entgegnung auf Einspra-chen gegen die Inkarnation dass der Logos bdquoseine Persoumlnlichkeit nicht aus der menschlichen Natur hat sondern eher diese menschliche Natur zu seiner eigenen Subsistenz oder Persoumlnlichkeit zieht Ja Christus ist eine Person aber keine andere Person als die Person des Logosrdquo280 Thomas von Aquin legt dieses Ver-staumlndnis auch unter den Entwicklern der Trinitaumlt offen bdquoUnd damit sind einige der alten Gelehrten einverstanden die darlegten dass die menschliche Natur in Christus ein Instrument seiner Goumlttlichkeit sei wie der Koumlrper ein Instrument der Seele seirdquo281 Die wichtige Fuszlignote eines Gelehrten zu diesem Kommentar offenbart dass dieses trinitarische Verstaumlndnis bdquoeher auf einer platonischen An-sicht der Beziehung zwischen Seele und Koumlrper gegruumlndet ist und dies uumlber-rascht nicht wenn man die Verehrung der alten Vaumlter kennt allen voran der Ale-xandriner mit der sie Platon begegnetenrdquo282 Aber die Trinitarier der Antike und die Trinitarier des Mittelalters wie Thomas Aquin sind nicht die einzigen die dieses Verstaumlndnis hegten Moderne Apologeten wie jener der populaumlren Desiring God Ministries deren Leiter der Theologe John Piper ist erklaumlren sich von ganzem Herzen damit einverstanden

Die Art der Humanitaumlt (der Menschheit) die Jesus in seiner Fleischwerdung (Inkarnation) annahm war unpersoumlnlich Er hat nicht eine menschliche Person zu sich hinzugefuumlgt Seine Humani-taumlt ist nicht nur unpersoumlnlich (= anhypostasis) sie ist auch in-persoumln-lich (das ist was enhypostasis woumlrtlich transkribiert bedeutet) Ihre Persoumlnlichkeit liegt in der Persoumlnlichkeit der ewigen zweiten Person der Trinitaumlt Der vollkommen goumlttliche Sohn (Gott Sohn) ist die Person welche die volle Menschheit angenommen hat283

279 Heinrich Heppe Reformed Dogmatics (Eugene Wipf amp Stock Publishers 2007) p 416 280 Thomas Aquinas Summa Contra Gentiles 4 281 Ebenso 282 Joseph Rickaby Saint Thomas Aquinasrsquo Of God and His Creatures An Annotated Translation (Lon-

don Burns amp Oates 1905) p 373 283 David Mathis ldquoEnhypostasis What Kind of Flesh Did the Word Becomerdquo Desiring God 25 Dezem-

ber 2010 Web 27 July 2015 (Enhypostasis Was fuumlr eine Art Fleisch ist das Wort geworden) Enhypostatisch bezeichnet etwas was seine Hypostase in einem anderen durch ein anderes oder dank einem anderen Sein hat Die Enhypostasie-Lehre wurde von Leontius von Byzanz entwickelt Amn d Uuml

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Ganz klar wenn wir uns an die strenge Orthodoxie halten dann muumlssen wir zu-geben dass die menschliche Person Jesus nicht einmal existiert - die bdquoMensch-heitrdquo (Humanitaumlt Jesu) ist nur eine Abstraktion mit der sich die bereits existie-rende Substanz Gottes verstrickt Ein kluger Professor der Theologie in Cambridge sieht auf dem Weg auf den die orthodoxe Christologie immer wieder fuumlhrt eine groszlige Gefahr lauern naumlmlich die subtile Umarmung des doketischen (= gnostischen) Jesus

Das christologische Konzept des prauml-existierenden goumlttlichen Soh-nes reduziert die wirkliche sozial und kulturell bedingte Persoumln-lichkeit Jesu auf eine metaphysische Abstraktion die bdquomenschliche Naturrdquo Diese menschliche Natur nach der klassischen Alexand-rinischen Tradition wurde in der goumlttlichen Person des Sohnes en-hypostatisiert (siehe Fuszlignote 283) sie wurde zur menschlichen Natur eines goumlttlichen persoumlnlichen Subjekts Nach dieser Christologie nimmt der ewige Sohn eine zeitlose menschliche Natur an oder macht sie zeitlos indem er sie sich zu eigen macht es ist die menschliche Natur die den geografischen Gegebenheiten nichts Wesentliches schuldet es entspricht der konkreten Welt in nichts Jesus [in dieser Sichtweise] ist schlieszliglich nicht wirklich bdquoim Fleisch gekommenrdquo284

Buzzards Notiz zu Lampes Schlussfolgerung ist wichtig bdquoIch brauche kaum da-rauf hinzuweisen was die scharfe Kritik des gelehrten Professors bedeutet Die traditionelle Ansicht dass Jesus ein goumlttliches persoumlnliches Zentrum oder ein Ego hatte das mit einer unpersoumlnlichen menschlichen Natur vereint ist gilt als die von Johannes verurteilte antichristliche Sichtrdquo285

Tatsaumlchlich lehrte Johannes dass die Person namens Jesus Christus wirklich ein Mensch war286 und die Bibel beschreibt Jesus viele Male deutlich als bdquoeinen Men-schenrdquo (Apg 222 Joh 840)287 Aber beachten wir den sorgfaumlltigen Wortlaut der

284 Geoffery Lampe God as Spirit (Norwich SCM Press 1977) p 144 285 Anthony Buzzard ldquoWhatrsquos in a Wordrdquo Focus on the Kingdom Web 27 February 2015

lthttpfocusonthekingdomorgarticleswordhtmgt 286 Jesus wird im ganzen NT als bdquoanerrdquo (ein maumlnnlicher Mensch ein Mensch) und bdquoanthroposrdquo (ein

Mensch ein Mensch der Menschheit) beschrieben Erinnern wir uns nochmals an die primaumlre Zusam-menfassung von Barnes von 1 Johannes 42 mit der Absicht zu zeigen bdquodass der Sohn Gottes wirklich ein Mensch warrdquo Wir muumlssen darauf achten nur das zu akzeptieren was Johannes sagt dh nur die Anerkennung Christi als einen echten Menschen und wir muumlssen noch mehr darauf achten dass wir nicht die dualistische Inkarnations-Christologie der valentinischen Gnostiker in den Mund des Apostels legen der geschrieben hat um die gnostische Sichtweise zu besiegen

287 Biblische Aussagen in denen Jesus ausdruumlcklich bdquoein Menschrdquo ist beinhalten Lukas 2419 Joh 130 Joh 327 Joh 840 Apg 222 Apg 1731 Roumlm 515 1 Kor 1521 1 Kor 1547 1 Tim 25

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heutigen trinitarischen Apologeten bdquoJesus Christus ist Gott und Menschrdquo288 das heiszligt im Klartext er ist kein Mensch JI Packer bestaumltigt dass wir im orthodoxen Jesus bdquodie Vereinigung von Gottheit und Menschhkeitrdquo haben 289 Wir erlauben es dem Trinitarier weiter zu praumlzisieren

Jesus war nicht immer Mensch Das fantastische Wunder ist dass dieser ewige Gott vor etwa 2000 Jahren bei der Inkarnation Mensch wurde Das ist es was die Inkarnation war - Gott der Sohn wurde Mensch Aber was genau meinen wir wenn wir sagen dass Gott der Sohn Mensch geworden ist Wir meinen doch sicherlich nicht dass Er sich in einen Menschen verwandelt hat Jesus hat bei der Inkarnation keines seiner goumlttlichen Attribute aufgegeben [die Inkarnation bedeutet] Gott hat die Menschheit [die Humanitaumlt] zu sich genommen290

Das Wesen der doketischen Christologie der Gnostiker war auch dass der Chris-tus bdquonicht irgendein Menschrdquo war sondern Gott der die Form eines Menschen fuumlr sich selbst angenommen hat Auch in den kerinthischen und valentinischen Christologien ist Christus kein bdquoMenschrdquo sondern Gott der einen Menschen uumlberschattet und seine Eigenschaften seinem goumlttlichen persoumlnlichen Zentrum unterworfen hat ohne die vollstaumlndige und funktionale menschliche Natur zu beeintraumlchtigen Alle diese gnostischen Christologien stimmen in diesem Punkt mit der spaumlteren christlichen Orthodoxie uumlberein Der goumlttliche Erloumlser warist nicht bdquoein Menschrdquo sondern Gott vereint mit menschlichen Qualitaumlten (entwe-der spirituell oder real)

JohannesgegenKerinthusDie christologische Polemik des Apostels Johannes kann durchaus als direkte Widerlegung der doketischen Sichtweise verstanden werden Er kann aber auch darauf abgezielt haben den bdquoPossessionismusrdquo von Kerinthus zu widerlegen den Kerinthus wahrscheinlich nicht selbst erfunden sondern sich selber zu seinem Champion gemacht hat291 Eine weitere (Irr-)Lehre von Kerinthus war dass der Christus bei seiner Taufe auf Jesus herabgestiegen war bdquoJesus Christusrdquo war nicht eine Person sondern zwei bdquoJesusrdquo war im Fleisch gekommen aber bdquoChristusrdquo

288 Matt Perman ldquoHow Can Jesus Be God and Manrdquo Desiring God 5 October 2006 Web 25 July 2015

unsere Hervorhebung (Wie kann Jesus Gott und Mensch sein) 289 JI Packer Knowing God (Downers Grove IVP 1993) p 53 290 Perman unsere Hervorhebung 291 Hippolytus sagt dass Kerinthus zuerst in aumlgyptischer Weisheit erzogen wurde Laut Irenaumlus scheint er

jedoch seinen Ursprung in Asien zu haben und Irenaumlus Geschichte uumlber den Konflikt zwischen Ker-inthus und Johannes spielt sich in Ephesus ab Siehe C Wilfred Griggs Early Egyptian Christianity From Its Origins to 451 CE (Leiden Brill 2000) p 47 (Fruumlhes aumlgyptisches Christentum Von den Anfaumlngen bis 451)

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war nicht im Fleisch gekommen Johannes scheint diese Unterscheidung aufs Vi-sier zu nehmen indem er sagt bdquoViele Verfuumlhrer sind in die Welt hinausgegangen dieje-nigen die Jesus Christus nicht als im Fleisch kommend anerkennen Das ist der Betruumlger und der Antichristrdquo (2 Joh 17) Dass die kerinthische Christologie das Ziel dieser War-nung hier von Johannes war oder eine zusaumltzliche Zielidee wird durch den His-toriker Irenaumlus verstaumlrkt der einen persoumlnlichen Konflikt zwischen Johannes und Kerinthus erwaumlhnt292 Die Schriften des Johannes einschlieszliglich seines Evange-liums wurden von den Kirchenvaumltern tatsaumlchlich als bdquoein Gegenmittel gegen diese Ketzereirdquo293 angesehen und es gibt Gruumlnde diese Ansicht zu respektieren Wir denken an den ausdruumlcklichen Grund weshalb Johannes das vierte Evange-lium verfasste bdquoDiese aber sind geschrieben damit ihr glaubt dass Jesus der Christus ist der Sohn Gottes und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namenrdquo (Joh 2031) Diese Aussage stimmt mit den Gefuumlhlen in seinem anti-gnostischen Brief uumlberein (1 Joh 513) Fuumlr Johannes sind Jesus und der Christus ein und dieselbe Person und diese Einheit ist wirklich menschlich

Wenn nun moderne Christen die gnostische Christologie und das Argument des Johannes dagegen houmlren denken sie oft an einen reinen Doketismus der das Mensch-Sein Christi voumlllig verleugnet hat Aber die uumlbergeordnete Sorge des Jo-hannes ist einfach dass die Person der Mensch namens bdquoJesus Christusrdquo durch eine [weithergeholte] Verbindung mit einem goumlttlichen Wesen kompromittiert wird und diese Bloszligstellung wird von allen gnostischen Christologien erreicht Besonders bemerkenswert fuumlr unsere Studie ist die Tatsache dass weder Kerin-thus noch Valentinus die Humanitaumlt (das Mensch-Sein) des Erloumlsers verleugnet haben die Humanitaumlt wohnte [angeblich] neben der Goumlttlichkeit und spielte eine wichtige Rolle zum Erlangen des Heils Das Schreiben von Johannes gegen die kerinthische Vision und damit gegen eine Christologie die zwischen dem wahr-haft Menschlichen und dem wahrhaft Goumlttlichen im Erloumlser unterscheidet hatte ernsthafte Auswirkungen auf das orthodoxe Christentum

DervalentinischeChristusIm valentinischen Gnostizismus finden wir die alarmierendsten Verbindungen zur orthodoxen Christologie Der Valentinismus die populaumlrste und am weites-ten verbreitete der christlich-gnostischen Schulen wurde in der ersten Haumllfte des

292 Siehe Irenaumlus Gegen Ketzerei 3 11 1-2 Laut Irenaumlus erzaumlhlte Polykarp eine Geschichte die ihm der

Apostel Johannes uumlberliefert hatte Johannes war einmal in ein Badehaus in Ephesus eingetreten und als er sah dass Kerinthus im Inneren war stand er auf und eilte aus dem Gebaumlude und sagte bdquoLasst uns fliehen damit nicht sogar das Badehaus einstuumlrzt denn Kerinthus der Feind der Wahrheit ist im In-nerenrdquo (Ebenso 3 3 4)

293 J B Lightfoot The Apostolic Fathers Part II S Ignatius S Polycarp (London Macmillan and Co 1889) pp 379-383

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zweiten Jahrhunderts von dem brillanten und eloquenten gnostischen Lehrer Va-lentinus (gest 160 n Chr) gegruumlndet Valentinus studierte zuerst in Aumlgypten und ging um 136 n Chr nach Rom294 um dort zu lehren Der Einfluss der groszligen und vielfaumlltigen Sekte die von ihm gelernt hat (und die oft weit uumlber seine ur-spruumlngliche Vision hinaus ausgearbeitet wurde) ist noch nicht ausreichend und umfassend gewuumlrdigt worden Wie moderne Gelehrte zeigen bdquowaren die valenti-nischen Anhaumlnger weit davon entfernt nur eine lokale Sekte von begrenztem Interesse zu sein denn ihre Ideen durchdrangen das ganze Christentumrdquo295 Sie waren zweifellos einer der gefaumlhrlichsten Feinde der proto-orthodoxen Christen und Justin Irenaumlus Hippolytus und Tertullian schrieben alle temperamentvolle fast verzweifelte Bitten an die christliche Welt sich ihrer Theologie zu widerset-zen Hippolytus berichtet dass es tatsaumlchlich eine Spaltung unter den Valentinia-nern gab sie waren offensichtlich in ausgedehnte Regionen von Ost und West unterteilt und Hippolytus informiert uns dass diese Spaltung der Schulen uumlber die Einzelheiten der erstaunlichen valentinischen Christologie erfolgte296 Valen-tinus selbst dessen Sichtweise offenkundig der bdquooumlstlichenrdquo aumlhnelt hatte einen anderen gnostischen Jesus dargestellt Auch in dem bisher beschriebenen Doke-tismus hatte der Christus keinen wirklichen (menschlichen) Koumlrper sondern schien nur einen fuumlr die begrenzten Gemuumlter in seiner Umgebung zu haben Nach kerinthischer Auffassung war Jesus der wahre menschliche Sohn von Josef und Maria bei seiner Taufe zeitweilig von Gott besessen Im System von Valentinus hingegen hatte der goumlttliche Christus einen Koumlrper und dieser Koumlrper war durch die Jungfrau Maria geboren worden Ein Lexikon dokumentiert das wie folgt

Es scheint dass Valentinus nur teilweise doketisch war Er gab zu dass Jesus einen echten Koumlrper besaszlig der in der Lage war die Sinne wirklich zu beeinflussen Er argumentierte dass wenn un-ser Herr nicht die Substanz des Fleisches im Schoszlig der Jungfrau

294 ldquoValentius (Gnostic)rdquo Encyclopedia Britannica 1911 Web 29 September 2014 295 Griggs p 55 unsere Hervorhebung 296 Hippolytus Refutation of All Heresies - Widerlegung aller Ketzereien 6 35 Moderne Gelehrte unter-

scheiden ebenfalls oft zwischen dem bdquooumlstlichenldquo oder bdquoasiatischenldquo Valentinianismus und dem bdquoitalien-ischenldquo oder bdquowestlichenldquo Valentinianismus Kalvesmaki stellte in seinem Artikel von 2008 diese geo-grafische Einteilung auf der Grundlage unzuverlaumlssiger historischer Zeugnisse in Frage (Joel Kalvesmaki bdquoItalienischer versus oumlstlicher Valentinianismusldquo) Vigilae Christianae Band 62 (Leiden Brill 2008) S 79-89) Unabhaumlngig davon hatte Christus in dieser angeblich bdquooumlstlichenldquo Version (anscheinend die aumlltere Sichtweise) nur einen geistlichen pneumatischen Koumlrper Im Westen hatte Christus sowohl einen geist-lichen als auch einen psychischen Koumlrper Die Gruumlnde fuumlr diese Unterscheidung waren soteriologischer Natur Die Gnostiker behaupteten pneumatische Naturen zu haben waumlhrend die nicht-gnostischen Christen psychische Naturen hatten - die nicht-gnostischen Christen benoumltigten einen psychischen Jesus um sie am Kreuz zu retten Der westliche Zweig glaubte also dass die Christen auch ohne Gnosis ger-ettet werden koumlnnten aber die hylic (materiellen) Voumllker die Nicht-Christen waren ohne Erloumlsung Siehe R van den Broek Gnostic Religion in Antiquity (Cambridge CUP 2013) pp 193ff (Gnostische Religion in der Antike)

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angenommen haumltte er nicht der wahre Mensch haumltte sein koumlnnen der Hunger Durst und Muumldigkeit litt der am Grab des Lazarus weinte der Blutstropfen schwitzte aus dessen verwundeter Seite Blut und Wasser hervorgingen297

Gemaumlszlig dieser Gruppe gnostischen Denkens war bdquodie Menschwerdung und der Kontakt mit dem physischen Koumlrper real sie betonten die Verbindung zwi-schen den goumlttlichen und menschlichen Elementen in Christusrdquo298

In der oumlstlichen valentinischen Sichtweise begann die Vereinigung dieser Ele-mente im houmlchsten Himmel Die Engelsaumlonen (Kraumlfte Gottes) hatten gemeinsam eine neue goumlttliche Einheit Jesus hervorgebracht und ihn durch den Himmel hinabgeschickt Als er in unsere Welt herabstieg gab ihm der Aumlon namens Aca-moth (die Untergottheit Sophia = Weisheit) einen unverdorbenen menschlichen Koumlrper der bdquoso gemacht wurde dass er sichtbar und fuumlhlbar war und leiden konnterdquo299

Nach Angaben der westlichen Valentinianer war es jedoch eigentlich der Demi-urg (eine etwas positivere Figur in diesem System) der seinen menschlichen Koumlr-per konstruierte Schlieszliglich ging dieser Jesus in und durch den Schoszlig der Jung-frau bdquowie Wasser durch ein Rohrrdquo300 Im westlichen System war es die Taufe die-ses speziell gefertigten menschlichen Jesus die den Demiurg mit dem goumlttlichen Christus bekleidet hat Waumlhrend der menschliche Jesus und der goumlttliche Christus zwei verschiedene Persoumlnlichkeiten waren war es bei der Inkarnation das himm-lische Ich eine goumlttliche Person Christi die zum operativen Zentrum der beiden

297 William C Piercy Henry Wace (ed) ldquoDocetismrdquo A Dictionary of Christian Biography and Literature

to the End of the Sixth Century AD with an Account of the Principal Sects and Heresies (Peabody Hendrickson Publishers 1999) p 272 (Ein Woumlrterbuch der christlichen Biographie und Literatur bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts n Chr mit einem Bericht uumlber die wichtigsten Sekten und Haumlre-sien) Siehe auch Valentinus Letter to Agathopus ap Clem Alex Strom III 7 451 (Brief an Aga-thopus) Es gibt hier eine offensichtliche und erschreckende Aumlhnlichkeit mit der orthodoxen Darstellung Jesu eine koumlrperliche menschliche Natur die leiden kann verbunden mit einem houmlchsten und transzen-denten (= jenseitigen) Gott

298 Piotr Ashwin-Siejkowski Clement of Alexandria on Trial (Leiden Brill 2010) p 108 Ein mysterioumlses gnostisches Werk mit dem Titel Melchisedek enthuumlllt dass einige Gnostiker das Essen und Leiden Jesu als Beweis gegen eine rein doketische Sichtweise verwendeten Dies zeigt ihr bdquoBewusstsein fuumlr die alter-nativen (doketischen) Modelle und Lehrenrdquo das im Gegensatz zu ihrer Zwei-Naturen-Ansicht steht

299 Broek Gnostische Religion in der Antike S 194 Der Koumlrper den der Sohn annahm obwohl er speziell angefertigt war war immer noch voumlllig menschlich und in der Lage die Fuumllle der menschlichen Erfahrung zu erleben Ebenso S 193

300 Irenaeus Against Heresies 1 7 2

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Wesen wurde301 Die Natur dieser beiden Wesenheiten sollte waumlhrend des irdi-schen Lebens des Erloumlsers vielfaumlltige und kritische Aufgaben erfuumlllen Moderne gnostische Historiker anerkennen

Das Verstaumlndnis seiner Inkarnation legt groszligen Wert auf seine menschliche und seine goumlttliche Natur Allein der menschliche Je-sus starb am Kreuz denn das Goumlttliche uumlbersteigt Schmerz und Tod Das unterscheidet sich deutlich vom bdquoDoketismusrdquo Die Va-lentinier behaupteten nie dass Jesus nur zu leiden schien oder dass sein Koumlrper eine [bloszlige] Erscheinung war302

Tatsaumlchlich beschreiben die valentinischen Theologen Jesus ausdruumlcklich als bdquoge-kommen um in den kosmischen Bereich einzudringen und die sbquoSchwaumlchersquo des menschlichen Zustandes zu teilenrdquo303 Die Parallelen zwischen der valentinischen Christologie und dem was sich zwei Jahrhunderte spaumlter schlieszliglich als Ortho-doxie manifestierte sind auffallend Wie in der spaumlteren Orthodoxie hatten die Valentinianer das Leiden und den Tod Jesu nur in seiner Menschlichkeit verstan-den304 und trotz des Uumlberlebens der goumlttlichen Person war es nur die goumlttliche Person die sich qualifizierte die Erloumlsung fuumlr Suumlnden zu vollziehen305 Das Goumltt-liche erlebte so die Trauer des Todes aber nicht den Tod selbst306 Erstaunlicher-weise aumlhnelt der Grundgeruumlst der valentinischen Christologie sehr stark der Grundhaltung der modernen Trinitarier von heute Christus war eine goumlttliche Einheit eine Hypostase des houmlchsten Gottes der buchstaumlblich vom Himmel her-unterkam und zwei vollstaumlndige Naturen genoss eine durch die er alle wunder-samen und heilbringenden Vorrechte des houmlchsten Gottes ausuumlben konnte und die andere die eine wahre menschliche Erfahrung und einen Koumlrper ergab der zu Hunger Schmerz und Tod faumlhig war

Was bedeutet das alles Im Wesentlichen hatte eine weithin einflussreiche ketze-rische Sekte eine hochentwickelte (Irr-)Lehre von der zweifachen Natur Jesu ge-foumlrdert lange bevor sich die oumlkumenischen Konzile der katholischen Kirche je-

301 J L Mosheim Historical Commentaries on the State of Christianity During the First Three Hundred

and Twenty-Five Years Vol 1 (New York Converse 1851) p 467 302 David Brons ldquoThe Role of Jesus in Valentinianismrdquo The Gnostic Society Library Web 25 July 2015 303 Elaine Pagels The Gnostic Paul Gnostic Exegesis of the Pauline Letters (New York Bloomsbury

1992) p 147 304 Siehe Irenaeus Against Heresies 1 7 2 (Gegen die Haumlresien) 305 Siehe Interpretation of Knowledge 1229-31 (Auslegung des Wissens) 306 In der wahrscheinlich vom valentinischen Leukio herausgegebenen Apostelgeschichte des Johannes (2

Jahrhundert n Chr) offenbart Christus bdquoWas [die nicht-gnostischen Christen] uumlber mich sagen das habe ich nicht ertragen aber was sie nicht sagen das habe ich erlittenldquo (Johannes-Apostelgeschichte 101)

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mals trafen Bei jedem weiteren Schritt wird der Vergleich jedoch beunruhigen-der Ein valentinisches Dokument erklaumlrt dass Christus bdquodie Menschheit und die Goumlttlichkeit besaszlig urspruumlnglich von oben bevor die Struktur des Kosmos entstandrdquo307 waumlhrend spaumlter auch orthodoxe trinitarische Aussagen zu lesen sind dass Chris-tus bdquoGoumlttlichkeit und Menschlichkeit gemeinsamrdquo308 besaszlig und bdquovom Vater vor allen Wel-ten (dem Kosmos) geboren wurderdquo309 Sollte uns diese bdquoHarmonierdquo beunruhigen Der Apostel Johannes verurteilte diejenigen die fuumlr die Gottheit Christi (in irgendei-ner Form) eintraten als Antichrist310 Natuumlrlich bekraumlftigt der moderne Trinita-rier dass Johannes die Gottheit Jesu im gnostischen Sinne ablehnt behauptet aber dass Johannes ihr im trinitarischen Sinne zugestimmt haben musste Trotz dieser Spekulation bleibt jedoch die Tatsache bestehen dass Johannes der gnos-tischen Lehre uumlber die Gottheit Jesu ausschlieszliglich eine feste und schlichte Be-hauptung seiner Humanitaumlt (= Menschlichkeit) entgegengesetzt hat311

Aber wie kann es sein dass gnostische Ansichten in der spaumlteren Kirche jemals als orthodox aufgegriffen wurden Wurden die Gnostiker nicht oumlffentlich und wieder-holt von den wahren Christen verurteilt Heute haben Wissenschaftler begonnen Licht in die fragwuumlrdige (gnostische) Vergangenheit der Hafenstadt Alexandria zu bringen dem groumlszligten akademischen Zentrum des Roumlmischen Reiches Wir erkennen nun dass das aumlgyptische Christentum im zweiten und dritten Jahrhun-

307 Treatise on the Resurrection (Letter to Rheginus) 44 (Zur Auferstehung) 308 Second Epistle of St Cyril to Nestorius Council of Ephesus 431 CE 309 Niceno-Constantinopolitanisches Credo 381 CE 310 Siehe J A T Robinson Twelve More New Testament Studies (London SCM Press 1984) p 142 (12 weitere

NT-Studien) 311 Siehe die erweiterte Argumentation eines Gelehrten zu diesem Punkt bdquoDie Lehre von der Goumlttlichkeit

Christi entstand bei den schlimmsten Feinden des Evangeliums als eine fadenscheinige Bitte das Evan-gelium selbst zu zerstoumlren Einige der Gnostiker erlaubten dass Jesus der Christus sei aber dass er ein Gott in der leeren Form oder dem Aussehen eines Menschen sei Diese wurden Docetae (dem Doketis-mus folgend) genannt Die andere Klasse von der die fuumlhrenden Maumlnner Kerinthus und Simon waren lehrte dass Jesus nicht der Christus war sondern dass der Christus Gott war der bei seiner Taufe auf Jesus herabgestiegen war waumlhrend seines Dienstes auf ihm wohnte und dann vor seiner Kreuzigung entfloh [die Gruppe] lehrte dass dieser Gott den Christus konstituierte und lehnte den Menschen Jesus ab Die Kerinthier (und die Valentinier) behaupteten also dass Christus Gott sei Johannes dass er der Sohn Gottes sei Mit dieser Ansicht schrieb er seinen Brief um zu beweisen dass Jesus der Sohn Gottes ist im Gegensatz zu den Gnostikern die lehrten dass Christus Gott war Johannes schrieb dann um zu beweisen dass Christus ein echter Mensch war und er schrieb gegen diejenigen die seine Goumlttlichkeit lehrten Wie kann es dann sein dass er nicht alle Lehren was auch immer von der Goumlttlichkeit Christi ist verurteilt wenn er diejenigen die seine Goumlttlichkeit lehrten Luumlgner falsche Propheten und Antichristen nennt [Trinitarier] bekraumlftigen dass Johannes obwohl er die Goumlttlichkeit Christi im gnostischen Sinne leugnet sie im orthodoxen Sinne behauptet Meine Position hingegen ist dass der Apostel wenn er die wahre Menschheit (Humanitaumlt) Christi bejaht seine einfache Menschheit bekraumlftigt und wenn er seine Goumlttlichkeit in einem Sinne leugnet ihr jeden Sinn verweigertrdquo (Ben David The Monthly Repository of Theology and General Literature p 469 unsere Hervorhebung)

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dert bdquosehr offen war und durch eine Vielzahl von Stroumlmungen innerhalb der ei-nen Kirche gekennzeichnet warrdquo312 Es ist interessant dass es keinerlei Beweise dafuumlr gibt dass gnostische Meister wie Valentinus und Basilides waumlhrend ihrer Karriere jemals aus der aumlgyptischen Kirche ausgeschlossen wurden313 In der Tat sollte uns das uumlberraschen denn sowohl Basilides als auch Valentinus lehrten offen die gnostische Lehre vom geringeren Demiurg dass der Gott der juumldischen Bibel nicht der houmlchste Gott sei Diese Lehre haumltten die Christen dieser Region sofort zuruumlckgewiesen waumlren sie nicht bereits weitgehend bdquognostifiziertrdquo (dh vom Gnostizismus unterwandert) worden Wenn wir uns daran erinnern wie wichtig der Beitrag der Alexandriner bei der Festlegung der Christologie in Nicaumla (325 n Chr) war fragen wir uns allen Ernstes ob wir in Alexandria vielleicht eine Vermittlungspartei zwischen dem verurteilten Gnostizismus und dem orthodo-xen Christentum entdecken diese Vermittlungspartei fuumlhrte spaumlter den gnostischen Jesus - neu formuliert - in die weitverstreute christliche Welt wieder ein

DasgnostischeKreuzunddiezweiPersonenWir koumlnnen die gnostische Christologie die im Christentum unterschwellig vor-handen ist weiter entdecken wenn wir die Sichtweise vieler moderner Trinitarier auf die Kreuzigung betrachten Gerade in evangelischen Kreisen houmlren wir oft die Behauptung dass nur der bdquomenschliche Teil Christirdquo am Kreuz gestorben sei Der populaumlre reformierte Theologe R C Sproul bestaumltigt dass der zweiten Per-son der Dreifaltigkeit der wirkliche Tod erspart geblieben sei Er empfiehlt dass wir vor der Vorstellung das goumlttliche Wesen sei am Kreuz gestorben314 bdquovor Entsetzen zuruumlckschreckenrdquo sollten Andere evangelische Quellen stimmen dem zu bdquoDer Tod ist etwas das nur von der menschlichen Natur erfahren wird Der Sohn die Zweite Person der Dreifaltigkeit hat den Koumlrper verlassen den er auf der Erde voruumlbergehend bewohnt hat aber seine goumlttliche Natur ist nicht gestor-ben und das konnte er [Gott-Sohn] auch nichtrdquo315 Tatsaumlchlich ist diese Meinung unter den evangelischen Gelehrten auch heute noch weit verbreitet bdquoAm Kreuz verlieszlig die goumlttliche spirituelle Natur den Koumlrper den er besessen hatterdquo316 Die Trinitarier verschreiben sich damit ausdruumlcklich der gnostischen Sichtweise denn sowohl nach Ansicht der kerinthischen als auch der valentinischen Gnostiker gilt

312 Gilles Quispel ldquoOrigen and Valentinian Gnosisrdquo Gnostica Judaica Catholica (Leiden Brill 2008) p 291

293 313 Ebenso 314 R C Sproul ldquoDid God Die on the Crossrdquo Ligonier Ministries 14 April 2014 Web 27 October 2014

(Ist Gott am Kreuz gestorben) 315 ldquoDid God Dierdquo Got Questions Ministries Web 16 December 2014 (Ist Gott gestorben) 316 Frederic Dan Huntington (ed) The Monthly Religious Magazine Vol 15 (Boston Leonard C Bowles

1856) p 198

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bdquoBevor Jesus starb (da das Goumlttliche nicht sterben kann) verlieszlig ihn der Chris-tusrdquo317 Deshalb rief der gekreuzigte Jesus nach ihrer Exegese bdquoMein Gott mein Gott warum hast du mich verlassenrdquo (Mat 2746)

Sowohl die Gnostiker als auch die Trinitarier mit ihrer Unterscheidung von Menschlichkeit (Humanitaumlt) und Goumlttlichkeit (Divinitaumlt) im Erloumlser setzen sich einer gefaumlhrlichen Frage aus wenn es um das Kreuz geht Wer ist gestorben War es die menschliche Natur Jesu die zerstoumlrt wurde oder die Person Jesu Wie wir gesehen haben ist die menschliche Natur des Christus der Orthodoxie eine Abs-traktion die der diesseitigen Welt nichts zu verdanken hat Kann so ein Konstrukt fuumlr Suumlnden bezahlen Kann es uumlberhaupt sterben Das Neue Testament sagt klar dass es bdquoder Sohn Gottesrdquo war der gestorben ist (Roumlmer 510 832 Joh 316) De facto ist es der Selbstaufopferungstod der Person Jesu der die Voraussetzung zur Versoumlhnung schafft Aber sowohl in der doketischen als auch in der valenti-nischen Christologie erlischt die goumlttliche Person nicht wirklich entweder ein Menschenbild [Imago] oder eine unterscheidbare menschliche Person scheidet da-hin Ebenso aus trinitarischer Sicht entkommt die Person des Sohnes letztlich der Zerstoumlrung Wenn der trinitarische Gottessohn das Kreuz nicht endguumlltig uumlber-lebt dann ist der Sohn von Natur aus nicht unsterblich mit-ewig (co-eternal) und fuumlr die Gottheit essentiell die orthodoxe Trinitaumlt selbst erlischt mit seinem letzten Atemzug Wie Sproul zustimmt bdquoWenn Gott stirbt stirbt alles mit ihm Offen-sichtlich konnte Gott dann nicht am Kreuz untergehenrdquo318 Aber als Aquinas be-staumltigte dass die einzige Person im trinitarischen Jesus die Person Gottes ist wurde uns klar dass uumlberhaupt niemand am Kreuz gestorben sein kann

Dies verursacht der Versoumlhnung offensichtliche und ernsthafte Schwierigkeiten und die Orthodoxie wird noch mehr in eine gefaumlhrliche Uumlbereinstimmung mit den Gnostikern gebracht die sie eigentlich verurteilen So wie der valentinische Christus die Trauer des Todes erlebt hat aber nicht wirklich gestorben ist so stimmt Grudem zu dass der orthodoxe Christus bdquoirgendwie etwas von dem ge-kostet hat wie es war durch den Tod zu gehen Die Person Christi hat den Tod erlebtrdquo319 So wie die gnostische Kreuzigung kein wirklicher oder bedeutungsvol-ler Tod fuumlr die goumlttliche Person war sondern eine Illusion so ist auch die trinita-rische Vision nur ein Taschenspielertrick ein Ersatz des historischen Sohnes Gottes fuumlr eine leere menschliche Natur - eine Reflexion

Apologetisch gesehen waren die modernen Trinitarier in diesem Punkt nicht so erfolgreich wie die Kerinthier und Valentinier Evangelische Argumente fuumlr die

317 Ehrman Lost Christianities p 15 318 Sproul ldquoDid God Die on the Crossrdquo 319 Wayne Grudem Systematic Theology An Introduction to Biblical Doctrine (Downerrsquos Grove InterVarsity

Press 1994) p 556

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Gottheit Christi beinhalten oft die Behauptung dass wenn Jesus nicht Gott waumlre sein Tod fuumlr die Suumlnden nicht haumltte bezahlen koumlnnen320 Aber nach dem Neuen Testament ist Gott bdquounsterblichrdquo (1 Tim 616) und das bedeutet einfach dass das was bdquoSterbenrdquo ist Gott nicht tun kann Sowohl die Gnostiker als auch die Trinitarier wissen das aber erstere erweisen sich als vernuumlnftiger indem sie bdquoChristusrdquo zu einer anderen Person machen als bdquoJesusrdquo Fuumlr die Gnostiker ist es gerade weil sie an die Gottheit Christi glauben notwendig den Christus vor dem Tod zu bewahren und diese Zerstoumlrung auf ein anderes Wesen zu beschraumlnken Die Rechtfertigung des Evangeliums wird hier endguumlltig verdorben Es haumllt die Person Gottes ebenfalls vom Untergang ab behauptet aber gleichzeitig seinen Untergang als notwendig fuumlr die Erloumlsung der Menschheit So findet sich der letzte Ausweg aus der Orthodoxie in dieser beruumlhmten Hymne Geheimnis groszlig Gott selber stirbt321 Aber nicht nur die Suumlhne wird hier in den Schatten gestellt sondern das ganze christliche Leben Die historische Tatsache dass bdquoChristus gestorben istrdquo (Roumlmer 149) ist sowohl die Motivation des neutestamentlichen Glaumlubigen fuumlr heute als auch seine Hoffnung auf morgen bdquoDenn wenn wir glau-ben dass Jesus gestorben ist und wieder auferstanden ist dann wird Gott dieje-nigen die eingeschlafen sind mit sich bringenrdquo (1 Thes 414) Aber der heil-bringende Akt Jesu wird unverstaumlndlich und unglaubhaft gemacht solange die Person Jesu unsterblich gemacht wird Gerade damit gelingt das Kerinthische wie auch das Valentinianische Modell das orthodoxe Konzept der Inkarnation hat keine praktische religioumlse Bedeutung mehr

In der spaumlteren Geschichte der Kirche houmlrte die Bekraumlftigung der Gottheit Christi nicht auf um eine bdquovalentinischerdquo Unterscheidung der Personen innerhalb des Erloumlsers zu erflehen Dies ist die Schlussfolgerung die die gnostische These dass Christus von Natur aus Gott ist unweigerlich nach sich zieht und die der oumlku-menische Trinitarismus bis heute noch nicht ausreichend umschifft hat Wie wir spaumlter ausfuumlhrlich darlegen werden haben orthodoxe Urteile in den Konzilen von Konstantinopel (381 und 680 n Chr) tatsaumlchlich angeordnet dass in Jesus nicht nur die goumlttliche Person des Logos sondern auch eine andere bdquorationale menschliche Seelerdquo wohnt Das bedeutete dass die menschliche Natur des Erlouml-sers neben seinem goumlttlichen Verstand und goumlttlichen Willen auch einen mensch-lichen Verstand und einen menschlichen Willen bewahrt hatte Dennoch so sag-ten sie gab es in Jesus nur noch eine Person - eine goumlttliche Person Natuumlrlich ist es immer noch sehr schwer zu erkennen wie eine volle menschliche Natur ein

320 bdquoDer wichtigste Grund warum Jesus Gott sein muss ist dass wenn er nicht Gott ist sein Tod nicht

ausreichen wuumlrde um die Strafe fuumlr die Suumlnden der Welt zu zahlen Nur Gott koumlnnte eine so unend-liche Strafe zahlen Nur Gott kann die Suumlnden der Welt auf sich nehmen sterben und auferstehenrdquo (S Michael Houdmann Got Questions Bible Questions Answered (Bloomington Westbow Press 2014) p 41)

321 Charles Wesley ldquoAnd Can it Berdquo Psalms and Hymns (1738) (Kann es denn sein daszlig Gott mir gibt Ch Wesley 2 Strophe Geheimnis groszlig Gott selber stirbt)

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menschlicher Geist und ein menschlicher Wille in Jesus keine andere menschliche Person darstellen Aus diesem Grund trat man in den fruumlhen Phasen der Ent-wicklung der Vorstellung entgegen dass Christus eine menschliche Seele habe Als Origenes im dritten Jahrhundert lehrte dass Christus auch eine menschliche Seele habe wurde er von seinen Zeitgenossen beschuldigt zwei Christusse zu predigen Dies war nach Ansicht seiner Kritiker bdquodas logische Ergebnis seiner These dass der Gott-Mensch eine menschliche Seele besaszligrdquo322 Dieses grosse Spannungsfeld mit der Moumlglichkeit dass zwei Personen im Erloumlser sein koumlnnen loumlste sich nie auf auch wenn die menschliche Seele Christi schlieszliglich den Weg in die Orthodoxie fand Daraufhin war der bdquoketzerischerdquo Theologe Apollinaris aus dem vierten Jahrhundert gezwungen zu lehren dass Christus keine mensch-liche rationale Seele (Geist und Wille) sondern nur eine goumlttliche hatte323 Er er-kannte die Auswirkungen des orthodoxen Systems Die beiden Verstande (engl minds) die zwei Willen und die zwei Naturen im Erloumlser waren trotz aller So-phisterei wirklich zwei Personen Einige evangelische Autoritaumlten haben dies heute ebenfalls erkannt324 Aber Apollinaris mit seiner Behauptung nur einen goumlttlichen Geist in Jesus zu sehen wurde von den Orthodoxen verurteilt - die rationale menschliche Seele sollte neben dem Goumlttlichen in Christus bleiben So wuumlrde der valentinische Retter der sich aus rationalen menschlichen und goumlttli-chen Wesen zusammensetzt ebenfalls uumlberleben wenn auch in orthodoxer Ge-stalt

Natuumlrlich werden die Trinitarier protestieren dass sie nicht wie die Valentinianer zwei Personen in Christus einsetzen Zum Beispiel haben Evangelikale darauf hingewiesen dass der orthodoxe Jesus bdquonie von sich selbst als Wir spricht son-dern immer als Ichrdquo325 Aber der valentinianische Christus auch mit seinen bei-

322 J N D Kelly Early Christian Doctrines (Peabody Prince Press 2007 [1960]) p 160 323 bdquoApollinaris glaubte dass die Inkarnation Gottes in Jesus Christus leicht erklaumlrt werden koumlnnte indem

man sagte dass er ein menschlicher Koumlrper und eine menschliche Seele (belebende Lebenskraft) ohne eine menschliche rationale Seele (Geist Seele) sei in Jesus Christus argumentierte Apollinaris wuumlrde der Platz einer menschlichen rationalen Seele oder eines menschlichen Geistes durch den goumlttlichen LogosWort den ewigen Sohn Gottes die zweite Person der Dreifaltigkeit erfuumllltrdquo (Roger E Olson Der mosaische Glaube Zwanzig Jahrhunderte der Einheit und Vielfalt (Downers Grove InterVarsity Press 2002) p 239)

324 Siehe William Lane Craig ldquoMonotheletismrdquo Reasonable Faith 21 September 2008 Web 20 Juli 2015 (Der Monotheletismus (von griechisch μόνος moacutenos bdquoeinzigrdquo bdquoalleinrdquo und θελῶ thelotilde bdquowollenrdquo) ist eine christologische Lehre der zufolge Christus zwei Naturen ndash eine goumlttliche und eine menschliche ndash aber nur einen Willen (Ziel Zielausrichtung) besitzt bdquoChristus hat seine eigene menschliche Natur aber sein Wille wird vollstaumlndig von der einen goumlttlichen Person bestimmtrdquo Anm d Uuml)

325 Perman argumentiert bdquoAufgrund der Vereinigung der Naturen in einer Person gelten die Dinge die nur von einer der Naturen Christi wahr und getan sind dennoch fuumlr die Person Christi und werden von ihr getanrdquo Mit anderen Worten Dinge die nur eine einzige Natur (in ihm) tut koumlnnen als von Christus selbst getan angesehen werden Ebenso gelten Dinge die fuumlr die eine Natur gelten aber nicht fuumlr die andere fuumlr die Person Christi als Ganzes Das bedeutet einfach ausgedruumlckt dass wenn es etwas gibt

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den Personen spricht auch als bdquoIchldquo Die Trennung von gnostischem und ortho-doxem Christus ist unterschwellig Wie Irenaumlus uumlber die Valentinier sagte bdquoSi-cherlich bekennen sie mit ihren Zungen den einen Jesus Christus aber in ihren Gedanken (zer-)teilen sie ihnrdquo326 Sowohl bei den orthodoxen als auch bei den valentinianischen Rettern gibt es zwei Seelen aber nur ein sbquoIchrsquo dominiert die goumlttliche Person327 Wie Mosheim erklaumlrt haben die Gnostiker offensichtlich die Psychologie des Erloumlsers an das Goumlttliche [in ihm] delegiert aus Angst dass die Dominanz des menschlichen Geistes Christus in Versuchung und Suumlnde gefuumlhrt haben koumlnnte328 Dieser gleiche Prozess das himmlische Ich das den Menschen in den Hintergrund stellt um die Erloumlsungsmission zu erfuumlllen findet auch im orthodoxen Jesus statt Waumlre dies nicht der Fall dann musste Jesus nicht wirklich goumlttlich sein um suumlndlos zu sein dieses gemeinsame trinitarische Argument fuumlr die Notwendigkeit der Inkarnation wird dadurch nutzlos gemacht dass Jesus ein Mensch ohne goumlttliche Faumlhigkeiten haumltte sein koumlnnen und das rettende Werk vollendet hat329 In Wirklichkeit besteht der einzige praktische Unterschied zwi-schen dem valentinianischen Gnostizismus und der Orthodoxie in diesem Punkt der beiden Naturen und zweier rationaler Seelen darin dass die Praumlsentation von zwei verschiedenen Personen zulaumlssig und unbestreitbar ist waumlhrend die von letzteren verdaumlchtig und fragwuumlrdig vorkommt330

Sollten wir uns angesichts des gnostischen Erloumlsers letztlich um die verschwom-mene Anerkennung dieser mystischen Gestalt die auf dem Sockel des populaumlren Christentums steht nicht mehr Gedanken machen Rudolph macht eine wichtige Beobachtung uumlber den Eingriff des gnostischen Jesus in den christlichen Geist des zweiten und dritten Jahrhunderts und die gefaumlhrliche Zugehoumlrigkeit die Gnostizismus und Orthodoxie durch die spaumltere synodische Verankerung des Dogmas erworben haben

was nur eine der Naturen Christi getan hat er immer noch sagen kann bdquoIch habe es getanrdquo (Perman ldquoHow Can Jesus Be God and Manrdquo)

326 Irenaeus Against Heresies 3 16 327 J L Mosheim Historical Commentaries on the State of Christianity During the First Three Hundred

and Twenty-Five Years Vol 1 (New York Converse 1851) p 467 328 Ebenso pp 465-471 329 See John Hick The Metaphor of God Incarnate (London Westminster John Knox Press 2005 [1993]) pp

58-60 330 bdquoWenn die menschliche Natur Christi ihren eigenen angemessenen Willen haumltte so dass Christus

buchstaumlblich zwei Willen haumltte wie das Konzil bestaumltigte dann gaumlbe es zwei Personen eine menschliche und eine goumlttliche Ich kann nicht verstehen wie die menschliche Natur Christi einen eigenen Willen haben koumlnnte der sich vom Willen der zweiten Person der Dreifaltigkeit unterscheidet und damit nicht eine Person waumlrerdquo (William Lane Craig ldquoMonotheletismrdquo)

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Die fruumlhchristlichen Vaumlter allen voran Irenaumlus und Tertullian wa-ren bemuumlht Formen zu finden welche die vorherrschende Zwei-teilung des einen Jesus Christus in einem nicht-gnostischen Sinne verstaumlndlich machen Eigentlich ist es ihnen nicht gelungen Schon von Harnack war gezwungen zu sagen bdquoWer kann behaupten dass die Kirche jemals die gnostische Lehre der beiden Naturen oder den valentiniani-schen Doketismus uumlberwunden hatrdquo Selbst die spaumlteren Kirchenkon-zile welche die christologischen Probleme in komplizierten heute kaum noch verstaumlndlichen Definitionen diskutierten schafften dies nicht die Einheit der Kirche scheiterte genau daran Es wurde oft vergessen dass gnostische Theologen Christus als bdquowesengleichrdquo (ho-moousios) mit dem Vater sahen bevor die kirchliche Theologie dies als Prinzip etablierte um seine volle Goumlttlichkeit zu erhalten331

DergnostischesbquoWesensgleichesbquo(homoousios)Da die Gnostiker behauptet hatten dass Jesus eine Manifestation des houmlchsten Gottes sei der die Menschheit aus den Faumlngen des boumlsen Schoumlpfers retten sollte bedeutete dies dass Jesus und der Gott des Alten Testaments effektiv gegenei-nander arbeiteten Als Antwort wuumlrde Johannes offenbar schreiben um der Welt die Lehren Jesu zu vermitteln die nicht nur seine wahre Humanitaumlt sein Mensch-Sein zeigen sondern auch hervorheben dass er mit dem alten Gott des Juden-tums eine gemeinsame Absicht und das gleiche Ziel hat (Joh 84054 1030) Nachdem die apostolische Aumlra zu verblassen begann fuumlllten die Philosophen schnell die Kirche schon wenige Jahre nach dem Schreiben des Johannes Sie fingen an sein Evangelium auf eine grundlegend andere Weise zu betrachten naumlmlich dass Johannes einen Christus praumlsentierte der nicht nur mit dem Schoumlp-fer in goumlttlicher Absicht sondern auch in goumlttlicher Substanz (im Wesen) vereint war Tatsaumlchlich wuumlrden sich die spaumlteren christlichen Theologen am Konzil von Nicaumla (325 n Chr) auf ein bestimmtes metaphysisches Wort einigen um die Be-ziehung zwischen Gott und seinem Sohn zu definieren bdquohomoousiosrdquo oder bdquodie-selbe Substanzrdquo oder auch bdquoWesensgleichheitrdquo Aber dieser Begriff der Kirche kam nicht aus der Lehre Christi oder irgendeines seiner Apostel Der Ursprung dieser praumlzisen philosophischen Beschreibung scheint nach allen Berichten die gefuumlrchteten Gnostiker selbst gewesen zu sein Johannes hatte gegen die gnosti-schen Parteien gekaumlmpft um den Glauben zu bewahren Die Gnostiker lieferten schlieszliglich doch die lehrmaumlszligige Sprache die beweisen wuumlrde dass der Glaube

331 Kurt Rudolph Gnosis The Nature and History of Gnosticism (New York Harper amp Row 1983) p 372

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zunichte gemacht wurde und benutzten dazu sein eigenes Evangelium als Kata-lysator332 Es ist eine weitgehend vergessene Tatsache dass die bdquohomoousiani-scherdquo Definition als erstes verwendet wurde nicht von der fruumlhesten christlichen Gemeinschaft sondern von verschiedenen gnostischen Sekten zumindest vom zweiten Jahrhundert n Chr an333 Die Gelehrten sind sich voumlllig einig dass vor den Gnostikern kein konkreter Gebrauch nachgewiesen werden kann334

Die Christen die sich am Konzil von Nicaumla auf das Wort bdquohomoousiosldquo einigten haben es weder aus dem Neuen Testament gelernt noch von einem bdquoorthodo-xenrdquo christlichen Theologen Wie Professor Pier Franco Beatrice erklaumlrt ist die uumlberholte These dass das Wort bdquohomoousiosrdquo nur das griechische Aumlquivalent des lateinischen bdquouna substantiardquo sei und dass die Einfuumlhrung der Definition in Nicaumla nur die Uumlbernahme der westlichen Tradition von Tertullian sei bdquodefinitiv

332 Uumlberraschenderweise wurde genau das Evangelium das moumlglicherweise geschrieben wurde um die

Behauptungen der Gnostiker im Keim zu ersticken weitgehend von ihren spaumlteren Apologeten uumlber-nommen Groningen sagt dass bdquodie Gnostiker das Johannesevangelium sehr haumlufig genutzt habenrdquo (Gerard Groningen Gnostizismus des ersten Jahrhunderts Seine Herkunft und Motive (Leiden Brill 1967) S 103) Und E F Harrison verraumlt auch dass bdquoim zweiten Jahrhundert Bewegungen zweifelhafter Orthodoxie entstanden sind sie tendierten dazu dasjenige der Evangelien zu bevorzugen das fuumlr ihren Standpunkt am besten geeignet war So wurde Matthaumlus mit den Ebioniten verbunden Lukas mit den Anhaumlngern Markions und Johannes mit den meisten gnostischen Gruppenrdquo (E F Harrison Introduction to the New Testament (Grand Rapids Eerdmans 1964) p 303) J A T Robinson erklaumlrt dass bdquodie Beto-nung in den Briefen des Johannes uumlber Jesus der im Fleisch gekommen ist als Reaktion auf den do-ketischen Eindruck gesehen werden muss den seine Lehre offensichtlich hervorgerufen hat Aber schon die Tatsache dass die Reaktion so heftig war deutet darauf hin dass seine Absicht wirklich falsch dargestellt wurde fuumlr ihn ist die Irrlehre in der Tat sbquoantichristlichrsquordquo (JAT Robinson Twelve More New Testament Studies (London SCM Press 1984) p 142)

333 Philip Schaff History of the Christian Church (Grand Rapids Eerdmans 1985) p 628 See also Victor I Ezigbo Introducing Christian Theologies Vol 1 (Eugene Wipf amp Stock 2013) pp 154-155 (Geschichte der Christlichen Kirche)

334 ldquoIt is conceded today that homoousios had the first phase of its theological history in Gnos-ticismrdquo (Es wird heute eingeraumlumt dass der Homoousios die erste Phase seiner theologischen Geschichte im Gnostizismus hatte) (Aloys Grillmeier Christ in Christian Tradition Vol 1 (Atlanta John Knox Press 1975) p 269) Siehe auch Adolf von Harnack History of Dogma Vol 1 (Freiburg 1893) pp 284-285 n 3 Vol 2 pp 232-234 n 4 George Leonard Prestige God in Patristic Thought (London SPCK 1952 [1936]) pp 197-218 J N D Kelly Early Christian Creeds (London Longman 1972) pp 240-262 Frauke Dinsen Homoousios Die Geschichte des Begriffs bis zum Konzil von Konstantinopel (Kiel 1976) pp 4-11 Robert W Jensen ldquoThe Triune Godrdquo Christian Dogmatics Vol 1 (Philadelphia Fortress Press 1984) p 128 Beatrice also includes Ignacio Ortiz de Urbina Luis M Mendizabal Emphrem Boularand Frauke Dinsen Christopher Stead and Aloys Grillmeier in his analysis of the consensus (Pier Franco Beatrice ldquoThe Word lsquoHomoousiosrsquo from Hellenism to Christianityrdquo (PF Beatrice bezieht auch Ignacio Ortiz de Urbina Luis M Mendizabal Emphrem Boularand Frauke Dinsen Christopher Stead und Alois Grillmeier in seine Analyse des Konsenses mit ein (Pier Franco Beatrice bdquoDas Wort Homoousios vom Hellenismus zum Christentumldquo))The Free Library 2002 American Society of Church History 12 Jun 2016)

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abzulehnenrdquo sei 335 Tatsaumlchlich hatte Tertullian in seinen eigenen Lehren das La-teinische bdquouna substantiabdquo verwendet Er benutzte aber bdquoconsubstantialisrdquo oder bdquoconsubstantivusrdquo wenn er das gnostische Wort bdquohomoousiosrdquo in seinen Schrif-ten gegen die Valentinianer uumlbersetzte336 Daruumlber hinaus hatte Tertullian die Idee der goumlttlichen Substanz in einem materiellen Sinne genutzt aber bei Nicaumla wurde die Konsistenz speziell in einem immateriellen Sinne interpretiert337 Letztendlich bdquogibt es uumlberhaupt keine Beweise fuumlr eine sbquoorthodoxersquo oder sbquoroumlmischersquo Interpre-tation von bdquohomoousiosrdquo welche die in Nicaumla gewaumlhlte Formel vorweggenom-men haumltterdquo338 Wie Wissenschaftler feststellen bdquozeigt uns die Fruumlhgeschichte der nicaumlnischen sbquohomoousioslsquo (Wesensgleichheit) dass die Theologen der Kirche wahrscheinlich von den Gnostikern auf dieses Konzept und damit auf die Lehre der Emanation aufmerksam gemacht wurdenrdquo339

Die nicaumlnische Umsetzung dieses gnostischen Begriffs war wohl die kritischste und umstrittenste Anwendung eines theologischen Wortes in der Geschichte des Christentums und ist bis heute der fundamentale Grundsatz der Orthodoxie340 Wie wir spaumlter feststellen werden wurde die Empfehlung dieser Definition je-doch zuerst beim Konzil von Nicaumla ausgesprochen nicht von einem etablierten christlichen Theologen sondern von Konstantin dem Groszligen (er starb 337 n Chr) einem (bis kurz vor seinem Tod) ungetauften roumlmischen Kaiser341

Aber wie haben die vor-nicaumlnischen Gnostiker den Begriff bdquohomoousiosrdquo zum ersten Mal verwendet Wo haben sie gelernt Wie die Wissenschaftler erklaumlren bdquohaben die Gnostiker dieses Wort offensichtlich aus ihren aumlgyptischen und her-metischen Quellen entnommen und es zum ersten Mal in das christliche Lexikon

335 Ebenso 336 Siehe Tertullian Against the Valentinians 18 which describes the Aeons or hypostases in God as ldquocon-

substantial beingsrdquo 337 Siehe Eusebius Life of Constantine 35 338 Beatrice ldquoHomoousiosrdquo 339 Alois Grillmeier ldquoChrist in Christian Traditionrdquo From the Apostolic Age to Chalcedon Vol 1 (London

Mowbrays 1975) p 109 emphasis added 340 Heute bestaumltigen Trinitarier dass dieses notwendige Wort und sein Ursprung immer noch ihren Glau-

ben in eine unangenehme Lage bringen Ein Trinitarier raumlumt ein dass es bdquoseltsam ist zu sagen dass wir einen nicht-biblischen Begriff benennen muumlssen um die Lehre der Bibel zusammenzuhalten aber wir bekennen dass wir es tunrdquo (Jason Byassee Trinity The God We Donrsquot Know (Nashville Abingdon Press) Ch 1) Quelle Carlos Xavier (httpthehumanjesusorg)

341 bdquoDas Wort homoousious (Substanz) wurde im Nicaumlnischen Glaubensbekenntnis ausschlieszliglich durch den persoumlnlichen Auftrag von Konstantinrdquo (Beatrice bdquoHomoousiosldquo) eingefuumlhrt Nach Nicaumla schrieb Eusebius von Caumlsarea an seine Kirche bdquo[Konstantin] befahl allen der Lehre zuzustimmen und in Harmonie mit ihnen zu sein obwohl nur ein Wort sbquohomoousiosrsquo hinzugefuumlgt wurde das er selbst interpretierte Und unser Kaiser ein sehr weiser und frommer Mann dachte philosophisch auf diese Weiserdquo Eusebius letter quoted in Socrates Church History 1 8 (Der Brief von Eusebius zitiert in der Kirchengeschichte des Sokrates)

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aufgenommenrdquo342 Mit anderen Worten sein Ursprung ist eindeutig heidnisch Forscher glauben dass es verwendet wurde um bdquodie Identitaumlt der Substanz zwi-schen Erzeugung und Erzeugnisrdquo anzugeben und bdquodie Beziehung zwischen We-sen zu beschreiben die sich aus einer verwandten Substanz zusammensetzenrdquo Es wurde bdquoin Verbindung mit Begriffen der Emanation verwendetrdquo343 Wir fin-den den fruumlhesten gnostischen Gebrauch von bdquohomoousiosrdquo bei Basilides (117-138 n Chr) einem beliebten Lehrer aus Alexandria344 Andere Gnostiker wie der Valentinianer Claudius Ptolemaumlus (90-168 n Chr) haben diesen Begriff ebenfalls verwendet Lange bevor irgendwelche orthodoxen Konzile das Wort (homoousios) annahmen schrieb Ptolemaumlus dass es bdquodie Natur sbquodes Gutensbquo [= Gott] ist zu zeugen und das hervorzubringen was ihm aumlhnlich und homoousios (wesensgleich) istrdquo345 Dies war jedoch nicht die einzige vor-nicaumlnische Beruumlh-rung welche die Christenheit mit diesem Begriff haben sollte Eine weitgehend unbekannte Tatsache der Kirchengeschichte ist dass bdquohomoousiosrdquo von vorgaumln-gigen christlichen Konzilen verboten worden war bevor der Terminus 325 n Chr in Nicaumla dann doch akzeptiert wurde

Die Synode von Antiochia im Jahre 268 n Chr hatte sich mit dem Bischof von Antiochia Paulus von Samosata getroffen der behauptet hatte dass der mensch-liche Jesus den goumlttlichen Logos bei seiner Taufe in sich aufnahm Paulus von Samosata hatte das Wort bdquohomoousiosrdquo verwendet um die Beziehung zwischen dem Logos die er als unpersoumlnliche Eigenschaft betrachtete und Gott zu be-schreiben346 Dieser Begriff wurde im Christentum als fremd eingestuft Eine En-zyklopaumldie berichtet bdquoEs muss als sicher angesehen werden dass das Konzil den Begriff homoousios abgelehnt hatrdquo347 Ironischerweise verwendete das Konzil von Nicaumla etwa fuumlnfzig Jahre spaumlter aber trotzdem in seinem Glaubensbekenntnis

342 Beatirce ldquoHomoousiosrdquo For an analysis of the interchange between pre-Christian Egypt and Gnosti-

cism see Garth Fowden The Egyptian Hermes A Historical Approach to the Late Pagan Mind (Princeton Princeton University Press 1993) p 113ff

343 Victor I Ezigbo zitierte zuerst J N D Kelly (Early Christian Doctrines p 232) dann Lewis Ayres (Nicaea and Its Legacy p 93) in Introducing Christian Theologies Vol 1 p 155

344 Miroslav Marcovich Patristic Texts amp Studies 25 (Berlin Gruyter 1986) p 290f (Patristische Texte amp Studien) Der christliche Hippolytus von Rom (235 n Chr) bemerkte spaumlter in einer umfangreichen Kritik an Basilides dass er bdquovon den Lehren der Platoniker beeindruckt warrdquo und in seinem Verhaumlltnis zur Lehre von Basilides entdecken wir tatsaumlchlich bemerkenswerte Ideen die dem spaumlteren christlichen Denken aumlhneln Basilides sprach von einem Samen der Sohnschaft der von Gott hervorgebracht wurde das heiszligt bdquoin jeder Hinsicht von der gleichen Substanz (homoousios)rdquo wie Gott Zu dieser konsubstantiven Sohnschaft erfand Basilides auch eine Seele (Hippolytus zitiert Platons Phaedrus als Rechtfertigung dafuumlr) und er nannte die zugeordnete Seele bdquoden Heiligen Geistrdquo Siehe Hippolytus von Rom The Refutation of All Heresies Book VII

345 Siehe Ptolemyrsquos Letter to Flora as recalled by Epiphanius in Panarion 33 78 346 Charles Joseph Hefele A History of the Christian Councils From the Original Documents Book II (Edinburgh

T amp T Clark 1894) p 9 347 John Chapman ldquoPaul of Samosatardquo Catholic Encyclopedia

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ausgerechnet denselben Ausdruck uumlber die Beziehung zwischen Sohn und Va-ter348 Dies erwies sich fuumlr die Anhaumlnger von Nicaumla als eine peinliche Situation die Tatsache dass der Begriff bereits vom angesehenen Konzil in Antiochia ver-boten worden war wurde von den Arianern und anderen Gegnern des Nicaumlni-schen Glaubensbekenntnisses wiederholt in Erinnerung gerufen um die Unzu-laumlnglichkeit des Begriffs zu beweisen Trotz des bestehenden Verbots des Wortes wurde es aber schlieszliglich in den Dienst der Orthodoxie gestellt349 Aber wie ha-ben die spaumlteren Christen in Nicaumla den Begriff bdquohomoousiosrdquo dann verwendet Wie sah es Kaiser Konstantin der das Wort persoumlnlich auferweckt und in christ-liches und roumlmisches Recht umgesetzt hat Nachdem er jede Beziehung zwischen dem nicaumlnischen bdquohomoousiosrdquo und der vorangegangenen christlichen Tradition ausgeschlossen hat schreibt ein Gelehrter dass der Begriff

direkt aus Konstantins eigenem hermetischen [gnostischen] Hin-tergrund kam In der theologischen Sprache des aumlgyptischen Hei-dentums bedeutete das Wort homoousios dass der Nous-Vater und der Logos-Sohn zwei verschiedene Wesen sind welche die gleiche Perfektion der goumlttlichen Natur teilen350

Der Hermetismus eine von mehreren heidnischen Religionen die mit dem Kai-ser Konstantin in Verbindung gebracht wurden war eine mystische gnostische Tradition welche die Lehren und Mythen Griechenlands und des alten Aumlgyptens miteinander verband351 Letztendlich bdquobeweist die Verwendung von sbquohomoou-siosrsquo im hermetischen Traktat Poimandres fuumlr die gemeinsame Natur von Nous und seinem Sohn dem Logos [und] Konstantins Wissen uumlber den Hermetismusrdquo die

348 William G Rusch Ecumenical Reception Its Challenge and Opportunity (Grand Rapids Eerdmans 2007) p

18 349 Chapman ldquoPaul of Samosatardquo Catholic Encyclopedia 350 Pier Franco Beatrice ldquoThe Word lsquoHomoousiosrsquo from Hellenism to Christianityrdquo Church History Vol

71 No 2 (Cambridge CUP 2002) p 243 351 Zu den wichtigsten Texten der hermetischen Tradition gehoumlren The Corpus Hermeticum (2 bis 3 Jahrhun-

dert n Chr) the Emerald Tablet of Hermes (Manuskripte aus dem 6 Jahrhundert n Chr) und The Asclepius (2 bis 3 Jahrhundert n Chr) Fuumlr eine Einfuumlhrung in diese Literatur siehe Brian P Copenhaver Her-metica Der griechische Corpus Hermeticum und der lateinische Asklepios in einer neuen englischen Uumlbersetzung mit Notizen und Einfuumlhrung (Cambridge 1992) Der mythische Gruumlnder des Ketzertums Hermes Trismegistus (bdquoDreimal Groszligrdquo) soll ein aumlgyptischer Priesterkoumlnig gewesen sein der aufgrund seiner eigenen Lehren einer goumlttlichen Trinitaumlt so genannt wurde Eine Quelle aus dem 10 Jahrhundert besagt dass er bdquowegen seines Lobes fuumlr die Dreifaltigkeit Trismegistus genannt wurde weil er sagt dass es in der Dreifaltigkeit eine goumlttliche Natur gibtrdquo (Suda Copenhaver Hermetica p xli) In der hermet-ischen gnostischen Tradition entdecken wir andere bekannte Prinzipien der Corpus Hermeticum sagt dass Atum der Sonnengott bdquounvergessen war und durch spontane Selbsterzeugung entstanden istrdquo (F Daumas ldquoAtumrdquo Dictionary of Dottons and Demons in the Bible (Leiden Brill 1999) S 119) Ein Dank fuumlr die Mitteilung uumlber die obige Woumlrterbuchquelle geht an Carlos Xavier unter httpthehuman-jesusorg

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anhaltende Praumlsenz gnostischer Gedankenformen in Nicaumla352 Wie wir im fuumlnften Kapitel sehen werden war das urspruumlngliche nicaumlnische Verstaumlndnis des Begriffs hermetisch-gnostisch da Konstantin dem Konzil nicht nur das Wort sondern eine philosophische Erklaumlrung des Wortes lieferte353 Dabei begegnen wir erneut den bdquoGeisternldquo der aumlgyptischen Religion und den endlosen [griechischen] Myste-rienkulten die sie in den heiligen Hallen der christlichen Orthodoxie hereinge-bracht haben

DieGnosisuumlbersetzenAn dieser Stelle fragen wir uns noch wie konnte irgendeine der Ideen von verur-teilten bdquoHaumlretikernrdquo wie den Gnostikern jemals in der Kirche als bdquoorthodoxrdquo an-gesehen werden Hatten proto-orthodoxe Autoritaumlten wie Irenaumlus und Hippoly-tus die Gnostiker ihrer Zeit nicht geaumlchtet Die Bemuumlhungen orthodoxer Histo-riker (die gnostischen Ideen auszumerzen) haben eben die Tatsache verdunkelt dass das Christentum im zweiten Jahrhundert vielfaumlltiger und weitaus gnostischer war als allgemein angenommen

Mitte des Jahrhunderts hatte sich die gnostische Lehre in den akademischen Zen-tren des Roumlmischen Reiches insbesondere in Rom und Alexandria enorm ver-breitet Seine fesselnde Theologie des inneren Wissens und des Eskapismus stellte eine bedeutende Herausforderung fuumlr die proto-orthodoxen Bischoumlfe dar die da-rum kaumlmpften Einfluss auf die Kirche zu gewinnen und zu erhalten Die Kont-roverse um Markion von Sinope (ca 85-160 n Chr)354 ein faszinierender und maumlchtiger gnostischer Fuumlhrer ist ein Beispiel fuumlr die Schwierigkeiten welchen sich die katholischen Kirchenvaumlter gegenuumlber sahen Wie viele anderen Gnosti-kern lehrte Markion einen doketischen Christus lehnte den Gott der Juden als boumlsen Demiurg entschieden ab und argumentierte aggressiv fuumlr die Beseitigung des Alten Testaments durch die Christen355 Seine Lehren waren so einflussreich

352 Everett Ferguson ldquoCreeds Councils and Canonsrdquo The Oxford Handbook of Early Christian Studies (Ox-

ford OUP 2008) p 432 353 Beatrice ldquoHomoousiosrdquo 354 Philip Schaff bezeichnete Marcion bdquoals den ernstesten praktischsten und gefaumlhrlichsten unter den

Gnostikern voller Energie und Eifer fuumlr Reformen aber unruhig rau und exzentrischrdquo (Philip Schaff History of the Christian Church Vol 2 (New York Scribnerrsquos) p 483) Einige Gelehrte haben Marcions Gedanken vom Gnostizismus unterschieden was normalerweise darauf zuruumlckzufuumlhren ist dass er nicht mit der gnostischen Standardauffassung uumlbereinstimmt dass der Mensch einen bdquogoumlttlichen Funkenrdquo enthaumllt eine Scherbe der eigenen Seele Gottes die in ihrer fremden Materie gefangen ist (Siehe Adolf von Harnack Marcion (Darmstadt WB 1996 [1921]) p 196) Andere haben eine offensichtliche Paral-lele zur gnostischen Lehre erkannt (Sebastian Moll The Arch-heretic Marcion (Tubingen Mohr Siebeck 2010) pp 72-75) bdquoDie alten Heresiologen haben Marcion zusammen mit den Gnostikern zusam-mengelegt und es ist nicht schwer zu verstehen warumrdquo (Ebenso p 74)

355 Markion lehnte die alttestamentlichen Buumlcher weitgehend ab indem er die Briefe des Paulus und die Schriften des Lukas zu dem zusammenfasste was als der erste bdquoKanonrdquo der Schrift beschrieben wurde Fuumlr eine moderne Rekonstruktion seiner Sammlung siehe Jason BeDuhn Das Erste Neue Testament

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dass Wissenschaftler die markionitischen Kirchen zwischen 160-170 n Chr als weitaus zahlreicher schaumltzen als die proto-orthodoxen Kirchen356 Es ist sogar nicht auszuschliessen dass viele Christen in dieser Zeit die Hebraumlische Bibel wenn nicht vollstaumlndig so doch teilweise abgelehnt haben357 Noch mehr Ein-sicht in die Macht der Gnosis auf das Christentum gewinnen wir aus der Tatsache dass Valentinus selbst gemaumlszlig Tertullian ein chancenreicher Kandidat fuumlr das Amt des Bischofs von Rom war Mit anderen Worten ein Gnostiker wurde fast zum Papst358

Als Reaktion auf dieses Phaumlnomen waren prominente proto-orthodoxe Bischoumlfe und Lehrer gezwungen sich oumlffentlich mit den gnostischen Argumenten ausei-nanderzusetzen Theologen wie Irenaumlus von Lyon und Clemens von Alexandria haben viele temperamentvolle polemische Diskurse gegen die Gnostiker ge-schrieben Um 180 n Chr argumentierte Irenaumlus fuumlr die Unzulaumlssigkeit des gnos-tischen Christentums insbesondere des Valentinianismus indem er seine histo-rische Entwicklung durch lange Genealogien nachvollzog die verschiedene un-schoumlne Geschichten enthielten359

Clemens (gestorben 215 n Chr) ein Konvertit heidnischer Herkunft wurde ein einflussreicher Theologe und Vorsitzender der beruumlhmten Katechetischen Schule von Alexandria Clemens als ausgebildeter Platoniker (und derjenige der argu-mentiert hatte dass die griechische Philosophie ihren Ursprung in Aumlgypten hatte) schulte auch den beruumlhmten Gelehrten Origenes (184-253 n Chr) (oder hat ihn zumindest beeinflusst) Clemens teilte weder die negative gnostische Sicht

Markions schriftlicher Kanon (Salem Polebridge Press 2013) Markion wird von Gelehrten oft als bdquoder Hauptfaktorrdquo bei der Etablierung eines rivalisierenden bdquoorthodoxenrdquo Kanons angesehen Siehe Hans von Campenhausen bdquoDie Entstehung der christlichen Bibelrdquo Beitraumlge zur Historischen Theologie Band 39 (Tuumlbingen Mohr Siebeck 1968) Fuumlr eine detaillierte Analyse dieser Geschichte siehe Bruce M Metzger Der Kanon des Neuen Testaments Seine Herkunft Entwicklung und Bedeutung (Oxford OUP 1987)356 See John J Clabeaux ldquoMarcionrdquo Anchor Bible Dictionary Vol 4 (New York Doubleday 1992) p 515

356 See John J Clabeaux ldquoMarcionrdquo Anchor Bible Dictionary Vol 4 (New York Doubleday 1992) p 515 357 Tertullians Feststellung dass es bdquoheuterdquo (in seiner Zeit) mehr Christen gab die das Alte Testament

annahmen als diejenigen die es ablehnten zeugt von einer Zeit in der dies nicht der Fall war und einer zuvor bedeutenden markionitischen Bevoumllkerung Siehe Tertullian Gegen Markion 5 20

358 Siehe Tertullian Against the Valentinians 4 siehe auch Bentley Layton The Gnostic Scriptures (New York 1987) S 220 Rom in dieser Zeit scheint wie Alexandria viel toleranter gegenuumlber der gnostischen Lehre gewesen zu sein bdquoAbgesehen von [zwei] individuellen literarischen Anklagen von Justin und Irenaumlus gibt es keine zuverlaumlssigen Beweise dafuumlr dass Valentinus oder die Valentinianer jemals durch etwas verurteilt wurden das einem Amt kirchlicher Autoritaumlt in Rom aumlhneltrdquo (Einar Thomassen bdquoOr-thodoxie und Haumlresie im Rom des zweiten Jahrhundertsrdquo Die Harvard Theologische Revue Vol 97 Nr 3 (Cambridge CUP 2004) S 241)

359 Siehe Irenaumlus Gegen Haumlresien (auch bekannt als Uumlber die Erkennung und den Sturz der so genannten Gnosis) Waumlhrend gnostische Fuumlhrer die Quelle ihrer Lehre oft bis zum Apostel Paulus zuruumlckverfol-gten verfolgte Irenaumlus sie bis zu Simon Magus einem antagonistischen bdquoZaubererrdquo aus dem NT (Apg 89-24)

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auf die erschaffene Welt noch auf die Hebraumlischen Schriften Hierin war er ande-ren proto-orthodoxen Theologen nicht gleich Bei Clemens koumlnnen wir aber den-noch Hinweise auf einen fragwuumlrdigen Austausch zwischen Gnostizismus und Proto-Orthodoxie erkennen Wie Wissenschaftler festgestellt haben

hinterlieszlig der philosophische und theologische Kampf mit alterna-tiven hetero-gnostischen Lehren sichtbare Spuren in seinem eige-nen Denken Sein Verstaumlndnis von Hetero-Gnostizismus ist je-doch komplex genauso wie seine Einstellung zum Judentum Diese war keineswegs voumlllig negativ360

Aber wie konnte ein so angesehener christlicher Fuumlhrer eine positive Ansicht der gnostischen Lehre vertreten Mehr noch wie konnte Clemens vom Gedanken sei-ner gnostischen Gegner so bdquotief durchdrungenrdquo sein wie die Wissenschaft in juumlngster Zeit erkannt hat361 Clemens Umgebung ist der Schluumlssel zum Verstaumlnd-nis wie es zu seiner subtilen Uumlbernahme gnostischer Ideen kam Wie im vorhe-rigen Kapitel unseres Buches erwaumlhnt war die Stadt Alexandria in Aumlgypten die philosophische Hauptstadt der Antike und in dieser Welt war religioumlser Synkre-tismus in Mode Clemens selbst sagte einmal dass bdquodie Wahrheit wie ein Fluss ist der Nebenfluumlsse von allen Seiten empfaumlngtrdquo Aber wie W R Inge schreibt dass

der Fluss der spekulativen Theologie in Alexandria war wie das Nil-delta so dass einer ein sehr gelehriger oder selbstbewusster Mann sein muumlsste der versuchen sollte die Verpflichtungen von [einem alexandrinischen] Juden Christen und Griechen zueinander genau zu definieren In Alexandria gab es einen derart regen Gedanken-austausch als dass es unmoumlglich war jede Lehre mit einem Namen einer Nationalitaumlt oder einem Glaubensbekenntnis zu versehen362

Dies war die nebulose Atmosphaumlre in der Clemens den Gnostizismus [gegenuumlber der Schrift] in Frage stellen wollte Es uumlberrascht nicht dass moderne Wissen-schaftler aufgrund der ausgedehnten oumlffentlichen Auseinandersetzungen mit den Gnostikern feststellen wie Clemens tatsaumlchlich Aumlhnlichkeiten zur Gnosis hatte363 Einige erkennen sogar direkte Parallelen zwischen der Exegese der Schrift durch Clemens und den Valentiniern ganz zu schweigen von Clemens

360 Piotr Ashwin-Siejkowski Clement of Alexandria (New York T amp T Clark 2008) p 9 361 W Barnstone M Meyer (ed) The Gnostic Bible (London Shambala 2003) p 307 362 Inge p 328 unsere Hervorhebung 363 See S R C Lilla Clement of Alexandria A Study in Christian Platonism and Gnosticism (Oxford

OUP 1971) pp 162-163

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bdquoAnpassungrdquo der gnostischen Interpretationen an seine eigene Theologie364 Wie Chadwick bemerkt bdquoFuumlr die Lehren des Basilides und insbesondere von Valen-tinus empfand Clemens sogar eine gewisse Sympathierdquo365

Clemens verkoumlrperte eine Stroumlmung des alexandrinischen Christentums welche die meisten gnostischen Ansichten ablehnte aber ihre mystische Christologie und spekulative Exegese nicht voumlllig nutzlos fand Es gab offensichtlich einige vor-teilhafte Eigenschaften um sie als bdquoorthodoxrdquo zu entwickeln anzupassen und umzubenennen So verstrickten sich die alexandrinischen Apologeten in einen bdquoKrypto-Gnostizismusrdquo oumlffentlich prangerten sie das gnostische Denken an waumlhrend sie es klammheimlich durch die Hintertuumlr wieder einlieszligen366 Getarnt sowohl durch den genialen Synkretismus der Philosophen als auch durch die oumlf-fentlichen Zusicherungen der Haumlretiker wurde die Infiltration gnostischer Sensi-bilitaumlten in die bedeutendsten proto-orthodoxen Schulen erreicht

Clemens verbarg seine Absichten recht gut Er beschrieb seine wahre Lehre sogar als bdquoverdeckt und verborgenrdquo und bdquofuumlr Glaubenshuumlter und sonst niemandenrdquo ausgesondert367 Die Idee des geheimen Wissens war bei Clemens stark Die Wissen-schaftler haben ihn so bdquoinmitten des gnostischen Milieus ausgemacht wo er die Tradition der geheimen Gnosis akzeptiert hatrdquo368 Er propagierte sogar eine neue Vision dessen was er bdquochristlichen Gnostizismusrdquo nannte fuumlr ihn die reine wahre und orthodoxe Form der Gnosis die nur fuumlr die Auserwaumlhlten bestimmt war369 Fuumlr Clemens ist der bdquowahre Gnostikerrdquo ein Christ der jede Leidenschaft zuguns-ten des goumlttlichen Wissens das in Christus war ablehnt bis seine eigene Seele schlieszliglich vom materiellen Bereich abgekoppelt und bdquoGott gleichgestellt wirk-lich engelhaft gewordenrdquo ist370 Fuumlr Clemens konnte diese gnostische Ruumlckkehr zum Goumlttlichen nur erlangt werden wenn er die Reinheit des Geistes erreichte Voumlllige Unerschuumltterlichkeit war das Ziel der Gnostiker Der prauml-existierende Je-sus selbst so behauptete er bdquowar unempfindlichrdquo und nachdem er Fleisch ge-worden war bdquouumlbte [kasteite] er [das Fleisch] bis zum Zustand der Unempfind-lichkeitrdquo371 So wie die Gnostiker Kerinthus und Ptolemaumlus das platonische Ideal

364 See J L Kovacs ldquoEchoes of Valentinian Exegesis in Clement of Alexandria and Origenrdquo Origeniana

Octava Bib Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium (Leuven Peeters 2004) pp 317-329 365 Henry Chadwick zitiert in C Wilfred Griggs Early Egyptian Christianity From Its Origins to 451 CE

(Leiden Brill 1991) p 60 (Fruumlhaumlgyptische Christenheit Von den Anfaumlngen bis 451)) 366 Valentinus selbst mag der erste orthodoxe bdquoKrypto-Gnostikerrdquo gewesen sein er war bdquoder Erste der

die Prinzipien der so genannten gnostischen Ketzerei umgesetzt hatrdquo (Irenaumlus zitiert von Griggs S 54) 367 Clement of Alexandria Stromata 1 368 Griggs p 59 This tradition would continue with Origen 369 Ebenso 6 7 494 370 Clement of Alexandria Stromata 7 14 547 371 Ebenso 7 2 525

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der Gefuumlhllosigkeit auf Jesus anwandten indem sie lehrten dass Christus frei von den Leidenschaften des Lebens und nicht in der Lage war zu leiden oder Schmer-zen zu empfinden372 sagte Clemens ebenfalls dass Christus bdquoim Allgemeinen lei-denschaftslos war und keine Bewegung des Gefuumlhls durchdrang ihn weder Lust noch Schmerzrdquo373 Und so wie Valentinus lehrte dass der Koumlrper Jesu himmli-sche Nahrung erhielt sagte Clemens auch dass Christus nur scheinbar [physi-sche] Nahrung brauchte374 Aber erneut hatte Clemens seine Neigungen sorgfaumll-tig verschleiert Wie ein Historiker erklaumlrt verhinderte jedoch die bdquoUnklarheit sei-nes Stils dass Clemens in spaumlteren Jahrhunderten eine Verurteilung wie Origenes erlittrdquo375 Ein anderer Gelehrter schlaumlgt vor bdquoEs ist nicht unmoumlglich dass Cle-mens die Ablehnung durch die Kirche als Gnostiker vermieden hat vor allem weil Irenaumlus seine Polemik gegen die Gnostiker vor Clemens Zeit geschrieben hatrdquo376

Interessanterweise scheinen gewisse Christen die haumlretischen Verbindungen von Clemens zu den Gnostikern in spaumlteren Jahrhunderten wiederentdeckt zu haben Photios von Konstantinopel (820-893 n Chr) aber der bekannteste Patriarch des neunten Jahrhunderts verurteilte schlieszliglich den alten Alexandriner unver-hohlen als Ketzer377 Aber Clemens hatte bereits den groszligen Origenes gepraumlgt und Origenes seinerseits scheint eine ganze Generation von alexandrinischen Philosophen des vierten Jahrhunderts beeinflusst zu haben darunter Athanasius den Meister der nicaumlnischen Orthodoxie War der Schaden bereits angerichtet Eine Stimme unterstreicht unsere Besorgnis uumlber diesen Punkt bdquoWie unterschei-det man zwischen dem christlichen Gnostizismus der bei Clemens von Alexand-ria und Origenes sbquoorthodoxrsquo oder sbquovergleichsweise orthodoxrsquo zu sein scheint und dem christlichen Gnostizismus der in Basilides oder in Valentinus [eindeutig]

372 For Ptolemy see Irenaeus Against Heresies 1 12 2 4 for notice of Cerinthus see 1 26 373 Clement of Alexandria Stromata 6 9 71 1 374 See n 294 on p 94 375 Chadwick zitiert in Griggs Early Egyptian Christianity S 58 Bei der Konstruktion seines theolo-

gischen Systems hat Origenes bdquoden gnostischen (insbesondere valentinischen) Seelenmythos mit seinem Abstieg und Aufstieg in ein christliches Schema so umgesetzt dass er weitgehend sbquoentmythologisiertrsquo wurde trotzdem wurde er selbst in dieser Form bald als ketzerisch erkanntrdquo (Rudolph Gnosis S 369)

376 Griggs p 58 377 Fuumlr einen Bericht uumlber die Anschuldigungen von Photios siehe Piotr Ashwin-Siejkowski

Clemens von Alexandria Ein Projekt von christlicher Perfektion (New York T amp T Clark 2008) bdquoClemens hat die Humanitaumlt [das Mensch-Sein] des Logos oft unterbewertet be-sonders wenn er die Inkarnation (die Mensch-Werdung) mit einem Traum verglich oder ihn als das Anziehen des Leinengewandes beschrieb Hier wird der Koumlrper Christi mit einem Leinentuch verglichen das spaumlter fuumlr das orthodoxe Dafuumlrhalten wie dasjenige von Photios gefaumlhrlich vage klangrdquo (Ebenso S 100)

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ketzerisch istrdquo378 Wie es eine Enzyklopaumldie so zutreffend formuliert bdquoWir koumln-nen die Beobachtung nicht unerwaumlhnt lassen dass die christliche Kirche in spauml-teren Jahrhunderten in ihren sakramentalen Theorien und in voll entwickelten christologischen Ansichten bis zu einem gewissen Grad wieder gnostischen Bo-den betratrdquo379

Wir muumlssen betonen dass diese unterschwellige Gnostfiizierung jedoch keines-wegs ausschlieszliglich auf Clemens oder seine Zeit beschraumlnkt war So stand bei-spielsweise der spaumltere Lucius Lactantius (250 - 325 n Chr) ein hochgebildeter Theologe der zum leitenden religioumlsen Berater Kaiser Konstantins wurde eben-falls bdquoin der Tradition der sbquophilosophischen Gnosisrsquo von Alexandriardquo380 Wie Wis-senschaftler zeigen konstruierte Lactantius seine Lehren bdquoin offensichtlicher Ab-haumlngigkeit von der Gnostik insbesondere der Hermetik legte ihr aber nach Cle-mens Vorbild gleichzeitig das Kleid der offiziellen Theologie anrdquo381 Wie wir in Kapitel 5 dieses Buches sehen werden mag Lactantius in Nicaumla sogar persoumlnlich eine entscheidende Rolle bei der Etablierung des christlichen Dogmas gespielt haben

In der westlichen Haumllfte des Reiches erwies sich Rom als ebenso einladend ge-genuumlber gnostischen Einfluumlssen wie Alexandria Der roumlmische Bischof Marius Victorinus der irgendwann nach 355 n Chr starb ist nicht nur fuumlr seine Dar-stellung des christlichen Gottes im Sinne des Neoplatonismus und seines groszligen Einflusses auf Augustinus von Hippo (dagger 430 n Chr) von Bedeutung382 sondern auch aus einem anderen Grund der von einer fruumlheren historischen Analyse weit-gehend unbeachtet blieb Die moderne Wissenschaft erkennt nun dass Victori-nus gnostische Texte verwendete um seine eigene trinitarische Vision leichter durchzusetzen Erst seit den 1990er Jahren koumlnnen Wissenschaftler zeigen wie sehr das Werk des bdquoorthodoxenrdquo Victorinus die bei Nag Hammadi entdeckte gnostische Literatur manchmal Wort fuumlr Wort widerspiegelt383 Aber wie konnte ein so angesehenes Mitglied der [christlichen] Kirche das tun Es wird vermutet

378 Griggs p 60 379 ldquoValentinus and the Valentiniansrdquo Encyclopedia Britannica Vol 27 1911 380 Rudolph Gnosis p 370 381 Ebenso 382 Alice E Guinther ldquoAugustine and Victorinus An Analysis of a Trinitarian Argumentrdquo (2015) Under-

graduate Honors Theses Paper 974 See also F F Bruce ldquoMarius Victorinus and His Worksrdquo The Evangelical Quarterly Vol 18 (1946) p 140

383 Teile der Rechtfertigung von Victorinus entsprechen dem gnostischen Text der als Zostrianos bekannt ist einem Dokument aus dem 3 Jahrhundert das in der Nag Hammadi Bibliothek entdeckt wurde Dieses Buch beschreibt einen Bericht uumlber Zostrianos eine Figur die als aumllterer Verwandter des per-sischen religioumlsen Fuumlhrers Zoroaster dem Begruumlnder des Zoroastrismus gilt Siehe bdquoDie Predigt von Zostrianosrdquo in der Gnostischen Bibel

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dass Victorinus bdquoeinen explizit gnostischen Text las den Gnostizismus zwar ab-lehnte aber handkehrum verschiedene seiner Ideen in die eigenen Theorien um-setzte und die gnostischen Ausdruumlcke uumlbernahmrdquo384 Wissenschaftler haben nun bdquoauffaumlllige Aumlhnlichkeitenrdquo zwischen Victorinus und der Triade der Gnostiker festgestellt385 Ein Beispiel findet sich in einem wichtigen gnostischen Werk na-mens Griechisches Aumlgypterevangelium Es beschreibt Gott wie folgt bdquoAus ihm sind drei Kraumlfte hervorgegangen sie sind der Vater die Mutter und der Sohnrdquo386 Vic-torinus identifiziert den Heiligen Geist ebenfalls klar als bdquodie Mutterrdquo Christi387 und schreibt weiter bdquoGott ist dreifach maumlchtig er hat drei Kraumlfterdquo388 Das gnos-tische Schluumlsselwort hier ist bdquotridunamosrdquo (dreifache Kraft)389 So finden wir in Victorinus noch ein weiteres bdquokrypto-gnostischesrdquo Element er stellt seine bdquoganz eigene spezifische Theorie der Trinitaumlt vor die auch gnostische Vorstellungen beinhaltetrdquo390 Moderne Gelehrte wie Rasimus haben dem bdquoorthodoxenrdquo Victo-rinus neuerdings einen gnostischen Hintergrund gegeben391 Ebenso betont Ab-ramowski in seinem Schreiben sowohl neoplatonisches als auch gnostisches Den-ken (insbesondere sethianisch-barbelograve-gnostisch) und Tommasi erkennt darin sogar sein bdquodirektes Wissenrdquo uumlber den Valentinianismus392 Wir duumlrfen nicht ver-gessen dass die Gnostiker in Rom bdquosehr assimilierterdquo Mitglieder der Kirche wa-ren (wir erinnern uns dass Valentinus dort fast zum Bischof ernannt wurde) All dies laumlsst den Schluss zu dass Marius Victorinus selbst entweder zu dem gehoumlrte

384 Volker Henning Drecoll ldquoThe Greek Text Behind the Parallel Sections in Zostrianos and Marius Vic-

torinusrdquo Platorsquos Parmenides and Its Heritage Vol 1 (Atlanta Society of Biblical Literature 2010) p 210 385 Gerald P Boersma Augustinersquos Early Theology of Image (Oxford OUP 2016) p 63 See also Luise

Abramowski ldquoMarius Victorinus Porphyrius und die roumlmischen Gnostikerrdquo Zeitschrift fur die neutesta-mentliche Wissenschaft Vol 74 (1983) pp 108-128

386 Gospel of the Egyptians 1 2 Der moderne gnostische Prediger Steven Marshall offenbart dass die bdquoMutterrdquo bekannt war als die Person des bdquoHeiligen Geistesrdquo Siehe Steven Marshall ldquoEine Predigt fuumlr den Dreifaltigkeitssonntag Hingabe an die Dreieinige Gottheitrdquo Meditationen Web 19 September 2014 lthttpgnosisorgecclesiahomily_Trinityhtm_Trinityhtmgt

387 Victorinus Against the Arians 1 56-58 388 Ebenso 4 21 389 Zusaumltzlich zu seiner Verwendung in der gnostischen Religion wurde der Begriff auch in spaumlt-neopla-

tonischen Kreisen sporadisch verwendet Majercik betont die Umsetzung der Idee sowohl im syrischen Porphyry als auch in der koptischen gnostischen Literatur Siehe Ruth Majercik ldquoThe Existence-Life-Intellect Triad in Gnosticism and Neoplatonismrdquo The Classical Quarterly Vol 42 (1992) S 475-488 Auf Schritt und Tritt ist man beeindruckt von einer Verbindung zwischen Gnostizismus Neoplatonis-mus und der Entwicklung des orthodoxen Christentums

390 Ebenso Siehe Victorinus Against the Arians 1 49-50 391 Tuomas Rasimus ldquoStoic Ingredients in the Neoplatonic Being-Life-Mind Triad An Original Second-

Century Gnostic Innovationrdquo in Stoicism in Early Christianity (Grand Rapids 2010) pp 257-273 392 Chiara O Tommasi ldquoLrsquoandroginia di Cristo-Logos Mario Vittorino tra platonismo e gnosirdquo Cassiodo-

rus Vol 4 (1998) pp 11-46

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oder stark von dem beeinflusst wurde was Abramowski bdquoeinen krypto-gnosti-schen und nicaumlnischen Kreis in Romrdquo nennt393 Koumlnnten Beweise fuumlr diesen Kreis eine Kompatibilitaumlt oder eine Verbindung des gnostischen Denkens mit dem nicaumlnischen Christentum bestaumltigen Koumlnnte dieser Kreis und aumlhnliche Kreise in Alexandria394 nach Nicaumla den Weg fuumlr die spaumltere Konstruktion der orthodoxen Dreifaltigkeit geebnet haben

Dass einige der maumlchtigsten Anhaumlnger der nicaumlnischen Theologie im vierten Jahr-hundert mit gnostischen Gesinnungen buchstaumlblich uumlberflutet wurden kann nicht geleugnet werden Augustinus von Hippo ist dafuumlr das beste Beispiel und in der Tat ist er der groumlszligte aller bdquoKrypto-Gnostikerrdquo des vierten Jahrhunderts Augustins voluminoumlse und beliebte Schriften gaben der aufkommenden Lehre von der Dreifaltigkeit zweifellos Form und Gestalt und seine einzigartigen Mo-delle wurden schliesslich im Westen als orthodox dh der rechten Lehre entspre-chend aufgenommen395 Meistens ist jedoch das Leben Augustins vor der Bekehrung als er ein Schuumller des gnostischen Propheten Mani war aus dem oumlffentlichen Ge-daumlchtnis fast gaumlnzlich verschwunden

Mani (216-274 n Chr) war ein einflussreicher persischer Mystiker aus Babylon Geboren als Sohn eines gnostischen Vaters hatte Mani im Alter von zwoumllf Jahren Visionen von einer Gestalt erlebt die sich selbst als Manis bdquohimmlischer Zwil-lingrdquo bezeichnete Dieser forderte Mani auf die bdquowahre Botschaftrdquo Jesu Christi zu predigen Mani reiste ins moderne Afghanistan wo er Hinduismus und Bud-dhismus studierte und als er nach Persien zuruumlckkehrte behauptete er der letzte Bote der bdquoTroumlsterrdquo zu sein der von Jesus in Joh 1426 der Welt versprochen wurde Mani gewann am koumlniglichen Hof - vor seinem schrecklichen Maumlrtyrertod

393 Siehe Luise Abramowski bdquoNicanismus und Gnosis im Rom des Bischofs Liberius der Fall des Marius

Victorinusrdquo Zeitschrift fur Antikes Christentum Vol 8 No 3 (SN SL 2005) pp 513-566 394 For notice of established bdquoChristian Gnostics in Alexandriardquo see Birger A Pearson Gnosticism Judaism

and Egyptian Christianity (Fortress Press 2006) p 200 395 Augustinus war maszliggeblich an der Entwicklung eines zusaumltzlichen Punktes der trinitarischen Lehre

beteiligt der durch einen Satz bekannt als bdquofilioquerdquo repraumlsentiert wird der im sechsten Jahrhundert einigen spaumlteren Formen des nicaumlnisch-konstantinopolitischen Glaubensbekenntnisses von 381 n Chr [ruumlckwirkend] hinzugefuumlgt wurde Im Wesentlichen hielt die Lehre fest dass der Heilige Geist sowohl vom Vater als auch vom Sohn ausgeht Die Hinzufuumlgung von bdquound dem Sohnrdquo war ein Punkt groszliger Kontroversen insbesondere zwischen der Ost- und der Westkirche da sie negative Auswirkungen auf die Funktion des Vaters in der Dreifaltigkeitswirtschaft haben sollte Der Zusatz wurde schlieszliglich 1014 n Chr vom Papst angenommen aber von der orientalisch-orthodoxen und der ostorthodoxen Kirche abgelehnt Weil Augustinus bei der Bildung der bdquoZweierprozessionrdquo so einflussreich war wurde er in den Ostkirchen immer als eine eigenstaumlndige Vermutung des Augustins angesehen und nie akzeptiert

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- an Bedeutung396 und die populaumlre Sekte [die Manichaumler] die in seine Fussstap-fen trat erstreckte sich bald uumlber die gesamte antike Welt397

Augustinus studierte zehn Jahre lang als bdquoHoumlrerrdquo in dieser manichaumlischen Sekte398 Die komplexen Lehren dieser Gnostiker erwiesen sich fuumlr Augustinus sehr attraktiv denn wie er selbst zugibt sehnte er sich danach bdquoin uumlbermaumlszligiger Eitelkeit als elegant und urban angesehen zu werdenrdquo399 Wie andere gnostische Gruppen lehrte auch der Manichaumlismus eine hochentwickelte dualistische Welt-anschauung die den staumlndigen Kampf zwischen geistig Gutem und materiell Bouml-sem in den Vordergrund stellte Nach manichaumlischer Auffassung wurden Sex und Fortpflanzung als negative Aktivitaumlten angesehen welche unsterbliche Seelen in der Knechtschaft der ererbten Korruption gefangen nahmen Sie hielten fest dass die Menschheit von Geburt an mit Boumlsem verseucht war Diese Lehre hatte einen erheblichen Einfluss auf das Denken des Augustinus der selbst bekanntlich mit der sexuellen Begierde zu kaumlmpfen hatte400 Wir koumlnnen leicht verstehen wie befreiend die manichaumlische Lehre fuumlr Augustinus gewesen sein muss Seine Situ-ation so hatten sie [ihm] erklaumlrt war schuld an seinem materiellen Zustand

Irgendwann bekehrte sich der neoplatonische (und krypto-gnostische) Marius Victorinus und Augustinus lieszlig sich von dessen Konversion inspirieren Er selber wurde 386 n Chr getauft und begann bald groszligen Einfluss auf die westliche Kirche auszuuumlben401 Es ist jedoch offensichtlich dass Augustinus als er sich

396 Mani war dem Hof von Schapur I beigetreten einem toleranten zoroastrischen Koumlnig Aber einer der

eifrigen Nachfolger des Koumlnigs Bahram I verfolgte den Manichaumlismus hart und soll Mani gefoltert und hingerichtet haben indem er seine Leiche als Warnung an seine Anhaumlnger in der Stadt aufhaumlngte Die Manichaumler sahen Manis Tod natuumlrlich als Spiegel des Opfertodes Christi der sein Leben fuumlr seine Freunde hingab Spaumlter wurde Mani zum Objekt des Gebets und zu einem Gott sogar zu einem bdquoBud-dhardquo Siehe Majella Franzmann Jesus in den manichaumlischen Schriften (London T amp T Clark 2003) S 25-26

397 Der Manichaumlismus gedieh nicht nur im gesamten Nahen Osten sondern auch in Rom und sogar in China Als der italienische Handelsreisende Marco Polo zwischen 1271 und 1288 n Chr nach China reiste traf er auf eine Gruppe von chinesischen Manichaumlern in der Provinz Fujian und erkannte sie als bdquoweder buddhistisch noch zoroastrisch weder christlich noch muslimischldquo Siehe Ronald Latham The Travels of Marco Polo (London Penguin Books 1958) S 235-236

398 Die Juumlnger wurden in eine Hierarchie von bdquoAuserwaumlhltenrdquo und bdquoZuhoumlrernrdquo aufgeteilt wobei die letztgenannte Gruppe wahrscheinlich auf der buddhistischen bdquoSangardquo oder der monastischen Versa-mmlung der geweihten Moumlnche basiert

399 Augustine Confessions 3 1 400 In Augustins gefeierten Werk Confessiones (Bekenntnisse) finden wir dass bdquodas sexuelle Verlangen eine

zentrale Rolle im Leben Augustins gespielt hatldquo Er bezeichnete sich vor seiner Bekehrung zum katholischen Christentum als bdquoSklave der Lustrdquo (libidinis servus) Er vertrat seine Bekehrung als Verpflichtung zur bdquoKontinenzrdquo (Continentia) der weiblichen Personifizierung der sexuellen Entsagung Dennoch erlebte er auch noch lange nach seiner Bekehrung einen anhaltenden Kampf mit seinen sex-uellen Leidenschaftenrdquo (Mathew Kuefler ldquoHomosexuality Augustine and the Christian Closetrdquo Why the Middle Ages matter ndash Warum das Mittelalter wichtig ist (London Routledge 2012) S 78

401 Waumlhrend seines Lebens als Gnostiker hatte Augustinus wenig Achtung vor der Bibel Ihm fehlte in der Schrift die Schoumlnheit und Komplexitaumlt der griechischen Philosophie sie war bdquoniedrig im Houmlrenrdquo und

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bekehrte seine gnostischen Gedanken mitbrachte Zum Beispiel wurden die ma-nichaumlischen Ansichten von Sex Fortpflanzung Suumlnde und die Elite der bdquoAuser-waumlhltenrdquo (lat electi) seiner orthodoxen Lehre angepasst und weitgehend beibehal-ten402 Wissenschaftler bestaumltigen dass Augustins Menschenbild bdquoein Erbe der Gnosis war das nicht vollstaumlndig uumlberwunden sondern nur uumlbersetzt wurderdquo403 Waumlhrend er einerseits den radikalen gnostischen Dualismus seiner ehemaligen manichaumlischen Bruumlder oumlffentlich verurteilte war dieses Denken [in Augustins Lehren] bdquoweiterhin lebendig in der Menschheit und ihrer Geschichte als absolute Trennung von Berufenen und Verworfenenrdquo404 Trotz seiner oumlffentlichen Feind-seligkeit gegenuumlber den Manichaumlern war deren Weltanschauung immer noch die Energiequelle fuumlr einen Groszligteil von Augustins charakteristischstem Denken und Experten fuumlr Gnostizismus haben dies laumlngst erkannt405 Was war Augusti-nus dann wenn nicht ebenfalls ein bdquoKrypto-Gnostikerrdquo im Sinne des Clemens

bdquowuumlrdelosrdquo und war nur eine bdquoArt Hilfe fuumlr das Wachstum der Kleinenrdquo (Augustinus Bekenntnisse 3 5) Aber als Augustinus 384 n Chr nach Mailand zog houmlrte er Ambrosius die neoplatonischen Ideen von Plotinus auf die Interpretation der christlichen Schriften anwenden Fasziniert studierte Augustinus den Neoplatonismus selbst und war uumlberzeugt dass er eine uumlberlegene Philosophie gegenuumlber dem Manichaumlismus war Augustinus houmlrte dann die bewegende Geschichte des Neoplatonikers Marius Vic-torinus der sich schlieszliglich bekehrt hatte und als Christ getauft wurde Augustinus war inspiriert Zwei Jahre nach seinem Umzug nach Mailand und nach einer Reihe von Dramen mit seiner Konkubine wurde er schlieszliglich von Ambrosius getauft

402 Der zum Christentum uumlbergetretene Augustinus definierte nun den menschlichen Wunsch nach Sex als Ergebnis und Bestrafung des urspruumlnglichen Ungehorsams von Adam und Eva und hielt fest dass ihre Schuld ihre Nachkommen verschmutzt und die Menschheit von Geburt an mit Boumlsem kontaminiert habe In Anlehnung an seine gnostische Vergangenheit argumentierte Augustinus dass die menschliche Fortpflanzung die Art und Weise sei wie diese Uumlbertragung der Knechtschaft erfolgt sei Siehe Kelly S 363 So finden wir in den christlichen Schriften des Augustinus noch immer nicht nur einen negativen Blick auf die Fortpflanzung sondern bdquo[eine] Note der Melancholie des Ekels und sogar der Brutalitaumlt gegenuumlber der [Menschheit]rdquo (John Mahoney ldquoThe Legacy of Augustinerdquo The Making of Moral Theology A Study about the Roman Catholic Tradition (OUP 1987) S 46) Die Wissenschaftlerin des Gnostizismus Elaine Pagels zeigt dass bdquoAugustins Theorie der Erbsuumlnde sich nicht nur als politisch zweckmaumlszligig er-wiesen hat da die Theorie viele seiner Zeitgenossen davon uumlberzeugt hat dass der Mensch allgemein eine externe Regierung braucht sondern auch eine Analyse der menschlichen Natur angeboten hat die zum Erbe aller nachfolgenden Generationen westlicher Christen und zum Haupteinfluss auf ihr psychologisches und politisches Denken wurde Waumlhrend Augustins Leben erhoben verschiedene Christen die gegen seine radikale Theorie Einspruch und andere haben sie heftig bestritten aber in den naumlchsten Generationen wurden Christen die sich an traditionellere Ansichten von menschlicher Freiheit hielten selbst als Ketzer verurteiltrdquo (Elaine Pagels Adam Eve and the Serpent Sex and Politics in Early Christianity (New York Vintage 1989) p xxvi)

403 Rudolph Gnosis p 371 404 Ebenso p 370 405 Augustinus bdquovereinnahmte dieses Erbe am deutlichsten in der beeindruckenden histor-

ischen Betrachtung der beiden sbquoReichersquo (civitates) des Teufels oder des Boumlsen (civitas diaboli oder civitates impiorum) und des Gottes (civitas Dei) und praumlgte so die christlich-historische Metaphysik des Mittelalters Auch andere Aspekte seiner Lehre sind ohne dieses Erbe das eng mit der verwandten spaumltplatonischen Tradition verbunden ist nicht zu verstehen wie der beruumlhmte Glaube an die Praumldestination (Gnade und Erwaumlhlung) die Rolle der Seele als Abbild Gottes und damit ein unsterbliches Element und vor allem der Begriff der Erbsuumlnde

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und des Victorinus vor ihm Durch Augustinus kam schlieszliglich eine transfor-mierte manichaumlische Weltsicht dazu und begann das spaumltere christliche Denken gruumlndlich zu dominieren406 Der zu Beginn des dritten Jahrhunderts eingeleitete Prozess der katholisierenden Gnosis erreichte in Augustinus deutlich seinen Houml-hepunkt Wie Rudolph bestaumltigt war Augustinus bdquoder letzte in der Entwicklungs-ketterdquo407

Letztendlich so das Fazit der modernen Wissenschaft bdquomuss es in Rom genauso moumlglich gewesen sein gnostische Ideen waumlhrend des vierten Jahrhunderts zu ver-breiten wie bereits im dritten Jahrhundertrdquo408 Es war die fruumlhe Akzeptanz dieser Wahrnehmungen der gnostischen These uumlber die Gottheit Christi die den fruchtbaren Boden bildete auf dem der ewige (prauml-existente) Jesus nach den Ausle-gungen von Nicaumla gedeihen konnte Professor Werner verraumlt bdquoEine gnostische Theorie wurde zuerst abgelehnt aber fruumlher oder spaumlter wurde sie von der Kirche an ihre eigenen Grundbegriffe angebundenrdquo Vor diesem Hintergrund und mit diesen Formeln trat bdquodie nicaumlnische Partei zunaumlchst in die Debatte mit den Aria-nern einrdquo409 Die gesamte Trinitaumltstheorie rund um den nicaumlnischen Jesus kann sich in der Tat als das katholische Ausarbeiten der urspruumlnglich gnostischen These erweisen und wie wir sehen werden hat die Trinitaumlt - dank der zeitlich

Letzteres ist das Ergebnis des Falls des Menschen aus dem goumlttlichen Ursprungszustand der durch seine eigene Schuld verursacht wurde Seine Position in der Lehre des Augustinus ist ein Echo der manichaumlischen Vorstellung von der schicksalhaften sbquoMischungrsquo aus Licht und Dunkelheit Geist und Materie die zwangslaumlufig die menschliche Existenz bestimmtrdquo (Ebenso)

406 Die protestantische Reformation von Luther und Calvin war eine Wiederbelebung des Augustinismus und heute verewigen Millionen von Christen das sbquoniedrigersquo Menschenbild Augustins Innerhalb der prot-estantischen Reformation bdquobesetzte eine erneute Betrachtung des Augustinus alle abendlaumlndischen christ-lichen Konfessionen Luthers augustinische Auffassung von einem von der Erbsuumlnde versklavten Wil-len hatte innerhalb des Protestantismus seit zwei Jahrhunderten die groumlszligte Bedeutungrdquo (Anthony Kruppo Reasons Children (Kinder der Vernunft) (Cranbury Associated University Press 2009) S 110) Wissenschaftler bestaumltigen dass bdquonoch heute in der wichtigen theologischen Erweckung unserer Zeit der Einfluss des Augustinus offensichtlich einer der staumlrksten und produktivsten Impulse am Wirken istrdquo (Albert Cook Outler (trans) The Confessions of St Augustine (Bekenntnisse) (Mineola Dover Pub-lications 2002[1955]) p vi)

407 Ebenso Augustins sbquoniedrigesrsquo Menschenbild (inferior intellectus) muss in seiner Christologie eine Rolle gespielt haben Weil der Mensch von Natur aus schmutzig und unzureichend ist muss Christus im Grunde genommen Gott gewesen sein Fuumlr Augustinus ist es die goumlttliche Person die der bdquoBesitzerrdquo und das bdquowahre Lebenrdquo der menschlichen Natur ist die goumlttliche Person bdquotraumlgtrdquo oder bdquohandelt durchrdquo eine menschliche Person oder wie die menschliche Natur wie ein Kleidungsstuumlck bdquoangezogenrdquo hat (Al-lan Fitzgerald John C Cavadini (Hrsg) Augustinus durch die Zeitalter Eine Enzyklopaumldie (Grand Rapids Eerdmans 1999) S 167) Fuumlr Augustinus bdquowaumlhrend die menschliche Natur [Jesu] real war bewahrte die Tatsache dass sie aus einer reinen Jungfrau geboren wurde sie vor der Erbsuumlnde noch war sie anfaumlllig fuumlr die menschliche Unwissenheit trotz der Aussagen des Evangeliums die das Gegenteil nahezulegen scheinenrdquo (Kelly S 336)

408 Drecoll ldquoZostrianos and Marius Victorinusrdquo p 210 409 Martin Werner zitiert bei Buzzard Jesus Was Not A Trinitarian p 320 (Jesus war kein Trinitarier)

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passenden Reaktivierung im vierten Jahrhundert akut gnostischer Definitionen - eine Niederlage vermieden

DiegnostischenHypostasenEs mag nicht verwundern dass nach alten Quellen die grundlegendste orthodoxe Abgrenzung der triadischen [dreieinigen] Natur Gottes die bdquodrei Hypostasen (Personen)rdquo bereits von den gnostischen Haumlretikern ausgedacht und verwendet wurde lange bevor sich jemals eines der katholischen Konzile versammelt hatte Dies wurde waumlhrend der arianischen Kontroverse durch den Theologen Marcel-lus von Ancyra (gest 374 n Chr) hervorgehoben der argumentierte dass dieses Modell direkt aus den Lehren von Valentinus stammt So protestierte Marcellus

Diese [Gnostiker] lehren dann drei Hypostasen genau wie Valen-tinus der Erzketzer der den Begriff zuerst in dem Buch mit dem Titel Uumlber die drei Naturen praumlgte Denn er war der erste der drei Hypostasen oder drei Personen des Vaters des Sohnes und des Heiligen Geistes erfunden hat und man ertappt ihn dass er diese Idee von Hermes und Platon uumlbernommen hat410

Marcellus der waumlhrend dem arianischen Streit weder mit den unitarischen Aria-nern noch mit den Proto-Trinitariern verbuumlndet war wurde selber spaumlter wegen seiner Ablehnung des bdquoDrei-Hypostasen-Modellsrdquo verdammt Obwohl Marcellus zustimmte dass Christus bdquoGottldquo sei (offensichtlich in einem sabellianischen Sinne)411 lehnte er die sbquoVervielfaumlltigungsbquo von Hypostasen durch die Theologen als gnostisch-heidnisch ab412 Dennoch wie es in einer Enzyklopaumldie heisst bdquowurde diese einzige valentinianische Lehre als orthodox angesehen da sie einen

410 Marcellus Uumlber die Heilige Kirche 9 Siehe Logan S 393 Marcellus Zitat von Valentinus und seine

sekundaumlre Notiz von Platon und Hermes ist insofern interessant als diese Lehrer die bdquoHypostasisrdquo nicht in gleicher Weise betrachteten Zum Beispiel sind Valentinus Hypostasen persoumlnlich und die des Plato-nismus unpersoumlnlich Marcellus zielt mit seinem primaumlren Zitat von Valentinus eindeutig auf persoumlnliche Hypostasen Aber in den Augen von Marcellus einem Sabellianer der nur an eine Hypostase glaubte waumlren sowohl die Arianer wie sein Gegner Eusebius als auch die Anti-Arianer schuldig Hypostasen zu multiplizieren und die platonische Sprache auf verschiedene Wesen des Vaters und des Sohnes an-zuwenden Er erkennt in Eusebius insbesondere was er als hermetische Tendenz bezeichnet zwei goumlt-tliche Wesen durch das Teilhaben an der Natur zu verbinden (Hypostasen - Personifizierung goumlttlicher Eigenschaften oder religioumlser Vorstellungen zu einem eigenstaumlndigen goumlttlichen Wesen (z B in der christlichen Theologie die drei Personen der Trinitaumlt) Anm d Uuml

411 Der Sabellianismus (auch Modalismus genannt) war die Lehre dass Gott eine Person ist die in den verschiedenen Formen oder Aspekten von Vater Sohn und Heiligem Geist existiert Diese Theologie die jede unterschiedliche Persoumlnlichkeit zwischen den Hypostasen verneinte wurde vom Konzil von Antiochia im Jahre 269 n Chr verurteilt Dennoch blieb seine Praumlsenz in der gesamten Kirchenges-chichte stark Heute hat die Einheitspfingstbewegung eine modalistische christliche Bewegung [Jesus Only] Millionen von Anhaumlngern

412 John Arendzen ldquoMarcellus of Ancyrardquo The Catholic Encyclopedia Vol 9 (New York Robert Apple-ton Company 1910) Web 29 Sep 2014

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nuumltzlichen Mittelweg zwischen der arianischen und der sabellianischen Position botrdquo413 Aber was genau waren diese bdquoHypostasenrdquo im valentinischen System War die gnostische Lehre wirklich der spaumlteren Orthodoxie aumlhnlich

Die Bedeutung des Wortes bdquoHypostaserdquo aumlnderte sich im Laufe der philosophi-schen Geschichte Unter den alten Griechen war der Begriff zunaumlchst gleichbe-deutend mit bdquoousiardquo (Sein Substanz Wesen) Der groszlige Sokrates hatte bdquohypostasisrdquo nie verwendet sondern bdquoousiardquo bevorzugt und auch Platon verwendete nie bdquohy-postasisrdquo Die Stoiker waren wirklich die ersten die das Wort benutzten und fuumlr sie bedeutete es bdquoSubstanzrdquo oder bdquoobjektive Realitaumltrdquo Die lateinischen Stoiker benutzten synonym bdquohypostasisrdquo und den lateinischen Begriff bdquouna substantiardquo was darauf hinweist dass die urspruumlngliche griechische Bedeutung tatsaumlchlich gleichbedeutend war mit bdquoousiardquo (Substanz) Im dritten Jahrhundert n Chr wurde das Wort schlieszliglich von Plotinus verwendet um die drei Prinzipien der Realitaumlt zu beschreiben

Wir finden die fruumlheste christliche Verwendung des Wortes tatsaumlchlich im grie-chischen Neuen Testament Der Begriff wird mehrfach verwendet um bdquoSicher-heitrdquo [oder Zuversicht] bdquoSubstanzrdquo (im nicht-technischen Sinne) oder bdquoRealitaumltrdquo zu bezeichnen414 Zum Beispiel lesen wir in Hebraumler 111 bdquoNun ist der Glaube eine fundierte Gewissheit (hypostasis) dessen worauf wir hoffen und eine Uumlber-zeugung von der Realitaumlt der Dinge die wir nicht sehenrdquo Einmal in Hebraumler 13 wird das Wort sogar auf Gott angewendet und dient der Beschreibung des einen bdquoWesensrdquo oder der bdquoSubstanzrdquo Gottes415 Wie Pelikan erklaumlrt scheint dieser neu-testamentliche Gebrauch von bdquoHypostasenrdquo tatsaumlchlich ein bdquobiblischer Beweis gegen die Formulierung einer Ousia und drei Hypostasen zu seinrdquo416 Offensicht-lich war der fruumlhe juumldisch-christliche Gebrauch weiterhin ein Synonym fuumlr bdquoou-siardquo genau wie bei den Griechen Aber wenn sowohl die fruumlhesten Juden-Chris-ten als auch die griechischen Philosophen mit bdquoHypostaserdquo die bdquoSubstanzrdquo oder

413 ldquoValentinusrdquo New World Encyclopedia 2008 Web 29 Sep 2014 414 bdquoIm vierten Jahrhundert war Hypostase nicht mehr gleichbedeutend mit Ousia In Hebr 111 der

diesen Entwicklungen vorausgeht kann Hypostase als sbquoSubstanzrsquo (im nicht-technischen Sinne) oder sbquoRe-alitaumltrsquo uumlbersetzt werdenrdquo (James W Thompson Paideia Kommentare zum Neuen Testament Hebraumler (Grand Rapids Baker 2008) S 230)

415 Hebr 13 erhaumllt eine Vielzahl von Abhandlungen in englischer Uumlbersetzung bezieht sich aber ganz offensichtlich auf die urspruumlngliche Bedeutung von bdquoHypostaserdquo als Synonym fuumlr bdquoOusiardquo Die NASB uumlbersetzt das Wort in Hebr 13 mit bdquoNaturrdquo andere hingegen verwenden bdquoSeinrdquo (ISV CEB NAB) bdquoSubstanzrdquo (ASV DARBY DRA) und bdquoEssenzrdquo (AMP LEB) Die spaumltere kappadokische Verwendung ist nirgendwo im NT dargestellt Interessanterweise scheint Hebr 13 zu sagen dass bdquoGottrdquo eine bdquoHy-postaserdquo hat Wenn dieses Wort bdquoMenschrdquo bedeutete wie es bei den Kappadokiern des vierten Jahrhun-derts der Fall war dann waumlre Gott nur eine Person Aber die (KJV) englischen Uumlbersetzer muumlssen auf die klassische Bedeutung von bdquoHypostaserdquo als bdquoSeinrdquo oder bdquoSubstanzrdquo zuruumlckgreifen und zwar fuumlr die-sen Vers Andernfalls wird die Lehre dass Gott drei bdquoHypostasenrdquo sind durch diesen NT-Verweis auf die eine bdquoHypostaserdquo von bdquoGottrdquo in Hebr 13 beschaumldigt

416 Jaroslav Pelikan The Christian Tradition Vol 1 (Chicago CUP 1975) p 129

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die bdquoRealitaumltrdquo meinten wie kamen dann die spaumlteren Heiden-Christen uumlberhaupt dazu mit bdquoHypostaserdquo eine bdquoPersonrdquo zu bezeichnen wie Valentinus und schlieszlig-lich wie der orthodoxe Trinitarismus

Die Orthodoxie obwohl offensichtlich vom Neoplatonismus beeinflusst lernte ihre Sicht der bdquoHypostaserdquo nicht von Plotinus Trotz der Personifizierungsspra-che ist klar dass fuumlr Plotinus das Wort noch nicht bdquoPersonrdquo bedeutete Er be-trachtete die platonischen Hypostasen weiterhin nur als die fundamentalen Prin-zipien unter allem was wir erleben417 Tatsaumlchlich bedeutete Hypostase fuumlr Plo-tinus wie auch fuumlr Platon und Aristoteles die unterschwellige Essenz oder das Prinzip der Dinge Dem bdquoEinen oder Gutenrdquo sprach er nicht einmal einen hy-postatischen Charakter zu Im plotinischen Vokabular bedeutete Hypostase nicht ein Individuum oder eine Person sbquoDer Einelsquo sbquoGeistlsquo sbquoSeelelsquo waren in keiner Weise Personen rdquo418

Daher kommen wir fast zwangslaumlufig zum Schluss dass die Definition von bdquoHy-postaserdquo als bdquoPersonrdquo von den Gnostikern formuliert wurde419 Tatsaumlchlich ist es der ausdruumlcklich gnostische Begriff der bdquoHypostaserdquo und der damit verbundene Begriff der Emanation [Ausstroumlmung oder Ausstrahlung] welche sich im spaumlte-ren orthodoxen Trinitarismus widerspiegeln Wie Wissenschaftler heute aufzei-gen

Der Begriff der Hypostase hat im Gnostizismus eine besondere Bedeutung gemaumlszlig den Gnostikern aus bereits existierenden Prinzipien sprudelt eine Vielzahl von Existenzen oder Hyposta-sen hervor Was die gnostischen Hypostasen definiert ist dass sie sich in irgendeiner Weise in eine persoumlnliche Einheit inkarnieren [Fleisch werden]420

Fuumlr die Gnostiker waren aber die Hypostasen nicht einfach nur fundamentale Prinzipien oder Substanzen sie waren tatsaumlchlich unterschiedliche Intellekte oder Personen Wie Tertullian in seinen Schriften gegen die Valentinianer erklaumlrt bdquoob-wohl sie [die Gottheit] allein gewesen waumlre weisen sie ihr eine zweite Person in sich

417 Siehe Kevin Corrigan Reading Plotinus A Practical Introduction to Neoplatonism (West Lafayette

Purdue University Press 2005) pp 23-26 (Plotinus Eine praktische Einfuumlhrung in den Neuplatonis-mus) Siehe auch Paine The Ethnic Trinities pp 145-146

418 Paine The Ethnic Trinities p 176 184 419 Zu den fruumlhesten Verwendungen des Wortes bdquoHypostaserdquo in der heidnischen christlichen Welt gehoumlrte

der syrische Theologe (und spaumlter zum Valentianismus konvertiert) Tatian (ca 120-180 n Chr) aber zu diesem Zeitpunkt bedeutete es noch bdquoSubstanzrdquo wie es im Platonismus und im Neuen Testament der Fall war

420 Giorgio Agamben The Use of Bodies (Stanford Stanford University Press 2015) p 140

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selbst und mit sich selbst zurdquo421 Plotinus war besonders veraumlrgert uumlber den gnosti-schen Gebrauch von bdquoHypostasenrdquo Ihm zufolge lehrten die Gnostiker zu Un-recht dass die verschiedenen Hypostasen unterschiedliche Intellekte in Gott seien422 Er wirft den Gnostikern vor Platons Schrift zu missbrauchen bdquoum ihren Begriff von den Hypostasen im Text zu beweisen und gleichzeitig die klare Be-deutung der Passage zu verfehlenrdquo423 und er kritisiert regelmaumlszligig ihren Miss-brauch der platonischen Sprache424 Plotinus argumentiert letztlich auf diese Weise gegen ihre Ansicht der Pluralitaumlt [Mehrzahl] von Personen in Gott bdquoWir sind nicht berechtigt eine Vielzahl von intellektuellen Prinzipien zu bestaumlti-gen[das] wuumlrde zwei Wesen ergebenrdquo425

Aber die Gnostiker sahen die Dinge anders Nach valentinianischer Auffassung war das Pleroma (die Fuumllle) Gottes bdquoeinheitlichrdquo es war das eine goumlttliche Wesen Aber in dieser Fuumllle der Gottheit wohnten verschiedene Personen oder Intellekte Wie Tertullian erklaumlrt bdquoValentinus hatte diese in das Wesen der Gottheit aufgenom-menrdquo426 Die Gnostiker waren auch mit Plotins Kritik an ihrer Lehre nicht ein-verstanden in ihren bdquoHypostasenrdquo sahen sie keine unterschiedlichen bdquoWesenrdquo obwohl sich der Begriff bdquoHypostaserdquo immer noch auf den einen Gott bezog Es ist kaum zu glauben aber es ist derselbe eigenartige Sinn in welchem diese Spra-che vom spaumlteren orthodoxen Trinitarismus verwendet wird Wie ein Gelehrter erklaumlrte hatte bdquoHypostaserdquo zwar fuumlr fruumlhere Christen etwas ganz anderes bedeu-tet bdquoEs setzte sich aber erst in der Zeit Athanasius endguumlltig durch [wirklich von der Zeit der Kappadokier an] um die ontologische Beziehung auszudruumlcken die

421 Tertullian Against the Valentinians 7 422 Plotinus argumentiert bdquoUnd die Herstellung einer Pluralitaumlt in der verstaumlndlichen Welt das Wesen und

der Intellekt und der Schoumlpfer der sich von Intellekt und Seele unterscheidet wird den Worten im Timaios aus entnommen Denn Platon sagt sbquoDer Schoumlpfer dieses Universums dachte dass es alle For-men enthalten sollte die die Intelligenz im lebendigen Wesen erkennt das wirklich istrsquo Aber sie verstanden es nicht und verstehen es so dass es einen Geist gibt der in ihm alle Realitaumlten im Ruhezustand enthaumllt und einen anderen Geist der sich von ihm unterscheidet der sie betrachtet und einen anderen der plant und sie denken dass dies gemaumlszlig Platon der Erschaffer ist dabei sind sie weit davon entfernt zu wissen wer der Erschaffer [wirklich] istrdquo (Plotinus Enneaden II 9 6 14-24)

423 Scott T Carroll ldquoGnosticism and the Classical Traditionrdquo Hellenization Revisited Shaping a Christian Response Within the Greco-Roman World (Lanham University Press of America 1994) p 298

(ldquoGnostizismus und die klassische Traditionldquo erneute Hellenisierung Entwicklung einer christlichen Ant-wort innerhalb der griechisch-roumlmischen Welt)

424 bdquoZum Beispiel benutzten Gnostiker Bilder von der individuellen menschlichen Seele [einer individuellen Intelligenz oder Person] die ihre Fluumlgel zerfetzt und faumlllt von Platons Phaedrus um den Fall der Weltseele zu beschreiben [die dritten Hypostasen des Neoplatonismus] Unter Missachtung der urspruumln-glichen Absicht nahmen die Gnostiker dreist einen bekannten Begriff auf und transformierten seine Bedeutung radikalrdquo (Ebenso Hervorhebung hinuzgefuumlgt)

425 Plotinus Enneaden II 9 Interessanterweise aumlhnelt dies dem Argument der Kritiker der christlichen Dreifaltigkeit dass drei persoumlnliche Hypostasen uns letztendlich drei Wesen geben

426 Tertullian Against the Valentinians 4

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in der Lehre der Dreifaltigkeit impliziert ist sbquoEin Gott in drei Hypostasenrsquo die drei Hypostasen oder Existenzen beziehen sich auf eine einzige Substanzrdquo427

Beobachten wir nun wie genau die gnostischen Hypostasen dem spaumlteren Trinita-rismus haargenau entsprechen Laut Tertullian wurde das gnostische Gottesple-roma (die Fuumllle) als eine einzige Substanz oder Essenz betrachtet428 In dieser Substanz Gottes existierten verschiedene Prinzipien oder Attribute besondere Merkmale wie bdquoGluumlckrdquo bdquoder einzig Gezeugterdquo bdquoder Selbstexistierenderdquo und bdquoGlauberdquo die letztlich in persoumlnliche Hypostasen uumlbersetzt wurden Diese Hypostasen wur-den als bdquohomoousiosrdquo (konsubstanziell) miteinander betrachtet429 Sie alle waren Manifestationen der Fuumllle oder der Ganzheit Gottes430 und wie Professor OB-rien erklaumlrt stellen die Hypostasen letztlich bdquoModi Gottesrdquo dar431

Ebenso finden wir das aus der Sicht der orthodoxen Kappadokier welche die Trinitaumltsformel endguumlltig entwickelt haben bdquoJede der goumlttlichen Hypostasen ist die Substanz oder Essenz der Gottheit die durch ihr entsprechendes kennzeich-nendes Merkmal oder ihre identifizierende Besonderheit bestimmt wird diese kennzeichnenden Merkmale sind jeweils bdquoVaterschaftrdquo bdquoSohnschaftrdquo und bdquoHei-ligungrdquo432 Diese Hypostasen wurden als bdquohomoousiosrdquo (konsubstanziell das gleiche Wesen miteinander teilend) betrachtet Jede traumlgt auch die ganze Essenz oder Fuumllle Gottes433 Fuumlr die Trinitarier des vierten Jahrhunderts bdquoist die Kern-aussage ihrer Lehre dass die eine Gottheit gleichzeitig in drei Seins-Modi oder Hypostasen existiert Sie werden als bdquoModi des Kommens zum Seinrdquo bezeich-net bdquoModi der Existenzrdquo434

427 Agamben p 140 von mir in Klammern gesetzt 428 Tertullian Against the Valentinians 4 13 429 Siehe Tertullian Gegen die Valentinier 12 13 besonders 18 der die Aumlonen oder Hypostasen in Gott

als bdquokonsubstanziellrdquo beschreibt Siehe auch Rudolphs Beobachtung dass gnostische Theologen die Hy-postasen Christi und Gottes als bdquokonsubstanziellrdquo vor den Katholiken sahen (Rudolph p 372)

430 bdquoAlle Emanationen (Ausstroumlmungen oder Ausstrahlungen) des Vaters sind also Fuumllle (Pleroma) und alle seine Emanationen haben ihre Wurzeln in demjenigen der sie alle aus sich heraus wachsen lieszligrdquo (Evangelium der Wahrheit trans Barnstone Meyer S 255)

431 OrsquoBrien p 216 432 Kelly p 267 433 Im orthodoxen System ist jede Hypostase Traumlger der gesamten Essenz Basilius einer der kappa-

dokischen Vaumlter schreibt bdquoWas auch immer der Vater ist findet sich auch im Sohn Und was auch immer der Sohn ist findet sich auch im Vater Der Sohn findet sich in seiner Gesamtheit im Vater und er hat den Vater in seiner Gesamtheit in sich Die Hypostase des Sohnes ist also das Bild und die Aumlhnlichkeit an welcher der Vater erkannt wird Und die Hypostase des Vaters wird im Bild des Sohnes erkanntrdquo (Basilius von Caesarea 38 Brief)

434 Kelly pp 265-266

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Sowohl in der gnostischen als auch in der orthodoxen Sicht ist es also die Unter-scheidungskraft der Attribute innerhalb der goumlttlichen Substanz die Gottes Ma-nifestation in persoumlnlichen Hypostasen hervorbringt ohne eine Spaltung des Seins herbeizufuumlhren und diese Hypostasen sind bdquohomoousiosrdquo miteinander sind in sich die Fuumllle Gottes und sind bdquoModirdquo des Seins Gottes

Ein weiteres gnostisches Merkmal das in der Orthodoxie eruiert werden kann ist das Konzept der Emanation oder Prozession der Hypostasen Emanation unter-scheidet sich von der Idee der Schoumlpfung oder Formation In diesem Modell strahlt Gott Manifestationen von sich selbst aus wird aber in keiner Weise durch diese Ausstroumlmungen an Qualitaumlt oder Quantitaumlt geschmaumllert [oder reduziert] Die Gnostiker benutzten hier das Bild der Sonne und ihrer Strahlen Die Sonne wird durch die Aussendung ihrer Strahlen nicht geschwaumlcht und obwohl die Strahlen die gleiche Bedeutung wie die Sonne selbst haben sind sie [begrifflich] von ihr verschieden

Es wird oft angenommen dass das orthodoxe Christentum die Idee der Emana-tion vom Neoplatoniker Plotinus gelernt hat Moderne Gelehrte erkennen je-doch dass schon vor den Neoplatonikern bdquoeine Reihe gnostischer Denker Sche-mata entwickelt hatten mit denen eine Hierarchie transzendenter Wesen aus ei-ner einzigen Quelle durch einen Prozess der dynamischen Emanation hervor-gingrdquo435 Wie John D Turner verraumlt bdquoObwohl Plotinus oft zugeschrieben wird dass er der erste groszlige Philosoph war der ein solches Schema entwickelt hat ist es klar dass sich im gnostischen Denken aumlhnliche Modelle dynamischer Emana-tion zu entwickeln begannen von denen einige chronologisch vor Plotinus lie-genrdquo436

Tatsaumlchlich hat Irenaumlus dieses [bereits bestehende] Konzept Jahrzehnte zuvor als eindeutig gnostisch verurteilt437 Wir stellen zudem fest dass der spaumltere Christ Tertullian im dritten Jahrhundert kein Problem damit hatte diese gnostische The-orie fuumlr seine eigenen Zwecke zu bdquouumlberarbeitenrdquo und sie sogar mit dem valenti-nianischen Lehnwort bdquoprobolardquo (Prozession oder Emanation) zu beschreiben438 Seiner Ansicht nach als der Sohn und der Geist vom Vater ausgegangen sind die wohl weniger von der goumlttlichen Substanz enthielten und Gott untergeordnet waren blieben sie von ihrer Quelle her voumlllig ungetrennt439 In Bezug auf seinen

435 John D Turner ldquoPlotinus and the Gnostics Opposed Heirs of Platordquo The Routledge Handbook of Neo-

platonism (London Routledge 2014) p 58 Hervorhebung hinzugefuumlgt 436 Ebenso p 53 437 George Balderston Kidd Christophany Doctrine of the Manifestations of the Son of God Under the

Economy of the Old Testament (London Ward and Co 1852) p 689 438 ldquoEmanationrdquo IEP 439 Frances Schussler Fiorenza Systematic Theology Roman Catholic Perspectives (Minneapolis Fortress 2011)

p 159 Tertullianrsquos emanations remained connected in opposition to the Gnostics in mind to the Father

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sorglosen Gebrauch der gnostischen Sprache und Ideen raumlt Tertullian seinen Le-sern bdquonicht zu erschreckenrdquo und bdquosich keine groszligen Sorgen wegen der Haumlresie zu machenrdquo Er argumentiert bdquoDie Wahrheit darf daher nicht von der Verwen-dung eines solchen Begriffs und seiner Realitaumlt und Bedeutung absehen nur weil die Ketzerei ihn auch benutztrdquo440 Letztendlich fuumlhrte diese Anpassung den gnos-tischen Emanationismus in die Gespraumlche des vierten Jahrhunderts ein Wie eine Enzyklopaumldie zeigt bdquospielte die Idee der Emanation bei der endguumlltigen Verwirk-lichung der trinitarischen Lehre zweifellos eine Rolle ebenso wie die Betonung des sbquogezeugten nicht geschaffenenrsquo Sohnes (Nicaumlnisches Glaubensbekenntnis) und der sbquoProzessionrsquo des Heiligen Geistesrdquo441

In Wirklichkeit sollte vieles von dem was spaumlter zum bdquooffenbartenrdquo Dogma des Christentums wurde das heute noch weithin als vom Himmel auf die Kirche herabsteigend angesehen wird wirklich als eine Runderneuerung gnostischer Stroumlmungen angesehen werden als ein Ruumlckfall in die unvermeidlichen Neben-wirkungen der alte gnostische These dass Christus von Natur aus Gott ist Wie wir in Kapitel 5 sehen werden waren es Origenes Athanasius und die aus Ale-xandria stammende gnostizierte protoorthodoxe Tradition die sich zunaumlchst be-muumlhten diese Nebenwirkungen zu einem theologischen Uumlberbau der Orthodo-xie zusammenzufuumlgen

Trauma

Wie wir bereits festgestellt haben und weiterhin beobachten werden wurde die philosophische Transformation des christlichen Glaubens durch die gemeinsame Kraft des Zustroms konvertierter Platoniker den langen und qualvollen Aus-tausch mit den Gnostikern sowie den groszligen Druck den juumldischen Glauben des Neuen Testaments an eine breitere religioumlse Welt anzupassen erreicht Im Ruumlck-blick zahlte die spaumltere Orthodoxie fuumlr diesen Triumph einen sehr hohen Preis Die Tatsache dass die Antwort des Christentums auf die gnostische Ketzerei zahlreiche Kompromisse enthielt zeigt uns wie verzweifelt man um diesen Sieg rang Wie der deutsche Historiker Hans Blumenberg so deutlich erkannte bdquoDas gnostische Trauma der ersten nachchristlichen Jahrhunderte geht tiefer als das der blutigen Verfolgungen durch die Roumlmerrdquo442

Letztendlich wurde der Niedergang der Gnosis als einzigartige religioumlse Kraft im Reich durch einen doppelten Prozess beschleunigt erstens hatte sich die christli-che Kirche angemessen bdquoan ihre Umgebung angepasstrdquo und bdquognostische Anlie-

440 Tertullian Against Praxeas 8 441 ldquoEmanationrdquo IEP 442 H Blumenberg quoted in Rudolph Gnosis p 368

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genrdquo sowie bdquodas kulturelle Erbe der Antikerdquo in ihre theologische Botschaft auf-genommen443 Zweitens nutzte die orthodoxe Partei schlieszliglich die Macht des Staates gegen gnostische Anhaumlnger die sich der Assimilation widersetzten Aber jeder Bericht uumlber eine scheinbare bdquoNiederlagerdquo der Gnosis durch die Orthodo-xen muumlsste eigentlich bdquoeine Besetzung des gnostischen Territoriums eine Pluumlnde-rung seiner Vorraumlte und schlieszliglich eine siegreiche Ruumlckkehr mit einem Zug gnos-tischer Beute in die Grenzen des Katholizismusrdquo beinhalten In unserer Untersu-chung koumlnnen wir schon jetzt sehen dass als nach Nicaumla die groszligen gnostischen Schulen in der Zeit ihr Ende fanden ihre Christologie keineswegs erloschen ist Die unverbluumlmte Trennung von Mensch und Gott in Jesus wurde nur gedaumlmpft und verinnerlicht die bdquoradikale Form der fruumlhen [gnostischen] Vorstellungen von Christus wurde stillschweigend beiseitegelegt nicht aber die Folgen die an der Wurzel liegenrdquo444 Unsere ausgedehntere Studie wird zeigen dass der gnostische Jesus nicht eliminiert sondern seine Praumlsentation nur in eine sbquoschmackhafterersquo Sprache uumlbersetzt und in der Kirche in einer Epoche die weit von der ersten Kontroverse entfernt war weiter gepflegt wurde Dies war das Zeitalter in dem das Gedaumlchtnis an ihn [Jesus] schwaumlcher geworden war Die Einheit der Kirche war zerbrechlich geworden Ein gnostischer Jesus wurde nun wieder vorgestellt als eine scheinbar vernuumlnftigere und angemessenere Loumlsung gegenuumlber fruumlher Tat-saumlchlich hatten die Umstaumlnde den gnostischen Jesus eine Zeitlang unerkennbar ge-macht aus den gleichen Gruumlnden wird er auch heute noch [im Christentum] nicht wirklich wahrgenommen und identifiziert

Abschlieszligend um an Harnack zu erinnern fragen wir wer jetzt noch behaupten kann dass das Christentum die valentinianische Lehre der beiden Naturen jemals wirklich uumlberwunden hat445 Dies war nur eine Facette der uumlbergreifenden philo-sophischen platonischen Metamorphose und der Entwicklung der Kirche Die heidnischen Lehren der unsterblichen Seele die Transmigration [Seelenwande-rung] und Inkarnation der Seele die Unterwerfung der unpersoumlnlichen mensch-lichen Natur die goumlttlichen Hypostasen - ohne diese Dogmata was bliebe von der christlichen Orthodoxie noch uumlbrig Wie ein Reformator des 16 Jahrhun-derts zutreffend erkannte wurde das fruumlhe Christentum bdquodurch die platonische Philosophie geschwaumlchtrdquo und bdquoes nahm Aristoteles anstelle von Christus anrdquo446 Aber die Reformation erscheint immer noch erschreckend unvollstaumlndig Wenn wir uns die beliebtesten Formen des Christentums heute ansehen stellen wir praktisch keinen Unterschied zwischen den Lobgesaumlngen (den Hymnen) der

443 Rudolph Gnosis p 367 444 Ebenso p 372 unsere Hinzufuumlgung 445 Ebenso 446 Melanchthon zitiert in Wilhelm Pauck Melanchthon and Bucer (London The Westminster Press 1969)

p 23

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Durchschnittskirchen und der numinosen Liturgie (Gottesverehrung) der Gnos-tiker fest In beiden wird die geheimnisvolle Dreifaltigkeit gefeiert Wie Rudolph vermutet bdquoMan kann fast sagen dass die Gnosis der Kirche wie ein Schatten folgte die Kirche konnte sie nie uumlberwinden geschweige denn besiegen ihr Ein-fluss war bereits zu tief eingedrungen Aufgrund ihrer gemeinsamen Geschichte bleiben sie zwei wenn auch einander feindlich gesinnte Schwesternrdquo447

In den folgenden Kapiteln werden wir weiter untersuchen wie die Annahme der gnostischen Theologie in der Gesamtkirche erreicht wurde welche sogenannten Christen fuumlr die Akzeptanz verantwortlich waren und wie dieser Prozess in Nicaumla die Grundlage fuumlr die Etablierung des Dogmas legte Aber als naumlchstes muumlssen wir das Rad der Zeit noch einmal zuruumlckdrehen und die fruumlheste Periode des christlichen Ursprungs im Geist wieder heraufholen um eine breitere Optik auf den Zustand [und die Entwicklung] des christlichen Glaubens zu erlangen In welcher Beziehung stand der urspruumlngliche [christliche] Glaube zum Trinitaris-mus und was fuumlhrte zum Drama des vierten Jahrhunderts

447 Rudolph Gnosis p 368

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4

KampfundEntwicklungDerUumlbergangzurheidnischenPhiloso-

phie

bdquoDie meisten Menschen haben eine schier unendliche Faumlhigkeit Dinge als selbstver-staumlndlich hinzunehmen Dass die Men-schen nicht viel aus den Lehren der Ge-schichte lernen ist die wichtigste aller Leh-ren der Geschichterdquo

mdash Aldous Huxley

A WIR IN DEN VORANGEHENDEN KAPITELN die Entwicklung des neoplatonischen und gnostischen Denkens im Detail untersucht ha-ben wenden wir uns nun einer ausfuumlhrlichen Schilderung der Kirchen-

geschichte zu In diesem Kapitel gebe wir einen Bericht uumlber das fruumlhe Christen-tum vom Abscheiden der Apostel bis ins vierte Jahrhundert wir weisen auf einige der beruumlhmtesten und einflussreichsten Kirchenvaumlter und ihren Glauben an die sich etablierende trinitarische Lehre hin Den modernen Studenten liefert diese unschaumltzbare Ruumlckschau auf diese Saga nicht nur die dringend benoumltigte Klarheit uumlber die genauen Mittel zur Verbreitung und Uumlbernahme griechisch-philosophi-scher Elemente in der christlichen Theologie sondern stellt viele der Erklaumlrungen der modernen trinitarischen Autoritaumlten zur historischen Lehre der Kirche kri-tisch in Frage

Es wird derzeit allgemein festgestellt dass das maszliggebliche bdquokatholischerdquo Chris-tentum des ersten bis zum dritten Jahrhundert keine bdquoorthodoxenrdquo trinitarischen

D

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Ansichten hatte Tatsaumlchlich war Jesus fuumlr die meisten der platonisierenden Kir-chenvaumlter eine Art Engelswesen ein rangmaumlszligig geringerer Gott aber eine bereits existierende goumlttliche Einheit die sich von dem einen Gott unterschied und ihm statusmaumlszligig untergeordnet war Erst im vierten Jahrhundert wuumlrde die langjaumlhrige Sicht eines dem houmlchsten Gott untergeordneten Christus aufgegeben aber auch dies erst nach vielen Auseinandersetzungen Trotz der Behauptungen moderner Apologeten dass der Glaube an die Einigkeit dreier gleichwertiger ebenbuumlrtiger Wesen schon immer die christliche Orthodoxie gepraumlgt habe wird die Ge-schichte zeigen dass dies nicht der Fall war Von den christlichen Anfaumlngen bis zum vierten Jahrhundert gab es eine Reihe von rivalisierenden theologischen Op-tionen welche den Glaumlubigen zur Verfuumlgung standen Professor Bart Ehrman schreibt dazu

Die bdquoOrthodoxierdquo im Sinne einer einheitlichen Gruppe die sich fuumlr eine von der Mehrheit der Christen allgemein akzeptierte apostoli-sche Lehre einsetzt existierte im zweiten und dritten Jahrhundert einfach nicht Unterschiedliche Uumlberzeugungen die spaumlter als or-thodox oder ketzerisch bezeichnet wurden konkurrierten mit an-deren Auslegungen des christlichen Glaubens Schlieszliglich etab-lierte sich eine dieser Gruppen als dominant gewann mehr Be-kehrte als alle anderen uumlbertrumpfte ihre Gegner und erklaumlrte sich selbst als sbquodie Rechtglaumlubigen Nach ihrem Sieg nannte sie sich bdquoor-thodoxrdquo brandmarkte die Oppositionsparteien und marginalisierte die Ketzer Dann wurde die Geschichte des Konflikts neugeschrie-ben indem sie behaupteten ihre Ansichten und die Menschen die sie vertraten seien seit den apostolischen Zeiten in der Mehrheit gewesen Es wird heute allgemein angenommen dass die Pro-toorthodoxie einfach eine von vielen konkurrierenden Auslegun-gen des Christentums in der fruumlhen Kirche war Doch es war weder eine selbstverstaumlndliche Interpretation noch die urspruumlngliche apostolische Sichtweise Die Apostel zum Beispiel lehrten das Nicaumlnische Glaubensbekenntnis oder aumlhnliche Glaubensgrund-saumltze [ganz sicher] nicht448

In der Absicht den Geist der aumlltesten christlichen Ideen wiederzuerlangen wer-den wir zunaumlchst den Vorhang fuumlr die Zeit unmittelbar nach dem Tod der Apos-tel etwas anheben In dieser weitzuruumlckliegenden Zeit entdecken wir eine der groumlssten und am wenigsten beschriebenen christlichen Auseinandersetzungen

448 Ehrman Lost Christianities p 173 (Verlorene Christenheiten) (Zusammenfassung der Schlussfolgerungen

von Walter Bauer)

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und zwar die mit den schlimmsten tiefgreifendsten und nachhaltigsten Auswir-kungen fuumlr die urspruumlngliche Religion Jesu Der direkte Konflikt zwischen der Kultur und dem Geist der konvertierten Heiden mit den christlichen Juden des ersten Jahrhunderts

DiefruumlhenJudenchristenDie Entdeckung der Schriftrollen von Qumran am Toten Meer beginnend im Jahr 1946 hat weithin zu ernsthaftem Nachdenken uumlber das Verhaumlltnis zwischen dem bdquoJudentum des ersten Jahrhundertsrdquo und dem bdquoChristentum des ersten Jahr-hundertsrdquo gefuumlhrt Aber wie ein Wissenschaftler richtig festgestellt hat haben die neuen Erkenntnisse die traditionellen vorgefassten Meinungen uumlber die Unter-schiede [zwischen Juden-Christen und Heiden-Christen] noch bei Weitem nicht beseitigt

Wissenschaftler sprechen im ersten Jahrhundert gemeinhin vom bdquoChristentumrdquo - und stellen das Christentum und das Judentum [fast feindselig] einander gegenuumlber - als waumlren es verschiedenartige und unterschiedliche soziale Phaumlnomene Eine solche Praxis wird immer schwieriger da unsere Skizze der groumlszligeren juumldischen Ge-meinde durch das was wir aus den Schriftrollen vom Toten Meer (DSS) bisher gelernt haben laufend uumlberarbeitet wird Was als Un-terscheidungsmerkmal des Neuen Testaments angesehen wurde - im Sinne dass es eine bdquochristlicherdquo Perspektive manifestiert die das Judentum uumlberlagert - taucht wohl in den Qumran-Rollen auf Doch die groumlszligte Veraumlnderung der Ansichten ist die Verlagerung der Literatur der palaumlstinischen Jesusbewegung direkt in die domi-nante juumldische Gemeinschaft hinein449

Mit anderen Worten die Schriftrollen vom Toten Meer haben uns veranlasst daruumlber nachzudenken was es bedeutete im ersten Jahrhundert sowohl juumldisch als auch christlich zu sein Jesus und seine fruumlhesten Anhaumlnger verwendeten offensicht-lich sowohl die Sprache(n) als auch Konzepte die explizit in juumldischen Doku-menten der Aumlra des Zweiten Tempels zu finden waren eine Sprache die das Christentum nach dem vierten Jahrhundert niemals als Beweis fuumlr einen notwen-digen Wandel zum Trinitarismus praumlsentiert hat450 Aber es gibt jetzt in den Au-gen der Gelehrten eine ununterbrochene theologische Erbfolge zwischen den

449 Donald H Juel ldquoThe Future of a Religious Pastrdquo The Bible and the Dead Sea Scrolls Vol 1 (Waco Baylor

University Press 2006) p 64 450 Eine eingehende Analyse der Aussagen Christi in den Evangelien und ihres Vergleichs mit etablierten

Konzepten im spaumlten Zweiten Tempeljudentum wird in der zweiten Haumllfte dieses Buches vorge-nommen

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Ur-Christen und dem geistig-geistlichen Erblasser dem Judentum451 Wenn wir also die Theologie des Neuen Testaments besser verstehen wollen muumlssen wir uns nicht nur intensiver mit dem Judentum des ersten Jahrhunderts auseinander-setzen sondern auch mit den Sekten des bdquojuumldischen Christentumsrdquo befassen die nach Abschluss der Apostelgeschichte im Heiligen Land aufbluumlhten Die Analyse der Uumlberzeugungen dieser beiden eindeutig juumldischen bdquoBuchdeckelrdquo zeitlich und kulturell vor und nach dem Neuen Testament sollte uns helfen zu erkennen welche theologischen Ideen wirklich dazwischen liegen

Unbekannt fuumlr die meisten Christen sind viele nuumltzliche Informationen uumlber die historischen Splittergruppen des bdquojuumldischen Christentumsrdquo erhalten geblieben die im spaumlteren ersten Jahrhundert gediehen Eine besondere Gruppe laumldt unsere Studie zu einer genaueren Betrachtung ein vor allem deshalb weil sie sich dem Zustrom griechischer philosophischer Konzepte in ihre Gemeinschaft entschie-den widersetzt zu haben scheint die Nazarener Sie waren nach allen historischen Berichten die unmittelbare Fortsetzung der apostolischen Bewegung in der Stadt Jerusalem452 Sowohl gemaumlszlig neutestamentlichen als auch nach spaumlteren christli-chen Quellen waren Christusnachfolger zunaumlchst unter dem Namen bdquoNazarenerbdquo bekannt bevor sie erstmals in Antiochia als bdquoChristenrdquo bezeichnet wurden (Apg 1126)453 Was die Gemeinde in Jerusalem anbetrifft wo sie ihren Hauptsitz hatte so finden wir dass

die ersten fuumlnfzehn Bischoumlfe von Jerusalem beschnittene Juden wa-ren und die Gemeinde der sie vorstanden das Gesetz des Mose mit der Lehre Christi verband Es war natuumlrlich dass die anfaumlngli-che Tradition einer Kirche die nur vierzig Tage nach dem Tod Christi gegruumlndet worden war und fast ebenso viele Jahre der un-mittelbaren Aufsicht seines Apostels unterstand als Standardmo-dell der Orthodoxie gelten sollte Die Kirchen in der Zerstreuung [Diaspora] wandten sich sehr haumlufig an sie angesichts der Autoritaumlt der ehrwuumlrdigen Mutterkirche und unterstuumltzten sie in der Not durch groszligzuumlgige Spenden und Almosen454

451 Fuumlr eine aktuelle und umfassende Analyse dieser Beziehung siehe James Dunn Weder Jude noch Grieche

Eine umstrittene Identitaumlt (Grand Rapids Eerdmans 2015) 452 Siehe B Pixner ldquoChurch of the Apostles Found on Mt Zionrdquo Biblical Archaeology Review

MayJune 1990 (Die Kirche der Apostel auf dem Berg Zion) Siehe Epiphanius Panarion 29 77 For a detailed textual analysis of the historical sources (Eine detaillierte Textanalyse der Historischen Quellen) siehe Ray Pritz Nazarene Christianity (Jerusalem Hebrew University of Jerusalem Press 1988)

453 Epiphanius Panarion 29 13 Im Qurrsquoan [Koran] wurden die Christen auch bdquoAl-Naṣarardquo genannt 454 Gibbon Decline and Fall of the Roman Empire p 453

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Von allen Gruppen welche die klerikale und theologische Nachfolge der Apostel geltend machten stellte die Gemeinde in Jerusalem den direktesten und offen-sichtlichsten Zusammenhang dar Spezialisten haben bestaumltigt dass die fruumlheste Form des neutestamentlichen Christentums tatsaumlchlich viele bdquogrundlegenderdquo Merkmale mit den Nazarenern teilte455 und Wissenschaftler haben daher bdquoeine ausreichende Kontinuitaumlt zwischen ihnen anerkannt so dass es legitim ist sie un-ter dem einzigen Titel sbquoJuumldisches Christentumrsquo zusammenzufassenrdquo456

Was war dann die sbquonazarenische Christologiersquo Welche andere Sichtweise koumlnnte Jesus in vollkommener Harmonie mit dem traditionellen Monotheismus (Ein-Gott-Glauben) der Juden besser darstellen Wir finden indem sie Jesus offen als den Messias [den Gesalbten ndash gr Christos] anerkennen seine wundersame Geburt durch die Jungfrau Maria457 bestaumltigen und weit davon entfernt sind Christus als den wahren Gott selbst zu betrachten die Nazarener bdquoerklaumlrten dass Gott Einer ist und dass Jesus Christus Sein Sohn istrdquo458 Offensichtlich bdquoakzeptierten sie die-sen Titel [Sohn Gottes] verstanden ihn aber nicht so wie es spaumlter die nicaumlnische und die chalcedonische Orthodoxie tatenrdquo459 Der Messias war fuumlr sie ein einzig-artig gezeugtergeborener und [von Gott] bevollmaumlchtigter Mensch der Nach-komme [Same] Davids aus der Prophezeiung460

Es ist wichtig darauf hinzuweisen dass Wissenschaftler der Antike und der Mo-derne die Nazarener von anderen verwandten juumldischen christlichen Gruppen wie

455 Siehe James Dunn Unity and Diversity in the New Testament An Inquiry into the Character of Earliest

Christianity (London SCM Press 1990) pp 240-243 456 James F McGrath bdquoJohannine Christianity ndash Jewish Christianityrdquo Koinonia 81 (Butler University Li-

braries 1996) p 3 See also Carsten Colpe ldquoThe Oldest Jewish-Christian Communityrdquo Christian Begin-nings (Louisville Westminster 1993) p 75 Gilles Quispel bdquoQumran John and Jewish Christianityrdquo John and Qumran (London Geoffery Chapman 1972) pp 137-140 Hans-Joachim Schoeps Theologie und Ges-chichte (Tubingen JCB Mohr 1949) p 257 (Credit to McGrath for these sources)

457 Hieronymus an Augustinus Brief 112 wo er betreffend die Nazarener schreibt bdquosie glauben dass der Messias der Sohn Gottes von der Jungfrau Maria geboren wurdeldquo

458 Epiphanius Panarion 29 7 2 459 McGrath ldquoJohannine Christianityrdquo p 4 (Johanneisches Christentum) 460 Diese juumldische Erwartung eines menschlichen Messias aus der Linie Davids die sich von dem einen

Gott unterscheidet wurde aus der weit verbreiteten messianischen Exegese alttestamentlicher Buumlcher wie Jeremia und Sacharja (mit ihrem Motiv der Davidischen bdquoZweigrdquo-Figur - dh Jer 308-9 Sach 612) und Hesekiel (mit ihrem Motiv des untergeordneten von Gott bevollmaumlchtigten Davidischen Hirten der die Nation regieren kann ndash vgl Hes 3423-24) abgeleitet Das DSS-Dokument 4QFlorilegium (4Q174) zeigt wie die bdquoSohn Davidsrdquo Prophezeiung von 2 Sam 714 mit den oben genannten Passagen kombiniert wurde um eine juumldische Erwartung an einen Messias zu erwecken der sowohl bdquoder Sohn Davidsrdquo als auch bdquoder Sohn Gottesrdquo genannt wurde Ein weiteres DSS-Dokument 4Q246 spricht ausdruumlcklich vom bdquoSohn Gottes Sohn des Houmlchstenrdquo Die Parallele zu Lukas 135 ist offensichtlich Eine weitere Analyse dieser messianischen Titel und der juumldischen Erwartungen wird in der zweiten Haumllfte dieses Buches vorgenommen

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den Ebioniten - moumlglicherweise einem Ableger - unterschieden haben461 Einige dieser Ebioniten zweifelten offensichtlich an der Jungfrauengeburt aber der Mangel an Informationen unter vielen Gelehrten der ersten Jahrhunderte scheint es schwierig zu machen die Differenzen zwischen den Gruppen der juumldischen Christen formal zu unterscheiden Sicher ist jedoch dass die Nazarener im Ge-gensatz zur wahrscheinlich der Haumllfte der Ebioniten die jungfraumluliche Geburt ak-zeptierten462 doch bdquoJesu Prauml-Existenz und seine Goumlttlichkeit ablehnenrdquo463

Im Allgemeinen finden wir dass die fruumlhen juumldischen Christen den um sich grei-fenden hellenistischen Einfluss der Platoniker und der sich entfaltenden Gnosti-ker ernsthaft zuruumlckwiesen und die klassische unitarische Einheit des juumldischen Monotheismus aufrechterhielten Sie akzeptierten einen wahrhaftig menschlichen Messias (den Gesalbten) Dieser war nicht Gott selbst sondern der zum houmlchsten Status erhobene Diener Gottes Anders ausgedruumlckt die Erscheinung Jesu scheint keinerlei Veraumlnderung an ihrer bereits existierenden juumldischen Theologie ausgeloumlst zu haben Fuumlr sie war Jesus ein Mann der bei seiner Taufe von Gott gesalbt wurde Obwohl er vor aller Zeit im Geist des Schoumlpfers oder im Plan Gottes erdacht worden sein mag hatte Jesus buchstaumlblich seinen physischen An-fang nicht in einem fernen himmlischen Kosmos sondern im Schoszlig einer Frau erlebt

Sie verehrten Jesus als den groumlszligten der Propheten der mit uumlberna-tuumlrlicher Tugend und Macht ausgestattet war Sie schrieben seiner Person und seiner zukuumlnftigen Herrschaft alle Vorhersagen der hebraumlischen Orakel zu die sich auf das geistige und ewige Koumlnig-reich des verheiszligenen Messias beziehen Einige von ihnen moumlgen eingestehen dass er von einer Jungfrau geboren wurde aber sie lehnen die vorhergehende Existenz hartnaumlckig ab464

Die Gnostiker hatten das Mensch-Sein Christi zweifelsohne durcheinander ge-bracht Wie wir gesehen haben sagten einige sogar dass seine Menschlichkeit nur eine Illusion sei waumlhrend andere behaupteten dass sein Koumlrper zwar real sei der

461 Siehe Richard Bauckham The Image of the Judeo-Christians in Ancient Jewish and Christian Literature

(Leiden Brill 2003) pp 162-181 Pritz erklaumlrt dass bdquodie Schriften einiger Kirchenvaumlter aus dem dritten und vierten Jahrhundert und spaumlter zu Verwirrung und zur Verwechslung verschiedener Sekten unter dem Namen sbquoEbionitenrsquo gefuumlhrt habenrdquo (Pritz S 9) Der Historiker Epiphanius (d 403 n Chr) der bdquodie Nazarener mit anderen Sekten falsch gruppiert hatrdquo kann das beste Beispiel fuumlr diesen Fehler liefern (Pritz p 9) (Das Bild der Judaumlo-Christen in der altjuumldischen und christlichen Literatur) (Ebenso p 43)

462 Samuel Krauss ldquoNazarenesrdquo Jewish Encyclopedia 1906 Web 09 September 2014 463 John Arendzen ldquoEbionitesrdquo The Catholic Encyclopedia Vol 5 464 Edward Gibbon The History of the Decline and Fall of the Roman Empire Vol 1 (London Penguin Books

2005 [1890]) p 774

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Erloumlser aber wirklich die goumlttliche Person Gottes sei die Menschengestalt ange-nommen habe Im Gegensatz zu diesen Ansichten hielten die Nazarener-Chris-ten energisch an dem wahren und unverfaumllschten menschlichen Leben Jesu fest fuumlr sie war er der Mensch den ihre hebraumlischen Vorfahren als den lang ersehnten Agenten Gottes schon immer erwartet hatten Letztendlich so bemerkte James Dunn bdquoscheint sich das ketzerisch-juumldische Christentum [damit meint er die Na-zarener und die Ebioniten] nicht so sehr vom Glauben der ersten juumldischen Glaumlu-bigen zu unterscheidenrdquo465

Aber was ist mit den Ur-Christen in Jerusalem wirklich passiert Warum hat ge-rade ihre Christologie so stark an Popularitaumlt eingebuumlszligt Viele Jahre lang hatte die [juumldisch-christliche] Kirche in Jerusalem die Vorrangstellung als Sitz der kirchli-chen Autoritaumlt innegehabt Mehrere Faktoren moumlgen zum geschichtlichen Ruumlck-gang ihrer Prominenz beigetragen haben aber die Hauptursache ist zweifellos die unbestreitbar rasche Transformation sowohl demographisch als auch im religiouml-sen Denken dh von einer juumldischen zu einer heidnischen Kirche

Allerdings als sich in den groszligen Staumldten des Reiches in Antiochia Alexandria Ephesus Korinth und Rom zahlreiche und maumlchtige Gemeinschaften etablierten schwand die Verehrung die Jerusalem von allen christlichen Kolonien anfaumlnglich entgegengebracht wurde unaufhaltsam dahin Die Nazarener wie sie genannt wur-den hatten zwar den Grundstein fuumlr die Kirche gelegt aber diese juumldischen [zum Glauben an Jesus Christus] Bekehrten wurden bald von einer wachsenden Menge uumlberschwemmt die von allen ver-schiedenen Religionen des Polytheismus unter Christi Banner auf-genommen wurde466

Wir sehen nicht nur dass die heidnische Weisheit [sophia] einen tiefgreifenden Effekt auf das Schwinden des juumldischen Einflusses in der Kirche hatte sondern auch die Reichhaltigkeit der heidnischen Welt erwies sich mehr als faumlhig die Auf-merksamkeit der Christenheit in fremde Richtungen zu lenken Die urspruumlngliche christliche Bewegung die von der juumldischen Landbevoumllkerung gegruumlndet und verwaltet und von den mutigen Freunden eines gemarterten Rabbiners geleitet wurde hatte eine weise Bescheidenheit gezeigt die sicherlich zu ihrem gluumlckli-chen Wachstum beigetragen hat Doch der monetaumlre und philosophische Reich-tum der heidnischen Konvertiten scheint innerhalb ihrer oumlffentlich auffaumllligsten Mitglieder einen anhaltenden Saumlkularismus aktiviert zu haben der sie von der Sanftmut der juumldischen Pioniere abstieszlig und sie rasch in die groszligen Staumldte des

465 Dunn Unity and Diversity p 242 466 Gibbon Decline and Fall p 453

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Reiches zog Die Uumlbertragung des Einflusses von Judaumla auf Rom war jedoch kei-neswegs passiv es erfolgte eine aktive und systematische Uumlbernahme der politi-schen Operationen des Glaubens

Die christliche Gemeinschaft in Rom war vergleichsweise groszlig und wohlhabend Daruumlber hinaus hatte sie in der Hauptstadt des Rei-ches eine Tradition der administrativen Faumlhigkeiten vom Staatsap-parat durch eine Art bdquoTrickle-Down-Effektldquo geerbt was bedeutet dass der Wohlstand der Reichen allmaumlhlich zu den weniger Bemit-telten durchsickerte Mit den administrativen Faumlhigkeiten ihrer Lei-ter und ihren enormen materiellen Ressourcen gelang es der Kirche in Rom Einfluss auf die anderen christlichen Gemeinschaften des Reiches auszuuumlben Unter anderem foumlrderten die roumlmischen Chris-ten eine hierarchische Struktur und bestanden darauf dass jede Kirche einen einzigen Bischof haben sollte Mit dem richtigen Auf-seher konnten dann natuumlrlich bestimmte theologische Ansichten gepredigt und durchgesetzt werden467

So nahm die Vorherrschaft der juumldischen Christen in Bezug auf theologische und politische Fragen allmaumlhlich ab Natuumlrlich half es nicht dass sie uumlberdies von der roumlmischen Armee verfolgt und fast gaumlnzlich aufgerieben wurden

Nach dem Ruumlckgang der Popularitaumlt Jerusalems unter den neuen Christen Mitte des ersten Jahrhunderts begegnen wir einer erschuumltternden Geschichte Juumldische Aufstaumlnde hatten die beruumlhmte roumlmische Belagerung und die anschlieszligende Pluumln-derung Jerusalems ausgeloumlst Die Nazarener-Juden scheinen der Vergewaltigung der heiligen Stadt und ihrer Bevoumllkerung knapp entgangen zu sein denn nur we-nige Monate vor dem roumlmischen Holocaust waren sie gemeinsam gefluumlchtet Die Christen von Jerusalem zogen sich am Pfingstfest 69 n Chr aus der Stadt zuruumlck Sie erreichten damit offensichtlich dass sie uumlberlebten Sie hatten geflissentlich die prophetische Warnung Christi befolgt Judaumla zu verlassen sobald sich Anzei-chen einer Invasion zeigten (Mt 2416) Der Historiker Epiphanius stimmt dem sicherlich zu bdquoChristus hatte ihnen gesagt sie sollen sich wegen der kommenden Belagerung aus der Stadt zuruumlckziehen und Jerusalem verlassen Und sie lieszligen sich aus diesem Grund in Peraumla niederrdquo468 Bevor die Horden von Titus ihre Landsleute gnadenlos vernichteten und schlieszliglich 70 n Chr die Stadt einnah-men bdquowar die christliche Gemeinschaft vor Beginn der Belagerung nach Pella in Peraumla oumlstlich des Jordans (in die Naumlhe von Gadara) geflohenrdquo469 Der juumldische

467 Ehrman Lost Christianities p 175 468 Epiphanius Panarion 29 78 469 Siehe Adrian Fortescue The Catholic Encyclopedia Vol VIII (New York Robert Appleton Com-

pany 1910) pp 355-361

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Historiker Josephus hat dieses Ereignis in seinem Juumldischen Krieg aufgezeichnet470 Selbst nach der Zerstoumlrung des kulturellen und religioumlsen Zentrums ihrer Zivili-sation haben sich die Nazarener an die nationalen Braumluche ihrer Vaumlter gehalten und siedelten sich in den Kirchen des Ostens an471

Die Stadt Pella blieb fuumlr weitere sechzig Jahre ihr Hauptquartier von wo aus sie haumlufig nach Jerusalem pilgerten und hofften es eines Tages dauerhaft wiederher-zustellen Unter Hadrian zerstoumlrten die Roumlmer jedoch ihre Hoffnungen indem sie die Juden mit militaumlrischen Blockaden daran hinderten sich der Stadt auch nur zu naumlhern Nach einer ploumltzlichen politischen Wende wurde schlieszliglich ein Mann namens Marcus zu ihrem Bischof ernannt ein heidnischer Geistlicher der wahrscheinlich aus einer der lateinischen Provinzen stammte Marcus nutzte ihre verzweifelte Lage und uumlberredete viele von ihnen auf die Praxis des mosaischen Rechts zu verzichten und mit den Roumlmern um den Zugang nach Jerusalem zu feilschen Er integrierte sie weiter in das katholische Establishment der Heiden-christen deren Erfolg und wachsender Reichtum die Notlage der Mangel leiden-den Nazarener noch ernster erscheinen lieszlig Doch nicht alle Nazarener folgten Marcus Bald nach dieser Stoumlrung des Laufs der Dinge begannen die Katholiken den Dissidenten wuumltend Vorwuumlrfe der Haumlresie zu machen eine Praxis in der sich die Kirche in der Folge kontinuierlich steigern wuumlrde Historiker anerkennen dass

die Kirche [allgemein] betreffend Disziplin und Dogma immer wei-ter von ihrer Urform abwich Im zweiten Jahrhundert wurden die Christen von Judaumla die den Braumluchen und Lehren der zwoumllf Apos-tel treu gefolgt waren daruumlber informiert dass sie Ketzer waren In diesem Zeitraum war eine neue Religion entstanden Das Christen-tum hatte zwar das Heidentum besiegt aber das Heidentum hatte das Christentum verdorben Der einzige (singulaumlre) Gott der Juden war gegen die Dreifaltigkeit ausgetauscht worden welche eine Er-findung der Aumlgypter war die Platon zu einem philosophischen Sys-tem idealisiert hatte Der Mann der gesagt hatte bdquoWarum nennst du mich gut Es gibt nichts Gutes ausser dem Einen der ist Gottrdquo war nun selbst zum Gott geworden oder besser gesagt der dritte Teil von Einem472

470 Josephus Wars of the Jews Book VI Chapter V Section 3 (Whiston 1957) p 825 (Juumldischer Krieg) 471 Siehe Hieronymus From Jerome to Augustine (AD 404) Letter 75 (Augustine) or 112 (Jerome) 472 William Winwood Reade The Martyrdom of Man (New York Peter Eckler 1890) p 235 (Das Mar-

tyrium des Menschen) [Bibelzitat Mt 1917 uumlbersetzt aus der KJV deutsche Uumlbersetzungen lauten etwas anders ZB LUT1545 Was heiszligest du mich gut Niemand ist gut denn der einige Gott

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Man koumlnnte erwarten dass ein solcher Druck die Entschlossenheit der Nazarener schnell aufloumlsen und sich die Uumlbriggebliebenen ins roumlmische System integrieren oder sich wieder in die Synagogen zuruumlckziehen wuumlrden Die wenig bekannten Annalen dieser dramatischen christlichen Geschichte bringen jedoch eine er-staunliche Entdeckung ans Licht Trotz der zunehmend feindseligen Umwelt ge-diehen die Nazarener auch im vierten Jahrhundert - selbst waumlhrend des proble-matischen Konzils von Nicaumla (325 n Chr) Epiphanius verraumlt dass diese spaumlte-ren Nazarener tatsaumlchlich Nachfolger der juumldischen Bekehrten waren die in Je-rusalem im ersten Jahrhundert ihre Kirche direkt von den Aposteln geerbt hat-ten473

Als die Christenheit durch den Sumpf der griechischen Philosophie zu dem mu-tierte was letztlich zum orthodoxen Trinitarismus werden sollte stellen wir fest dass nicht nur die kirchliche Praumlsenz der Nazarener bis ins vierte Jahrhundert andauerte sondern auch der Geist ihrer menschlichen Christologie [Jesus war ein Mensch] Sogar viele der heidnischen Kirchenvaumlter kaumlmpften um die gewaltige Flut der mystischen platonischen und gnostischen Philosophien aufzuhalten In den spaumlteren Streitigkeiten der verschiedenen Konzile wurden die Namen bdquoJuderdquo und bdquoEbionitrdquo abwertend bdquoauf diejenigen Christen geschleudert die sich der fort-schreitenden Hellenisierung des Christentums widersetzten zum Beispiel in Be-zug auf die Lehre von Gott die Eschatologie die Christologie uswrdquo474 Diese Personen werden sowohl in diesem als auch im folgenden Kapitel behandelt

Letztendlich ist klar dass das juumldische Christentum kurz vor dem zweiten Jahr-hundert noch in bdquoder komfortablen Mehrheit war wie in der ersten Generation der Juumlnger und am Ende der neutestamentlichen Perioderdquo475 Wenn diese neutes-tamentliche Gemeinschaft mit dem juumldischen Christentum nach dem ersten Jahr-hundert verglichen wird kommen die Wissenschaftler zum Schluss dass bdquoes nicht viele Beweise dafuumlr gibt das juumldische Christentum habe sich radikal veraumln-dertrdquo Was sich veraumlndert hatte war der Glaube der fruumlhesten Jesusbewegung in Palaumlstina der durch eine herablassende inkompatible heidnische Kirche ersetzt worden war In der Tat bdquowas sich geaumlndert hatte waren offensichtlich die sozialen Merkmale und das Umfeld des Christentumsrdquo476 Im vierten Jahrhundert hatte diese Verschiebung einen unverruumlckbaren Keil zwischen bdquoJudentumrdquo und bdquoChristentumrdquo als zwei voneinander getrennte Religionen getrieben Moderne

SLT2000 Was nennst du mich gut Niemand ist gut als Gott allein HFA Wieso fragst du mich nach dem Guten Es gibt nur einen der gut ist und das ist Gott Anm d Uuml]

473 Epiphanius Panarion 29 5 4 and 5 6 and 7 7 474 Harnack History of Dogma Vol 1 1894 Ch VI p 292 475 Alan F Segal ldquoJewish Christianityrdquo Eusebius Christianity and Judaism (Detroit Wayne State University

Press 1992) p 340 476 Ebenso

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trinitarische Gelehrte haben oft versucht die Orthodoxie mit dieser harten Tat-sache zu versoumlhnen sie haben das bdquokatholischerdquo Christentum das aus dem vier-ten Jahrhundert hervorging als mit dem Denken und der Organisation der ersten juumldischen Gemeinde vereinbar dargestellt Aber dieser Vorschlag beruumlcksichtigt die Geschichte nicht korrekt Wie Harnack schreibt bdquo die historische Beobachtung rechnet nur mit konkreten Mengen im Katholizismus laumlsst sich kein Element entdecken das als judaumlo-christlich bezeichnet werden koumlnnte Beobachtet wird nur eine progressive Hellenisierungrdquo477 Zweifellos fuumlhrte diese Hellenisierung den urspruumlnglich juumldisch-christlichen Glauben weit uumlber die Grenzen der juumldi-schen Welt hinaus so gesehen war es das sprichwoumlrtliche Vierkantholz das nicht in ein rundes Loch passen will

WarendieKirchenvaumlterdes2und3JahrhundertsTrinitarierObwohl Historiker die orthodoxe Dreifaltigkeitsdoktrin bis ins vierte Jahrhun-dert nicht nachweisen koumlnnen wird von Apologeten immer noch weit und breit behauptet dass es einen ununterbrochenen Strom des Trinitarismus gegeben habe der von der Apostolischen Kirche ausgegangen sei und dass sich innerhalb der Christenheit nur die Terminologie verschiedenartig entwickelt habe Man habe sich eben bemuumlht sprachlich genau auszudruumlcken was schon immer ge-glaubt wurde Aus dieser Sicht war es erst moumlglich als die griechischen und latei-nischen proto-orthodoxen Kirchenvaumlter mit ihrem philosophischen Hintergrund die juumldisch-christliche Religion annahmen ihre wahren Lehren zu erklaumlren Aber gesetzt den Fall man entdeckt die bekanntesten Heiden-Christen des zweiten und dritten Jahrhunderts die ausdruumlcklich nicht-trinitarische Ansichten zum Aus-druck brachten waumlre das nicht ein triftiger Grund sie als Nicht-Trinitarier einzu-schaumltzen

Justinus der Maumlrtyrer Irenaumlus Tertullian und andere werden von Mainstream-Apologeten als Beispiele fuumlr bedeutende Kirchenvaumlter angefuumlhrt die zumindest einen primitiven mangelhaft entwickelten oder bdquonaivenrdquo Trinitarismus zeigten478 Wir koumlnnten davon ausgehen dies bedeute dass sie einfach nicht die Feinheiten geloumlst haben wie zB das Verhaumlltnis zwischen den zwei Naturen Christi oder den goumlttlichen bzw den menschlichen Verstand und zwei Willen Christi (dh der Du-alismus der von den Orthodoxen erst im vierten und fuumlnften Jahrhundert aktiv diskutiert werden sollte) Vielleicht waren aber doch zumindest die Fundamente dieser Dreieinigkeits-Christologie vorhanden Die grundlegendsten Komponen-

477 Harnack History of Dogma Vol 1 pp 292-293 478 J N D Kelly Early Christian Doctrines (London AampC Black 1977) p 90 (Fruumlhchristliche

Doktrinen)

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ten des Trinitarismus einschlieszliglich der ewigen Wesensgleichheit von drei ver-schiedenen Persoumlnlichkeiten in einer Gottheit oder wenigstens des gleichwerti-gen identischen Status von Vater und Sohn und ihrer Ebenbuumlrtigkeit sollten in diesem Fall in einer rudimentaumlren Form vorhanden sein Waren die Apostel die angeblich den Kirchenvaumltern den Trinitarismus vermittelt haben nicht in der Lage solche wesentlichen Punkte zu formulieren Man duumlrfte doch sagen dass wenn solche Grundvoraussetzungen nicht nachweisbar sind kein fairer Beweis fuumlr den Trinitarismus [im Christentum des 2 und 3 Jh] vorhanden ist

Die beruumlhmtesten Kirchenfiguren der ersten drei Jahrhunderte sollten daher nicht als Beweis fuumlr die oumlkumenische Akzeptanz des trinitarischen Dogmas an-gefuumlhrt werden Sie stellen nicht einmal ansatzweise die grundlegendsten trinita-rischen Voraussetzungen Mehr noch sie vertreten tatsaumlchlich gegenteilige und oft unitarische Meinungen Sie repraumlsentieren tatsaumlchlich ein proto-orthodoxes heidnisches Christentum Der Glaube wurde von ihnen aktiv hellenisiert aber nicht bis zu dem Punkt an dem er den Trinitarismus hervorgebracht haumltte nicht einmal bis zu dem Punkt an dem er aufhoumlrte die im Wesentlichen bdquounitaumlreldquo Sichtweise (Ein-Gott-Glaube) zu vertreten von der er sich allmaumlhlich abwandte Es gab Meinungsunterschiede Einige wie die Sabellianer (Modalisten) sagten dass Gott zwar eine Person sei aber er existiere in verschiedenen Formen von Vater Sohn und Geist Andere die Subordinationisten die wir gleich untersu-chen werden sagten dass der Sohn eine andere separate Person war und der Person des Vaters unterworfen (subordiniert) war Genau analysiert kombinier-ten und betrachteten diese rivalisierenden Fraktionen die Schriften wie der juumldi-sche Philosoph Philon vor ihnen durch eine platonische Weltanschauung Doch keiner der bdquoKatholikenrdquo hatte bisher Gottes Existenz als drei verschiedene gleich-berechtigte gleichgeschlechtliche und goumlttliche Individuen erklaumlrt Wie eine En-zyklopaumldie treffend zusammenfasst bdquoKein Theologe in den ersten drei christli-chen Jahrhunderten war ein Trinitarier im Sinne des Glaubens dass der eine Gott tri-persoumlnlich ist und [drei] goumlttliche sbquoPersonenrsquo Vater Sohn und Heiliger Geist enthaumlltrdquo479

Subordinationismus Unterordnung oder lateinisch Subordinationismus ist die Lehre die besagt dass der Sohn Gott dem Vater in Natur und Wesen untergeordnet ist und dass der Sohn seine Befehle von Gott annimmt und seine Existenz Gott verdankt Es ist leicht zu verstehen warum diese Ansicht in der Urkirche so populaumlr war Beweise fuumlr Unterordnung in den biblischen Dokumenten sind zur Genuumlge zu finden

479 Dale Tuggy ldquoHistory of Trinitarian Doctrinesrdquo Stanford Encyclopedia of Philosophy 2013 Web 22 De-

cember 2014

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bdquohellip der Vater ist groumlszliger als ichrdquo (Johannes 1428)

bdquoMein Vater der sie mir gegeben hat ist groumlszliger als allerdquo (Johannes 1029)

bdquoWahrlich wahrlich ich sage euch Ein Sklave ist nicht groumlszliger als sein Herr auch ein Gesandter nicht groumlszliger als der der ihn gesandt hatrdquo (Jo-hannes 1316)

bdquoDenn wie der Vater Leben in sich selbst hat so hat er auch dem Sohne verliehen Leben in sich selbst zu habenrdquo (Johannes 526)

bdquoIch will aber dass ihr wisst dass der Christus das Haupt eines jeden Mannes ist das Haupt der Frau aber der Mann des Christus Haupt aber Gottrdquo (1 Korinther 113)

bdquo ihr aber seid Christi Christus aber ist Gottesrdquo(1 Korinther 323)

bdquoDenn alles hat er [Gott] seinen [Jesu] Fuumlszligen unterworfen Wenn es aber heiszligt dass alles unterworfen sei so ist klar dass der [Gott] ausgenommen ist der ihm [Jesus] alles unterworfen hat Wenn ihm [Gott] aber alles un-terworfen ist dann wird auch der Sohn [Jesus] selbst dem [Gott] unterwor-fen sein der ihm [Jesus] alles unterworfen hat damit Gott alles in allem seirdquo (1 Korinther 1527-28)

bdquoDa sprach ich Siehe ich komme - in der Buchrolle steht von mir geschrie-ben um deinen Willen Gott zu tunrdquo (Hebraumler 107)

bdquo und sprach Vater wenn du willst nimm diesen Kelch von mir weg - doch nicht mein Wille sondern der deine gescheherdquo (Lukas 2242)

bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Wohlgefallen gefunden hat ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird den Nationen Recht verkuumlndenrdquo (Matthaumlus 1218 Jesaja 421-4)

Einige der fruumlhesten Aufzeichnungen der Kirche zeugen von keinem Bruch mit diesen Ansichten Zum Beispiel wird Clemens I von Rom (45-101 n Chr) nicht zu verwechseln mit dem spaumlteren Clemens von Alexandria oft als der erste Papst betrachtet (der zweite oder dritte nach Petrus wenn man die Katholiken konsul-tiert) Der Uumlberlieferung zufolge ist er von Petrus selbst geweiht worden480 Cle-mens praumlsentiert sich als engagierter Subordinationist und sogar als Unitarier Er schreibt bdquoLasst alle Heiden wissen dass du (der Vater) Gott allein bist und dass Jesus Christus dein Diener istrdquo (1 Clemens 594) Fuumlr Clemens ist der einzige Gott derje-nige welcher der Vater Jesu genannt wird waumlhrend der Christus eindeutig einen

480 Siehe John Chapman ldquoPope St Clement Irdquo The Catholic Encyclopedia 1908

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Platz der Unterwerfung (Subordination Gehorsam) einnimmt Clemens unter-scheidet Christus in uumlblicher Weise von Gott bdquoHaben wir nicht einen einzigen Gott und einen einzigen Christus und einen Geist der Gnade (oder der Liebe) uumlber uns ausgegossenrdquo (466) Clemens Unterordnung Jesu unter den einen Gott ist unbeirrbar bdquoJesus Christus wurde von Gott gesandt So ist Christus von Gott und die Apostel sind von Christus so sind beide durch den Willen Gottes in der richtigen Reihenfolge gekommenrdquo (421-2)

Interessanterweise fehlt in diesem fruumlhen Stadium jede Erwaumlhnung der von Gott in der Schoumlpfung verwendete philonische Logos-Engel den spaumltere proto-ortho-doxe Christen wie Justin Martyr so liebten Am auffaumllligsten fehlt die trinitarische Vorstellung der Wesensgleichheit von Vater und Sohn Weit davon entfernt den Blick auf die Platoniker und deren demiurgischen Logos zu richten schreibt Cle-mens bdquoDurch seine allmaumlchtige Kraft hat er den Himmel geschaffen er hat ihn auf seinen Befehl hin ins Leben gerufen Mit seinen heiligen und reinen Haumlnden hat er auch den Men-schen geformtrdquo (1 Clemens 33) Hier ist Gott selbst der einzige alleinige Schoumlpfer er hat keinen persoumlnlichen Logos keinen Engel und keinen bdquoJesusldquo verwendet um seine Schoumlpfung zu vollenden es geschieht durch seine eigene Hand Ein Gelehrter schreibt bdquoAbschliessend sucht man bei [Clemens] vergeblich nach der Ansicht der Logos sei ein personifiziertes Attribut des Vaters wie es so promi-nent in den Schriften der philosophischen Konvertiten zum Christentum zum Ausdruck gebracht wirdrdquo481 Folglich gibt es auch nirgends eine Erklaumlrung des Clemens uumlber eine Wesensgleichheit [der einzelnen Personen] in der dreieinigen Gottheit

Doch zur Zeit von Justin dem Maumlrtyrer im zweiten Jahrhundert wurde der Logos-Engel von Philon bei den platonisierenden christlichen Philosophen je laumlnger desto beliebter obwohl die meisten angeblich Subordinationisten geblieben wa-ren Als Unterordner lehrten sie dass der Sohn zwar bereits als Logos Gottes existiert hatte und in gewissem Sinne zwar bdquogoumlttlichrdquo aber nicht mit dem einen wahren Gott identisch sein konnte Auch der Heilige Geist wurde von diesen Lehrern nicht als dritte und gleichberechtigte Person des einen Gottes identifi-ziert sondern galt als geringeres Geschoumlpf ja war sogar dem Sohn untergeordnet Dieser sehr bdquoarianischrdquo anmutende Glaube von dem so oft faumllschlicherweise be-hauptet wurde er sei nur entstanden um im vierten Jahrhundert eine lang etab-lierte und bekannte trinitarische Orthodoxie in Frage zu stellen ist jedoch viel aumllter als im Groszligen und Ganzen angenommen wird Uumlber diese Beschoumlnigung der Geschichte schreibt der bekannte anglikanische Bischof R P C Hanson

Die Berichte uumlber das Geschehene die uns uumlberliefert wurden ha-ben groumlszligtenteils diejenigen geschrieben die zur Denkschule gehoumlr-ten welche sich letztendlich durchsetzte und die von dieser Idee

481 Lamson Abbot p 9

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tief gepraumlgt war Die Anhaumlnger dieser Ansicht wollten dass ihre Leser denken es habe schon immer eine Orthodoxie zu dem dis-kutierten Thema gegeben und dass die Periode einfach nur eine Geschichte der Verteidigung dieser Orthodoxie gegen Ketzerei und Irrtuumlmer sei Aber es sollte jedermann einleuchten dass dies nicht der Fall gewesen sein kann482

Schon in den Debatten des vierten Jahrhunderts konnte die Lehre des Arius dass Jesus ein untergeordnetes Wesen sei als bdquotraditionellrdquo verteidigt werden Von vielen wurde Arius als engagierter theologischer Konservativer angesehen483 So-gar Konstantin bemerkte in einem Brief an Arius und seinen Bischof Alexander dass der Streit zwischen ihnen nicht uumlber eine bdquoneuerdquo Theologie ausgebrochen sei484 In der Tat genau diesen Sachverhalt erkennen heutige Historiker

Viele der fruumlheren Kirchenvaumlter darunter Justin Clemens und O-rigenes - die letzten beiden waren selber Alexandriner - behandel-ten Jesus den Sohn als eine Art Ableitung des Vaters Als Arius behauptete er folge bdquodem Glauben unserer Vorfahren den wir von euch gelernt habenrdquo meinte er damit die ehrwuumlrdigen Theologen auf deren Arbeit er sich stuumltzen konnte485

Trotz der Behauptung von Polemikern wie Athanasius und Eusebius von Caumlsarea scheint es dass die Ansicht der proto-trinitarischen Partei revolutionaumlr war Wie Wissenschaftler zeigen ist die Vorstellung dass Arius der Innovator war eine bdquoLegenderdquo486 Dies bedeutet jedoch nicht dass die traditionelle bdquoarianischerdquo Sichtweise (der Glaube an ein untergeordnetes prauml-existentes Logos-Wesen) not-wendigerweise die beste Interpretation der biblischen Daten ist Es ging lediglich darum das Fehlen eines angeblichen Trinitarismus und die anhaltende weit ver-breitete Praumlsenz der Auffassung zu demonstrieren dass der Vater dem Sohn bis Mitte des vierten Jahrhunderts nach Christus uumlbergeordnet ist Bischof Hanson bestaumltigt dies und schreibt

Mit Ausnahme von Athanasius akzeptierte praktisch jeder Theo-loge in Ost und West zumindest bis zum Jahr 355 n Chr eine

482 R P C Hanson The Search for the Christian Doctrine of God The Arian Controversy 318-381

(Edinburgh T amp T Clark 1988) pp xviii-xix 483 Rowan Williams ldquoArius Heresy and Traditionrdquo The Journal of Roman Studies Vol 79 (London Society

for the Promotion of Roman Studies 1989) pp 256-257 See Griggs p 145 (Arius Haumlresie und Tradition) 484 Konstantin schrieb bdquoDie Ursache eurer Meinungsverschiedenheit war weder eine der Fuumlhrungslehren

oder Gebote des goumlttlichen Gesetzes noch ist eine neue Ketzerei die die Anbetung Gottes respektiert unter euch entstandenldquo (zitiert von Freeman in The Closing of the Western Mind p 166)

485 Freeman Closing of the Western Mind p 165 486 Griggs p 245

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Form des Subordinationismus der Subordinationismus koumlnnte tat-saumlchlich bis zur Beendigung der Kontroverse als offiziell akzep-tierte Orthodoxie bezeichnet werden487

Erst als die Bewegung des Athanasius die Gleichberechtigung [Gleichwertigkeit] von Vater und Sohn immer mehr hervorhob und diese Ansicht durch das Mandat des roumlmischen Staates unterstuumltzt wurde begann die Mehrheit welche noch die Tradition des Subordinationismus pflegte politische Macht einzubuumlssen Aber schon vorher zu Beginn des dritten Jahrhunderts war der Kampf um den Sub-ordinationismus durch eine andere rivalisierende Sichtweise in Frage gestellt wor-den Der Sabellianismus auch Modalismus genannt war eine Bewegung die nicht nur die platonischen Subordinationisten sondern auch die Unitarier bekaumlmpfte die offensichtlich unbeirrbar die urspruumlngliche Christologie der Nazarener und Ebioniten [beide waren Juden-Christen] aufrechterhielten

DerSubordinationismuskollidiertmitdemSabellianismusIm spaumlten zweiten Jahrhundert erfreute sich ein respektierter Handwerker na-mens Theodotus (von Byzanz auch der Gerber genannt ca 190 n Chr) einer grossen Anhaumlngerschaft Er uumlberzeugte die Glaumlubigen mit einer beeindruckenden Lehre welche der Christologie der juumldischen Christen von Jerusalem aumlhnelte Er hatte das Thema des Bloszlig-Mensch-Seins Jesu aufgenommen Theodotus sagte dass der Vater der wahre Gott sei und dass Jesus [lediglich] ein Mensch sei der aus der Jungfrau Maria geboren wurde Bei seiner Taufe sei er als Messias gesalbt und mit der Kraft Gottes ausgestattet worden488 Viele heidnische Intellektuelle in der Kirche fanden in seiner Lehre eine attraktive Rationalitaumlt489 und eine grosse Anzahl der christlichen Bischoumlfe soll diesem oder einem aumlhnlichen Den-ken gefolgt sein490 Doch es gab auch einige Bischoumlfe die argumentierten dass Christus kein bdquogewoumlhnlicher Menschrdquo gewesen sein konnte

487 Hanson p xix 488 Siehe Hippolytus The Refutation of All Heresies Ch VII 23 Einige Gelehrte haben Hippolytus Bericht

uumlber den Glauben von Theodotus in Bezug auf die jungfraumluliche Geburt in Frage gestellt und ihn eher als Adoptionisten angesehen (dass Gott Jesus bei seiner Taufe als seinen Sohn adoptiert habe) Hippol-ytus hingegen sah in Theodotus zweifellos ein Festhalten an der jungfraumlulichen Geburt Dennoch war Theodotus Sichtweise auf Gott unbestreitbar unitarisch und seine Sicht auf Christus dass er ein Mensch war und Gott eindeutig untergeordnet

489 Epiphanius berichtet dass Theodotus und die von ihm gegruumlndete bdquotheodotianische Sekterdquo staumlndig an die Schrift appellierten ihre Sicht auf den Menschen Jesus zu unterstuumltzen Zu den Lieblingstexten von Theodotus gehoumlrten Johannes 840 bdquoJetzt aber sucht ihr mich zu toumlten einen Menschen der ich euch die Wahrheit gesagt habe die ich von Gott gehoumlrt haberdquo und 5 Mose 1815 bdquoEinen Propheten wie mich wird dir der HERR dein Gott aus deiner Mitte aus deinen Bruumldern erstehen lassen Auf ihn sollt ihr houmlrenrdquo Siehe Epiphanius Panarion 1 9 3 1

490 Ehrman Lost Christianities pp 152-155

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Eine solche feindselige Person war auch Papst Victor I (gest 199 n Chr) Victor ein scheinbar vorschneller Richter der alle Ostkirchen exkommuniziert hatte weil sie Ostern nicht gleichzeitig mit den Westkirchen feierten491 scheint den Einfluss eines anderen Mannes namens Praxeas (ca 190 n Chr) uumlbernommen zu haben492 Dieser Praxeas hatte die strenge Einheit Gottes gelehrt (dass Gott eine Person war und der Sohn ein Modus [= Art und Weise des Seins eine Er-scheinungsform] dieses einen Gottes war) Er vertrat die Ansicht dass der Vater selbst auf die Erde heruntergekommen war und es zugelassen habe dass er ge-kreuzigt wurde493 Letztendlich haben Praxeas Lehren den spaumlteren Sabellius be-einflusst der die Auslegung im dritten Jahrhundert weiterfuumlhrte und seinen Na-men [Sabellianismus] damit identifizierte494 Es wird angenommen dass Papst Victor I bdquoversucht hat die Sichtweise des Praxeas in Rom zu festigenrdquo So geriet er mit den Ansichten des menschlichen Christus von Theodotus dem Gerber in Konflikt495 Der Streit zwischen Victor I und den Nachfolgern von Theodotus war ein Kampf zwischen zwei im Wesentlichen bdquounitarischenrdquo Ansichten Theo-dotus predigte Gott als eine Person waumlhrend Praxeas in Gott eine Person in drei Modi sah Schlieszliglich exkommunizierte Papst Victor I Theodotus um 190 n Chr wobei nicht genau bekannt ist aus welchen Gruumlnden Heute moumlgen einige behaupten dass es wegen der unitarischen Lehre von Theodotus war aber wie Dr Priestley bemerkte

Theodotus der als Unitarier exkommuniziert wurde steht kaum im Einklang mit der allgemeinen Praumlvalenz der unitarischen Lehre in der Zeit von Tertullian (die auch die von Victor I war) Es wird uumlber die Unitarier gesagt dass sie von Victor zunaumlchst gut aufge-nommen wurden So ist es durchaus moumlglich dass letzterer zu dem was er getan hat zu einem Streit zwischen ihnen angestiftet wurde uumlber den wir nichts zu berichten haben Es gibt keinen Fall glaube ich in dem eine Person vor Theodotus exkommuniziert wurde [nur] weil sie Unitarier war Waumlre die universelle [katholi-sche] Kirche hingegen von Anfang an trinitarisch gewesen haumltte man dann die Unitarier aus allen christlichen Gesellschaften nicht grausam vertrieben496

491 Joseph Priestley The Theological Works of Joseph Priestley Vol 6 (London G Smallfield 1786) p 505 492 John Chapman ldquoPraxeasrdquo The Catholic Encyclopedia Vol 12 (New York The Encyclopedia Press 1911)

p 344 493 Tertullian Against Praxeas 1 494 Kenneth Latourette A History of Christianity Vol 1 (New York HarperCollins 1875) pp 144-146 495 Tertullian De Praescriptione Appendix 496 Priestley Works pp 504-506

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Nach Theodotus Exkommunikation uumlberdauerte die theodotianische Sekte un-abhaumlngig in betraumlchtlicher Zahl bis ins spaumlte 3 Jahrhundert497 Aber bei der Kon-frontation mit den Theodotianern und anderen die seine Ansichten teilten498 haben Anhaumlnger von Papst Victors Partei in Rom moumlglicherweise uumlbertrieben Nach Victors Tod tolerierte und unterstuumltzte sein Nachfolger Papst Zephyrinus die praxeanisch-modalistische Haumlresie499 Obwohl die praxeanische Auffassung dass Jesus mit Gott dem Vater identisch sei sich in Rom inzwischen stark ver-breitet hatte geriet sie in heftige Kritik vor allem von Tertullian in seinem gefei-erten Werk Gegen Praxeas (um 213 n Chr) Tertullian verbuumlndete sich mit dem einflussreichen Hippolytus von Rom (170-235 n Chr) und die zwei argumen-tierten fuumlr die Unterscheidung und Unterordnung des Sohnes unter den Vater wie folgt

Warum sagt die Schrift dass Gott seinen Sohn gesandt hat anstatt dass er sich selbst gesandt hat Wie kann man sein eigener Vater sein Zu wem spricht Jesus wenn er betet Wie kann Jesus davon sprechen dass er zum Vater geht (Johannes 2017) wenn er der Vater ist Und ist es wirklich vorstellbar dass Gott der Vater getouml-tet wurde500

Papst Zephyrinus wurde von Hippolytus scharf kritisiert der ihn des Modalismus beschuldigte Die Fehde fuumlhrte dazu dass Hippolytus und seine Juumlnger aus der Gemeinschaft mit dem Papst flohen und sich zur wahren Kirche in Rom ernann-ten501 Letztendlich verteidigten Tertullian und Hippolytus die Christologie des

497 Nach dem Abgang von Theodotus und Victor machten die Theodotianer weiter unter der Fuumlhrung

eines Mannes der ebenfalls Theodotus hiess auch bekannt als der Geldwechsler Ihm zur Seite stand Asclepiodotus Diese zwei Aumlltesten und der Nachfolger Victors namens Zephyrinus gerieten in Streit miteinander welcher den Papst offensichtlich sehr belastete Er starb nicht den Maumlrtyrertod doch die psychische Belastung war so groszlig dass ihm der Ehrentitel Maumlrtyrer gegeben wurde

498 Siehe Epiphanius Heresies 54 Eusebius Church History l 5 499 C Wordsworth St Hippolytus and the Church of Rome (Oxford Rivingtons 1880) p 192 500 Ehrman Lost Christianities p 153 See also Tertullian Against Praxeas and Hippolytus Against Noetus 501 Burton Easton The Apostolic Tradition of Hippolytus (Cambridge CUP 1934) pp 21-22

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untergeordneten Logos502 bis die praxeanischsabellianische Sichtweise schlieszlig-lich in Ungnade fiel und wiederholt als Ketzerei verurteilt wurde503 So wurden der Vater und der Sohn im dritten Jahrhundert von der Mehrheit der Christen als unterschiedliche Wesen [Modi] angesehen In der Tat hat sich in diesem Stadium der Subordinationismus durchgesetzt Und nicht nur der Subordinationismus sondern auch die Christologie des Theodotus hielt sich gegen die zunehmende Logos-Christologie weiterhin hartnaumlckig aufrecht kann man sie doch oumlffentlich bis in die Zeit der fruumlhesten juumldischen Christen zuruumlckverfolgen

Die Geschichte von Artemon (ca 230 n Chr) ist in dieser Hinsicht nuumltzlich Artemon war ein prominenter und beliebter Lehrer in Rom der sich an die Mensch-Christologie seine Geburt durch eine Jungfrau und die unitarische Ein-Gott-These hielt504 Artemon ist vor allem bemerkenswert weil er oumlffentlich die Autoritaumlt der Antike fuumlr seine Ansichten beanspruchte welche auf die erste christliche Gemeinschaft in Judaumla zuruumlckgeht Nicht nur das Artemon und seine Verbuumlndeten behaupteten auch dass der Glaube an einen goumlttlichen Christus erst um die Zeit von Papst Victor I und Zephyrinus (Ende des zweiten Jahrhunderts) einen nennenswerten Einfluss auf die Christenheit ausgeuumlbt habe Dieses Datum scheint mit unserer fruumlheren Information uumlber den Erfolg des markionitischen und valentinianischen Christentums im spaumlten zweiten Jahrhundert uumlbereinzu-stimmen Zwischen den maumlchtigen gnostischen krypto-gnostischen und sabelli-anischen Einfluumlssen die in dieser Zeit aus Rom und Alexandria ausgingen er-scheint es sinnvoll mit den Artemoniten uumlbereinzustimmen dass diese Periode das weit verbreitete Verschwinden des nur-menschlichen Jesus markierte Euse-bius erinnert sich

502 Hippolytus zeigt aumlhnliche Ansichten wie Tertullian in dem Sinne dass der Logos Gottes ewig goumlttlich

war aber noch nicht zur Person des Sohnes mutierte bis dies spaumlter von Gott gewollt wurde so gab es keine ewige Generation eines gleichberechtigten Sohnes Berichte aus einer Hand bdquoBei Hippolytus wird der Logos erst bei der Schoumlpfung persoumlnlich und bleibt so fortan bis in alle Ewigkeit aber Er wird erst bei der Inkarnation als Sohn Gottes vollkommen ldquo Auszligerdem nimmt Hippolytus eine Beziehung strik-ter Unterordnung an (John Dollinger Hippolytus und Callistus (Edinburgh T amp T Clark 1876) S 202 unsere Betonung) Eine andere Erklaumlrung lautet bdquo[Hippolytus] glaubt dass der Logos erst dann voll-staumlndig zum Sohn wird wenn er zum Menschen wirdrdquo Zum Beispiel schreibt der Polemiker bdquoWelchen eigenen Sohn hat Gott nun durch das Fleisch herabgesandt wenn nicht das Wort Er hat ihn als Sohn angesprochen angesichts der Tatsache dass er in Zukunft so werden wuumlrderdquo (Edgar G Foster Ange-lomorphic Christology and the Exegesis of Psalm 85 in Tertullianrsquos Adversus Praxean (Lanham Uni-versity Press of America 2005) S 24)

503 Sabellius ein libyscher Priester gab der praxeanisch-modalistischen Sicht zu Beginn des dritten Jahrhunderts neuen Auftrieb so dass sein Name bis heute so eng mit der jetzigen Darlegung verbunden ist Nachdem er zuerst die Akzeptanz von Bischof Callistus genossen hatte wurde er um 220 n Chr von Callistus exkommuniziert nachdem Hippolytus die Gunst des Bischofs erlangt hatte Sabellius wurde von Dionysius um 260 n Chr jedoch erneut angeprangert Und noch einmal verurteilte Bischof Damasus 380 n Chr Sabellius

504 See Theodoretus Compendium of Heretical Accounts 2 6 See also Lamson Abbot p 225

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[Die Artemoniten] bekraumlftigen dass alle Aumlltesten und die Apostel die gleichen Dinge empfangen und gelehrt haben wie sie jetzt ver-sichern die Predigt der Wahrheit sei bis zu den Zeiten von Victor I der nach Petrus der dreizehnte Bischof von Rom war erhalten geblieben aber seit den Zeiten seines Nachfolgers Zephyrinus sei die Wahrheit verfaumllscht worden505

Der orthodoxe Eusebius versucht die artemonitischen Behauptungen zu wider-legen indem er sich auf die Antike derer beruft welche die Doktrin aufstellten der Logos sei eine Person Er geht jedoch nur bis zu Clemens von Alexandria (Ende des 2 Jahrhunderts) und Justin der Maumlrtyrer (ca 150 n Chr) zuruumlck und wagt nicht weiter oder kann es nicht Doch wie wir bald feststellen werden hatte sich die Logos-Doktrin auch zu Justins Zeiten nicht uumlber das gesamte Christen-tum ausgebreitet und viele hielten immer noch an der menschlichen Christologie fest Im Licht der Geschichte der Nazarener und gemaumlszlig anderen Christen schei-nen Artemons Behauptungen gut fundiert gewesen zu sein Wie zwei Historiker feststellen bdquohat Artemons Anspruch die alte Lehre zu bewahren die Befuumlrworter der sbquoLogos-Doktrinrsquo etwas ratlos gemacht Fuumlr sie ist dies eine haumlssliche Tatsache die schwer zu beseitigen istrdquo506

Unabhaumlngig davon fasst ein anderer Wissenschaftler treffend zusammen bdquoWaumlh-rend der Subordinationismus unterschiedliche Darlegungsformen aufwies be-schaumlftigten sich praktisch alle Theologen vor Nicaumla mit irgendeinem der Aspekte davonrdquo507 Doch wie gesagt waren diese Ansichten erst im vierten Jahrhundert ernsthaft gefaumlhrdet als die proto-orthodoxe Partei bdquoihre Kategorien verfeinerte und jede Vorstellung von einer Subordination Christi unter Gott ablehnterdquo508

Nachdem wir das allgemeine theologische Klima des spaumlten zweiten und dritten Jahrhunderts beschrieben haben unterziehen wir nun einige der prominentesten Persoumlnlichkeiten dieser Epochen die von Apologeten am haumlufigsten als uumlber-zeugte Trinitarier herangezogen werden einer sorgfaumlltigen Analyse Wir werden untersuchen ob sie noch die [seinerzeitige] traditionelle Subordination des Soh-nes bezeugen oder nicht Wir wollen wissen ob sie die notwendige Ko-Eternitaumlt (gleich-ewig) und Ko-Gleichheit (gleich-wertig) erklaumlren die erforderlich ist um Trinitarier zu sein Wir werden ihre Meinungen genau analysieren Enthalten ihre Darlegungen die unverwechselbaren Vorstellungen Platons uumlber den Demiurg sowie die Ansichten Philons uumlber den Logos

505 Eusebius Church History 5 28 506 Lamson Abbot p 225 507 Thomas C Pfizenmaier The Trinitarian Theology of Dr Samuel Clarke (Leiden Brill 1997) p 91 508 Ehrman Lost Christianites p 155

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JustinusderMaumlrtyrereinuumlberzeugterTrinitarierWas den beruumlhmten Justin Martyr (100-165 n Chr) betrifft so wird manchmal von Apologeten behauptet bdquoJustin glaubte an einen Vater Sohn und Geist als drei verschiedene Personen Alle drei dieser Personen waren ein [und derselbe] Gottrdquo509 Doch schreibt Justin selbst dem einen Gott jemals eine solche tri-per-soumlnliche Natur zu Sieht er Jesus den Vater und den Heiligen Geist als die gleiche einzelne Gottheit Die Antwort lautet Wir finden in Justin keinen engagierten Trinitarier sondern nur einen hellenisierenden christlichen Philosophen der ent-schlossen war seinen Glauben mit demjenigen Platons zu verbinden Im Plato-nismus sah er die wertvollste aller griechischen philosophischen Schulen mit de-nen er sich beschaumlftigte

Es ist wahr dass Justin wie viele der Kirchenvaumlter in seinen Schriften manchmal den Begriff bdquoGottrdquo benutzt um [auch] Christus zu beschreiben Wir werden je-doch bald feststellen dass die klassische Anwendung des Wortes allgemein viel breiter war als heute Waumlhrend Justins Verwendung von bdquoGottrdquo (oder sbquogoumlttlichlsquo) zur Beschreibung Jesu bei einigen heutigen Lesern Verwirrung stiften mag geben seine anderen Aussagen uumlber Christus und den Vater Aufschluss uumlber seinen tat-saumlchlichen Glauben In seinem beruumlhmten Dialog mit Tryphon dem Juden schreibt er bdquoWir behaupten nicht dass unser Gott anders ist als deiner der Gott Abrahams Isaaks und Jakobsrdquo510 Das ist natuumlrlich ein Anspruch den auch moderne Trinitarier stellen Doch in seiner Ersten Apologie erklaumlrt Justin

Wir verehren den Erschaffer dieses Universums Unser Lehrer fuumlr diese Dinge ist Jesus Christus wir verehren ihn vernuumlnftiger-weise nachdem wir gelernt haben dass er der Sohn des wahren Gottes selbst ist und halten ihn an zweiter Stelle und den prophe-tischen Geist an dritter Stelle wie wir beweisen werden wir geben einem gekreuzigten Menschen einen Platz an zweiter Stelle nach dem unveraumlnderlichen und ewigen Gott dem Schoumlpfer von al-len511

Bisher haben wir gesehen dass Justins Gott eindeutig der Gott der Juden und dass er auch der Vater Jesu ist Justins Erwaumlhnung den Sohn und den Geist ne-ben bdquodem wahren Gottrdquo anzubeten oder zu (ver-)ehren macht ihn nicht auto-matisch zu einem Trinitarier Die Tatsache dass er sie nach Rang ein- oder un-terordnet zeigt dass er diese Subjekte [im Sinne von Untergebenen] nicht fuumlr

509 Robert Alan King Justin Martyr on the Trinity God as Father Son and Spirit (Casa Grande King amp Asso-

ciates 2011) p 1 510 Justin Martyr Dialogue 11 1 511 Justin Martyr First Apology 13 1

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gleichwertig mit Gott haumllt ohne das Dogma der Gleichwertigkeit aber gibt es keinen Trinitarismus Justin ist also ein Unterordner der Vater hat Vorrang vor dem Sohn Es ist allerdings auch klar dass Justin im Gegensatz zu vielen anderen heutigen evangelischen Trinitariern nicht die Haltung einnimmt religioumlse Ehre gebuumlhre allein Gott Fuumlr Justin ist Gott

bdquo hellip der wahrhaftige Gott der Vater der Gerechtigkeit und Maumlszligi-gung der nicht mit dem Boumlsen vermischt ist aber wir verehren und lieben sowohl ihn als auch den Sohn der von ihm kam und uns diese Dinge und die Heere der uumlbrigen guten Engel zeigte die ihm folgen und die wie er gemacht sind und den prophetischen Geist der Ehre und Vernunft und Wahrheit gibtldquo 512

Hier demonstriert Justin fuumlr Christen die Breite der Anbetung Er erklaumlrt dass er neben Gott welcher der Vater ist auch den Sohn die Engel [die himmlischen Heerscharen] und den prophetischen Geist anbetet wenn auch offensichtlich nicht in genau der gleichen Weise oder in demselben Maszlige wie er den einen Gott den Vater Jesu verehrt er hat sie bereits nach Rang und Grad eingeordnet Au-szligerdem sagt Justin nachdem er den Sohn erwaumlhnt hat direkt bdquodie uumlbrigen guten Engel die wie er gemacht sindrdquo Fuumlr Justin war der Sohn ein goumlttlicher Geist der nicht der eine Gott war sondern der Logos Gottes ein engelhaftes Wesen das durch die Geburt Mensch wurde

bdquoEs gibt in der Schrift und wird darin oft erwaumlhnt einen anderen Gott einen Herrn unter dem Schoumlpfer aller Dinge er wird auch Engel genannt [der auch] Abraham Jakob und Mose erschienen ist und Gott genannt wird [und der] sich von Gott dem Schoumlpfer unterscheidet verschieden das heiszligt in der Anzahl aber nicht im Sinnldquo 513

Dieser Logos gilt als bdquoein anderer Gottrdquo der bdquounter dem Schoumlpferrdquo ist er ist mit dem einen Gott in Sinn und Zweck vereint doch diese Engelsinkarnation ist nicht der Schoumlpfergott Justin scheint sogar die Idee zu verabscheuen dass der Schoumlpfer als Mensch haumltte Fleisch werden sollen

Niemand auch der nicht welcher nur ein bisschen Verstand be-sitzt zu erklaumlren wagen der Schoumlpfer und Vater des Weltalls habe alles was uumlber dem Himmel ist verlassen und sei in einem kleinen Winkel der Erde erschienen514

512 Ebenso 6 513 Justin Martyr Dialogue 56 514 Ebenso 60

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Obwohl Justin Jesus manchmal bdquoGottrdquo (theos) nannte wissen wir dass er kein Trinitarier war denn fuumlr ihn existierte der Sohn ausserhalb der einen wahren Gottheit als sekundaumlrer rangmaumlszligig geringerer bdquoGottrdquo - eine Person die sicherlich nicht mit dem Vater gleichwertig ist sondern ein eigenes goumlttliches Wesen von geringeren Eigenschaften und Ehre Ein Gelehrter fasst zusammen

Die moderne populaumlre Lehre der Dreifaltigkeit bezieht keine Un-terstuumltzung aus der Sprache Justins und diese Beobachtung kann auf alle [Kirchen-]Vaumlter vor Nicaumla ausgedehnt werden dh auf alle christlichen Verfasser von Schriften waumlhrend drei Jahrhunderten nach der Geburt Christi Es trifft zwar zu sie sprechen alle vom Vater vom Sohn und vom heiligen Geist aber nicht als gleich-wertig nicht als eine numerische Essenz nicht als drei in einem im dem Sinne in welchem er heute von den Trinitariern aufgefasst wird Fakt ist das genaue Gegenteil ist der Fall515

Aber wir fragen uns immer noch ob Justins Ansicht der Prauml-Existenz Christi als ein zweites goumlttliches Wesen die akzeptierte Ansicht aller (nicht-gnostischen) Christen seiner Zeit war Wenn wir ein wenig tiefer in Justins Gespraumlch mit Try-phon dem Juden eintauchen entdecken wir interessante Informationen Im Dia-log Kapitel 48 stellt Tryphon Justins Sichtweise der nicht-menschlichen Prauml-Existenz Christi in Zweifel Er fragt sich wie es moumlglich ist dass Justins Christus wirklich bdquobloszlig Menschldquo und vom Menschen geboren sein koumlnnte und doch zu-erst als etwas anderes existiert habe und daher nicht bdquovon Menschenldquo war bdquoEs scheint so zu seinrdquo protestiert Tryphon bdquovoumlllig absurd und voumlllig unmoumlglich zu beweisenrdquo516 Wir muumlssen uns hier daran erinnern dass die Juden eine ganz an-dere Vorstellung von der Seele hatten als die Griechen Dem traditionellen Juden fehlte das metaphysische System Platons welches es einer goumlttlichen Natur oder einer prauml-existenten Person ermoumlglichte sich mit einer anderen abstrakten Natur zu verbinden So nennt Tryphon Justins Glauben an Jesu Prauml-Existenz bdquonicht nur paradox sondern geradezu unvernuumlnftigrdquo517 Uumlberraschenderweise gibt Justin je-doch anstatt einfach nur die Schrift zur Verfuumlgung zu stellen um unmissver-staumlndlich zu beweisen dass Christus tatsaumlchlich - bevor er Mensch wurde ndash eben doch bereits existierte eine bemerkenswerte Reihe von Aussagen ab die helfen koumlnnen den Zustand des Christentums in seiner Zeit zu beleuchten Er beginnt mit den Worten

Ich weiszlig dass die Aussage paradox erscheint besonders fuumlr dieje-nigen deiner Rasse die immer nicht bereit sind die Anforderungen

515 Lamson Abbot pp 56-57 516 Justin Martyr Dialogue with Trypho 48 517 Ebenso 48 1

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Gottes zu verstehen oder zu erfuumlllen aber bereit sind die deiner Lehrer zu erfuumlllen518

Daraus laumlsst sich erkennen dass es in der Tat unter den Juden keinen weit ver-breiteten Glauben an eine buchstaumlbliche Prauml-Existenz des Messias gab Da war kein religioumlser oder philosophischer Bezugsrahmen durch den die Inkarnation eines himmlischen Wesens und der Einklang mit der menschlichen Natur als et-was anderes als Unsinn wahrgenommen werden konnte Das scheint historisch korrekt zu sein Die traditionellen juumldischen und platonischen Weltanschauungen waren stets unvereinbar trotz der in Mode gekommenen progressiven alexandri-nischen Auslegungen Die Juden konnten sicherlich damals nicht - und sie koumln-nen sich bis heute nicht ndash einerseits von ihren Schriften leiten lassen und ande-rerseits den Messias als ein buchstaumlblich bereits existierendes goumlttliches Wesen zu betrachten fuumlr sie war er einfach ein Mensch519 Selbst Tryphon sagt bdquoWir Juden erwarten alle dass Christus [der Gesalbte der Messias] ein Mensch rein mensch-lichen Ursprungs sein wird dieser Mann der Christus zu sein scheint muss als ein Mann von ausschlieszliglich menschlicher Geburt betrachtet werdenrdquo520 Den-noch behauptet Justin weiterhin eine himmlische Prauml-Existenz fuumlr den Messias aber er scheint dies nur zaghaft zu tun

Nun Tryphon der Beweis dafuumlr dass dieser Mann der Christus Gottes ist scheitert nicht obwohl ich nicht beweisen kann dass er fruumlher als Sohn des Schoumlpfers aller Dinge naumlmlich als Gott [oder als bdquogoumlttlichldquo] existierte und von der Jungfrau als Mensch geboren wurde Aber da ich sicherlich bewiesen habe dass dieser Mensch der Christus Gottes ist wer auch immer er ist auch wenn ich nicht beweise dass er vorher existiert hat und als ein Mensch gleicher Leiden-schaften mit uns geboren wurde der einen Leib hat nach dem Wil-len des Vaters allein in dieser letzten Angelegenheit ist es nur zu sagen dass ich mich geirrt habe und nicht zu leugnen dass er der Christus ist obwohl es den Anschein haben sollte dass er als Mensch von Menschen geboren wurde und [nicht mehr] bewiesen ist dass er durch Erwaumlhlung Christus geworden ist Denn es gibt einige meine Freunde unserer Rasse die zugeben dass er Christus ist waumlhrend sie ihn als

518 Ebenso 48 2 519 Der Reformator Melanchthon schreibt bdquoDie Juden erwarteten einen Messias der nur ein Mensch

wie die anderen Propheten sein wuumlrde obwohl er sie in Weisheit Tugend und Faumlhigkeit uumlbertrifft um die ganze Welt zu empfangen und zu beherrschenrdquo (F A Cox Life of Melancthon (London Forgotten Books 2013 [1815]) p 120) Ein trinitarischer Bischof stimmt dem zu bdquo dass die [Juden] erwartet haben sollen dass ihr Messias eigentlich und vollkommen Gott waumlre von einer Substanz mit dem Vater ist glaube ich mehr als uns erlaubt ist zu bestaumltigenrdquo (Charles J Blomfield Dissertation upon the Tradi-tional Knowledge of a Promised Redeemer (Cambridge J Smith 1819) p 98)

520 Justin Martyr Dialogue with Trypho 49 1

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Mensch von Menschen halten mit denen ich nicht einverstanden bin auch nicht wenn die meisten von denen welche der gleichen Mei-nung sind wie ich das sagen sollten521

Justins Taktik hier ist aufschlussreich Er argumentiert dass das Hauptbeweis-mittel in der Tatsache liegt dass der Mann Jesus von Nazareth wirklich der pro-phezeite Messias ist Daruumlber hinaus sind die einzigen Dinge die er bisher bewei-sen konnte und moumlglicherweise auch die einzigen die er beweisen kann dass Jesus von einem Menschen geboren wurde und dass er der Christus ist nachdem er durch Gottes eigene Wahl zum Christus gemacht wurde522 Wenn Justin nach-weisen koumlnnte dass Jesus die Anforderungen des Christus-Seins erfuumlllte ohne seine Prauml-Existenz beweisen zu muumlssen oder etwas anderes als eine menschliche Natur hatte dann stellen eine vorausgehende Existenz oder eine goumlttliche Natur keine spezifischen messianischen Anforderungen an Justins Christentum dar Mit anderen Worten Jesus musste nicht mit Gott identisch sein um authentisch der Christus zu sein und wenn es darum geht einen schluumlssigen Beweis fuumlr eine Prauml-Existenz zu liefern scheint Justin gewisse Zweifel zu haben

Noch interessanter ist vielleicht dass Justin diejenigen unter seinen eigenen Bruuml-dern und Freunden erwaumlhnt die nicht an die Prauml-Existenz Christi als goumlttliches Wesen glaubten sondern die uumlberzeugt waren dass Jesus ausschlieszliglich und ur-spruumlnglich menschlich sei So zeigt er dass im fruumlhen nicht-gnostischen heidni-schen Christentum nicht alle die aufkeimende Logos-Christologie akzeptiert hat-ten die Justin und seine philosophische Bewegung von Philon uumlbernommen hat-ten Justin betrachtet diejenigen mit der menschlichen Christologie sicherlich auch als Mitchristen die Jesus als den Christus ohne Vorexistenz richtig ange-nommen haben und er bittet Tryphon instaumlndig sich ihnen in diesem Bekenntnis anzuschlieszligen Natuumlrlich glaubt Justin selber fest an die Prauml-Existenz und be-hauptet er wuumlrde sich daran halten auch wenn die Mitglieder seines Glaubens die derzeit ihre eigenen Ansichten vertreten davon uumlberzeugt waumlren anders zu glauben Hier scheint Justin zumindest die Moumlglichkeit eines begruumlndeten christ-lichen Zweifels an der Prauml-Existenzidee zu bieten Aber waumlre die Prauml-Existenz Christi als ewiger Gott nicht ein Eckpfeiler des ihnen von den Aposteln uumlberlie-ferten christlichen Glaubens gewesen waumlren die Apostel tatsaumlchlich Trinitarier gewesen wie einige moderne Apologeten behaupten Zumindest scheint Justin

521 Ebenso 48 2-4 unsere Hervorhebung 522 Biblisch gesprochen war Jesus nicht der Christus infolge der Inkarnation der Gottheit in das menschli-

che Fleisch er war nicht der Christus aufgrund der Natur Vielmehr war es ausdruumlcklich durch Gottes Gebot Der Apostel Petrus erklaumlrte zu Pfingsten bdquoJesus von Nazareth war ein Mensch nachdem er zur rechten Hand Gottes erhoben worden war lasst das ganze Haus Israel sicher wissen dass Gott ihn zum Herrn und zu Christus gemacht hat - diesen Jesus den ihr gekreuzigt habtrdquo (Apg 222 ff)

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den Geist von Athanasius und der spaumlteren orthodoxen Partei des vierten Jahr-hunderts nicht zu teilen welche diejenigen die nicht zustimmten sofort dem flammenden Anathema [= Kirchenbann] uumlberlieferte

Wir werden die scharfsinnige Zusammenfassung eines Gelehrten uumlber die moumlg-lichen Schlussfolgerungen betrachten die wir aus Justins enthuumlllenden Aussagen ziehen koumlnnen

Die Lehre von der Goumlttlichkeit [Divinitaumlt] und der Prauml-Existenz Christi hatte in dieser Zeit unter den Christen noch wenig Fuszlig ge-fasst Vielleicht war sie sogar die Erfindung von Justin selbst Denn wir finden ihn nicht an fruumlhere Schreiber zu diesem Thema oder gar an die allgemeine Meinung der Christen in seiner Zeit appellie-rend sondern nur an seinen eigenen Sinn oder seine Interpretation der Schriften Auszligerdem aumluszligert er Vorbehalte wenn er seine ei-gene Meinung vertritt und er zweifelt ausdruumlcklich daran ob er je in der Lage sein sollte zu beweisen dass Christus bereits existierte Diese Zweifel und seine Uumlberzeugung dass im Falle des Scheiterns eines Beweises das Messias-Amt Jesu trotz allem fest bleiben wuumlrde sind alles Anzeichen dafuumlr dass die Lehre von der Goumlttlich-keit und der Prauml-Existenz des Messias damals eine neuartige und houmlchst fragwuumlrdige Meinung war523

In Erinnerung an den Einfluss von Philon und im Wissen dass viele moderne Gelehrte den Aufstieg des christlichen Gnostizismus auf Alexandria zuruumlckfuumlh-ren scheint es [trotzdem] wahrscheinlich dass sowohl die Gnostiker als auch Justin sich auf die fruumlheren mystischen hellenistisch-juumldischen Ideen uumlber die Prauml-Existenz bezogen haben diese kamen aus Alexandria Sicherlich stand das was wir zu Justins Zeiten als bdquokatholischesrdquo Christentum bezeichnen koumlnnen noch immer im starken Gegensatz zum bdquognostischenrdquo Christentum524 Die Schule von Valentinus (er wurde im selben Jahr wie Justin geboren) war durch eine vollstaumln-dige Anerkennung der Prauml-Existenz und Gottheit Christi als Grundlage des Glau-bens gekennzeichnet aber dies war offensichtlich noch keine unverzichtbare Vo-raussetzung fuumlr alle nicht-gnostischen Glaumlubigen Es ist klar dass in Justins Aumlra die Meinungen nicht-gnostischer Christen (sie sind bis zu einem gewissen Grad historisch fassbar) uumlber die Prauml-Existenz gespalten waren Einige sagten dass der

523 William Christie Dissertations on the Unity of God in the Person of the Father (Philadelphia R H Small 1828)

pp 210-211 524 Justin selbst schrieb gegen Markion und andere Gnostiker und enthuumlllte dass obwohl sie im Roumlm

Reich bdquoChristenrdquo genannt wurden ihre (gnostischen) Ansichten stark mit ihren (christlichen) kon-trastierten (Erste Apologie 15) Nach Justins Tod verursachte Tatian (gest 180 n Chr) einer von Justins besten Schuumllern einen groszligen Skandal indem er spaumlter der valentinianischen Theologie beitrat

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Christus einfach ein Mann gewesen sei und waren darin mit den Juden einver-standen Andere sagten er sei in gewisser Weise ein himmlisches Wesen und stimmten Justin zu In Justins Zwielicht etwa von der Mitte des zweiten Jahrhun-derts an oder kurz nach seinem Tod mit der wachsenden Zahl gnostischer Chris-ten scheint der Glaube an den bdquohimmlischenrdquo Christus betraumlchtlich an Einfluss gewonnen zu haben Wahrscheinlich ist der exakte Prozentsatz der Christen die zu Justins Zeiten in das eine oder andere Lager liefen nicht genau zu beziffern Deutlich erkennbar sein duumlrfte dass die alte Debatte uumlber die Prauml-Existenz Christi als Gott oder als ein im Status geringerer Gott oder als ein anderes bdquogoumltt-liches Wesenldquo auch heute noch lebendig ist

In unserer heutigen Zeit gibt es noch immer einen pulsierenden Grundstrom in der Christenheit der auf die Skepsis sowohl der Juden als auch vieler Urchristen zuruumlckgeht Sie nehmen eine kritische und vorsichtige Haltung an und entdecken dass gewisse Richtlinien zu viel vom platonischen Geist aufgesaugt und zu wenig von den unwiderlegbaren biblischen Beweisen aufgenommen haben bdquoEs scheint mirldquo schloss Tryphon bdquodass diejenigen die behaupten dass er [Jesus] bloszlig menschlicher Herkunft sei und erst durch [Gottes] Wahl als Christus [Messias] gesalbt wurde eine Doktrin vorschlagen die viel glaubwuumlrdiger ist als deinerdquo525 In der zweiten Haumllfte dieses Buches werden wir nicht weniger als zwei Kapitel der Aufklaumlrung der biblischen Sicht der Prauml-Existenz widmen Darin stoszligen wir auf Beweise die es schwierig machen werden nicht mit Tryphons Schlussfolge-rung einverstanden zu sein

IrenaumlusvonLyonIrenaumlus (130-202 n Chr) beruumlhmt fuumlr seine Polemik gegen die Gnostiker war ein Schuumller von Polykarp der ein Schuumller von Papias war der seinerseits ein Schuumller von Johannes dem Apostel Jesu Christi war Wie Justin Martyr wird er manchmal von modernen Apologeten als ein bdquofruumlher prominenter trinitarischer Lehrer und Theologerdquo bezeichnet526 In einem evangelischen Leitartikel begeg-nen wir der Behauptung bdquoIrenaumlus bezeugte das trinitarische Verstaumlndnis der Kir-che von Gottes Natur lange bevor die Konzile von Nicaumla (325 n Chr) und Kon-stantinopel (381 n Chr) ihre traditionellen Bekenntnisse hervorbrachtenrdquo527 Aber hat Irenaumlus wirklich die trinitarische Theologie vertreten Hat er je von der Einheit dreier verschiedener Wesen mit gleichwertiger Goumlttlichkeit gesprochen

525 Justin Martyr Dialogue with Trypho 49 1 526 ldquoThe God Revealed in Jesus Christ A Brief Introduction to Trinitarian Theologyrdquo Grace Communion

International Web 04 November 2014 lthttpwwwgciorggodrevealedgt (Der in Jesus Christus of-fenbarte Gott Eine kurze Einfuumlhrung in die Trinitarische Theologie)

527 Paul Kroll Christian Odyssey AprilMay 2008 Grace Communion International (Zeitschrift Christliche Odysee)

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wie es von manchen behauptet wird528 Irenaumlus in seinem beruumlhmten Buch Gegen die Haumlresien schreibt

Auch ich also rufe Dich an Herr Gott Abrahams Gott Isaaks und Gott Jakobs und Israels der Du der Vater unseres Herrn Jesu Christi bist mdash o Gott der Du durch die Groumlszlige Deiner Barmherzigkeit so freundlich Dich uns geoffenbart hast der Du die Erde und den Himmel gemacht hast Du allerhoumlchster Herr Du einziger und wahrer Gott uumlber dem es keinen andern Gott gibt lass doch durch unsern Herrn Jesus Christus den Heiligen Geist in uns herrschen lasse doch jeden der dieses Buch liest Dich erkennen dass Du allein Gott bist in Dir stark werden und abstehen von aller haumlretischen gott-losen und frevelhaften Gesinnung529

Wie bei Justin sehen wir dass Gott fuumlr Irenaumlus eine individuelle Identitaumlt ist der Vater Jesu der als der Einzige anerkannt wird der wahre Gott Irenaumlus faumlhrt fort

Weder die Propheten noch die Apostel noch Christus der Herr als Gott und Herrn bekannt haben So nennen die Propheten und Apostel den Vater und den Sohn keinen anderen aber nennen sie Gott [Vater] oder bekennen ihn als Herrn [Jesus] Und der Herr selber nennt nur den Vater Gott und Herrn den der allein Gott ist und Herrscher uumlber alles und da er so es seinen Juumlngern uumlberliefert hat und da ihre Zeugnisse [Johannes der Taumlufers] dies bekunden so muumlssen wir ihnen folgen wenn anders wir ihre Schuumller sein wollen Es ist also ein und derselbe Gott der Vater unseres Herrn [Jesus] der durch die Propheten verhieszlig dass er den Vorlaumlufer senden werde und sein Heil sein Wort allem Fleische sichtbar machte und selbst Fleisch wurde um sich in allem als ihr Koumlnig zu offenba-ren530

Fuumlr Irenaumlus hatte der Herr Jesus die Lehre uumlberliefert dass bdquoEr der Vaterrdquo der Einzige der Gott uumlber alles ist Es ist klar dass bdquoder Vater unseres Herrnrdquo der houmlchste Gott ist auch im Hinblick auf jede Offenbarung die von Johannes dem Taumlufer oder von Jesus Christus gebracht wird Sicherlich erinnert Irenaumlus in die-ser Hinsicht an Christus der im Johannesevangelium seinen Vater als bdquoden einzigen

528 J J Lashier The Trinitarian Theology of Irenaeus of Lyons Marquette University 2009 Web 04 November

2014 Siehe auch Steven D Cone An Ocean Vast of Blessing A Theology of Grace (Eugene Wipf amp Stock 2014) p 45 (Ein Ozean voll Segnungen Eine Theologie der Gnade)

529 Irenaeus Gegen die Haumlresien 3 6 4 530 Ebenso 3 9 1

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wahren Gottrdquo beschreibt (Johannes 171-3) In Bezug auf Christus fasst Irenaumlus wie Justin das Wort (Logos) als eine sekundaumlre fleischgewordene Einheit auf diese wird aber nicht mit dem einen wahren Gott identifiziert

Wir wissen dass Irenaumlus sich ausfuumlhrlich gegen die Gnostiker ausgesprochen hat Seine groumlssten Gegner waren dabei sicherlich die Schuumller von Valentinus531 Irenaumlus argumentiert gegen diese Schule und schreibt

Sogar der Herr der Sohn Gottes gestand ein dass der Vater allein den Tag und die Stunde des Gerichts kennt indem er deutlich er-klaumlrt bdquoAber diesen Tag und diese Stunde kennt niemand auch der Sohn nicht nur der Vater allein hellip rdquo der Sohn schaumlmte sich nicht das Wis-sen dieses Tages nur dem Vater zuzuschreiben Denn wenn je-mand nach dem Grund fragt warum der Vater der in allen Dingen Gemeinschaft mit dem Sohn hat vom Herrn bezeichnet wurde allein die Stunde und den Tag zu kennen wird er derzeit keinen passenderen oder geeigneteren oder sicheren Grund als diesen fin-den (denn in der Tat ist der Herr der einzige wahre Meister) damit wir durch ihn lernen dass der Vater uumlber allen Dingen steht Denn bdquoder Vater ist groumlszliger als ichrdquo sagt er Wir sollten nicht in die Gefahr gera-ten die Frage zu stellen ob es einen Gott uumlber Gott gibt532

Irenaumlus beweist erneut seinen Glauben dass der Sohn eine andere geringere Ein-heit ist als der Vater von dem er glaubt dass er allein der Allerhoumlchste ist und behaumllt Dinge sich vor die er nicht mit [vermeintlich] gleichberechtigten Partnern teilen will Irenaumlus sieht in Christus keine Inkarnation oder Emanation des bdquoguten Gottesrdquo wie es die Gnostiker predigten Trotz des hohen Status des Sohnes und seiner staumlndigen Gemeinschaft und Verbindung mit dem Gott von allem fehlen ihm dennoch gewisse Dinge die dem Vater allein vorbehalten sind nicht nur hinsichtlich einer wirtschaftlichen hierarchischen Autoritaumlt oder der Vorrangstel-lung sondern auch in Bezug auf die Privilegien und das Eigentum Gottes Seine Ansicht steht in voumllligem Widerspruch zu den modernen Apologeten die be-haupten dass Irenaumlus ein Trinitarier war der uumlberzeugt drei Wesen lehrte die alle im gleichen Maszlige goumlttlich und allmaumlchtig seien

Auch heute noch wird viel aus Justin Irenaumlus und der Verwendung des Wortes bdquoGottrdquo (Theos) durch andere fruumlhe Kirchenvaumlter zur Beschreibung Jesu gemacht aber es kann zweifelsfrei bewiesen werden dass das Wort bdquoGottrdquo klassisch in einem viel breiteren Sinne verwendet wurde Zum Beispiel werden Christen von Irenaumlus neben dem Vater und dem Sohn auch bdquoGottrdquo (Theos) genannt

531 Ebenso 532 Ebenso 2 28 6-8

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Es gibt keinen anderen der in der Heiligen Schrift Gott genannt wird auszliger dem Vater von allem und dem Sohn und denen die die Adoption besitzen533

Selbst wenn Irenaumlus Christen als Soumlhne Gottes (Joh 112) ebenfalls mit bdquoGottrdquo bezeichnet koumlnnen wir doch nicht davon ausgehen dass seine Verwendung des Wortes zur Beschreibung des Christus bedeutet dass er glaubt Jesus sei ein und derselbe Gott mit dem Vater Christus ist auch nicht als bdquovollwertiger Gottrdquo in irgendeinem trinitarischen Sinne zu betrachten Ebenso ist die auffaumlllige Abwe-senheit des Heiligen Geistes der vermeintlichen dritten Person der Dreifaltigkeit die Irenaumlus als angeblicher Trinitarier auch hier ohne weiteres als bdquoGottrdquo haumltte anerkennen muumlssen zu bemerken

Letztendlich finden wir fuumlr zumindest diese beiden oft zitierten Kirchenvaumlter eine klare Anerkennung des Vaters Jesu als des einzigen houmlchsten Gottes und seines Sohnes als Wesen das sicherlich nicht dem Vater gleichgestellt sondern ihm un-tergeordnet ist (denn der Vater ist der einzige Gott bdquouumlber allemrdquo) Jesus ist sogar geringer in den Dingen die Gott betreffen (wie zB das Wissen Gottes) Irenaumlus und Justins Sichtweise von Christus als dem Logos einer hohen und geistlichen Einheit die vor der Schoumlpfung bei Gott existierte beweist nicht nur ihren An-spruch auf die Subordination sondern auch auf den bdquoArianismusrdquo Die bdquoArianerrdquo hielten eine unitarische nicht eine trinitarische Sichtweise der Gottheit Auch dies soll nicht heiszligen dass ihre arianisch-christologischen Ansichten korrekt sind aber wir hoffen im Lichte eines vermeintlichen Trinitarismus das Erbe der uni-tarischen Theologie schluumlssig aufzuzeigen Der Glaube an eine Dreifaltigkeit oder Dreieinigkeit wurde historisch gesehen erst im vierten Jahrhundert als orthodox etabliert

OrigenesAdamantiusOrigenes (184-254 n Chr) war der groumlszligte der alexandrinischen Theologen sowie einer der fleiszligigsten und einflussreichsten christlichen Denker aller Zeiten534 Er war ein meisterhafter Philosoph der Platons und Philons Unsterblichkeit und Prauml-Existenz der Seele lehrte (wieder zeigt sich der goldene Faden der aumlgyptisch-griechischen Seelenlehre) Origenes unterhielt eine Reihe mystischer Theorien

533 Irenaeus Against Heresies 4 Preface 4 (Edited by Alexander Roberts amp James Donaldson American

Edition 1885) 534 Boer bemerkt dass bdquoOrigenes Verstand so produktiv war dass er in der Lage war sechs Sekretaumlrinnen

damit zu beschaumlftigen die Gedanken die er lehrte und diktierte aufzuschreibenrdquo (Harry R Boer A Short History of the Early Church Grand Rapids Eerdmans 1976) p 92) (Eine kurze Geschichte der fruumlhen Kirche)

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uumlber die Inkarnation von Engelswesen535 Er spekulierte sogar dass Johannes der Taumlufer ein verkoumlrperter Engel war der Jesus in einem fruumlheren Leben gekannt habe536 Origenes war mit den unterschiedlichsten Disziplinen vertraut selbst die groszligen Neoplatoniker gaben wenn auch widerwillig seine philosophischen Fauml-higkeiten zu Aber es war Origenes bahnbrechende bdquochristlicherdquo Theologie ins-besondere seine bdquoewige Schoumlpfungrdquo des Sohnes (die wir im naumlchsten Kapitel nauml-her behandeln werden) die im Jahrhundert nach seinem Tod unmittelbar die Weichen fuumlr die Verfestigung der Orthodoxie stellte

Laut Eusebius war Origenes ein Schuumller des beruumlhmten Clemens von Alexandria gewesen537 Eusebius berichtet dass Origenes nach der groszligen roumlmischen Ver-folgung von 202 n Chr im Alter von achtzehn Jahren die Katechetische Schule von Clemens uumlbernommen habe538 Die Schule war sehr einflussreich in Alexand-ria Ihre haumlufigen Auseinandersetzungen mit den Gnostikern die in dieser Stadt lebten gingen an Origenes nicht spurlos voruumlber Er selbst folgte der Tradition von Clemens und lehnte die Gnostiker oumlffentlich ab Aber wir fragen uns ob er nicht auch der Tendenz Clemens folgte indem er gewisse gnostische Modelle vereinnahmte und sie adaptierte

Origenes war sicherlich offen gegen die [gnostischen] Valentinianer in Alexand-ria Allerdings erkannte er in ihrer Theologie etwas das in seinem eigenen proto-orthodoxen Kreis ernsthaft fehlte die Organisation Tatsaumlchlich waren bdquodie aumll-testen christlichen theologischen Lehrsysteme die der christlichen Gnostikerrdquo539 Diese Verfeinerung der Lehre hatte die Zahl ihrer Anhaumlnger massiv wachsen las-sen die Lehrsysteme waren ihre Macht Aber zu Origenessbquo Zeiten gab es keine technisch vergleichbare christliche Organisationsform die nicht-gnostisch philo-sophisch war540 So machte sich Origenes in seinem Werk De principiis [Uumlber die

535 Da Origenes derart auf der platonischen unsterblichen Seele beharrte wird angenommen dass die

proto-orthodoxe Partei die nach ihm folgte den Glauben an eine koumlrperliche Auferstehung vollstaumlndig aufgegeben hat Siehe Outi Lehtipuu Debates Over the Resurrection of the Dead Constructing Early Christian Identity (Oxford OUP 2015) p 130 (Debatten uumlber die Auferstehung der Toten Rekonstruktion der fruumlhen christlichen Identitaumlt)

536 Mark J Edwards ldquoOrigenrdquo Standford Encyclopedia of Philosophy 2014 Web 03 December 2014 Siehe auch Origenes Comm John 2 31 186

537 Eusebius Church History 5 3 3 Wir koumlnnen nicht mit Sicherheit wissen dass der junge Origens an Clemens Kursen teilgenommen hatte Eusebius stellt diese Verbindung offensichtlich her obwohl Clemens erhaltene Werke anscheinend auf fortgeschrittenere Schuumller gerichtet sind Trotzdem ist der Einfluss von Clemens auf die Katechetenschule sicher

538 Roelof van den Broek Studies in Gnosticism and Alexandrian Christianity (Leiden Brill 1996) p 198 (Studien des Gnostizismus und der Alexandrinischen Christenheit

539 Rudolph Gnosis p 369 540 Edward Moore ldquoOrigenrdquo Internet Encyclopedia of Philosophy Web 13 March 2015

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Grundlehren der Glaubenswissenschaft] an die Systematisierung des Christen-tums

Origenes legte seine bdquogoumlttliche Triaderdquo in Anlehnung an die Lehre der Platoniker dar Er verwendete sogar die bdquodrei Hypostasenrdquo die in Plotinus zu finden sind nannte aber die Glieder bdquoVaterrdquo bdquoChristusrdquo und bdquoHeiliger Geistrdquo Aber Origenes ist [damit noch] kein Trinitarier Im Gegensatz zur spaumlteren kappadokischen Or-thodoxie verwendete er offensichtlich das Wort bdquoHypostaserdquo um bdquoSubstanzrdquo bdquoWesenrdquo oder bdquoSeinrdquo anzudeuten So sind fuumlr ihn die drei Mitglieder der Triade nicht alle dasselbe Wesen oder [allesamt] Gott fuumlr ihn sind Vater Sohn und Geist drei verschiedene Substanzen541 Die Moumlglichkeit des orthodoxen Trinitarismus fuumlr Origenes wird durch seine Ausstellung klarer subordinationistischer Ansich-ten in weite Ferne geruumlckt Origenes schreibt ausdruumlcklich bdquoWir glauben dass nichts unerschaffen ist auszliger dem Vaterrdquo542 So strukturiert er die Beziehung zwischen Vater und Christus in Anlehnung an den Platoniker Numenius des zweiten Jahrhunderts Christus ist ein bdquozweiter Gottrdquo der aus dem ersten hervor-ging543 obwohl Origenes immer wieder darauf bestand dass der Sohn in seiner Substanz anders war als der Vater544 Fuumlr Origenes bdquogehtrdquo der Heilige Geist dann vom Sohn aus aumlhnlich der Weltseele bei Plotinus Die Triade ist bei Origenes wie bei Plotinus hierarchisch aufgebaut das erste Prinzip ist groumlszliger als das zweite und das zweite ist groumlszliger als das dritte Origenes weist daher die gleiche subordi-nationistische Hierarchie wie Justin und andere Kirchenvaumlter auf Er schreibt

Der Gott und Vater der alle Dinge zusammenhaumllt erreicht durch seinen Einfluss jedes dieser Dinge die da sind und schenkt jedem das Sein aus dem was sein Eigentum ist Eines dieser Dinge ist der Sohn der geringer ist als der Vater und dessen Einfluss nur ratio-

541 Ayres erklaumlrt seine Verwendung weiter bdquoOrigenes Verwendung des Begriffs Hypostase eroumlffnet eine

Debatte die sich uumlber das gesamte vierte Jahrhundert erstreckte Er benutzte den Begriff um die sbquoreale Existenzrsquo anzudeuten - im Gegensatz zur Existenz nur im Denken - aber auch als sbquoindividuelle um-schriebene Existenzrsquo In seinem sbquoGegen Celsussbquo spricht Origen auch von Vater und Sohn als zwei sbquoDingen in Hypostase aber eines in Gleichgesinnung Harmonie und Willensidentitaumltrsquo Anderswo beim Kommentar zu Johannes 275 schreibt Origenes dass sbquowir uumlberzeugt sind dass es drei Hypostasen gibt den Vater den Sohn und den Heiligen Geistrsquo Dies ist das einzige Mal dass Origen direkt von sbquodrei Hypostasenrsquo spricht Origenes Absicht ist es hier nicht die drei Hypostasen als ontologisch in jeder Hinsicht gleich zu beschreiben Er ist in erster Linie daran interessiert festzustellen dass die drei gleichwertig sind wenn es darum geht sich als Individuen voneinander zu unterscheiden Die Sprache der drei Hypostasen entwickelt sich als Teil eines fortwaumlhrenden Versuchs die Beteiligung und Hierar-chie zu beschreiben die unter den drei besteht die definitiv drei sindrdquo (Lewis Ayres Nicaea and Its Legacy An Approach to Fourth-Century Trinitarian Theology (Oxford OUP 2004) p 25) (Nicaumla und sein Erbe Eine Annaumlherung an die Trinitarische Theologie des vierten Jahrhunderts)

542 Origen Commentary on the Gospel of John 2 6 543 Origen Against Celsus 539 561 544 Ebenso 8 12

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nale Wesen erreicht denn Er ist der zweite vom Vater Noch nied-riger ist der Heilige Geist der nur in die Heiligen eindringt so dass auf diese Weise die Kraft des Vaters groumlszliger ist als die des Sohnes aber die des Sohnes ist mehr als die des Heiligen Geistes545

Es ist auch erwaumlhnenswert dass Wissenschaftler bdquointeressanterdquo und bdquobemerkens-werterdquo Parallelen zwischen dem haumlretischen gnostischen Denken und Origenessbquo Lehre vom Sohn in seinen Werk De principiis festgestellt haben546 Wie die Ge-lehrten uns daran erinnern bdquoduumlrfen wir nicht vergessen wie weit verbreitet die gnostischen Haumlresien in der christlichen Kirche in dieser Zeit waren Origenes und seine alexandrinische Schule bildeten eine Art Vermittlungsposition zwi-schen der Kirche und den gnostischen Parteien Origenes selbst neigte zu einer freien und toleranten Spekulationrdquo547 In dieser Spekulation koumlnnen wir die wahre Natur seines Denkens entdecken Wissenschaftler wie Danielou Butterworth deFaye und Griggs kommen zum Schluss dass Origenes Lehrsystem bdquoin der glei-chen Klasse war wie die gnostischen Spekulationen seiner Zeitrdquo548 Daruumlber hin-aus sprach Origenes so wie sein Vorgaumlnger Clemens der die Tradition der gehei-men Gnosis uumlbernommen hatte bdquovon Geheimnissen die nicht einmal dem Papier anvertraut werden duumlrfen einschlieszliglich der Geheimnisse des ewigen Evangeli-ums der Lehren von Engeln und Daumlmonen und der Geschichte der Seele nach dem Todrdquo Wie Griggs verraumlt bdquosind diese Themen zufaumlllig die Schwerpunkte der kuumlrzlich gefundenen gnostischen Texte die behaupten Geheimlehren oder Ge-heimnisse zu enthaltenrdquo549 War Origenes ein Gnostiker Griggs erinnert uns da-ran dass bdquonicht alle Gnostiker oder gnostischen Systeme jedes Element verwen-den das mit dem Gnostizismus verbunden istrdquo550 Bald werden wir diesen Zu-sammenhang im Detail untersuchen und seine Auswirkungen auf die unzaumlhligen nicaumlnischen Theologen die von Origenes beeinflusst wurden Vorerst koumlnnen wir zum Schluss kommen dass Origenes obwohl ein studierter Platoniker und ein brillanter und innovativer Denker von bdquoorthodoxrdquo weit entfernt war Trotz aller Fortschritte in Richtung trinitarisches Denken wuumlrde die katholische Kirche Origenes letztendlich wegen seiner offensichtlich subordinatorischen Ansichten und anderer nicht tolerierbarer Dinge die Heiligsprechung verweigern551 Be-stimmte Elemente in seinen Schriften gelten als Vorwegnahme dessen was spaumlter

545 Origen On First Principles I 8 (Die Grundlehren der Glaubenswissenschaft) 546 Broek p 129 547 Paine Ethnic Trinities p 88 548 Griggs p 66 549 Ebenso 550 Ebenso p 59 551 Origenes kastrierte sich selbst auf infame Weise unter der Vorgabe Frauen ohne Verlangen lehren zu

koumlnnen Dies hinterlieszlig bei vielen Katholiken einen sauren Beigeschmack Daruumlber hinaus trugen seine

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zu einer orthodoxen Politik werden sollte doch eine Enzyklopaumldie schlieszligt diese Uumlberlegung mit den Worten ab

Wie auch immer man diese Obskuritaumlten begruumlndet es scheint un-wahrscheinlich dass Origenes das Nicaumlnische Glaubens-bekennt-nis von 325 (n Chr) haumltte unterzeichnen koumlnnen in welchem der Sohn aus der Ousia des Vaters und damit homoousios (von einer Es-senz Substanz oder Natur) mit ihm [dem Vater] erklaumlrt wird (c Comm John 2018157)552

Im naumlchsten Kapitel werden wir jedoch feststellen wie Origenessbquo anhaltender Einfluss auf die alexandrinische Schule der Theologie dennoch als Anstosszlig fuumlr die charakteristischsten Formulierungen der entstehenden proto-orthodoxen Partei diente Insbesondere werden wir das Erbe von Originessbquo Lehre von der bdquoewigen Zeugungrdquo der bdquoewigen Zeugungldquo des Sohnes in Nicaumla untersuchen

TertullianvonKarthagoDie Ideen des lateinischen Theologen Tertullian (160-225 n Chr) und Origenes legten tatsaumlchlich den Grundstein fuumlr den spaumlteren christlichen Trinitarismus der von Athanasius und den beruumlhmten kappadokischen Vaumltern gefoumlrdert werden sollte Interessanterweise obwohl wir sehen werden dass diese spaumlteren Trinita-rier angeblich valentinianische Vorstellungen in ihren Formeln verwenden bdquowurde das valentinianische [gnostische] Christentum von proto-orthodoxen Au-toren wie Irenaumlus und Tertullian als einer der Hauptfeinde angesehenrdquo553

Wie Origenes wurde spaumlter auch Tertullian selbst vom Konzilsystem das ver-suchte einige seiner erfolgreichsten Beitraumlge zu erlaumlutern als ketzerisch verurteilt Dennoch ist der Einfluss seiner Spekulationen auf die Entwicklung der tri-per-soumlnlichen Gottheit der Orthodoxie erheblich Dies will nicht heiszligen dass Tertul-lians Verwendung des lateinischen Wortes trinitas (eine Uumlbersetzung der griechi-schen trias) ein Beweis fuumlr eine voll entwickelte orthodoxe trinitarische Lehre vor dem dritten Jahrhundert waumlre Wie eine trinitarisch orientierte Enzyklopaumldie empfiehlt bdquoAus seinem Gebrauch duumlrfen keine voreiligen Schluumlsse gezogen wer-den denn [Tertullian] wendet die Worte nicht auf die trinitarische Theologie anrdquo554

Lehren uumlber die Prauml-Existenz der menschlichen Seelen und sein Vorschlag des Universalismus dh die Allversoumlhnung aller Wesen mit Gott einschlieszliglich des Teufels zu seinem Ausschluss vom Kanon bei

552 Edwards ldquoOrigenrdquo Stanford Encyclopedia of Philosophy 553 Ehrman Lost Christianities p 127 554 Michael OrsquoCarroll Trinitas A Theological Encyclopedia of the Holy Trinity (Collegeville Liturgical

Press 1987) p 208 (Trinitaumlt in Theologische Enzyclopaumldie der Hl Trinitaumlt)

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Tertullian unterscheidet sich von den anderen christlichen Theoretikern dadurch dass er eine Abneigung gegen die Engel-Christologie [Engel = Bote] zu zeigen scheint Obwohl Tertullian bekraumlftigte dass Christus als bdquoEngel des Groszligen Ra-tesrdquo bezeichnet werden koumlnnte indem er das Amt des Botschafters innehatte verneinte er dass Christus ein Engel wie Michael oder Gabriel sei

(De Carne Christi 14 ndash Das Fleisch Christi)555 Stattdessen sagte Tertullian dass der Sohn aus einem Teil des gleichen goumlttlichen Materials wie der Vater gemacht sei Tertullian nahm damit die Philosophie der Stoiker auf und glaubte dass alle rea-len Dinge materiell seien sogar Gott Der Sohn wurde aus der ewigen und goumltt-lichen Materie Gottes gemacht Das bedeutete nicht dass der Sohn und der Vater zahlenmaumlszligig identisch oder dass sie gleichwertig waren Tertullian schreibt

der Vater ist die vollumfaumlngliche [goumlttliche] Substanz aber der Sohn ist eine Ableitung und ein Teil des Ganzen wie er selbst zu-gibt bdquoMein Vater ist groumlszliger als ichrdquo Wer zeugt ist einer und wer gezeugt wird ist ein anderer Auch derjenige der sendet ist einer und derjenige der gesendet wird ist ein anderer556

Wie Wissenschaftler festgestellt haben bdquoist es fast sicher dass Tertullian nicht glaubte der Sohn oder der Heilige Geist besaumlszligen die Goumlttlichkeit in ihrer Fuumllle Der Vater ist nicht nur die ganze goumlttliche Substanz er ist die Fuumllle der Gottheit waumlhrend der Sohn nur ein Teil istrdquo557 Tatsaumlchlich glaubte Tertullian bdquonicht dass der Sohn ganz Gott ist [er] besitzt eine Art relativer [verwandter] Goumlttlichkeit wodurch er von der absoluten und uneingeschraumlnkten sbquoousiarsquo (Substanz) des Va-ters abhaumlngig wirdrdquo558

Mit anderen Worten Tertullian glaubte dass Gott ein Stuumlck seiner ewigen Mate-rie genommen und spaumlter den Sohn geformt hat Dies steht im krassen Gegensatz zum trinitarischen Grundsatz der Ewigkeit der Person des Sohnes Diese Zeu-gung (Erzeugung) des Sohnes fuumlr Tertullian geschah ausdruumlcklich bdquoin der Zeitrdquo Tertullian schreibt

Dann sobald Gott gewillt war sich in seiner eigenen Sache und Form zu entfalten hat er zuerst das Wort selbst hervorgebracht damit alles durch das Wort gemacht werden kann mit dem alles

555 Peter R Carrell Jesus and the Angels Angelology and the Christology of the Apocalypse of John

(Cambridge CUP 1997) p 101 (Jesus und die Engel Angelologie und Christologie der Offenbarung durch Johannes)

556 Tertullian Against Praxeas 9 557 Edgar G Foster Angelomorphic Christology and the Exegesis of Psalm 85 in Tertullianrsquos Adversus

Praxean (Lanham University Press of America 2005) p 72 (Engelhafte Christologie und Exegese des Psalms 85 in Tertullian Gegen Praxeas)

558 Ebenso p 73

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geplant und arrangiert oder besser gesagt bereits gemacht worden war was Gottes Gedanken betrifft559

Der persoumlnliche Logos wurde erst zu dem Zeitpunkt wirklich geschaffen als der Vater seinen Plan zur Entstehung des Kosmos verwirklichen wollte bdquoDas ist die vollstaumlndige Geburt des Wortes denn es geht von Gott aus Nachdem er zuerst von ihm erschaffen wurde was die Gedanken betrifftrdquo560 Vor dieser Zeit konnte der Logos nicht bdquoSohnrdquo genannt werden da die Vater-Sohn-Beziehung nicht existierte Alles was existiert hatte war Gottes Beziehung zu dem Aspekt seiner eigenen Substanz den er als Logos vorhergesagt hatte Wie wir bei vielen anderen prominenten Theologen sehen zB spaumlter bei Arius hat Tertullian ausdruumlcklich erklaumlrt bdquoEs gab eine Zeit in der es keinen Sohn und keine Suumlnde gab in der Gott weder Vater noch Richter warrdquo561 Weil der Sohn fuumlr seine Existenz und seine Substanz vom Vater abhaumlngt ist er ihm also untergeordnet

Am Ende passt Tertullian trotz der trinitarisch klingenden Sprache eindeutig nicht in das Bild eines Trinitariers Im Wesentlichen ordnet er den Sohn unter [die Essenz Gottes] und sagt nichts uumlber die bdquoewige Zeugung des Sohnesrdquo Wie die Neue Katholische Enzyklopaumldie sagt

In nicht wenigen Bereichen der Theologie sind die Ansichten Ter-tullians natuumlrlich voumlllig inakzeptabel So offenbart beispielsweise seine Lehre uumlber die Dreifaltigkeit eine Unterordnung des Sohnes unter den Vater welche die Kirche in der spaumlteren krassen Form des Arianismus als ketzerisch abgelehnt hat562

559 Tertullian Against Praxeas 6 6 560 Ebenso 6 7 561 Tertullian Against Hermogenes 3 18 Die spaumlteren Arianer wiederholten einen Satz der Be-

ruumlhmtheit erlangte bdquoEs gab eine Zeit da war der Sohn nicht dardquo Siehe Sokrates ldquoDer Streit des Arius mit Alexander seinem Bischofrdquo Kirchengeschichte Dieses Gefuumlhl wurde vom bdquokrypto-gnostischenrdquo Origenes (On First Principles 4 4 4 1) und von seinen alexandrini-schen Nachfolgern in Nicaumla im Jahre 325 n Chr abgelehnt Wie Webb bemerkt bdquoTertullian ist eine Art Anti-Origenesrdquo (Stephen H Webb Jesus Christus Ewiger Gott (Oxford OUP 2012) S 38)

562 W Le Saint ldquoTertullianrdquo The New Catholic Encyclopedia Vol 13 (Farmington Hills Thompson Gale 2003) p 837 Waumlhrend die modernen Trinitarier den Bemuumlhungen Tertullians die Kluft zwischen dem Christentum und dem Neoplatonismus der seine Zeit dominierte zu uumlberbruumlcken einen gewissen Dank schuldig sind entwickelte er nach der Bekehrung zum Montanismus seine proto-trinitarische Formel fuumlr die ihm neben seinen anderen offensichtlich bdquoketzerischenrdquo theologischen Argumenten die Kanon-isierung durch die katholische Kirche verweigert wurde Obwohl er fuumlr seine fruumlhen triadischen Formu-lierungen verehrt wird zeigt er sich nicht trinitarisch sondern etwas das den halb-arianischen Ansichten naumlher kommt

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Tatsaumlchlich waren noch viel mehr turbulente Jahrzehnte erforderlich um endlich zu dem zu gelangen was heute als Trinitarismus gilt

IgnatiusunddasallgemeineProblemderpatristischenFaumllschungWir sollten uns die Zeit nehmen um einen weiteren wichtigen Aspekt dieser An-gelegenheit genauer zu untersuchen das Problem der Faumllschung Manuskripte haben gezeigt dass einige Schriften von vor-nicaumlnischen Christen durch spaumltere Sektierer beschaumldigt wurden in der Hoffnung ihre Ansichten historisch zu un-termauern Wir werden eine fruumlhe Person betrachten die diese bedauerliche Ak-tivitaumlt erlitten hat

Ignatius von Antiochia (gest 107 n Chr) war ein fruumlher Christ der angeblich ein Juumlnger des Apostels Johannes war und der im Kolosseum von Rom oumlffentlich hingerichtet wurde Waumlhrend seiner schicksalshaften Reise zu seinem Martyrium schrieb er ermutigende Briefe an die Kirchen In bestimmten Versionen der Briefe von Ignatius findet man Hinweise auf die Gottheit Christi seine Verkoumlr-perung Gottes im Fleisch [Inkarnation] und so weiter Dies hat einige moderne Apologeten veranlasst ihn als Beweis dafuumlr zu fuumlhren dass das trinitarische Dogma auf die Zeit unmittelbar nach dem Tod der Apostel zuruumlckgeht563 Aller-dings haben Experten einheitlich festgestellt dass mit den Briefen von Ignatius nicht alles in Ordnung sein kann

Das fruumlhe Datum der Schriften von Ignatius machte ihn offensichtlich zu einem der vielversprechendsten Kandidaten fuumlr die Aneignung [dieser These] Durch den Vergleich verschiedener Manuskripte haben Wissenschaftler jedoch festge-stellt dass viele einheitlich klingende Saumltze gegen mehr trinitarisch klingende Phrasen ausgetauscht worden sein koumlnnten Ein Historiker und Ignatius-Experte berichtet dass seine Originalbriefe bdquozweifellos vom Faumllscher als [nicht-trinita-risch] angesehen wurden der sie ordnungsgemaumlszlig geaumlndert und ihnen eine or-dentliche trinitarische Form verpasst hatrdquo564 Zum Beispiel lesen wir in einem Brief bdquodurch das Blut Christirdquo565 waumlhrend eine andere Version bdquodurch das Blut Gottesrdquo lautet (Man beachte die Fuszlignote) Anderswo waumlhrend man bdquo hellip nach

563 Siehe Mark Hanson ldquoTracing the Thread of Trinitarian Thought From Ignatius to Origenrdquo Maranatha

Baptist Seminary 30 Dezember 2011 Web 15 Dezember 2014 Siehe Edmund J Fortman The Triune God A Historical Study of the Doctrine of the Trinity (Eugene Wipf amp Stock 1999) pp 38-40 (Spurensuche nach dem Trinitarischen Gedanken beginnend mit Ignatius bis Origenes) (Eugene Wipf amp Stock 1999) pp 38-40 (Der dreieinige Gott Eine geschichtliche Studie der Trinitaumltsdoktrin)

564 Allen Brent Ignatius of Antioch (New York T amp T Clark International 2009) p 87 135 565 Ignatius Epistle to the Ephesians 1 (Short Recension vs Long Recension) Der Ausdruck bdquoBlut Christirdquo

ist sicherlich biblische Sprache die in 1 Kor 1016 Eph 213 Hebr 914 und 1 Petrus 119 erscheint waumlhrend der Begriff bdquoBlut Gottesrdquo in der Bibel voumlllig fehlt Wir sind gezwungen zu sagen dass diese Sprache eine spaumltere Tradition widerspiegelt

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dem Willen Gottes des Vaters und unseres Herrn Jesus Christus unseres Erlouml-sersrdquo liest sagt ein anderer bdquoDer Vater und Jesus Christus unser Gottrdquo566 Na-tuumlrlich beweisen auch diese mutmaszliglichen Korruptionen des Textes der Christus als bdquoGottrdquo bezeichnet nicht unbedingt den Trinitarismus Niemand bestreitet dass Jesus in den ersten Jahrhunderten des Christentums nicht bdquoGottrdquo genannt wurde Nichtsdestoweniger war das Wort bdquoGottrdquo wie wir gesehen haben im All-gemeinen ein Begriff der ebenso in einem sekundaumlren oder abgeleiteten Sinn verwendet werden konnte nicht unbedingt immer im Sinne von bdquoder eine der Houmlchste Gottrdquo

Unabhaumlngig davon warnt die Katholische Enzyklopaumldie dass von allen Briefen die Ignatius zugeschrieben werden es bdquosieben echte und sechs falsche Brieferdquo geben soll Doch bdquoselbst die echten Briefe wurden stark interpoliert [dh spaumltere in einem Text von fremder Hand vorgenommene Einfuumlgungen oder Aumlnderun-gen die nicht als solche kenntlich gemacht ist Anm d Uuml] um den persoumlnlichen Ansichten ihres [Revisors] Gewicht zu verleihen Aus diesem Grund sind sie nicht in der Lage Zeugnis von der urspruumlnglichen Form abzulegenrdquo567 Das be-staumltigt auch der protestantische Historiker Phillip Schaff bdquoAuch die sieben echten sind der Faumllscherhand nicht ganz entkommenrdquo568 Wir koumlnnen nicht umhin den Historikern und der folgenden Meinung zuzustimmen

Wir naumlhern uns mit einer gewissen Vorsicht den Episteln die Ig-natius zugeschrieben werden Ihre Autorenschaft betrachten wir als zu unsicher und derart hoffnungslos korrupt um ihre Verwendung im Zusammenhang mit unserer vorliegenden Untersuchung zu rechtfertigen Was die Ausrichtung der Briefe anbetrifft zur Frage des Glaubens der Ur-Christen an die Dreifaltigkeit hellip wer-den wir nicht versuchen die Frage nach der Echtheit der Briefe von Ignatius zu erlaumlutern Was allgemein als positives bdquoZeugnis der Antikerdquo bezeichnet wird ist zu duumlrftig zu locker und nicht fruumlh genug zudem ist es eines der aufgefuumlhrten Stuumlcke auf die man sich

566 Ebenso 567 John Bonaventure OrsquoConnor ldquoSt Ignatius of Antiochrdquo The Catholic Encyclopedia Vol 7 (New York

Robert Appleton Company 1910) p 645 568 Phillip Schaff History of the Christian Church Vol 2 (New York Charles Scribnerrsquos Sons 1910) p 663

Da in den ignatianischen Briefen die Organisation der Kirche eroumlrtert wird haben Katholiken und Anglikaner darauf hingewiesen um die Einrichtung des Bischofsamtes zu rechtfertigen Der anglikanische Bischof James Ussher (beruumlhmt fuumlr seine einflussreiche Arbeit in der biblischen Chronol-ogie) argumentierte dies sei ein Beweis dafuumlr dass die Autoritaumlt der Bischoumlfe bis ins erste Jahrhundert zuruumlckverfolgt werden koumlnne John Milton der beruumlhmte Autor von Das verlorene Paradies selbst ein Unitarier argumentierte dass die Briefe Faumllschungen seien die genau zur Durchsetzung der Autoritaumlt des Establishments entwickelt worden seien Nach langen Diskussionen bestaumltigte Ussher selbst dass es sich bei sechs der Briefe tatsaumlchlich um Faumllschungen handelte und dass selbst die legitimen Briefe in unbestimmtem Grad korrumpiert waren Siehe Ehrman Lost Christianities pp 137-141

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gerne bezieht aber es ist in seiner Art zu verdaumlchtig um etwas zu beweisenhellip 569

Das Streben nach doktrinaumlrer Bestaumltigung und Beweismitteln kirchlicher Glaub-wuumlrdigkeit scheint Extremisten in der Antike zu unverantwortlichen und skru-pellosen Taten gefuumlhrt zu haben570 Das sind Symptome eines groumlszligeren histori-schen Unwohlseins welches das christliche Dogma uumlber Gott belastet Das muumls-sen wir erkennen Wir fragen uns aber wie viele der erhaltenen Werke der Kir-chenvaumlter von der luumlgnerischen Feder des Revisors voumlllig unberuumlhrt geblieben sind Hier muumlssen wir uns auf die Wissenschaft abstuumltzen Wie in Kapitel 1 be-reits festgestellt koumlnnen wir die unzaumlhligen historischen und theologischen Au-toritaumlten nicht einfach uumlbergehen die anerkennen dass das trinitarische System erst im vierten Jahrhundert und die damit verbundenen christologischen Beson-derheiten erst im spaumlten fuumlnften Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung ent-standen sind Sicherlich dienten die Uumlberlegungen einiger dieser Christen des zweiten und dritten Jahrhunderts dazu die endguumlltigen trinitarischen Uumlberlegun-gen einzuleiten Sie wurden unterstuumltzt durch die Bemuumlhungen der Gnostiker und Neoplatoniker Aber die Tatsache dass diese beruumlhmten Theologen [noch] keine uumlberzeugten Trinitarier waren kann nicht verleugnet werden Auch nicht dass sie Trinitarier waren die einfach Schwierigkeiten hatten auszudruumlcken was sie glaubten Vielmehr waren sie das was wir als Subordinationisten bezeichnen koumln-nen Die Oxford Encyclopedia of the Early Church rundet unseren Uumlberblick uumlber den Glauben dieser Persoumlnlichkeiten mit der richtigen Bemerkung ab

SubordinationismusUnterordnung So rufen wir die in der Theo-logie des 2 und 3 Jahrhunderts ausgepraumlgte Tendenz in Erinne-rung Christus als Sohn Gottes zu betrachten der dem Vater unter-geordnet ist Hinter dieser Tendenz standen Evangeliumsaussagen in denen Christus selbst seinen niedrigeren Status betonte (Joh 1428 Mk 1018 1332 usw) was speziell von der Logos-Christo-logie weiterentwickelt wurden Diese Theologie teilweise unter dem Einfluss des mittleren Platonismus [dh Philon] betrachtete Christus Logos und die goumlttliche Weisheit als Zweck der Verbin-dung und als Bindeglied zwischen der Stellung des Vaters und des Christus Als die Konzeption der Dreifaltigkeit um den Heiligen Geist erweitert wurde insbesondere bei Origenes galt der Geist wie-derum als untergeordnet gegenuumlber dem Sohn Subordinationisti-

569 Lamson Abbot p 13 570 Fuumlr weitere Details siehe Bart D Ehrmans The Orthodox Corruption of Scripture The Effect of Early

Christological Controversies on the Text of the New Testament (Oxford OUP 1993)

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sche Tendenzen sind vor allem bei Theologen wie Justin Tertul-lian Origenes und Novatian auszumachen aber selbst Irenaumlus dem trinitarische Spekulationen eigentlich fremd waren kommen-tierte Johannes 1428 und hatte keine Schwierigkeiten Christus als dem Vater untergeordnet anzusehen571

Wie Hanson verraumlt war es diese Theologie der Apologeten des zweiten und drit-ten Jahrhunderts wie Irenaumlus Tertullian und Hippolytus die am Ende des vierten Jahrhunderts schlieszliglich bdquoabgelehntrdquo wurde Die bdquoEvolutionrdquo der Orthodoxie hat einen klaren und tiefgreifenden bdquoBruch mit der Vergangenheitrdquo vollzogen572

AmEndedesdrittenJahrhundertsDie aktivste Arbeit der kirchlichen Akademiker kurz vor dem Uumlbergang ins vierte Jahrhundert bestand darin sich der Probleme anzunehmen die sich aus der Her-ausbildung von mehreren goumlttlichen Einheiten und der Beziehungen zwischen ihnen ergeben hatten diese mehrfachen goumlttlichen Wesen fuumlhrten naumlmlich zu einem Konflikt mit dem Geist des biblischen Monotheismus (des Ein-Gott-Glaubens) Wie Gibbon feststellt

Die Spannungen und die Schwankungen die im Denken der Chris-ten durch diese widerspruumlchlichen Tendenzen hervorgerufen wer-den [Pluralitaumlt versus Einheit bzw Mehrzahl gegen Einzahl] las-sen sich in den Schriften der Theologen beobachten die nach dem Ende der apostolischen Aumlra und vor dem Beginn der arianischen Kontroverse entstanden sind Sie haben ihre Vorstellungen in lo-ser ungenauer und manchmal widerspruumlchlicher Sprache abgege-ben573

So wie der hebraumlische Gott vor dem Hintergrund hellenistischer Prinzipien ge-waltsam gedehnt wurde so wurde auch das Denken in den Koumlpfen der selbst der rigorosesten Gebildeten uumlbermaumlszligig ausgeweitet Die Umwandlung des heiligen religioumlsen Denkens von einer Kultur in eine andere erwies sich als keine leichte Aufgabe Es war die Befuumlrchtung die durch eine moumlgliche Unvereinbarkeit mit dem Gott Israels hervorgerufen wurde welche die Christen des dritten Jahrhun-derts in ihrem energischen Streben nach einer Loumlsung vorwaumlrts trieb Wuumlrde es

571 M Simmonetti ldquoSubordinationismrdquo Oxford Encyclopedia of the Early Church Vol 2 (OUP 1992) p 797 572 Hanson p 872 573 Ebenso p 778

Kampf und Entwicklung

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den Theologen des vierten Jahrhunderts gelingen diese beaumlngstigenden Prob-leme zu loumlsen Welche Art von Glauben wuumlrden sie fuumlr die nachfolgenden christ-lichen Generationen festlegen

Unzaumlhlige Konfessionen bekennen sich nach wie vor zu den Glaubensgrundsaumlt-zen der katholischen Kirchenkonzilien des vierten und fuumlnften Jahrhunderts Aber sind sich die modernen Christen die Woche fuumlr Woche das Credo wieder-holen des Einflusses der einstigen Mysterienschulen und ihrer [gnostisch]-ortho-doxen Kollaborateure bewusst die diese auf die heutigen christlichen Weltan-schauungen ausuumlbten

Es waren vorwiegend Heiden die sich in den Ratssaumllen und Konzilien des Roumlmi-schen Kaiserreiches trafen sie beabsichtigten Religion und Reich miteinander zu vereinen Bei dieser Aktivitaumlt entstand bildlich gesprochen ein Aroma welches offenbar den Glaumlubigen so sehr passte dass selbst praktizierende Christen den Geschmack des juumldischen Glaubens Jesu und seiner Apostel kaum mehr erkann-ten selbst wenn er ihnen noch so deutlich vorgefuumlhrt worden waumlre Dies war damals und ist es auch heute noch der Fall Die Theologie Jesu wieder erstehen zu lassen wird sich indes als schwierig erweisen wenn nicht die eingetruumlbte At-mosphaumlre der etablierten Religionsgeschichte auseinander getrieben wird Dafuumlr muumlssen notgedrungen nicht nur die theologischen Traditionen sondern auch das seinerzeitige gesellschaftspolitische kulturelle Umfeld welches die Entwicklung des Dogmas umgab konfrontiert werden

5

NicaumlaunddieDaumlmmerungeinesneuenGlaubens

bdquoAlle Dinge unterliegen der Interpretation welche Interpretation auch immer zu einem bestimmten Zeitpunkt vorherrscht ist eine Funktion der Macht und nicht der Wahr-heitrdquo

mdash Friedrich Nietzsche

EDEN SONNTAG REZITIEREN CHRISTEN das Nicaumlnische das Atha-nasianische oder andere Glaubensbekenntnisse die sie lieb gewonnen haben Wir koumlnnen davon ausgehen dass die alten Synoden und Konzile die diese

Texte hervorgebracht haben auch heute noch ein hohes Ansehen genieszligen In der Tat wenn Lehren wie die Trinitaumlt heute in Frage gestellt werden houmlren wir oft einen Hinweis auf den Vorrang der Bestimmungen der Konzile Aber wie viele der treuen Glaumlubigen welche die Bekenntnisse rezitieren sind in der Lage auch nur einen einzigen Namen der Mitwirkenden an diesen Prozessen zu nen-nen Zweifellos sind sie alle mit dem heiligen Jakobus dem heiligen Johannes und dem heiligen Paulus vertraut Aber die Apologeten berufen sich nicht unbe-dingt auf die Autoritaumlt der Apostel wenn es darum geht orthodoxe Lehren zu definieren und zu verteidigen Wie der Reformator Johannes Calvin in seinem Glaubensbekenntnis [in franzoumlsischer Sprache] im Jahre 1559 feststellt bdquoWir be-kennen was von den alten Konzilen festgelegt wurde und wir verabscheuen alle Sekten und Ketzereien die von den heiligen Doktoren abgelehnt wurden solche

J

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wie St Hilarius St Athanasius St Ambrosius und St Kyrillrdquo574 Damit rechtfer-tigte Calvin die boumlswillige Ermordung von Michael Servetus der die Dreifaltig-keitslehre geleugnet hatte es war auch die Grundlage fuumlr alle aumlhnlichen Verfol-gungen Ketzerei ist das am meisten gefuumlrchtete Wort das von den kaiserlichen Synoden vergangener Zeiten ausging Bis heute noch werden damit hingebungs-volle Menschen verurteilt sowie viele biblisch begruumlndete theologische Uumlberle-gungen vom Markt der christlichen Ideen ausgeschlossen Das Feuer unter den Fuumlszligen der Maumlrtyrer hingerichtet seit der Aumlra der Roumlmer und bis hin zur Zeit der Reformatoren in physischer sozialer und spiritueller Hinsicht brennt weiter

Aber wie wurden die Richtlinien umgesetzt die solche Verfolgungen uumlberhaupt zulieszligen Wer war fuumlr sie geistig verantwortlich Wir koumlnnen nicht anfangen die orthodoxen Glaubensbekenntnisse und ihre Anathemas zu verstehen ge-schweige denn ein Werturteil uumlber ihren Inhalt abzugeben es sei denn wir kom-men zuerst mit der historischen Realitaumlt zurecht die sie hervorgebracht hat Haumlt-ten Martin Luther und die anderen Reformatoren ihren historischen Bruch mit dem akzeptierten Pietismus bei der Anerkennung des politischen und unbibli-schen Einflusses im orthodoxen System vollzogen was sollte dann die Reaktion moderner Christen sein wenn sie ruumlckblickend die gleichen Einfluumlsse entdecken die in den alten Konzilen gediehen welche ihre heiligsten Uumlberzeugungen defi-nierten Waumlre dies nicht Grund genug fuumlr eine erneute Pruumlfung Es gibt keinen besseren Beginn fuumlr unsere Untersuchung der orthodoxen Glaubensbekennt-nisse als die Periode unmittelbar vor dem beruumlhmt-beruumlchtigten Konzil von Nicaumla

DasChristentumdesfruumlhenviertenJahrhundertsWie wir gesehen haben war die Welt der christlichen Theologie vor dem Konzil von 325 zutiefst gespalten Interessanterweise haben sich nach Nicaumla die Spaltun-gen verzehnfacht Moderne Verteidiger der Autoritaumlt der Konzile malen Nicaumla oft als den entscheidenden Moment in der christlichen Geschichte als die Ketzer fuumlr immer durch einen uumlberwaumlltigenden Konsens der authentischen Juumlnger zur Ruhe gebracht wurden Die bdquoKetzereirdquo dass Jesus nicht Gott sei haumltte fuumlr immer beigelegt werden koumlnnen Die Dreifaltigkeitslehre haumltte gesiegt Doch weit davon entfernt zu Beginn des vierten Jahrhunderts die akzeptierte Theologie der Kirche zu sein finden wir dass der bluumlhende Proto-Trinitarismus nur eine von vielen konkurrierenden Ideologien dieser Zeit war Offensichtlich herrschte bei den meisten Christen im Roumlmischen Reich immer noch die Ansicht vor dass Gott ein einziges monolithisches Individuum sei Es galt die Auffassung Gott bestehe

574 John Calvin Henry Beveridge (trans) Calvinrsquos Tracts (Translation Society Edinburgh Calvin

Translation Society 1849)

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nicht aus drei gleichwertigen und ewigen Personen Christus ist in einem be-stimmten Sinne zu unterscheiden und dem einen wahren Gott untergeordnet575

Allerdings stellen wir fest dass das christliche Reich zu Beginn des vierten Jahr-hunderts bereits tief in den Geburtswehen einer neuen evolutionaumlren Phase lag eine langsame aber lebhafte philosophische Revolution die in den Hallen der alexandrinischen Mysterienschulen eingeleitet wurde Diese Institutionen mit ho-hem gesellschaftlichem Ruf machten den Konflikt zwangslaumlufig der Oumlffentlich-keit zugaumlnglich Die Natur der Gottheit wurde nun in den Kultstaumltten und auf den Marktplaumltzen lebhaft debattiert Um 325 n Chr hatten fast drei Jahrhunderte philosophischen Nachdenkens effektiv eine Vielzahl von konkurrierenden Chris-tologien bis in die entlegensten Gegenden der Christenheit gesaumlt um die sich schnell groszlige Fraktionen bildeten die von prominenten Bischoumlfen gefoumlrdert wur-den576 Die Einheitlichkeit des Glaubens die bereits in den vorangegangenen Jahrhunderten durch die groszligen Kontroversen mit den gnostischen Sekten ver-wuumlstet worden war lag erneut in Truumlmmern

Zu Beginn des vierten Jahrhunderts bildeten sich zwei ausgedehnte theologische Lager (obwohl sie bei weitem nicht die einzigen Gruppierungen waren) im Rouml-mischen Imperium Diese Parteien die scheinbar endlose Ableger und Spaltun-gen in sich trugen zerrissen die roumlmische Welt effektiv in zwei Teile die unitari-schen Arianer und die trinitarischen Anti-Arianer (von dieser Stelle an nennen wir die gegnerischen Gruppen auch proto-orthodox oder Athanasianer Diese Termini sind austauschbar) Der epische Konflikt zwischen ihnen hatte in Alexandria sei-nen Anfang Was als lokaler theologischer Streit zwischen bischoumlflichen Rivalen in dieser groszligen und wichtigen Stadt begann eskalierte innert kurzer Zeit zu ei-nem reichsweiten Konflikt der die Welt fuumlr immer veraumlndern sollte

575 Encyclopedia Britannica Inc ldquoTrinityrdquo Encyclopedia Britannica Vol 27 p 2941 576 Viele zum christlichen Glauben Bekehrte hatten offensichtlich in den Argumenten der alexandrinischen

Philosophen nicht viel gefunden das praktische Hilfe fuumlr die Haumlrte des Lebens im spaumlten Roumlmischen Reich bot In dieser Hinsicht war ein menschlicher Christus der unabhaumlngig von seiner fruumlheren Ex-istenz klar begrenzt war und dennoch erfolgreich aufstieg fuumlr den allgemeinen Christen vielleicht at-traktiver Doch viele kultivierte Roumlmer (die Philosophen die Aristokratie und die Reichen) schienen den aufkommenden Gott-Christus uumlberzeugender zu finden ein allmaumlchtiges Wesen das von oben her-niederstieg um sich mit dem niederen Poumlbel zu verbinden Der Konflikt verschaumlrfte sich zwischen die-sen allgemeinen konkurrierenden Versionen des Jesus einer der selber der geheimnisvolle und allmaumlchtige Jahwe war und einer der keinen Zugang zu uumlbernatuumlrlicher Macht hatte auszliger dem was Gott gewaumlhren konnte einer der wirklich verzweifelte Zustaumlnde besiegen und sich einen Namen ma-chen konnte

Nicaumla und die Daumlmmerung eines neuen Glaubens

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Alexandrinischeproto-orthodoxeChristenheitIn praktisch jedem Stadium unserer evolutionaumlren Reise in Richtung orthodoxes Dogma begegnen wir dem Synkretismus [= Vermischung verschiedener Religio-nen philosophischer Lehren] der Alexandriner Wir erinnern uns wie schwierig es war rivalisierende Philosophien in dieser Stadt einigermaszligen auseinander zu halten577 Es verwundert also nicht dass eine der beliebtesten Stroumlmungen des Christentums eben aus diesem akademischen Schmelztiegel hervorging und die theologische Form die letztlich das uumlbrige Christentum dominieren sollte nach-weisbare Einfluumlsse von Gnostizismus und Neoplatonismus aufwies

In den Jahren vor Nicaumla scheint es im Allgemeinen zwei Arten von Christen ge-geben zu haben die in Alexandria aufbluumlhten die Gnostiker die wir die bdquoextre-men Progressivenldquosbquo nennen koumlnnten und die proto-orthodoxen Christen selbst voll von gnostischen Anpassungen die ihre Version des Glaubens als bdquowahre Philosophieldquo betrachteten Sie druumlckten die christliche Religion in der Sprache der Platoniker aus578 Dieser Gruppe entsprang eine lebendige Bewegung die da-rauf bedacht war Alexandria in eine engherzig fromme biblisch fundierte kirch-liche Ausrichtung zu fuumlhren Diese Christen verlangten energisch dass die geg-nerischen Sekten ihre eigenen Ansichten als bdquoorthodoxrdquo akzeptierten Trotz aller Neigung zum Konservatismus blieb fuumlr sie jedoch bdquodie philosophische (platoni-sche) Interpretation des Christentums im Vordergrundrdquo579 Der rasante Aufstieg dieser Bewegung koumlnnte auch teilweise durch die Art und Weise erreicht worden sein wie sie ihren Konkurrenten begegneten Ein Gelehrter schreibt dass diese Partei bdquoihre Opposition mundtot machte indem sie behauptete dass ihre An-sichten schon immer die Mehrheitsposition gewesen sei Sie schimpfte ihre Riva-len notorische sbquoKetzerrsquo die sich bewusst entschieden haben den sbquowahren Glau-benrsquo abzulehnenrdquo580

Was lehrten diese proto-orthodoxen Christen in Alexandria Ihr Glaube scheint das Ergebnis einer massiven Verschmelzung von plotinischen und gnostischen Ansichten gewesen zu sein oder noch direkter gesagt sie betrachteten den meis-terhaften Origenes als ihre Grundlage

Der groszlige Origenes war um 254 n Chr gestorben und hinterlieszlig in diesem leb-haften philosophischen Milieu einen unuumlbertroffenen Reichtum an spekulativer Exegese die das alexandrinische Christentum fuumlr Jahrzehnte beschaumlftigen und

577 Inge p 328 578 R van den Broek Studies in Gnosticism and Alexandrian Christianity (Leiden Brill 1996) p 233

(Studien des Gnostizismus und der Alexandrinischen Christologie) 579 Ebenso 580 Bart D Ehrman The New Testament A Historical Introduction (Oxford OUP 2011) p 7 (Das

Neue Testament Eine Historische Einfuumlhrung)

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motivieren sollte Die beiden bedeutendsten Alexandriner des vierten Jahrhun-derts Bischof Alexander I (gest 326 n Chr) und sein Schuumller Athanasius (296-373 n Chr) waren uumlberzeugte Origenisten581 Natuumlrlich hatten die Ansichten von Origenes in den Jahren nach seinem Tod einige Veraumlnderungen erfahren aber im Kern der Sache so Schaff bdquoblieb die Theologie Alexandrias origenis-tischrdquo582 Konzentrieren wir uns auf Origenes eigentuumlmlichste Neuerung naumlm-lich die bdquoewige Zeugungldquo des Sohnes denn sie sollte bei den Auslegungen von Alexander I und Athanasius in Nicaumla eine enorm wichtige Rolle spielen

Obwohl Origenes im Grunde ein Subordinationist war (De Principiis 1 2 23) war er auch einer der ersten der proto-orthodoxen wenn nicht sogar der allererste von denen die spekulierten dass die Zeugung des Sohnes in gewisser Weise ewig war583 Wie ein reformierter Gelehrter bestaumltigt bdquoDie bekannte Lehre von der ewigen Zeugung des Sohnes hatte ihren Anfang bei Origenesrdquo584 Natuumlrlich muss betont werden dass Origenes zwar begonnen hatte von der Zeugung des Sohnes als bdquoewigrdquo zu sprechen fuumlr ihn aber offensichtlich bdquoewigldquo in dem Sinne war dass es sich um eine kontinuierliche GenerationEntstehung handelte585 In der Tat fuumlr Origenes wurden alle Dinge staumlndig erzeugt es gab keine Zeit in der Gott nicht schuf In der Tat bdquobei Origenes ist jede Schoumlpfung sbquoewiglsquo dh die schoumlpferische Taumltigkeit hat weder Anfang noch Enderdquo586

Aber warum hatte Origenes das Beduumlrfnis so zu sprechen Hier draumlngt der pla-tonische Geist einmal mehr in den Vordergrund Origenes wie wir uns erinnern

581 Siehe Philip Schaff Henry Wace A Select Library of Nicene and Post-Nicene Fathers of the Christian

Church Vol IV (New York The Christian Literature Company 1892) pp lxvii-lxix (Eine ausgewaumlhlte Bibliothek von nicaumlnischen und nachnicaumlnischen Vaumltern der christlichen Kirche)

582 Ebenso p lxviii 583 Der schismatische Novatian (200-258) zwei Jahrzehnte nach Origenes geboren verursachte im dritten

Jahrhundert groszlige Not in der Kirche Er stellte sich als bdquoAntipapstldquo auf und wurde von den proto-orthodoxen Laumlufern als Ketzer angesehen Seine Anhaumlnger gehoumlrten zu den Gruppen die von Konstan-tin nach Nicaumla verboten wurden Einige glauben dass Novatian auch den Weg fuumlr ein fruumlhes bdquoewiges Zeugungldquo-Schema bereitet hat Er stellte sich eine unbeschreibliche Prozession des Sohnes vor der dennoch auf mysterioumlse Weise bdquodie zweite Person nach dem Vater sein sollte weniger als der Vater da er vom Vater stammtldquo Siehe John Chapman ldquoNovation und Novationismusldquo The Catholic Encyclopedia Vol 11 (New York Robert Appleton Company 1911) Fuumlr eine Ansicht die eine Doktrin der ewigen Zeugung fuumlr Novation bevorzugt siehe James L Papandrea Novation of Rome and the Culmination of Pre-Nicene Orthodoxy (Eugene Wipf amp Stock 2011) S 85-90 (Novation von Rom und die Kulmination der vor-nicaumlnischen Orthodoxie) Fuumlr die Meinung dass Novatian keine solche Doktrin vertrat siehe Ayres Nicaea and Its Legacy S 71-75 (Nicaumla und sein Erbe)

584 Boer p 92 585 Kevin Giles The Eternal Generation of the Son Maintaining Orthodoxy in Trinitarian Theology

(Downerrsquos Grove IVP 2012) p 101 (Die ewige Zeugung des Sohnes Die Aufrechterhaltung der trini-tarischen Theologie)

586 Ernest Belfort Bax A Handbook of the History of Philosophy for the Use of Students (London George Bell and Sons 1888) p 105 (Handbuch der Geschichte der Philosophie fuumlr den Gebrauch durch Studenten)

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war ein engagierter Platoniker Er hatte Schwierigkeiten die Gedanken zu ver-soumlhnen wie ein guter Gott der im platonischen Sinne ewig unveraumlnderlich war ploumltzlich von der Inaktivitaumlt zur aktiven Schoumlpfung gelangen konnte Origenes kam daher zum Schluss dass die Schoumlpfung selbst keinen Anfang hatte Diese Sichtweise hatte er eindeutig von den Platonikern uumlbernommen

Die plotinische Dreieinigkeit existiert nicht nur durch die ewige Zeu-gung sondern die Welt ist gleichermaszligen ewig Das Prinzip der Pro-gression das die Begriffe Erzeugung oder Evolution zu beinhalten scheinen ist mit Plotinus wie er direkt versichert logisch und nicht chronologisch587

Fuumlr Origenes war die schoumlpferische Taumltigkeit die sowohl den Sohn als auch die erschaffene Welt hervorbrachte auszligerhalb der Zeit588 Ein Historiker bestaumltigt das

[Origenes] der keinen Anfang der Schoumlpfung festsetzte sondern annahm dass sie ewig sei wuumlrde noch weit weniger einen Anfang [der Zeugung des Sohnes] festlegen Er strebte danach alles Zeit-empfinden aus der Vorstellung von der (Er-) Zeugung des Logos zu verbannen Hier war es notwendig wie er dachte sich eine zeit-lose Gegenwart vorzustellen ein ewiges Jetzt Origenes kam wohl zu dieser Ansicht durch seine philosophische Ausbildung in der platonischen Schule589

Wie im vorangehenden Kapitel angedeutet scheint das System des Origenes ne-ben platonischen Begruumlndungen fuumlr die ewige Zeugung des Sohnes ebenfalls vom Gnostizismus durchdrungen gewesen zu sein590 Sicherlich bedarf es in die-sem Bereich weiterer Studien aber schon jetzt koumlnnen wir einen Blick auf ein

587 Paine The Ethnic Trinities p 175 (Die Ethnischen Trinitaumlten) 588 bdquoEs ist leicht zu sehen dass neben solchen Spekulationen uumlber die Kosmogonie [Origenes] Generation

des Sohnes von der Idee der Zeit losgeloumlst sein koumlnnte Wir sind bereit dass die Lehre der ewigen Generation auf dem Boden steht auf den Origenes sie praktisch gestellt hat das heiszligt die Ewigkeit kann dem Sohn in demselben Sinne zugeschrieben werden in dem sie der materiellen Schoumlpfung zugeschrieben werden kann und nur in diesem Sinne Dies ist nicht das was moderne Trinitarier meinenrdquo (Lamson Abbot p 224)

589 August Neander History of the Christian Religion and Church (London Wiley amp Putnam 1854) p 588 590 Es uumlberrascht jedoch nicht dass wir auch die Idee einer ewigen Sohnschaft erkennen koumlnnen die

bereits unter den Gnostikern funktioniert und interessanterweise im gleichen dreiseitigen Traktat in dem andere beliebte Vorstellungen von Origenes und Athanasius entdeckt werden Obwohl auf diesem Gebiet noch viel zu studieren ist haben mehrere Wissenschaftler argumentiert dass das gnostische drei-seitige Traktat tatsaumlchlich bereits eine Form der Ko-Eternitaumlt von Vater und Sohn vor Origen oder Athanasius gelehrt hat Siehe H Puech Gilles Quispel ldquoLe quatriegraveme eacutecrit gnostique du Codex Jungldquo Vig Chr 9 1955 S 77-81 wie in Broek S 252 zitiert

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groszliges Zusammenflieszligen von platonischem und gnostischem Denken in Orige-nes bdquoewiger Zeugungldquo des Sohnes werfen

Fruumlhere Gnostiker wie Valentinus und der Schreiber von Eugnostus hatten fest-gehalten dass viele bdquoKraumlfterdquo in Gott wohnen Wie bereits erwaumlhnt war ein wich-tiges Merkmal der gnostischen Lehre die Idee dass der houmlchste Gott ein goumlttli-ches Reich oder eine Substanz voll dieser Kraumlfte erzeugt das bdquoPleromardquo genannt wird Jede dieser Kraumlfte (goumlttliche Hypostasen genannt Aumlonen) produzierte an-dere Kraumlfte wie sie selbst innerhalb des Pleromas und die Summe dieser Aumlonen bildete die Fuumllle der Gottheit selbst (Pleroma bedeutet bdquoFuumllleldquo)591 Einige der houmlchsten Maumlchte wurden Sophia (Weisheit) Aletheia (Wahrheit) Logos (Wort) und Zoe (Leben) genannt Besonders fuumlr die Valentinianer war Jesus nicht einfach ein weiterer Aumlon der von einer dieser Maumlchte innerhalb des Pleromas hervorge-bracht wurde592 sondern er war eine besondere Emanation (Ausstrahlung) er verkoumlrperte jeden von den Aumlonen und die [Fuumllle der] Macht Gottes Jesus war selbst Pleroma593 Tatsaumlchlich war das bdquoganze Pleroma der Aumlonenrdquo im Sohn ver-treten594 Interessanterweise scheint Origenes eine aumlhnliche Ansicht gepflegt zu haben Fuumlr ihn war Jesus eine Verkoumlrperung aller Kraumlfte des Pleromas Gottes Wie Professor Broek erklaumlrt bdquokann es keinen Zweifel geben dass der Sohn fuumlr Origenes im Grunde Weisheit [Sophia] und Wahrheit [Aletheia] Wort [Logos] und Leben [Zoe] istrdquo595 Offensichtlich hatte Origenes die johanneische Sprache im Sinn aber Origenes versteht diese Namen nicht nur als Prinzipien die Jesus

591 Das Wort bdquoPleromaldquo bedeutet woumlrtlich bdquoSumme Fuumllle Erfuumlllung Uumlberflussldquo und wird im NT 18-mal

verwendet Am bekanntesten ist dass es in Kol 29 zu finden ist bdquoDenn in [Jesus] wohnt die ganze Fuumllle der Gottheit in koumlrperlicher Formldquo (NASB) oder bdquodie Fuumllle der Gottheitldquo (KJV) oder bdquodie Fuumllle der Natur Gottesldquo (HCSB) Obwohl dieser Text oft von Trinitariern verwendet wird um zu beweisen dass Jesus einzigartig ganz Gott und ganz Mensch war wird der apostolische Gebrauch des bdquoPleromasldquo deutlicher wenn wir an Johannes 116 denken bdquoAus seiner Fuumllle haben wir alle empfangenldquo und Eph 319 bdquodamit ihr mit der ganzen Fuumllle Gottes erfuumlllt werdetldquo Dieses Pleroma sollte alle Christen fuumlllen Tatsaumlchlich sollten die Juumlnger Jesu auch Teilhaber an dem werden was bdquoGoumlttlichkeitldquo in Christus war Siehe auch 2 Petr 14 bdquoDamit ihr an der goumlttlichen Natur teilhaben koumlnntldquo

592 Irenaeus Against Heresies 1 11 1 593 bdquoDer Erloumlser war in der Tat ein koumlrperliches Bild von etwas Einheitlichem naumlmlich dem Pleromardquo

(Tripartite Tractate 116-117) Siehe auch das Evangelium der Wahrheit bdquoAlle Emanationen des Vaters sind also Fuumllle [Pleromas] und alle seine Emanationen haben ihre Wurzeln in dem der sie alle aus sich selbst heraus wachsen lieszligrdquo (trans Barnstone Meyer S 255)

594 Irenaeus Against Heresies 1 2 6 Irenaumlus erklaumlrt die gnostische Argumentation aus der Schrift bdquoSie bestaumltigen auszligerdem dass sich gezeigt hat dass der Erloumlser von allen Aumlonen abstammt und durch den folgenden Abschnitt alles in sich selbst ist sbquoAlles Maumlnnliche das den Mutterschoss oumlffnetrsquo Denn er der alles ist hat den Schoss der Enthymesis des leidenden Aumlons geoumlffnet Und sie sagen dass Paulus in diesem Zusammenhang klar gesagt hat sbquoUnd er selbst ist allesrsquo und immer wieder sbquoAlle Dinge sind fuumlr ihn und von ihm sind alle Dingersquo und weiter sbquoIn ihm wohnt die ganze Fuumllle der Gottheitrsquo und immer wieder sbquoAlle Dinge sind von Gott in Christus versammeltrsquo So interpretieren sie diese und aumlhnliche Pas-sagen die in der Schrift zu finden sindrdquo (ebenso 1 3 4)

595 Broek p 129

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repraumlsentiert sondern als Kraumlfte die er wirklich verkoumlrperte Das sind die goumlttli-chen Attribute die untrennbar von Gott sind und immer von ihm produziert werden die Kraumlfte in Jesus sind die Substanz des einen Pleromas Origenes schreibt bdquoObwohl sie in unserem Kopf als viele angesehen werden aber in Wirk-lichkeit und Substanz sind sie eins und in ihnen wohnt die sbquoFuumllle [Pleroma] der Gottheitrsquo (Kol 29)rdquo596 Laut Origenes sind bdquoSophia Aletheia und Logos die Hauptbestandteile des Pleromasrdquo597 Interessanterweise sind nach Ansicht der Valentinianer diese bdquodrei Kraumlfte auch Teil der ersten Stufe des Pleromasrdquo598 So wie Origenes schreibt dass jede dieser Maumlchte durch bdquoVorherwissenrdquo arrangiert wurde schreiben die Gnostiker auch die gesamte Klasse dieser Maumlchte dem bdquoVorherwissenrdquo des Ungeborenen zu599 Letztendlich war Jesus sowohl fuumlr Ori-genes als auch fuumlr die Valentinianer die Manifestation der goumlttlichen Kraumlfte des Pleromas Gottes und so toumlricht es auch war zu denken dass Aletheia und Zoe nicht schon immer existiert haumltten so muss auch der Sohn der diese wesentli-chen Attribute enthielt ewig sein Origenes schreibt

Wer es wagt zu sagen dass bdquoes eine Zeit gab in der der Sohn nicht existierterdquo sollte verstehen dass er auch sagen wird dass bdquoals die Weisheit nicht existierte und Logos nicht existierte und das Leben nicht existierterdquo waumlhrend wir glauben muumlssen dass in all diesen die Substanz Gottes in Vollkommenheit existiert in ihnen ist das Ple-roma der Goumlttlichkeit600

Die Wissenschaft ist daher zum Schluss gekommen dass bdquodie valentinianischen Lehren uumlber die ewige Zeugung des Sohnes denen aumlhnlich waren die Origenes befuumlrworteterdquo601 Und nicht nur Valentinus Lehre sondern -vielleicht noch wich-tiger - das gnostische Modell seines Schuumllers Heraklion mit einer ewigen Dreifaltig-keit zeigt eine verdaumlchtige Aumlhnlichkeit mit Origenessbquo Ansichten602 Ist das alles

596 Ebenso p 130 597 Ebenso 598 Valentinus stuumltzte sich fuumlr sein Modell wahrscheinlich auf fruumlhere platonische undoder gnostisch al-

exandrinische Spekulationen Wie Broek schon sagt bdquo[Valentinus] war nicht der erste und auch nicht der letzte der auf diese Weise uumlber Gott dachte wie Eugnostus und Origenes zeigen Dies erklaumlrt warum die Lehre von[Valentinus] von so vielen Christen in Alexandria und im Ausland so gut ange-nommen wurderdquo (Broek S 130)

599 Broek p 129 600 Origen On First Principles 4 4 1 Interestingly this statement which Origen argues against was the very

standard of Tertullian (Hermogenes 3 18) and the Arians in the following century 601 Philip F Esler The Early Christian World Vol I-II (London Routledge 2000) p 1016 See also Alan B

Scott Origen and the Life of the Stars (Oxford Clarendon Press 1992) 602 Quispel stellt fest dass Origens ewige Zeugung obwohl sie heute als bdquowesentlichrdquo fuumlr die Orthodoxie

angesehen wird den Lehren von Heraklion und Valentinus sehr bdquonaherdquo kommt Er schreibt bdquoHerakles und Origenes haben gemeinsam dass ihr Gottesbild streng persoumlnlich bleibt auch wenn sie die pla-tonischen Kategorien nutzen um seine Transzendenz auszudruumlcken Weil Gott Vater im wahrsten Sinne

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nur Zufall In der modernen Wissenschaft hat bdquobereits eine neue Phase einge-setzt die Origenes die volle Aufmerksamkeit schenkt soweit er ein Gnostiker istrdquo603 Obwohl Quispel ein ernsthafter Schuumller des Platonismus und ein vehe-menter Gegner der Gnostiker ist bestaumltigt er dass bdquoOrigenes auch in seiner Exe-gese viel eher ein Gnostiker als ein Platoniker warrdquo604 Tatsaumlchlich hat die Entde-ckung von Nag Hammadi dazu beigetragen die Kluft zwischen Origenes und Valentinianismus zu bdquoverringernrdquo605 Aber es darf nicht unerwaumlhnt bleiben dass die Unterschiede zwischen ihnen in Bezug auf die Existenz des Sohnes betraumlcht-lich sind Zum Beispiel ordnet Origenes den Namen Sophia (Weisheit) einem houmlheren Rang im Pleroma zu als die Valentinianer Dies bedeutet nicht dass O-rigenes direkt von Valentinus abhaumlngig war es gibt genuumlgend Beweise dafuumlr dass bdquobeide von fruumlheren alexandrinischen Spekulationen uumlber die Natur Gottes Ge-brauch machtenrdquo606 Dieser Kreis alexandrinischen Denkens stellte sich eindeutig einen transzendenten aber dennoch persoumlnlichen Gott vor der nachfolgende Manifestationen als separate Hypostasen erzeugte607 Dies erklaumlrt warum Valen-tinus gnostische Lehre uumlber Gott bdquovon so vielen Christen in Alexandria und aus-serhalb Aumlgyptens so bereitwillig angenommen wurderdquo608 Sowohl der bdquoketzeri-scherdquo Valentinus als auch der bdquokatholischerdquo Origenes hatten [ihre Ideen] aus ei-nem gemeinsamen Brunnen geschoumlpft Aufgrund der komplexen Beziehung zwi-schen den verschiedenen Traditionen konnte bdquodie Mehrheit der Christen den

des Wortes existiert ist er der ewige Vater des ewigen Sohnes Aus ihrer gegenseitigen Liebe entsteht eine dritte Hypostase Deshalb koumlnnen wir sagen dass Herakles eine ontologische und ewige Dreifalti-gkeit lehrtrdquo (Quispel ldquoOrigenrdquo pp 296-297)

603 Ebenso p 289 604 Quispel argumentiert bdquoIn der geistigen Welt von Origenes finden alle Arten von Ereignissen statt

waumlhrend bei Platons Ideen nichts geschieht Man sollte auch nicht sagen dass eine solche sbquovertikalersquo Exegese notwendigerweise griechisch ist denn auch die Stoiker haben allegorische Interpretationen der griechischen Mythologie vorgenommen Die spaumlteren juumldischen Kabbalisten gaben eine sehr aumlhnliche Interpretation des AT Mehr als auszligerirdische Einfluumlsse ist es eine bestimmte gnostische Mentalitaumlt die diese Hermeneutik hervorbringtrdquo (ebd S 290) Die vertikale Exegese bdquobehandelt den Text als isoliertes Phaumlnomen Wir nehmen diesen Text mit nur diesen wenigen Versen und loteten die Tiefe aus die dort ist Die vertikale Exegese geht davon aus dass jeder Text eine Bedeutungswelt fuumlr sich selbst ist eine houmlchst problematische Annahmerdquo (R Jensen Thinking in Story (Lima CSS Publishing Co 1995[1993]) S 94) Interessanterweise offenbaren die gnostischen Texte von Nag Hammadi eine Bezi-ehung zur Exegese von Origenes bdquoSie sind vollgepackt mit allegorischen Interpretationen der Schrift insbesondere der ersten drei Kapitel der Genesis und befassen sich mit dem Fall der Seele [des Menschen] und der Art der Auferstehung - alles Themen die von ihren Gegnern mit sbquoOrigenistenrsquo in Verbindung gebracht wurdenrdquo (Hugo Lundhaug The Monastic Origins of the Nag Hammadi Codices) (Der gnostische Ursprung der Nag Hammadi Codices) (Tuumlbingen Mohr Siebeck 2015 p 242)

605 Quispel cited in Griggs p 64 606 Broek p 130 607 Ebenso 608 Ebenso

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Unterschied zwischen valentinianischer und orthodoxer Lehre nicht erken-nenrdquo609 Die valentinianischen und origenistischen christologischen Spekulatio-nen koumlnnten auch als verschiedene Zweige desselben synkretistischen Baumes angesehen werden eines Baumes dessen Wurzeln sich tief in die platonische hellenistisch-juumldische und sethianisch-gnostische Theorie erstrecken Natuumlrlich war es in der Vergangenheit uumlblich bdquodie Ideen von Origenes den Ideen der Gnos-tiker entgegenzusetzen [aber] wir sehen jetzt dass gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts die Uumlbergaumlnge allmaumlhlich verschwanden sodass sie fast unauffind-bar wurdenrdquo610 Origenes selbst repraumlsentiert letztlich sowohl einen aktualisierten als auch einen bdquokatholisiertenrdquo Gnostizismus611 und trotz seiner eigenen oumlffent-lichen Ablehnung der Ketzer kann man mit Quispel zum Schluss kommen dass bdquoOrigenes eine Vollendung gnostischer Entwicklungen istrdquo612 Andere Gelehrte wie Griggs sind bereit in Origenes einen weiteren bdquoKrypto-Gnostikerrdquo der Art von Clemens und des spaumlteren Marius Victorinus zu finden613 Die Auswirkungen einer solchen Schlussfolgerung koumlnnen ernst sein Origenes war wohl der wich-tigste Theologe fuumlr die Orthodoxie des vierten Jahrhunderts und die nicaumlnische Lehre uumlber Jesus waumlre ohne seine wichtige Vorarbeit kaum zustande gekommen Tatsaumlchlich haben Wissenschaftler folgendes festgestellt

Indem Origenes den Ursprung des Sohnes von Ewigkeit her als [des Vaters] bdquoewige Zeugungrdquo bezeichnete hat er diese Art von goumlttlicher Vater-Sohn-Selbstdifferenzierung in der Ewigkeit fest in der alexandrinischen theologischen Tradition und dadurch in der historischen Orthodoxie verankert Es waren jedoch andere wel-che die Elemente des Subordinationismus vollstaumlndig aus dieser Theologie beseitigten614

609 Elaine Pagels The Gnostic Gospels (New York Vintage Books 1979) p 32 610 Ebenso Wie Quispel abschliessend sagt bdquoInnerhalb der Schule von Valentinus hat eine gewiszlige Evo-

lution stattgefunden Es gab eine [erkennbare Verbindungs-] Linie von Valentinus zu Heraklion und von Heraklion nach Origenines Der Uumlbergang ist viel gradueller als ein phaumlnomenologischer Vergleich erkennen laumlsstrdquo (ebenso S 293) Tatsaumlchlich erlebten die Valentinianer ebenso eine Anpassung wie die Protoorthodoxen Besonders im westlichen oder roumlmischen Zweig des Valentinianismus finden wir einen Gnostizismus der offenbar fuumlr Nicht-Gnostiker sympathischer ist Heraklion und Ptolemaumlus zum Beispiel glaubten sogar dass die bdquoKatholikenrdquo ohne einen Uumlbertritt zur Gnosis gerettet wuumlrden

611 Quispel p 297 612 Ebenso p 270 613 Griggs in Paul McKechniersquos summary of his investigation ldquopictures Origen as a semi- (or even crypto-

) gnosticrdquo (Paul McKechnie Prudentia Vol 24 No 1 (Wissenschaftl Klugheit) (University of Auckland Bindery 1992) p 67)

614 Kevin Giles The Eternal Generation of the Son Maintaining Orthodoxy in Trinitarian Theology (Downerrsquos Grove IVP 2012) p 102 (Die Ewige Zeugung des Sohnes Die Aufrechterhaltung der Or-thodoxie in der Trinitarischen Theologie)

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Offensichtlich waren Bischof Alexander und Athanasius diejenigen die diese Rei-nigung von Origenes anhaltendem Subordinationismus durchfuumlhrten Die Aumlnde-rung des Origenes-Schemas im spaumlten dritten bis fruumlhen vierten Jahrhunderts war zu erwarten Zu Origenes Zeiten scheinen jedoch proto-orthodoxe Einfluumlsse be-reits eingegriffen und Aumlgypten bdquoin Einklang gebrachtrdquo zu haben615 Zu Beginn des dritten Jahrhunderts war man daran die auffaumllligeren (gnostischen) Elemente im alexandrinischen Christentum zu beseitigen Ein bdquoeinheitlicheres Christentum wurde allmaumlhlich durchgesetztrdquo616 Schlieszliglich erfand die katholische Fuumlhrung bdquoeine orthodoxe Vergangenheit fuumlr die aumlgyptische Kircherdquo617 Im Ruumlckblick draumlngt sich geradezu die Frage auf ob das Produkt dieser Katholisierung des ale-xandrinischen Christentums in der nicaumlnischen Theologie von Bischof Alexander und Athanasius wieder zu finden ist Es war ja schon laumlngst kompromittiert wor-den

Die Versoumlhnung der tief gnostischen Geschichte des Christentums mit der neuen Ordnung die von Athanasius und seiner Partei festgelegt wurde sollte sich wei-terhin - trotz ihrer imperialen Unterstuumltzung - als problematisch erweisen Ob-wohl sich das vierte Jahrhundert stark auf den Arianismus konzentriert hatte fra-gen sich nun Wissenschaftler ob der Gnostizismus bdquovon groumlszligerer Bedeutung ist als Athanasius von uns erwartetrdquo618 Der tumultuoumlse Aufstieg der nicaumlnischen Theologie zur [kirchlichen] Macht hat sicherlich zu einer groszligangelegten Schoumln-faumlrberei der orthodoxen Auseinandersetzung mit der Gnosis gefuumlhrt Als der Kai-ser Konstantin I die Autoritaumlt der Partei uumlber die Kirche untermauerte bestand ihre naumlchste Aufgabe darin ihre lehrmaumlssigen Standards so zu festigen dass sie nicht in die Fallen geriet in welche das aumlgyptische Christentum geraten war Im Jahre 367 n Chr startete Athanasius eine Kampagne gegen gnostische Literatur Er befahl die vollstaumlndige Zerstoumlrung der gnostischen Buumlcher und argumentierte bdquoDenn selbst wenn [auch nur ein einziges] nuumltzliches Wort in ihnen gefunden werden sollte ist es immer noch nicht gut ihnen zu vertrauenrdquo619 Ein Nebenef-fekt von Athanasius bdquoDruck zur Orthodoxierdquo mag der Grund gewesen sein wa-rum die gnostischen Buumlcher der Nag Hammadi-Codices im Sand Aumlgyptens ver-graben wurden620 Aber es scheint dass trotzdem bereits viele bdquonuumltzliche Worterdquo

615 McKechniersquos summary of Griggs in Prudentia Vol 24 No 1 p 66 616 Griggs p 29 Die Vielfalt der Interpretation uumlberlebte in diesem Milieu bis zu den Tagen des Bischofs

Demetrius von Alexandria (189-232 n Chr) dessen Herrschaft eine bdquoInfusion eines streng definierten Christentumsldquo vollbrachte (Ibid p 45)

617 McKechniersquos summary of Griggs in Prudentia Vol 24 No 1 p 66 618 Ebenda p 68 619 Athanasius Festal Letter 39 367 CE (Fest-Brief) 620 David M Gwynn Athanasius of Alexandria Bishop Theologian Ascetic Father (Oxford OUP 2012)

p 156

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aus diesen ketzerischen Texten entnommen und fuumlr die Konstruktion des ortho-doxen Glaubens verwendet worden waren Athanasius selbst war sicherlich schuld daran wie eine Enzyklopaumldie richtig zeigt dass er bdquoan einigen der gnosti-schen Irrtuumlmern mitgewirkt hat [in seinem Traktat] uumlber die Inkarnation begegnen wir der gleichen prominenten [gnostischen] Lehre [der Jungfraumlulichkeit] die auch als charakte-ristisch fuumlr das christliche System gilt und die sogar gnostische Saumltze beinhaltetrdquo621 So fragt ein moderner Gelehrter bdquoWar die Tatsache dass der Gnostizismus am Erloumlschen war die Ursache dass die Codices von Nag Hammadi begraben wurdenrdquo622 Wir fragen uns ob der Gnostizismus wirklich ausstarb oder ob er [leicht veraumlndert] in der Mainstream-Christenheit neu auflebte Unabhaumlngig davon wie Wissenschaft-ler festgestellt haben bdquowurden orthodoxe Lehren so gestaltet dass sie den Be-duumlrfnissen der zeitlichen Macht dienten Athanasius von Alexandria schuf eine sbquoVorlagersquo fuumlr die Orthodoxie der Abschluss des Kanons die ausschlieszligliche Zuordnung von Wissen zu Christus und die Akzeptanz des Wuumlstenmonastizis-mus Jeder dieser Schritte diente den politischen Interessen der institutionellen Orthodoxie und ermoumlglichte es ihr in einer Kultur die sehr eklektisch und kos-mopolitisch war uumlber den Gnostizismus zu triumphierenrdquo623

Trotz der Bemuumlhungen von Athanasius augenfaumlllig gnostische Einfluumlsse zu be-seitigen erwies sich die endguumlltige Trennung von Orthodoxie und gnostischem Denken weiterhin als schwierig Zum Beispiel beschimpft Athanasius diejenigen die bdquodenken dass das Boumlse in ihrer eigenen Natur liegt wie die Ketzer behaup-tenrdquo624 Ein Gelehrter erinnert uns daran dass bdquodies eine Lehre war die von ei-nigen gnostischen Gruppen und auch vom Manichaumlismus gehalten wurderdquo625 Aber wir haben bereits gesehen wie diese Lehre in der Orthodoxie durch den ehemaligen manichaumlisch-gnostischen Augustinus Eingang gefunden hatte Auch

621 Josh McClintock James Strong ldquoAthanasiusldquo Enzyklopaumldie der biblischen theologischen und kirch-

lichen Literatur Band 1 (New York Harper amp Brothers 1891) S 508 seine Hervorhebung bdquoIn einigen Punkten war [Athanasius] schwach wie andere Menschenldquo und der asketische und monastische Geist erhielt einen starken Impuls von seinen Schriftenldquo (ebd) Die athanasische Neigung zur Askese ist em-blematisch fuumlr den allgemeinen Prozess der christlichen Verschmelzung mit griechischen und gnos-tischen Idealen Wie Harnack bemerkt bdquowurde die christliche Religion mit der raffinierten Askese einer untergehenden Zivilisation vermischtldquo (History of Dogma Vol 1 (1894) S 330) Bis in das spaumlte fuumlnfte und fruumlhe sechste Jahrhundert in der Zeit von Papst Gregor stellt Harnack einen regelmaumlszligigen Appell an eine bdquoabnehmende Zivilisation fest die in Aberglauben und Magie versunken istldquo (History of Dogma Vol 5 (1961) p 262)

622 McKechrie p 68 623 Mike Wilson ldquoEgypt Shaping Gnosis for Christianityrdquo The Midwest Quarterly Vol 44 No 2 (Pittsburg

Pittsburg State University 2003) p 100 (Aumlgypten Die Formung der Gnosis fuumlr das Christentum) 624 Gwynn p 151 625 Ebenso

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in den Jahren kurz nach Athanasius Tod ist die Unterscheidung zwischen bdquoor-thodoxemrdquo und bdquoketzerischemrdquo Denken oft nicht leicht und manchmal sogar unmoumlglich

AlexanderAthanasiusundderNicaumlnischeJesusEs ist klar dass Alexander und sein Schuumller Athanasius die Grundlage ihrer Leh-ren von Origenes erhielten Aber es scheint auch offensichtlich dass ihr Origen-ismus - bevor sie ihn erhielten - von ihren katholisierenden alexandrinischen Vor-gaumlngern veraumlndert worden war Wie Schaff bestaumltigt bdquostand die theologische Aus-bildung von Athanasius unter dem immer noch vorherrschenden wenn auch modifizierten Einfluss von Origenesrdquo626 Bei Alexander faumlllt bdquodie Kombination einer grundlegend origenistischen Theologie mit Ideen die auf die asiatische [ori-entalische] Tradition zuruumlckzufuumlhren sind aufrdquo627 Der Grad der Veraumlnderung den die Lehre des Origenes erfuhr variierte zwischen den Theologen des vierten Jahrhunderts Athanasius eigene sorgfaumlltige Aufmerksamkeit bdquokonzentrierte sich darauf dass Gott immer der Vater des Sohnes war dies bedeutete natuumlrlich dass der Sohn immer der Sohn des Vaters warrdquo628 So ging er uumlber Origenessbquo bdquoewige Zeugung des Sohnesldquo hinaus Fuumlr ihn bedeutete bdquoewigrdquo nicht dass er staumlndig mit dem Rest der Schoumlpfung erzeugt wurde sondern dass der Sohn in Bezug auf die Zeit als einzigartig und persoumlnlich mit dem Vater zusammenhaumlngend betrachtet werden sollte

Die Periode bis zum [Konzil von] Nicaumla ist der Houmlhepunkt eines langen Prozes-ses der Spekulationen uumlber die Zeugung des Sohnes Waumlhrend des fruumlhen vierten Jahrhunderts bdquobrachten die Orthodoxen ihre Ansichten vor und begannen zu sa-gen dass seine Sohnschaft und seine Existenz von Ewigkeit her da waren Zuerst wurde diese Idee vorsichtig und eher verhalten angedeutet sie war zur Zeit des Konzils von Nicaumla nicht allgemein verbreitetrdquo629 Es war jedoch die unverwech-selbare Lehre von Athanasius die er unermuumldlich anlaumlsslich des Konzils von Nicaumla propagierte630

Ein Gelehrter verraumlt dass es einen Umstand gab der bdquoviel dazu beigetragen hat in der Kirche das Wachstum der Idee einer sbquoewigen Zeugungrsquo zu foumlrdern die

626 Schaff A Select Library of Nicene and Post-Nicene Fathers p xviii 627 Ebenso 628 Broek p 252 629 George Balderston Kidd Christophany Doctrine of the Manifestations of the Son of God Under the

Economy of the Old Testament (London Ward and Co 1852) pp 689-690 (Christophanie Doktrin der Manifestationen des Sohnes Gottes unter der Oumlkonomie des Neuen Testaments)

630 In Nicaumla war Athanasiussbquo Hauptargument dass der Sohn bdquonicht sbquoin der Zeitrsquo seine Existenz begann sondern vor allen Zeiten ewig und durch den Verstand nicht erklaumlrbar vom Vater gezeugt wurderdquo (Schaff A Select Library of Nicene and Post-Nicene Fathers Vol 7 S xlix unsere Hervorhebung)

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Einfuumlhrung verschiedener Vergleiche von der Aussenwelt in die gaumlngige Sprache der Kirche diese Illustrationen wurden erstmals von Enthusiasten verwendet die von der Hauptkirche nicht unterstuumltzt wurdenrdquo631 Diese bdquoneuartige Bildspra-cherdquo der Zeugung des Sohnes vom Vater beinhaltet das Beispiel der bdquoSonne den Strahl und den Endpunkt des Strahlsrdquo632 George Kidd erinnert sich dass sich in den Aufzeichnungen des Irenaumlus aus dem zweiten Jahrhundert der [bekannte] Vergleich der Sonne und ihrer Strahlen dreimal finden laumlsst bdquoAber es ist bemer-kenswertrdquo sagt Kidd bdquodass das Beispiel von [Irenaumlus] nie verwendet wird um seine eigene Sichtweise der Prolation des Logos zu veranschaulichen aber er zitiert es aus der Sprache der gnostischen Ketzer die von ihm widerlegt wurden Sie benutzten die Metapher um die Emanation der Aumlonen zu erklaumlren figuumlrlich so wichtig in ihrer eitlen Theosophie von der Ur-Goumlttlichkeit Irenaumlus wider-setzte sich entschieden solchen Figuren und Analogienrdquo633 Obwohl die fruumlheren Anti-Gnostiker wie Irenaumlus dieses Modell ablehnten und die Nichtigkeit der Spe-kulationen betonten stellt ein Gelehrter fest bdquoDas ist die Darstellung mit der die Kirchenvaumlter mit Vorliebe die Vereinigung von Vater und Sohn erklaumlrten und obschon es besser ist nicht zu tief in solche Themen einzudringen ist es vielleicht die naumlchstgelegene und einfachste Darstellung die man finden kannrdquo634 Derselbe Gelehrte erkennt auch an dass bdquoder uumlberragende Verstand des Athanasius sowie der rastlos aktive Origenesrdquo nicht zu sehr an Irenaumlus Warnung vor dem Gnosti-zismus festgehalten haben635

Origenes wie die Gnostiker vor ihm hatte offensichtlich die platonische Auffas-sung uumlbernommen dass die Materie nicht nur von Natur aus unvollkommen sei sondern dass sie sogar eine abscheuliche Verschmutzung sei636 Im Werk Gegen Celsus geht Origenes auf die Frage ein warum Gott den Geist seines Sohnes in die jungfraumluliche Maria einbringen musste bdquoDa er bereits wusste wie man Menschen macht haumltte er auch fuumlr diesen [seinen Sohn] einen Koumlrper bilden koumlnnen ohne seinen eigenen Geist in eine solch uumlble Verschmutzung stuumlrzen zu muumlssenrdquo (673) Er kommt zum Schluss dass die goumlttliche Natur nicht in einer Weise in die Verschmutzung ge-stuumlrzt wurde und er selber dadurch verschmutzt worden waumlre So argumentiert er dass wir nicht bdquodenken sollten dass die Sonnenstrahlen durch Dunghaufen und stinkende

631 Kidd p 689 unsere Hervorhebung 632 Ebenso zitiert Kaye 633 Kidd Doctrine of the Manifestations of the Son of God p 689 634 Burton zitiert ebenso S 689-690 635 Ebenso p 691 636 bdquo[die Seele] geht befleckt von koumlrperlicher Verunreinigung die fuumlr sie natuumlrlich wurde durch ihren

staumlndigen Handel und ihre zu enge Verbindung mit dem Koumlrper zu einer Zeit als sie ihr staumlndiger Begleiter war Diese Verschmutzung ist eine grobe schwere erdige und sichtbare Masseldquo (Platon Phaidon 1)

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Koumlrper befleckt werdenrdquo637 Origenesrsquo Christus der von Gott ausgeht wurde nicht durch Materie verunreinigt sondern beleuchtete sie und blieb unbefleckt von dem Schlamm (der Materie) den sie beruumlhrte

Aber war Origenes Einsetzung eines transzendenten Jesus in dieses platonische Schema seine eigene Erfindung Die Gnostiker hatten bereits angenommen dass der goumlttliche Christus mit der Materie nur bis zu dem Grad vereint sei dass er mit ihr nicht verwechselt werden kann und nicht kontaminiert wird Ein populauml-res gnostisches Werk aus dem 3 Jahrhundert The Tripartite Tractate (Das dreiteilige Traktat) bezieht sich ausdruumlcklich darauf dass der Erloumlser mit der menschlichen bdquoKleinheitrdquo zwar vereint ist und bdquoals Kind in Koumlrper und Seele empfangen und geboren werden kannrdquo aber dennoch ohne bdquoVerunreinigungrdquo (1153-11 15-17)638 Origenes spiegelt dieses Modell sicherlich wider und benutzt sogar die gleiche Sprache Die Bezeichnung der Materie als Verschmutzung die an der Seele haftet ist offensichtlich platonisch aber es ist die besondere Verbindung dieses Modells mit Jesus sowie die Darstellung der Emanation [Ausstroumlmung von Gott] und die Befreiung Christi von dieser Verunreinigung die vor allem gnostisch ist639 So ist es unter dem fragwuumlrdigen gnostizierten Einfluss von Origenes dass Athanasius nicht nur das gleiche gnostische System praumlsentiert sondern ebenfalls die gleiche Sprache verwendet640 Athanasius schreibt

Denn wenn die Sonne wie sie im Himmel kreist nicht durch Annaumlherung an irdische Koumlrper befleckt oder durch Dunkelheit zerstoumlrt wird sondern sie erleuchtet und reinigt viel mehr das allheilige Wort Gottes Schoumlpfer der Sonne und des Herrn als er im Koumlrper bekannt war nicht befleckt wurde641

637 See H Chadwick Origen Contra Celsum (Cambridge CUP 1980) 638 The Tripartite Tractate 115 3-11 See also Sarah Iles Johnston Religions of the Ancient World A Guide

(Cambridge Belknap Press 2004) p 82 639 bdquoEinige behaupten Origenes sei platonischer und philosophischer als die Gnostiker Doch dieses Ar-

gument wird mit der Entdeckung eines fragmentarischen Textes aus Platons Republik als Teil der gnos-tischen Bibliothek von Nag Hammadi weniger haltbarrdquo (Griggs p 66)

640 bdquoDie theologische Ausbildung des Athanasius stand hellip unter dem nach wie vor vorherrschenden wenn auch veraumlnderten Einfluss des Origenes hellip Bei Alexander dem theologischen Foumlrderer des jungen Ath-anasius faumlllt die Verbindung einer grundsaumltzlich origenistischen Theologie und einer auf asiatische Tra-dition zuruumlckfuumlhrbaren Ideen aufrdquo (Philip Schaff Nicene and Post-Nicene Fathers Vol IV (London Parker amp Company 1892) p lxviii)

641 R W Thompson Athanasius Contra Gentes and De Incarnatione (Oxford 1971) p 177 emphasis added

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Letztendlich finden wir in Athanasius eine Aufrechterhaltung eines seltsamen gnostischen unantastbaren goumlttlichen Wesens das von auszligen in den Schoss ein-tritt Uumlber die christologischen Vorlieben des Athanasius gibt der Praumlsident der Katholischen Theologischen Gesellschaft Amerikas diese Wuumlrdigung ab

Jesus ist fuumlr Athanasius kein Mensch wie wir Der Hauptakteur in der Geschichte ist Gott oder das goumlttliche Wort das in Nicaumla als konsubstanziell (homoousios) mit dem Vater definiert wurde In vielen Passagen gewinnt man den Eindruck dass sein Koumlrper oder sein Fleisch [nur] ein Instrument sei durch das eine goumlttliche Exis-tenz Wesen in Wirklichkeit Gott das Subjekt oder der Akteur in der Geschichte ist Durch diese Schlussfolgerung ist Jesus also kein allen anderen ebenbuumlrtiger Mensch sondern eine koumlrperliche Ge-stalt oder ein Vehikel in dem das goumlttliche Wesen das Wort der Hauptdarsteller ist642

Ein anderer Gelehrter bemerkte dass

Athanasius in enorme Schwierigkeiten geriet (und es muss hier be-tont werden dass es den meisten Theologen gleich erging) als er versuchte einen Jesus zu verstehen der goumlttlich und zugleich menschlich ist Er schuf eine ausgekluumlgelte Unterscheidung zwi-schen dem menschlichen Koumlrper Jesu der am Kreuz zu leiden schien und dem goumlttlichen Logos die sich irgendwie im menschli-chen Koumlrper [Jesu] befand aber nicht leiden konnte So konnte beispielsweise der Geist Jesu den Athanasius nicht dem Koumlrper [Jesu] sondern dem Logos zuordnete nichts spuumlren und konnte nicht einmal einem moralischen Dilemma ausgesetzt sein643

Wir werden unmittelbar an die gnostisch-christologischen Elemente erinnert die bei Clemens und Origenes uumlberlebten Auch sie hatten sich ein goumlttliches Wesen vorgestellt das die Vielfalt der menschlichen Beduumlrfnisse nicht wirklich erfuhr es erschien ihnen nur so Der junge Athanasius hatte sicherlich seine Chance die Vision von Jesus oumlffentlich vorzustellen als er sich in Wortgefechten mit den traditionellen Subordinationisten auseinandersetzte diese weigerten sich die Un-schaumlrfe seiner zeitlichen und ontologischen Trennungslinien zwischen dem Vater und dem Sohn zu akzeptieren

Athanasius wird von orthodoxen Christen auch heute noch immer als bdquoVerteidi-ger des Glaubensrdquo bezeichnet Man sieht ihn als einen unermuumldlichen Schuumltzer

642 Roger Haight Jesus Symbol of God (Maryknoll Orbis Books 1999) p 222 643 Freeman Closing of the Western Mind p 187

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des Glaubens gegen das Eindringen ketzerischer Systeme als Glaube wurden die ungeschminkten frommen Traditionen der Apostel definiert Doch wir muumlssen uns daran erinnern dass fuumlr keine seiner Gedankenformen der Ursprung in der Bibel zu finden ist wie die juumlngsten Forschungen zeigen Im Gegenteil Das Mar-kenzeichen des Gnostizismus pulsierte dynamisch in seinen philosophischen Adern wie auch in denen anderer Persoumlnlichkeiten welche die orthodoxe Tradi-tion heute als Huumlter des reinen und apostolischen Glaubens vorgibt

Wir erinnern uns noch einmal an die Entdeckung moderner Gelehrter eines bdquokrypto-gnostischen und nicaumlnischen Kreises in Romrdquo644 Wurde nicht schon ein solcher Kreis in Alexandria ausgemacht Koumlnnen Alexander und Athanasius viel-leicht als seine geistigen Nachfolger identifiziert werden Wie dem auch sei es sollte zumindest klar sein dass das bdquoalexandrinischerdquo Christentum des vierten Jahrhunderts die Grenzen der juumldischen Glaubensgrundlagen der ersten Christen weit uumlberschritten hatte Ein Gelehrter notiert

Je weiter man sich von den juumldisch-messianischen Wurzeln der Christologie entfernt desto mehr verblasst die Humanitaumlt Jesu (der Nur-Mensch Jesus) Waumlhrend einige juumldische Christen konsequent die volle Menschlichkeit [Humanitaumlt] Jesu betonten und einige gnostische Christen gleichermaszligen auf seiner vollen Goumlttlichkeit [Divinitaumlt] beharrten versuchten die Proto-orthodoxen [von Ale-xandria] und viele gnostische Christen es beiderweise zu haben Auf der orthodoxen Seite fuumlhrte dies zu einer komplizierten Lehre von den beiden Naturen Christi (Dualismus) Man versuchte eine Sichtweise auszuarbeiten die eine monotheistische Grundhaltung beibehaumllt und gleichzeitig der [angeblichen] Goumlttlichkeit Jesu ge-recht wird Eine moderne Auffassung ist dass weder die Protoor-thodoxen noch die Gnostiker einen vollstaumlndigen Nur-Menschen annehmen der allen anderen Menschen wirklich aumlhnlich [ebenbuumlr-tig] ist645

WeichenstellungfuumlrNicaumlaDie erklaumlrten Feinde von Athanasius und seiner Gruppe waren die bdquoArianerrdquo Dieser Name wird in den meisten Geschichtsberichten verwendet obschon sie nicht wirklich Anhaumlnger von Arius waren Die Opposition bestand aus einer Viel-

644 Abramowski ldquoNicaumlnismus und Gnosisrdquo Zeitschrift fur Antikes Christentum Vol 8 No 3 (SN SL

2005) pp 513-566 645 Heikki Raisanen The Rise of Christian Beliefs The Thought World of Early Christians (Minneapolis

Fortress Press 2010) p 225

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zahl von Subordinationisten einige von ihnen stimmten sicherlich mit Ariussbquo spe-zifischen Ansichten uumlberein andere jedoch mehr mit denen von Origenes In Wirklichkeit wurden sie von Athanasius und anderen Polemikern bdquoArianerrdquo ge-nannt in der Hoffnung ihre Ansichten in Bezug auf den Subordinationismus als neuartig oder fremd abstempeln zu koumlnnen Das traditionelle Label bdquoArianerldquo kann weiterhin verwendet werden aber man darf nicht aus den Augen verlieren dass sich die bdquoArianerrdquo nicht an eine Neuerung von Arius klammerten sondern sich an die traditionelle mehrheitliche Auffassung des Glaubens hielten

Der Mann Arius (250-336 n Chr) war ein Priester aus Libyen der in der Kirche von Baucalis [einem Bezirk Alexandrias in Aumlgypten] diente und subordinationis-tische Ansichten vertrat646 Arius erregte in Alexandria erstmals Aufmerksamkeit der negativen Art als er die fortschreitende Lehre seines Bischofs von der ewigen Sohnschaft Christi vehement ablehnte Obwohl einer der lautstaumlrksten war Arius nicht der einzige Dissident in diesem Punkt Er war bdquoeinfach ein hartnaumlckiger Konservativer der keine Angst hatte die Neuerungen seines Bischofs [Alexan-der] in Frage zu stellen und der eine Anhaumlngerschaft anzog weil er zum Aus-druck brachte was so viele andere uumlber gefaumlhrliche theologische Entwicklungen nur dachtenrdquo647 Selbst in Aumlgypten galt Alexanders Lehre als neuartig und prekaumlr und bdquodie meisten aumlgyptischen Christen akzeptierten oder verstanden die Theolo-gie des Bischofs nichtrdquo648

Im Gegensatz zu Alexander behauptete Arius vehement dass nur der eine Gott wirklich ewig sei und dass er einen Sohn geschaffen habe nicht ewig [nicht in der Ewigkeit] sondern im Laufe der Zeit vor der Erschaffung der Welt Einige seiner Hauptbeweise waren Passagen wie Kolosser 115 in welcher der Sohn als bdquoder Erstgeborene jeder Schoumlpfungrdquo bezeichnet wird und aus diesen Texten argu-mentierte Arius uumlberzeugend dass der Sohn zunaumlchst ein vorbestehendes (prauml-existentes) engelhaftes Geschoumlpf gewesen sei das spaumlter als der wahre Mensch Jesus von Nazareth inkarniert wurde (dh in das Fleisch gekommen sei) Arius lehrte beharrlich dass es offenbar eine Zeit gab in welcher der Sohn nicht exis-tierte In dieser Hinsicht war er mit Tertullian und anderen verbunden649 Abwei-chend von Tertullian lehrte Arius aber auch dass Gott Jesus aus dem Nichts erschaffen habe indem er bdquoum unseretwillen gemacht wurde damit Gott uns

646 Baucalis war der Bezirk von Alexandria in dem Markus der Evangelist angeblich gemartert wurde

Siehe Albert Birger Pearson Gnostizismus und Christentum Im roumlmischen und koptischen Aumlgypten (London Continuum International Publishing Group 2004) p 105

647 Young zitiert in Griggs p 145 648 Ebenso p 138 649 Tertullian Against Hermogenes 3 18

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durch ihn wie durch ein Werkzeug erschaffen konnte und er [Jesus] haumltte niemals existiert es sei denn Gott haumltte uns erschaffen wollenrdquo650

Es ist interessant dass der Bischof [Alexander] den Arius trotz seines Wider-stands weiterhin beguumlnstigte Er schaumltzte ihn wegen seiner Redegewandtheit und stufte ihn als bdquohoch angesehen einrdquo651 Vielleicht fand Alexander noch andere Gemeinsamkeiten zwischen ihnen Unabhaumlngig davon war Arius wegen seines oumlffentlich ausgetragenen Widerstreits zu kontrovers um einfach uumlbergangen zu werden Alexander konnte es sich nicht leisten schwach zu wirken Alte Kirchen-historiker sind sich jedoch einig bdquoAlexander ist nur dann gegen Arius vorgegan-gen wenn er durch die Berichte und Kritiken anderer dazu gezwungen wurderdquo652 Schlieszliglich wollte Alexander jeden unter seiner Zustaumlndigkeit nach wahrhaft proto-orthodoxer Art und Weise noumltigen eine Glaubenserklaumlrung zu unterzeich-nen die mit seinen Ansichten uumlbereinstimmte Natuumlrlich weigerte sich Arius

Arius wurde von Bischof Alexander um 320 n Chr im Schnellverfahren exkom-muniziert Arius appellierte jedoch sofort an einen anderen Bischof den beruumlhm-ten Eusebius von Nikomedien der selbst ein Subordinationist war Eusebius star-tete eine erfolgreiche Kampagne zur Wiedereinsetzung von Arius und bald schlug sich ein weiterer einflussreicher Bischof aus Caumlsarea auch Eusebius ge-nannt im Kampf auf die Seite von Arius Interessanterweise ist letzterer Eusebius derselbe der spaumlter gegen die Arianer schreiben und sie als Ketzer betiteln wuumlrde Aber zu diesem Zeitpunkt beriefen beide Bischoumlfe mit dem Namen Eusebius eine Bischofskonferenz in Israel ein und unterstuumltzten Arius dies in direkter Op-position zu Alexander653

Als sich die Nachricht von der Kontroverse [auch Arianischer Streit genannt] verbreitete begannen die Christen sich entweder hinter den sogenannten bdquoaria-nischenrdquo oder bdquoanti-arischenrdquo Gruppen zu scharen Professor Richard E Ruben-stein beschreibt welche Art von Christen sich entweder in den arischen und anti-arischen Lagern um die Zeit von Nicaumla versammelten

Diejenigen fuumlr die das Christentum eine natuumlrliche Erweiterung und Verbesserung des Judentums zu sein schien waren gefuumlhlsmauml-szligig eher Arianer Im Gegensatz dazu empfanden die staumlrksten Anti-

650 Zitiert in Socrates Scholasticus Ecclesiastical Histories of Socrates Scholasticus 1 6 651 Griggs p 120 citing Epiphanius and Sozomen 652 Ebenso 653 Hanson p 135 Siehe auch Paul Foster Early Christian Thinkers The Lives and Legacies of Twelve

Key Figures (London Society for Promoting Christian Knowledge 2010) Early Christian Thinkers The Lives and Legacies of Twelve Key Figures (London Society for Promoting Christian Knowledge 2010) (Fruumlh-christliche Denker Leben und Erbe von Zwoumllf Schluumlsselfiguren)

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Arianer ihre Gegenwart als einen klaren Bruch mit der Vergangen-heit Sie forderten in der Tat dass das Christentum bdquoaktualisiertrdquo werde indem sie die seit langem akzeptierte Unterscheidung zwi-schen Vater und Sohn verwischen oder sogar ausradieren wollten Aus der Perspektive unserer Zeit mag es seltsam erscheinen an a-rianische bdquoKetzerrdquo als an Konservative zu denken die Betonung des Bloszlig-Mensch-Seins (dh der Menschlichkeit) Jesu und der transzendenten voumllligen Andersartigkeit Gottes galt im Osten nie als ketzerisch654

Die proto-orthodoxe Bewegung des Athanasius zur Zeit Nicaumlas im Jahre 325 n Chr war sicherlich noch in der Minderheit655 Natuumlrlich sind heute die Rollen umgekehrt heutzutage betrachten viele Christen die sich fuumlr orthodox halten den Arianismus fuumlr ausgesprochen ketzerisch In den ersten drei Jahrhunderten nach Jesu Kreuzigung war die Vorstellung dass der Erloumlser ein von Gott separa-tes Wesen und ihm untergeordnet sei nicht besonders schockierendrdquo656 Die Un-terscheidung zwischen Vater und Sohn war weit verbreitet fuumlr Aufregung sorgte jedoch die aufkeimende Forderung nach ihrer radikalen ewigen Einheit [oder Ei-nigkeit] Die Zwietracht die vor 325 n Chr uumlber dieses Thema ausbrach hatte das kulturelle Gefuumlge des [Roumlmischen] Reiches durcheinander gebracht Dieser Streit kulminierte auch in einer umfassenden Stoumlrung der Religion Es war ein Problem so scheint es das nur ein roumlmischer Kaiser mit Macht beruhigen konnte Schlieszliglich ruumlckte der heftige Konflikt zwischen den Subordinationisten und der athanasischen Partei beim groszligen bdquooumlkumenischenrdquo Konzil Konstantins [Nicaumla] in den Mittelpunkt657

DesKaisersneueKleiderAm 27 Oktober 312 n Chr sah der ausgesprochen heidnische Kaiser Konstan-tin der in der entscheidenden Schlacht [an der Milvischen Bruumlcke] um goumlttliche Hilfe betete eine Vision eines Kreuzes am Himmel und houmlrte eine Stimme die ihm sagte er solle durch dieses Zeichen bdquosiegenrdquo658 Nach seinem dramatischen

654 Richard E Rubenstein When Jesus Became God The Epic Fight Over Christrsquos Divinity in the Last

Days of Rome (New York Harcourt Brace amp Company 1999) p 74 (Als Jesus zu Gott wurde Die grosse Auseinandersetzung uumlber die Divinitaumlt Christi in den letzten Tagen Roms)

655 Encyclopedia Britannica Inc ldquoTrinityrdquo Encyclopedia Britannica Vol 27 p 2941 656 Rubenstein p 10 657 Das erste Konzil das uumlberhaupt von Konstantin einberufen wurde war tatsaumlchlich 314 n Chr in Arles

Obwohl Augustinus von Hippo Arles ein oumlkumenisches Konzil nannte ist es im Schatten von Nicaumla weitgehend in Vergessenheit geraten Siehe auch Karl Joseph von Hefele A History of the Councils of the Church (Edinburgh T amp T Clark 1871) p 182

658 Baldwin H Ward Pictorial History of the Worldrsquos Great Religions (New York Gache Publishing Com-pany 1965) p 72

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Sieg erklaumlrte Konstantin dass er durch die guumltige Hand der bdquohoumlchsten Gottheitrdquo gewaumlhrt worden sei Von diesem Tag an erlebte das Roumlmische Reich einen un-glaublichen Wandel in seiner Einstellung zum Christentum Konstantin wuumlrde nicht nur den christlichen Glauben legalisieren und die Christen vor harter Ver-folgung schuumltzen659 sondern auch den Grundstein fuumlr dessen spaumlterer Ausrufung zur Staatsreligion legen660 Konstantin salbte sich schnell zum Haupt des Chris-tentums und versuchte die streitenden christlichen Fraktionen in seinem Reich durch die Einrichtung offizieller von der Regierung unterstuumltzter Konzile poli-tisch zu vereinen Das beruumlhmteste von ihnen tagte vom 20 Mai bis zum 25 Juli 325 n Chr in Nicaumla in der heutigen Tuumlrkei

Konstantin war ein religioumlser Mann der sowohl an den heidnischen Gott Sol Invictus glaubte als auch an den hermetischen (gnostischen) Kulten beteiligt war Das Judentum verabscheute er allerdings zutiefst661 und seine angebliche Bekeh-rung zum Christentum ist bis heute fragwuumlrdig662 Die fruumlhesten Wechselbezie-hungen Konstantins mit der Kirche offenbaren sowohl die Natur seiner Annauml-herung an das Christentum zum Zweck der Kontrolle als auch sein unablaumlssiges und gravierendes Missverstaumlndnis [dieses Glaubens] Ein Jahr nachdem sein ent-scheidender Sieg ihn zur christlichen Religion hingewandt hatte erlieszlig Konstan-tin das Edikt von Mailand das die Duldung nicht nur des Christentums sondern aller Religionen im Reich anordnete Aber er entdeckte schnell dass dieses Dekret nicht ausreichte um der christlichen Welt Stabilitaumlt zu bringen In dieser Zeit war

659 Die Konstantinische Erklaumlrung von Mailand im Jahr 313 n Chr begruumlndete nicht nur die Toleranz

gegenuumlber dem Christentum sondern auch gegenuumlber allen Religionen des Reiches bdquoWenn sie sehen dass dies [Christen] von uns gewaumlhrt wurde werden sie wissen dass wir auch anderen Religionen das Recht auf offene und freie Einhaltung ihrer Anbetung um des Friedens unserer Zeit willen eingeraumlumt haben dass jeder die freie Moumlglichkeit haben kann nach Belieben anzubeten diese Regelung wird get-roffen damit wir nicht von irgendeiner Wuumlrde einer Religion abzulenken scheinenrdquo (Vereinbarung von Mailand von Lactantius Uumlber den Tod der Verfolger Kap 48)

660 Theodosius Edikt von Thessaloniki im Jahre 380 befahl allen Mitgliedern des Reiches den Glauben der roumlmischen und alexandrinischen Bischoumlfe uumlber jede andere Religion zu stellen

661 W H C Frend Rise of Christianity (Philadelphia Fortress Press 1984) p 499 662 Der christliche Glaube des historischen Konstantin ist ein Raumltsel Er war eindeutig ein sonnenanbe-

tender Heide vor seiner Vision vom bdquoKreuzrdquo am Himmel Die Verwirrung unter den Historikern ent-steht wenn es darum geht festzustellen wann wenn uumlberhaupt seine Bekehrung zum Christentum stattgefunden hat Letztendlich scheint Konstantin im Konflikt zu stehen Zur gleichen Zeit seiner nicaumlnischen Konvention gab er Muumlnzen aus Antiochien heraus die sich neben dem Sonnengott darstel-len und die Legende bdquoAn die Sonne Begleiter unseres Augustusrdquo tragen Konstantin war natuumlrlich nicht der einzige Mann in der Ratskammer des Konzils aber man sollte seine Anwesenheit nicht als unwichtig fuumlr die Richtung der Debatten abtun

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der Glaube den qualvollen Spannungen der Donatistischen Kontroverse ausge-setzt die Kirchen Nordafrikas spalteten sich daruumlber wer und wo die bdquowahre Kircherdquo sei663

In den Jahren 314-316 n Chr berief Konstantin seine ersten christlichen Konzile ein Er befahl den Donatisten sich mit dem Rest der Christen zu vereinen und setzte seine Verordnungen mit militaumlrischer Gewalt durch Aber als die Donatis-ten sich weigerten ihre Kirchen aufzugeben kam es zur Gewaltanwendung Die Streitkraumlfte Konstantins schlachteten sogar den Bischof von Sizilibba den Bi-schof von Advocata ab und viele andere664 Obwohl Konstantin in spaumlteren Jah-ren seine gewalttaumltigen Tendenzen mildern wuumlrde wendete er weiterhin Gewalt-taktiken an um die Christen zur Vereinigung zu zwingen Wie wir bald sehen werden sollte Konstantin trotz seiner eigenen Erklaumlrung [von Mailand] der reli-gioumlsen Toleranz spaumlter die Verbrennung dissidenter Schriften anordnen Eigen-tum beschlagnahmen und das Treffen christlicher Gruppen verbieten die nicht zu seinem Programm der Vereinigung beigetragen hatten Die Einheit [des Rei-ches] war vor allem und immer des Kaisers Absicht und mit dieser Zielsetzung rief er das Konzil von Nicaumla im Jahre 325 n Chr ein Die Beilegung des aufkei-menden bdquoarianischen Streitsrdquo stand auf der Tagesordnung

Konstantin beaufsichtigte persoumlnlich die Verhandlungen in Nicaumla und begleitete die Diskussionen der Bischoumlfe als bdquobedeutendes Mitglied waumlhrend der gesamten Ratssitzungen des Konzilsrdquo665 Bei der Aufklaumlrung uumlber die fruumlhe Entwicklung der Trinitaumltslehre sollte die Hand Konstantins in diesen Debatten nicht ignoriert werden Schlieszliglich war es die Strategie des Kaisers selber eine umstrittene Sprachregelung fuumlr das Nicaumlnische Glaubensbekenntnis vorzuschlagen Diese sollte jedoch die christliche Welt bis ins Mark erschuumlttern Oft tendieren moderne

663 Ende des 3 Jahrhunderts n Chr hatte der Kaiser Diokletian die Kirche schwer verfolgt besonders in

Nordafrika Waumlhrend dieser schwierigen Zeit wurden alle Christen die ausdruumlcklich auf Christus ver-zichteten oder wieder den heidnischen Goumlttern opferten von der Regierung verschont Waumlhrend viele Christen sich weigerten und gemartert wurden verleugneten einige Christus und behielten ihr Leben Nach Beendigung der Verfolgungen weigerten sich einige der Christen die das Leiden durchgemacht hatten diejenigen wieder aufzunehmen die nicht in die Kirche zuruumlckkehrten Donatus (gest 355 n Chr) hielt die von Geistlichen die Christus abgeschworen hatten verteilten Sakramente fuumlr unguumlltig Diejenigen die zustimmten die Donatisten hielten sie fuumlr die bdquowahre Kircheldquo da sie die einzigen waren welche die bdquowahren Sakramenterdquo behielten Die donatistische Kontroverse wurde nie wirklich beigelegt Es blieb ein Thema auch waumlhrend des 7 Jahrhunderts als das Christentum durch die muslimische In-vasion in Nordafrika endguumlltig zerstoumlrt wurde

664 Noel Lenski Constantine and the Cities Imperial Authority and Civic Politics (University of Pennsylvania Press 2016) p 80 See also Louis Duchesne Early History of the Christian Church Vol 2 (New York Longmans Green and Co 1920) pp 85-95

665 Ward Pictorial History of the Worldrsquos Great Religions (New York Gache Publishing Company 1965) p 72

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Christen die [unvoreingenommen] auf die absolute Autoritaumlt der Entscheidun-gen des [alten] Roumlmischen Konzils vertrauen dazu die Rolle Konstantins herun-terzuspielen Tatsache ist allerdings dass

[Kaiser] Konstantin den Vorsitz des Konzils von Nicaumla hatte Nicht nur den Vorsitz fuumlhrte er sondern uumlbte auch die letztinstanz-liche Autoritaumlt aus Heute wiederholen Millionen von Christen die Worte des Nicaumlnums das Credo diktiert an einem entscheidenden Punkt die Beziehungsessenz (des Wesens) des Vaters und des Soh-nes ndash es kam nicht durch bischoumlfliche Weisheit sondern durch ei-nen ungetauften Laien zustande666

Konstantin ein unverbesserlicher Taktiker hat die Taufe absichtlich kurz vor seinem Tod verschoben vielleicht um seine Herrschaft durch kriegerische und unmoralische Methoden weiter zu festigen Konstantin hatte 326 n Chr seine Frau (Fausta) und seinen eigenen Sohn (Crispus) ermorden lassen667 Seinen christlichen Glauben vernachlaumlssigte er nach dem Konzil von Nicaumla in klaumlglicher Weise Dies sollte in Betracht gezogen werden besonders im Hinblick auf seine Entschlossenheit keine Kosten zu scheuen um seine Ziele zu erreichen

Nichtsdestotrotz sollte unter der Leitung Konstantins dreihundert Jahre nach der Himmelfahrt Christi die erste Authorisierung der trinitarischen Prinzipien erfolgen Nicaumla bot nicht nur eine Startbasis fuumlr zukuumlnftige trinitarische Entwick-lungen sondern war auch der Anfang einer langen Periode von Auseinanderset-zungen die letztendlich die dogmatischen Spaltungen unserer heutigen Zeit her-vorbringen sollte

EinnachtraumlglicherBlickaufNicaumlaWeder die Arianer noch die Protoorthodoxen scheinen den wahren Glauben an den historischen Jesus angemessen repraumlsentiert zu haben (obwohl die subordi-nationistischen Arianer mit ihrer These noch am naumlchsten kamen) Sicherlich hatte sich keine der Parteien vollstaumlndig mit dem Judentum ausgesoumlhnt das dem Christentum vorangegangen war Es scheint jedoch dass waumlhrend die subordi-nationistischen Theologen die Unterscheidung zwischen dem Sohn und dem Va-ter aus der Schrift leicht beweisen konnten und die Athanasianer fuumlr Passagen argumentierten von denen sie glaubten dass sie die Wesenseinheit von Vater und Sohn suggerierten letztere die groumlszligten Schwierigkeiten hatten ihren Glau-ben mit dem [eindeutigen] biblischen Monotheismus in Einklang zu bringen

666 Ross R Holloway Constantine and Rome (New Haven Yale University Press 2004) p 15 667 Patrick Guthrie ldquoThe Execution of Crispusrdquo Phoenix 20 4 (Classical Association of Canada 1966)

pp 325ndash331

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Die Athanasianer stuumltzen sich jedoch auf eine bestimmte Passage im vierten Evangelium die bis heute haumlufig zitiert wird In Johannes 1030 erklaumlrt Christus bdquoDer Vater und ich sind einsrdquo Diese Aussage haben die Athanasianer so verstan-den dass die Einheit des Vaters und des Sohnes eine Einheit der Essenz oder der Natur war668 Offensichtlich hatten sie sich auf die Interpretationen Tertullians gestuumltzt der zuvor geschrieben hatte dass die Worte Christi bdquoauf eine Einheit der Substanz hinweisenrdquo669 Mit Johannes 1030 wollten sie sowohl die arianische als auch die sabellianische Position verurteilen Haumltte Jesus beabsichtigt mit dem Wort bdquoeinsrdquo zu sagen dass er und der Vater eine Person waumlren (wie es die Sabel-lianer lehrten) dann haumltte er zweifellos das singulaumlre maumlnnliche griechische Wort bdquoheisrdquo (eine Person) verwendet Jesus benutzte jedoch bdquohenrdquo was nur bdquoein Einzel-nesrdquo bedeutet Interessanterweise ist das Wort bdquoheisrdquo genau das mit dem Jesus in Markus 1229 Gott beschreibt - Gott ist bdquoeinsrdquo Gott ist also eine Person Den-noch setzten die Athanasianer Johannes 1030 damals als ihr bdquoFlaggschiffldquo ein Der an und fuumlr sich umwerfende Beweis fuumlr Jesu unitarischen Monotheismus ist vom Mainstream-Christentum auch bis heute nicht anerkannt worden

Natuumlrlich fanden die Arianer die athanasianische Exegese problematisch Sie ar-gumentierten gegen die bdquoEinheit der Substanzrdquo mit der Begruumlndung dass ihre Gegner die Passage nicht im Kontext oder die Verwendung der Sprache an an-derer Stelle im Evangelium betrachtet haumltten Sie wiesen darauf hin dass die Um-gebung von Johannes 1030 eine Erklaumlrung Christi ist dass sowohl er als auch der Vater fuumlr den Schutz der Schafe (die Glaumlubigen) verantwortlich sind Wenn er sagt bdquoIch und der Vater sind einsrdquo erklaumlrt er nur dass sowohl er als auch sein Vater einig sind im gemeinsamen Ziel die Herde zu erhalten Dieser Abschnitt koumlnnte leicht mit Johannes 1720-30 in Verbindung gebracht werden wo wir Je-sus finden der zu Gott betend darum bittet dass so wie er mit Gott eins ist auch seine Nachfolger eins seien bdquoDamit sie alle eins seien so wie du Vater in mir bist und ich in dir dass auch sie in uns sind damit die Welt glaubt dass du mich gesandt hastrdquo (Joh 1721) Indem Jesus immer wieder betete dass seine Juumlnger bdquoeins seien so wie wir eins sindrdquo (V 22) und dass sie auch bdquoeinsrdquo mit Jesus und seinem Vater sein wuumlrden (V 23) machte er deutlich dass die angestrebte Einheit als eine geistliche und nicht als eine substanzielle Angelegenheit zu verstehen sei

668 Athanasius Four Discourses Against the Arians Discourse III Ch 23 4 (Vier Diskurse gegen die

Arianer) 669 Siehe Tertullian Gegen Praxeas 25 bdquoJuumlngste Forschungen zur patristischen Exegese haben die Rolle

der griechisch-roumlmischen grammatikalischen Lesetechniken bei der Bestimmung der Bedeutung des bib-lischen Textes hervorgehoben Es uumlberrascht nicht dass christliche Exegeten die in diesen grammat-ikalischen Techniken ausgebildet wurden sie beim Lesen der Schrift anwendenrdquo (Mark DelCogliano ldquoThe Interpretation of John 1030 in the Third Centuryrdquo Journal of Theological Interpretation Vol XI (Winona Lake Eisenbrauns 2012) pp 118-119)

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Bis hierher scheint die arianische Argumentation solide zu sein Viele trinitarische Kommentatoren sind sich einig dass diese Sprache sicherlich eine Einheit des Zwecks widerspiegelt nicht die Bedeutung des Wesens der Substanz oder des Seins670 Sogar Johannes Calvin hat geschrieben dass

Die Urvaumlter nutzten [Johannes 1030] falsch um zu beweisen dass Christus vom gleichen Wesen mit dem Vater ist Denn Christus diskutiert nicht uumlber die Einheit der Substanz sondern uumlber die Vereinbarung die er mit dem Vater hat671

Der baptistische Theologe George R Beasley-Murray schreibt dass bdquovon fruumlhes-ter Zeit an beobachtet wurde dass Jesus sagte bdquoIch und der Vater sind einsrdquo (griechisch bdquohenrdquo) nicht bdquoheisrdquo dh einer in Aktion nicht persoumlnlichrdquo672 Viele Gelehrte stimmen uumlberein dass Jesus klar ausdruumlckte er und der Vater haben nur eine einheitliche Bestimmung673

Die unermuumldlichen Versuche der athanasischen Partei eine Uumlbereinstimmung ihres Dogmas von der gleichberechtigten Goumlttlichkeit des Sohnes mit dem Glau-ben der Hebraumler zu demonstrieren erwiesen sich als die haumlrteste aller Herausfor-derungen - sie befanden sich staumlndig am Rande vieler Goumltter Wie koumlnnten die Theologen tatsaumlchlich behaupten dass mehrere goumlttliche Individuen nicht meh-rere Gottheiten repraumlsentieren und dies ohne Vorbehalt Diese Angst bleibt un-ter den modernen Wissenschaftlern aktiv Der trinitarische Professor Shirley C Guthrie Jr offenbart die anhaltende Besorgnis erregende Wirkung seiner Tradi-tion

bdquoWenn wir sagen dass Gott wirklich in Jesus gegenwaumlrtig und am Werk ist wie koumlnnen wir dann vermeiden zu sagen dass es effektiv zwei Goumltter gibt - einen sbquoim Himmelrsquo und einen der hier auf Erden erschienen ist Das Neue Testament loumlst dieses Problem nichtrdquo674 Natuumlrlich konnte Professor Guthrie nicht nur die-

670 R V G Tasker Tyndale NT Commentaries John (Downerrsquos Grove IVP 1983) p 136 J N Sanders B

A Mastin The Gospel According to John (Randomhouse New Zealand 1968) p 258 J H Bernard A Critical and Exegetical Commentary on the Gospel According to St John (Edinburgh T amp T Clark 1928) pp 365-366 Kuschel Born Before All Time p 170 (Geboren vor aller Zeit)

671 Johannes Calvin Commentary on John John 1030 672 George R Beasley-Murray World Bibilical Commentary Vol 36 (New York Thomas Nelson 1999) p

174 673 Siehe Marianne Meye Thompson Dictionary of Jesus and the Gospels (Downerrsquos Grove IVP 1992)

p 378 Warren Carter John Storyteller Interpreter Evangelist ndash Johannes Geschichtenerzaumlhler Inter-pret Evangelist (Grand Rapids Baker Academic 2006) p 53 Gail R OrsquoDay New Interpreterrsquos Bible Vol IX (Nashville Abingdon Press 1996) p 677

674 Guthrie Christian Doctrine pp 78-80

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ses Problem nicht loumlsen sondern musste zudem erkennen dass das Neue Testa-ment das Problem uumlberhaupt nicht aufwirft denn er selbst sagt bdquoDie Lehre der Dreifaltigkeit ist nicht in der Bibel zu findenrdquo675

Um die Spannung der Athanasianer mit dem Monotheismus weiter zu erhoumlhen muss nicht nur der Sohn derselben Gottheit angehoumlren wie der Vater sondern auch eine dritte konsubstanzielle Person Viele der Subordinationisten dieser Aumlra glaubten auch an die reale Persoumlnlichkeit des Heiligen Geistes betrachteten ihn aber als ein eigenartiges Geschoumlpf auszligerhalb der Gottheit oder als eine Form des Erzengels Zu dieser Zeit standen jedoch langwierige Auseinandersetzungen uumlber die genaue Natur des geheimnisvollen Heiligen Geistes nicht im Vordergrund der Debatte Waumlhrend das Nicaumlnische Glaubensbekenntnis die Beziehung zwischen Vater und Sohn konkretisieren sollte wurde der Heilige Geist erst viel spaumlter zur Diskussion gestellt und bis zum ersten Konzil von Konstantinopel 381 n Chr wurde nichts uumlber den Geist bdquoentschiedenrdquo676 Tatsaumlchlich brachten Nicaumlas Glau-bensuumlberlegungen nichts Greifbares uumlber die Einheit von drei goumlttlichen bdquoPerso-nenrdquo des Trinitarismus hervor Die christliche Theologie brauchte mehr als ein halbes Jahrhundert weiterer Debatten und Entwicklungen um das gnostische und neoplatonische System zu modifizieren und zu sanktionieren in dem die Be-ziehung zwischen Vater Sohn und Heiligem Geist als eine Substanz (Ousia) und drei Personen (Hypostasen) beschrieben werden konnte wie dies heute der Fall ist Aber die erstrangige Tagesordnung in Nicaumla war die Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn

Athanasius persoumlnlicher Stil waumlhrend der gesamten Kontroverse war kuumlhn und aggressiv und brachte ihm oft Vorwuumlrfe der Aufhetzung und er wurde sogar des Mordes angeklagt677 Es war kein Geheimnis dass er sogar die Anwendung von Gewalt gegen diejenigen befuumlrwortete die er fuumlr die Kirche als gefaumlhrlich an-sah678 bdquoRuumlckblickendrdquo schreibt Griggs bdquowaumlre Athanasius eher wie sein Vorgaumln-ger [Alexander] dh versoumlhnlicher weniger ruumlcksichtslos und nicht zur Gewalt bereit gewesen gegen jeden der ihm nicht zustimmte haumltte er sein Exil vermeiden

675 Ebenso 676 Kelly p 88 677 Siehe Timothy D Barnes Athanasius and Constantius Theology and Politics in the Constantinian Empire (Cam-

bridge Harvard University Press 1993) (Athanasius und Konstantin Theologie und Politik im konstantinischen Imperium) Athanasius persoumlnliche Geschichte ist bestenfalls schmutzig Er wurde angeklagt nach dem Tod seines Vorgaumlngers in dessen Bistum eingedrungen zu sein einen heiligen Altar entweiht zu haben Getreide das der Kirche gehoumlrte von den Armen zu stehlen und es fuumlr persoumlnlichen Gewinn zu ver-kaufen und sogar Meinungsverschiedenheiten durch Mord zu unterdruumlcken Waumlhrend die Wahrheit hin-ter jeder dieser Anschuldigungen vielleicht nie bekannt ist besteht kein Zweifel daran dass Athanasius bei allen als aggressiver Aufwiegler bekannt war der mit allen notwendigen Mitteln Erfolg haben wollte

678 Roger E Olson The Story of Christian Theology (Wheaton IVP 1999) p 172

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koumlnnen Der sich nun ausweitende theologische Abgrund des vierten Jahrhun-derts haumltte sich vielleicht gar nie aufgetanrdquo679 Aber fuumlr Athanasius waren diejeni-gen die leugneten Christus sei der ewige Gott noch schlimmer als die Juden die Christus gekreuzigt hatten680 Athanasius konnte sich nicht vorstellen wie man jemals hoffen koumlnnte gerettet zu werden wenn man die Natur des goumlttlichen Er-loumlsers leugnete

Interessanterweise waumlhrend Athanasius sicherlich die lautstaumlrkste Person war und houmlchste Anspruumlche des Glaubens an seine Lehre stellte zeigte er oft eine seltsame Aufrichtigkeit vielleicht war sie ein Nebenprodukt seines jugendlichen Eifers Ein Historiker erzaumlhlt das so

Athanasius selbst hat offen gestanden dass wann immer er seinen Verstand bemuumlhte uumlber die Goumlttlichkeit des Logos zu meditieren seine beschwerlichen und dann vergeblichen Anstrengungen in sich zusammenfielen dass je mehr er nachdachte desto weniger er begriff und je mehr er schrieb desto weniger war er in der Lage seine Gedanken auszudruumlcken681

Trotz der vielen Erklaumlrungen und Analogien welche die Orthodoxie im Laufe der Jahrhunderte hervorgebracht hat um die raumltselhafte mentale Uumlbung des atha-nasianischen Glaubens zu entspannen raumlumt ein angesehener trinitarischer Pro-fessor ein dass es bdquokeine Moumlglichkeit gibt das Paradoxon zu uumlberwinden dass wir Gott sowohl als eine Person wie auch als eine Gesellschaft betrachten muumls-sen Es gibt einfach keine Moumlglichkeit im menschlichen Verstand dieses Para-doxon nachzuvollziehenrdquo682 Ebenso finden wir so beruumlhmte Denker wie Thomas Jefferson welcher die Studenten mit erfrischender Offenheit vor Atha-nasius verwirrender Beweisfuumlhrung warnte

Das athanasianische Paradoxon dass einer drei und drei einer sei ist fuumlr den menschlichen Verstand so unbegreiflich dass kein auf-richtiger Mensch sagen kann dass er eine Vorstellung davon hat und wie kann er glauben was keine Idee darstellt Wer das glaubt taumluscht sich nur selbst Er beweist auch dass der Mensch wenn er einmal seine Vernunft preisgibt keinen Schutz vor Absurditaumlten mehr hat und wie ein Schiff ohne Ruder jedem Wind ausgesetzt

679 Griggs p 138 680 Rubenstein p 9 681 Gibbon p 777 682 Richardson p 95

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ist [so uumlbernimmt ein Glaube] das Ruder aus der Hand der Ver-nunft und der Geist erleidet Schiffbruch683

Die griechischen Philosophen unterhielten und zelebrierten sicherlich die Unfauml-higkeit den transzendenten bdquoUnbekannten Gottrdquo perfekt zu verwirklichen Aber der Spielraum den die philosophische Gemeinschaft bot wurde nicht von den Athanasianern angeboten die versuchten die wechselhafte Neugierde der Schuuml-ler durch die Einfuumlhrung offizieller Glaubensbekenntnisse zu begrenzen Ob-wohl selbst Athanasius nicht vermochte die trinitarische Idee mental umzuset-zen wurde sie fuumlr das Christentum zum unanfechtbaren Gesetz

Waumlhrend die Arianer auf die Betrachtung der Sinnlosigkeit des unverstaumlndlichen Wesens des athanasianischen Systems pochten und weiterhin bdquodie Verwendung von Begriffen oder Definitionen ablehnten die in den Schriften nicht zu finden warenrdquo684 schienen sich die Athanasianer weniger bewusst gewesen zu sein dass sowohl eine rationale als auch eine textliche Qualifikation fuumlr ihr Dogma erfor-derlich waumlre Athanasius der an den alexandrinischen Schulen aufwuchs und gut ausgebildet wurde arbeitete mit einer so ausgepraumlgten mentalen Dehnbarkeit dass der houmlchste unberuumlhrbare und zugleich unverstaumlndliche Sinn fuumlr Mysterien der die Gnostiker stimuliert hatte ohne bewusste Wuumlrdigung geistlich akzeptiert wurde Tatsaumlchlich verstoumlszligt es gegen alle Richtlinien der menschlichen Vernunft dass der Christus in allen Belangen uumlber uns [Menschen] hinausgeht Wie koumlnnte er sonst voll guten Willens in den Sumpf des menschlichen Zustands hineinrei-chen und goumlttliches Wissen hinterlegen geschweige denn die Suumlnden seiner nie-deren hilflosen Juumlnger suumlhnen Seine Werke waren zu tiefgruumlndig seine Spruumlche zu anspruchsvoll seine Froumlmmigkeit auszligerordentlich und seine Charakterstaumlrke unbezwingbar um je von einem bdquobloszligen Menschenrdquo erreicht werden zu koumlnnen der Nazarener muss zwangslaumlufig Gott selbst gewesen sein auch wenn vollkom-men unerklaumlrbar ist auf welche Art und Weise

Ihre arianischen Gegner sahen die Dinge natuumlrlich ganz anders Jesus Christus hatte Gott gegenuumlber einen so inspirierenden und bedeutsamen Gehorsam ge-zeigt dass er auserwaumlhlt worden war (entweder vor der Schoumlpfung oder bei seiner Taufe) um Gottes Erloumlsungsplan fuumlr die Menschheit auszufuumlhren Durch seine treue Unterwerfung unter den Willen Gottes sogar bis hin zum letzten Opfer war ihm ein herrschaftlicher Status uumlber die ganze Schoumlpfung zugesagt worden Fuumlr einige hatte er sogar ein Anzeichen der bdquoGoumlttlichkeitrdquo obwohl seine Goumltt-lichkeit von seinem himmlischen Vater herruumlhrte und kleiner als die seines himm-lischen Vaters ist Durch die voumlllige Uumlbereinstimmung mit Gott die der Christus in seinem Leben bewiesen hat wurde er zum Vorbild fuumlr idealen Glauben und

683 Thomas Jefferson Letter to the theologian James Smith December 8 1822 684 Gibbon p 782

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Gerechtigkeit wobei sein Lohn der Unsterblichkeit fuumlr die ganze Menschheit er-reichbar wurde Ein Historiker fasst das Argument der Arianer fuumlr Christus zu-sammen

Aus arianischer Sicht war es wichtig dass Jesus nicht Gott ist denn der von Natur aus vollkommene Gott ist unnachahmlich Im Ge-gensatz dazu steht die transzendente Tugend Christi die durch wie-derholte Willenshandlungen erreicht wird dem Rest von uns (zu-mindest potenziell) zur Verfuumlgung Auch wenn wir hinter seinen makellosen Standards zuruumlckbleiben moumlgen zeigt uns sein Tri-umph uumlber den Egoismus wie auch wir Soumlhne und Toumlchter Gottes werden koumlnnen685

Dass Jesus eine Unterscheidung von Gottes alles uumlberragendem Anderssein auf-weisen muss war absolut unerlaumlsslich Wie koumlnnten die Menschen hoffen Chris-tus ihrem idealen Beispiel zu folgen ohne (selbst) allmaumlchtiger Gott zu sein Waumlhrend Christi uumlberlegene Kenntnis und Vertrautheit mit Gott und die beson-dere Natur seines Auftrags ihn sicherlich weit uumlber jedes andere Geschoumlpf hin-ausragen lieszligen war er dennoch ein Individuum dessen Kraft ja sogar dessen Existenz vollstaumlndig [von etwas Houmlherem] abgeleitet war Das arianische Verstaumlnd-nis von christlichem Zweck und Schicksal hing von diesem entscheidenden Punkt ab Welche wirkliche Hoffnung gab es fuumlr den Christen in Bezug auf das Leben das Christus lebte (1 Johannes 23-6) wenn er [der Christus] tatsaumlchlich der houmlchste Gott selbst waumlre Diese Reihe von Fragen hat das athanasianische Lager in Nicaumla stark beunruhigt

Wie koumlnnte ein allmaumlchtiger allwissender allguter Schoumlpfer Versu-chung erfahren Weisheit lernen und in der Tugend wachsen Wie koumlnnte er am Kreuz leiden und den Tod eines Menschen sterben Sicherlich als Jesus rief bdquoMein Gott mein Gott warum hast du mich verlassenrdquo da sprach er nicht mit sich selbst Als er zugab dass nie-mand den Tag und die Stunde des Gerichts kennt bdquonicht einmal die Engel des Himmels auch nicht der Sohn sondern nur der Vaterrdquo war er nicht nur bescheiden Und als er den Juumlngern sagte dass bdquoder Vater groumlszliger ist als ichrdquo meinte er genau was er sagte686

685 Rubenstein p 56 686 Ebenso p 8

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DiePolitikdesGlaubensZur Bestimmung des endguumlltigen Ergebnisses von Nicaumla moumlgen die Staumlrke der theologischen Argumente jeder Seite und die Debattierfaumlhigkeiten dazu beigetra-gen haben Aber wir muumlssen auch den unmittelbaren politischen Kontext beruumlck-sichtigen Nachdem er sich unlaumlngst den Weg zum houmlchsten Sitz der Macht in der vergaumlnglichen Welt erkaumlmpft hatte zeigte Kaiser Konstantin keine Lust seine Herrschaft durch den sektiererischen Streit seiner christlichen Untertanen ruinie-ren zu lassen Konstantin selbst aumluszligerte seine Befuumlrchtungen dass der Streit der Bischoumlfe in Bezug auf Jesus seine eigene goumlttliche Ernennung zum gewaumlhlten Herrscher der Welt untergraben koumlnnte Er sah sich als Gottes auserkorener Re-gent der Welt und schreibt

Ich halte es fuumlr absolut kontraumlr zum goumlttlichen Gesetz dass [Gott] solche Streitigkeiten und Auseinandersetzungen uumlbersehen wuumlrde wodurch die houmlchste Gottheit vielleicht nicht nur gegen die menschliche Rasse sondern auch gegen mich selbst aufge-bracht werden kann zu deren Sorge er durch seinen himmlischen Willen die Regierung aller irdischen Dinge verpflichtet hat687

Die einander bekriegenden Bischoumlfe mussten dazu gebracht werden sich in die eine oder andere Richtung zu vereinen und die Zeit draumlngte Als kluger Stratege bis zu seinem Tod plante Konstantin dieses Gleichgewicht zu erreichen indem er nicht nur ihren Konsens uumlber die Doktrin erzwang (wenn noumltig mit der Klinge des Schwertes) sondern die Kleriker auch unter seine persoumlnliche Aufsicht brachte Er uumlberhaumlufte die Bischoumlfe mit unglaublichem Reichtum und gab ihnen Ehrenaumlmter er gewaumlhrte ihnen und ihren Guumltern Steuerbefreiung688 Er fuumlhrte sie geschickt in Positionen der Abhaumlngigkeit von seiner Goumlnnerschaft und sich selbst in eine Lage aus der er - ohne ernsthaften Einwand zu fuumlrchten - Einfluss auf kirchliche Entscheidungen nehmen konnte Wie Bischof Hilarius von Poitiers gegenuumlber seinen Gefaumlhrten bemerkte bdquo[Konstantin] bringt dir keine Freiheit wenn er dich ins Gefaumlngnis wirft stattdessen behandelt er dich mit Respekt in seinem Palast und macht dich so zu seinem Sklavenrdquo689

687 Quoted in M Beard J North and S Price Religions of Rome Vol 1 (Cambridge 1998) p 367 688 bdquoNachdem Konstantin dem christlichen Klerus eine Steuerbefreiung gewaumlhrt hatte die schlieszliglich auch

Befreiungen fuumlr Kirchenlaumlnder umfasste war es unerlaumlsslich die Definition von sbquochristlichrsquo zu verschaumlrfen Dies erklaumlrt warum die Kaiser eine so groszlige Rolle bei der Bestimmung der Lehre spielten obwohl ihre Rollen unterschiedlich waren Einige wollten persoumlnliche Uumlberzeugungen aufzwingen an-dere waren mehr daran interessiert Formulierungen der Lehre zu finden um die ein Konsens gebildet werden konnte Bis zum Ende des Jahrhunderts setzten die Kaiser lehrmaumlszligige Loumlsungen durch die durch kaiserliche Erlasse gestuumltzt wurdenldquo (Freeman Closing of the Western Mind p 179)

689 Hilary On the New Status of Bishops Quoted by Freeman Closing of the Western Mind p 202

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Es laumlsst sich daruumlber streiten ob Konstantin ein persoumlnliches Interesse an den Lehren Jesu hatte oder nicht das Ziel der politischen Ordnung war immer der groumlszligte Motivationsfaktor Konstantins690 Viele spaumltere Christen haben das Er-gebnis von Nicaumla als einen praumlsidialen Akt mit goumlttlicher Sanktion fuumlr echte christliche Wahrheit gelobt wobei Martin Luther Nicaumla sogar als bdquodas heiligste aller Konzilerdquo bezeichnet hat691 Aber eine der wichtigsten jedoch weitgehend unbekannten Randnotizen der Kirchengeschichte ist die Tatsache dass als Kon-stantin sich in die Debatte einmischte er bereits zum Voraus wusste was er beabsich-tigte

Vor dem Konzil hatte sich Konstantins engster Berater Bischof Hosius mit Ale-xander und seinen Verbuumlndeten getroffen um ihren Sieg zu planen692 Die Aria-ner hatten den langen Weg durch Israel und Syrien genommen um zum Ort des Konzils zu gelangen aber Alexander reiste via die schnellere Route mit dem Schiff uumlbers Mittelmeer Bei seiner Ankunft verabredete er sich mit Hosius und sie einigten sich darauf eine Doktrin zu unterstuumltzen die Arius ins Exil schicken wuumlrde693 Fuumlr Hosius war klar dass Konstantin auf der Seite von Alexanders Par-tei stand zu dieser Haltung trug Konstantins offene Abneigung gegen das Juden-tum maszliggeblich bei Fuumlr Konstantin waren die Juden bdquoein feindseliges Volkrdquo und eine bdquoNation der Vatermoumlrderrdquo die bdquoihren Herrn getoumltet habenrdquo694 Der von den Athanasianern vorgeschlagene Gott bot sicherlich eine radikalere Trennung vom Judentum als jener der Arianer Konstantin war fruumlher vermutlich ein Anhaumlnger des roumlmischen Sol Invictus Kultes in welchem die Eingliederung vieler Gottheiten unter einen einzigen Sonnengott befuumlrwortet wurde Sol Invictus Konstantins bdquopersoumlnliche Schutzgottheitrdquo695 forderte foumlrmlich eine monotheistische Vereh-rung Rivalisierende Goumltter konnten bezwungen werden nicht durch die Auslouml-schung ihrer besonderen Art der Verehrung sondern durch ihre Unterwerfung unter Sol Invictus Die Popularitaumlt dieser Gottheit kennzeichnete eine neue Aumlra des Heidentums Das polytheistische Weltbild Roms hatte lange Zeit Toleranz gegenuumlber lokalen Gottheiten der Gebiete geuumlbt welche das Imperium erobert hatte Jetzt erlaubte es ihnen diese Divinitaumlten leichter in das roumlmische Pantheon

690 Durant stellt fest dass der Brief des Konstantin an Alexander und Arius in dem sie aufgefordert

werden ihren Lehrstreit aus den Ohren der Oumlffentlichkeit zu halten bdquoden Mangel Konstantins an The-ologie und den politischen Zweck seiner Religionspolitik offenbartrdquo (Will Durant The Story of Civilization Caesar and Christ (New York Simon amp Schuster 1944) p 659)

691 Gordon Rupp Lutherrsquos Progress to the Diet of Worms (New York Harper and Row Publishers 1964) p 66

692 Eusebius Life of Constantine 27-28 693 Photiosrsquo epitome of Philostorgiusrsquo Church History 1 7 694 Frend p 499 695 Elizabeth Marlowe ldquoFraming the Sun The Arch of Constantine and the Roman Cityscaperdquo The Art

Bulletin Vol 88 No 2 (College Art Association 2006) pp 223-242

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aufzunehmen696 Mit seiner Bestaumltigung begeisterte sich Konstantin fuumlr den Plan diesen Jesus Christus mit dem Houmlchsten Wesen zu identifizieren In der heidni-schen Welt hatten sich die Dinge bereits geaumlndert Der Monotheismus wurde schnell als nuumltzliches Instrument zur Festigung der kulturellen und politischen Macht [des Staates] erkannt und die radikale Verbreitung des Monotheismus des Christentums unter den roumlmischen Subjekten entging dem Kaiser sicherlich nicht697 Es mag argumentiert werden dass Konstantin der nur fuumlnf Jahre vor Nicaumla eine Muumlnze mit dem Praumlgedruck bdquoSOLI INVICTO COMITIrdquo [= Sol Invic-tus meinem Begleiter]698 in Umlauf gebracht hatte die eigentuumlmliche Marke des plu-ralistischen Monotheismus die von den Athanasianern praumlsentiert wurde als das beste Vehikel zur Zusammenfuumlhrung von Religion und Macht in seinem Reich wahrnahm Ein Historiker bemerkte folgendes

Die Caumlsaren hatten gewoumlhnlicherweise eine besondere Beziehung zu den Goumlttern gepflegt aber in dieser Zeit aumlnderte sich die Bedeu-tung einer solchen Froumlmmigkeit Das Vordringen christlicher Ideen war nur Teil einer groumlszligeren religioumlsen Revolution die wir mit unseren eigenen einfachen Vorstellungen vom Heidentum nicht er-klaumlren koumlnnen Es ist zum Beispiel bezeichnend dass Konstantins Muumlnzen seine Verehrung des unbesiegten Sonnengottes zum Aus-druck brachten Sol Invictus war bereits 274 n Chr in einer Pro-klamation des Kaisers Aurelian als bdquodie eine universelle Gottheit aner-kannt unter tausend Namenrdquo verstanden worden699

Die athanasianische Darstellung der maszliggebenden Identifikation Jesu mit der [houmlchsten] Gottheit erleichterte Konstantins Balanceakt zwischen der kaiserli-chen Tradition und seinen neu entdeckten christlichen Neigungen So kam es dass

[Konstantin] mit Hosius uumlbereinkam den Streit zu Bedingungen zu beenden die fuumlr die Athanasianer von Vorteil waren Die Frage war wie man dies bewerkstelligen konnte sodass die Bischoumlfe

696 Freeman Closing of the Western Mind p 57 697 bdquoIm zweiten Jahrhundert n Chr wurde es immer alltaumlglicher die goumlttliche Welt als einem einzigen

houmlchsten Gott unterworfen zu sehen wobei die anderen Goumltter entweder Manifestationen seiner Goumlt-tlichkeit oder kleinere Gottheiten waren Man kann sogar so weit gehen zu sagen dass ein Glaube an eine uumlbergeordnete Gottheit in dieser Zeit der am weitesten verbreitete Glaube der heidnischen Religion warldquo (Freeman p 69)

698 Ebenso p 160 699 James Carroll Constantinersquos Sword The Church and the Jews (New York Houghfton Mifflin Company

2002) pp 180-181 (Das Schwert Konstantins Die Kirche und die Juden) [Das Zeichen ndash hoc signo das Kon-stantin sah wird hier nicht als Kreuz sondern als Schwert gesehen Anm d Uuml]

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nicht von Nicaumla abreisten mit noch gravierenderen Spaltungen als diejenigen vor ihrer Ankunft700

Interessanterweise stellen wir fest dass waumlhrend der Debatte Eusebius von Cauml-sarea derselbe Bischof der urspruumlnglich auf der Seite von Arius in seinen an-faumlnglichen Kaumlmpfen mit Alexander gestanden hatte maszliggeblich an der Entwick-lung eines Glaubensbekenntnisses beteiligt war das sowohl fuumlr die Arianer als auch fuumlr die Athanasianer zunaumlchst akzeptabel schien Es wurde angenommen dass die Mehrdeutigkeit der Sprache des Glaubensbekenntnisses beiden Parteien entgegenkommen koumlnnte sofern sie [den Text] privat auf ihre eigene Weise in-terpretierten Es schien eine Zeit lang dass das Christentum in der Vielfalt in der es jahrhundertelang gediehen war unbegrenzt weitergehen koumlnnte Aber eine sol-che offene Schlussfolgerung war nicht das Ziel des Kaisers Der Glaube muss vollkommen vereint sein und aus der Sicht der Athanasianer mussten Arius und seine Verbuumlndeten beseitigt werden So schlug Konstantin persoumlnlich an einem kritischen Punkt dem Konzil vor das Wort bdquohomoousiosrdquo (bdquogleiche Substanzrdquo) anzunehmen um die Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn zu beschrei-ben Das Wort das Konstantin so prominent eingeworfen hatte war wie wir zuvor gesehen haben keineswegs ein biblischer Begriff oder gar eine Erfindung von Konstantin sondern bdquowar zuvor in der theologischen Sprache entstanden und tritt sogar bei Origenes und den Gnostikern aufrdquo701 Wie wir in Kapitel 3 entdeckten wurde die Verwendung von bdquohomoousiosrdquo tatsaumlchlich aus dem her-metischen gnostischen Traktat Poimandres [siehe auch Fuszlignote 351] hergeleitet In diesem ausdruumlcklich heidnischen Werk galt Nous der houmlchste Gott als kon-sistent mit seinem Sohn dem Logos der von ihm als Licht der Sonne ausgegan-gen war Auch hier ist dieses heidnische Werk der einzige Text der dieses Wort und Konzept so gezielt verwendet hat702

Doch wie konnte eine solche Definition die in der Schrift keine Grundlage hatte gegenuumlber den christlichen Bischoumlfen begruumlndet werden Konstantin identifi-zierte vor der Versammlung Jesus Christus als bdquoGott von Gottrdquo und bdquovon einer Substanz mit dem Vaterrdquo Es wurde auch aufgezeichnet dass er dabei eine ziem-lich auffallende heidnische Autoritaumlt heraufbeschworen habe als er sagte

Platon selbst erklaumlrte mit Wahrheit einen Gott der uumlber jede Es-senz erhaben ist aber zu ihm fuumlgte er auch eine zweite [Gottheit]

700 Rubenstein pp 71-72 701 Philip Schaff History of the Christian Church (Grand Rapids Eerdmans 1985) 3 628 702 Beatrice ldquoHomoousiosrdquo

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hinzu indem er sie als zwei unterschied obwohl beide eine Voll-kommenheit besaszligen und das Wesen der zweiten Gottheit das von der ersten ausgeht703

Konstantins Zitat von Platon als Rechtfertigung fuumlr die Etablierung der christli-chen Lehre sollte beunruhigend genug sein Aber war es wirklich Platon an den sich der Kaiser wandte Wir stellen fest dass Konstantin nicht nur das Wort bdquoho-moousiosrdquo sondern sogar eine philosophische Auslegung fuumlr seinen Gebrauch geliefert hatte704 Seine Erklaumlrung bdquohat jedoch offensichtlich keinerlei Bezug zu Platons wahrer Lehre Numenius duumlrfte auch keinen Einfluss auf Konstantins Rede ausgeuumlbt habenrdquo705 Sein Verstaumlndnis stammt eindeutig aus der gnostischen Tradition des Hermetismus Wie Beatrice verraumlt bdquoist der von Konstantin in Er-innerung gerufene Platon nur ein Name der zwar genau die aumlgyptische und her-metische Theologie der sbquoKonsubstanzialitaumltrsquo des Logos-Sohnes mit dem Nous-Vater abdecktrdquo706 doch wo hat Konstantin gelernt Platon so zu lesen Konstan-tins enger religioumlser Berater Lucius Lactantius [Laktanz] der in Kapitel 3 er-waumlhnte christliche Krypto-Gnostiker (siehe Fuszlignote 341) hatte Konstantin hier wahrscheinlich geholfen Beatrice postuliert dass bdquoin den Jahren des Ausbruchs des arianischen Streites Lactantius eine entscheidende Rolle bei der Beeinflussung von Konstantins hermetischer Interpretation der platonischen Theologie und da-mit der Entscheidung des Kaisers homoousios in das Glaubensbekenntnis von Nicaumla aufzunehmenrdquo gespielt haben koumlnnte707 So wurde das gnostische ja aus-gesprochen aumlgyptisch-heidnische Denken wieder einmal mehr als orthodoxes Christentum proklamiert der Moment war bezeichnend fuumlr die anhaltende christliche Praxis heidnische Philosophie als Vehikel fuumlr biblische Erklaumlrungen zu etablieren Es war auch symbolisch fuumlr den unglaublichen Einfluss den der Staat auf die Lehre in der Kirche auszuuumlben begann

Alexander Athanasius und ihre Verbuumlndeten stimmten Konstantins Einfuumlhrung von bdquohomoousiosrdquo zu Das taten auch Bischof Hosius und Eusebius von Caumlsarea die gezwungen waren ein neues Glaubensbekenntnis um das Wort herum zu

703 Eusebius Oration of Constantine 704 Eusebius erinnert sich bdquo[Konstantin] interpretierte [homoousios] nicht im Sinne der Zuneigung von

Koumlrpern noch als ob der Sohn vom Vater hervorgegangen waumlre auf dem Weg der Spaltung oder irgendeiner Trennung denn dafuumlr konnte die immaterielle intellektuelle und unkoumlrperliche Natur nicht Gegenstand einer koumlrperlichen Zuneigung sein sondern dass es uns gelang solche Dinge auf goumlttliche und unaussprechliche Weise zu verstehen Und das waren die theologischen Bemerkungen unseres weis-esten und religioumlsesten Kaisersldquo (Eusebius Life of Constantine 35)

705 Beatrice ldquoHomoousiosrdquo 706 Ebenso 707 Ebenso

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entwerfen Es gibt jedoch Hinweise darauf dass die Einfuumlhrung dieses gnosti-schen Begriffs durch den Kaiser nicht gut zu einer der Parteien passte Nach Konstantins Tod beim Konzil von Sardica im Jahre 343 n Chr entwarf Hosius ein neues Glaubensbekenntnis in welchem das Wort entfernt wurde Anti-Aria-ner beschwerten sich sogar daruumlber dass sie bdquounter dem Vorwand den Frieden zu bewahren zum Schweigen gebracht worden warenrdquo708 Wie Beatrice verraumlt bdquowar keiner von ihnen wirklich daran interessiert dieses neue Wort hinzuzufuumlgen bdquohomoousiosrdquo war in der Tat ein Fremdkoumlrper oder gar ein Stolperstein fuumlr alle Anwesenden des Konzils ohne Unterschied Arianer und Anti-Arianer Ge-rade deshalb verschwand es bald aus den folgenden Debattenrdquo709 Tatsaumlchlich hat Athanasius selbst der sich fuumlr die Wortwahl Konstantins in Nicaumla stark gemacht hatte den Begriff nach dem Ende des Konzils fuumlnfzehn Jahre lang nicht ein Mal benutzt

Warum hat das Konzil dann zugestimmt diesen verfehlten Begriff wieder aufle-ben zu lassen der sowohl die Athanasianer als auch die Arianer unangenehm beruumlhrte Zusaumltzlich zum offensichtlichen Druck vonseiten Konstantins war der dringende Wunsch vorhanden Arius politisch zu besiegen Arius hatte den Be-griff bdquohomoousiosrdquo in seinen eigenen Schriften persoumlnlich abgelehnt das Wort verband er ausdruumlcklich mit den Lehren der gnostischen Mani und von Valenti-nus710 Die Verankerung dieses Wortes im offiziellen Glaubensbekenntnis musste die Exilierung von Arius geradezu erzwingen Historiker sowohl der Antike als auch der Moderne sind zu dem Schluss gekommen dass eine Zustimmung ein bewusster Versuch war die Ablehnung von Arius oumlffentlich zu betonen711 Mit anderen Worten der Konsens wurde aus ebenso politischen wie aus theologi-schen Gruumlnden erreicht Natuumlrlich war die Macht Konstantins nicht zu ignorieren - dieser Begriff war der von ihm gewaumlhlte Rallyepunkt Wie ein Historiker er-kennt bdquoEs war unwahrscheinlich dass die Bischoumlfe die von der Schirmherr-schaft und Unterstuumltzung Konstantins dermaszligen abhaumlngig waren ihm haumltten wi-derstehen koumlnnen Das Ergebnis war eine enorme Mehrheit der Bischoumlfe fuumlr das neue Bekenntnisrdquo712

708 Ebenso Siehe Theodoret Church History 1 8 709 Beatrice ldquoHomoousiosrdquo Wie Konstantin hat auch Lactantius gelehrt das bdquoPlato uumlber einen ersten und

zweiten Gott sprach nicht als ein Philosoph sondern als sein Prophetrdquo (Ebenso) 710 See Hans-Georg Opitz ldquoUrkunden zur Geschichte des arianischen Streites 318-328rdquo Athanasius Werke

Vol 3 Pt 1 (Berlin and Leipzing W de Gruyter 1934-35) 21 711 Freeman Closing of the Western Mind p 168 Orthodox historian Photios in his Bibliotheca cites Philostor-

gius Church History Book 1 7 for notice of the political alliance against Arius formed just prior to the council (Zur Frage der politischen Allianz vorgaumlngig zum Konzil)

712 Freeman Closing of the Western Mind p 169

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Natuumlrlich wurde die Verwendung von bdquohomoousiosrdquo im Bekenntnis ndash wie zu erwarten war - mit dem ernsthaften Protest von Arius Sympathisanten beantwor-tet Die Arianer wiesen schnell darauf hin dass das Wort bereits im Jahr 268 n Chr vom angesehenen Konzil von Antiochia verboten worden sei Athanasius selbst war anscheinend ziemlich verwirrt von diesem Argument er wollte nicht den Eindruck erwecken die Menschen zu kritisieren die Paulus von Samosata in Antiochia verurteilt hatten aber er konnte es auch nicht abstreiten dass sie den Begriff den Konstantin nun zu verwenden versuchte mit dem Bann belegt hat-ten713 Athanasius einzige Moumlglichkeit bestand dann darin zu argumentieren dass der mit dem Bann [anathema] belegte Paulus von Samosata und die Befuumlrworter des neuen nicaumlnischen Credos den Begriff ldquohomoousiosrdquo in einem anderen Sinne verwenden muumlssten Doch wie Hanson feststellt bdquodie fast unloumlsbare Schwierig-keit war es festzulegen in welchem Sinne Paulus homoousios benutzterdquo714 Das Problem blieb bestehen Die Protoorthodoxen verurteilten Paulus von Samosata weiterhin als Ketzer doch benutzten sie die gleiche Sprache die zu seiner Ver-femung beitrug Dies brachte letztendlich bdquodiejenigen Theologen in erhebliche Verlegenheit welche die Aufnahme [des Wortes] in die offizielle Lehrformulie-rung fuumlr die Geschichte verteidigtenrdquo715 Ungeachtet aller Proteste wurde der Be-griff sozusagen als Markenzeichen im Nicaumlnischen Kodex verankert der schlieszlig-lich wenn auch unter Zwang von der Mehrheit der Versammlung vereinbart wurde Die offizielle Erklaumlrung [hier der Anfang] lautete

Ich glaube an den einen Gott den Vater den Allmaumlchtigen den Schoumlpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren Und an den einen Herrn Jesus Christus den Sohn Gottes der als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt ist Gott aus Gott Licht aus Licht wahrer Gott aus wahrem Gott gezeugt nicht geschaffen eines Wesens (homoousios) mit dem Vater716

Konstantin hatte zwei Gruumlnde weshalb er das oben erwaumlhnte Glaubensbekennt-nis in dieser Fassung niedergeschrieben haben wollte Er suchte nicht nur nach theologischem Konsens und Stabilitaumlt sondern versuchte auch das Christentum

713 Hanson p 192 714 Ebenso 715 Ebenso 716 Nicaumlnisches Glaubensbekenntnis 325 Hervorhebung hinzugefuumlgt siehe auch Athanasius Vertei-

digung der nicaumlnischen Definition 37 Spaumltere Fassungen werden die hinter dem Glaubensbekenntnis stehende Christologie deutlicher wiedergeben und in englischen Uumlbersetzungen wird anstelle von ein-fach bdquovom Vater gezeugtrdquo entweder bdquoewig gezeugtrdquo oder bdquovom Vater vor allen Welten gezeugtrdquo gelesen

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durch seinen ererbten heidnischen Hintergrund zu interpretieren Das Glaubens-bekenntnis sollte einerseits zwischen den christlichen Fraktionen vermitteln und uumlberdies zwischen der christlichen Religion dem Hermetismus und dem Kult von Sol Invictus eine Bruumlcke schlagen Unnoumltig zu sagen dass dies ein groszliger Wendepunkt war Der christliche Glaube wurde nun von einer weltlichen Macht vorgeschrieben Er wurde offiziell durch die Sprache der heidnischen gnosti-schen Betrachtungsweise auszligerhalb der biblischen Schriften beschrieben und ge-rechtfertigt Tatsaumlchlich bedeutete bdquodie Verwendung dieses Begriffs [homoou-sios] in einem Glaubensbekenntnis dass die Teilnehmer am Konzil von Nicaumla nach 325 n Chr andere Dogmen verkuumlnden konnten die in der Schrift keine Grundlage haben und es auch tatenrdquo717 Diese beispiellose Determinierung machte Arius und seine Gefaumlhrten umgehend zu Haumlretikern Sie wurden prompt ihrer Aumlmter enthoben und ins Exil geschickt Obwohl siebzehn Bischoumlfe anwe-send waren die sich auf die Seite von Arius stellten erlitten nur sechs das Exil mit ihm waumlhrend die anderen elf halbherzig zustimmten bdquonur mit der Hand nicht mit dem Herzenrdquo die Nicaumlnische Erklaumlrung zu unterschreiben718 Ruben-stein schreibt

Dass Konstantin Druck ausgeuumlbt hat ist unbestreitbar Die ver-haumlngten Exilurteile gegen die Hardliner unter den Arianern de-monstriert die Konsequenz sich Konstantin wiedersetzt zu haben In dem Maszlige in dem die Bischoumlfe vorgaben das Glaubensbe-kenntnis von Nicaumla unter Zwang unterzeichnet zu haben fuumlhlten sie sich spaumlter berechtigt ihre Unterschriften zu bdquoerlaumluernrdquo719

Ungeachtet des wahren persoumlnlichen Glaubens der Bischoumlfe wurde eine Heraus-forderung der so genannten Homoousianer im Roumlmischen Reich (vorerst) nicht geduldet Der Kaiser selbst erlieszlig ein offizielles Edikt und verkuumlndete

Wenn irgendeine von Arius verfasste Schrift gefunden wird muss sie den Flammen uumlbergeben werden damit nicht nur die Bosheit dieser Lehre ausgeloumlscht wird sondern auch nichts mehr uumlbrig bleibt um jemanden an ihn [Arius] zu erinnern Und hiermit erlasse

717 Ben H Swett State Church of the Roman Empire 7 May 1998 Web 15 December 2014

lthttpbswettcom1998-05Church300htmlgt 718 Philip R Amidon The Church History of Rufinus of Aquileia 10 11 (London OUP 1997) p 13 719 Rubenstein p 83 Im Brief von Eusebius von Caumlsarea an seine verwirrten Anhaumlnger zu der Frage

warum er und andere arianische Sympathisanten das Glaubensbekenntnis uumlberhaupt unterschrieben haumlt-ten erklaumlrte er dass sie in der Lage seien die Einschraumlnkungen auf eine Weise kreativ zu interpretieren die ihren Glauben nicht tangierte Zum Beispiel fuumlhlte er sich in der Lage der Verurteilung der Aussage bdquoDer Sohn existierte nicht bevor er gezeugtgeboren wurderdquo durch das Konzil nachzuvollziehen sie seien sich alle einig gewesen dass der Sohn nicht existierte bis er nach dem Fleisch gezeugtgeboren wurde Siehe Theodoret Church History 1 12 See also Gelasius Church History 2 35

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ich eine oumlffentliche Verfuumlgung dass wenn jemand entdeckt wer-den sollte der eine von Arius verfasste Schrift versteckt und sie nicht sofort hervorbringt um sie durch Feuer zu vernichten seine Strafe der Tod sein wird Sobald er dieser Straftat uumlberfuumlhrt wird verurteile man ihn zur Todesstrafe720

So wurden die Schriften des Arius zerstoumlrt und jeder der sich nicht an die Glau-bensformeln des Konzils hielt wurde hart verfolgt Dies war ein markanter Wen-depunkt Zum ersten Mal stellte sich der Staat hinter eine [religioumlse] Doktrin Wie zu erwarten war folgte nichts weniger als eine Zeit der Repression und des Chaos Ironischerweise lautete Konstantins eigenes Dekret [eine Vereinbarung] zur reli-gioumlsen Toleranz das er nur zwoumllf Jahre zuvor 313 n Chr in Mailand erlassen hatte

Unser Ziel ist es sowohl den Christen als auch allen anderen die volle Autoritaumlt zu erteilen der Anbetung zu folgen die jede Person gewuumlnscht hat keiner Person die ihren Verstand entweder dem Kult der Christen gewidmet hat oder einer Religion die ihr per-soumlnlich am geeignetsten erscheint sollte etwas anderes als kom-plette Toleranz gezeigt werden Christen koumlnnen von diesem Mo-ment an frei und bedingungslos fortfahren ihren Glauben ohne Belaumlstigung oder Unruhe zu beobachten721

Die Weisheit dieses Ediktes wurde nach Nicaumla beiseitegelegt mit katastrophalen Folgen Nicht nur die Arianer wurden verfolgt sondern auch alle anderen Chris-ten die sich nicht fuumlr die neue Theologie einsetzten Konstantin beschlagnahmte ihr Land schloss ihre Kirchen und verbot ihre Versammlungen insbesondere verbot er zwischen 325 und 326 n Chr die Valentinianer die Markioniten die Paulianisten (Unitarier Nachfolger des Paulus von Samosata) und die Montanis-ten (Tertullians Gruppe)722 Auf diese Weise wurden die langjaumlhrigen Rivalen der proto-orthodoxen Fraktion durch den Staat systematisch geschwaumlcht Die alter-nativen Auslegungen der Bibel lieszligen sich durch bischoumlfliche Uumlberzeugungen keinesfalls unguumlltig erklaumlren doch diese Gruppen wurden einfach durch den Staat gesetzlich zur Unterwerfung gezwungen Auch wenn sich Konstantins Wuumlrge-griff der Theologie [nach dem Konzil] nicht lange hielt war Nicaumla fuumlr die Ortho-doxie nur der Anfang der Geburtswehen

720 Athanasius De Decretis 39 Socrates Church History 1 9 30 Gelasius Church History 2

36 1 721 ldquoEdict of Milanrdquo in R H Bainton Early Christianity (Princeton SVN Co 1960) p 160 722 Lenski p 80

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DieNicaumlnischeHaumlresieObwohl fuumlr Konstantin bdquohomoousiosrdquo eine spezifische hermetische Bedeutung hatte war die Kirche nun gezwungen zu versuchen sie in einem nicht-gnosti-schen Sinne zu interpretieren Trotz Konstantins Zwang zu einem politischen Konsens uumlber das Credo war das Hauptproblem der neuen Normen die Tatsache dass es noch keinen echten theologischen Konsens daruumlber gab wie man sie verste-hen sollte So oumlffneten die nicaumlnischen Anhaumlnger obwohl sie behaupteten die richtigen theologischen Anforderungen der Orthodoxie darzulegen unabsichtlich den Weg zur Annahme der verhassten sabellianischen Ketzerei und vielleicht so-gar das Tor zu ihrer eigenen Verurteilung durch spaumltere orthodoxe Konzile

Am Ende der urspruumlnglichen Fassung des nicaumlnischen Credos wurde eine Reihe von Anathemas oder verdammenden Bannbullen gegen ketzerische Ansichten angebracht Verurteilt wurde offensichtlich die Sichtweise des Arius in Bezug auf den in der Zeit geschaffenen Sohn aber seltsamerweise gab es auch eine Verur-teilung derer bdquodie sagen dass der Sohn aus irgendeiner anderen Hypostase oder Ousia als der des Vaters existierterdquo723 Moderne Versionen des Glaubensbekennt-nisses haben diesen Teil inzwischen gestrichen Man kann leicht verstehen wa-rum Der Zweck des nicaumlnischen Credos war es ja den Vater und den Sohn mit derselben bdquoOusiardquo und derselben bdquoHypostaserdquo zu verbinden Dies wurde fuumlr die Orthodoxie sofort zu einem Problem Sie haumllt die Behauptung der doktrinaumlren Kontinuitaumlt aufrecht Nach dem Konzil von Konstantinopel (381 n Chr) wurde hingegen erklaumlrt dass Vater und Sohn ausdruumlcklich nicht die gleiche bdquoHypostaserdquo sind Und das athanasianische Glaubensbekenntnis (um 500 n Chr) verkuumlndete ebenfalls dass bdquoes eine Hypostase des Vaters und eine andere des Sohnes und eine andere des Heiligen Geistes gibtrdquo und dass wenn bdquojemand sagt dass es nur eine Hypostase gibt er fuumlr ewig untergehenrdquo wuumlrde So scheint das nicaumlnische Credo streng nach der jeweiligen Sprache zu schlieszligen eine bdquosabellianischerdquo Sichtweise zu zeigen (dass Gott eine Substanz und eine Hypostase in mehreren Modi ist) So gesehen widersprachen und verurteilen sich das athanasische [und das sabelliani-sche] Glaubensbekenntnis und umgekehrt Wie ein Kleriker schreibt

Ich kann nicht anders als zu sagen dass es seltsam ist diese beiden Glaubensbekenntnisse in derselben Kirche ansiedeln zu wollen in einem davon diejenigen zu verfluchen die den Sohn leugnen bdquodie gleiche Ousia oder Hypostase des Vatersrdquo zu haben und in einem

723 Die urspruumlnglichen drei Anathemas lesen sich bdquoAber diejenigen die sagen sbquoEs gab eine Zeit in der der

Sohn nicht da warrsquo und sbquoin der es ihn nicht gab bevor er geboren wurdersquo oder in der es heiszligt sbquoer wurde aus dem Nichts geborenrsquo oder in der es heiszligt sbquoer existierte aus einer anderen Hypostase oder Ousia als dem Vaterrsquo oder er wurde geschaffen oder war der Nachahmung oder Veraumlnderung unterworfen - die Heilige Katholische Kirche anathematisiertrdquo (Nicaumlnisches Bekenntnis zitiert von Robert Clayton Bischof Clayton uumlber die Nicaumlnischen und Athanasianischen Credi) (Dublin Hodges Foster amp Col 1876) pp 25-26)

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anderen zu erklaumlren dass bdquoniemand gerettet werden kann wenn er nicht verkuumlndet dass es eine Hypostase des Vaters eine andere des Sohnes und eine weitere des Heiligen Geistes gibtrdquo724

Wie erklaumlren die heutigen Verteidiger von Nicaumla diese Diskrepanzen Es wird uumlblicherweise angenommen dass das Wort bdquoHypostaserdquo nicht bdquoPersonrdquo bedeu-tete wie es spaumlter in Konstantinopel 381 n Chr der Fall sein wuumlrde725 Tatsaumlch-lich haben wir bereits im Kapitel 3 gesehen wie Christen in den ersten Jahrhun-derten die bdquoHypostaserdquo als Synonym fuumlr bdquoOusiardquo (Substanz) verwendeten Indem sie sagten dass der Vater und der Sohn die gleiche bdquoHypostaserdquo haumltten betonten die Bischoumlfe wahrscheinlich erneut den Punkt dass der Vater und der Sohn von der gleichen bdquoOusiardquo waumlren Tatsaumlchlich scheint es augenfaumlllig dass in der Peri-ode von Nicaumla bdquoHypostaserdquo die [eindeutig] gnostische Bedeutung von bdquoPersonrdquo noch nicht angenommen hatte

Wie seine eigenen Schriften zeigen interpretierte Athanasius die Sprache des Cre-dos offensichtlich so dass bdquoHypostaserdquo gleichbedeutend mit bdquoOusiardquo sei726 Er verlangte dies auch nicht vom Sabellianismus Aber sicher ist dass es beim Konzil von Nicaumla einige befuumlrwortende Mitglieder gab welche die Sprache auf sabellia-nische Weise auslegten weshalb mehrere der anwesenden Bischoumlfe kein Problem damit hatten die Glaubenserklaumlrung zu unterzeichnen727 Aber wenn eine sabel-lianische Theologie uumlberhaupt nicht das ist was das Glaubensbekenntnis fuumlr Athanasius und die anderen Bischoumlfe bedeutete muumlssen wir uns fragen ob das nicaumlnische Credo nicht aufgrund eines groszligen Missverstaumlndnisses unter seinen Unterstuumltzern ratifiziert wurde Waren Alexander und Athanasius so sehr darauf erpicht den Begriff homoousios [im Text] zu installieren nur um ihren Feind Arius zu verstoszligen Haben sie gegenuumlber jeder Zweideutigkeit im Bekenntnis die Augen verschlossen nur um die notwendigen Stimmen fuumlr die Genehmigung zu erhalten Nachdem das verwirrende Konzil beendet war

gelangte die Mehrheit der Bischoumlfe des Ostens zur Einsicht dass sie etwas unterschrieben hatten fuumlr das sie nicht im Geringsten be-absichtigt hatten ihre Unterschrift zu geben als sie nach Nicaumla gin-gen es wurde deutlich dass das Wort [homoousios] immer noch

724 Ebenso p 26 (Thanks to Carlos Xavier at httpthehumanjesusorg for this source) 725 Fuumlr eine entgegengesetzte Ansicht siehe Philipp Schaffs Erinnerung an George Bulls Argument dass

die Woumlrter Hypostase und Ousia in Nicaumla nicht dasselbe bedeuteten Der Beweis scheint jedoch uumlberwaumlltigend dass die beiden Ausdruumlcke synonym verwendet wurden

726 See Hanson The Search for the Christian Doctrine of God p 445 (Die Suche nach der christlichen Doktrin uumlber Gott)

727 Zum Beispiel bdquowussten die Bischoumlfe dass Marcellus von Ancyra die Worte [homoousios] am Konzil im sabellianischen Sinne akzeptiert haben musste und er setzte sich immer noch fuumlr seine Lehren einrdquo (R V Sellers Eustathius of Antioch and His Place in Early Christian Doctrine (Cambridge CUP 1928) p 31)

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die Tuumlr fuumlr den entgegengesetzten Irrtum des Sabellianismus offen lieszlig728

Athanasius selbst der eigentliche Sieger des Konzils von Nicaumla bewies seine ei-gene Vorsicht gegenuumlber seiner juumlngsten Errungenschaft indem er jahrzehnte-lang die Worte bdquoHypostasisrdquo und bdquohomoousiosrdquo nicht einmal verwendete729 War ihm nur allzu bewusst wie prekaumlr die Situation wirklich war Zeigte seine Zu-ruumlckhaltung dass er selbst bdquonoch nicht zu einer starken Position gelangt istrdquo730 Es war offensichtlich dass seine neu gepraumlgte Orthodoxie gefaumlhrlich auf einem Drehpunkt wippte Auf der einen Seite schwebte sie uumlber der gefuumlrchteten Ket-zerei des Sabellianismus und auf der anderen Seite uumlber dem Arianismus oder noch schlimmer dem Polytheismus dem Vielgoumltterglauben Es war ein Balance-akt den Athanasius so lange aufrechterhielt wie er nur konnte Aber jetzt in der unmittelbaren Folge von Nicaumla ging es darum Jesus Christus als bdquoGottrdquo (was auch immer das bedeutete) zu verankern sowie Arius und seine Verbuumlndeten zu besiegen

Im Endeffekt vollbrachte Nicaumla nichts fuumlr die christliche Theologie Im schlimmsten Fall produzierte das Konzil ein Glaubensbekenntnis das spaumlter als ketzerisch angesehen wurde Im besten Fall gab es ein Glaubensbekenntnis das uumlberhaupt nichts bedeutete Der Vater und der Sohn wurden als bdquohomoousiosrdquo erklaumlrt ohne Hoffnung auf eine [theologische] Sanktion Die Absicht und das Ziel waren durch dieses Konzil eine klare Grenze zwischen Orthodoxie und Ket-zerei zu ziehen Doch diese Grenze wurde mehr denn je verwischt Wie Ruben-stein so treffend abschlieszligt bdquoKonsens zu erreichen war genau das was Konstan-tin zwar dachte in Nicaumla erreicht zu haben aber die scheinbare Einheit die sich dort manifestierte erwies sich als reine Illusionrdquo731

728 Ebenso p 31 729 Athanasius erste Verteidigung der bdquohomoousiosrdquo erfolgte nicht vor dem Werk De Decretis um 353 n

Chr Er vermied das Wort bdquohypostasisrdquo so weit es moumlglich war und nachdem er sein Werk Tomus ad Antichenos 362 n Chr geschrieben hatte betrachtete Athanasius bdquohypostasisrdquo als ein Synonym fuumlr bdquoou-siardquo Siehe Lewis Ayres ldquoAthanasiusrsquo Initial Defense of the Term homoousios Rereading the De De-cretisrdquo Journal of Early Christian Studies Vol 12 No 3 (John Hopkins University Press 2004) pp 337-359

730 Griggs p 172 731 Rubenstein p 181

Bekenntnisse und Chaos

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CredoundChaosDasRingenumdieTrinitaumlt

derPost-NicaumlnischenChristenheit

bdquoVerfolgung ist in keiner Religion ein Ori-ginalmerkmal aber sie ist immer das stark ausgepraumlgte Merkmal in allen gesetzlich festgelegten Religionenrdquo

mdash Thomas Paine

INER DER BISCHOumlFE DIE SICH GEWEIGERT HATTEN das Nicaumlnische Glaubensbekenntnis zu unterzeichnen soll Eusebius von Ni-komedien zugerufen haben bdquoEusebius du hast nur zugestimmt um das

Exil zu vermeiden So wahr Gott mein Zeuge ist du wirst meinetwegen verbannt werdenrdquo Drei Monate nach dem Konzil bereuten Eusebius und mehrere seiner Verbuumlndeten dass sie sich dem Bekenntnis uumlberhaupt angeschlossen hatten und gingen zum Kaiser um reumuumltig ein Gestaumlndnis abzulegen Sie gaben Konstantin gegenuumlber zu bdquoWir haben uns unanstaumlndig verhalten Eure Majestaumlt indem wir uns aus Angst vor Euch der Ketzerei verschrieben habenrdquo Die Prophezeiung erfuumlllte sich Wuumltend verbannte sie Konstantin umgehend nach Gallien (dem mo-dernen Frankreich)732

Doch nachdem drei volle Jahre vergangen waren verfuumlgte Konstantin dass Eu-sebius und den anderen im Exil lebenden Arianern ermoumlglicht werde zuruumlckzu-kehren Sie taten dies doch mit Rache im Sinn Nach ihrer Ruumlckkehr beriefen sie

732 Nicetas Choniates Treasury of Orthodoxy 5 7-9 See also Photiosrsquo epitome of Philostorgiusrsquo Church His-

tory 2 7-7b

E

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ein Konzil von 250 Bischoumlfen in Nikomedien ein (die gleiche Zahl die am Konzil von Nicaumla teilgenommen hatte) Unglaublich schnell schloss das Verfahren mit der erfolgreichen Absetzung und Exkommunikation von Bischof Alexander und allen anderen die beim vorangegangenen Konzil von Nicaumla die homoousianische Lehre bekundet hatten733 Dies war gelinde gesagt eine Veraumlnderung der drama-tischen Art Die bdquoArianerrdquo die Nicaumla angeblich ausgemerzt hatte fanden sich wieder an der Macht Wie sich der heilige Hieronymus so beruumlhmt erinnern wuumlrde war es eine Zeit in der bdquodie ganze Welt aufbegehrte und erstaunt war dass sie ploumltzlich arianisch warrdquo734 Aber wie war eine solche Kehrtwende moumlg-lich wenn das Nicaumlnum ja nur verkoumlrperte was die Christenheit bereits glaubte Koumlnnte es sein dass die eigentliche Innovation Nicaumla war

NicaumlawirdumgestoszligenMitte des vierten Jahrhunderts war die Mehrheit der nicaumlnischen Anhaumlnger ihres Amtes enthoben worden und die eindringlichsten Proklamationen des Konzils wurden wiederholt von anderen groszligen Konzilen der Kirche aufs Schaumlrfste ver-urteilt Wie Freeman bemerkt bdquoTraditionell wurde diese Umkehrung meistens als Vergeltung von frustrierten Arianern angesehen aber das ist ein viel zu simples Urteilrdquo Offensichtlich fuumlhlten sich sehr viele Christen trotz der kaiserlichen Macht hinter Nicaumla bdquowegen der Niederlage des Subordinationismus sehr un-wohlrdquo735

In dieser Zeit entschieden sich sogar die Konzile die Arius selbst nicht besonders freundlich gesinnt waren viele seiner Uumlberzeugungen anzunehmen und das Nicaumlnum abzulehnen So praumlsentierte beispielsweise das Konzil von Antiochia im Jahr 341 n Chr an dem etwa hundert Bischoumlfe und Kaiser Konstantinus II teilnahmen mehrere Bekenntnisse die alle die Sprache der bdquoHomoousierdquo ablehn-ten als Ersatz fuumlr die nicaumlnische Theologie Auf nationaler Ebene verteidigten die Bischoumlfe uumlberdies die aumlltere Herkunft der subordinationistischen Ansichten gegen die Anspruumlche ihrer Gegner Athanasius hatte es sich persoumlnlich zur Auf-gabe gemacht seine Gegner abfaumlllig als bdquoArianerrdquo zu bezeichnen in der Hoff-nung ihren subordinationistischen Glauben nicht nur als die juumlngste Neuerung abzutun sondern die Kontrahenten uumlberdies zu beleidigen Aber die neue Erklauml-rung die beim Konzil von Antiochia abgegeben wurde lautete

733 Ebenso 734 Hieronymus Adversus Luciferianos 19 735 Freeman Closing of the Western Mind p 170

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Wir waren weder Anhaumlnger des Arius (denn wie sollen wir die wir Bischoumlfe sind einem Presbyter folgen) noch haben wir eine an-dere Form des Glaubens akzeptiert als die die von Anfang an fest-gelegt worden war736

Die Bekenntnisse aus Antiochia haben nicht nur die bdquoHomoousierdquo weggelassen sondern auch den Rest der muumlhseligen und verwirrenden Sprache der Kleriker Nicaumlas worin erklaumlrt wird dass Jesus bdquowahrer Gott vom wahren Gottrdquo sei die Aussage wurde im antiochischen Bekenntnis zu einem mehrdeutigeren bdquoGott von Gottrdquo umgeschrieben737 Die Subordinationisten hatten offenbar kein Prob-lem mit dieser Version Schlieszliglich hatten die ihnen vorangegangenen subordina-tionistischen Christen wie Justin der Maumlrtyrer und Irenaumlus in ihren eigenen Schrif-ten Jesus auch schon als bdquoGottrdquo bezeichnet wenn auch in einem sekundaumlren oder abgeleiteten Sinn

Eines der bedeutendsten Konzile in den Jahren nach Nicaumla das Konzil von Ri-mini-Seleucia im Jahre 359 n Chr sollte den Bemuumlhungen der nicaumlnischen Un-terstuumltzer einen empfindlichen Schlag versetzen In der Katholischen Enzyklo-paumldie heiszligt es dass bdquodieses Konzil eine unerwartete Niederlage der Orthodo-xierdquo738 darstellte da die Bischoumlfe ein weiteres Glaubensbekenntnis hervorbrach-ten das die Definition bdquohomoousiosrdquo bewusst ablehnte weil diese ebenso ver-wirrend wie nicht biblisch sei739 Heute moumlgen die Christen uumlber diese mehrmalige Abkehr von Nicaumla uumlberrascht sein aber in Wirklichkeit waren bdquonur wenige der Unterzeichner von Nicaumla mit dem Glaubensbekenntnis voumlllig zufrieden gewesen insbesondere mit der Verwendung des Begriffs der Wesensgleichheit (homoou-sios) der schon zuvor bei fruumlheren Synoden in Antiochia zuruumlckgewiesen worden war (im Jahre 264 268) Dies [diese Definition] widerspiegelte einfach nicht die neutestamentliche Unterscheidung zwischen Vater und Sohnrdquo740

In Rimini-Seleucia versammelten sich uumlber fuumlnfhundert Bischoumlfe die mit ihrer Anwesenheit die nicaumlnische Beteiligung von etwa zweihundertfuumlnfzig Personen anzahlmaumlszligig in den Schatten stellten Vielen Christen ist unbekannt dass

nur eine handvoll westlicher Kirchenmaumlnner nach Nicaumla kamen Das Konzil von Nicaumla war also nicht universell Dennoch gilt es

736 First Creed of Antioch 341 CE quoted in Hanson p 285 737 Hanson p 284 738 Umberto Benigni ldquoCouncil of Riminirdquo Catholic Encyclopedia 2009 Web 18 November

2013 739 Gwynn p 94 740 J Warren Smith ldquoThe Fourth Century Fathersrdquo Oxford Handbook of the Trinity (Oxford OUP 2011)

p 111

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uumlberall als das erste oumlkumenische (oder universelle) Konzil der Ka-tholischen Kirche Mehrere spaumltere Konzile waren repraumlsentativer fuumlr die gesamte Kirche eines davon das gemeinsame Konzil von Rimini-Seleucia (359 n Chr) wurde von mehr als fuumlnfhundert Bi-schoumlfen aus Ost und West besucht Wenn irgendeine Versamm-lung den Titel bdquooumlkumenischrdquo verdient haumltte scheint dieses Konzil sich am ehesten zu qualifizieren aber das Ergebnis - die Annahme eines arianischen Glaubensbekenntnisses - wurde in der Folge von der Kirche zuruumlckgewiesen Konzile deren Konstrukte spaumlter ebenso als unorthodox eingestuft wurden verloren nicht nur das bdquooumlkumenischerdquo Label sondern verschwanden faktisch aus der of-fiziellen Kirchengeschichte Dass Nicaumla nicht ebenso verschwand ist weitgehend das Resultat der Annahme des Nicaumlnums durch das Konzil dessen angepasste Version heute von Christen auf der gan-zen Welt rezitiert wird741

Eine Sache die Rimini-Seleucia aus heutiger Sicht zeigt ist die Verzerrung der Geschichte Wieviele Christen sind sich heutzutage uumlberhaupt bewusst dass es weit mehr als sieben (oder je nach Tradition neun) Konzilien der Katholischen Kirche gab Wie bereits gesagt bdquo Geschichte wird von den Eroberern geschrie-benrdquo742 und die Kirchengeschichte macht hier keine Ausnahme Trotz der mo-dernen Mainstream-Apologeten die lauthals erklaumlren dass bdquodas Konzil von Nicaumla die groszlige haumlretische Herausforderung an den christlichen Glauben die [durch] den ketzerischen Arius gestellt wurde beigelegt hatrdquo743 war dies nicht der Fall Das Gegenteil trifft zu Was dort geschrieben wurde ist von vielen christli-chen Synoden die sich durch die Auswirkungen [des Nicaumlnums] unwohl fuumlhlten in der Folge in Frage gestellt und abgelehnt worden Tatsaumlchlich wurde an einem weiteren Konzil in Konstantinopel im Jahr 360 n Chr der Begriff bdquohomoousiosrdquo erneut aufs Schaumlrfste als unbiblisch verurteilt744 Es ist naheliegend dass dieses Konzil von Konstantinopel im Jahr 360 n Chr heute kaum mehr Erwaumlhnung findet Demgegenuumlber wird das naumlchste Konzil das 381 n Chr in derselben Stadt

741 Rubenstein p 75 742 Das treffende Zitat wird oft Sir Winston Churchill zugeschrieben aber die Quelle ist unsicher 743 Ein Zeitstrahl der Kirchengeschichte unabhaumlngige Antiochisch orthodoxe christliche Erzdioumlzese

Nordamerikas 2013 Web 18 November 2013 lthttpwwwantiochianorg orthodox-church-his-torygt

744 Das neue Credo lautete bdquoAber da der Begriff ousia [Substanz oder Essenz] der vom Volk nicht verstanden wurde ein Stein des Anstoszliges war haben wir es fuumlr richtig gehalten ihn abzulehnen da er auch in den heiligen Schriften nicht enthalten ist und dass in Zukunft keine Erwaumlhnung davon erfolgen sollte da die Heilige Schrift nirgendwo die Substanz des Vaters und des Sohnes erwaumlhnt Auch die sbquoExistenzrsquo des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes soll nicht mehr genannt werdenrdquo (Zenosrsquo Translation of Scholasticus Church History 2 41)

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abgehalten wurde und das anerkannterweise die trinitarische Lehre festigte heute gemeinhin als bdquodas Erste Konzil von Konstantinopelrdquo bezeichnet vielleicht in dem Bestreben die Existenz des wirklich ersten Konzils und seiner Aussagen zu verbergen

Aber selbst eine oberflaumlchliche Untersuchung der fortschreitenden Entwicklung der Lehre durch die Konzile zeigt dass in Nicaumla tatsaumlchlich sehr wenig getan wurde um die grundlegenden Wahrheiten des Glaubens zu vervollstaumlndigen Wie selbst der trinitarische Basil Studer erkennt bdquohatte die nicaumlnische Synode die ent-scheidenden Fragen noch nicht beantwortetrdquo745 Anstatt das Christentum zu ver-einen hatte Nicaumla tatsaumlchlich einen Feuersturm der Teilung entfacht der sich in einem lang andauernden Machtkampf manifestierte Im Nachhinein gesehen hatte Konstantins geniale Loumlsung tatsaumlchlich bdquoder Einheit der Kirche einen schweren Schlag versetztrdquo746 Auch die Reihe von Konzilien in den folgenden Jahrhunderten schien die Dinge nie wirklich zu regeln sondern brachte nur zu-saumltzliche Zweifel Fragen und Trennungen hervor

Eine besondere Problematik welche eine Loumlsung dieser Streitigkeiten nahezu verunmoumlglichte war die Verwendung identischer Begriffe mit unterschiedlichen Bedeutungen je nach der streitenden Partei Die Sprache veraumlnderte sich unver-sehens in ihrer Bedeutung von Konzil zu Konzil Die im lateinischsprachigen Westen und im griechischsprachigen Osten unterschiedlichen Wortverbindungen verschlimmerten das Problem zusaumltzlich Gotteslaumlsterer des einen Tages waren ploumltzlich die Huumlter der Wahrheit des naumlchsten747 Sollten uns solche Streitereien wirklich als bdquoarianische Kontroverserdquo glaubhaft gemacht werden als ob es ir-gendwelche neuen Erkenntnisse von Arius gegeben haumltte die fuumlr die Aussonde-rung (oder Neudefinition) der christlichen Lehre uumlber Gott auf diese chaotische Weise verantwortlich waren Oder vielleicht wie Hanson meint koumlnnte die Aumlra besser als bdquoeine [blinde] Suche im Nebel eine Situation in der ortsunkundige

745 Basil Studer Trinity and Incarnation The Faith of the Early Church (Minnesota TampT Clark Ltd 1993)

p 107 (Trinitaumlt und Inkarnation Der Glaube der Fruumlhkirche) 746 Durant Caesar and Christ p 660 747 bdquoDie Schluumlsselbegriffe wie ousia homoousios hypostasis und logos entwickelten sich in einem nichtchrist-

lichen Kontext (doch selbst hier mit einer unsicheren Bedeutung) Sie lieszligen sich nicht leicht umformu-lieren um bestimmte christliche Themen wie die genaue Natur Jesu und seine Beziehung zu Gott dem Vater zu behandeln Die Formulierung dieser Begriffe in zwei Sprachen Latein und Griechisch da es keine strikte Aumlquivalenz zwischen ihnen gab erschwerte die Situation zusaumltzlich Lateinische Theologen uumlbersetzten die griechische Ousia als Hypostasis sbquoPersoumlnlichkeitrsquo Waumlhrend die Griechen von una sub-stantia sprachen im Sinne einer goumlttlichen Substanz (in dem sich die verschiedenen Persoumlnlichkeiten der Dreifaltigkeit befinden koumlnnten) schien es auf Griechisch so als ob sie bestaumltigten dass es nur eine Hypostase fuumlr die drei Personen der Dreifaltigkeit gaumlbe und in der Tat predigten sie das was kurze Zeit spaumlter [der SabellialismusModalismus] Haumlresie genannt wurderdquo (Freeman Closing of the Western Mind pp 179-180)

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Armeen nachts aufeinander treffenrdquo angesehen werden748 Natuumlrlich wuumlrde die Lehrmeinung die sich schlieszliglich durchsetzte fuumlr die Nachwelt systematisch ein veraumlndertes Bild zeichnen In Vergangenheit und Gegenwart haben Verfechter von Nicaumla versucht die Geschichte neu zu faumlrben als ob diese bdquoOrthodoxierdquo schon immer existiert haumltte und wie wenn der fragliche Streit nur eine beharrliche Verteidigung des etablierten Glaubens gegen neue und gravierende Irrtuumlmer ge-wesen waumlre Aber es sollte inzwischen klar geworden sein dass dies nicht der Fall war Wenn die Antworten auf die Fragen des sich immer weiter entwickelnden trinitarischen Glaubens von Anfang an klar gewesen waumlren warum hat dann die Debatte uumlber das Grundprinzip mehr als sechzig Jahre angedauert Warum erfor-derte die Kontroverse das Eingreifen mehrerer roumlmischer Kaiser Hanson be-merkt auch bdquoDie [angebliche] Verteidigung der etablierten und allgemein be-kannten Orthodoxie kann unmoumlglich [allein] fuumlr eine derart weit verbreitete und anhaltende Verwirrung verantwortlich gemacht werdenrdquo749

DieSubordinationimReichIn den Jahren unmittelbar nach Nicaumla finden wir keine einheitliche Religion die nach einer siegreichen bdquoVerteidigung der Wahrheitldquo ruht sondern eher das Span-nungsfeld eines parteipolitischen Gerangels Zu einem Zeitpunkt wurden die A-rianer ins Exil geschickt um im naumlchsten durch persoumlnliche Briefe von Kaiser Konstantin wieder in Amt und Wuumlrde eingesetzt zu werden750 Offensichtlich als die offiziellen Verlautbarungen nicht die angestrebte Einheit erbrachten die Konstantin in seinem Reich erwartet hatte begann er seine Haltung gegenuumlber den Arianern ploumltzlich zu aumlndern Der Kaiser der vor nicht allzu langer Zeit die Loumlschung aller arianischen Spuren in seinem Land unter Androhung der Todes-strafe angeordnet hatte war nun bereit sich wieder an alles zu erinnern Er un-ternahm das Notwendige um den Umfang dessen zu erweitern was in Bezug auf die Einhaltung der Glaubensbekenntnisse akzeptabel war Es ging ihm jedoch nur darum seine Ziele der Vereinigung [des Reiches] zu foumlrdern Der unredliche Einsatz von Verboten Verbannungen und Buchverbrennungen der in diesem Zirkus der politischen Manoumlver sowohl des Kaisers wie auch der Bischoumlfe statt-fand war aus rein theologischer Sicht wenig sinnvoll machten aber umso mehr Sinn wenn die Bestimmung der christlichen Wahrheit nicht das einzige Ziel die-ser Aktivitaumlten war Nach den heftigen politischen Folgen wurde schnell klar dass Nicaumla in der Tat nichts anderes als ein fadenscheiniger Vorwand war der von den

748 Hanson Search for the Christian Doctrine p xviii (Die Suche nach der Christlichen Doktrin) 749 Ebenso p xix 750 Al Vasiliev ldquoThe Empire from Constantine the Great to Justinianrdquo History of the Byzantine Empire 1928

Web May 2012 lthttpwwwelloposnetelpenorvasiliefarianism-council-nicaeaaspgt (Das Reich von Konstantin dem Grossenan bis zu Justinian Geschichte des Byzantinischen Reiches)

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Bischoumlfen in ihrem Wunsch dem Kaiser zu gefallen und die Einheit des Glau-bens quasi wiederherzustellen erfunden wurde751

Arius selbst obschon 325 n Chr offiziell zum Ketzer erklaumlrt wurde zehn Jahre spaumlter bei der Ersten Synode von Tyrus freigesprochen752 Es ist fast unvorstell-bar aber wahr dass der Diakon Athanasius der so unermuumldlich daran gearbeitet hatte Arius zu verbannen von der Ersten Synode von Tyrus selber mit dem Bann belegt wurde Der hitzkoumlpfige Athanasius wurde wegen Misshandlung von Aria-nern und Meletianern einer weiteren Gruppe die durch Nicaumlas Dekrete ausge-schlossen worden war oumlffentlich angeklagt Es haumluften sich andere dubiose An-schuldigungen gegen Athanasius wie zB die Beeintraumlchtigung von Getreidelie-ferungen aus Aumlgypten von Weizen der eigentlich fuumlr Bauern bestimmt war Konstantin der ein persoumlnlicher Anhaumlnger von Athanasius war und von dem wir annehmen dass er alles getan haumltte um es zu vermeiden sah sich gezwungen Athanasius ins Exil zu schicken753 Spaumlter wurde Athanasius wieder eingesetzt aber nur um von verschiedenen Konzilen vier weitere Bannbullen zu erhalten Es wurde ihm vorgeworfen sowohl ein ketzerischer als auch ein skrupelloser Mensch zu sein Zu den Konzilen die ihn verurteilten gehoumlrten die beruumlhmten Konzile von Mailand (300 Bischoumlfe) und Arminium (550 Bischoumlfe) Das letztere war das groumlszligte Konzilstreffen aller Zeiten

Nachdem sie Arius 335 v Chr vom Vorwurf der Ketzerei freigesprochen hatte setzte sich die Kirche dafuumlr ein den Mann innerhalb eines Jahres zur Kommu-nion zuruumlckzubringen Aber waumlhrend Arius zu dieser Wiedervereinigung unter-wegs war wurde er ploumltzlich in verdaumlchtiger Weise schwer krank Er starb so wird es von seinen Verleumdern festgehalten unter schrecklichen Qualen als Folge eines Blutergusses im Darm Froumlhlich erklaumlrten es seine Feinde als einen Akt houmlherer Gewalt wegen Arius Ketzerei haumltte Gott auf uumlbernatuumlrliche Weise dafuumlr gesorgt dass er nicht wieder in die Kirche eintreten konnte754 Seine Freunde und einige Historiker glaubten allerdings dass er wahrscheinlich vergif-tet wurde755 Obwohl Kaiser Konstantin seine Meinung vor seinem Tod geaumlndert hatte wurde Arius fast ein halbes Jahrhundert spaumlter beim Ersten Konzil von Konstantinopel im Jahre 381 posthum erneut zum Ketzer gestempelt

751 Rubenstein pp 103-104 752 Socrates Church History Book 1 Ch 33 753 Timothy D Barnes Athanasius and Constantius Theology and Politics in the Constantinian Empire (Cambridge

Harvard University Press 1993) p 37 754 Socrates ldquoThe Death of Ariusrdquo Church History Web 2 May 2012 lthttpwwwccelorgccelschaffnpnf202iiivxxxviiihtmlgt 755 S M Hopkins ldquoThe Death of Ariusrdquo The Biblical Repository (London John Wiley 1850) p 66ff William

Smith A Dictionary of Greek and Roman Biography and Mythology (London John Murray 1880) p 347 Gibbon Decline and Fall (New York Fed DeFau amp Co 1906) p 366

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Trotz des fruumlhen Todes von Arius im Jahr 336 n Chr sollte der Arianismus mit Nachdruck in das Reich zuruumlckkehren um die Konstantinische Aumlra abzuschlie-szligen Bei all den Streitigkeiten die Konstantin uumlber den Arianismus gefuumlhrt hatte entschied sich der Kaiser sein eigenes Leben auf eine ziemlich eigenartige Weise zu beenden Als er dem Tode nahe war lieszlig er sich von einem arianischen Bi-schof Eusebius von Nikomedien taufen756 Wie wir gesehen haben hatte Euse-bius Arius in Nicaumla energisch verteidigt und war deshalb kurz nach dem Konzil selber in die Verbannung geschickt worden Aber nach seiner Ruumlckkehr aus dem Exil 329 n Chr hatte Eusebius die meisten seiner nicaumlnischen Gegner aus dem Amt vertrieben In der Gesellschaft fand ein erstaunlicher Sinneswandel statt Eusebius gewann groszligen Einfluss auf die Familie Konstantins Er genoss auszliger-gewoumlhnliche Gunst bei Konstantins Sohn der auf seinen Vater folgen und als Kaiser mit einer offen arianischen Gesinnung regieren sollte Es war eine seltsame Wendung der Ereignisse dass Eusebius genau den Mann Konstantin I taufen sollte der seinen Glauben zuvor verboten hatte 337 n Chr zum Zeitpunkt dieser Taufe schien das nicaumlnische Bekenntnis bereits tot und vergessen zu sein wie Freeman feststellt bdquoGemessen an dem was Konstantin urspruumlnglich zu erreichen gehofft hatte kann es sogar als Misserfolg bezeichnet werden Waumlren die Prob-leme in den 350er Jahren nicht wiederbelebt worden haumltte das Konzil vielleicht nicht mehr als eine Fuszlignote in der Geschichte verursachtrdquo757

In der folgenden Aumlra wurde die Kontrolle uumlber das nachnicaumlnische Roumlmische Reich jahrzehntelang rau zwischen den Lagern der Arianer und Athanasianern hin und her gerissen Sogar die roumlmischen Kaiser Konstantin II (337-361 n Chr) und Valens (364-378 n Chr) waren bekennende Arianer und beide hielten aria-nische Konzile ab Sie verabschiedeten mehrere subordinationistische Dekrete gegen jene kirchlichen Obrigkeiten die in Nicaumla die Ansicht vertraten dass der Vater und der Sohn wesensgleich [konsubstanziell] seien758 Aber die Aumlra der uumlberwiegend arianischen Vorherrschaft sollte nicht ewig andauern

DerGlaubederjuumldischenChristenhaumlltanWie bereits erwaumlhnt ist festzustellen dass die als Nazarener bekannte Sekte juumldi-scher Christen und die mit ihnen verbundenen Ebioniten tatsaumlchlich bis ins vierte Jahrhundert uumlberlebten759 Es ist gut dokumentiert dass die prominentesten The-ologen arianischer Gesinnung wenigstens dem Anschein nach den Glauben der Ur-Christen aus dem Judentum naumlmlich die Unterscheidung und Subordination

756 Hans A Pohlsander Emperor Constantine (London Routledge 2004) p 104 757 Freeman Closing of the Western Mind p 171 758 Jean Guitton Great Heresies and Church Councils (New York Harper amp Row 1965) p 86 759 Epiphanius Panarion 29 54 and 56

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Christi unter Gott den Vater erkennbar bewahrt hatten Allerdings unterhielten die meisten von ihnen auch eine bedeutende Beziehung zur griechischen Philo-sophie Die Prauml-Existenz des Sohnes als Engelswesen und seine menschliche In-karnation waren der augenfaumllligste Bruch zwischen den Arianern und der alten Jerusalemer Tradition Wir stellen jedoch fest dass die Christologie der fruumlhen Nazarener von einigen der bdquoheidnischenldquo Vaumlter noch immer aufrechterhalten wurde selbst waumlhrend dem erschuumltternden Trauma der postnicaumlnischen Streitig-keiten

Laut Eusebius schrieb der orthodoxe krypto-gnostische Clemens von Alexandria gegen das bdquoJudaisierenrdquo unter den Christen was bdquobeweist dass das juumldische Christentum zu Beginn des dritten Jahrhunderts noch eine Bedrohung warrdquo760 Wir wissen nicht genau wie weit die Christologie der juumldischen Christen in dieser Zeit tatsaumlchlich verbreitet war Die Geschichte insbesondere die antike Historie hat eine eigenartige Tendenz Dinge zusammenzufassen Eines der Probleme auf das der moderne Historiker stoumlszligt ist die nachhaltige Wirkung der Verfolgungen von Ketzern und ihrer Literatur der Glaube dieser verfolgten Theologen muss nun aus den Vorurteilen und verdammenden Zusammenfassungen ihrer Feinde herausgezogen und zusammengesetzt werden Trotz aller Widerstaumlnde sind von einigen ordentliche Aufzeichnungen erhalten geblieben Sie zeigen das Fortbeste-hen des unitarischen Christentums von Jerusalem waumlhrend der heidnischen Aumlra

Wahrscheinlich finden wir in Paulus von Samosata dem Bischof von Antiochia (260-272 n Chr) Beweise fuumlr einen solchen [unitarischen] Glauben Noch heute diskutieren Wissenschaftler die Einzelheiten seiner Lehre insbesondere die ei-gene Verwendung des umstrittenen Wortes bdquohomoousiosrdquo zur Beschreibung des Logos761 Aber eines ist klar Paulus von Samosata lehrte dass der Logos keine andere Person sondern nur eine unpersoumlnliche goumlttliche Tugend war die dem Menschen Jesus innewohnte762 Ungeachtet des Verstaumlndnisses oder der Miss-verstaumlndnisse seiner unmittelbaren Gegner ist man sich im Allgemeinen einig

760 Segal ldquoJewish Christianityrdquo p 338 761 Paulus von Samostata scheint dennoch durch platonische und gnostische Terminologie belastet zu sein

Er argumentierte dass der Logos zwar keine eigenstaumlndige Person ist die Jesus bewohnte aber irgend-wie ein Prinzip bdquokonsubstanziellrdquo mit Gott war Man koumlnnte also sagen dass man fuumlr Paulus den Vater und den bewohnten Jesus so beschreiben koumlnnte dass er in gewisser Weise bdquodie gleiche Substanzrdquo hat Wie wir gesehen haben wurde dieser Begriff bdquohomoousiosrdquo 269 n Chr als ketzerisch verboten aber in Nicaumla als orthodox erklaumlrt

762 Paulus soll bdquodas eine vom anderen den Vater und den Sohn viel zu sehr getrennt haben er betrachtete den Logos als eine unpersoumlnliche Tugend Gottes rdquo In Jesus sah er nur einen Menschen der vom Logos durchdrungen war der zwar auf wundersame Weise von einer Jungfrau geboren wurde aber dennoch bloszlig ein Mensch war und nicht Gottmensch Der Logos hatte in dem Menschen Jesus nicht persoumlnlich sondern in Qualitaumlt als Tugend oder Macht gewohnt Paulus von Samosata lehrte weiter dass wie bdquoder Logos keine Person ist so ist auch der Heilige Geist nur eine goumlttliche Tugend unper-

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dass Paulus Jesus als den Messias den wahrhaft menschlichen Sohn Gottes an-erkannt und Gott selbst als eine einzige Person aufrechterhalten hat763 Obwohl Paulus von seinen alten Kritikern beschuldigt wurde Christus zu einem bdquobloszligen Menschenrdquo zu erniedrigen 764 bekannte er dass Jesus auf einzigartige Weise von einer Jungfrau geboren worden sei Des Weiteren dass er indem er frei von Suumlnde blieb und die Suumlnde uumlberwand bei seiner Taufe in besonderer Weise vom Logos (oder von der Vernunft beziehungsweise von der Macht Gottes) bewohnt und danach zur houmlchsten Wuumlrde zur Rechten Gottes erhoben worden sei Er lehrte ferner dass derselbe Logos von Gott Mose und den anderen Propheten innewohnte aber dass derselbe Logos [von Gott] Jesus mehr Energie als allen anderen Menschen vor ihm gab765 die Einheit zwischen Logos und Christus sah Paulus von Samosata lediglich als eine innige Einheit des Willens

Mit dem Antrag Paulus von Samosata exkommunizieren zu lassen unterzeich-neten nur sechzehn Bischoumlfe die Verurteilung Als seine Gegner ihn nicht aus seinem Amt verdraumlngen konnten riefen sie kurzerhand die Macht des Staates an So trat tatsaumlchlich im dritten Jahrhundert eine weltliche Regierung auf den Plan um zum ersten Mal in der Geschichte eine kircheninterne Angelegenheit zu re-geln Der roumlmische Kaiser Aurelian unterstuumltzte die armseligen Bemuumlhungen der Gegner des Paulus und befahl ihn seines Amtes zu entheben und zu verban-nen766 um Zwietracht in seinem Reich zu beseitigen Anhaumlnger des Paulus manchmal als Paulianisten bezeichnet blieben offensichtlich bis ins vierte Jahr-hundert bestehen Ihr Glaube beschreibt der Historiker Philip Schaff sogar als bdquowie den der Socinianerrdquo767 (moderne biblische Unitarier) Die Mitglieder dieser

soumlnlich dem Vater gehoumlrend rdquo (Charles Joseph Hefele A History of the Christian Councils From the Orig-inal Documents (Charles Joseph Hefele A History of the Christian Councils From the Original Documents (Edin-burgh T amp T Clark 1894) Book II Ch 2 9)

763 Henry Chadwick The Early Church (New York Penguin Books 1967) p 114 Kelly Early Christian Doctrines pp 117-119 Schaff History of the Christian Church Vol 2 p 575

764 Mark M Mattison ldquoBiblical Unitarianism from the Early Church Through the Middle Agesrdquo A Journal from the Radical Reformation Vol 1 No 2 (Atlanta 1992) p 9 (Biblischer Unitarianismus von der Fruumlhkirche an bis ins Mittelalter Journal der Radikalen Reformation)

765 Sicherlich ist in diesem Argument die eigene Erklaumlrung Christi uumlber die einzigartige Qualifikation seines Dienstes in Johannes 334 zu verwenden bdquoDenn wen Gott gesandt hat spricht die Worte Gottes denn er gibt den Geist ohne Maszligrdquo oder bdquoohne Grenzerdquo (NIV) Obwohl andere wie Mose (nach Paulusrsquo Ar-gument) von Gott bewohnt worden waren war der Grad in dem Jesus bewohnt wurde einzigartig Wir koumlnnten auch auf Kol 29 verweisen um dies weiter zu unterstuumltzen bdquoDenn in ihm wohnt die ganze Fuumllle der leiblichen Gottheitrdquo (KJV) [Denn in ihm wohnt die ganze Fuumllle der Gottheit leibhaftig ELB] Es sei auch darauf hingewiesen dass die Apostel sagen dass bdquowir alle von seiner Fuumllle empfangen habenrdquo (Joh 116) und sogar alle Juumlnger auffordert werden bdquoTeilhaber an der goumlttlichen Natur zu werdenrdquo (2 Petr 14) Es erscheint daher zur Verteidigung des Paulus von Samosata vernuumlnftig dass diese Inne-wohnung der Gottheit der goumlttlichen Natur in Christus nicht unbedingt eine goumlttliche persoumlnliche Inkarnation (Menschwerdung) ist

766 Priestley Works p 506 767 Ebenso

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Gruppe waren im Jahre 325 gezwungen sich von den Kanonikern des Konzils von Nicaumla erneut taufen zu lassen768 Aber andere Gruppen im Reich hielten wei-terhin an der gleichen Theologie fest

Die Erinnerung an einen anderen unitarischen Christen Photinus den Galater der waumlhrend der arianischen Kontroverse aktiv war ist in dieser Hinsicht bemer-kenswert Photinus der 376 n Chr starb war Bischof der bedeutenden Stadt Sirmium einer der bdquovier Hauptstaumldterdquo des Roumlmischen Reiches769 Der mutige und erfolgreiche Dienst des Photinus beweist dass die Bloszlig-Mensch-Christologie und der unitarische Monotheismus die beide von den Nazarener-Christen im ersten Jahrhundert praktiziert wurden die duumlsteren Turbulenzen der postnicaumlnischen Geschichte nicht nur irgendwie uumlberdauert sondern sich sogar einer wachsen-den Beliebtheit erfreut haben Der unitarische Photinus wurde durch die Synode von Serdika 343 n Chr als Bischof gewaumlhlt achtzehn Jahre nach den Proklama-tionen von Nicaumla770 So finden wir mehrere Jahrzehnte bevor dann das maumlchtige Konzil von Rimini-Seleucia die Homoousie oumlkumenisch umgedreht hat eine be-harrliche bdquoBasisbewegungrdquo in einer der groumlszligten Staumldte des Reiches die auffallend an denselben Glauben der juumldischen Ur-Christen erinnert Der beruumlhmte Kir-chenhistoriker Hieronymus nennt Photinus sogar explizit einen bdquoEbionitenrdquo Diese Meinung verbindet ihn direkt mit den Juden-Christen welche in der Heili-gen Stadt die Tradition der Apostel uumlbernommen hatten771 Wie sie war Photinus am beruumlhmtesten dafuumlr die Einheit Gottes zu predigen und die Prauml-Existenz Inkarnation und Gottheit Jesu zu negieren Ein Historiker schreibt dass Photinus bdquoanerkannt hat dass es einen einzigen Allmaumlchtigen Gott gibt durch dessen ei-genes Wort alle Dinge geschaffen wurden Er wollte aber nicht zugeben dass die Zeugung und Existenz des Sohnes vor allen Zeiten war im Gegenteil er behaup-tete dass Christus seine Existenz von Maria ableiteterdquo772 Obwohl keine von Pho-tinus eigenen Schriften erhalten geblieben ist werden seine Lehren von allen be-ruumlhmten Kirchenhistorikern erwaumlhnt darunter Hilarius von Poitiers Sokrates Scholastikos Ambrosiaster Ambrosius von Mailand Augustinus von Hippo Jo-hannes Cassianus Hieronymus Sulpicius Severus und Vigilus von Thapsus Diese Beweislage mag zusaumltzlich zur Leistung der bemerkenswerten photinischen

768 Schaff Roberts Donaldson Coxe Nicene and Post-Nicene Fathers Series II Vol IV Discourse II (Grand

Rapids Eerdmans 1885) pp 42-43 769 Sirmium lag in der Provinz Pannonien und war mit 100000 Einwohnern eine der groumlszligten

Staumldte des Reiches Als Standort eines kaiserlichen Palastes wurde sie von antiken Historikern bdquodie glorreiche Mutter der Staumldterdquo genannt Heute heiszligt die Stadt Sremska Mitrovica in Ser-bien

770 Ebenso 771 Henry Palmer Chapman ldquoPhotinusrdquo Catholic Encyclopedia Vol 12 1913 Web 14 November 2014 772 Sozomen Church History 4 6

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Bewegung beitragen Die erwaumlhnten Historiker haben aufgezeichnet dass Photi-nus den Logos einfach als Gottes Weisheit betrachtete ein persoumlnliches Attribut des singulaumlren monotheistischen Vaters nicht woumlrtlich als eine vorexistente Per-son Wie die Nazarener glaubte Photinus an die jungfraumluliche Geburt773 Waumlh-rend Jesus vor der Schoumlpfung sicherlich in Gottes Weisheit und Plan vorbestimmt (praumldestiniert) war wurden die biblischen Schriften wie Daniel als eine propheti-sche Rede vom Messias angesehen bdquonicht als eine Beschreibung des [bereits] existierenden Sohnesrdquo774 Natuumlrlich machten einige seiner Zeitgenossen die den nicaumlnischen Grundsatz aufrechterhielten Photinus Vorwuumlrfe und behaupteten dass er Christus entehre indem er jede Prauml-Existenz oder die angeborene Goumltt-lichkeit verneine Als Antwort an seine Kritiker appellierte Photinus wiederholt an die Schrift um zu zeigen dass Jesus in der Tat kein bdquogewoumlhnlicherrdquo Mensch sondern ein uumlbernatuumlrlich gezeugter goumlttlich inspirierter Vermittler mit mensch-licher Natur war Wegen seiner ultimativen Hingabe an Gott und seiner Ver-pflichtung gegenuumlber der goumlttlichen Absicht (Logos) wurde er zur rechten Hand Gottes erhoben Hanson erinnert sich an Photinus staumlndigen Appell an das bib-lische Zeugnis

Jeder in der Antike beschuldigt Photinus Christus auf einen bloszligen Menschen zu reduzieren der von Gott angenommen wurde dh die Vereinigung zwischen Logos und Mensch war nur eine Ange-legenheit von Inspiration und moralischer Uumlbereinstimmung Ambrosius erzaumlhlt uns dass Photinus zwei Lieblingstexte hatte naumlmlich 1 Timotheus 25 (Denn einer ist Gott und einer ist Mittler zwischen Gott und Menschen der Mensch Christus Jesus) und Jo-hannes 840 (Jetzt aber sucht ihr mich zu toumlten einen Menschen der ich euch die Wahrheit gesagt habe die ich von Gott gehoumlrt habe) und man kann sehen warum Hier zeigt sich die konse-quente Entschlossenheit keine Unterschiede im Wesen Gottes zu erkennen775

Synoden die von Anhaumlngern von Nicaumla in den Jahren 345 und 347 n Chr ver-anstaltet wurden versuchten Photinus zu exkommunizieren Er selbst blieb je-doch aufgrund eines dramatischen Aufkommens der Unterstuumltzung durch die Bevoumllkerung im Amt776 Erst anlaumlsslich einer spaumlteren Synode im Jahre 351 n Chr waren die Anhaumlnger von Nicaumla erfolgreich und er wurde ins Exil geschickt

773 Schaff ldquoPhotinusrdquo Nicene and Post-Nicene Christianity CCEL Calvin College Web 02 February 2015 774 Ibid 775 Hanson pp 318-381 parentheticals added 776 Chapman ldquoPhotinusrdquo Catholic Encyclopedia Vol 12

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Dort schrieb er viele theologische Buumlcher die heute verloren sind777 Photinus kehrte schlieszliglich in sein Bistum zuruumlck nur um von Kaiser Valentinius I erneut ins Exil geschickt zu werden Als er dann endguumlltig in sein Heimatland Galatien umsiedelte waren seine Ansichten im Reich so populaumlr geworden dass jeder der glaubte dass Christus zwar erhoumlht doch nur ein Mensch und nicht Gott sei Pho-tinier genannt wurde Es sei darauf hingewiesen dass der Historiker Vigilus aus dem sechsten Jahrhundert in seinem Dialog gegen Arianer Sabellianer und Photinier nicht nur aufzeichnete dass diese eine beachtenswerte theologische Bewegung waren sondern auch eine klare Unterscheidung machte zwischen den Arianern deren Christus prauml-existent war und Fleisch wurde und den Photiniern deren Christus bdquoseine Anfaumlnge bei Mariardquo778 hatte nachdem der Heilige Geist [auf sie] herabgekommen war

Im Verstaumlndnis der Photinier und der ihnen vorausgehenden juumldischen Nazare-ner finden wir einen Christus der dem menschlichen Geist unmittelbar zugaumlng-lich ist Es musste keine [den Verstand] anstrengende Versoumlhnung zwischen ent-gegengesetzter menschlicher und goumlttlicher Natur hergestellt werden kein unbe-friedigendes Gleichgewicht zwischen Einheit und Dreiheit keine gefaumlhrliche gnostische Menschwerdung [eines Gottes] und keine Gefahr den einzigartigen Monotheismus der Juden zu verletzen den Jesus selbst so unbeirrt in der Schrift gesichert hat (Markus 1228ff) Gottes perfekte Andersartigkeit und Jesu voll-kommene menschliche Verwandtschaft erfordern keine Ausbildung in platoni-scher Metaphysik Sicherlich hat die vernuumlnftige Uumlberlebensfaumlhigkeit dieses Sys-tems dazu beigetragen dass es gegen alle Widerstaumlnde bestehen blieb Manche Christen nehmen oft eine sogenannte interventionistische Perspektive an dann reicht vielleicht sogar ein gewisses Maszlig an Vorsehung vom Himmel herab um die in der Asche schwelende Glut der photinischen Ansichten in der Christenheit von Zeit zu Zeit etwas zu schuumlren und anzufachen Doch auch abgesehen von fantasievollen Vermutungen sollte diese Anschauung nach Photinus nicht ein-fach enden

Feststellbar ist dass der unitarische Glaube und die bdquoBloszlig-Mensch-Christologierdquo der Nazarener und Photinier trotz der Wirren des Mittelalters unaufhaltsam wei-tergingen Nach dem Zusammenbruch der westlichen Haumllfte des Roumlmischen Rei-ches [iumlm Fruumlhmittelalter] blieb die oumlstliche Haumllfte als Byzantinisches Reich beste-hen In Byzanz wie auch in mehreren anderen oumlstlichen Laumlndern blieben Uumlber-reste dieser Theologie unter dem Namen Paulicianismus uumlber Jahrhunderte er-halten Obwohl dieser Name zweifellos aufgrund der christologischen Aumlhnlich-keit der Bewegung mit der Lehre des Paulus von Samosata gewaumlhlt wurde war

777 Socrates Scholasticus Church History 2 29 778 Hanson pp 3118-381

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er nicht selbst der Gruumlnder da seine direkten Anhaumlnger nach 325 n Chr fast vollstaumlndig aufgeloumlst worden waren Diese byzantinische Bewegung setzte jedoch die lange Tradition der heftigen Ablehnung der roumlmischen Autoritaumlt fort Sie wa-ren besonders gekennzeichnet durch ihre starke Verankerung in der Schrift die Praxis der Erwachsenentaufe die Ablehnung katholischer Ikonen im Gottes-dienst und natuumlrlich durch das Bekenntnis dass Jesus Christus ein Mensch war779

Auszligerhalb von Byzanz stellen wir fest dass das christliche Bekenntnis zu einer unitarischen Gottheit und zum menschlichen Christus ebenfalls uumlberlebt hat Die Bonosianer in Spanien und Suumldgallien (das heutige Frankreich) waren schon vor 431 n Chr bis ins siebte Jahrhundert hinein aktiv780 Diesen Gedanken erkennen wir auch bei Bischof Felix von Urgell (gestorben um 818 n Chr) dem Leiter der fraumlnkischen Kirche den Ebioniten die in Spanien bluumlhten und den unitarischen Szekelys in Ungarn781 Es wurde postuliert dass dieser Geist bdquoin einigen der Sek-ten bis zur Zeit der Reformation Bestand hatterdquo782 und dass selbst der groszlige Maumlr-tyrer der Reformation der Spanier Michael Servetus von diesen Gruppen beein-flusst worden sein koumlnnte783

Obwohl eine genaue Kontinuitaumlt unmoumlglich zu erfassen ist zeigte die Tradition der Photinier der Nazarener und anderer eine Beharrlichkeit die trotz Verfol-gung letztlich durch die ungeheure Verwirrung des roumlmischen Dogmatismus wei-terleben wuumlrde Wir sehen dass diese Christologie und der Monotheismus schlieszliglich wie aus einem tiefen Winterschlaf herauskommen um Europa waumlh-rend der Aumlra der Socinianer der Radikalen Reformation im Sturm zu erobern784

779 Mattison p 11 Die meisten Paulicianer scheinen eine semi-gnostische dualistische Sicht der Schoumlp-

fung neben anderen gnostischen Ideen adoptiert zu haben Es wird jedoch angenommen dass die ebi-onitischen unitarischen Ansichten unter einigen von ihnen noch weitere tausend Jahre bestehen blieben Siehe Malcom Lambert Medieval Heresy Popular Movements from Bogomil to Hus Siehe Malcom Lambert Medieval Heresy Popular Movements from Bogomil to Hus (New York Homes amp Meier Publishers 1977) p 11

780 Im Jahre 431 n Chr schreibt Marius Mercator uumlber Bonosus und seine Anhaumlnger Sie wurden von ihren Kritikern sowohl als Ebioniten als auch als Photinier bezeichnet Siehe Samuel Macauley Jackson (ed) ldquoBonosus and the Bonosiansrdquo The New Schaff-Herzog Encyclopedia of Religious Knowledge (New York Funk and Wagnalls Co 1914) pp 231-232

781 Siehe Ferenc Frank Ehrenthal Szekely Origins and Radical Faith From Mongolia to Transylvania the Birth of Unitarianism (North Charleston CreateSpace 2014)

782 Albert Henry Newman A Manual of Church History Vol 1 (Philadelphia ABPS 1942) p 357 783 Mattison pp 12-13 784 Eine erfolgreiche reformatorische Tradition bluumlhte im 16 und 17 Jahrhundert auf Sie befuumlrwortete

die reine Menschheit Jesu [das Bloszlig-Mensch-Sein] und lehnte jede physische Praumlexistenz auszligerhalb des goumlttlichen Plans ab sie argumentierte mit dem Beginn Christi im Mutterleib Schaff schreibt bdquoDie so-cinianische Christologie unterscheidet sich vom Arianismus (der die Praumlexistenz und Inkarnation des Logos anerkannte) und aumlhnelt der Christologie der dynamischen Unitarier im dritten Jahrhundert (The-odotus Artemon Paulus von Samosata) die in Christus nur einen Menschen sahen obwohl uumlbernatuumlr-lich empfangen und mit goumlttlicher Kraft erfuumlllt Der socinianischen Christologie ging die Bewegung einiger antitrinitaumlren Baptisten (Denk Heizer etc) voraus) die als sbquoneue Samosatinerrsquo bezeichnet

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Es ist diese Tradition die heute in der modernen biblischen unitarischen Bewe-gung mit groszligem Enthusiasmus fortbesteht Aber was war uumlberhaupt die Ursache fuumlr den besagten bdquoWinterschlafrdquo Wie wir nun feststellen werden ist die Entste-hungsgeschichte des Trinitarismus vom spaumlten vierten Jahrhundert an in Wirk-lichkeit die Geschichte des Todeskampfes der Religionsfreiheit und der Veren-gung des christlichen Geistes begleitet von der staalichen Klinge des Schwertes

DerAufstiegdesOrthodoxenTrinitarismusDie schmerzhaften Folgen von Nicaumla brachten neue christliche Sekten hervor Viele hatten vehement auf die Einfuumlhrung des Nicaumlnums auch homoousiani-sches Glaubensbekenntnis genannt reagiert Darunter waren die Anomoumlische Kirche Sie betonte die scharfe Unterscheidung zwischen der unerschaffenen Sub-stanz des Vaters und der geschaffenen Substanz des Sohnes785 Aber es traten auch sehr viele Christen auf die sich zu einem neuen Lager entwickelten das die Ext-reme zu uumlberbruumlcken schien Diese bdquoHalb-Arianerrdquo [oder Semi-Arianer] glaub-ten dass der Sohn dem Vater bdquogleichrdquo oder bdquoaumlhnlichrdquo sei waren aber immer noch im Gegensatz zu den nicaumlnischen Befuumlrwortern die glaubten dass der Sohn aus der bdquogleichenrdquo Substanz [wie der Vater] sei Heftige Debatten entbrannten uumlber die Begriffe bdquogleiche Substanzrdquo (homoousios) versus bdquoaumlhnliche Substanzrdquo (ho-moiousios) zwei griechische Termini die sich offensichtlich nur durch ein bdquoirdquo (gr iota) unterscheiden Laut Edward Gibbon hat sich die Christenheit wegen des kleins-ten Buchstabens im griechischen Alphabet eines Iota gespalten786

Historiker der antiken Kirchengeschichte erinnern an eine interessante Episode die einen Einblick in den Stand der christlichen Theologie von der Mitte bis zum

wurdenrdquo (Philip Schaff Christ and Christianity (New York Scribners Sons 1885) S 95) Zwischen dem 16 und 18 Jahrhundert wurde dieser Glaube von verschiedenen Gruppen in Europa und Nordamerika getragen und vor allem in den Vereinigten Staaten populaumlr Diese theologische Tradition ist durch die Bewegung bdquoBiblische Unitarierrdquo bis ins 21 Jahrhundert ungebrochen geblieben Der Begriff der Bib-lischen Unitarier ist erst in den 1880er Jahren entstanden

785 Die Anomaumler (auch bekannt als die Heterousianer Aumltianer oder Eunomier) die beruumlhmten trini-tarischen Behauptungen entgegenwirkten indem sie nicht nur Argumente aus der Schrift verwendeten sondern ihnen auch geschickt auf dem Kampffeld der Philosophie begegneten Gegruumlndet von Aetius von Antiochia (397 n Chr) konzentrierten sich diese Christen ihre Bemuumlhungen auf die Homoousie und den Widerspruch der ewigen Zeugung des Sohnes Die nicaumlnischen Anhaumlnger hatten argumentiert dass Christus irgendwie obwohl er ewig ist tatsaumlchlich bdquogezeugtrdquo wurde und aus der Essenz Gottes bdquoerzeugtrdquo wurde Die Anomaumler argumentierten jedoch dass fuumlr Gott das ewige ungezeugteungeborene Wesen ein Akt der Zeugung einen Konflikt in seinem Wesen mit sich bringt Wenn der Sohn (der Gezeugte) im Wesentlichen Gott sei ist die Lehre selbst widerspruumlchlich da die Qualitaumlt des Nicht-Gezeugt-Seins fuumlr die Natur Gottes wesentlich und unabdingbar ist Deshalb hielten sie fest dass Jesus von einer ganz anderen Substanz sei als der Vater Ihre Geschichte ist lebendig und umfangreich Aufzeichnungen uumlber ihre Kirche sind in den Werken des anomoumlischen Kirchenhistorikers Philostorgius erhalten an die wir uns in einer Darstellung des Historikers Photios erinnert haben

786 See Gibbon Decline and Fall Ch 21

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Ende des vierten Jahrhunderts gibt Im Jahre 358 n Chr war Leontius (ein Aria-ner) Bischof von Antiochia geworden Ein anderer Bischof namens Flavian (ein Anhaumlnger Nicaumlas) versammelte eine Schar von Moumlnchen vor Leontius Kirche und begann lautstark eine neue Art von proto-trinitarischem Lied zu singen Eine alte Aufzeichnung erinnert an diesen Vorfall

Flavian von Antiochia war der erste der rief bdquoEhre sei dem Va-ter und dem Sohn und dem Heiligen Geistrdquo Einige von denen vor ihm hatten gesagt bdquoEhre sei dem Vater durch den Sohn im Heiligen Geistrdquo dies ist der beliebteste Ruf waumlhrend wieder andere sagten bdquoEhre sei dem Vater und dem Sohn im Heiligen Geistrdquo787

Wir entdecken hier eine Art der Zusammenfassung von drei Theologien Flavian und seine Truppe von Moumlnchen sangen ein bdquoneuesrdquo Lied das offenbar den Vater den Sohn und den Geist gleichermaszligen verehrte Aber das Vorlaumlufer-Modell und dasjenige das immer noch als das populaumlrste beschrieben wird war die subordi-nationistische Sichtweise der Sohn ist ein bdquoMittelrdquo fuumlr den Vater aber nicht das gleiche Wesen Schlieszliglich lobten einige bdquoandererdquo den Vater und den Sohn nicht aber den Geist Dies mag die semi-arianische Sichtweise repraumlsentieren (diejeni-gen die eine Form der Definition von Nicaumla akzeptierten aber geistig nicht in trinitarisches Gebiet vorgedrungen waren) Allerdings ist dies sicherlich die weit verbreitete Meinungsverschiedenheit uumlber den heiligen Geist zu dieser Zeit

Tatsaumlchlich hatte Nicaumla nicht versucht in diesem Punkt theologisch etwas zu re-geln Sogar nicaumlnische Christen fragten immer noch Ist der Geist eine andere Person Ist diese Person auch konsubstanziell mit Gott und Christus Ist er gleichberechtigt [gleichwertig] oder untergeordnet Das Bekenntnis von 325 n Chr hatte nur einen fluumlchtigen Hinweis auf den Status des Geistes gegeben bdquoWir glauben an den Heiligen Geistrdquo und sonst nichts Damals schien der Mangel an wei-teren Mutmaszligungen die Mehrheit der Bischoumlfe zu befriedigen und einzubezie-hen Ein Theologe der Epoche berichtet dass das Christentum Mitte bis Ende des vierten Jahrhunderts in diesem Punkt tatsaumlchlich noch stark gespalten war

Von den Weisen unter uns halten einige den Heiligen Geist fuumlr eine Macht andere fuumlr ein Geschoumlpf wieder andere fuumlr Gott und wie-der andere sind nicht bereit sich aus Ehrfurcht (wie man so schoumln sagt) fuumlr die Schrift zu entscheiden die nicht klar daruumlber spricht788

Obwohl die nicaumlnische Mehrdeutigkeit zuvor zufriedenzustellend war begannen die Argumente schlieszliglich doch zu brodeln Um 340 n Chr mit der Wahl des

787 Philostorgius Church History 3 13 See also Theodoret Hist Eccl 2 24 3 and Sozomen 3 20 8 788 Gregor von Nazianzus zitiert von Philip Schaff Samuel Macauley (ed) ldquoMacedoniusrdquo The New Schaff-

Herzog Encyclopedia of Religious Knowledge (Grand Rapids Baker House 1963) p 112

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brutalen Makedonius I ins Bistum Konstantinopel ruumlckte die Pneumatomachische Kontroverse in den Vordergrund Viele Christen auch unter denen welche die nicaumlnische bdquoHomoousierdquo akzeptiert hatten lehnten den weiteren Schritt dh die Goumlttlichkeit des Heiligen Geistes entschieden ab weil sie sich huumlteten offiziell noch eine dritte Person in die Gottheit aufzunehmen789 Entgegen dem landlaumlufi-gen Glauben war die gleichwertige Gottheit des Heiligen Geistes kein wesentli-ches Merkmal der fruumlhesten christlichen Theologie Das allererste Glaubensbe-kenntnis das uumlberhaupt eine ausfuumlhrliche Aussage uumlber den Geist enthielt war das bdquoWidmungsbekenntnisrdquo [Dedication Creed] von 341 n Chr [eines der vier Bekenntnisse von Antiochia] und erst in den 350er Jahren begann eine ernsthafte Debatte uumlber die Natur des Geistes790 Im Jahre 357 finden wir die fruumlheste sys-tematische Verteidigung der Position des Heiligen Geistes innerhalb der Dreifal-tigkeit geschrieben von keinem anderen als von Athanasius selbst791 Es war in der Zuruumlckgezogenheit seines dritten Exils dass Athanasius von seinem Freund Serapion wegen des weit verbreiteten Widerstands gegen die gleichwertige Goumltt-lichkeit des Geistes kontaktiert wurde So war Athanasius gezwungen seinen Brief uumlber den Heiligen Geist zu schreiben der uns heute ein Fenster des Verstaumlndnisses oumlffnet uumlber den Fortschritt den das trinitarische Dogma in der Mitte des vierten Jahrhunderts machte Unser Blick bestaumltigt dass es noch immer keine orthodoxe trinitarische Formel gab Athanasius hatte daher nicht nur Schwierigkeiten aus-zudruumlcken wie alle drei Glieder jeder Gott sein sollen ohne in den Polytheismus zu verfallen Er weist sogar jeden zurecht der die Angelegenheit zu genau unter-suchen wollte

Wenn man fragen wuumlrde wie kann es wirklich eine Dreifaltigkeit sein wenn die drei als eine dargestellt werden Ein solcher Fra-gesteller soll damit beginnen die Ausstrahlung vom Licht zu tren-nen oder die Weisheit von dem der weise ist oder er soll selbst

789 bdquoPneumatomachenrdquo bedeutet bdquoKaumlmpfer gegen den Geistrdquo Sie akzeptierten zwar die We-

sensgleichheit Jesu Christi als des Sohnes Gottes mit Gott dem Vater die das erste Oumlkume-nische Konzil (Nizaumla 325) in seinem Bekenntnis festgeschrieben hatte waren jedoch nicht bereit diese Lehre auch auf den Heiligen Geist auszudehnen Der Anfuumlhrer dieser Bewegung gegen die gleichberechtigte Gottheit des Geistes war angeblich Makedonius I der Bischof von Konstantinopel der etwa sechs Jahre lang bis zu seinem Tod um 360 regierte Sokrates Scholasticus charakterisierte die Taten des Makedonius im Namen des Glaubens als bdquoMorde Schlachten Einsperrungen und Buumlrgerkriegerdquo (Sokrates Kirchengeschichte 2 38) Wir fin-den dass die Bewegung nach dem Konzil von Konstantinopel im Jahr 381 die Dreifaltigkeit bleibend verfestigte

790 Gwynn p 90 791 Ebenso Siehe auch Freeman Closing of the Western Mind p 190 Circa vier Jahre spaumlter verfasste Hilary

von Poitier die erste Verteidigung vom Vater Sohn und Heiligen Geist in Latein

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sagen wie diese Dinge sein koumlnnen Aber wenn ihm das nicht moumlg-lich ist wie viel mehr ist es dann die Anmaszligung von Wahnsinnigen diese Dinge in Bezug auf Gott zu untersuchen792

Tatsaumlchlich fehlte der unterentwickelten Theorie des Athanasius die noumltige Spra-che um nicht einfach den Monotheismus aufzuheben Offenbar befand sich der Bischof zwischen Hammer und Amboss Auf der einen Seite zog die Betonung der Unterscheidung von Vater Sohn und Geist den Glauben in Richtung Aria-nismus auf der anderen Seite zog ihn die Betonung der Einheit Gottes in Rich-tung Sabellianismus mit dem Athanasius gar nicht einverstanden war Trotz al-lem war es offensichtlich dass Vater Sohn und Geist in irgendeinem Sinne doch verschieden waren aber der Sabellianismus war bereits von fruumlheren Konzilen als Ketzerei verurteilt worden Einer von Athanasiussbquo Zeitgenossen Marcellus von Ancyra (derselbe Marcellus der lautstark gegen die Verwendung der valenti-nianisch-gnostischen Modelle protestiert hatte) war sogar vor kurzem um 336 n Chr aus seinem Bistum wegen sabellianischer Ansichten ausgeschlossen wor-den Interessanterweise hatte Marcellus behauptet dass wenn Vater und Sohn von der gleichen Substanz und von der gleichen Hypostase waumlren wie es in den Begruumlndungen der Anathemas von Nicaumla hiess es uumlberhaupt keine Spaltung in Gott gaumlbe - Vater und Sohn waumlren ein und derselbe793 Aber der postnicaumlnische Glaube war nun so uumlber die griechischen philosophischen Begriffe verwirrt dass nicht einmal das woumlrtliche Zitieren des strikten Textes von Nicaumla Sicherheit ga-rantieren konnte Nein Athanasius konnte es sich auch nicht leisten die Einheit Gottes uumlber die Vielfalt Gottes zu betonen - die Loumlsung lag wahrscheinlich ir-gendwo in der Mitte in einem Kompromiss Aber am Ende war dies doch ein Prob-lem das Athanasius nicht zu loumlsen vermochte Dieses prekaumlre Raumltsel wuumlrde die Bemuumlhungen der Kappadokischen Vaumlter erfordern

Die Kappadokischen Vaumlter drei Theologen aus der oumlstlichen Region Kleinasiens [die heutige Tuumlrkei] begannen eine neue Philosophie auszuarbeiten welche der Lehre von der Dreifaltigkeit letztlich eine definitive Gestalt geben sollte794 Basi-lius der Groszlige (330-379 n Chr) Gregor von Nazianz (329-389 n Chr) und Gregor von Nyssa (332-395 n Chr) bemuumlhten sich einige der kritischsten Prob-

792 Athanasius Letter on the Holy Spirit 1 20 793 bdquoDie Sprachregelung von Nicaumla sah Gott nur als eine Hypostaserdquo (Thomas Marsh The Triune God

(Eugene Wipf amp Stock 1994) p 120) Dementsprechend stimmen wir mit Marcellus von Ancyra uumlberein bdquoMarcellus bestritt unerbittlich dass man uumlber zwei (oder drei) Hypostasen in Gott sprechen koumlnnte Eine solche Bezeichnung wuumlrde entweder zwei Goumltter postulieren oder alternativ die volle Goumlt-tlichkeit des Sohnes leugnenrdquo (Tarmo Toom Classical Trinitarian Theology A Textbook (New York T amp T Clark 2007) p 97)

794 Ryrie p 65

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leme des Systems von Athanasius anzugehen Erstens hatte Athanasius als Ori-genist die Begriffe bdquoOusiardquo und bdquoHypostaserdquo austauschbar verwendet Wie fuumlr Origenes war auch fuumlr Athanasius eine bdquoHypostasisrdquo ein individuelles Wesen Dies hatte Origenes der geglaubt hatte dass Christus von anderer Substanz und anderer Hypostase sei als der Vater keine Schwierigkeiten bereitet er erkannte die drei Glieder der Triade gerne als unterschiedliche Wesen an Aber fuumlr Atha-nasius der uumlberzeugt war dass Christus von der gleichen Substanz (homoousios) wie der Vater sei war es unmoumlglich die beiden zu unterscheiden um den Sabel-lianismus zu vermeiden solange die traditionelle Definition der Begriffe erhalten blieb Diese Uumlberarbeitung der Begriffe wurde zum groszligen Projekt der Kappado-kier

Nach Ansicht der Kappadokier war die Verwendung von bdquoHypostaserdquo als Syno-nym fuumlr bdquoOusiardquo ein grober Fehler Stattdessen postulierten sie dass Vater Sohn und Heiliger Geist tatsaumlchlich drei verschiedene Hypostasen innerhalb einer einzigen Ousia seien Fuumlr sie bedeutete bdquoHypostasisrdquo nicht Wesen sondern bdquoPersonrdquo oder bdquoPersoumlnlichkeitrdquo Die drei waren persoumlnliche Einheiten die in der einen goumlttlichen Substanz Gottes wohnten oder diese miteinander teilten Eine kuumlrzlich durchge-fuumlhrte Studie stellt fest dass bdquodas Ausmaszlig in welchem sich die Kappadokischen Vaumlter von der anfaumlnglichen Bedeutung des Begriffs Hypostase (Wesen) in Rich-tung Ousia (Essenz oder Substanz) bewegten und zur Achse des Prosopons (Per-son) gelangten ist eine Frage die wohl noch immer von der Wissenschaft dis-kutiert wirdrdquo795 Aber haben wir in unserer eigenen Studie nicht auch schon einen gnostischen Praumlzedenzfall beobachtet Tatsaumlchlich hatte weder Plotinus noch O-rigenes in dieser Weise argumentiert Wie Hanson bestaumltigt scheint der Neopla-tonismus hier bdquowenig Wirkungrdquo gezeitigt zu haben796 Aber die Gnostiker hatten die bdquoHypostasenrdquo in Gottes Fuumllle [Pleroma] als konsubstanzielle Personen ange-sehen die sich aus den charakteristischen Eigenschaften Gottes ableiteten797 Die von den Kappadokiern eingefuumlhrte definitive Formel bdquodrei Hypostasen in einer Ou-siardquo kann sehr wohl eine geschickte orthodoxe Neuformulierung eines bereits weit verbreiteten Modells der gnostischen Welt darstellen Haben die Kappado-kier direkt aus gnostischen Traditionen geschoumlpft Oder war dieses Modell ein-fach das unvermeidliche Ergebnis der angeblichen Gottheit Christi eines Sys-tems zu dem die gnostischen Theologen die von einer alles kontrollierenden monolithischen Orthodoxie unbelastet sind bereits mehr als zweihundert Jahre

795 Matthew W Bates The Birth of the Trinity Jesus God and Spirit in New Testament and Early Chris-

tian Interpretations of the Old Testament (Oxford OUP 2015) p xli emphasis added 796 Hanson p 872 797 bdquoDie valentinianischen Aumlonen wurden als so viele verschiedene Persoumlnlichkeiten angesehen die nach

menschlicher Analogie hergestellt wurdenrdquo (Smith Wace (ed) ldquoIrenaeusrdquo A Dictionary of Christian Bi-ography Vol 3 (London John Murray 1882) p 269)

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zuvor gelangt waren In diesem Bereich sind bestimmt weitere Studien erforder-lich Sicher ist jedoch dass das kappadokische Modell unglaublich umstritten war und auf breiter Basis nicht ohne ernsthaften politischen und theologischen Kampf angenommen wurde So bedeutet bdquoHypostaserdquo nach Ansicht der latei-nischsprachigen Gelehrten im Westen immer noch bdquoSubstanzrdquo (substantia) Als die Kappadokier sagten es gaumlbe drei Hypostasen ging ihre sorgfaumlltige Unter-scheidung zwischen bdquoWesenrdquo und bdquoPersonrdquo bei den westlichen Theologen meist verloren sie sahen nur den Tri-Theismus - und wenn es drei Substanzen gab mussten es drei Goumltter sein

Ein wichtiges Thema stellt sich hier zur Diskussion Die notwendigen verbalen Zusammenhaumlnge der Orthodoxie sind in unserer Zeit nur noch nebliger gewor-den waumlhrend der Kampf um das Dogma auch heute noch die gleiche Verwirrung und Unsicherheit mit sich bringt wie im vierten Jahrhundert Eine ganze Dogma-tik und sogar die eigene Erloumlsung haumlngen von einem einzigen Wort ab oder be-ruhen auf einem einzigen Buchstaben den wir heute kaum noch von einem an-deren unterscheiden koumlnnen Wie ein fuumlhrender trinitarischer Theologe zugege-ben hat bdquospielten die Ideen von sbquoSubstanzrsquo sbquoPersonrsquo (im trinitarischen Sinne) und sbquoNaturrsquo eine absolut entscheidende Rolle in der antiken Theologie sind aber fuumlr uns kaum nachvollziehbar Oder sie fuumlhren wenn sie ohne Kommentar verwen-det werden unweigerlich zu groben Missverstaumlndnissenrdquo798 Die Abgrenzungen der Kirchenvaumlter waren nicht biblisch fundiert zudem schwankten sie in ihrer Bedeutung Ihre Missachtung koumlnnte Verdammnis nach sich ziehen diejenigen die sich zu einen Zeitpunkt als kirchlich orthodox waumlhnten sahen sich im naumlchs-ten Moment ploumltzlich in Gefahr exkommuniziert zu werden

Aber die westlichen Theologen scheinen mit ihrer Warnung vor dem Polytheis-mus Recht gehabt zu haben Die gnostischen Christen werden bis heute in popu-laumlren Diskussionen in der Tat oft noch der Vielgoumltterei beschuldigt Aber wenn sie als Polytheisten angesehen werden dann koumlnnte man dasselbe uumlber den kap-padokischen Trinitarismus sagen beide repraumlsentieren philosophische Versionen des Monotheismus die zwischen dem Wesen Gottes und darin existierenden Per-soumlnlichkeiten oder Hypostasen unterscheiden Athanasius selbst zoumlgerte mit der seltsamen pseudo-polytheistischen Tendenz die seine Theologie unter der Lei-tung der juumlngeren Kappadokier einschlug799 Harnack notiert dazu

Die Kappadokier Theologen die den Glauben des Athanasius mit der damaligen Philosophie versoumlhnt und ihn abstrakt verstanden

798 Brunner p 70 799 bdquoOffensichtlich dachte Athanasius dass Hypostase in theologischen Kontexten immer Ousia bedeu-

tete und dass wenn jemand von drei Hypostasen sprach drei Ousiai wahrscheinlich verschiedene Ousiai bedeuten muumlssten und er so auf dem besten Weg zum Arianismus [oder zum Polytheismus] sein muumlssteldquo (Hanson p 445)

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haben behielten seine Lehre nicht simpel und rein Dies zeigt sich besonders an ihrer fragwuumlrdigen Behauptung die christliche Got-tesvorstellung sei der wahre Mittelweg zwischen Juden und Grie-chen Mutig charakterisierten sie die Pluralitaumlt der Hypostasen als eine im griechischen Polytheismus erhalten gebliebene Phase der Wahrheit Athanasius hatte verstaumlndlicherweise keine ungetruumlbte Freude an ihrer Arbeit800

Die kappadokische Vision von einer Ousia und drei Hypostasen bdquowar keine For-mel die Athanasius jemals benutzt hat oder haumltte verwenden wollenrdquo801 Den-noch verlieszlig Athanasius trotz aller Unannehmlichkeiten die Anathemas die er in Nicaumla mitformuliert und durchgesetzt hatte und passte sich der kappadokischen Sprache an um eine einheitliche Front gegen die Subordinationisten zu bilden Wie Schaff feststellt hatte Athanasius zwar bdquoHypostaserdquo tatsaumlchlich als bdquoSub-stanzrdquo bezeichnet verzichtete aber in seinen mittleren und spaumlteren Schriften bdquoauf deren weitere Verwendungrdquo802 Ein Historiker fasst zusammen

So wurden griechische philosophische Begriffe die an sich kom-plex waren angepasst und uumlbernommen um eine Loumlsung zu fin-den die es ermoumlglichte die nicaumlnische Formel zu bekraumlftigen und den Heiligen Geist in der Dreifaltigkeit zu integrieren ohne zum Sabellianismus (Modalismus) zuruumlckzukehren Die Lehre der Drei-faltigkeit ist derart tief in die christliche Tradition eingebettet wor-den dass man leicht vergessen koumlnnte wie prekaumlr ihr Beginn war Fuumlr die Kappadokier scheint sie in der Tat eine Kompromissformel gewesen zu sein Im Christentum mussten sie auch einen Mittelweg zwischen dem disqualifizierten Arianismus und dem Sabellianis-mus finden In einer breiteren Welt stand die Dreieinigkeitslehre zwischen der juumldischen Vorstellung von einem monotheistischen Gott in dessen Anbetung Jesus und der Heilige Geist keinen Platz hatten und dem griechischen Polytheismus dem es nicht schwer fiel Jesus und den Geist als geringere Gottheiten zu akzeptieren Gregor von Nyssa schlug vor bdquoEs ist als ob die Zahl der Drei im

800 Adolph von Harnack History of Dogma Vol 3 (Boston Little Brown and Co 1907) pp 142-143

(Dogmengeschichte) 801 David M Gwynn Athanasius of Alexandria Bishop Theologian Ascetic Father (Oxford OUP 2012)

p 98 802 Schaff Wace Nicene and Post Nicene Fathers Vol IV p 80 unsere Hinzufuumlgung

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Falle derer die sich irren was den Einen anbetrifft Abhilfe schaf-fen wuumlrde und die Behauptung der Einheit fuumlr diejenigen deren Glaube uumlber eine Reihe von Gottheiten hinweggegangen istrdquo803

Dass diese Trinitaumltsformel ein Kompromiss zwischen nicht nur der sabelliani-schen und der arianischen Position sondern auch zwischen Monotheismus und Polytheismus war ist weithin anerkannt Wie Wolfson zusammenfasst

Die Loumlsung durch Harmonisierung ist ein Versuch wie Gregor von Nyssa es charakterisiert den Monotheismus der Juden und den Po-lytheismus der Griechen zu kombinieren Die von ihnen ange-wandte Harmonisierungsmethode bestand darin den juumldischen Monotheismus als Zugestaumlndnis an die griechische Philosophie stark zu verduumlnnen804

Aber die Trinitarier waren hier keine echten Innovatoren Moderne Gnostiker wie der gnostische Gelehrte Stephen A Hoeller erklaumlren dass bdquodas gnostische Gotteskonzept die Erkenntnis von Monotheismus und Polytheismus ver-eintrdquo805 Andere wie der produktive Samael A Weor enthuumlllen die gnostische Theologie gleichermaszligen als bdquodie Synthese von Polytheismus und Monotheis-musrdquo und verkuumlnden bdquoVielfalt ist Einheitrdquo806 Dies ist kaum uumlberraschend das gleiche Lied des Trinitarismus die Kappadokier erklaumlrten ebenfalls eine mysti-sche bdquoVielfalt-in-der-Einheit und Einheit-in-der-Vielfaltrdquo807 Natuumlrlich wie Pro-fessor Werner schreibt bdquowar nicht nur der Gnostizismus sondern auch die Lehre der kirchlichen Theologen aus der Sicht eines strikten [juumldischen] monotheisti-schen Kriteriums fehlerhaftrdquo808

MitTheodosiuswendetsichdasBlattDer Kaiser Valens war ein bekennender Arianer gewesen der die Sache des Sub-ordinationismus im Osten des Reiches aufrechterhielt Valens ploumltzlicher Tod in der verheerenden Schlacht von Adrianopel (das heutige Edirne in der Tuumlrkei

803 Freeman Closing of the Western Mind p 190 unsere Hinzufuumlgung 804 Harry Austryn Wolfson The Philosophy of the Church Fathers (Cambridge Harvard University Press 1970)

pp 578-579 unsere Hinzufuumlgung 805 Stephen A Hoeller ldquoThe Gnostic Worldviewrdquo The Gnosis Archive Web 13 December 2015 Hoeller

ist Wissenschaftler und Real Bischof in der Gnostischen Kirche 806 Samael Aun Weor The Revolution of the Dialectic (Glorian Publishing 2010 [1983]) p 3 Weor ist der

Gruumlnder der modernen Universal Christian Gnostic Bewegung 807 Gregor von Nyssa ldquoUnity in Diversityrdquo (Einheit in der Vielfalt) zitiert in den Mystischen Schrif-

ten des Gregory of Nyssarsquos Mystical Writings translated and edited by Herbert Mursillo (Crest-wood NY St Vladimirrsquos Seminary Press 1979)

808 Martin Werner zitiert in Buzzard Jesus Was Not A Trinitarian p 320 (Jesus war kein Trinitarier)

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Anm des Uuml) im Jahre 378 n Chr sollte die christliche Welt jedoch fuumlr immer veraumlndern Da Valens keinen Erben hatte fuumlhrte eine politische Formalitaumlt zur Ernennung von Theodosius I einem Militaumlrkommandanten zum Kaiser Theo-dosius aber war ein Anhaumlnger von Nicaumla Er entpuppte sich vor allem als ein unbesonnener Tyrann mit einer fanatischen Neigung zur Intoleranz Er schreckte auch nicht vor der Gesetzlosigkeit zuruumlck seine eigenen Untertanen in einem Massaker umzubringen809 Wenn es jemals einen einzelnen Magistraten gab dem man die Verwandlung des christlichen Glaubens in einen totalitaumlren Zwangsapparat zur Last legen koumlnnte dann war es Theodosius selbst die haumlrtes-ten Verbannungen und gemeinsten Drohungen von Kaiser Konstantin I verblas-sen im Vergleich zu Theodosius unverschaumlmten weltlichen Einfluss den er auf die Etablierung des bdquorettenden Glaubensrdquo ausuumlbte

Theodosius nuumltzte eine [fuumlr Rom] glorreiche militaumlrische Niederlage der Barbaren aus und unternahm einen Blitzkrieg auf die Stadt Konstantinopel einer der Hauptstaumldte des Roumlmischen Reiches (sie war zugleich das Zentrum des Arianis-mus) Er naumlherte sich ihr reitend an der Spitze einer Angst einfloumlszligenden Armee Als er in die Stadt eindrang wandte er sich in einer eindruumlcklichen bdquoPropagan-dashowrdquo810 vor allem Volk an den dortigen arianischen Bischof und verlangte dass er das nicaumlnische Bekenntnis akzeptiere Da der Bischof sich weigerte wurde er kurzerhand verbannt Trotz des Protestes der versammelten Menschenmassen die den arianischen Klerus unterstuumltzten vertrieb Theodosius selbstherrlich die gesamte arianische Fuumlhrung aus der Stadt Er setzte mit Waffengewalt seine von ihm selbst ausgewaumlhlten Verwalter ein die sich an die homoousianische Defini-tion hielten811 Den Arianismus kriminalisierte er offiziell und verbannte aus-druumlcklich bdquodie Verseuchung der photinischen Pestrdquo812 So waren alle Christolo-gien die in Jesus nur einen Menschen sahen sowie alle unitarischen Ansichten uumlber Gott mit einem Schlag illegal Praktisch uumlber Nacht musste die aufbluumlhende

809 390 n Chr wurde ein beliebter Wagenfahrer wegen versuchter Vergewaltigung festgenommen Die

Menschen in Thessaloniki forderten seine Freilassung aber nach der Ablehnung durch den Magistraten kam es in der Stadt zu einem Aufstand Wuumltend sandte Theodosius seine Armee und massakrierte Tausende seiner Buumlrger Eine Historikerin schrieb bdquoDer Zorn des Kaisers stieg auf die houmlchste Stufe und er befriedigte sein rachsuumlchtiges Verlangen indem er das Schwert am ungerechtesten und tyran-nischsten gegen alle ausstieszlig und die Unschuldigen und Schuldigen gleichermaszligen toumltete Es wird gesagt siebentausend starben ohne jede Form von Gesetz und ohne auch nur ein Gerichtsurteil uumlber sie ver-haumlngt zu haben Sie wurden sie wie Aumlhren zur Zeit der Ernte gleichermaszligen niedergemaumlhtrdquo (Theo-doretus Church History 5 17)

810 Charles Freeman AD 381 (New York The Overlook Press 2009) p 23 811 bdquoDie Saumluberungsaktion gegen den Arianismus war nicht einfach eine lokafe Angelegenheit wie es gerne

von ihren Gegner dargelegt wird Die arianische Priesterschaft wurde von breiten Demonstrationen unterstuumltzt waumlhrend in Konstantinopel die neuen nicaumlischen Priester mit Waffengewalt installiert wurden wobei einige ariansiche Priester konvertierten und so ihre Posten behieltenrdquo (Stephen Williams Gerard Friell Theodosius The Empire At Bay (London B T Batsford 1994) p 41)

812 Ebenso p 42

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trinitarische dh die kappadokische Interpretation des nicaumlnischen Glaubens akzep-tiert werden ansonsten den Gegnern die Todesstrafe drohte Weitgehend unbe-kannt in christlichen Kreisen ist heute die Tatsache dass Theodosius bereits vor dem angeblich bdquooumlkumenischenrdquo Konzil von Konstantinopel den Glauben an die Dreifaltigkeit zum Gesetz dekretiert hatte lange bevor die Versammlung daruumlber abstimmen konnte Im Januar 380 n Chr erliess Theodosius fuumlr die Bevoumllkerung von Konstantinopel das folgende Edikt

Wir glauben an die einzige Gottheit des Vaters des Sohnes und des Heiligen Geistes unter dem Begriff der gleichen Majestaumlt und der Heiligen Dreifaltigkeit Wir befehlen dass Personen die dieser Re-gel folgen den Namen katholische Christen annehmen Der Rest jedoch den Wir fuumlr wahnsinnig und verruumlckt halten wird die Schande der ketzerischen Dogmen tragen Ihre Versammlungsstaumlt-ten duumlrfen nicht den Namen Kirchen tragen und sie werden ers-tens durch die Goumlttliche Rache und zweitens durch die Vergeltung der Feindschaft geschlagen die wir gemaumlszlig dem Goumlttlichen Gericht ausfuumlhren werden813

Die arianische Geistlichkeit in Konstantinopel war gegen Theodosius machtlos Wie das roumlmische Sprichwort sagt bdquoFalsum etiam est verum quod constituit superiorrdquo (Falsch wird wahr wenn der Chef es entscheidet) So verlagerte sich der Fort-schritt der Christenheit wieder in Richtung einer Bestaumltigung der nicaumlnischen Ho-moousie diesmal jedoch nicht nur zwischen Vater und Sohn sondern ausge-dehnt auf die drei Hypostasen der Kappadokier Es war zweifellos ein neuer Maszlig-stab der nicht durch die Kraft eines wirklich oumlkumenischen Dekrets sondern durch die Tyrannei einer gewaltbereiten Regierung erreicht wurde

Um seine eigene theologische Kontrolle uumlber die Stadt weiter zu staumlrken er-nannte Theodosius aus strategischen Uumlberlegungen den kappadokischen Pater Gregor von Nazianz zum Bischof von Konstantinopel Der Kaiser fuumlhrte Gregor mit groszligem Pomp und Fanfaren in die Stadt ein aber dennoch bdquobedurfte es einer strengen Bewachung vor der johlenden Menge Gregor selbst ein sanfter Mann erzaumlhlte traurig dass das [Ereignis] eher dem Einzug eines feindlichen Eroberers in eine besiegte Stadt glichrdquo814

Bevor sich Gregor uumlberhaupt niedergelassen hatte unternahm Theodosius den Glauben im gesamten Reich ein fuumlr alle Mal zu festigen und zwar zu Bedingun-gen die fuumlr seine Ansichten guumlnstig waren Der Kaiser rief im Mai 381 n Chr

813 The Theodosian Code 16 1 2 quoted in Freeman AD 381 p 25 814 Williams Friell Theodosius p 41

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einhundertfuumlnfzig Bischoumlfe nach Konstantinopel Wie Historiker jedoch festge-stellt haben gab es praktisch keine Vertretung aus dem Westen tatsaumlchlich trafen sich die Bischoumlfe des Balkans an einem eigenen Konzil um das andere [von Kon-stantinopel] zu verurteilen815 Dennoch waren unter den Teilnehmern in Kon-stantinopel sechsunddreiszligig der Pneumatomachianer die sich der Idee der gleich-wertigen Gottheit des Heiligen Geistes widersetzten Hier wollte Gregor von Na-zianz sie besiegen indem er eine Abstimmung erzwang Diese betraf die Kon-substanzialitaumlt des Geistes sowie die neuen Formeln die er und seine kappadoki-schen Gefaumlhrten ausgearbeitet hatten und die bereits in Konstantinopel zum Ge-setz erklaumlrt worden waren Aber die Teilnehmer akzeptierten Gregors Mandat nicht ohne Protest Gregor selbst erinnert sich an die Szene im Konzil bdquoSie kreischten auf jeder Seite wie eine Schar von Dohlen die alle auf eine Sache bedacht waren Maumlnner die nicht einmal ein Herrscher reiferen Alters und mit Autoritaumlt oder indem er ihnen Angst machte zur Vernunft bringen koumlnnterdquo816 Wenige Details des Verfahrens sind erhalten geblieben aber letztendlich haben die pneumatomachianischen Bischoumlfe das Konzil verlassen Frustriert be-schimpfte Gregor bdquodie Bischoumlfe weil sie es vorzogen eine Mehrheit zu bilden anstatt einfach nur das sbquoGoumlttliche Wortrsquo der Dreifaltigkeit in seiner Vollmacht anzunehmenrdquo817 In einer seltsamen Wendung der Ereignisse musste der in Ver-legenheit geratene Gregor schlieszliglich seinen Vorsitz uumlber das Konzil von Kon-stantinopel aufgrund einer politischen Formalitaumlt zugunsten seiner Gegner nie-derlegen So gesehen war das Konzil des Theodosius eine Katastrophe

Sein eklatanter Versuch die Dreifaltigkeit einfach durchzusetzen hatte negative Folgen Um diese zu mildern setzte Theodosius einen anderen Mann an Gregors Stelle ein Nektarius Dieser war eine politisch gutmuumltige Figur in der Theologie voumlllig ungeschult und zum Zeitpunkt seiner Amtszeit noch nicht einmal als Christ getauft Aber unter Nektarius hat das Konzil eine wichtige Aktualisierung vorge-nommen das urspruumlngliche nicaumlnische Credo wurde mit einer wenn auch nur kurzen Erwaumlhnung des Geistes erweitert

Und [wir glauben] an den Heiligen Geist den Herrn und Spender des Lebens der vom Vater ausgeht der mit dem Vater und dem Sohn gemeinsam verehrt und verherrlicht wird der durch die Pro-pheten geredet hat818

Diese Formulierung erwies sich jedoch immer noch als eine schwere Schlappe fuumlr Theodosius und Gregor Sie hatten den Wunsch gehegt die kappadokische

815 Freeman Closing of the Western Mind p 302 816 Gregor von Nazianz zitiert in Freeman AD 381 p 96 817 Ebenso 818 Nicaeno-Constantinopolitanisches Credo von 381 CE

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Trinitaumltsformel durchzusetzen Das uumlberarbeitete Bekenntnis von 381 n Chr das zwar nun die Persoumlnlichkeit des Heiligen Geistes uumlber die urspruumlngliche nicaumlnische Definition hinaus betonte aber dennoch nicht seine gleichwertige Goumlttlichkeit des Geistes oder seine bdquoHomoousiosrdquo mit dem Vater oder dem Sohn erwaumlhnte Wie Freeman erklaumlrt ist dies der Beweis dafuumlr dass bdquoGregors Formel abgelehnt wurderdquo denn bdquodie Form in der das Glaubensbekenntnis jetzt verwen-det wird enthaumllt keine Aussage die eine Dreieinigkeit von drei konsubstanziellen Personen bestaumltigt Es kann davon ausgegangen werden dass es uumlber die Natur des Heiligen Geistes keinen Konsens gabrdquo819

Dennoch hatte es Konstantinopel durch eine Reihe anderer komplizierter politi-scher Dekrete in Bezug auf die Autoritaumlt der Bischoumlfe tatsaumlchlich geschafft die Macht von Kaiser Theodosius I uumlber die Kirche zu festigen820 Kurz nach dem Ende des Konzils erliess Theodosius ein neues Dekret das umgekehrt die Or-thodoxie im ganzen Reich definierte Aber der Erlass erwaumlhnte das uumlberarbeitete Glaubensbekenntnis nicht das kurz zuvor vom Konzil vereinbart worden war Stattdessen wurde dekretiert dass Vater Sohn und Heiliger Geist drei Personen in einer Gottheit sind Das Ergebnis war wieder einmal mehr ein weit verbreiteter chaotischer und letztlich sinnloser Widerstand Im Wesentlichen war Konstan-tinopel eine Farce Die Professoren der kappadokischen Philosophie waren eine Minderheitengruppe deren Ideen eine weltliche Autoritaumlt auf einmal und mit Nachdruck zur einzigen christlichen Wahrheit erklaumlrte Die Thesen wurden nach dem Konzil innert kurzer Zeit noch umstrittener Aus dem Osten des Reiches kamen Meldungen uumlber weit verbreitete Ausschreitungen von Christen821 Gre-gor von Nazianz und seine Gefaumlhrten konnten kaum mehr auf die Straszlige gehen ohne von Protest begleitet und in Debatten hineingezogen zu werden

Hier erinnert uns Freeman daran dass bdquoTheodosius keinen eigenen theologi-schen Hintergrund hatte und dass er als Dogma eine Formel mit unuumlberwindba-ren philosophischen Problemen einfuumlhrte die er im Grunde gar nicht wahrnahm Wohl hatten die Gesetze des Kaisers die Debatte zum Schweigen gebracht aber die Probleme waren noch ungeloumlstrdquo822 Wir koumlnnen uns jetzt nur fragen welche Richtung die christliche Theologie eingeschlagen haumltte waumlre die unitarische Fuumlh-rung nicht gewaltsam durch den Staat entfernt worden Was wenn der Kirche erlaubt worden waumlre die kappadokischen Ideen objektiver zu hinterfragen Al-lem voran brachte die Regelung uumlber den Heiligen Geist endlose theologische

819 Freeman AD 381 p 98 820 Ebenso p 99 821 Freeman Closing of the Western Mind p 309 822 Ebenso p 103

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Schwierigkeiten mit sich welche die Orthodoxie selbst bis heute weiterhin pla-gen Ein Professor fuumlr Theologie an der Universitaumlt Cambridge fasst das neue Dilemma zusammen das von Konstantinopel ausgeloumlst und gefoumlrdert wurde

Im vierten Jahrhundert wurde die orthodoxe Lehre von der Goumltt-lichkeit des Heiligen Geistes schlieszliglich ausgearbeitet sie behaup-tete die Lehre von einer dritten bdquoPersonrdquo in der Gottheit Doch schon bald war es unmoumlglich diese Einheit von den beiden ande-ren zu unterscheiden Das stellte ein theologisches Problem dar Wenn der Geist weder geschaffen noch gezeugt wurde waumlre er ein zweites Generationsprinzip Es gaumlbe zwei Vaumlter Wenn er gezeugt beziehungsweise geboren wurde gaumlbe es zwei Soumlhne823

Die Schwierigkeit dieser Situation darf nicht uumlbersehen werden Das Dogma von der gleichen respektive von der gleichwertigen Goumlttlichkeit des Vaters und des Sohnes als zwei verschiedene Personen sollte Polytheismus vermeiden weil die eine auf ewig aus der anderen [Person] hervorgeht Aber was ist mit dieser dritten Person Woher kam sie und auf welche Weise entstand sie Wie koumlnnte die Exis-tenz dieser anderen angeblich ebenso voumlllig goumlttlichen Einheit nicht gegen die bestehende Beziehung der beiden anderen Mitglieder verstoszligen oder einen wei-teren ungeschaffenen oder ewigen Gott hervorbringen Diese verwirrenden the-ologischen Schwierigkeiten wurden einfach unter den Teppich gekehrt trotz des lautstarken Widerstands vieler Christen

Wie wir sehen werden war eine Methode die von den Kappadokiern verwendet wurde um die verheerenden Reaktionen auf ihre Formel zu lindern zuerst feier-lich zu erklaumlren dass es unmoumlglich sei Gott zu kennen Dann wurde erklaumlrt dass zu viel uumlber ihn nachzudenken nicht nur sinnlos sondern auch gefaumlhrlich war und an Blasphemie grenze Diejenigen die diese Situation nicht ertragen konnten wurden von der Regierung von Theodosius umgehend verunglimpft oder gleich hingerichtet Die Lehre der Dreifaltigkeit war da um zu bleiben Alle abweichen-den Stimmen sollten ob leise oder nicht im Hintergrund verstummen In der endguumlltigen Analyse der turbulenten Reise der Trinitaumltsthese nach 381 n Chr wird klar dass bdquodiese Lehre nur deshalb orthodox geworden ist weil sie vom Staat durchgesetzt wurderdquo824 Das Jahr 381 n Chr ist

ein entscheidender Moment in der klassischen und europaumlischen Geschichte Noch nie zuvor hatte es in der griechischen oder rouml-

823 G W H Lampe Explorations in Theology Vol 8 (London SCM Press 1981) p 30 (Ermah-

nungen in der Theologie) 824 Freeman AD 381 p 164

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mischen Welt eine so weitreichende Auferlegung eines einzigen re-ligioumlsen Glaubens neben der aktiven Unterdruumlckung von Alterna-tiven gegeben Theodosius Dekrete waren besonders schrecker-regend [Denn] bis in die 360er Jahre galt das Prinzip der Redefrei-heit und des Denkens Die Hofredner verkuumlndeten es als wesentlich fuumlr eine gesunde Gesellschaft Aber dann wurde die freie Diskus-sion uumlber spirituelle Fragen in der christlichen Welt ploumltzlich ein-geschraumlnkt und zwar sollte diese Einengung uumlber viele Jahrhun-derte andauern Man musste bis zum siebzehnten Jahrhundert war-ten bevor das Prinzip der religioumlsen Toleranz das in einem Teil der antiken Gesellschaft so tief verwurzelt gewesen war in Europa wieder aufleben durfte825

DurchdasMysteriumgefesseltIm Zuge der bdquoRettungrdquo des christlichen Dogmas vor dem unverbluumlmten Poly-theismus hatten es die drei Kappadokier in eine beeindruckende aber unverstaumlnd-liche Masse von widerspruumlchlichen Begriffen verwandelt Gregor von Nyssa der unter den dreien als bdquounbestrittener Begruumlnder der mystischen Theologierdquo826 galt schrieb bdquoWundere dich nicht dass wir von der Gottheit sprechen die gleichzeitig vereint und differenziert ist Mit Hilfe von Mysterien stellen wir uns sozusagen eine seltsame und paradoxe Vielfalt vor - Vielfalt in der Einheit und Einheit in der Vielfaltrdquo827 Fuumlr sie war der Christus ein bdquoRaumltselrdquo und ein bdquoParadoxonrdquo nicht aufgrund der Umstaumlnde als waumlre er ein Geheimnis das nur auf seine Offenbarung wartet sondern aufgrund seiner Natur Wenn die Schlussfolgerungen des Dog-mas Jesus zu einem wandelnden Widerspruch machen wuumlrden dann muumlsste der orthodoxe Christ ihn als solchen annehmen Allerdings koumlnnte der moderne Stu-dent in dieser Hinsicht noch einen gewissen Nutzen aus dem Neuen Testament ziehen die Quelle die hier in der Regel nur periphere Autoritaumlt zu uumlbernehmen scheint Der Apostel Paulus posaunte einen Aufruf an alle Christen

hellip dass sie alle Mut bekommen und in Liebe zusammenhalten und dass sie zur ganzen reichen Fuumllle des Verstehens gelangen und Gottes Geheimnis begreifen naumlmlich Christus In ihm sind alle Schaumltze der Weisheit und Erkenntnis verborgen Ich sage das damit euch niemand durch Uumlberre-dungskuumlnste hinters Licht fuumlhrt (Kolosser 22b-4)

825 Ebenso pp 1-2 826 Martin Laird Gregor von Nyssa and the Grasp of Faith (Oxford OUP 2004) p 175 827 Gregory of Nyssa ldquoUnity in Diversityrdquo zitiert in Gregory of Nyssarsquos Mystical Writings uumlbersetzt und

bearbeitet von Herbert Mursillo (Crestwood NY St Vladimirrsquos Seminary Press 1979)

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Koumlnnen Christusnachfolger eine volle Gewissheit des Verstaumlndnisses und die wahre Erkenntnis Christi erlangen wenn er oder sie anfaumlngt zu sagen dass Chris-tus sbquonicht begreifbarrdquo ist Tatsaumlchlich scheinen die Apostel nur Jesu eigenes Re-zept zu wiederholen sich sowohl von Gott als auch von seinem Messias zu uumlber-zeugen (Johannes 173) waumlhrend die spaumlteren Christen auf der ultimativen Ver-geblichkeit solcher Bemuumlhungen zu bestehen scheinen Wahrlich es ist nicht fair zu sagen dass ein enormer Bildungsbedarf besteht um das trinitarische System zu artikulieren nicht nur der Laie leidet unter Unwissenheit selbst die unglaub-lich brillanten Kappadokier schlossen den Kreis um in der gleichen Unklarheit zu versinken Wir sehen dann dass hier wirklich nicht der Glaube an die Offenba-rung des Geheimnisses Gottes gefragt ist sondern der Glaube an das [unerklaumlrbare] Mysterium an sich

Daran koumlnnten wir die gleichen Warnungen anbringen die von vielen Christen im Laufe der Geschichte wiederholt wurden welche die Anforderungen der Or-thodoxie so wahrgenommen haben dass sie die Glaumlubigen in eine willfaumlhrige Gleichguumlltigkeit gegenuumlber rationalen Beweisen hineinleiten Waumlhrend einige mo-derne Trinitarier zoumlgern eine voumlllige Aufgabe der Vernunft anzuerkennen haben andere Autoritaumlten wie Martin Luther die Glaumlubigen direkt auf genau dieses Vor-gehen hingewiesen bdquoIch habe dir oft gesagt dass dies wie auch jeder andere Glaubensspruch nicht auf der Vernunft beruhen darfrdquo828 Luther der vor Emo-tionen schwillt faumlhrt in seiner Predigt fort

Der Verstand ist die groumlszligte Hure des Teufels von Natur aus und in ihrer Art und Weise ist sie eine schaumldliche Hure sie ist eine Pros-tituierte die vom Teufel ernannte Hure Hure die von Schorf und Lepra gefressen wird die unter den Fuumlszligen getreten und zerstoumlrt werden sollte sie und ihre Weisheit Wirf ihr Mist ins Gesicht um sie haumlsslich zu machen Sie ist es und sie sollte in der Taufe ertraumlnkt werden829

Interessanterweise fuumlhlten sich die Kappadokischen Vaumlter sie waren Philoso-phen ersten Ranges fuumlr einen solchen Kurs offenbar eher untauglich Sie ver-suchten vergeblich die sakrale Vernunft selbst angesichts der theologischen Ma-chenschaften irgendwie zu schuumltzen In der Verteidigung seines Kollegen Basil behauptete Gregor seltsamerweise dass sie [die Kappadokischen Vaumlter] trotz ih-rer Mysterientheologie nicht unbedingt bdquoden natuumlrlichen Denkprozess unterdruuml-cken wollten nur um das Paradoxe zu begruumlszligenrdquo830 Doch ist Gregors Position

828 Martin Luther Complete Sermons of Martin Luther Vol 2 (Grand Rapids Baker Books 2000) pp 406-

407 829 Martin Luther Works Vol 16 (Erlangen 1851) pp 142-148 830Gregory of Nyssa Against Eunomius Book I 38

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wenn er seine eigene Lehre als bdquoneu und paradoxrdquo beschreibt nicht ein Para-doxon in sich selbst Wenn unsere Betrachtung eines trinitarischen Jesus uns bis zum Punkt der Verzweiflung verwirrt sollten wir doch bdquonicht uumlberrascht seinrdquo wie Gregor sagt Seiner Meinung nach sollte die uumlberwaumlltigende Natur des Mys-teriums der Dreieinigkeit das Leben eines jeden Christen einer jeden Christin beherrschen Denn bdquoanstatt das christliche Leben als eine Reise zu praumlsentieren die uns veraumlndert und in Richtung zunehmender Helligkeit fuumlhrt legte der heilige Gregor eine Vision vom Weg des Menschen zu Gott als eine Reise in die zuneh-mende Undurchsichtigkeit und Dunkelheit vorrdquo831

Im Laufe ihrer Mutmaszligungen arbeiteten die Kappadokischen Vaumlter daran meta-physische Loumlsungen fuumlr andere Fragen zu finden uumlber die Meinungsverschieden-heiten herrschten naumlmlich fuumlr das bdquoProblemrdquo der Subordination des Sohnes un-ter den Vater die Unterordnung welche in der Schrift so deutlich sichtbar ist Ihr auffaumllligster Fortschritt in dieser Hinsicht war die Zuordnung der bdquoKausalitaumltrdquo zur Person des Vaters aus welcher der Sohn durch den Geist zur Existenz gebracht worden war Essenziell konnten sie der Person des Vaters eine Vorrangstellung zuschreiben und gleichzeitig eine Wesensgleichheit mit den anderen Personen [der Gottheit] etablieren

Die Drei Kappadokier haben zum ersten Mal in der Geschichte das Konzept der Ursache (gr aition) in das Wesen Gottes eingefuumlhrt um es signifikant nicht an das Eine (die bdquoNatur Gottesrdquo) zu binden sondern an eine Person den Vater Indem sie sorgfaumlltig und kon-sequent zwischen der Natur Gottes und Gott als Vater unterschie-den dachten sie dass das was Gott veranlasst zu sein die Person des Vaters ist nicht die eine Goumlttliche Substanz832

Dieser Fortschritt der Philosophie erwies sich offensichtlich als ausreichend um viele in die Trinitarier-Gemeinschaft zu locken Die Kappadokier hatten offenbar die bdquoperfekte Loumlsungrdquo fuumlr die von Nicaumla verursachten Probleme vorgelegt eine SubstanzEssenz (Ousia) mit drei Personen (Hypostasen) doch gepaart mit dem raumltselhaften Primat der Ungleichheit des Vaters gebuumlndelt unter einem undurch-dringlichen Schleier des Glaubens an ein Mysterium Diese Bemuumlhungen unter-stuumltzt durch die Staatsraumlson begannen bald die Bande zwischen den verschiede-nen Lagern zu festigen und dienten in hohem Maszlige dazu die Turbulenzen der

831 Philip Kariatlis ldquoDazzling Darkness The Mystical or Theophanic Theology of St Gregory

of Nyssardquo Phronema Vol 27 No 2 (Redfern St Andrewrsquos Greek Orthodox Theological College 2012) p 100 (Grelle Dunkelheit Die Mystische oder Theophaische Theologie des hl Gregor von Nyssa)

832 John D Zizioulas ldquoThe Doctrine of the Holy Trinity The Significance of the Cappadocian Contribu-tionrdquo Trinitarian Theology Today Essays on Divine Being and Act (Edinburgh T amp T Clark 2000 [1995]) pp 44-60

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Ost- und Westpolitik zu glaumltten Die Macht der Mehrheit wechselte letztendlich zu denen hinuumlber die sich auf Darstellungen einigen konnten welche die traditi-onellen subordinationistischen Ansichten ablehnten Als Folge davon sollten die Arianer und andere unitarische Gruppen langsam aber sicher in die Minderheit absinken

Doch wir duumlrfen nicht glauben dass der Trinitarismus somit kurz vor der end-guumlltigen Loumlsung stand Konkret erwies sich die These der gleichzeitigen Goumlttlich-keit und des Mensch-Seins des orthodoxen Jesus immer noch immens problema-tisch Weitere Argumente und oumlkumenische Konzilien waren erforderlich um die anhaltend unbequeme Theorie des Mensch-Seins Jesu unter einem unnahbaren und undurchdringlichen Gott wie in der aufbluumlhenden kappadokischen Formel vorgestellt zu ergruumlnden

DerunloumlsbareTrinitarischeJesusUns duumlrfte inzwischen klar sein dass trotz der Bemuumlhungen der Kappadokier eine Vielzahl der Fragen die durch Nicaumlas urspruumlngliches Diktat der bdquogleichen Substanzrdquo hervorgerufen wurden noch offen blieb Die anscheinend doktrinaumlre Einigkeit die sie mit ihren Ideen erreicht zu haben glaubten war staumlndig in Ge-fahr zu zerbrechen Wohl hatte die Homoousie in den Seelen vieler Christen ein kleines Wunder gewirkt doch gegen Ende des vierten Jahrhunderts gab es noch viele Bischoumlfe mit groszligen Vorbehalten die uumlberzeugt werden mussten So man-gelhaft war Nicaumlas Verwaltung von Harmonie und Klarheit dass eine anschei-nend unzaumlhlbare Schar ungluumlcklicher Theologen eine Kontroverse nach der an-deren anzettelte Die Religion wie auch das Imperium hinterlieszligen blutbefleckte Fuszligspuren bis an die Schwelle des Zusammenbruches Wir werden nun kurz auf einige dieser infamen Streitpunkte eingehen

Im Jahre 381 n Chr wurde in Konstantinopel noch eine andere Angelegenheit behandelt Apollinaris von Laodizea (315 - 390 n Chr) hatte eine Anhaumlngerschaft von Christen um sich geschart die zum Schluss kam dass Christus keinen mensch-lichen Verstand haumltte haben koumlnnen Sein Verstand sei nur der eine Verstand der goumlttlichen Person Gottes gewesen Sicherlich so dachten die Apollinarier koumlnnte es nicht zwei verschiedene Sinne geben die in der einen Person Jesu wirkten Dies war letztlich eine Reaktion auf die alte gnostische Ansicht von bdquozwei Personenrdquo im Erloumlser Apollinaris argumentierte gegen diejenigen die bdquonicht den ins Fleisch gekommenen Gott sondern einen Menschen der mit Gott verbunden istrdquo auf-rechterhielten Er protestierte gegen eine bdquoUnterscheidung zwischen sbquozwei Soumlh-nenlsquo dem Sohn Gottes und dem Sohn Mariasrdquo Wie J N D Kelly erklaumlrt bdquoim-plizieren solche Unterscheidungen dass Christus sbquozweirsquo ist waumlhrend die Schrift

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betont dass er eine Einheit ist und auf jeden Fall ist eine solche Dualitaumlt einmal abgesehen von der Schrift unvorstellbarrdquo833

Apollinaris Theorie war folgende Die goumlttliche Person war bdquodas einzige Leben des Gott-Menschen das Ihm Lebenskraft und Bewegungen einfloumlszligte sogar auf der rein physischen und biologischen Ebenerdquo834 Dies machte das bdquoMensch-Seinrdquo Christi grundlegend anders als das aller anderen Menschen er war Traumlger einer bdquovergoumlttlichtenrdquo Humanitaumlt ja sogar sein Fleisch war bdquogoumlttliches Fleischrdquo Mit dieser Lehrmeinung eines himmlischen Mensch-Seins glich Apollinaris den fruumlheren Lehren von Valentinus Origenes und sogar des nicaumlnischen Theologen Hilarius von Poitiers835 Tatsaumlchlich wie Hanson offenbart tauchten selbst bdquoor-thodoxerdquo Autoritaumlten wie der genannte Hilarius zur Verteidigung der trinitari-schen Theologie wild in den Doketismus einrdquo836 So gab Apollinaris als er ver-suchte die Orthodoxie vor den Valentinianern zu retten nur dem gleichen Druck nach der umgekehrt auf den Doketismus ausgeuumlbt worden war Selbst die ange-sehensten nicaumlnischen Befuumlrworter konnten dem nicht entgehen Bezuumlglich die-ser himmlischen Menschlichkeit Jesu erklaumlrt Kelly bdquoWenn es beanstandet wird dass der Apollinarianismus Ihn [Jesus] von gewoumlhnlichen Menschen unterschei-det zoumlgerte Apollinaris nicht dem zuzustimmen Er fand eine Bestaumltigung fuumlr den Unterschied im Wortlaut von Texten wie sbquoAls Mensch befundenrsquo und sbquoIn der Gestalt der Menschenrsquordquo837 Fuumlr die meisten Menschen hat diese Art uumlber Jesus zu denken dazu gefuumlhrt sich wieder ruumlckwaumlrts in Richtung Gnostizismus zu bewe-gen Tatsaumlchlich bdquowurde Apollinaris unterstellt zu lehren dass das Fleisch des Herrn himmlischen Ursprungs und prauml-existent gewesen seirdquo838 Mit dieser Be-hauptung wird die exakte Lehre der valentinianischen Gnostiker wiedergegeben die lautet dass der menschliche Koumlrper Jesu vom Himmel herabgestiegen und durch Maria gegangen sei Die gnostische Kontroverse der Mitte des zweiten Jahr-hunderts tobte auch noch im vierten Jahrhundert Aber Apollinaris reagierte hef-tig auf diese Anklage bdquoEs ist aus allem was wir geschrieben haben ersichtlich dass wir nicht sagen dass das Fleisch des Erloumlsers vom Himmel herabgekommen

833 Kelly Early Christian Doctrines p 290 (Fruumlh-Christliche Doktrinen) 834 Ebenso p 292 835 Valentinus lehrte dass der Koumlrper Jesu himmlisch war sogar durch die gemeinsamen Bemuumlhungen der

Aumlonen Origenes lehrte dass die wahre Natur des himmlischen Fleisches Christi bei der Verklaumlrung durchgeschimmert habe (Gegen Celsus 6 77) Hilarius (starb 367 n Chr) lehrte dass bdquoder Leib Christi der durch den Heiligen Geist empfangen wurde nicht wirklich irdisch sondern himmlisch (corpus coe-leste) war und uumlber die menschliche Schwaumlche erhoben wurde die Verklaumlrung und das Gehen auf dem Meer nicht zwangslaumlufig wundersam sondern natuumlrlich waren fuumlr einen Koumlrper wie den Seinen das Denken des Hilarius geriet unter Druck da er dem Doketismus nahe kamrdquo (Kelly p 335)

836 Hanson p xix 837 Kelly p 335 838 Ebenso p 294

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istrdquo839 Dennoch brachte die Eliminierung des menschlichen Geistes und Willens und die bdquoVergoumlttlichungrdquo seiner menschlichen Natur Apollinaris schlicht und einfach zu nahe an den Doketismus Fuumlr die Orthodoxen war seine Christologie noch bdquopraktisch doketisch was bedeutet dass der Erloumlser kein wahrer Mensch war sondern nur als Mensch erschienrdquo840 Die Kappadokier sahen vor allem in Apollinaris Modell eine Verwerfung der wahren Humanitaumlt Christi Sie haben deshalb den Apollinarianismus als Ketzerei dekretiert und die These von Christus als bdquowahrem Gott und wahrem Menschenrdquo aufrechterhalten Wenn das bedeu-tete dass er zwei Sinne [engl minds = Verstand] haben musste dann soll es so sein Wie eine der orthodoxen Autoritaumlten in dieser Zeit bemerkte sollten wahre Christen bdquodas was im Glauben gesagt wird akzeptieren und nicht heftig herum-stochernrdquo841 Damit houmlrten die Fragen natuumlrlich nicht auf842 Wenn das Konzils-ergebnis zur apollinarischen Kontroverse einen Ruumlckschritt in Richtung der alten bdquoZwei-Personenrdquo-Christologie der Gnostiker darstellte dann wuumlrde das Resultat der bald folgenden groszligen Kontroverse das Pendel in die andere Richtung schwingen lassen aber gleichermaszligen einen Ruumlckschritt bedeuten

Das Konzil von Ephesus tagte im Jahre 431 n Chr um sich mit einem neu ent-flammten christologischen Streit zu befassen In der bdquoNestorianischen Kontro-verserdquo stellten Christen die Frage wie Jesus gleichzeitig zwei gegensaumltzliche Na-turen in einer einzigen Person unterhalten koumlnnte Viele gingen davon aus dass zwischen den beiden Naturen eine wesentliche Diskrepanz bestehen muumlsse Ihr Einwand lautete Als Christus starb dann muss es nur seine menschliche Natur gewesen sein die starb denn Gott ist von Natur aus unsterblich Wenn Christus versucht wurde dann war es nur seine menschliche Natur die versucht wurde denn Gott kann nicht versucht werden und so weiter Daruumlber hinaus argumen-tierten sie dass bdquoeine authentische menschliche Erfahrung unmoumlglich gewesen waumlre wenn die Humanitaumlt [das Mensch-Sein] des Herrn mit seiner Goumlttlichkeit verschmolzen oder von ihr dominiert worden waumlrerdquo843 Jedoch gab es noch einen anderen einflussreichen alexandrinischen Theologen Kyrill (gestorben um 444 n Chr) der eine Vielzahl von Anathemas (Bannbullen) herausgab die den Nesto-rianismus verurteilten Er behauptete dass Nestorius zwei Personen in Christus

839 Ebenso unsere Hinzufuumlgung 840 Ebenso p 295 841 Johannes Chrysostomos (Johannes von Antiochia gest 407 n Chr) zitiert bei Freeman in Closing of the

Western Mind S 311 Chrysostomos schlaumlgt zudem vor bdquoBeschraumlnken wir unser eigenes Denken und entleeren wir unseren Geist des weltlichen Lernens um einen Geist zu schaffen der klar fuumlr die Auf-nahme goumlttlicher Worte istrdquo (S 316)

842 Die Gedanken von Apollinaris starben nicht aus Seine Anhaumlnger hielten seine Lehren am Leben indem sie seine Schriften aufbewahrten und so taten als waumlren sie tatsaumlchlich Schriften die von seinem Freund Athanasius weitergegeben wurden

843 Kelly pp 312-313

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lehrte Explizit war dies natuumlrlich nicht der Fall aber fuumlr Kyrill machten die Fol-gen von Nestorius Einwendungen eine solche Schlussfolgerung unvermeid-lich844

Kyrill selbst stellte jedoch ein eigenartiges Problem dar Seine merkwuumlrdige Be-hauptung dass die Nestorianer Christus in zwei Personen spalteten indem sie sagten nur eine Natur habe leiden koumlnnen veranlasste ihn auch zu behaupten dass obwohl es zwei verschiedene Naturen in Christus gab sie im Wesentlichen doch irgendwie vereint seien Diese These wurde in der Folge als bdquohypostatische Vereinigungrdquo bezeichnet Die beiden Naturen waren in der einen Hypostase des Sohnes vereint und was der einen Natur geschah geschah auch der anderen Deshalb wurde nicht nur der Menschdie Humanitaumlt Jesu gekreuzigt sondern auch der Logos dh Gott selbst Kyrill wies jedoch schnell darauf hin dass der Sohn bdquoohne Empfindungen gelitten hatrdquo845 Mit anderen Worten sagte er dass die goumlttliche Person litt ohne zu leiden Zusaumltzlich zu diesem anstrengenden Para-doxon stellte Kyrills System eine weitere Frage Wenn die Goumlttliche Person tat-saumlchlich haumltte leiden koumlnnen warum musste der Logos dann uumlberhaupt eine menschliche Natur annehmen Mit diesem Gedankengang kam Kyrill der Ver-leugnung des Mensch-Seins Christi verdaumlchtig nahe es war eine unnoumltige Farce

Die Nestorianer lieszligen sich nicht uumlberzeugen Fuumlr sie war dieses bdquoLeiden ohne zu leidenrdquo nur ein Missbrauch von Worten Aber Kyrill hatte einen unglaublich rachsuumlchtigen Charakter und war bereit alle notwendigen Maszlignahmen zu ergrei-fen um den Erfolg seiner Ansicht zu sichern Kyrill benutzte bdquoSchocktruppenrdquo Parabalani genannt um seine Gegner einzuschuumlchtern Die Trupps verbreiteten offensichtlich solchen Schrecken dass sogar der Kaiser selbst darum bat ihre Staumlrke auf 500 Mann zu beschraumlnken846 Wie Griggs bemerkt bdquowurde die [gewalt-taumltige] Taktik waumlhrend des Episkopats von Athanasius in vielerlei Hinsicht wieder neu aufgegriffenrdquo 847 Frend charakterisiert Kyrill als bdquovoumlllig skrupellos uumlberheb-lich turbulent und machthungrig bereit den Mob und die Moumlnche zu benutzen

844 bdquoEs ist kein Wunder dass Zeitgenossen die sich dieser Christologie aus der Sicht der Einheit der Person

und nicht aus der Unterscheidung der Naturen naumlherten zu dem Schluss kamen dass es sich um die Lehre handelte des nur-menschlichen Jesus der mit dem Wort durch Harmonie des Willens und durch goumlttliche Gunst verbunden war Dieses war eine Travestie von dem was Nestorius zu lehren be-absichtigte aber der Fehler lag in seiner Unfaumlhigkeit eine tiefere Analyse der substanziellen Einheit der Person des Herrn vorzunehmen von der er uumlberzeugt warrdquo (Kelly p 317)

845 bdquoKyrill betonte den Logos der litt und sbquounpassierbarrsquostarb Dies sollte nicht als implizite Ablehnung verstanden werden dass der Logos sbquowirklichrsquo gelitten und gestorben ist sondern zeigt vielmehr die einzi-gartige Art und Weise auf in der nicht nur Leiden und Tod sondern alles was kreatuumlrlich und menschlich ist kann einer goumlttlichen Person gehoumlren Das unpassierbare Leiden des Logos im Fleisch belastet freilich die Grenzen unseres Verstaumlndnisses rdquo (James F Keating Thomas Joseph White Divine Impassibility and the Mystery of Human Suffering (Grand Rapids Eerdmans 2009) S 257)

846 Freeman Closing of the Western Mind p 268 847 W H C Frend zitiert bei Griggs p 190

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um seine Befehle gegen seine Widersacher auszufuumlhrenrdquo848 Letztendlich war Ky-rill so problematisch dass nach seinem Tod einer seiner Zeitgenossen schrieb

Sein Hinschied erfreut die Uumlberlebenden entmutigt aber moumlglich-erweise die Verstorbenen sie koumlnnten ihn wieder zu uns zuruumlck-schicken [Wir muumlssen] einen sehr groszligen und schweren Stein auf sein Grab legen um ihn davon abzuhalten hierher zuruumlckzukom-men849

Dennoch hatte der roumlmische Kaiser der den Streit Kyrills mit Nestorius beo-bachtete offenbar mindestens eine Lehre aus vergangenen Konzilen gezogen Theologische Fragen konnten noch nie bdquogeloumlstrdquo werden wenn es um persoumlnliche Konflikte ging jedenfalls nicht ohne das groszligzuumlgige Eingreifen der Regierung Wieder einmal wurde schnell davon ausgegangen dass die imperiale Kontrolle ein Ende der Unruhen bringen wuumlrde Als Kyrill erkannte dass er seine Stellung gegenuumlber der Kirche nicht allein behaupten konnte griff er zum Mittel der Be-stechung des Staates Die Summen mit denen er sowohl kaiserliche Beamte als auch Kirchenfuumlhrer bestach waren atemberaubend hoch850 Nestorius selbst sah sich gezwungen oumlffentlich gegen Kyrill und seine schaumlndliche Taumltigkeit zu pre-digen aber ohne Erfolg Das Konzil von Ephesus fuumlhrte zu einer kaiserlichen Anordnung welche die Ablehnung von Kyrill zu einer strafbaren Handlung machte Am Ende scheint Kyrills Karriere mit derjenigen von Athanasius nahezu identisch zu sein Wie Frend abschlieszligend sagt brauchten sowohl Athanasius als auch Kyrill bdquoall ihr Ansehen und ihre Faumlhigkeiten um die Akzeptanz dieser the-ologischen Annahmen auf der Grundlage des Nicaumlnischen Credos durchzuset-zen auch wenn sie im Widerspruch zu den woumlrtlichen Doktrinen der Bibel stehen solltenrdquo851

Interessanterweise ist der verurteilte bdquoNestorianismusrdquo im Mainstream-Christen-tum auch heutzutage nicht ausgestorben Wir erinnern uns dass Nestorius selbst ein besonderes Anliegen hatte dass Maria bdquodie Mutter Gottesrdquo (Theotokos) ge-nannt wurde Er behauptete dass sie die Mutter ausschlieszliglich der bdquomenschli-chenrdquo Natur Christi sein muumlsse Dagegen hatte sich die katholische Kirche auf die Seite Kyrills gestellt und bestaumltigt dass Maria tatsaumlchlich die Mutter Gottes war

848 Ebenso 849 Theodoret zitiert in Robert L Wilken ldquoCyril of Alexandriardquo The Limits of Ancient Christianity (University

of Michigan Press 1999) p 42 850 Fuumlr einen Einblick in die unglaubliche Materie in der Cyril agierte lese man seinen Brief 96 der einen

detaillierten bdquoKatalog der Dinge die geschickt wurdenrdquo enthaumllt als Bezahlung fuumlr bestimmte politische Ergebnisse Zu den von ihm gewuumlnschten Ergebnissen gehoumlren die Einstellung des Widerstandes gegen seine Partei die Mediation die Uumlberzeugung bestimmter Beamter durch andere Beamte die Entlassung eines Beamten der mit Kyrills Feinden befreundet war usw

851 W H C Frend zitiert in Griggs p 146

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Aber hier finden wir eine Angelegenheit der viele Protestanten heute energisch widersprechen selbst diejenigen die angeblich den oumlkumenischen Konzilen fol-gen Tatsaumlchlich bleibt die nestorianische bdquoKetzereirdquo bei vielen Evangelikalen stark verwurzelt Sie beanspruchen wohl die Gottheit Christi im trinitarischen Sinne behaupten aber dennoch dass nur die Mensch-Natur [Christi] geboren wurde dass sie litt starb und versucht wurde852

Die Meinungsverschiedenheiten uumlber die aufkeimenden trinitarischen Richtlinien im spaumlten Roumlmischen Reich nahmen ihren Fortgang Es wurde klar dass die Streitigkeiten welche die konziliaren Debatten zwischen den Kirchen nicht bei-legen konnten die schwere Hand Roms erforderten Rom war immer bereit zu einer Loumlsung zu verhelfen Kaiser Theodosius II war selber ein dem Nicaumlnisch-konstantinopolitanischen Credo verpflichteter Trinitarier Im Jahre 438 n Chr erlieszlig er Dekrete die erneut die Todesstrafe fuumlr jeden anordneten der die Drei-faltigkeit leugnete853 Doch auch innerhalb der trinitarischen Partei selbst gab es noch keine vollstaumlndige Uumlbereinstimmung uumlber die Natur der Goumlttlichkeit Christi Diese Zwietracht bleibt bis in unsere heutige Zeit bestehen Wie wir uns immer wieder in Erinnerung rufen muumlssen ist der staumlndige Ruumlckfall in den Nes-torianismus des modernen Christentums in Wirklichkeit die Folge des natuumlrlichen Drucks des Valentinianismus Mit der These der zwei Einheiten fuumlr die Lehre von der Gottheit Christi folgte er dem Weg des geringsten Widerstands Interes-santerweise sollte der Name Valentins in den Streitigkeiten auch nach der Nie-derlage von Nestorius immer wieder auftauchen Im Jahre 448 n Chrverurteilte eine Synode sogar den populaumlren Theologen Eutyches als Apollinarier und bdquoAn-haumlnger des Valentinusrdquo854

Der Aufruhr uumlber die duale Natur [Christi] kam 449 n Chr erneut zum Aus-bruch Das Zweite Konzil von Ephesus das urspruumlnglich als bdquooumlkumenischesrdquo Konzil geplant war wurde von der Orthodoxie aufgrund anti-orthodoxer Schlussfolgerungen abgelehnt Dieses Konzil stellte in einer uumlberraschenden Kehrtwende fest dass Christus keine Vereinigung einer separaten goumlttlichen Na-tur und einer menschlichen Natur war sondern nur eine Natur in Christi einziger

852 See R C Sproul ldquoDid God Die on the Crossrdquo Ligonier Ministries 14 April 2014 Web 27 October

2014 (Starb Gott am Kreuz) 853 Roland H Bainton Christendom A Short History of Christianity and Its Impact on Western Civiliza-

tion Vol 1 (New York Harper amp Row 1964) p 101 854 Kelly p 331 Da Eutyches lehrte dass die Goumlttlichkeit Jesu seine Humanitaumlt [dh das Mensch-Sein]

absorbierte war dieser Vorwurf ein Anhaumlnger von Valentinus zu sein wahrscheinlich auf das aus-gerichtet was die Gegner von Eutyches fuumlr eine teilweise doketische Tendenz hielten Die westliche Schule der Valentinianer haumltte zumindest eine vollstaumlndige menschliche Person neben der goumlttlichen bewahrt die die MenschlichkeitHumanitaumlt nicht in eine neue Natur aufgenommen haumltte Aber das mag wohl die Tendenz im Osten gewesen sein Unabhaumlngig davon ist es wahrscheinlich der allgemeine gnos-tische Schatten welcher der orthodoxen Christologie folgt den Eutychesrsquo Kritiker entdeckt zu haben glaubten

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Person wohnte Daraus entstand das so genannte bdquomonophysitische Schismardquo das schlieszliglich die bis heute andauernde Trennung von der orientalisch-orthodo-xen Kirche verursachte

Im Jahre 451 n Chr wurde in aller Eile eine weitere Zusammenkunft das Konzil von Chalcedon einberufen um diese ploumltzliche Verschiebung zu bdquobehebenrdquo die durch diejenigen verursacht wurde die immer noch die Widerspruumlchlichkeit des Gott-Christus mit zwei Naturen erkannten Chalcedon gelang es die Stroumlmung umzulenken bis zu dem Ergebnis dass Christus wieder zu einer Person mit zwei Naturen wurde Aber die Sichtweise der dualen Natur blieb beharrlich zweideu-tig in Chalcedon wurde keine Loumlsung vorgestellt wie Christus als eine Person mit zwei Naturen haumltte existieren koumlnnen und kein allgemein verbindliches Modell wurde vereinbart Fuumlr die Orthodoxen blieben die groszligen Fragen uumlber Jesus be-stehen855 Was sich jedoch durchsetzte war die Uumlberwindung der apostolischen Predigt durch die Orthodoxie Wie ein katholischer Gelehrter uns daran erinnert dass

das Neue Testament keine Auskunft uumlber die Lehre von Chalcedon gibt Dieses Konzil hat die neutestamentlichen Daten uumlber die Be-schaffenheit Jesu nicht nur in einer anderen Sprache neu formu-liert sondern auch im Lichte des aktuellen griechischen philoso-phischen Denkens neu konzipiert Und diese Rekonzeptualisierung und Neuformulierung gehen weit uumlber die neutestamentlichen Darstellungen hinaus856

Ein anderer katholischer Gelehrter raumlumt sogar ein dass es in Chalcedon der Neuformulierung der dualen Natur tatsaumlchlich gelungen ist die Menschlichkeit Jesu so zu veraumlndern dass sie bdquoein Mensch-Sein [eine Humanitaumlt] im Gegensatz zu derjenigen der uumlbrigen von unsrdquo wurde Soviel gesteht er ein

Die Chalcedonische Formel macht ein echtes Mensch-Sein unmoumlg-lich Die konziliare Definition besagt zwar dass Jesus wahrer

855 Hick schreibt dass bdquodie Aufgabe vor der jemand steht der eine Chalcedonische Christologie bekraumlfti-

gen will nicht darin besteht eine hellenistische Darstellung daruumlber wie die eine Person Jesus zwei Naturen haben koumlnnte in zeitgenoumlssische Begriffe zu uumlbersetzen denn eine solche Darstellung ist in der urspruumlnglichen Formel nicht enthalten Wie ein Historiker der damaligen Zeit sagt sbquoChalcedon hat sich als weniger eine Loumlsung erwiesen als die klassische Definition eines Problems das staumlndig weiterer Aufklaumlrung bedarfrsquo (Young) Dieses Problem liegt nicht in einer veralteten Sprache und Konzeptualitaumlt sondern in der Tatsache dass das Konzil faktisch nur behauptet hat dass Jesus sbquowahrer Gott und wahrer Menschrsquo sei ohne zu sagen wie ein solches Paradoxon moumlglich ist Lediglich die Behauptung dass zwei verschiedene Naturen in Jesus koexistierten ist es eine Form von Worten auszusprechen die noch keine bestimmte Bedeutung hatrdquo John Hick The Metaphor of God Incarnate (London Westminster John Knox Press 2005 [1993]) pp 47-48

856 Joseph Fitzmyer A Christological Catechism (Costa Mesa Paulist Press 1991) p 102 (Ein Christologischer Katechismus)

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Mensch ist Aber wenn es zwei Naturen in ihm gibt ist klar welche dominieren wird Und Jesus wird damit sofort sehr verschieden von uns Er weiszlig genau was jeder denkt und tun wird Das ist weit entfernt von der normalen menschlichen Erfahrung Jesus wird versucht kann aber nicht suumlndigen weil er Gott ist Was fuumlr eine Versuchung ist das Ist das uumlberhaupt als Versuchung zu be-zeichnen Jesus hat kein menschliches persoumlnliches Zentrum wir koumlnnen uns daher nicht mit diesem Jesus identifizieren857

Tatsaumlchlich ist die Humanitaumlt das Mensch-Sein des chalcedonischen Christus rein aumluszligerlich waumlhrend ihr innerlich wirklich alles fehlt was diese Menschlichkeit ausmacht Unsicherheit Verletzlichkeit wahres Vertrauen auf eine houmlhere Macht - die notwendigen Merkmale eines echten menschlichen Lebens werden unwei-gerlich durch eine gleichzeitige Existenz als Allmaumlchtiger Gott uumlbertoumlnt Chalce-don verteidigt eine doppelte [duale] Natur deshalb bestaumltigt ein Gelehrter zu Recht bdquoMan kann das Mensch-Sein zwar als eine formale Tatsache bejahen sie aber dann so definieren oder darstellen dass man ihre Realitaumlt in jedem als sbquonor-malrsquo anerkannten Sinne leugnetrdquo858

Man laumluft also wieder im Kreis und kehrt zum doketischen Jesus zuruumlck Leicht zu erkennen ist hier die Verdraumlngung des Mensch-Seins Christi Die menschliche Lebenserfahrung Jesu wird nachhaltig verwaumlssert und die menschliche Natur selbst wird von seiner Persoumlnlichkeit entkoppelt - einmal mehr entsteht eine gnostische Fata Morgana eine zeitlose Abstraktion die an einer goumlttlichen Per-son verankert wird Wie Harnack offenbart verwirft man an diesem Punkt bdquojeden Gedanken an die reale und vollstaumlndige menschliche Persoumlnlichkeit des Erloumlsers da er tatsaumlchlich mit der Kirche nicht vereinbar ist An seine Stelle tritt die sbquoNaturrsquo [Christi] die ohne sbquodie Personrsquo einfach eine sbquoChiffrersquo [ein Nichts] istrdquo859 Und so verschwindet der geschichtliche Mensch [Jesus] und mutiert zum fernen Gott des christlichen Dogmas

Ebenfalls interessant zu sehen ist in den Jahren nach dem Konzil von Chalcedon so erklaumlrt ein Historiker der Beginn eines aktiven Versoumlhnungsprozesses mit der Kirchengeschichte Nach 451 nChr

Es musste viel Aufraumlumarbeit fuumlr die turbulente Vergangenheit des Christentums geleistet werden um ihm ideologische Einheitlich-keit zu verleihen Die Lehren des orthodoxen Christentums so

857 Thomas N Hart To Know and Follow Jesus (New York Paulist Press 1984) pp 46-47 (Jesus kennen und

ihm nachfolgen) 858 John Knox The Humanity and Divinity of Christ (New York CUP 1967) p 62 859 Harnack History of Dogma Vol II 1961 p 10

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hieszlig es nun waumlren schon seit Jahrhunderten bekannt gewesen Selbst die Patriarchen die vor der Zeit Mose lebten bdquohaumltten ge-wusst dass der eine Allmaumlchtige Gott die Heilige Dreifaltigkeit istrdquo obwohl Gregor zugab dass sie bdquonicht sehr viel oumlffentlich predigten uumlber die Trinitaumlt die ihnen wohl bekannt warrdquo Die leidenschaftli-chen und bitteren Meinungsverschiedenheiten der Kirchenvaumlter uumlber die Auslegung widerspruumlchlicher Passagen wurden aus dem Protokoll gestrichen angeblich sollen sie alle einstimmig gespro-chen haben Was die Schriften lehrten argumentierte Gregor ha-ben die vier Konzile Nicaumla (325) Konstantinopel (381) Ephesus (431) Chalcedon (451) die [nachtraumlglich] mit der Orthodoxie ver-bunden wurden bestaumltigt Ihnen verlieh man den Status oumlkumeni-scher Konzile da in ihnen die authentische Stimme der Kirche ge-houmlrt worden war Die Rolle der Kaiser bei der Berufung der Kon-zile und deren Druck zum Konsens wurden vielleicht verstaumlndli-cherweise heruntergespielt ebenso wie das Fehlen einer westlichen Beteiligung die von Bedeutung gewesen waumlre Da die orthodoxe Lehre nicht von Anfang an so dargestellt und akzeptiert worden war warf man den Ketzern vor bdquoetwas Neuartiges erfinden zu wol-len was nicht in den alten Buumlchern der Urvaumlter enthalten istrdquo Was auch immer die Untersuchung der historischen Aufzeichnungen vermuten lassen mag es wurde unmoumlglich die christliche Lehre als das Produkt eines Evolutionsprozesses zu sehen Man wollte nicht dass es hieszlig eine Haumlresie sei zur bdquoOrthodoxie gereiftrdquo860

Nichtsdestotrotz stellen wir fest dass obwohl der Status der Trinitaumltslehre lau-fend staumlrker untermauert wurde bis ins sechste Jahrhundert hinein erhebliche interne Meinungsverschiedenheiten uumlber das immer komplizierter werdende Dogma herrschten Offenbar wurde es noumltig dass der brutale Kaiser Justinian um 530 n Chr861 wegen Verleugnung der Trinitaumlt erneut die Todesstrafe ver-haumlngte Wie in den vorangegangenen Kapiteln dieses Buches erwaumlhnt wurde nicht nur Justinans Lehre der Dreifaltigkeit durchgesetzt sondern auch das Shema verboten Das biblische Glaubensbekenntnis wurde von Jesus selbst beansprucht (Markus 1228ff) Dieses Bekenntnis wird als die Ablehnung der Dreifaltigkeit

860 Freeman Closing of the Western Mind pp 313-314 861 Justinian stand in der Gewalt gegen seine Untertanen dem vorhergehenden Theodosius I in nichts

nach Man geht davon aus dass waumlhrend dem Nika-Aufstand von 532 n Chr Justinian zwischen 30000 und 50000 roumlmische Buumlrger toumltete

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anerkannt862 Juumldische Buumlrger im Reich galten fortan weniger als Tiere Das bdquorich-tigerdquo Bekenntnis zu bestimmten christlichen Ideen wurde zu einer grundlegenden Voraussetzung fuumlr die volle Zugehoumlrigkeit zur Gesellschaft und zur Teilnahme an dem was sie zu bieten hatte863 So wurde einmal mehr der Glaube an den Dreieinigen Gott bdquodurch das Schwert der Zivilregierungrdquo noch fester in der oumlku-menischen Akzeptanz verankert864

Trotz der Bemuumlhungen sowohl der Bischoumlfe als auch des Staates das Christen-tum mit einem verfestigten und vereinbarten trinitarischen Dogma zu zuumlgeln wurde 553 n Chr ein weiteres Konzil das Zweite Konzil von Konstantinopel benoumltigt um die Ansichten der beharrlichen Nestorianer uumlber die zwei Naturen Christi weiter zu verurteilen Kaiser Justinian hoffte dass dieses Konzil die noch immer uumlber die neuen Grundsaumltze zerstrittenen Kirchen vereinigen wuumlrde aber das Konzil verursachte nur weitere Spaltungen und erzeugte noch mehr Haumlresien

Noch 681 n Chr stoumlrte der Mangel an Klarheit weiterhin den Glauben und das Dritte Konzil von Konstantinopel traf sich um mehrere neue Kontroversen an-zugehen Bei diesem Konzil legten die orthodoxen Mitglieder fest dass Jesus nicht nur zwei Naturen hatte sondern auch zwei verschiedene Willen beherbergte Das Konzil war daher gezwungen wenn auch nur postum einen Papst Honorius I zu verurteilen der bdquomonothelitistischerdquo Ansichten (nur ein Wille) vertreten hatte865 Viele Evangelikale sind heutzutage uumlberrascht zu erfahren dass die Or-thodoxie einen so erstaunlichen Glauben an den historischen Jesus forderte Aber auch moderne trinitarische Gelehrte wie Thomas Morris sind sich einig dass es in Jesus tatsaumlchlich zwei Willen gab einen menschlichen und einen goumlttlichen und dass wenn der menschliche Wille jemals versuchen sollte eine Entscheidung zu treffen die von den [Prinzipien] des goumlttlichen Willens abweicht der goumlttliche Wille [die menschliche Option] sogleich uumlberstimmen wuumlrde866 Dies stellt letzt-lich wie Trinitarier schlussfolgern bdquoeine Art dualen Verstandrdquo in Jesus dar was

862 Joseph Melusky Keith Pesto The Death Penalty Documents Decoded (Santa Barbara ABC-CLIO

2014) p 4 (Die Todesstrafe Entzifferte Dokumente) 863 Freeman Closing of the Western Mind p 253 255 864 Thomas Jefferson Letter to Theologian James Smith December 8 1822 865 ldquoMonotheletismusrdquo besagt dass die Person Jesu nur einen Willen hatte wahrscheinlich in Syrien um

629 n Chr entstand und zunehmend um 638 n Chr formuliert wurde bis sie schlieszliglich 681 n Chr als ketzerisch abgelehnt wurde Die Bischoumlfe hatten Schriften von Papst Honorius I entdeckt die er an Sergius geschrieben hatte und die eine Uumlbereinstimmung oder ein Verstaumlndnis fuumlr Sergius Ansicht of-fenbarten dass Jesus nur einen Willen hatte So wurde er mit Schreien von bdquoHonorius Ketzer Anath-emardquo verdammt (Drittes Konzil von Konstantinopel 680 n Chr 16 Sitzung)

866 Thomas Morris zitiert in John Hick The Metaphor of God Incarnate (London Westminster John Knox Press 2005 [1993]) p 57 (Die Metapher des Fleischgewordenen Gottes)

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im Wesentlichen das Anathema von Konstantinopel (381 n Chr) bestaumltigt867 Wie ein trinitarischer Professor erklaumlrt bdquoEine Inkarnation mit zwei Seelen [eng-lisch two minds Anm des Uuml] ist kompliziert aber das ist historisch betrachtet die Lehre der Kircherdquo868 Wissenschaftler haben indessen auf die Schwierigkeiten mit einem solchen Modell hingewiesen John Hick der anerkannte dass Jesus nie etwas falsch gemacht hat fragte sich natuumlrlich ob Jesus jemals seinem mensch-lichen Willen folgend etwas falsch machen wollte was aber durch den uumlbermaumlch-tigen Willen der goumlttlichen Person verhindert wurde Daraus ergibt sich fuumlr den dualistischen Jesus dass

sein aumluszligerlich vollkommenes Leben nach allem was wir wissen viele falsche innere Impulse verbergen koumlnnte die im Keim erstickt wurden bevor sie sich zu offenen Handlungen entwickelten Der menschliche Teil koumlnnte beabsichtigen zu suumlndigen aber der goumltt-liche Teil der nicht suumlndigen kann wuumlrde notwendigerweise die Absicht uumlberstimmen oder umgehen Eine solche Person koumlnnte nicht in Versuchung gefuumlhrt werden wie wir in Versuchung ge-fuumlhrt werden oder gut sein indem sie die Versuchung uumlberwindet und dementsprechend koumlnnte sie unser menschliches moralisches Ideal nicht verkoumlrpern Auch - in Bezug auf die Lehre des Suumlhnop-fers - koumlnnte sein Tod nicht das Opfer eines Lebens des vollkom-menen menschlichen Gehorsams gegenuumlber Gott darstellen War Jesus frei Suumlnde zu begehen [und] frei die Fuumlhrung und Erleuch-tung des Heiligen Geistes abzulehnen Wenn nicht war er nicht wirklich menschlich869

Hier werden wir erneut Zeugen der Ruumlckkehr zum valentinianischen Jesus Nach dem valentinianischen System obwohl der menschliche wie auch der goumlttliche Verstand in Jesus existierten bdquounterlag jede Bewegung jede Neigung und jedes Verlangen vollstaumlndig dem Diktat des himmlischen Verstandesrdquo870 Unabhaumlngig davon wie es erreicht wird oder in welchem Stadium implizieren sowohl der gnostische als auch der orthodoxe Standpunkt eine gewisse Unterdruumlckung der menschlichen Psychologie und damit der Menschlichkeit Jesu Hick gibt noch

867 Als Beispiel fuumlr eine gruumlndlich entwicklete moderne Betrachtung der bdquoZwei-Seelen-Sichtrdquo siehe

Thomas Morris The Logic of God Incarnate (Eugene Wipf amp Stock 2001) 868 Thomas Morris zitiert in John Hick The Metaphor of God Incarnate (London Westminster John Knox

Press 2005 [1993]) p 57 869 Hick The Metaphor of God Incarnate pp 58-60 870 J L Mosheim Historical Commentaries on the State of Christianity During the First Three Hundred

and Twenty-Five Years Vol 1 (New York Converse 1851) p 467

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mehr Einblick in die Probleme auf die wir treffen durch eine Behauptung der Orthodoxie der zwei Sinne

Hier sind zwei Stroumlme des Bewusstseins A und B einer davon ein-schlieszliglich des anderen in dem Sinne dass A sich dessen bewusst ist was im B-Strom des Bewusstseins geschieht waumlhrend B uumlber den Inhalt des A-Bewusstseins voumlllig unbewusst ist So konnte Gott der Sohn alles wissen was im Bewusstsein und auch im Un-terbewusstsein Jesu vor sich ging waumlhrend Jesus voumlllig ahnungslos war dass der Sohn ihn folglich uumlberwachte oder sogar die Existenz des Sohnes nicht erkannte ein solcher asymmetrischer kognitiver Zugang wuumlrde keine goumlttliche Inkarnation in irgendeinem religioumls bedeutsamen Sinne darstellen871

Durch den Versuch die Menschlichkeitdie Humanitaumlt Jesu zu bewahren zer-stoumlrt das Zwei-Willen-Konzept effektiv die eigentliche Beziehung zwischen Mensch und Gott welche die Orthodoxen durch die InkarnationFleischwer-dung eigentlich zu etablieren versucht hatten Wie konnte die Kirche jemals wirk-lich Jesus als die Person Gottes erkennen Koumlnnte man dies jemals auf eine Art und Weise tun die nicht die dominierende goumlttliche Einheit uumlberbetont und die Menschheit (im doketischen Sinne) in Frage stellt oder Christus (im bdquonestoriani-schenrdquo oder gar valentinianischen Sinne) in zwei verschiedene Menschen teilt Trotz dieser Probleme bezeugte man 680 n Chr beharrlich dass die beiden Wil-len und zwei Naturen Jesu irgendwie jenseits aller Vorstellungskraft trotzdem nicht zwei Personen darstellten Nach auszligen hin ist diese unglaubliche Uumlberre-dungskunst bis heute erhalten geblieben Aber innerlich weit davon entfernt un-ter trinitarischen Gelehrten universell etabliert zu sein ist das Thema SinnGeist und Wille Jesu immer noch heftig umstritten Zum Beispiel hat sich einer der angesehensten und beliebtesten trinitarischen Apologeten Dr William Lane Craig veranlasst gefuumlhlt die bdquoMonotheletistenrdquo (nur ein Wille) die vom Konzil von 680 n Chr verurteilt wurden offen wieder aufleben zu lassen Nach der Uumlberpruumlfung der vielen Probleme die durch die Behauptung der zwei Willen ent-stehen gibt Craig zu dass bdquodie Kirche ihre Grenzen uumlberschritten hatrdquo Er ge-steht bdquoIch kann nicht verstehen wie die menschliche Natur Christi einen eigenen Willen haben koumlnnte der sich vom Willen der zweiten Person der Dreifaltigkeit unterscheidet und nicht ein Individuum seinrdquo872 Indem er aber einen menschli-chen Willen fuumlr Jesus negiert leugnet Craig auch den menschlichen Verstand Er knuumlpft sogar an die Haumlresie des Apollinaris an die 381 in Konstantinopel verur-

871 Hick The Metaphor of God Incarnate p 51 872 William Lane Craig ldquoMonotheletismrdquo Reasonable Faith 21 September 2008 Web 20 July 2015

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teilt wurde indem er seine eigene vorgeschlagene Sichtweise als bdquoeine neo-apolli-narische Christologierdquo qualifiziert873 So kaumlmpft auch Dr Craig wohl bdquoder erste Verteidiger des evangelischen Glaubens heuterdquo immer noch gegen die Restrikti-onen der trinitarischen Orthodoxie - ein Kampf fuumlr den ihm einige seiner Ge-faumlhrten Ketzerei vorgeworfen haben874 Diese Anschuldigungen scheint er jedoch mit Fassung zu tragen da die Alternative offensichtlich viel schlimmer ist Er ist sich der bitteren und unangenehmen Folgen des orthodoxen Jesus voll bewusst und bekennt sich dazu bdquoObwohl ich es nicht mag den Dekreten eines oumlkumeni-schen Konzils zu widersprechen besteht die Gefahr dass ich in den Nestorianis-mus falle und Jesus zu zwei Menschen macherdquo875 In Wahrheit ist es nicht wirk-lich der bdquoNestorianismusrdquo auf den Craig zuruumlckkommt (da Nestorius nicht un-bedingt zwei Personen gelehrt hat) sondern ein latenter Gnostizismus in der Or-thodoxie Auch im Valentinianisch-Gnostischen System bestand Christus tat-saumlchlich aus menschlicher und goumlttlicher Person obwohl der himmlische Geist zu seinem zentralen Ego wurde So trifft Craig wenn er die unvermeidliche aber gefaumlhrliche Darstellung der Orthodoxie von einer goumlttlichen und einer menschli-chen Person in Jesus wahrnimmt wirklich auf eine unterschwellige gnostische Ten-denz welche die Katholische Kirche offenbar nie uumlberwunden hat

In Diskussionen uumlber die fruumlhchristlichen Kontroversen wurden der Arianismus und der Sabellianismus oft als bdquoSkylla und Charybdisrdquo bezeichnet zwei toumldliche theologische Optionen zwischen denen die Orthodoxie gezwungen war zu navi-gieren876 Aber es ist ruumlckblickend offensichtlich dass es noch ein weiteres ge-faumlhrliches Manoumlver gab das die Kirche zur gleichen Zeit durchfuumlhrte das Segeln zwischen dem gnostischen Doketismus und dem Valentinianismus Auf der einen Seite stand der Doketismus mit einer goumlttlichen Person die einer abstrakten spi-

873 William Lane Craig ldquoThe Very Latest From Reasonable Faithrdquo Reasonable Faith 03 March 2015

Web 20 July 2015 Craig fuumlhrt das protestantische Prinzip bdquoSola Scripturardquo (die Bibel allein) als Recht-fertigung fuumlr die Anfechtung oumlkumenischer Dekrete an Wenn es moumlglich ist dass die Kappadokier sich bei ihrer Einschaumltzung des Apollinarianismus im Konzil von 381 n Chr geirrt haben haumltten sie sich dann nicht in Bezug auf die bdquodrei Hypostasen in einem Wesenrdquo das sie ebenfalls am Konzil etabliert haben irren koumlnnen

874 Siehe Douglas Beaumont ldquoIs William Lane Craig a Hereticrdquo Douglas Beaumont Theology Philoso-phy Apologetics 15 November 2010 Web 20 July 2015

875 Craig ldquoThe Very Latest From Reasonable Faithrdquo (Das Neueste vom Vernuumlnftigen Glauben) 876 Skylla und Charybdis sind Meeresmonster in Homers Odyssee In der Geschichte ist Odysseus gez-

wungen zu waumlhlen an welchem der beiden Seeungeheuer er vorbeisegeln wird wenn er dem einem ausweicht wird er nur naumlher an das andere herangefuumlhrt Letztendlich entscheidet sich Odysseus dafuumlr an Skylla vorbei zu segeln und nur eine Handvoll Maumlnner zu verlieren anstatt das gesamte Schiff zu riskieren indem er an Charybdis Wasserstrudel vorbeikommt Fuumlr eine solche Charakterisierung siehe Lamson The Church of the First Three Centuries p 288

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rituellen und zeitlosen MenschheitHumanitaumlt verbunden ist Das ist die ultima-tive Falle in die Craigs Apollinarianismus tritt877 Auf der anderen Seite war die valentiniansche Christologie das heiszligt eine Vereinigung der goumlttlichen und menschlichen Personen und dies war die Falle von Kyrills Orthodoxie Am Ende konnte das Christentum die Gottheit Jesu nicht mehr lehren ohne diese beiden gnostischen Christi voumlllig zu vermeiden es konnte nur den einen oder den ande-ren mit einem katholischen Anstrich uumlbertuumlnchen

Letztendlich bleibt der trinitarische Jesus trotz der anhaltenden Illusion der oumlku-menischen Einheit eine Figur die immer am Rande der Implosion steht878 Pro-fessor Jenkins fasst damit die anhaltende Zwickmuumlhle des heutigen Trinitarismus in dieser Hinsicht zusammen

877 Letztendlich hat gemaumlszlig Apollinaris Jesus eine Menschlichkeit die sich von derjenigen des Restes von

uns unterscheidet Es ist wie wir gesehen haben eine Abstraktion die von der goumlttlichen Person des Logos uumlbernommen wurde Dies steht im Widerspruch zum biblischen Zeugnis dass Christus bdquoin jeder Hinsicht wie seine Bruumlder warrdquo (Hebr 217) und ruumlckt die Maszligstaumlbe naumlher an den menschenverneinenden Doketismus heran Das bdquomenschlicherdquo Leben dieses Christus ist ein Leben ohne menschliche Gedanken eine Behauptung die fuumlr die Menschlichkeit voumlllig unvertretbar und somit unmenschlich ist Kelly beschreibt das orthodoxe Argument gegen Apollinaris bdquoWenn man davon ausgeht dass Christus das charakteristischste Element in der Zusammensetzung des Menschen fehlte naumlmlich ein rationaler Verstand und ein Wille war seine angebliche Menschlichkeit nicht im engeren Sinne menschlich sondern muss etwas Monstroumlses gewesen sein es ist absurd Ihn uumlberhaupt einen Menschen zu nennen es war die rationale Seele des Menschen mit ihrer Entscheidungsmoumlglichkeit welche der Sitz der Suumlnde war und wenn das Wort eine solche Seele nicht mit sich selbst vereinte haumltte das Heil der Menschheit nicht erreicht werden koumlnnen In einem beruumlhmten Satz von Gregor von Nazianz bdquoWas nicht ange-nommen wurde kann nicht wiederhergestellt werden es ist das was mit Gott vereint ist das gerettet wirdrdquo (Kelly p 296)

878 Im Gegensatz dazu schreibt der unitarische Geistliche William E Channing dass ebenso wie uni-tarische Christen an die Einheit Gottes glauben bdquowir an die Einheit Jesu Christi glauben Wir glauben dass Jesus einen Verstand hat eine Seele und ein Wesen ist so wahrhaftig eins ist wie wir es sind ebenso unterscheidbar von dem einen Gott ist Wir beklagen uns uumlber die Lehre der Dreifaltigkeit dass sie sich nicht damit zufrieden gibt Gott zu drei Wesen zu machen sondern Jesus Christus zu zwei Wesen macht und so unendliche Verwirrung in unsere Vorstellungen uumlber seinen Charakter stiftet Diese Verderbnis des Christentums die sowohl dem gesunden Menschenverstand als auch der allgemeinen treuen Auslegung der Schrift widerspricht ist ein bemerkenswerter Beweis fuumlr die Macht einer falschen Philos-ophie Nach dieser Lehre besteht Jesus Christus aus zwei Seelen zwei Verstandsebenen die eine goumlttlich die andere menschlich die eine schwach die andere allwissend Nun behaupten wir dass da-durch Christus zu zwei Wesen gemacht wurde Ihn als eine Person ein Wesen zu bezeichnen und den-noch anzunehmen dass er aus zwei unbegrenzt unterschiedlichen Intelligenzen besteht bedeutet die Sprache zu missbrauchen und zu verwirren und Dunkelheit uumlber alle unsere Vorstellungen von intelli-genten Naturen zu werfen Nach der allgemeinen Lehre hat jeder dieser beiden Sinne in Christus sein eigenes Bewusstsein seinen eigenen Willen und seine eigenen Wahrnehmungen Sie haben in der Tat keine gemeinsamen Eigenschaften Der goumlttliche Verstand empfindet keine der Wuumlnsche und Sorgen des Menschen und der Mensch ist unendlich weit entfernt von der Vollkommenheit und der Seligkeit des Goumlttlichen Kannst du dir zwei Wesen im Universum vorstellen die unterschiedlicher sind Diese Doktrin [ist] denken wir eine enorme Hypothek fuumlr die Erkenntnisfaumlhigkeit des Menschenrdquo (William E Channing ldquoDiscourse at the Ordination of the Rev Jared Sparks Baltimore 1819rdquo Works (Boston American Unitarian Association 1894) p 373)

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Entweder denken wir an Christus rein als Gott in diesem Fall ist er nicht mehr menschlich hat keinen Anteil an unserer menschli-chen Erfahrung und wird eine Goumlttlichkeit am Himmel wie Zeus oder Thor oder wir konzentrieren uns im Gegensatz dazu so sehr auf seine Menschlichkeit dass wir das goumlttliche Element unter-schaumltzen und die Inkarnation leugnen Wir wuumlrden einen Christus zweier Naturen und zweier Geister predigen buchstaumlblich ein schi-zophrenes Wesen879

Es uumlberrascht nicht dass die Debatten uumlber diesen verwirrenden Jesus auch nach der Roumlmerzeit bis ins neue Jahrtausend andauerten da offenbar noch mehr or-thodoxe Konzile erforderlich waren um der anhaltenden Unzufriedenheit der Christen mit der Lehre zu begegnen Kein Wunder auch dass bereits um 1100 n Chr verstreute christliche Gruppen wieder offen gegen die katholischen Anspruuml-che auf die doktrinaumlre Autoritaumlt zu rebellieren begannen880 Es ist wahrscheinlich unmoumlglich mit Sicherheit festzustellen was diese fruumlhen andersdenkenden Gruppen wie die Waldenser (im westschweizerischen Waadtland) uumlber die Trini-taumlt glaubten und lehrten Wie ein Historiker erklaumlrt bdquohaumltte man uumlberall dort wo es eine nicht-trinitarische Bibellehre gab sie glauben und sie unter voumllliger Ge-heimhaltung praktizieren muumlssen Wie uns heute bekannt ist war die paumlpstliche Fuchtel im Mittelalter so total dass die Bemuumlhungen welche die Vaudois (fran-zoumlsisch fuumlr Waldenser) tapfer unternommen haben um die roumlmischen Fesseln abzuwerfen unsere houmlchste Anerkennung ja unsere Bewunderung verdie-nenrdquo881

Um 1215 n Chr wurden Gruppen wie die Waldenser zu Ketzern erklaumlrt und schwer verfolgt Im selben Jahr wurde das Vierte Laterankonzil von den Ortho-doxen einberufen um Fragen bezuumlglich der drei Personen der Dreifaltigkeit der Inkarnation und der von den goumlttlichen Mitgliedern geteilten Essenz zu klaumlren882 Aber nichts davon beendete die Debatten auf die Dauer Schlieszliglich kam 1438 n Chr eine weitere orthodoxe Synode das siebenjaumlhrige Konzil von Florenz zu-sammen Hier wurde dekretiert bdquodass der Heilige Geist auch vom Sohn aus-gehtrdquo883 sowie vom Vater was einer offensichtlichen Umkehrung des Glaubens-bekenntnisses des Konzils von Konstantinopel (381 n Chr) entspricht das be-

879 Jenkins Jesus Wars p 2 880 Das Gedicht ldquoLa Nobla Leyzconrdquo bestaumltigt die Existenz der Waldenser 1100 n Chr 881 Alan Eyre The Protestors (Worcester Billing amp Sons Limited 1985) p 14 882 Siehe die Konstitution des 4 Lateraner Kounzils (1215 n Chr) 883 Leacuteon van der Essen ldquoThe Council of Florencerdquo The Catholic Encyclopedia Vol 6 (New York Robert

Appleton Company 1909) Web 29 Sept 2014 See note on the ldquoFilioquerdquo on p 113

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sagte dass der Heilige Geist bdquovom Vater ausgehtrdquo (Natuumlrlich widerspricht die Aus-sage von Florenz dem Zeugnis Jesu Christi dass der Heilige Geist bdquovom Vaterrdquo ausgeht [Johannes 15 26] in flagranter Weise)

Waumlhrend der protestantischen Reformation des sechzehnten Jahrhunderts nah-men jedoch einige Gruppen des Christentums eine biblisch motivierte und dra-matisch antitrinitarische Wendung884 Das Konzil von Venedig eine Konvention der Wiedertaumlufer [Anabaptisten] im Jahr 1550 n Chr verkuumlndete eindeutig anti-trinitaristische Prinzipien885 Von diesem Zeitpunkt an wuumlrde die christliche Welt den Aufstieg der erfolgreichen socinianischen Bewegung erleben die erneut die Theologie der Photinier und der juumldischen Nazarener aufleben lieszlig dass Gott Einer ist der Vater und dass Christus der Menschensohn seinen buchstaumlblichen Anfang im Mutterleib Marias hatte886

Waumlhrend moderne Trinitarier aus allen Kirchen und Konfessionen behaupten und dies wirklich auch glauben dass sie eine Doktrin betreiben die von allen legitimen Christen vollstaumlndig akzeptiert worden sei finden wir Beweise dafuumlr dass schon immer Meinungsverschiedenheiten und Verwirrung fortbestanden Cyril C Richardson ehemaliger Praumlsident der American Society of Church His-tory gibt dazu einen aufschlussreichen Kommentar ab

Ich kann nur glauben und hoffen dass die Lehre von der Dreifal-tigkeit die noch lange nicht etabliert ist offen fuumlr ernsthafte Kritik ist sowohl wegen des modernen Verstaumlndnisses der Schrift als auch wegen der ihr innewohnenden Widerspruumlche im Wortlaut Es ist keine Doktrin die - so wie sie dasteht - im Neuen Testament zu finden ist Es ist ein Konstrukt der Kirche des vierten Jahrhun-derts887

884 Ein angesehener Begleiter Luthers Martin Cellarius (1499-1564 n Chr) und der Anabaptist Hans

Denck (1500-1527 n Chr) sind Beispiele fuumlr prominente fruumlhe Herausforderer der Lehre Eine weitere Stimme Giorgio Blandrata (1515-1588 n Chr) ein italienischer Unitarier war in haumlufigem Kontakt mit Jean Calvin und hatte groszligen Einfluss in Polen

885 E Comba ldquoUn sinodo anabattista a Venezia anno 1550rdquo Rivista Cristiana Vol 13 (1885) pp 21-24 83-87

886 Die Socinianer die um 1579 n Chr einen fruumlhen Erfolg feierten und in der zweiten Haumllfte des 17 Jahrhunderts als bdquoUnitarierrdquo oder bdquoPolnische Bruumlderrdquo bekannt waren akzeptierten Jesus als Gottes Sohn und als einen echten Menschen ohne buchstaumlbliche Prauml-Existenz Die Socinianer befuumlrworteten auch bekanntlich die Trennung von Kirche und Staat betonten die Bedeutung der menschlichen Moral und hielten fest dass die christliche Lehre sowohl in der Schrift als auch rational begruumlndet sein sollte Die von ihnen so beharrlich verteidigte unitarische Theologie sollte schlieszliglich eine weite Verbreitung in Europa und den Vereinigten Staaten finden und sich an so beruumlhmten Anhaumlngern wie Sir Isaac Newton John Locke John Milton Praumlsident Thomas Jefferson Praumlsident John Adams Praumlsident John Quincy Adams Susan B Anthony Paul Revere Joseph Priestley William Whiston Koumlnig Johann Sigismund von Ungarn und Praumlsident William Taft erfreuen

887 Richardson p 17

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Politischer Unfall versus Vorsehung

Das Portraumlt der tragischen Hoffnungslosigkeit der Kirche aumlndert sich an diesem Punkt der Schilderung Wenn wir die dunkle geistliche Qualitaumlt der kirchlichen Taumltigkeit der roumlmischen Aumlra im Verhaumlltnis zum Trinitarismus zusammenfassen finden wir keine treffenderen Worte als die Aufzeichnung eines der aktivsten Protagonisten in Nicaumla Bischof Hilarius von Poitiers (ca 300-368 n Chr)

Es gibt da eine Sache die ebenso bedauerlich wie gefaumlhrlich ist dass es so viele Glaubensbekenntnisse wie Meinungen unter den Menschen gibt so viele Lehren wie Tendenzen und so viele Quel-len der Gotteslaumlsterung wie es Fehler unter uns gibt weil wir be-liebig Glaubensbekenntnisse machen und sie so willkuumlrlich erklauml-ren Die Homoousie [die Teilhabe an der Substanz zwischen dem Vater und dem Sohn] wird einmal abgelehnt und von den nachfol-genden Synoden wieder aufgenommen und wieder wegerklaumlrt Die teilweise oder vollstaumlndige Aumlhnlichkeit des Vaters und des Sohnes ist in diesen ungluumlcklichen Zeiten umstritten Jedes Jahr ja jeden Tag entwerfen wir neue Glaubensbekenntnisse um verborgene Geheimnisse zu beschreiben Wir bereuen was wir getan haben Wir verteidigen diejenigen die bereuen Wir verurteilen diejenigen die wir verteidigt haben Wir verurteilen entweder die Lehre der anderen in der unseren oder unsere eigene in der Lehre der ande-ren und waumlhrend wir uns gegenseitig in Stuumlcke reiszligen sind wir die Ursache des Untergangs der anderen888

In diesem zutiefst tragischen Eingestaumlndnis stellt man fest dass keine spezifische Haumlresie fuumlr die Verwuumlstung der Wuumlrde der Kirche verantwortlich gemacht wer-den kann Vielmehr liegt der Fehler im saumlkularen kraftvollen bdquoKonzil-Bekennt-nis-Systemrdquo selbst Wenn man diesen Teufelskreis der Verurteilung [mit seinen Anathemas] beobachtet kann man nicht umhin sich zu fragen ob dies die im Neuen Testament vorgeschriebene Operation des goumlttlich geweihten Leibes Jesu ist oder nicht Natuumlrlich hatte die Welt fruumlher in einer Zeit die weniger weit von Christus und seinen Aposteln entfernt war ein leuchtendes Mitgefuumlhl unter den Christen gesehen Es regte die Heiden zu heiszliger Kameradschaft und Selbstlosig-keit an Aber jetzt konnte man es schon nicht mehr verwechseln bereits zum Ende des vierten Jahrhunderts war dieser Geist weitgehend wenn nicht gar voll-staumlndig verschwunden

888 Hilary Ad Constantium I quoted by John William Draper History of the Conflict Between Religion

and Science (New York D Appleton and Co 1898) p 203

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Waumlhrend das Fortbestehen der Mysterienschulen innerhalb der Christenheit si-cherlich mit einer groszligen Verantwortung fuumlr den heftigen Unfrieden des Glau-bens verbunden ist gab es im Herzen des katholischen Konzilsystems eine wei-tere fundamentale Schwaumlche die praktisch fuumlr korrumpierte Ergebnisse sorgte die Tatsache dass sich die saumlkulare Regierungspolitik und das praktische Chris-tentum nie ohne eine gewisse Kompromissbereitschaft vermischten In der Hoff-nung die Hinterhaumlltigkeit und Brutalitaumlt (auf allen Seiten) zu verstehen erinnern wir uns vielleicht daran dass die Bischoumlfe des fruumlhen vierten Jahrhunderts un-laumlngst eine heftige Veraumlnderung ihres Lebensstils erfahren hatten eine Art bdquoKul-turschockrdquo der viele von ihnen zur Ausbeutung getrieben haben koumlnnte Nur ein paar Jahre vor Nicaumla rannten dieselben Bischoumlfe unter der harten roumlmischen Ver-folgung um ihr Leben jetzt hielten sie das Schicksal des Reiches in ihren Haumlnden Dieser ploumltzliche Rollentausch mag sie zwischen einem Leben mit seinem altbe-kannten Werten und der Korruption die durch den unmittelbaren Einfluss auf den Kaiser erleichtert wurde hin und her gerissen haben Eine solch prekaumlre Si-tuation war fuumlr das kirchliche Werk kaum foumlrderlich Wie Rubenstein treffend erklaumlrt

Christliche Bischoumlfe die zwar reine und friedliche Menschen sein sollten gehoumlrten nun zu den maumlchtigsten politischen Persoumlnlich-keiten des Reiches Die Widerspruumlche zwischen den Idealen des Verhaltens die das Leben Jesu Christi darstellt und den Anforde-rungen an die Amtsfuumlhrung in der Kirche des vierten Jahrhunderts waren peinlich Die weltlichen Pflichten und Ambitionen eines Bi-schofs fuumlhrten ihn oft zu politischen Intrigen finanziellen Schika-nen Missbrauch von Gerichts-verfahren und schierer Gewalttaumltig-keit gegen seine Widersacher - all das koumlnnte zu Anklagen fuumlhren die von politischen oder doktrinaumlren Feinden gegen ihn verwendet werdens889

Wenn der moderne Christ nach der Beobachtung der umfassenden moralischen Korruption und politischen Hinterhaumlltigkeit der kirchlichen Fuumlhrung in den fruuml-hen Jahrhunderten nicht der Ansicht waumlre dass es zumindest unklug ist blind darauf zu vertrauen dass das Ratsystem letztendlich fuumlr die Nachwelt bdquodas Rich-tigerdquo ist ohne die Moumlglichkeit von schwerwiegender Fehler Was koumlnnte schlim-mere Konsequenzen fuumlr das Christentum haben als die Mischung der christlichen Sache mit menschlichem Ehrgeiz Kein verderblicheres Verlangen haumltte sich an die Funktionsweise der Religion Jesu halten koumlnnen als das Verlangen nach hie-rarchischem Fortschritt auszliger vielleicht dem Verlangen nach persoumlnlichem

889 Rubenstein p 101

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Uumlberleben Es ist leicht zu beobachten dass einige der einflussreichsten bischoumlf-lichen Turnierkaumlmpfer aktiv an der Verfolgung dieser beiden Preise beteiligt wa-ren

Der Kaiser Konstantin hatte in einem Brief an die Kirche in Alexandria behaup-tet bdquoWir haben von der goumlttlichen Vorsehung die houmlchste Gunst erhalten von allen Irrtuumlmern befreit zu seinrdquo890 Aber warum sollte das pflichtbewusste Ver-trauen vieler Hauptglaumlubiger dass Gott den Bestimmungen der katholischen Raumlte absolut bdquovorstandrdquo nicht ernsthaft in Frage gestellt werden Wie Jenkins ange-messen erzaumlhlt

Mit Blick auf die Geschichte umfasste der Prozess der Orthodoxie einen groszligen Teil dessen was wir als politischen Unfall bezeichnen koumlnnten - abhaumlngig vom Ergebnis der dynastischen Nachfolge vom Sieg oder der Niederlage im Kampf vom theologischen Ge-schmack der koumlniglichen Schluumlsselfiguren Waumlhrenddessen sind wir immer versucht zu sagen Wenn dieses Ereignis nur anders oder so oder so verlaufen waumlre Es ist eine Geschichte von Wenn und die Dinge koumlnnten sehr leicht einen anderen Weg gegangen sein Fuumlr spaumltere Generationen von Christen - und implizit fuumlr andere Reli-gionen - ist diese Schlussfolgerung demuumltigend Auch aus christli-cher Sicht - oder fuumlr andere Glaubensuumlberlieferungen - ist der Zu-fall kein guumlltiger Begriff891

Jenkins geht auf einen wichtigen Punkt ein Es ist fuumlr viele Christen schwierig sich der Moumlglichkeit zu stellen dass Gott die lehrmaumlszligigen Arbeiten der Konzile nicht geleitet hat Der allgemeine christliche Glaube enthaumllt die Uumlberzeugung dass Gott selbst eine ununterbrochene Kontrolle von allem was auf dieser Erde ge-schieht innehat Fuumlr viele scheinen die Auswirkungen des Fehlens absoluter Ein-mischung Gottes in die Schlussfolgerungen der synodischen Aumlra naumlmlich dass Millionen nachfolgender Glaumlubiger durch ein erbliches Versagen der Leitung ir-regefuumlhrt worden sein koumlnnten fast zu viel zu ertragen Aber die neutestamentli-chen Autoren offenbaren dem Glaumlubigen tatsaumlchlich eine frappierende Wahrheit dass noch heute bdquodie ganze Welt unter der Kontrolle des Boumlsen stehtrdquo (1 Johan-nes 519) Dies sollte fuumlr Christen nicht zu schwer zu verdauen sein Ein Blick auf den traurigen Zustand des Planeten insbesondere auf den in mehr als 41000

890 Eusebius Life of Constantine quoted in R MacMullen Christianity and Paganism in the Fourth to Eighth

Centuries (New Haven London 1997) p 130 891 Jenkins pp 268-269

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christlichen Konfessionen892 aufgesplitterten bdquoKoumlrper Christirdquo sollte Glaumlubigen bezeugen dass Gottes Wunsch nach Klarheit und Einheit in der Kirche oft ver-dorben wird entweder durch die Menschheit die Kraumlfte des Boumlsen in der Welt oder durch eine Kombination von beiden

Unabhaumlngig davon wie diese Historie verarbeitet wird bleibt die Tatsache beste-hen dass die christliche Exegese nachdem die Staatskirche ein fuumlr alle Mal be-stimmt hatte was wahr ist weitgehend zu einer Aufgabe wurde die Bibel zu in-terpretieren gegebenenfalls kreativ um gewisse Anforderungen zu erfuumlllen Aber was koumlnnte dem geistlichen Leben von Millionen von Christen moumlglicherweise abtraumlglicher sein als die Errichtung einer geistig-geistlichen Straszligensperre vor den Lehren des historischen Jesus Die orthodoxen Formeln waren von Anfang an theologische Mautstellen an denen ein Zoll bezahlt werden musste bevor man zu Christus gelangt und wo Weichen gestellt wurden die wie wir gesehen haben leicht in eine andere Richtung haumltten fuumlhren koumlnnen

892 ldquoGlobal Christianity A Report on the Size and Distribution of the Worldrsquos Christian Populationrdquo The

Pew Forum on Religion amp Public Life December 19 2011 Appendix B Methodology for Estimating Chris-tian Movements (Bericht uumlber Groumlszlige und Verteilung der Chrstlichen Bevoumllkerung dieser Welt App B Methode zur anzahlmaumlszligigen Schaumltzung der Christlichen Bewegungen)

Konsequenzen des Dogmas

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KonsequenzendesDogmas

bdquoIch fuumlhle mich nicht verpflichtet zu glau-ben dass derselbe Gott der uns mit Sinn Verstand und Intellekt ausgestattet hat beabsichtigt dass wir auf ihren Gebrauch verzichtenrdquo

mdash Galileo Galilei

UN DA WIR DIE ENTWICKLUNG DER GESCHICHTE DER DES ORTHODOXEN DOGMAS UumlBER GOTT betrachtet haben werden wir einige wichtige Konsequenzen untersuchen die sie auf die

Religion Jesu hatte Insbesondere beleuchten wir die Auswirkungen des christli-chen Dogmas auf die Juden Wie wirkten sie sich auf den traditionellen Juumldischen Monotheismus auf die Vernunft auf die Worte Jesu Christi und die Beziehung zwischen dem Christentum und dem Judentum aus aus dem das erstere hervor-gegangen war Was wir zunaumlchst herausfinden muumlssen ist die Quelle der theolo-gischen Strapazen die den Sturm der unberechenbaren Politik in der post-nicaumlni-schen Christenheit verursacht hat Das neue Dogma litt quasi unter Geburtswe-hen Mehr als alles andere stand dem aufkeimenden Trinitarismus ein tiefer Kon-flikt mit dem juumldischen Glauben an einen Gott gegenuumlber

Die Doktrin der gegenseitigen ebenbuumlrtigen und gleichberechtigten ewigen Gottheit des Vaters und des Sohnes war verstaumlndlicherweise schwer mit dem Ju-dentum zu vereinbaren Es gab keine biblische Aufzeichnung dass das Wissen der mosaischen Tradition unter den fruumlhesten Nachfolgern Christi aktualisiert worden waumlre Wie ein Professor feststellte bdquoblieben die Versuche der sbquoOrthodo-xenrsquo die Uumlbereinstimmung ihres Dogmas von zwei goumlttlichen Personen mit dem Monotheismus zu demonstrieren zutiefst unsicher und widerspruumlchlich Die

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staumlrkste Ursache fuumlr all die Schwierigkeiten fuumlr das Dilemma und die Spitzfindig-keiten dieser Situation war der Mangel an biblischer Evidenzrdquo893 Ohne direkte biblische Unterstuumltzung um diesen radikalen Wandel zu begruumlnden hatten sich die Heiden an die polytheistischen Modelle der griechischen Philosophie ge-wandt Aus ihnen habe sie die passendsten Begriffe extrahiert die sie fuumlr ihre Zwecke modifizieren konnten Wie wir bereits bemerkt haben wurde die kap-padokische Doktrin als Kompromiss zwischen der arianischen und der sabellia-nischen Position angesehen sie war auch eine philosophische bdquoLoumlsungrdquo fuumlr das polytheistische Dilemma in dem Athanasius den Glauben nach Nicaumla auf Grund gefahren hatte So fand sich die Orthodoxie nach 381 n Chr weder eindeutig monotheistisch noch klar polytheistisch wieder - sie lag irgendwo dazwischen Die Kappadokier hatten sich sowohl aus der juumldischen Bibel als auch aus den griechischen Religionen unumwunden die Dreifaltigkeit ausgeliehen wie Gregor von Nyssa selbst zugab bdquoVon der juumldischen Auffassung wurde die Einheit der Natur Gottes festgehalten aus dem Heidentum stammt die Unterscheidung der Gottheit hinsichtlich der Hypostasenrdquo894 Wie Wolfson bemerkt war das Konzept der Dreifaltigkeit bei den Vaumltern bdquoeine Kombination aus juumldischem Monotheismus und heidnischem Polytheismus und diese Verbindung erschien fuumlr sie als eine gute Kombina-tionrdquo895 Aber nun da die nuumltzlichen Elemente aus jeder Religion herausgezogen worden waren konnte man sowohl den juumldischen Monotheismus als auch den griechischen Polytheismus ablehnen wie die Kappadokier es auch empfahlen

Der Christ der den Polytheismus bekaumlmpft braucht Sorgfalt da-mit er im Kampf gegen den Hellenismus nicht unbewusst ins Ju-dentum faumlllt So vermeidet das Geheimnis des Glaubens gleich-ermaszligen die Absurditaumlt des juumldischen Monotheismus wie auch des heidnischen Polytheismus896

Was war dieser bdquoabsurde juumldische Monotheismusrdquo der so sehr mit der Trinitaumlts-lehre kontrastierte Wenn die Heiden mehrere Goumltter lehrten und die Trinitarier mehrere Personen in einem Gott lehrten dann lehrte der bdquojuumldische Monotheis-musrdquo offensichtlich nur eine Person in einem Gott Gregor bestaumltigt dass so wie die Trinitaumltslehre den Polytheismus vermeidet bdquoauch die Aussage nicht mit dem juumldischen Dogma harmoniertrdquo897 Obwohl moderne Trinitarier die Dreieinig-keitslehre als bdquomit dem juumldischen Monotheismus kompatibelrdquo898 malen nannten

893 Martin Werner The Formation of Christian Dogma (Harper New York 1957) pp 241-242 894 Gregory of Nyssa The Great Catechism I 3 895 Wolfson p 362 896 Gregory of Nyssa The Great Catechism I 1 897 Ebenso I 3 898 Der Trinitarier John C Merkle argumentiert dass bdquounsere trinitarische Perspektive mit dem juumldischen

Monotheismus vereinbar istldquo und fuumlr dieses Verstaumlndnis zitiert er die Ansichten von bdquoden Gruumlndern

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die Begruumlnder des orthodoxen Trinitarismus das juumldische Konzept von Gott bdquoKetzereirdquo bdquoIrrtumrdquo und bdquoeine profane Sichtweiserdquo Fuumlr sie wird bdquodas juumldische Dogma durch die trinitarische Theologie zerstoumlrtrdquo899 Die Frage ist Was haumltten der Jude Jesus oder die vorwiegend juumldischen Mitglieder der neutestamentlichen Ge-meinschaft von Gregors Meinung gehalten dass der juumldische Monotheismus bdquoab-surdrdquo sei und dass der Gott des Judentums im gleichen Masse zu vermeiden sei wie die verschiedenen Gottheiten der Heiden Wie uns ein Professor in Erinne-rung ruft

Nach Ansicht der Zeugen des Neuen Testaments gab es in der Lehre Jesu und der Apostel gegenuumlber dem Monotheismus des Al-ten Testaments und des Judentums uumlberhaupt kein Element der Veraumlnderung Markus 1229 notierte die uneingeschraumlnkte Bestaumlti-gung des houmlchsten monotheistischen Glaubensbekenntnisses der israelitischen Religion in seiner vollstaumlndigen Form von Jesus selbst900

Das von den Kappadokiern verfasste trinitarische System das heute noch von der Mehrheit der Christen in der ganzen Welt hochgehalten wird basiert genau auf der Annahme dass der juumldische Monotheismus im Irrtum war Aber wenn die Forscher in den Lehren Christi keinen Bruch mit dieser historischen Religion [dem Judaismus] erkennen koumlnnen sondern stattdessen Jesu eigene oumlffentliche Bekraumlftigung davon feststellen (Markus 1228ff) was hat die Kappadokische Lehre ausser einer Jesus beleidigenden Zensur dann erreicht Zudem ist sie eine neuartige Theologie die sich jetzt im leeren Raum zwischen Monotheismus und Polytheismus in prekaumlrer Weise niedergelassen hat Dies ist zweifellos eine span-nungsgeladene und gefaumlhrliche Region die bis heute nicht wirklich erfasst und ausgelotet worden ist

KonsequenzenfuumlrdieWorteJesuChristiDie bemerkenswertesten Saumltze aus dem Nicaumlnum von 325 n Chr namentlich wie bdquowahrer Gott aus wahrem Gott gezeugt nicht geschaffen eines Wesens mit dem Vater Fleisch geworden rdquo sind frappant unbiblisch Historisch gesehen sind die seither uumlberlieferten Glaubensbekenntnisse weniger ein bdquoneutestament-licherrdquo Leitfaden fuumlr den [christlichen] Glauben als vielmehr ein Beispiel dafuumlr wie effektiv die Philosophie in den ersten Jahrhunderten allmaumlhlich ins christliche

der trinitarischen Lehre des vierten und fuumlnften Jahrhundertsldquo (John C Merkle ldquoFaith Transformed by Study and Friendshiprdquo Faith Transformed Christian Encounters with Jews and Judaism (Collegeville The Li-turgical Press 2003) p 194)

899 Gregory of Nyssa The Great Catechism 1 3 unsere Hinzufuumlgung 900 Werner p 241

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Denken eingedrungen war Der schockierende Effekt ist dass spaumltere Formulie-rungen wie das Athanasianische Glaubensbekenntnis (ca 500 n Chr) sogar Ideen projizierten die nicht nur den juumldischen Monotheismus in Frage stellen sondern den Worten Jesu direkt widersprechen

Das Athanasianische Glaubensbekenntnis das nicht von Athanasius selbst ge-schrieben wurde (der 373 n Chr starb) sondern zu seinen Ehren so benannt wurde901 wird immer noch von der Roumlmisch-Katholischen Kirche von den Ang-likanern den Lutheranern und den meisten liturgischen protestantischen Kon-fessionen akzeptiert Einige der Grundsaumltze des Athanasianischen Glaubensbe-kenntnisses lauten wie folgt

Wer da selig werden will der muss vor allem den katholischen Glauben festhalten Wer diesen nicht in seinem ganzen Umfang und unverletzt bewahrt wird ohne Zweifel ewig verlorengehen Das (Bekenntnis) ist der katholische Glaube Wer ihn nicht treu und fest umfasst kann nicht selig werden902

Sollten diese Aussagen wirklich den Glauben repraumlsentieren den Jesus (der Gruumlnder des Christentums) der Kirche vermittelt hat koumlnnte man doch erwarten dass es eine gewisse Uumlbereinstimmung mit den aufgezeichneten Evangelien gaumlbe dh mit Jesu eigener uneingeschraumlnkter Predigt und dem Dialog mit seinen An-haumlngern Mit anderen Worten wuumlrden die modernen Kreise die das Athanasia-nische Glaubensbekenntnis aufrechterhalten nur dem Beispiel Christi folgen und erwarten dass wahre Juumlnger Christi diese Ideen oumlffentlich bekennen dann haumltte Jesus doch vorgaumlngig oumlffentlich zeigen sollen dass er gleichfalls das Glaubensbe-kenntnis bdquoganz und unverletztrdquo beibehalten wollte Doch schon ein kurzer Ver-gleich zwischen den beiden Extremen liefert deutliche Ergebnisse der Unverein-barkeit

Athanasisches Bekenntnis bdquoUnd in dieser Dreifaltigkeit ist nichts fruumlher oder spaumlter nichts groumlszliger oder kleiner sondern alle drei Personen sind einander gleichewig und gleichrangigrdquo

Jesus bdquo der Vater ist groumlszliger als ichrdquo (Johannes 1428b)

Athanasisches Bekennntis bdquoAllmaumlchtig ist der Sohnrdquo

Jesus bdquoIch kann nichts von mir selbst tunrdquo (Johannes 530)

901 George Ommanney A Critical Dissertation on the Athanasian Creed (London OUP 1897) p 404 See also

Thomas Hartwell Home A Concise History and Analysis of the Athanasian Creed (London T Cadell Strand 1834) p 7

902 The Athanasian Creed c 500 CE

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Athanasisches Bekenntnis bdquoWir verehren einen Gott in der Dreifaltigkeitrdquo

Jesus bdquoDie wahren Anbeter beten den Vater anrdquo (Johannes 423)

Athanasisches Bekenntnis bdquoDer Sohn ist Gottrdquo

Jesus bdquoVater Du bist der allein wahre Gottrdquo (Johannes 171a3a)

Nicht nur dass die vom Athanasianischen Glaubensbekenntnis geforderten Vor-schlaumlge im Evangelium nicht vorhanden sind sie scheinen auch die eigenen Fest-stellungen Jesu radikal zu uumlberschreiten Wenn das Christentum als bdquonach Chris-tusrdquo definiert werden soll wie kommt es dann dass diese unterschiedlichen Glau-bensbekenntnisse von den Kirchen als derart fundamental bdquochristlichrdquo angesehen werden dass selbst das eigene Heil durch persoumlnliche und oumlffentliche Hingabe an diese Saumltze beurteilt wird903 Unglaublich aber wahr dies ist nur moumlglich weil die allgemeine Christenheit an den Worten Jesu ein voumllliges Desinteresse bekun-det Trinitarische Quellen haben die Tatsache anerkannt dass das Christentum obwohl es Jesus als die zentrale Figur und den Gruumlnder des Glaubens begruumlszligt bdquonicht auf den Lehren von Jesus basiertrdquo904 sondern auf den Worten anderer Men-schen uumlber ihn Unter allen Religionen steht die Christliche mit dieser seltsamen Praxis allein

Waumlhrend Buddhismus und Islam in erster Linie auf der Lehre des Buddha bzw Mohammeds gruumlnden basiert das Christentum in

903 Betreffend die durch das Athanasianische Glaubensbekenntnis ausgesprochene Verdammnis haben

einige Trinitarier zugegeben bdquoDie Erloumlsung kann ohne Kenntnis des Athanasianischen Glau-bensbekenntnisses erreicht werden Tausende und Millionen von Christen sind zu Grabe getragen worden die entweder nie davon gehoumlrt oder es nicht verstanden haben rdquo (Edward Burton Theological Works Vol I (S Collingwood 1837) S 283) Andere haben ebenfalls zugegeben bdquoIch glaube nicht an die verdammenden Klauseln im Athanasianischen Glaubensbekenntnisrdquo (Thomas Arnold bdquoLetter 185rdquo in Life and Correspondence Vol 1 (London George Woodfall and Son 1844) S 321) Und ein an-derer sagt bdquoIch bin bereit anzuerkennen dass unsere Kirche nach meinem Urteil ungeachtet der Auto-ritaumlt fruumlherer Zeiten weiser und konsequenter mit ihren allgemeinen Prinzipien der Milde und Toleranz gehandelt haumltte wenn sie nicht die verdammenden Klauseln des Athanasianischen Glaubensbekennt-nisses uumlbernommen haumltte Obwohl ich fest davon uumlberzeugt bin dass die Lehren dieses Glau-bensbekenntnisses alle in der Schrift begruumlndet sind kann ich es nur als unnoumltig und anmaszligend emp-finden zu sagen dass sbquoauszliger dass jeder sie ganz und unverletzt haumllt er ohne Zweifel ewig sterben wirdrsquo rdquo (George P Tomline Elements of Christian Theology Vol 2 (London Luke Hansard amp Sons 1815) S 222) Allerdings hat die eigene Meinung das Athanasianische Glaubensbekenntnis nicht aus den Buumlchern ferngehalten Trotz des Unbehagens unter einigen Bischoumlfen als ein groszliges pan-anglikanisches Konzil ernsthafte Anstrengungen unternahm um das Athanasianische Glaubensbekenntnis oder zumindest seine verdammenden Klauseln zu entkraumlften stimmte das Konzil fuumlr die Aufrechterhaltung des Glau-bensbekenntnisses und bestand darauf dass bdquojeder Geistliche der Konfession noch verpflichtet sein sollte es zu unterschreibenrdquo (Jabez Thomas Sunderland A Ministry of Twenty Years in Ann Arbor (Ann Arbor The Register Pub Co 1893) S 6)

904 James Kennedy ldquoHow I Know Jesus is Godrdquo Truths that Transform James Kennedy Ministries 11 November 1998 Web 15 December 2015 (Wie Weiszlig ich dass Jesus Gott ist Wahrheit die veraumlndert)

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erster Linie auf der Person Christi Das Christentum ist kein Glaube an die Lehren Jesu sondern das was uumlber ihn erzaumlhlt wird Der Ap-pell man soll glauben bdquowie Jesus glaubterdquo anstatt an Jesus zu glauben ist eine dramatische Veraumlnderung der grundlegenden Natur des Christentums905

Wie wiederholt zugegeben wurde hat sich das Christentum mehr mit dem be-schaumlftigt was bdquouumlber Jesusrdquo berichtet wurde In der Tat wie der angesehene lu-therische Theologe Hans Schwarz feststellt bdquoEs ist bezeichnend dass keines der Bekenntnisse woumlrtliche Aussagen von Jesus enthaumllt sondern vielmehr von ihm handelt Das bedeutet dass sie keine Fortsetzung der Verkuumlndigung der Lehren Jesu sind sondern eine Antwort daraufrdquo906

Unter dem Schutz der katholischen Glaubensbekenntnisse drifteten die Lehren Christi [seine Worte] gefaumlhrlich in Richtung Mysterium und Abstraktion Es hieszlig Jesus meinte nicht wirklich was er sagte seine Methoden galten mehr und mehr als mangelhaft und unterentwickelt Seine Aussagen mussten geduldig warten bis spaumltere Philosophen sie vielleicht mit ihrem vollen Sinn erfuumlllten Fuumlr die hoch-geachteten Worte Christi waren die Folgen tiefgreifend aber das ist leider nicht der einzige Verlust den das orthodoxe System verursacht hat

KonsequenzenfuumlrdieVernunftFakten muumlssen begreifbar und nachvollziehbar sein Vernunft ist definiert als bdquodas was einige Fakten begreifbar machtrdquo und sie wird erklaumlrt als bdquodie Kraft des Geistes durch logisches Denken eine Schlussfolgerung zu ziehenrdquo Natuumlrlich ist die Vernunft oft das erste was in Diskussionen uumlber das Thema der Dreifaltigkeit uumlber Bord geworfen wird 907 Wie Luther empfahl bdquoDiese [Lehre] wie auch jeder andere Glaubensartikel darf nicht auf Vernunft beruhenrdquo908 Andere Reformato-ren wie Philipp Melanchthon haben ebenfalls vorgeschlagen dass Christen die Debatte uumlber Gott ganz weglassen sollten und sagen bdquoEs ist besser die Geheim-nisse [die Mysterien] der Gottheit zu verehren als sie zu untersuchenrdquo909 In der christlichen Bevoumllkerung scheint dieser Rat weitgehend befolgt zu werden Et-was das als bdquoGlauberdquo bezeichnet wird hat Vorrang gewonnen uumlber etwas ande-res das abschaumltzig als bdquogesunder Menschenverstandldquo bezeichnet wird

905 Harold Brown Heresies (Peabody MA Hendrickson 1984) p 13 906 Hans Schwarz The Christian Church Biblical Origin Historical Transformation and Potential for the

Future (Minneapolis Augsburg Publishing House 1982) pp 87-88 907 Siehe ldquoReasoningrdquo Merriam-Websterrsquos Dictionary 2015 Web 12 November 2014 (Vernuumlnftiges Uumlber-

legen) 908 Siehe Luther Complete Sermons of Martin Luther Vol 2 pp 406-407 (Predigten) 909 Wilhelm Pauck Melanchthon and Bucer (London The Westminster Press 1969) pp 9-10

Konsequenzen des Dogmas

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Dieser Triumph des bdquoGlaubensrdquo uumlber die Vernunft ist eine Tradition die christ-liche Wissenschaftler seit langem nutzen um die wechselnde Neugierde der Mas-sen zu stillen und die Vernachlaumlssigung von persoumlnlichem Studium und Uumlberzeu-gung zu rechtfertigen Origenes erklaumlrte im dritten Jahrhundert dass die Idee des bdquoGlaubensrdquo von den Theologen als bdquonuumltzlich fuumlr die Mengerdquo angesehen wurde Wir muumlssen zugeben dass es viele gibt die nicht alles [die Tradition] aufgeben koumlnnen um eine Studie uumlber rationale Argumente zu betreiben Wir muumlssen sie lehren zu glauben ohne ihre Gruumlnde zu uumlberdenkenrdquo910 So schrieb Basilius eben-falls bdquoLasst uns Christen die Einfachheit unseres Glaubens den Demonstratio-nen der menschlichen Vernunft vorziehenrdquo911

Die christliche Geistlichkeit hat den irrefuumlhrenden Vorschlag die Glaubensbe-kenntnisse bdquoeinfach zu glaubenrdquo fuumlr den Laien sicherlich attraktiver gemacht Die Akzeptanz von Aussagen ohne Hinterfragung wird von etwas Toumlrichtem in etwas moralisch Lobenswertes umgewandelt Tatsaumlchlich schrieb Melanchthon diese Praxis sogar den Aposteln zu und applaudierte Paulus da er nicht bdquouumlber die Ge-heimnisse der Dreifaltigkeit [und] den Modus der Inkarnation philosophierterdquo912 Natuumlrlich geht er mit diesem Lob davon aus dass Paulus tatsaumlchlich an die Drei-faltigkeit geglaubt hat Aber ist es nicht vernuumlnftiger zum Schluss zu kommen dass Paulus angesichts des historisch-kulturellen Kontextes in dem er predigte weder die Dreifaltigkeit noch die Inkarnation erwaumlhnte geschweige denn daruumlber philosophierte weil er ganz einfach nie von diesen Themen gehoumlrt hatte

Das biblische Modell des bdquoGlaubensrdquo steht nicht im Widerspruch zur Vernunft Der Glaube der Apostel wurde offensichtlich nicht durch die Zusammenfassung von Argumenten erreicht die nicht gruumlndlich gepruumlft worden waren sondern durch die bdquoZerstoumlrung von Festungen und jeder Houmlhe die sich gegen die Erkenntnis Gottes erhebt und nehmen jeden Gedanken gefangen unter den Gehorsam Christirdquo (2 Kor 105) Das biblische Wort fuumlr bdquoGlauberdquo (griechisch pistis) beschreibt eigentlich eine bdquoUumlberzeugung von der Wahrheit von etwasrdquo913 Bullinger definiert es als bdquofeste Uumlber-zeugungrdquo914 Man kann von einem Vorschlag uumlberezugt sein wenn man ihn nicht fest glaubt und natuumlrlich kann kein Vorschlag fest geglaubt werden es sei denn der Vorschlag wird tatsaumlchlich und vernuumlnftig verstanden

910 Origen Against Celsus 1 10 (Gegen Celsus) 911 Basil of Caesarea zitiert in Freeman Closing of the Western Mind p 316 912 Ebenso 913 Joseph Henry Thayer The New Thayerrsquos Greek-English Lexicon of the New Testament (Lafayette

Associated Publishers and Authors 1979) emphasis added 914 E W Bullinger A Critical Lexicon and Concordance to the English and Greek New Testament (Lon-

don Samuel Bagster and Sons Ltd 1971)

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Gerade dagegen houmlrt man Trinitarier haumlufig protestieren bdquoDu benutzt die menschliche Vernunft um dich der Wahrheit uumlber Gott zu naumlhern die Wahrheit der Trinitaumltslehre aber liegt weit jenseits unseres begrenzten Verstandesrdquo Hier wird lautstark behauptet dass es einen riesigen Unterschied zwischen den menschlichen und goumlttlichen Faumlhigkeiten gibt um zu einer Schlussfolgerung uumlber bdquodas Wahrerdquo zu kommen Die normale Denkweise der Philosophie soll nicht be-eintraumlchtigt werden Aber wurde der Mensch nicht von Gott selbst mit Vernunft ausgestattet Hat Gott dem Menschen nicht ein Werkzeug gegeben und erwartet er nicht dass der Mensch die Wahrheit in einer Welt der Luumlgen entdeckt und so gerettet werden kann In Jesaja lehrt Gott sein Volk bdquoKommt doch wir wollen mitei-nander rechtenrdquo (Jes 118a) Sowohl die Vernunft Gottes als auch die des Menschen werden als auf demselben Spielfeld operierend dargestellt indem sie miteinander auf die Uumlberzeugung einer gemeinsamen Realitaumlt hinspielen Tatsaumlchlich ist die Wahrheit fuumlr niemanden relativ So setzen wir unsere Herausforderung fort Zwi-schen Gottes Wahrheit und der Wahrheit des Menschen gibt es keinen Unter-schied Wie kann die Wahrheit einer Aussage geglaubt werden wenn die Aussage selbst nicht einmal verstaumlndlich vorgebracht wird

Der amerikanische Pastor A W Tozer der sich groszliger Beliebtheit erfreut offen-bart dass jede Hoffnung die uumlber lange Zeit entwickelten trinitarischen Thesen zu verstehen bdquofuumlr immer vergeblichrdquo bleiben muss Christliche Kirchen bdquoohne dass sie die Aussagen verstehenrdquo rufen dennoch fortwaumlhrend zu deren univer-seller Akzeptanz auf915 Die orthodoxen Glaubensbekenntnisse kommunizieren offenbar keinen vernuumlnftigen Glauben sondern nur eine Reihe von stumpfsinni-gen Sprachfloskeln die sich bestenfalls zum Rezitieren [zum Herunterleiern] eig-nen Deshalb draumlngt sich die Frage auf Koumlnnen wir es uns leisten Christen wei-terhin leere Sprachhuumllsen zu vermitteln Um den christlichen Glauben nicht auf einen bdquoGlauben an Nichtsrdquo [Nihilismus] zu reduzieren muss diese Sprache ver-staumlndlich gemacht werden

Zum Beispiel wenn jemand den Spruch bdquoabusu ad usum non valet consequentiardquo po-sitiv bestaumltigen muumlsste waumlre es ihm unmoumlglich die Wahrheit zu bejahen wenn er nicht Latein versteht Das Sprichwort bedeutet bdquoMissbrauchte Rechte sind immer noch Rechterdquo Desgleichen wenn ein Schimpanse den Satz uumlben und perfekt aus-sprechen koumlnnte wuumlrde niemand annehmen dass der Affe wirklich davon uumlber-zeugt ist Keinesfalls und auch Menschen koumlnnen einstudierte Saumltze nicht wirklich bejahen wenn sie diese nicht verstehen

Als Antwort auf das trinitarische Argument dass die Lehre von der Trinitaumlt ein-fach zu glauben ist nicht weil sie logisch zwingend waumlre sondern weil sie eine

915 A W Tozer The Knowledge of the Holy (New York HarperOne 1961) pp 17-18 23

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bdquoOffenbarungrdquo Gottes sei916 sind wir verpflichtet entgegenzuhalten dass auch eine bdquoOffenbarungrdquo in erster Linie verstaumlndlich sein muss Gibt es etwas das gleich-zeitig offenbart und nicht offenbart sein kann Vertraut man einem guten Freund ein Geheimnis an verfasst jedoch den Brief an ihn in einer Sprache die der Freund nicht versteht koumlnnte das nicht wirklich als bdquoOffenbarungrdquo eines Ge-heimnisses gelten Das waumlre unmoumlglich denn so wie der Freund das Geheimnis nicht kannte bevor er den unverstaumlndlichen Brief erhielt so kennt er es auch danach nicht Wir muumlssen zugeben dass es mysterioumlse raumltselhafte Dinge uumlber den Gott der Bibel gibt Kein verantwortlicher Christ maszligt sich an alles uumlber Gott zu ver-stehen Aber was das Trinitaumltsdogma betrifft so haben wir es nicht mit einer alles umfassenden Erklaumlrung uumlber Gott zu tun sondern mit angeblichen Offenbarun-gen uumlber ihn Es trifft letztendlich nicht zu dass die trinitarischen Bekenntnisse den Anforderungen der wirklichen geschweige denn goumlttlichen Offenbarungen ent-sprechen da sie effektiv keine begreifbaren verstaumlndlichen Aussagen oder Infor-mationen sind

Man kann leicht beweisen dass die Glaubensvorstellungen der Orthodoxie un-verstaumlndlich sind und sich selbst widersprechen In ihrem Buch Antworten auf schwierige Fragen stehen die Trinitarier Josh McDowell und Don Stewart Skepti-kern Rede und Antwort uumlber mutmaszligliche Widerspruumlche in der Bibel

Was ist ein Widerspruch [Kontradiktion] Der Satz vom Wider-spruch (auch Widerspruchsprinzip oder Kontradiktions-prinzip genannt Anm des Uuml) der die Grundlage allen logischen Denkens ist besagt dass eine Sache nicht gleichzeitig A und Nicht-A sein kann Mit anderen Worten es kann nicht gleichzeitig regnen und nicht regnen Wenn man einen Verstoszlig gegen dieses Prinzip in der Schrift aufzeigen kann dann und nur dann kann man einen Wider-spruch nachweisen

McDowell und Stewart haben Recht wenn sie sagen dass es widerspruumlchlich ist zu behaupten dass alles etwas sein kann und nicht sein kann - gleichzeitig und auf die gleiche Weise Aber sollte dieses Prinzip nicht auch fuumlr den historischen Jesus gelten Ist er irgendwie von den Grenzen der Vernunft befreit Die Be-kenntnisse uumlber ihn sind einfach voll von Verstoumlszligen gegen das Widerspruchs-prinzip Die eine Person Jesu soll sowohl menschlich in Bezug auf die Natur als auch nicht-menschlich in Bezug auf die Natur gewesen sein Einmal ist er allwissend und dann wieder kennt er nicht alles er wird versucht obwohl er nicht versuch-bar ist er stirbt obschon er unsterblich sein soll Nachdem von McDowell und

916 Erickson Christian Theology p 367

Konsequenzen des Dogmas

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Stewart zitierten Prinzip sind dies nachweisbare Widerspruumlche ein Widerspruch ist natuumlrlich eine Aussage die immer falsch ist

Das beruumlhmt-beruumlchtigte Athanasianische Glaubensbekenntnis verkoumlrpert und veranschaulicht diese Probleme weiter Es weist nachdruumlcklich darauf hin dass alle bdquoglauben und bekennenrdquo muumlssen dass Jesus bdquoGott und Mensch istrdquo und dass der eine Gott bdquodrei Personen gleich-ewig und gleichwertigrdquo ist917 Aber ist diese These von der Dreiheit Gottes nicht von Natur aus widerspruumlchlich Viele ein-schlieszliglich der Kappadokischen Vaumlter haben unermuumldlich versucht das Dogma vom Widerspruch zu befreien indem sie sagten dass eine Sache drei Dinge sind und haben daher behauptet dass bdquoGott eine Substanz und drei Hypostasenrdquo ist Um hier eine mathematische Formel auf die Logik anzuwenden gibt es nicht drei X in einem X sondern drei X in einem Y Moderne Evangelikale haben die Idee als bdquoein Was und drei Werrdquo vorgebracht Es wird zugegeben dass eine Behaup-tung von bdquoeinem Wasrdquo und bdquodrei Werrdquo zwar widerspruumlchlich ist aber indem sie den einen Gott in ein bdquoWasrdquo verwandeln sind sie uumlberzeugt die Verletzungen der Logik umgangen zu haben918 Und so wird bdquoGottldquo - zur Wahrung des Dog-mas - in eine Abstraktion eine Substanz in ein Es [eine Sache] verwandelt In diesem System ist bdquoGottrdquo ausdruumlcklich keine Person bdquoGottrdquo ist eine Essenz in die sich drei verschiedene Personen aufteilen Wie C S Lewis schreibt bdquoWir muumlssen uns daran erinnern dass die christliche Theologie Gott nicht fuumlr eine Person haumllt sie glaubt dass er etwas ganz anderes ist als eine Personrdquo919 Doch die trinitari-schen Christen sagen damit nichts Neues die griechischen Philosophen hatten laumlngst einen transzendenten abstrakten und bdquoUnbekannten Gottrdquo bestaumltigt Der anglikanische Bischof Christopher Wright warnt uns jedoch vor einem bdquoabstrak-tenrdquo oder bdquophilosophischen Monotheismusrdquo und offenbart die Gefahr bdquoGottrdquo als abstrakte bdquoGoumlttlichkeitrdquo oder ontologisch als bdquoSeinrdquo zu definieren

917 Athanasiansches Bekenntnis ca 500 n Chr 918 Der prominente trinitarische Apologet James R White unterstreicht seinen Glauben an die geheimnis-

volle substantielle Natur des Seins Gottes das anscheinend in der Lage ist drei verschiedene Persoumlnlich-keiten zu befaumlhigen bdquoInnerhalb des einen Wesens das Gott ist gibt es ewig drei gleichwertige und ewige Personen naumlmlich den Vater den Sohn und den Heiligen Geist Beachten Sie sofort dass wir nicht sagen dass es drei Wesen gibt die ein Wesen sind oder drei Personen die eine Person sind Das waumlre ein Selbstwiderspruch Ich betone dies denn meistens ist dies die falsche Darstellung der Lehre die man haumlufig in der Literatur verschiedener Religionen findet welche die Dreifaltigkeit verneinenrdquo In Anlehnung an die so beschriebene bdquowunderbar einfache und klarerdquo Lehre des evangelischen Hank Hanegraaff stimmt White zu bdquoWenn wir von der Dreifaltigkeit sprechen muumlssen wir erkennen dass wir von einem Was und drei Wer sprechen Das Was ist das Wesen [das Sein] oder die Essenz Gottes die drei Wer sind der Vater der Sohn und der Geist Wir wagen es nicht das Was und die Wer in der Trinitaumlt zu vermischen oder zu verwechselnrdquo (James R White The Forgotten Trinity Recovering the Heart of Christian Belief (Minneapolis Bethany House Publishers 1998) pp 26-27)

919 C S Lewis Christian Reflections p 79

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Ein philosophischer Monotheismus der die goumlttliche Realitaumlt ohne Namen und ohne Charakter laumlsst ist dem Glauben des Alten Tes-taments fremd (dh unbekannt und feindlich) bdquoTheosrdquo im Zent-rum wird so abstrakt unpersoumlnlich und schlieszliglich unbeschreibbar (man kann uumlberhaupt nichts uumlber ihnsiees sagen)920

Trinitarier moumlgen argumentieren dass die durch den Begriff bdquoGottrdquo beschriebene Realitaumlt eine Substanz oder ein Etwas anzeigt aber das kann nicht fuumlr das Nomen bdquoJahwehrdquo gesagt werden denn dies ist ein persoumlnlicher Name bdquoIch bin Jahweh das ist mein Name Und meine Ehre gebe ich keinem anderen rdquo (Jes 428) bdquoDas ist mein Name in Ewigkeit und das ist meine Benennung von Generation zu Generationrdquo (2 Mose 315) Zweifach ist die Ermahnung an uns bdquozu wissen dass Jahweh Gott istrdquo (Ps 11827) und dass er bdquounser Gott istrdquo (5 Mose 64) Wenn jedoch der Eigenname bdquoJahwehrdquo wie viele Trinitarier behaupten einfach eine Benennung ist die fuumlr alle drei Personen der Dreifaltigkeit zusammen verwendet wird dann erweist sich im Trinitarismus bdquoJahwehrdquo nicht als der Name einer Person sondern als der Name einer Sammlung oder eines Etwas Wie Christopher Wright jedoch erklaumlrt bdquoJah-weh ist nicht der Markenname eines kosmischen Unternehmens Er ist ein einzi-ger Gott unser Gott und Jahweh ist sein persoumlnlicher Namerdquo921 Die philosophi-sche Definition von bdquoGottrdquo als nicht individuelle Persoumlnlichkeit sondern als bdquoSeinrdquo oder als bdquoEtwasrdquo widerspricht der biblischen Lehre aufs Schaumlrfste Die Schrift betont nicht nur die bdquodynamische Persoumlnlichkeit von sbquoJahweh unserem Gottrsquo sondern erhebt diese Persoumlnlichkeit vielmehr zu einem notwendigen Teil des rettenden Glaubensrdquo922 Der Welt die Erleuchtung zu bringen uumlber die un-vergleichliche und unnachahmliche Persoumlnlichkeit des Gottes wie ihn die Juden schon kannten war zweifellos die Absicht und das Ziel von Jesus und seiner Apostel Folgendes duumlrfen wir nicht vergessen

Der Apostel Paulus wirkte in Athen Er versuchte sein griechisches Publikum vom Glauben an Gott als bdquoWasrdquo wegzubewegen und zum Glauben an den Gott Abrahams Isaaks und Jakobs der ein bdquoWerrdquo eine Person ist hinzufuumlhren Beachten Sie den subtilen An-satz von Paulus bdquoWas ihr anbetet aber nicht kennt den verkuumlnde ich euch jetzt Gott der die Welt und alles darin geschaffen hatrdquo (Apg 1723-24) Es grenzt fast an Ironie dass fuumlhrende Vertreter der bdquoOrthodoxierdquo heutzutage genau die gleiche Tendenz verraten die Paulus zu kor-rigieren versuchte Die bibelorientierte Oumlffentlichkeit wird daruumlber

920 Christopher J H Wright Deuteronomy (Grand Rapids Baker Books 2012 [1996]) 9 unsere Hin-

zufuumlgung Source credit Carlos Xavier (httpthehumanjesusorg) 921 Ebenso 922 Ebenso unsere Hinzufuumlgung

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informiert dass bdquoGott ein Etwas mit drei Werrdquo ist Eine solche De-finition von Gott stammt uumlberhaupt nicht aus der Heiligen Schrift Sie kommt aus der Welt des Mittelplatonismus Die griechische Philosophie foumlrderte Gott als bdquoWasrdquo und es ist der heutige Funda-mentalismus der (oft in unbeholfener Weise) von den Kirchenmit-gliedern verlangt an Etwas zu glauben das als der bdquodreieinige Gottrdquo dargestellt wird Dieser Gott war weder Jesus noch Paulus bekannt923

Tatsaumlchlich ist der Gott der Bibel nicht das unumstoumlszligliche Prinzip des Platonis-mus Obwohl C S Lewis verneinte dass dieser Gott eine Person ist schreibt der Trinitarier Walter Martin

Diese allmaumlchtige Person vollbringt Handlungen zu denen nur eine Persoumlnlichkeit faumlhig ist Gott houmlrt (2 Mose 224) Gott sieht (1 Mose 14) Gott erschafft (1 Mose 11) Gott weiszlig (2 Timotheus 219 Jeremia 2911) Gott hat einen Willen (1 Johannes 217) Gott ist ein bewusstes Ich das denken und uumlberlegen kann dh ein persoumlnliches Wesen - bdquoIch bin der ich binrdquo (1 Mose 314 1 Mose 171) Dies ist der Gott des Christentums eine allmaumlchtige allwissende und allgegenwaumlrtige Persoumlnlichkeit die jedes Attribut der Individualitaumlt manifestiert924

Wie der bedeutende B B Warfield bestaumltigte bestand die Lehre des Alten Tes-taments die das solide theologische Fundament fuumlr den juumldischen Jesus und seine Juumlnger bildete nicht nur darin dass es einen bdquoGottrdquo gibt sondern dass bdquoder Gott der ganzen Erde eine Person istrdquo925

Eine weitere Frage stellt sich bei der Betrachtung dieser gemeinsamen evangeli-schen Formel Was ist wenn der Vorschlag von bdquodrei Wer und einem Wasrdquo um-gekehrt wurde Koumlnnte ein bdquoWerrdquo auch drei bdquoWasrdquo enthalten Der Trinitarier muss zwangslaumlufig auch glauben dass dies der Fall ist die eine Person Jesu soll

923 Anthony F Buzzard ldquoKeys Which Unlock the Biblerdquo Focus on the Kingdom No 3 Vol 4 (McDonough

Restoration Fellowship 2001) p 3 (Schluumlssel zum Verstaumlndnis der Bibel aus Fokus auf dem Koumlnigreich) 924 Walter Martin zitiert von Ron Rhodes The Challenge of the Cults and New Religions (Grand Rapids

Zondervan 2001) p 125 (Die Herausforderung der Kulte und neuen Religionen) 925 B B Warfield ldquoThe Spirit of God in the Old Testamentrdquo The Works of Benjamin B Warfield (New York

OUP 1932) p 127 Einige trinitarische Theologen haben sich mit der Annahme von bdquoGottldquo als Ab-straktion nicht wohl gefuumlhlt und versucht der evangelischen Formel zu widerstehen die von White Hanegraaff und anderen veranschaulicht wird Der reformierte Theologe Cornelius Van Til war von dieser Idee so sehr betroffen dass er behauptete dass die goumlttliche Essenz selbst irgendwie persoumlnlich sein muss In einem Sinn muumlsse Gott eine Person sein Aber in Bezug darauf wie genau die drei Perso-nen eine Person sein koumlnnen ohne in den Modalismus zu verfallen behauptet Van Til wie vorhersehbar ist bdquoDas ist ein Geheimnis das wir nicht verstehenrdquo (John M Frame Cornelius Van Til An Analysis of His Thought (Phillipsberg P amp R Publishing 1995) pp 67-69)

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ja sowohl menschliche als auch goumlttliche Substanzen enthalten926 Wie Augusti-nus bestaumltigte verkoumlrperte das zweite Mitglied der Dreifaltigkeit bdquoeine vollkom-mene Annahme der menschlichen Substanzrdquo927 So gibt es in der gegenwaumlrtigen trinitarischen Gottheit nicht wirklich bdquoein Was und drei Werrdquo sondern tatsaumlch-lich bdquozwei Was und drei Werrdquo (zwei Wesen oder Substanzen und drei Personen) Unnoumltig zu sagen dass die Persoumlnlichkeit des biblischen Gottes im Streit fuumlr immer verloren gegangen zu sein scheint ja sogar voumlllig aufgeloumlst wurde

Hier wird natuumlrlich sofort widersprochen dass die Lehre der Dreifaltigkeit ein Geheimnis sein soll dass die Aussagen uumlber Gott als Drei und Eins zu glauben und zu bekennen sind nicht verstanden zu werden Aber auch hier gilt Keinem Vor-schlag kann wirklich zugestimmt werden wenn er nicht verstanden wird Vor-schlaumlge wie das Athanasianische Glaubensbekenntnis haben immer wieder In-konsistenzen aufgewiesen und ohne Vorbehalte wird gegen die eigenen ideologi-schen Regeln verstossen Ein echter Glaube (eine feste Uumlberzeugung von der Wahrheit) wird dadurch praktisch unmoumlglich gemacht Beispiele davon finden sich im Bekenntnis

Der ewige Vater der ewige Sohn und der ewige Heilige Geist Und doch sind es nicht drei Ewige sondern ein Ewiger

Der Vater ist allmaumlchtig der Sohn ist allmaumlchtig und der Heilige Geist ist allmaumlchtig Und doch sind es nicht drei Allmaumlchtige sondern ein Allmaumlchtiger

So ist der Vater Gott der Sohn Gott und der Heilige Geist ist Gott Und doch sind es nicht drei Goumltter sondern ein Gott

So ist auch der Vater Herr der Sohn Herr und der Heilige Geist Herr Und doch sind sie nicht drei Herren sondern ein Herr

Denn wie wir durch die christliche Wahrheit gezwungen sind jede Person in sich selbst anzuerkennen [ist] Gott und Herr928

In diesen Aussagen obwohl es eine regelkonforme Unterscheidung zwischen den Mitgliedern der Gottheit gibt sollen wir auch glauben dass es eine gewisse Ein-heit zwischen ihnen gibt die den Tri-Theismus ausschlieszligt Der hier gemachte

926 bdquoChristus ist eins in der Substanz (homoousios) mit dem Vater in der Hinsicht auf seine goumlttliche Natur

und eins in der Substanz mit der Menschheit in der Hinsicht auf seine menschliche Naturrdquo (Kenneth Samples ldquoThinking About the Incarnation The Divine Word Became Fleshrdquo Reasons to Believe 1 October 2000 Web 10 September 2014 lthttpwwwreasonsorgarticlesthinking-about-the-incar-nation-the-divine-word-became-fleshgt

927 Augustine Sermo 187 3 928 Athanasisches Bekenntnis ca 500

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Vorschlag ist dass die Summe ihrer Qualitaumlten (Ewigkeit Allmacht usw) letztlich nicht drei dieser Dinge hervorbringt sondern nur eines Doch das Glaubensbe-kenntnis bricht dramatisch seine eigenen Regeln wenn es um die Persoumlnlichkeit geht Das ist bestenfalls uneinheitlich Wenn es bdquodrei Personenrdquo gibt warum gibt es dann nicht letztlich bdquoeine Personrdquo Wenn wir uns die letzte Zeile des oben aufgefuumlhrten Auszugs genauer ansehen wird darin gesagt dass jedes Mitglied bdquoGottrdquo und bdquoHerrrdquo im persoumlnlichen Sinne ist Wenn es also nicht drei Goumltter sondern einen Gott gibt sollte es nicht drei Personen geben sondern eine Person Natuumlrlich wenn das Glaubensbekenntnis seinem eigenen Vorbild folgte wuumlrde sich die Dreifaltigkeit als Sabellianismus erweisen Wenn nicht Sabellianismus dann Tri-Theismus die drei die Gott sind da sie nicht die gleiche Person sind sind in Wirklichkeit drei Goumltter Aber wenn das Glaubensbekenntnis so verstan-den werden soll dass es weder Tri-Theismus noch Sabellianismus praumlsentiert dann muumlssen wir feststellen dass seine Anhaumlnger wirklich keine Ahnung haben was die Aussage bedeutet Ein hervorragender Theologe aus Harvard schrieb ein-mal

In der Geschichte anderer Wissenschaftsbereiche finden sich reich-lich Irrtuumlmer und Extravaganzen aber die orthodoxe Theologie scheint der eigenartigste Bereich von leeren Worthuumllsen zu sein von Ansichten deren eigentlicher Sinn bekanntermaszligen falsch ist und die keine logische Erklaumlrung haben von den unheilvollsten Absurditaumlten die als Wahrheiten von houmlchster Bedeutung darge-stellt werden und von widerspruumlchlichen Thesen die ohne den Versuch sie miteinander in Einklang zu bringen verbunden wur-den Ein Hauptfehler der durch dieses und andere Systeme der fal-schen Philosophie geht ist dass Worte selbst wenn sie gemaumlszlig der menschlichen Vernunft eine Absurditaumlt ausdruumlcken noch im-mer fuumlr ein hohes Geheimnis oder eine verborgene Wahrheit ge-halten werden und geglaubt ohne verstanden zu werden929

AW Tozer findet dies jedoch keineswegs problematisch und kommt zum Schluss bdquoDie Tatsache dass etwas nicht zufriedenstellend erklaumlrt werden kann spricht eher zu seinen Gunsten anstatt dagegenrdquo930 Mit anderen Worten die Doktrin wird vor allzu kritischer Aufmerksamkeit geschuumltzt Sie ist in der Lage schnell hinter einen esoterischen Schleier des bdquoMysteriumsrdquo zu springen Wann immer rationale Einwaumlnde gegen sie erhoben werden gelingt es sie summarisch zuruumlckzuweisen ohne potenziell aufwendige Konfrontation Natuumlrlich wird diese

929 Andrews Norton A Statement of Reasons for Not Believing the Doctrines of Trinitarians (Boston

Hilliard Gray and Co 1833) pp 78-79 (Ein Statement der Vernunft weeshalb die trintarischen Dokt-rinen nicht geglaubt werden)

930 Tozer The Knowledge of the Holy pp 17-18 23 (Das Wissen uumlber das Heilige)

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Umgehung durch ihre aumluszligerst geschliffene Formulierung erreicht nicht durch die Tugend ihrer [vernuumlnftigen] Beweise

Basilius einer der Kappadokischen Vaumlter der von der Katholischen Kirche als bdquoder Offenbarer der himmlischen Mysterienrdquo bezeichnet wird fordert uns auf einfach bdquoGlaubenrdquo zu haben dass sein System wahr ist Er argumentiert dass nur weil jede der Personen der Trinitaumlt einzeln gezaumlhlt werden kann das nicht bedeu-tet dass bdquoeine dumme Rechnerei uns zur Idee einer Vielzahl von Goumlttern hin-fuumlhren koumlnnte Zaumlhlt wenn ihr wollt aber ihr duumlrft nicht zaumlhlen und damit dem Glauben schadenrdquo931 Basilius nummeriert dann die Personen der Dreifaltigkeit aber ihre Anzahl ist letztlich bedeutungslos Wir fragen uns was hat dann Basilius bdquooffenbartrdquo wenn es uumlberhaupt etwas zu offenbaren gab Die Kappadokier hat-ten schlieszliglich Gott fuumlr bdquounergruumlndlichrdquo erklaumlrt um die Trinitaumltslehre vor einer neugierigen Hinterfragung zu schuumltzen Aber kann das Postulat dass Gott nicht erkannt werden kann neben der Vorstellung Guumlltigkeit haben dass Gott eine bdquoDreifaltigkeitrdquo ist Mit anderen Worten wenn Gott wirklich grundsaumltzlich un-begreiflich ist wie konnten die Kappadokier dann jemals die verschiedenen Aus-sagen uumlber Gott behaupten die sie gemacht haben Waumlhrend sie gehofft hatten dass die vollstaumlndige Unbeschreiblichkeit Gottes die Dreifaltigkeit abschirmen wuumlrde machte die Einfuumlhrung der Doktrin tatsaumlchlich ihre Autoritaumlt zunichte Sie beschaumldigte auch gleichzeitig das Zeugnis und den Nutzen der Bibel in der sich Gott so oft offenbart hatte932

Der dogmatische Christus hat sich hartnaumlckig gewehrt Die Interpretationen der antiken Glaubensbekenntnisse haben sich regelmaumlszligig erweitert und dann wieder zusammengezogen doch haben sie den Glauben nicht naumlher an eine oumlkumeni-sche Loumlsung herangefuumlhrt Was haben moderne Christen mit diesen alten An-sichten zu tun die sich im christlichen Leben zu keiner Zeit als nuumltzlich erwiesen haben Wie sich ein Wissenschaftler der Baptistenkirche zurecht gefragt hat bdquoAn-gesichts der Schwierigkeit des Themas und der groszligen Anstrengungen die un-ternommen wurden um diese Doktrin aufrechtzuerhalten koumlnnen wir uns durchaus fragen was all diese Schwierigkeiten rechtfertigen koumlnnterdquo933 Ein ka-tholischer Gelehrter draumlngt ebenfalls auf eine Antwort

Koumlnnen wir einfach klassische Formeln wiederholen Jesus Chris-tus der Ein-Gott-Mensch mit zwei Naturen Gott selbst - eine Na-tur mit drei Personen Selbst auf katholischer Seite wird dies heute

931 Basil of Caesarea The Book of St Basil on the Spirit Ch XVIII 44 932 Entgegen der kappadokischen Behauptung dass Gott bdquounergruumlndlichrdquo sei beteuert das Neue Testa-

ment dass Jesus Christus bdquoihn [Gott] kundgemacht hatrdquo (Johannes 118 ELB) und die Apostel versi-chern mit Uumlberzeugung dass sie bdquowissen aber dass der Sohn Gottes gekommen ist und uns Verstaumlndnis gegeben hat damit wir den Wahrhaftigen erkennenrdquo (1 Johannes 520a)

933 Erickson God in Three Persons p 12

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als problematisch empfunden so sehr das Chalcedonische Be-kenntnis - bdquovollkommen in der Gottheit und hellip vollkommen in der Menschheit hellip wirklich Gott und wirklich Menschrdquo - als bdquoWeg-markerdquo eines christologischen Denkens akzeptiert werden mag934

Zweifellos ist die Sache mit Christus alles andere als ausgestanden oder auch nur ansatzweise geklaumlrt Dr Hick erkannte dass keiner der christologischen Debat-ten die wir untersucht haben die Quadratur des Kreises gelungen ist indem sie die Behauptung verstaumlndlich machen wollten dass jemand der wirklich und un-missverstaumlndlich ein Mensch war auch wirklich und eindeutig Gott war935 Viele haben sich nach auszligen ins Unfassbare geschickt aber der Trinitarier John Pol-kinghorne kommt zur Einsicht bdquoMit ungeloumlsten Paradoxien zu leben ist keine bequeme Situationrdquo936 Die Frage ist ob es moumlglich ist sich aus unnoumltigen Kon-flikten mit dem Inhalt der Bibel herauszuhalten indem man die geistige und geist-liche Freiheit als wertvoll genug erachtet um die Komfortzone der religioumlsen Tradition zu verlassen Wie sehr kuumlmmert es einfache Christen wirklich die Ir-rationalitaumlt ihres Glaubens zu erkennen und von ihr loszukommen

Natuumlrlich gab es auch juumlngere Apologeten die sich leidenschaftlich bemuumlht ha-ben die verschiedenen Bekenntnisse auf eine Art und Weise zu erklaumlren die Wi-derspruumlche vermeidet937 Aber was ist wenn die Glaubensrichtungen zunaumlchst keine verstaumlndlichen Ideen praumlsentieren Es scheint besser zu sein zusammen mit den anderen Trinitariern deklarieren dass das Dogma von Natur aus unmoumlglich ist Einige Trinitarier haben diese Tatsache offen zugegeben und sie sogar als Beweis fuumlr ihren goumlttlichen Ursprung gehalten Sir Thomas Browne schrieb ein-mal bdquoIch kann alle Einwaumlnde des Satans und meiner rebellischen Vernunft mit der etwas seltsam klingenden Antwort kontern die ich von Tertullian gelernt habe bdquoCertum est quia impossible est (Es ist sicher weil es unmoumlglich ist)rdquo938 Darauf antwortete Erzbischof Tilloston mit Bedacht bdquoIch weiszlig nicht was einige Men-schen in sich selbst entdecken aber ich muss freimuumltig eingestehen dass ich noch

934 Kuschel p 32 935 N F Gier God Reason and the Evangelicals Case Against Evangelical Rationalism (Lanham

Rowman amp Littlefield 1986) p 3 936 Ebenso 937 Seit der Wiederbelebung der analytischen Religionsphilosophie in den 1960er Jahren verfolgen viele

christliche Philosophen das was heute als analytische Theologie bezeichnet wird in dem zentralen religioumlsen Lehren praumlzise Formulierungen gegeben werden und es wird gehofft dass sie selbstkonsistent und anderweitig vertretbar sind diese juumlngsten bdquorationalen Rekonstruktionenrdquo der Trinitaumltslehre setzen Konzepte aus der zeitgenoumlssischen analytischen Metaphysik Logik und Epistemologie zentral einrdquo (Dale Tuggy ldquoTrinityrdquo Stanford Encyclopedia of Philosophy 2009) Die Bemuumlhungen zeitgenoumlssischer Denker die Dreieinigkeit aus dem Bereich des Mysteriums herauszuholen muumlssen erst noch eine Methodik hervorbringen die sich als oumlkumenisch befriedigend erweisen wird

938 Sir Thomas Browne Religio Medici Sect 9 10 12 in Works Vol 2 p 332

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nie zu diesem kuumlhnen und robusten Glauben gelangen konnte etwas zu glauben aus dem einen Grund weil es unmoumlglich istrdquo939 Dennoch scheinen einige zeitge-noumlssische Apologeten immer noch zu zoumlgern die Unmoumlglichkeit der Doktrin zu akzeptieren

Zuerst moumlgen einige diese Lehre betrachten und sich dadurch ver-wirren lassen Wie kann Gott drei Personen in einem Gott sein Das ist eine gute Frage denn sie ist etwas schwer zu verstehen Aber das ist es was wir erwarten wuumlrden nicht wahr wenn wir Gott begegnen Das ist nicht unvernuumlnftig Wir duumlrfen jedoch nicht den Fehler machen etwas so Laumlcherliches zu sagen wie bdquoEs macht keinen Sinn deshalb ist es nicht wahrrdquo940

Aber die Sache ist nicht einfach bdquoschwer zu begreifenrdquo als ob mehr Studium oder Praxis schlieszliglich einen leichteren Weg zeigen koumlnnte die Katholische Kirche hat sich bereits tausend Jahre Nachdenken gegoumlnnt oft von einem hohen Blutzoll begleitet und ist der Loumlsung nicht naumlher gekommen als wir es heute sind Der obige Apologet behauptet dass etwas das offensichtlich bdquokeinen Sinn machtrdquo trotzdem bdquowahrrdquo sein kann Aber wenn wir einen Sachverhalt nicht verstehen wie koumlnnen wir ihm dann zustimmen Es gibt natuumlrlich ein Wort fuumlr Dinge die keinen Sinn ergeben Unsinn Wie bereits erwaumlhnt sollte es nicht ausreichen dass Christen nur unsinnige Formeln wiederholen um eine beliebte Spitzfindigkeit zu stuumltzen Hat die endlose Spekulation der Theologen die Sorgen der Laien wirklich so sehr beruhigt dass Aussagen nicht einmal verstanden werden muumlssen bevor sie bis zum Tod verteidigt werden und ehe andere hingebungsvolle Christen we-gen ihrer Neugierde geaumlchtet werden oder ein noch schlimmeres Schicksal erlei-den

Innerhalb des etablierten Trinitarismus ist die Botschaft von Jesus vielleicht von ausgebildeten Theologen bis zu einem gewissen Grad verstaumlndlich Sie muss aber schlieszliglich als unbegreiflich angesehen werden da das Dreieinigkeitssystem zu dem er angeblich gehoumlrt zugegebenermaszligen nicht vorstellbar ist941 Wie der pro-minente Trinitarier Millard Erickson zusammenfasst bdquoist die Trinitaumlt letztendlich unverstaumlndlichrdquo942 Andere groszlige Evangelikale berichten uumlber die gleiche

939 John Tilloston Ser 194 in Works Vol 10 180 940 Matt Slick ldquoThe Trinity Makes No Sense It Isnrsquot Logicalrdquo Christian Apologetics and Research

Ministry Web 5 May 2013 lthttpcarmorgtrinity-makes-no-sense-it-isnt-logicalgt 941 bdquoUnd so erhaumllt jemand der sich eingehend mit den Tiefen des Geheimnisses befasst insgeheim in

seinem Geist ein gewisses Mass an Verstaumlndnis fuumlr die Lehre von der Natur Gottes aber er ist nicht in der Lage die unbeschreibliche Tiefe dieses Geheimnisses in Worten klar zu erklaumlrenrdquo (Greogry of Nyssa The Great Catechisim 1 3)

942 Erickson Christian Theology p 363

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Schlussfolgerung bdquoTrotz all der Diskussionen und Abgrenzungen die wir in Be-zug auf die Dreifaltigkeit unternehmenrdquo sagt Professor Ryrie bdquomuumlssen wir aner-kennen dass es sich letzten Endes um ein Geheimnis ein Mysterium handeltrdquo943 Interessanterweise obwohl evangelische Trinitarier alle Menschen aufrufen eine bdquopersoumlnliche Beziehungrdquo mit Gott oder Jesus einzugehen wie erfolgreich koumlnnen sie erwarten dass der einfache Christ und die Christin in innige Beziehung zu einem Objekt treten mit dem grundsaumltzlich keine Beziehung aufgebaut werden kann Wie der trinitarische Theologe Dr John Hey empfiehlt wuumlrde es zur Ver-nunft und Ehrlichkeit beitragen wenn die Trinitarier bdquobei allen Gelegenheiten betonen wuumlrden dass unsere Lehre von der Dreifaltigkeit voumlllig unverstaumlndlich istrdquo944

Trotz des Eingestaumlndnisses der Unergruumlndlichkeit [der Dreifaltigkeit] wird die enorme Energie die das unerbittliche mentale Argument der Trinitaumlt erfordert weiterhin in den bestgebildeten Kreisen eingesetzt waumlhrend die unqualifizierten Massen kaum hoffen duumlrfen sich ihnen anzuschlieszligen Wie seinerzeit die einge-weihten gnostischen Philosophen sind die heutigen trinitarischen Theologen die cleveren Huumlter des obskuren Wirkens des Goumlttlichen waumlhrend die Mehrheit der Laien meist nur unbeantwortete Fragen uumlbrig hat Jede ernsthafte Hinterfragung der komplexen Natur Jesu und der verwirrenden multiplizierten Identitaumlt Gottes wurde den Studierten uumlberlassen Wie Freeman bemerkt hat das orthodoxe Christentum bdquowirklich viel mit Sektiererei gemeinsam nicht zuletzt wegen der Vorstellung dass der Zugang zu den Geheimnissen des Kultes und das absolute Recht sie fuumlr andere zu interpretieren der Elite der Priesterklasse vorbehalten sindrdquo945 Es hat schon seit jeher die Geistlichkeit gereizt in der Religion das bdquoGe-heimnisrdquo zu hervorzukehren Harnack beobachtete dass die von der orthodoxen Partei gefoumlrderte trinitarische Theologie nur bdquodenen zugaumlnglich sei die in philo-sophischen Erklaumlrungen ausgebildet sindrdquo und erkannte schlieszliglich

Die Etablierung der Logos-Christologie innerhalb der Glaubens-lehre war fuumlr die breite Masse der Christenheit gleichbedeutend mit der Errichtung eines Geheimnisses eines Mysteriums Aber so-bald die Religion den erhabensten Inhalt ihres Glaubensbekennt-nisses in Formeln auszudruumlcken begann die fuumlr die Allgemeinheit ihrer Anhaumlnger geheimnisvoll und unverstaumlndlich bleiben musste kamen diese Glaumlubigen unter Vormundschaft sie waren auf die Theologen angewiesen die als Professoren des Mysterioumlsen allein

943 Ryrie Basic Theology p 61 944 John Hey Lectures in Divinity Delivered in the University of Cambridge Vol 2 (Los Angeles Hard-

Press 2013) p 235 945 Freeman Closing of the Western Mind p 71

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das Bekentnis verstehen und faumlhig sind es zu interpretieren sowie praktisch anzuwenden Die unausweichliche Folge dieser Entwick-lung war dass mit dem Mysterium des Bekenntnisses es [den Glaumlu-bigen] nicht mehr moumlglich war das Leben praktisch selbst zu be-stimmen und dafuumlr uumlbernahm die Autoritaumlt der Kirche diese Auf-gabe[das Ergebnis dieses Systems] beruhigte den Geist der Frommen 946

Obwohl die theologischen Autoritaumlten anscheinend einen begehrten Einblick in die Dreifaltigkeit zu besitzen scheinen stoszligen wir selbst bei den Hochgebildeten wenn es darum geht die Aussagen der Lehre wirklich zu erfassen dennoch auf die gleiche erbaumlrmliche rationale Frustration Ein katholischer Gelehrter hat de-muumltig seine eigene Schwierigkeit mit der von den antiken Heiligen uumlberlieferten Lehre zugegeben er sieht ein System das seiner Meinung nach bdquodie Form eines logischen Systemsrdquo haben mag aber auch folgendes in sich traumlgt

eine wesentliche Schwaumlche in der Fadenscheinigkeit ihrer Be-gruumlndung Die Spekulationen des heiligen Thomas [von Aquin] uumlber die Dreifaltigkeit - das Mysterium eines Gottes der drei Per-sonen in einer Essenz vereint hatte auf mich die Wirkung einer enormen Logomachie [griechisch ein Kampf um Worte] Anstatt meinen Geist zu bereichern hinterlieszligen diese spekulativen Uumlber-legungen sozusagen eine Leere und ihre totale Wirkung war nur um meine innere Verwirrung und Sorge um das unsichtbare Objekt zu verstaumlrken auf das sich mein Glaube richtete947

Der populaumlre trinitarische Autor und Apologet Lee Strobel schreibt bdquoTheologen koumlnnen Erklaumlrungen finden die Sinn zu machen scheinen obwohl sie vielleicht nicht in der Lage sind jede Nuance zu erklaumlrenrdquo948 Das Problem ist dass diese trinitarischen bdquoErklaumlrungenrdquo nur den Anschein erwecken Sinn zu machen Stro-bel konfrontiert die Schwierigkeit seiner Doktrin einen Menschen damit zu ver-einbaren bdquoganz Gottrdquo zu sein aber in den Evangelien einen Mangel an vollstaumln-dig goumlttlichen Attributen aufweist bdquoAn der Oberflaumlche scheinen diese Fragen da-rauf hinzudeuten dass Jesus nicht der Skizze Gottes aumlhnelt Dennoch habe ich

946 Harnack History of Dogma Vol 3 (Boston Little Brown and Company 1907) pp 2-3 947 Francesco Turvasi The Condemnation of Alfred Loisy and the Historical Method (Rome Storia E

Letteratura 1979) p 1 emphasis added (Die Veruteilung von Alfred Loisy und der Historischen Methode)

948 Lee Strobel The Case For Christ A Journalistrsquos Personal Investigation of the Evidence for Jesus (Grand Rapids Zondervan 1998) p 160 (Ein Fall fuumlr Christus die persoumlnliche Untersuchung eines Journalis-ten uumlber die Beweislage fuumlr Jesus)

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im Laufe der Jahre gelernt dass erste Eindruumlcke taumluschen koumlnnenrdquo949 Ja der erste Eindruck kann taumluschen aber auch theologische Erklaumlrungen die sinnvoll zu sein scheinen Strobel faumlhrt fort bdquoLasst es uns zugeben Die Bibel selbst scheint da-gegen zu argumentieren dass Jesus Gott istrdquo950 Natuumlrlich wird fuumlr Strobel in dem was die Bibel nicht sagt genug vermutet um das was sie tatsaumlchlich sagt zu uumlbersteuern Aber hier muumlssen wir uns staumlndig fragen bdquoWas koumlnnte all diese Aufregungen rechtfertigenrdquo951 Sind die biblischen Daten uumlber Gott und Jesus wirklich so abstrus Gibt es wirklich keinen anderen Weg sich dem Erloumlser und seinem Gott zu naumlhern ohne kopfuumlber in die Unbeschreiblichkeit zu fallen

Tragischerweise hatte die trinitarische Bewegung des vierten Jahrhunderts am Ende nicht nur die Vernunft als exegetisches Werkzeug verworfen sondern auch die Ausloumlschung der christlichen Theologie selbst bewirkt Es war den Christen nicht mehr erlaubt neue und moumlglicherweise bessere Interpretationen der Daten zu finden und den Gott der Bibel fuumlr sich selbst zu entdecken Diese Arbeit war fuumlr sie bereits erledigt So bekannte der Bischof von Melitene gegenuumlber Kaiser Leo I bdquoWir halten das Nicaumlnische Bekenntnis aufrecht vermeiden aber schwie-rige Fragen daraus die fuumlr die Menschen unbegreifbar sind Selbst kluge Theolo-gen werden rasch zu Haumlretikern gestempeltrdquo952 Dabei gehoumlrt es grundlegend zur Theologie schwierige Fragen zu stellen In unserer heutigen Zeit schafft die Zu-ruumlckhaltung des Christentums bei der Infragestellung immer noch eine Barriere gegen andere potenziell solide Interpretationen der Bibel selbst wenn sich diese als aufschlussreicher erweisen koumlnnten Aber die moderne Wissenschaft hat diese Wand bereits stark beschaumldigt Tatsaumlchlich werden all die oben genannten Schwierigkeiten angesichts der reichhaltigen biblischen Informationen - tragi-scherweise - bald unnoumltig erscheinen wie auch die juumldische Weltanschauung die sie hervorgebracht hat

KonsequenzenfuumlrdenJudaismusunddenGottdesJudentumsHier ist es wichtig auf die abnehmenden Beziehungen zwischen orthodoxem Christentum Judentum und dem juumldischem Christentum der Roumlmerzeit zu ach-ten Historisch gesehen ist die so genannte bdquoWeggabelungrdquo zwischen Christen-tum und Judentum in den Hintergrund gedraumlngt worden Die Wissenschaftler versuchen seit langem genau zu bestimmen wann bdquoJudentumrdquo und bdquoChristen-tumrdquo sich in voumlllig unterschiedliche antagonistische Religionen trennten Das

949 Ebenso p 156 950 Ebenso p 158 951 Erickson p 12 952 Bishop of Melitene quoted by Henry Chadwick in The Church in Ancient Society (Oxford OUP

2001) p 591

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Problem bestand darin zu erklaumlren wie eine religioumlse Bewegung deren urspruumlng-liche Gruumlnder allesamt treue Juden waren jemals dazu kommen konnte Juden als Todfeinde anzusehen Schuld an dem dichten Nebel der diese Frage umgibt ist die vorprogrammierte Annahme dass das bdquoChristentumrdquo grundsaumltzlich mit dem Glauben an Christus als geistliches [prauml-existentes] Wesen verbunden ist Da die Goumlttlichkeit Christi dem juumldischen Monotheismus so grundsaumltzlich wider-spricht und angeblich derart fundamental fuumlr das Christentum ist erwartet man automatisch dass die Trennung mehr oder weniger unverzuumlglich stattgefunden haben muss Allerdings sind sich die Wissenschaftler inzwischen einig dass die bdquoTrennung der Wegerdquo tatsaumlchlich ein viel laumlngerer Prozess war als angenommen

Wir haben gesehen wie das bdquoKatholischerdquo Christentum unter den Heiden anfing im zweiten Jahrhundert oder beim Aufkommen der Christologie des Logos von seinen Wurzeln im juumldischen Denken abzuweichen Aber noch Jahrhunderte spauml-ter waren die Gedankenwelten von Judentum und Christentum ineinander ver-schlungen Juumldische Christen besuchten immer noch Synagogen zusammen mit ihren Mitjuden und heidnische Christen wurden von ihren eher separatistischen Fuumlhrern stets vor dem Besuch der Synagoge und der Teilnahme an Juumldischen Festen bis ins vierte Jahrhundert gewarnt953 Wie Dunn bemerkt

Dies zeigt deutlich dass das was wir bdquoeinfache Christenrdquo nennen koumlnnten in den ersten drei bis vier Jahrhunderten das Christentum und das Judentum nicht als zwei getrennte und noch weitaus we-niger als gegensaumltzliche oder verfeindete Religionen gesehen hat Vielmehr entsprach die Einstellung eher der in den Tagen des kon-fessionellen Christentums uumlblichen Haltung Es war die christli-che Fuumlhrung der Kirchenvaumlter die es fuumlr notwendig hielt auf eine viel klarere und schaumlrfere Trennung zu draumlngen Die Frage ist jedoch sicher berechtigt ob die christliche Geistlichkeit oder ob die bdquoeinfachen Christenrdquo dem Erbe des Juden-Christentums des ers-ten Jahrhunderts treuer ergeben waren954

Das Christentum war in der Tat bereits seit mehr als dreihundert Jahren gediehen bevor der letzte Akt der Trennung erfolgte dh als Jesus Gott wurde Davor war Jesus vielleicht kaum mehr als eine andere sektiererische Belaumlstigung des rabbini-schen Judentums ein weiterer gescheiterter Messias dessen Anhaumlnger verspottet ja sogar gehasst aber dennoch als Juden bezeichnet wurden Aber als sich die Homoousie schlieszliglich der allgemeinen Akzeptanz zu erfreuen begann wurde klar dass die juumldische Welt absolut nichts mit Jesus oder seinen Nachfolgern zu

953 Siehe James Dunn Neither Jew Nor Greek A Contested Identity (Grand Rapids Eerdmans 2015)

pp 18-19 (Weder Jude noch Grieche eine Herausforderung der Identitaumlt) 954 Ebenso pp 19-20

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tun haben konnte solange diese die Anerkennung der goumlttlichen Natur Jesu zu einem unabdingbaren Bestandteil der christlichen Gemeinschaft und Identitaumlt machten Auf der anderen Seite waren die Juden gezwungen ihre eigene Selbst-definition in dieser Frage zu praumlzisieren und deklarierten das Judentum schnell neu als bdquonicht Jesusrdquo Die Juden-Christen wie die Nazarener und Ebioniten die Jesus stets als Messias aber die Homoousie nie akzeptiert hatten waren mitten in diesem Zwist gefangen Wie ein neutestamentlicher Gelehrter festgestellt hat

Ein Jesus wie ihn die Orthodoxie praumlsentiert (per definitionem also ein Mensch der Gott ist oder ein zweiter Gott neben dem Houmlchs-ten) koumlnnte von gottesfuumlrchtigen Juden wie die Apostel und Jesus von Nazareth es waren niemals akzeptiert werden weil er gegen das Glaubenssystem ihrer Gemeinschaft verstoumlszligt und den Monotheis-mus verletzt der Jesus der Orthodoxie wird als Gestalt so erhoumlht dass bekennende Juden nie und nimmer an ihn glauben konnten Die Folgen fuumlr den christlichen Glauben sind gravierender als nor-malerweise angenommen955

Wahrlich mit der Erfindung der Goumlttlichkeit Christi wurde die Tuumlr fuumlr die juumldi-sche Welt Jesu verschlossen Dem Judaismus wurde je laumlnger desto weniger Auf-merksamkeit geschenkt Bald verschwanden die fruumlhesten Jesusgemeinden ent-weder in der Isolation oder loumlsten sich auf tragische Weise auf Nicaumlas Vermaumlcht-nis hatte deutlich gemacht dass es innerhalb der Juumldischen Matrix nichts mehr gab was fuumlr das christliche Leben von Nutzen gewesen waumlre Tatsaumlchlich wie A D Crown bestaumltigt bdquomuss die Arbeit des Konzils von Nicaumla als die Weggabelung von Judentum und Christentum angesehen werdenrdquo956

Zu dieser Zeit begannen sich die Bedingungen fuumlr die im Roumlmischen Reich le-benden Juden rapide zu verschlechtern und zwar bdquowegen der christlich-theolo-gischen Dogmen die eine Antipathie gegen das Judentum und die Juden anheiz-tenrdquo957 Die letztendliche Verabschiedung von kirchlich und staatlich sanktionier-ten Verordnungen wie dem Gesetz Justinians sollte nicht nur den juumldischen Gottesdienst und die Rezitation des Shema958 das Jesu eigenes Bekenntnis war

955 Maurice Casey From Jewish Prophet to Gentile God The Origins and Development of New Testa-

ment Christology (Louisville Westminster John Knox Press 1991) p 158 (Vom juumldischen Propheten zuzm heidnischen Gott der Ursprung und die Entwicklung der Neutestamentlichen Christiologie)

956 A D Crown ldquoJudaism and Christianity The Parting of the Waysrdquo in AJ Avery-Peck et al eds When Judaism and Christianity Began (Leiden Brill 2004) p 561 (Judaismus und Christentum Zwei Wege die auseinan-dergingen)

957 W D Davies Louis Finkelstein The Cambridge History of Judaism Vol 4 (Cambridge CUP 1984) p 32

958 Siehe Markus 1229

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verbieten sondern auch elementarste Buumlrgerrechte der Juden im Reich aufhe-ben959 Es waumlre nachlaumlssig den wuchernden und einschneidenden Antisemitis-mus vieler der christlichen Gelehrten zu ignorieren und den Einfluss den ihre Vorurteile auf ihre theologischen Praumlferenzen gehabt haben moumlgen Die antijuuml-dischen Tendenzen von Schluumlsselfiguren wie Konstantin I und Athanasius waren symptomatisch fuumlr heidnische Theologen der roumlmischen Zeit Die proto-ortho-doxe Partei war sehr stolz darauf dass sie nicht von einer natuumlrlichen Erweite-rung des Judentums sprach sondern von einem bdquoscharfen Bruch mit der Vergan-genheitrdquo960 Athanasius hat eifrig bdquojede Spur des Judentums aus der Christologie entferntrdquo961 und bdquoJuumldisch-Seinrdquo als eine Art gemeinen Spitznamen auf seine Geg-ner angewendet um ihre Stellung in der Gesellschaft zu diskreditieren962 Es gab zudem einen aktiven Vorstoszlig zur Abgrenzung der Christen vom einzigartigen Gott der Juden Wie ein Professor so treffend feststellt

Der eigentliche Impuls der Kappadokischen Doktrin bestand da-rin die christliche bdquoGottheitrdquo die nun [neben dem Vater] Jesus und den Heiligen Geist miteinbezog von einem monolithischen Gott zu unterscheiden Dieser wurde von Juden radikalen Arianern und spaumlter von Muslimen Unitariern und Bahais verehrt Christen die den Dreieinigen Gott angenommen hatten der aufgeteilt ist auf drei Personen teilten Jehova nicht mehr mit ihren juumldischen Vor-fahren oder mit dem Houmlchsten Wesen das ihre heidnischen Nach-barn verehrten Juden oder Heiden konnten nicht mehr behaupten an den gleichen Gott zu glauben den die Christen nun verehrten

959 Siehe ldquoCorpus Juris Civilisrdquo The Civil Law (Das Roumlmische Staatsrecht) (aus dem Lateinischen uumlbersetzt von

Th Mommsen und Krueger) durch SP Scott 1932 lthttpwwwconstitutionorgspsspshtmgt Vgl auch Tacitusrsquo Judenexkurs in den Historien Es ist nicht das einzige Mal in seine Schriften dass er sich uumlber die Juden aumluszligert aber in keinem anderen Fall faumlllt das Urteil so negativ aus wie in den Historien Seinen Exkurs uumlber die Herkunft die Sitten und Gebraumluche die Geographie und die Geschichte der Juden setzte er einst vor die Beschreibung der entscheidenden Ereignisse in Judaumla Der Eroberung Je-rusalems durch Titus Anm d Uuml

960 Rubenstein p 74 961 Richard Gottheil Louis Ginzberg ldquoAthanasiusrdquo Jewish Encyclopedia 1906 Web 21 May 2014 962 Christine Shepardson Anti-Judaism and Christian Orthodoxy Ephremrsquos Hymns in Fourth-century Syria (Wash-

ington DC The Catholic University of America Press 2008) p 119 (Anti-Judaismus und Christliche Or-thodoxie Ephrems Hymnen in Syrien 4 Jh) Um 340 n Chr argumentierte Athanasius dass bdquodie sbquojuumldischenrsquo Uumlberzeugungen und Verhaltensweisen der Arianer beweisen dass sie tatsaumlchlich Juden sindrdquo und er bdquoerlaumlutert seine haumlufigen Verweise auf seine sbquoariomanischenrsquo Gegner indem er sie sbquoneue Judenrsquo nenntrdquo (Ebd) Da Gregor von Nyssa auch den orthodoxen christlichen Glauben vom bdquojuumldischen Monotheis-musrdquo entfernt werden die Arianer die eine einheitliche Sichtweise auf Gott haben als im Einklang mit den Juden uumlber die Natur der Gottheit befunden Unsere Aufmerksamkeit wird natuumlrlich routinemaumlszligig auf die Interaktion des historischen Jesus mit dieser juumldischen unitarischen Theologie in Markus 1228ff gelenkt

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Doktrinaumlr war dies der Punkt an dem das Christentum entschei-dend mit seinem Urglauben und mit anderen Formen des Mono-theismus brach963

Die leidenschaftliche Ablehnung des juumldischen Gottes durch die fruumlhen Kirchen-vaumlter setzte sich im 16 Jahrhundert mit den Fuumlhrern der Reformation fort Der ausdruumlckliche und schamlose Antisemitismus der in der Reformation dann ge-diehen ist stellt ein oft vernachlaumlssigtes unruumlhmliches Stuumlck protestantischer Ge-schichte dar Aber er ist vielleicht der Schluumlssel zum Geheimnis wie das Feuer bestimmter katholischer Lehren trotz der Skepsis des 16 Jahrhunderts standhaft weiterlodern konnte Die Juden als ethnische und religioumlse Gruppe wurden von den bekanntesten protestantischen Fuumlhrern als bdquoabscheulichldquo angesehen Ebenso verwarfen sie jede theologische Einsicht die das juumldische Erbe zu bieten hatte Zweifellos behielt die fortwaumlhrende Ablehnung der juumldischen Perspektive auf die Identitaumlt Gottes waumlhrend der Reformation die exegetische Dunkelheit bei in der die Christen seit Jahrhunderten herumgetappt waren Jean Calvin offenbart seine Einstellung gegen die Juden mit den Worten bdquo[Die Juden] haben es verdient dass sie unendlich und ohne Maszlig und Ende unterdruumlckt werden und dass sie in ihrem Elend sterben ohne dass jemand Mitleid hatrdquo964 Und Martin Luther schreibt bdquoSo ein verzweifeltes durch und durch boumlser giftiger und teuflischer Haufen sind diese Juden die in diesen vierzehnhundert Jahren unsere Pest unsere Seuche und unser Ungluumlck waren und sindrdquo965 Der bdquoliebeldquo Luther forderte sogar offen die haumlrteste Unterdruumlckung der Juden und legte einen beschaumlmenden Plan fuumlr den bdquoUmgangrdquo mit jenen Juden vor die sich der orthodoxen christlichen Theologie widersetzten

Was sollen wir Christen dann mit dieser verdammten verworfenen Rasse der Juden machen Zuerst sollten ihre Synagogen ange-zuumlndet werden und was nicht verbrennt sollte bedeckt oder mit Schmutz bedeckt sein damit niemand jemals eine Schlacke oder einen Stein davon sehen kann Und dies sollte um der Ehre Gottes und des Christentums willen geschehen damit Gott sehen kann dass wir Christen sind und dass wir eine solche oumlffentliche Luumlge Verfluchung und Laumlsterung seines Sohnes und seiner Christen nicht wissentlich toleriert oder genehmigt haben Zweitens sollten ihre Haumluser ebenfalls abgebrochen und zerstoumlrt werden Drittens sollten sie ihrer Gebetsbuumlcher und des Talmuds beraubt werden in

963 Rubenstein p 209 964 Jean Calvin ldquoAd Quaestiones et Objecta Juadei Cuiusdam Responsiordquo zitiert in The Jew in Christian

Theology (London Gerhard Falk McFarland and Company Inc 1931) 965 Martin Luther ldquoOn the Jews and Their Liesrdquo zitiert in Martin H Bertram Lutherrsquos Works Vol 47

(Philadelphia Fortress Press 1971) (Luthers Werke Uumlber die Juden und ihre Luumlgen)

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denen solche Goumltzenanbetung Luumlgen Fluumlche und Gotteslaumlsterung gelehrt werden Viertens muss ihren Rabbinern unter Androhung des Todes verboten werden weiter zu lehren966

Viele der heutigen abendlaumlndischen Christen werden zweifellos schockiert sein uumlber die Worte der Gruumlnder ihrer Konfessionen Viele Christen auf der ganzen Welt fuumlhlen sich heute gerade vor dem Hintergrund des Holocaust besonders verpflichtet das juumldische Volk zu unterstuumltzen oder zu schuumltzen Aber Luther schlieszligt seinen eigenen schrecklichen Plan fuumlr die Juden mit der mutigen Erklauml-rung dass sie bdquonicht geschuumltzt werden solltenrdquo bdquoDu solltest nicht du kannst sie nicht beschuumltzen es sei denn du willst in den Augen Gottes all ihre Graumluel tei-lenrdquo967

Es ist nicht schwer zu verstehen warum die juumldisch-christlichen Beziehungen unverzuumlglich abbrachen nachdem die Trinitaumltslehre ihren Spitzenplatz im christ-lichen Denken eingenommen hatte Von diesem Zeitpunkt an ist im Zusammen-wirkens von juumldischen und christlichen Gruppen unschwer eine markante Ver-aumlnderung zu erkennen Offensichtlich waren Tausende von Juden einst begierig darauf uumlber den von den Aposteln im ersten Jahrhundert gepredigten Christus [Messias] zu houmlren aber etwas verursachte dass der von spaumlteren Christen ge-predigte Christus sich mit dem Judentum als voumlllig unvereinbar erwies Am Pfingsttag hatte Petrus vor der juumldischen Menge gestanden und gepredigt bdquoJesus von Nazareth ein Mann der von Gott euch gegenuumlber erwiesen worden ist durch Machttaten und Wunder und Zeichen die Gott durch ihn in eurer Mitte tatrdquo (Apg 222) Diese [frohe] Botschaft hatten einige Juden des ersten Jahrhunderts geglaubt und wurden zur Zahl der Kirche hinzugefuumlgt (Vers 4147) Als die Juden jedoch durch spaumltere Trinitarier mit einem unergruumlndlichen Christus konfrontiert wurden die seine Anbetung als Gott forderten kam es zu einem schallenden Aufschrei Kaum vor-zustellen ist dass Petrus an Pfingsten einen verkoumlrperten Gott-Menschen gepre-digt haumltte der neben zwei anderen Gott-Personen in der Gottheit existierte Den-ken wir dann auch nur fuumlr einen Moment dass die Juden - ohne ernsthafte Fragen oder vehemente Einsprachen - in Scharen begehrt haumltten auf seinen Namen ge-tauft zu werden Wir fragen nochmals wo sind die Aufzeichnungen solcher Be-weisfuumlhrungen oder wo ist die apostolische Darstellung die der Jude benoumltigte um seine Bedenken bezuumlglich des Polytheismus zu zerstreuen

Nach der Einfuumlhrung der Homoousie in Nicaumla und der anschlieszligenden Abfolge der Konzile die Nicaumla eingelaumlutet hatte fuumlhlen wir wie das Gespraumlch zwischen Juden und Christen historisch immer kaumllter und leiser wurde bis zum fast voumllligen

966 Luther ldquoOn the Jews and Their Liesrdquo (Uumlber die Juden und ihre Luumlgen) 967 Ebeno

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Verstummen in unserer Gegenwart Ein zeitgenoumlssischer juumldischer Historiker schreibt

Ein Grund warum mich die Arianische Kontroverse so interessiert ist dass vor dem Ende des Streits Juden und Christen noch mit-einander redeten und sich uumlber entscheidende Themen wie die Goumlttlichkeit Jesu die Bedeutung der Erloumlsung grundlegende ethi-sche Normen unterhielten Sie waren sich in vielen Dingen zwar sehr uneins aber es gab immer noch eine Naumlhe zwischen ihnen Sie nahmen an derselben moralischen Kultur teil Als die Arianische Kontroverse endete - als Jesus Gott wurde - verblasste diese Naumlhe Fuumlr die Christen wurde Gott zur Dreifaltigkeit Ketzerei gegen diese Doktrin wurde zu einem Verbrechen erklaumlrt Das Judentum wurde zu einer Form der Treulosigkeit degradiert Und die Juden die in christlichen Laumlndern lebten lernten rasch nicht viel uumlber die-sen Jesus und seine Botschaft nachzudenken die Probleme re-flektierten und verkoumlrperten sich in der Lehre der Heiligen Dreifal-tigkeit968

In der Talsohle des Abgrundes zwischen dem modernen juumldischen und dem christlichen Glauben liegt das unuumlberwindliche Trinitaumltsdogma Die Kluft gleicht einer Straszligensperre im unwegsamen Gebirge und es gibt keine Bruumlcke die ir-gendwo hinuumlberfuumlhrt Die Verehrung Jesu eines Mannes aus Nazareth als all-maumlchtiger Gott zusammen mit zwei anderen gleichwertigen Charakteren [in der Gottheit] ist fuumlr den glaumlubigen Juden schlichtweg unmoumlglich und wird ganz ein-fach nie moumlglich sein Zu allem Uumlberfluss wurde das Thema der Kompatibilitaumlt des Trinitarismus mit dem biblischen Monotheismus im christlichen Gespraumlch weitgehend ausgeklammert James Dunn erkennt diese unuumlberwindbaren Schwierigkeiten und sagt treffend

Solange die christliche Theologie in Bezug auf den von ihnen ver-tretenen Monotheismus zweideutig und widerspruumlchlich bleibt und solange jede Tendenz zur Christolatrie [Christusverehrung] im christlichen Gottesdienst so stark verankert bleibt werden Juden und Christen einander in Bezug auf die grundlegendste Wurzel ih-rer gemeinsamen Religion nicht begreifen koumlnnen Und fuumlr ein Christentum dessen Schriften zu drei Vierteln die Schriften Israels sind ist das ein schwerwiegender Bruch in seinen eigenen Grund-lagen Nicht zuletzt ist eine angemessene Einschaumltzung des Mono-

968 Rubenstein pp xiv-xv

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theismus des Christentums fuumlr das christliche Verstaumlndnis der Zu-sammenhaumlnge zwischen Jesus selbst und dem was danach fuumlr ihn beansprucht wurde unerlaumlsslich Und ohne den Zusammenhang [zwischen dem Judentum Jesu und dem Trinitarismus der spaumlteren Christen] aufzuzeigen haben nachweisbare oder zumindest glaub-wuumlrdige christliche Apologeten an diesem entscheidenden Punkt eine fast unmoumlgliche Aufgabe969

Die konsequente und vollkommene Ablehnung aller in der Antike als bdquozu juuml-dischrdquo erachteten Dinge hat fuumlr den Christen dazu gefuumlhrt dass jede wirklich juumldische Perspektive auf die Schrift in der Neuzeit praktisch aufgegeben wurde Aber eine solche scharfe Trennung [des Christentums] vom juumldischen Denken scheint ungerechtfertigt gewesen zu sein Der Apostel Paulus argumentierte im ersten Jahrhundert gegen die Vorstellung dass der Vorrang der Beziehung der Juden zu Gott unterlaufen werden koumlnnte Er erklaumlrt dass es die Juden waren denen die Spruumlche Gottes anvertraut wurden (Roumlmer 32) Deshalb vermittelte Gott dem hebraumlischen Denken zuerst die Offenbarung von sich selbst und dann von seinem Sohn die Heiden wurden spaumlter durch die Gnade Gottes in das durch diese Offenbarung verliehene Leben bdquoeingepfropftrdquo (Roumlmer 1117) In dem Wis-sen dass die neutestamentlichen Autoren die offenbarte Wahrheit Gottes als bdquozu-erst dem Juden und dann auch dem Nichtjudenrdquo (Roumlmer 116) darlegten ist fuumlr den modernen Christen eine wuumlrdige Frage die er sich stellen sollte Hat der Gott Israels in seiner Jahrtausende langen engen Gemeinschaft mit dem hebraumlischen Volk jemals erfolgreich etwas Werthaltiges uumlber seine Identitaumlt und die Identitaumlt seines Messias vermittelt970 Dann kann man sich fragen wie es der Trinitarier tun muss ob es klug ist zunaumlchst davon auszugehen dass die Juden ihre eigene ge-liebte Schrift in dieser zentralen Hinsicht in grober Weise falsch interpretiert ha-ben Haben sie [die Juden] die Identitaumlt Gottes sowie seine Vorschriften zur An-betung Gottes grundlegend missverstanden Oder waumlre es vernuumlnftiger zum Schluss zu kommen dass die urspruumlnglichen juumldischen Nachfolger Christi [die Ur-Christen] eine Christologie aufrechterhalten haben die perfekt mit ihrem the-ologischen Erbe uumlbereinstimmte Dieses Legat wurde ja erst spaumlter durch die Einfuumlhrung der heidnischen Philosophie im zweiten dritten und vierten Jahrhun-dert kompromittiert

969 James Dunn Christ and the Spirit Collected Essays of James DG Dunn Vol 1 (Grand Rapids Eerdmans

1998) p xiii 970 bdquoDas Alte Testament sagt uns nichts explizit oder durch notwendige Implikation eines dreieinigen

Gottes der Vater Sohn und Heiliger Geist ist Es gibt keine Beweise dafuumlr dass ein heiliger Verfasser uumlberhaupt die Existenz einer goumlttlichen [trinitarischen Beziehung] innerhalb der Gottheit vermutet hat Selbst wenn man im Alten Testament Anzeichen oder Vorahnungen oder sbquoverschleierte Zeichenrsquo der Dreieinigkeit der Personen zu erkennen glaubt bedeutet das uumlber die Worte und Absichten der heiligen Schreiber hinauszugehenrdquo (Fortman The Triune God p 8 9)

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DieChristenheitheutePapst Benedikt XVI hielt 2006 eine Rede an der Universitaumlt Regensburg wo er in fruumlheren Jahren als Professor fuumlr Theologie taumltig war In dieser Rede die als bdquoeine der wichtigsten paumlpstlichen Erklaumlrungen zum Weltgeschehenrdquo971 gefeiert wird verurteilte Benedikt die von ihm so genannte bdquoEnthellenisierungrdquo des Christentums die derzeit stattfindet Er zollte den heidnischen griechischen Phi-losophen groszliges Lob und setzte sogar die Ideen von Sokrates mit der Offenba-rung gleich die Gott Mose im brennenden Busch gab972 Er kam geradezu ins Schwaumlrmen

Der biblische Glaube begegnete in der hellenistischen Zeit dem Besten des griechischen Denkens auf einer Ebene was zu einer ge-genseitigen Bereicherung fuumlhrte Die Begegnung zwischen der biblischen Botschaft und dem griechischen Denken geschah nicht zufaumlllig973

Benedikt bestaumltigte dass das Christentum in der Neuzeit als ein Glaubenssystem voumlllig untrennbar mit dem hellenistischen Einfluss verbunden ist der es in den fruumlhen Jahrhunderten durchdrungen und gesaumlttigt hat Ein aufmerksamer Pro-fessor fuumlr Philosophie an der Cornell Universitaumlt erkennt dies ebenfalls

Die Philosophie im Christentum ist sowohl inert als auch aktiv Die spaumltgriechische Metaphysik um die herum sich die christliche Lehre entwickelte ist das traumlge philosophische Skelett des Chris-tentums Und wenn es den Enthellenisierern gelaumlnge die griechi-schen Elemente zu beseitigen waumlre ohne diese das Christentum selbst nicht mehr erkennbar974

Das Christentum scheint sich in der Tat nie ganz von den neoplatonischen und gnostischen Begegnungen in der post-apostolischen Zeit erholt zu haben In ei-ner sehr aussagekraumlftigen Zusammenfassung unserer letzten Umfrage kommt der renommierte Historiker Will Durant zum beinahe tragisch klingenden Schluss

971 Siehe James V Schall The Regensburg Lecture (South Bend St Augustinersquos Press 2007) (Die Regensburger

Vorlesung) 972 Pope Benedict XVI ldquoFaith Reason and the University Memories and Reflectionsrdquo Meeting with the

Representatives of Science Lecture of the Holy Father at the University of Regensburg Tuesday 12 September 2006 (Papst Benedikt XVI Glaube Vernunft und die Universitaumlt Erinnerungen und Uumlberlegungen)

lthttpwwwvaticanvaholy_fatherbenedict_xvispeeches2006septemberdocumentshf_ben-xvi_spe_20060912_university-regensburg_enhtmlgt

973 Ebenso 974 Norman Kretzmann ldquoReason in Mysteryrdquo Royal Institute of Philosophy Lecture Series Vol 25

(1989) pp 15-39 (Vernunft im Mysterium)

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Das Christentum hat das Heidentum nicht zerstoumlrt sondern hat es aufgenommen Der griechische Geist der im Sterben lag erhielt in der Theologie und Liturgie der Kirche ein neues Leben die grie-chische Sprache die jahrhundertelang uumlber die Philosophie herrschte wurde zum Traumlger christlicher Literatur und Rituale Andere heidnische Kulturen trugen zu dem synkretistischen Er-gebnis bei Aus Aumlgypten kamen die Ideen einer goumlttlichen Dreifal-tigkeit sowie die mystische Theologie die den Neoplatonismus und den Gnostizismus hervorbrachte welche das christliche Glau-bensbekenntnis verschleierten Das Christentum war die letzte groszligartige Kreation der antiken heidnischen Welt975

Im 21 Jahrhundert finden wir eine Mainstream-Christenheit die wohl die ein-schlaumlgigen Lehren des juumldischen Jesus als ihrem beliebten und wichtigen Fuumlhrer oumlffentlich verbreitet doch deren Kirchenwissenschaftler in den privaten Aulen der Lehranstalten die Persoumlnlichkeiten von Platon und Valentinus heraufbe-schwoumlren Man koumlnnte hier argumentieren dass das Einzige was noch bedauer-licher ist als eine religioumlse Akademie die sich nicht darum kuumlmmert dass ihre charakteristischsten Philosophien nirgendwo in den Aussagen Jesu aber gewohn-heitsmaumlszligig in den Lehren heidnischer Mystiker zu finden sind eine treue jedoch mehrheitlich unwissende Anhaumlngerschaft ist Aber was wuumlrde der moderne The-ologiestudent geben um es zu erfahren und es oumlffentlich zu wissen Vielleicht koumlnnte ihn das sehr wohl alles kosten Da die christliche Theologie nicht uumlber Nacht uumlberwaumlltigt wurde koumlnnen wir nicht davon ausgehen dass ihr Wiederauf-leben ohne erheblichen Zeitaufwand und ohne Schmerzen erfolgen wird Die Aktivitaumlten die die groumlsste Anstrengung erfordern sind natuumlrlich die wertvolls-ten Sicherlich gibt es nichts Wertvolleres fuumlr die Welt als die Wiederherstellung der Lehren des Jesus von Nazareth uumlber Gott

Ruumlckblickend sind die philosophischen Bemuumlhungen der Theologen der ersten sechshundert Jahre des Christentums erstaunlich Viele talentierte und hinge-bungsvolle Menschen taten ihr Bestes um das Herz des Judentums mit den mo-dischen Voraussetzungen die den hohen Geist ihrer Zeit beherrschten in Ein-klang zu bringen Die groumlszligten Denker kaumlmpften mit Eifer darum die explosive Idee der Goumlttlichkeit Jesu in einem Rahmen eines absoluten Monotheismus ein-zuzwaumlngen doch dieser Rahmen drohte jeden Moment zu zerbrechen Aber die daraus resultierende Fuumllle von Vermutungen und Formeln die durch die Agonie der Jahrhunderte hervorgerufen wurde gab den uumlberlebenden Glaumlubigen nur ei-nen oberflaumlchlichen Einblick in die Vorstellung von Gott Von ihr wussten sie

975 Will Durant The Story of Civilization Vol 3 Caesar and Christ (New York Simon and Schuster

1944) p 595 599 (Die Geschichte der Zivilisation Bd 3 Caumlsar und Christus)

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dass sie letztlich ein unnachgiebiges und unerreichbares Ding der Unmoumlglichkeit bleiben musste Wahrhaftig die Theologen des dritten vierten und fuumlnften Jahr-hunderts haben mit einer Ehrfurcht gebietenden Leidenschaft gearbeitet ge-kaumlmpft und sind gestorben und die Trinitarische Lehre ist daher nichts anderes als ein Werk der Leidenschaft Doch Arthur Weigall erinnert den Schuumller weise daran bdquoDie Idee einer gleichberechtigten Dreifaltigkeit bietet ein vernuumlnftiges Mittel um das Unsagbare auszudruumlcken aber man darf nicht vergessen dass Je-sus Christus ein solches Phaumlnomen nie erwaumlhnt hatrdquo976 Was hat Jesus von Na-zareth dann wirklich uumlber Gott gelehrt An was glaubten die ersten Juden die ihm nachfolgten Wir sind heute besser geruumlstet als zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte um diese bdquoverschuumlttetenldquo Daten wiederherzustellen Ein moder-ner Historiker ermutigt uns darin und bereitet uns auf die Reise vor

Die letzten dreiszligig Jahre waren besonders fruchtbar fuumlr das Stu-dium des fruumlhen Christentums Dies liegt zum einen daran dass die Kirchen offenbar lockerer mit den Unsicherheiten der Forschungs-ergebnisse umgehen zum anderen aber auch daran dass sich die verfuumlgbaren Quellen insbesondere der juumldischen Texte unter ihnen die 1945 entdeckten herausragenden Schriftrollen vom To-ten Meer das Spektrum enorm erweitert haben Wir sind heute bes-ser in der Lage Jesus in einen historischen Kontext zu stellen als zu jeder Zeit seit dem ersten Jahrhundert Wenn wir die reiche Viel-falt der modernen Wissenschaft zusammenfassen koumlnnen zeichnet sie sich dadurch aus dass wir Jesus essentiell als juumldisch akzeptieren Wir brauchen jedoch auch ein umfassenderes Verstaumlndnis der Be-deutung dessen dass im ersten Jahrhundert der christlichen Aumlra Jesus als Jude lebte und dachte Waumlhrend traditionelle Interpretati-onen Jesus als etwas anderes als vollstaumlndig dem Judentum zuge-houmlrig betrachten konzentrierte sich seine Mission immer auf die Auszligenwelt Doch heute wird nicht nur allgemein anerkannt dass Jesus im Judentum predigte und lehrte sondern auch dass er sich fuumlr eine Ruumlckkehr zu traditionellen juumldischen Werten einsetzte977

In den folgenden Kapiteln werden wir feststellen dass das zuvor beschriebene dogmatische System das von der heutigen Mehrheit der Glaumlubigen so geliebte uumlberlieferte Trinitaumltsmodell eigentlich grundlegend uumlberfluumlssig ist Es ist houmlchste Zeit den Jesus der Bibel und die theologischen Informationen die er anbietet ernster zu nehmen Tatsaumlchlich wie ein anglikanischer Religionsprofessor emp-fohlen hat bdquoDas Christentum sollte viel staumlrker auf die Worte Jesu ausgerichtet

976 Weigall p 182 977 Freeman Closing of the Western Mind p 88

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sein als es in der Vergangenheit uumlblich war Der wahre Jesus ist eine viel inte-ressantere und religioumls relevantere Gestalt als der goumlttliche Christus des spaumlteren Glaubensmodells und er hat den Vorteil tatsaumlchlich gelebt zu habenrdquo978

Waumlhrend die post-apostolischen Kirchenvaumlter vielleicht eine neuartige dem juumldi-schen Geist voumlllig fremde Theologie etabliert haben moumlgen scheint Christus selbst nie daran interessiert gewesen zu sein das Endspiel der Religion in eine neue Richtung lenken zu wollen Stattdessen finden wir einen Prediger der be-reitwillig auf Mose als Grundlage stand und einen anderen als Aktivierer und Au-torisator seiner Mission einfuumlhrte naumlmlich Gott den Vater von allen und allem Das Neue Testament zeichnet Jesus als einen Lehrer mit einzigartiger Leiden-schaft und einer Mission deren Autoritaumlt sich erwiesenermaszligen von einer ande-ren groszligartigeren Quelle ableitete die nicht nur die absolute Hingabe eines jeden Juden sondern auch seine eigene verdient Und diesem persoumlnlichen unerschuumlt-terlichen Glauben wenden wir uns jetzt zu

978 Don Cupitt The Debate About Christ (London SCM Press 1979) p 138 (Die Debatte uumlber Christus)

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TEILIIDieWiederherstellung

Jesus von Nazareth ndash Seine Theologie und die seiner fruumlhesten Nachfolger

bdquoDenn es gibt nichts Verlorenes das man nicht finden kann wenn man es suchtrdquo

ndash Edmund Spenser

bdquoWenn die Loumlsung einfach ist antwortet Gottrdquo

ndash Albert Einstein

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DerSchoumlpferausjuumldischerSicht

bdquoEine Vielheit ist ohne Notwendigkeit nicht zu setzenrdquo

mdashbdquoOckhams Rasiermesserrdquo (William von Ockham 1287-1347)

IE PHILOSOPHISCHEN FORMELN die von den fruumlhen Christen aus all den bunten Religionen der damaligen Welt ausgeliehen wurden entfremdeten den Glauben immer weiter von der Sprache und Botschaft

der juumldischen Schriften Trotz der beharrlichen Bemuumlhungen der lateinischen und griechischen Vaumlter eine funktionierende Harmonie zwischen der Hebraumlischen Bibel und den Systemen der antiken Welt herzustellen erwiesen sich ihre verein-barten Glaubensbekenntnisse von der Vernunft her als unbefriedigend und in praktischer Hinsicht unfaumlhig die Person Christi und seines Gottes mit der christ-lichen Welt in Einklang zu bringen Trotz des Krachs der theologischen Machen-schaften der spaumlteren synodalen Verwalter jener erhabenen Philosophen die ihr muumlhsames Leben damit verbrachten ihre Gedanken um eine hypothetische Plu-ralitaumlt in der Einheit kreisen zu lassen ist die kraftvolle Stimme Jesu Christi immer noch zu houmlren der an die Vernunft an die Geschichte und an die Hebraumlischen Schriften appellierte Wir schenken nun unsere ungeteilte Aufmerksamkeit dieser Religion dem Rest der biblischen Juden und dem Glauben Jesu Christi

DieBedeutungdesJudentumsAls das Christentum im zweiten Jahrhundert einen dramatischen Wandel von der Welt des Judentums in die Welt der griechischen Philosophie erlebte fiel den Kirchenvaumltern die gewaltige Aufgabe zu das religioumlse Denken einer Kultur in eine andere umzuwandeln Eine Enzyklopaumldie kommentiert die unglaubliche

D

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Transformation der urspruumlnglichen juumldisch-christlichen Lehren in den fruumlhen Jahrhunderten

Wie alle Konzepte wandelt sich die Bedeutung religioumlser Begriffe mit einer sich aumlndernden Erfahrung und einem sich aumlndernden Weltbild Als die christliche Lehre in das griechische Weltbild ein-gepflanzt wurde veraumlnderte sie sich zwangslaumlufig - eine wahre Transformation fand statt Fragen die nie gestellt worden waren traten in den Vordergrund und die juumldischen Praumlmissen verschwan-den So wie sich der [kulturelle] Hintergrund von juumldisch zu grie-chisch aumlnderte so aumlnderten sich auch die grundlegenden religioumlsen Vorstellungen Wir haben also eine eigentuumlmliche Kombination - die religioumlsen Lehren der Bibel durchlaufen die Formen einer fremden Philosophie979

Wenn nun die Juumldischen Schriften im Volksglauben durch eine bdquofremde Philoso-phierdquo interpretiert werden ist es dann nicht die feierliche Verpflichtung jedes an der Botschaft der Bibel interessierten Studenten sich mit Sorgfalt fuumlr die Wieder-erlangung der urspruumlnglichen Perspektive einzusetzen Wenn die Lehre tatsaumlch-lich bdquotransformiertrdquo wurde wie die Enzyklopaumldie erklaumlrt was sollte es den Milli-onen von Glaumlubigen wert sein diese Transformation umzukehren dh zu refor-mieren Der Wunsch sollte der Ausgangspunkt sein zum Judentum der bibli-schen Dokumente zuruumlckzukehren denn in der Tat war es das Judentum Jesu

Ein Professor fuumlr Theologie eroumlffnet unsere Diskussion uumlber das Judentum mit dem folgenden Portraumlt des Mannes Jesus

Christus war an keiner philosophischen Schule ob juumldisch oder griechisch erzogen worden Es gibt keine Beweise dafuumlr dass er mit den metaphysischen Ideen vertraut war die in der intellektuel-len Atmosphaumlre seiner Zeit aufkamen Er war nicht von den ver-schiedenen griechischen philosophischen Schulen betroffen die begannen die Mauern der juumldischen Isolation abzubrechen Weder die Skepsis der Sadduzaumler noch die Mystik des alexandrinischen Philonismus haben die intellektuelle Gelassenheit der galilaumlischen Seele Jesu jemals gestoumlrt Es ist aber wahr dass das Christentum danach zu einem philosophischen Glaubensbekenntnis entwickelt wurde wie es fuumlr alle religioumlsen Ideen gilt aber dieser historische Prozess laumlsst sich nicht auf seinen Gruumlnder zuruumlckfuumlhren980

979 G W Knox ldquoChristianityrdquo Encyclopedia Britannica Vol 6 (Cambridge CUP 1910) p 284 980 Paine The Ethnic Trinities pp 202-203 (Die Ethnischen Trinitaumlten)

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In Jesu beruumlhmtem Dialog mit der samaritanischen Frau finden wir ein Beispiel fuumlr seine Staumlrkung des Primats des historischen Judentums in einer vielfaumlltig reli-gioumlsen Welt Die Samariter981 die im Heiligen Land des ersten Jahrhunderts an der Seite der Juden lebten hatten in ihrer Interaktion mit dem Goumlttlichen die juumldischen Grenzen umgangen indem sie ihre eigene Thora hatten und ihren ei-genen Tempel betrieben Sie lagen im Streit mit den Wegen und Traditionen ihrer juumldischen Cousins982 Aber Jesus lehnte die Idee ab dass die wahre Anbetung die zur Erloumlsung fuumlhrt durch irgendein anderes religioumlses Erbe moumlglich sei

Die Frau spricht zu ihm Herr ich sehe dass du ein Prophet bist Unsere Vaumlter haben auf diesem Berg angebetet und ihr sagt dass in Jerusalem der Ort sei wo man anbeten muumlsse Jesus spricht zu ihr Frau glaube mir es kommt die Stunde da ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet Ihr betet an was ihr nicht kennt wir beten an was wir kennen denn das Heil ist aus den Juden Es kommt aber die Stunde und ist jetzt da die wahren Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden denn auch der Vater sucht solche als seine Anbeter Gott ist Geist und die ihn anbeten muumlssen in Geist und Wahrheit anbeten Die Frau spricht zu ihm Ich weiszlig dass der Messias kommt der Christus der Gesalbte genannt wird wenn jener kommt wird er uns alles verkuumlndigen Jesus spricht zu ihr Ich bin es der mit dir redet (Johannes 419-26)

Jesus erklaumlrt hier nachdruumlcklich dass bdquodie Erloumlsung von den Juden kommtrdquo Ganz tief-gruumlndig ist Gottes Erloumlsungsprogramm ausschlieszliglich im juumldischen Erbe zu ent-decken Jesus Christus die Erloumlsung die der juumldische Gott der Menschheit an-bietet ist im innersten Kern mit der juumldischen Welt verbunden Es ist nicht nur die bdquomenschliche Naturrdquo Jesu die juumldisch ist er ist eine Persoumlnlichkeit die durch den religioumlsen Geist des historischen Judentums lebt und von diesem abhaumlngig ist Seine Arbeit unter den Juden bestand nicht darin einen ihnen bisher unbe-kannten Monotheismus zu praumlsentieren sondern den Ruf nach Reformen zu er-heben und zum Herzen und zur Seele einer Religion zuruumlckzukehren welche die Juden bereits hatten Die Grenzen des juumldischen Denkens initiierten und befluuml-gelten jeden Moment seines Dienstes Viele Gelehrte erkennen an dass bdquoJesu Lehre in seiner eigenen religioumlsen Tradition verankert warrdquo Dass Jesus sich selbst

981 Die Samariter stammen von den Halbstaumlmmen Ephraims und Manasses ab zwei der Soumlhne des bib-

lischen Josefs Die Samariter sind bis heute der Meinung dass ihre Religion die wahre Religion der Isra-eliten vor dem Exil hellip in Babylon war Sie behaupten dass die Anbetung Jahwes nicht an der tradi-tionellen Staumltte von Salomos Tempel dem Jerusalemer Tempelberg stattfinden sollte sondern auf dem Berg Gerizim ausserhalb Sichems

982 Siehe Oded Lipschitz Gary N Knoppers Rainer Albertz Judah and the Judeans in the Fourth Century B C E (Warsaw Eisenbrauns 2007) p 157ff 176 (Judah und die Judaumler im 4 Jh Vor unserer Zeitrechnung)

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zum juumldischen Gott machte wie allgemein behauptet wird wuumlrde bdquoihn effektiv von der Welt des Judentums trennenrdquo983 Sogar die Trinitarier haben zugegeben dass Jesus bdquooffenbar in seiner eigenen Lehre auf keinen Doktrinen bestanden hat auszliger auf denen die von seinen Landsleuten allgemein als auf der Autoritaumlt von Mose und den Propheten ruhend anerkannt wurdenrdquo984 Sicherlich war der von Jesus vertretene Messianismus nicht als scharfer Bruch mit der Vergangenheit zu interpretieren obwohl dies genau das ist was Athanasius und die Kappadokier waumlhrend der Arianischen Kontroverse vorgebracht haben985 Vielmehr praumlsen-tierte Jesus eine altehrwuumlrdige und wahre Religion aus der er das Durcheinander fehlerhafter sozialer und moralischer Traditionen entfernte und eine Religion deren unerfuumlllte Prophezeiungen ein Schattendasein fristeten986

Was ist dann das kritischste und charakteristischste Merkmal dieser historischen Religion mit der Jesus so eng und treu verbunden war Die Juden haben immer gesagt dass es nur einen wahren und houmlchsten Gott gibt und dass dieses Indivi-duum Jahwe genannt wird bdquoJahwe der Gott eurer Vaumlter Das ist mein Name fuumlr immer der Name den ihr mich von Generation zu Generation nennen werdetrdquo (2 Mose 315) bdquoIch bin Jahwe das ist mein Namerdquo (Jesaja 428) bdquoDu dessen Name Jahwe ist allein bist der Houmlchsterdquo (Psalm 8318) bdquoDu allein bist Jahwerdquo (Nehemia 96) Sogar eine trinitarische Quelle erklaumlrt das so

Im Alten Testament wird Gott eindeutig als der eine lebendige und wahre Gott verkuumlndet die Einheit Gottes wird besonders her-vorgehoben und steht im starken und vielfaumlltigen Kontrast zu den goumltzendienerischen Vorstellungen der Menschen Es ist ein reines System des Theismus das nicht die geringste Abweichung von der strengen Idee eines einzigen Gottes erlaubt Gott ist eindeutig ein Individuum keine abstrakte Kraft987

Der Vorschlag dass eine beliebige Vielzahl von verschiedenen Personen irgend-wie innerhalb des einzelnen Individuums namens bdquoJahwehrdquo existieren koumlnnte ist eine Idee die von Natur aus vom Geist des juumldischen Monotheismus abweicht988 Sicherlich wurden vonseiten der Juden Einwendungen gegen den trinitarischen

983 Freeman Closing of the Western Mind p 133 129 984 Smith p 509 985 Rubenstein p 74 986 Siehe Markus 73ff Matthaumlus 517ff 987 Seth Sweetser Bibliotheca Sacra Vol XI (Dallas Theological Seminary January 1854) p 88 988 Wiederum haben viele Trinitarier zugegeben dass der Monotheismus der Juden bis heute einheitlich

war und ist das heiszligt sie glauben dass Gott ein gewisses einzelnes Selbst ist bdquoDie Juden bis heute konnten sie [die Dreifaltigkeit] nie zu einem Glaubensartikel machen aber sie behaupten immer noch dass Gott nur einer in Person ist ebenso wie in seiner Naturrdquo (Beveridge p 66) Siehe ebenfalls Warfield S 127

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Gottesbegriff von Anfang an in der Formulierung der Lehre erhoben Nach den Nazarener-Christen in Jerusalem die Gottes unitarische Einheit verbunden mit dem Messiasamt des menschlichen Jesus bekannten bis hin zu den Rabbinern des dritten und vierten Jahrhunderts die heftig uumlber die Natur Gottes in der Hei-ligen Schrift diskutierten - hat sich die juumldische Idee Gottes im Laufe der Ge-schichte mit der christlichen Orthodoxie vermischt989 Was jedoch die Versuche anbelangt die Dreifaltigkeit in der juumldischen Bibel zu lokalisieren so zeigen juumldi-sche Historiker im zwanzigsten Jahrhundert dass die Juden konsequent bdquojeden Beweis den ihre Gegner vorbringen ablehnten die Juden haben die Lehre von der Dreifaltigkeit immer als mit dem Geist der juumldischen Religion und mit dem Monotheismus unvereinbar angesehen990 Auch im Mittelalter finden sich be-ruumlhmte Juden wie Maimonides (1135-1204 n Chr) die immer noch die strenge Einheit Gottes gegen die Pluralitaumlt der christlichen Sichtweise verteidigten

(Gott) die Ursache fuumlr alles ist Einer Das bedeutet nicht einer wie in einer Serie noch einer wie in einer Art (die viele Individuen um-fasst) noch einer wie in einem Objekt das aus vielen Elementen besteht noch als ein einziges einfaches Objekt das unendlich teil-bar ist Vielmehr ist Gott eine Einheit die sich von jeder anderen moumlglichen Einheit unterscheidet Darauf wird in der Thora hinge-wiesen bdquoHoumlre Israel der Herr ist unser Gott der Herr ist einerrdquo991

Viele Christen sagen heute schnell dass die Juden einfach noch nicht mit der Offenbarung der wahren Natur Gottes als drei verschiedenen Personen vor Jesu Ankunft gesegnet waren992 Aber die Trinitarier geben auch zu dass Jesus die Dreifaltigkeit nicht gepredigt hat oder jemals offenbart haumltte selber der Schoumlpfer zu sein an den die Juden glaubten993 Trifft es zu dass selbst seine Apostel am Ende seines Dienstes seine Identitaumlt nicht gekannt haben994 Was hat Jesus sie

989 Einige dieser Diskurse finden sich im groszligen Korpus des rabbinischen Judentums dem Talmud 990 Kaufmann Kohler Samuel Krauss ldquoTrinityrdquo Jewish Encyclopedia 1906 Web 05 May 2014 991 Maimonides Thirteen Principles of Faith Second Principle (13 Glaubensprinzipienb das 2) 992 bdquoDas Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit wurde noch nicht geluumlftet damit die Juden ausdruumlcklich

glauben konnten dass er von Natur aus der Sohn Gottes der Gott Gottes von einer Substanz Kraft und Herrlichkeit mit Gott dem Vater war Diese Lehre hat sich Jesus vorbehalten sie zu verkuumlnden obwohl er sie anfangs nicht ausdruumlcklich gelehrt hat sondern seine Juumlngern nach und nach zu ihr gefuumlhrt hatrdquo (Lucas Brugensis ldquoZu Johannes 149rdquo zitiert in Wilson Uni Princip Conf by Trini Testimonies 1888 p 334)

993 bdquo[Jesus] hat niemals behauptet der Schoumlpfer dieser Welt zu seinrdquo (ein bevorzugtes Argument bei den Sozinianern) (J F Flatt Dissertation on the Deity of Christ in Biblical Repertory Vol 1 (New Jersey Princeton 1829) pp 174-175) (Dissertation uumlber die Divinitaumlt Christi im Biblischen Repertoire)

994 bdquoNoch verstanden sie (die Juumlnger unseres Erretters) das Geheimnis des Mysteriums der Dreifaltigkeit nicht so wie wir es auch nicht verstehenhelliprdquo (John Evelyn The History of Religion Vol 2 (London For-gotten Books 2013 [1859]) pp 87-88) bdquoEs ist wahr dass er ebenso Gott war Dies wussten sie jedoch

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also wirklich gelehrt Hat er einen umstrukturierten Glauben an eine Gottheit ge-foumlrdert oder inspiriert Im Gegenteil Jesus bestaumltigte in seinem Gespraumlch mit der Samariterin direkt dass die Identitaumlt des wahren Gottes den Juden von alters her bekannt war und dass sowohl er als auch seine Landsleute ihn [Gott] tatsaumlchlich auf richtige Weise verehrten bdquoWir beten an was wir kennenrdquo (Joh 422) Dieses einzigartige juumldische Wissen uumlber Gott ist der Orientierungspunkt der religioumlsen Wahrheit zu dem der Messias die Nationen fuumlhren wird Da kein Gelehrter glaubt dass die Juden jemals eine Dreifaltigkeit verehrt haumltten und da Jesus sich ihnen in der Gottesverehrung anschloss haben wir dann nicht allen Grund zu zweifeln dass Jesus je eine Dreifaltigkeit [mit mehreren Mitgliedern in der Gott-heit] verehrte Er hat schlieszliglich den gleichen Gott wie die Juden angebetet (Jo-hannes 422 2017) Wie haumltte er als perfekter gesetzestreuer Jude etwas anderes tun koumlnnen Er hat Gott als Vater anerkannt wie es seine Mitjuden taten Das muumlssen wir in seinen Dialog mit der samaritanischen Frau einbeziehen und auch die Idee die Jesus anderswo vertritt bdquoVater Du bist der einzige wahre Gottrdquo (Jo-hannes 171-3) Wie so viele Gelehrte festgestellt haben gibt es innerhalb der biblischen Daten bdquokeinen Grund Jesus als etwas anderes als einen frommen Mo-notheisten zu sehenrdquo995 Diese bedeutende juumldische Tradition Jesu wurde zum unbestreitbaren Erbe der neutestamentlichen Gemeinschaft

DieSprachedesBiblischenGottes Studenten des Christentums duumlrften keine Schwierigkeiten haben sich den an-gesehensten trinitarischen Gelehrten anzuschlieszligen und zu erkennen dass bdquowenn wir die Sprache dieser [trinitarischen] Dogmen mit der Sprache des Neuen Tes-taments vergleichen der Unterschied augenfaumlllig ist Die trinitarische Terminolo-gie ist dem Neuen Testament fremdrdquo996 Aber wenn der platonische Jargon fehlt welche Art von Sprache finden wir dann

Das Neue Testament enthaumllt uumlber 1300 Passagen in denen das Wort bdquoGottrdquo (griechisch theos) vorkommt In keinem dieser Faumllle finden wir eine Unterschei-dung oder eine Aufteilung innerhalb der Gottheit Das Alte Testament praumlsen-tiert uns ebenfalls Tausende und Abertausende von singulaumlren Personalprono-men Verben und Adjektiven in Einzahlform die in Verbindung mit Adonai (Herr) elohim (GOTTGottGoumltter) und JHWH (oder Jahweh dem goumlttlichen persoumlnlichen Eigennamen) verwendet werden Uumlberwaumlltigend ist dass Gott sich

nicht Sie betrachteten ihn nicht als Gott sondern eher als einen Menschen der ihnen selbst weit uumlber-legen warrdquo (Julius Charles Hare Mission of the Comforter Vol 1 (Boston Gould and Lincoln 1877) pp 9-10) (Die Sendung des Troumlsters)

995 Tom Holmen Stanley E Porter Handbook for the Study of the Historical Jesus (Leiden Brill 2011) p 1205 (Handbuch zum Studium des Historischen Jesus)

996 Brunner Emil Dogmatics Vol I London Lutterworth Press 1949 p 56 (Dogmantik)

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selbst als ein absolut einzigartiges Wesen darstellt Wie bereits erwaumlhnt bdquodie Ein-heit der Gottheit ist eine Wahrheit die nicht nur auf einigen wenigen Stellen der Schrift beruht die sie explizit behaupten sondern die sich aus jedem Teil der Schrift herleiten laumlsstrdquo997 Mehrzahlformen von Verben Pronomen und Adjek-tive werden nur in einer Handvoll von Faumlllen verwendet in denen eine Pluralitaumlt von Gottes Majestaumlt vom Autor der Schriftstelle angerufen wird oder wenn Gott zu seinem koumlniglichen himmlischen Hof spricht wie wir es im Schoumlpfungsbericht der Genesis finden998 Es ist unendlich einfacher die wenigen textlichen Ausnah-men von den singulaumlren Personalpronomen durch eine Untersuchung des Kon-textes und eine Beruumlcksichtigung des hebraumlischen Idioms zu erklaumlren als das uumlberwaumlltigende biblische Gewicht von mehr als 7000 Verweisen auf Gott durch den Einsatz singulaumlrer Personalpronomen ausser Acht zu lassen

Betrachtet man die gesamte Hebraumlische Schrift ist es nicht schwer zu verstehen wie und warum die Juden ihren Gott unbeirrbar als eine eigenstaumlndige Persoumln-lichkeit bekraumlftigt haben Er gab ihnen allen Grund dazu

In der Hebraumlischen Schrift (unserem Alten Testament)

- bull bdquoErkenne ich bin der HERR (JHWH)rdquo (2 Mose 810)

- bull bdquoDu sollst keine anderen Goumltter haben neben mirrdquo (2Mose 201-3)

- bull bdquoSeht nun dass ich ich es bin und kein Gott neben mir istrdquo (5Mose 435)

- bull bdquoJHWH ist der alleinige Gott Ausser ihm gibt es sonst keinenrdquo (5Mose 439)

- bull bdquoJHWH ist der alleinige Gott im Himmel oben und auf der Erde unten keiner sonstrdquo (5Mose 3239)

- bull bdquoJHWH ist unser Gott JHWH alleinrdquo (5Mose 64)

- bull bdquoJHWH Gott Ja niemand ist dir gleich und es gibt keinen Gott auszliger dirrdquo (2 Samuel 722)

- bull bdquoJHWH ist Gott und sonst keinerrdquo (1 Koumlnige 860)

- bull bdquoJHWH niemand ist dir gleich und es gibt keinen Gott auszliger dirrdquo (1 Chronik 1720)

997 Ridgley Thomas Body of Divinity Vol I New York R Carter 1855 p 194 998 Juumldische Quellen lehnen die trinitarischen Behauptungen ab dass das Wort bdquounsrdquo in der Genesis eine

Pluralitaumlt in Gott bedeutet Vielmehr bestaumltigen sie entschieden die Moumlglichkeit von Gottes Gespraumlch mit seinem himmlischen Engelshof Siehe Gerald Sigal ldquoWhat is the meaning of God said lsquoLet us make man in our imagersquo rdquo Jews for Judaism Web Accessed 22 September 2014 (Was bedeutet es wenn Gott sagt Lasset uns Menschen machen)

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- bull bdquoDu bist der da ist JHWH du alleinrdquo (Nehemia 96)

- bull bdquoDu allein JHWH bistrdquo (Jesaja 3720)

- bull bdquoVor mir ward kein Gott gebildet und nach mir wird keiner seinrdquo (Jesaja 4310)

- bull bdquoIch bin der Erste und bin der Letzte und auszliger mir gibt es kei-nen Gottrdquo (Jesaja 446)

- bull bdquoGibt es einen Gott auszliger mir Es gibt keinen Fels ich kenne keinenrdquo (Jesaja 448)

- bull bdquoIch bin JHWH und sonst keiner Auszliger mir gibt es keinen Gottrdquo (Jesaja 455)

- bull bdquoIch bin der JHWH und sonst gibt es keinen Gottrdquo (Jesaja 4518)

- bull bdquoUnd es ist sonst kein Gott auszliger mir ein gerechter und retten-der Gott ist keiner auszliger mirrdquo (Jesaja 4521)

- bull bdquoIch bin Gott Es gibt keinen sonst keinen Gott gleich mirrdquo (Jesaja 469)

- bull bdquoAn jenem Tag wird JHWH einer sein und sein Name einzigrdquo (Sacharja 149)

- bull bdquoHaben wir nicht alle einen Vater Hat nicht ein Gott uns ge-schaffenrdquo (Maleachi 210)

Die Sprache in Bezug auf die Einheit Gottes in den neutestamentlichen Schriften im Einklang mit diesem Geist des Alten Testaments ist bemerkenswert

Das Neue Testament

- bull bdquoHoumlre Israel Der Herr unser Gott ist ein Herrrdquo (Markus 1229)

- bull bdquoWie koumlnnt ihr glauben die ihr Ehre voneinander nehmt und die Ehre die von dem alleinigen Gott ist nicht suchtrdquo (Johannes 544)

- bull bdquoWir haben einen Vater Gottrdquo (Johannes 841)

- bull bdquoDu bist allein wahrer Gottrdquo (Johannes 173)

- bull bdquoEs ist der eine Gott der gerecht machtrdquo (Roumlmer 330)

- bull bdquoDem einzigen und weisen Gott Amenrdquo (Roumlmer 1627)

- bull bdquoIn der Welt gibt es keinen Gott als den einenrdquo (1Kor 84)

- bull bdquoSo haben wir doch nur einen Gott den Vaterrdquo (1Kor 86)

- bull bdquoGott aber ist Einerrdquo (Galater 320)

Der juumldische Schoumlpfer

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- bull bdquoEin Gott und Vater allerrdquo (Epheser 44-6)

- bull bdquoGott dem ewigen Koumlnig dem Unvergaumlnglichen und Unsicht-baren der allein Gott istrdquo (1 Tim 117)

- bull bdquoEs ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Men-schen naumlmlich der Mensch Christus Jesusrdquo (1Tim 25)

- bull bdquoDu glaubst dass nur einer Gott ist Du tust recht daran die Teufel glaubens auch und zitternrdquo (Jakobus 219)

- bull bdquoDem alleinigen Gott unserem Retterrdquo (Judas 125)

Das houmlchste Wesen Gott schuf die Sprache und entwarf den menschlichen Geist Gott vermittelte durch die Sprache der Menschheit das Wissen dass er ein Individuum ist Die Welt hat das anfaumlnglich auch geglaubt Die Frage draumlngt sich auf ob Gott wissentlich in Kauf nahm dass seine Aussagen uumlber sich selbst auch als einheitliches Kollektiv von Individuen oder als eine Gesellschaft je nach Auslegung beliebig interpretiert werden koumlnnten Selbst in der Sprache des Neuen Testa-ments in den Dokumenten die [gemaumlszlig den Trinitariern] angeblich einen dreiei-nigen Gott verkuumlnden finden wir keinen einzigen Hinweis darauf dass die Grundperspektive der Juden [vor zwei Jahrtausenden] gegenuumlber fruumlheren Zeiten auf den neuesten Stand gebracht worden waumlre die Sprache Jesu und seiner Apos-tel in Bezug auf Gott war immer noch die gleiche Sprache wie die des Mose

AE Harvey enthuumlllt dass es bdquokeine eindeutigen Beweise dafuumlr gibt dass die Grenzen des Monotheismus von irgendeinem der neutestamentlichen Autoren tatsaumlchlich gebrochen wurdenrdquo999 Diese Autoren setzten das Verstaumlndnis des Le-sers fuumlr den Juumldischen Monotheismus mit Bestimmtheit als selbstverstaumlndlich vo-raus Fuumlr das Volk Israel im Altertum war dieses besondere Modell uumlberlebens-wichtig wann immer Israel davon abwich zog dies schnell tragische Folgen nach sich Aber es gibt keine Evidenz dafuumlr dass irgendetwas dem die Apostel in der Person Christi begegneten diese traditionelle Theologie [des Judentums] in Frage gestellt haumltte Wenn selbst heidnische Konvertiten in der Roumlmischen Aumlra waumlh-rend ihrer Konzile sich schon Sorgen um die Bedrohung des Monotheismus der Bibel machten wie viel mehr haumltte dann die treue juumldische Gemeinschaft des ersten Jahrhunderts in feurigem Widerspruch gegen die Idee reagiert dass der Rabbiner Jesus nicht nur ihr Gott sei sondern dass Abraham und Mose die ganze Zeit unbewusst drei verschiedene Personen verehrt haumltten Das bdquoohrenbetaumlu-bende Schweigenldquo des Fehlens der apostolischen Debatte kombiniert mit der perfekten Aufrechterhaltung der alttestamentlichen Sprache um Gott im Neuen Testament zu beschreiben legt nahe dass die fruumlhesten Christen keine derart dramatische Erweiterung der Gottheit verkuumlndet haben

999 A E Harvey Jesus and the Constraints of History (London Duckworth 1980) p 178

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Die Theologie Jesu und seiner Apostel hatte in der Tat problemlos durch die klassische Sprache der Hebraumlischen Bibel gearbeitet ohne dass sie eine Erweite-rung oder eine Verdeutlichung bedurft haumltte Gott war immer bdquonur Einerrdquo (Gal 320) oder bdquoein Herrrdquo (Markus 1229) oder bdquoder Vaterrdquo (1 Korinther 86) oder bdquo[der] Vater der einzig wahre Gottrdquo (Johannes 173) Die Sprache vermittelte eine einfache verstaumlndliche Idee Gott ist eine singulaumlre Person von den Juden sbquoVatersbquo genannt Dieser Gott bezeichnet sich selbst als ausschlieszliglich einzig oder alleinig Er sagt bdquoIch selbst werde nach meinen Schafen suchenrdquo (Hesekiel 3411) bdquoIch bin Jahwe allein ganz alleinrdquo (Jesaja 4424) Auch nach der Ankunft Jesu schilderten die neu-testamentlichen Juden den Gott des Alten Testaments weiterhin als ein einziges Selbst bdquoDenn als Gott dem Abraham die Verheiszligung gab schwor er bei sich selbst - weil er bei keinem Groumlszligeren schwoumlren konnterdquo (Hebraumler 613-20) In der Schrift werden ein-zelne Individuen als einzelne Seelen beschrieben bdquoAcht Seelen wurden hellip gerettetrdquo (1 Petrus 320) bdquodas heiszligt acht Personenrdquo Menschliche Personen sagen von sich bdquomeine Seelerdquo (Psalm 359) und uumlber andere als bdquoseine Seelerdquo (Matthaumlus 1626) So sagt Gott ebenfalls von sich bdquomeine Seelerdquo (Matthaumlus 1218) und wird als bdquoseine Seelerdquo beschrieben (Psalm 115) Aus welchem Grund nehmen wir an dass die Juden wenn sie sagten bdquoGott ist Einerrdquo (Galater 320 5 Mose 64) es nicht im gleichen Sinne wie bdquoAbraham als einen Einzelnenrdquo (Hesekiel 512 3324) meinten

Fuumlr die meisten Trinitarier ist Gott eine Substanz in der es drei verschiedene Persoumln-lichkeiten gibt sie sehen Gott wohl als ein einziges bdquoWesenrdquo aber nicht als eine einzelne Person Natuumlrlich gibt es keine biblischen Texte die eine Unterschei-dung zwischen Wesen und Persoumlnlichkeit lehren Andererseits sollte die Bibel beabsichtigen einzelne Wesen als unipersonal oder als einzelnes Subjekt zu iden-tifizieren wie wuumlrde sie das tun Die biblische Sprache die einzelne Menschen beschreibt (meist mit singulaumlren Personalpronomen) ist die gleiche Sprache mit der Gott selber beschrieben wird Aber wenn es um Gott geht kann es sich der Trinitarismus nicht leisten die natuumlrliche Schlussfolgerung zu ziehen dass Ein-zelwesen Einzelpersonen sind Stattdessen tauscht der Trinitarismus ploumltzlich den normativen Gebrauch der Sprache gegen einen metaphysischen und oft mehrdeutigen Gebrauch aus Aber dieser Wechsel ist unnoumltig und uumlberfluumlssig die Bibel unterstuumltzt keine solchen Unterscheidungen Menschen und Gott werden ohne Einschraumlnkung in der gleichen Weise dargestellt Beide werden normaler-weise wie Einzelpersonen beschrieben

Im Gegensatz dazu erfordert der gegenwaumlrtig vorherrschende trinitarische Glaube eine staumlndige detaillierte Qualifizierung durch die Verwendung auszligerbib-lischer Terminologie um sich aus der gefaumlhrlichen Spirale des Polytheismus zu befreien Doch auch diese Rettungsleinen sind ausgefranst die genauen Bedeu-tungen der abstrakten Begriffe sind heute meist neblig und schwer fassbar Wie wir bereits bei Emil Brunner gelesen haben sind diese Worte obwohl sie im

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uumlberlieferten trinitarischen System eine entscheidende Rolle spielen bdquofuumlr uns kaum verstaumlndlich oder fuumlhren wenn sie ohne Kommentar verwendet werden zu groben Missverstaumlndnissenrdquo1000 Aber ohne das bedenkliche Zusammenspiel dieser griechischen Formulierungen zerfaumlllt die Verehrung des dreieinigen Gottes schnell in die Verehrung mehrerer Goumltter oder vielleicht noch schlimmer in ein metaphysisches Durcheinander Der bedeutende Dozent George Burnap hat das Problem klar aufgezeigt

Ein Mann fragte mich ob ich dem Satz zustimmen koumlnne bdquoEs sind drei Personen in einem Gottrdquo ich fragte zuruumlck was er mit bdquoPer-sonrdquo meint Ich wollte wissen ob er damit ein eigenes unabhaumlngi-ges intelligentes Wesen meint Er verneinte dies Er sagte dass er das Wort nicht im landlaumlufigen Sinn verwendet sondern in einem fuumlr diesen Fall eigentuumlmlichen Sinne Ich frage ihn was dieser Sinn ist Darauf hatte er keine Erklaumlrung bdquoSie verlangen also von mirldquo antwortete ich bdquoeinem Vorschlag zuzustimmen der mir keine ver-staumlndliche Idee vermittelt und der fuumlr Sie ebenso unverstaumlndlich zu sein scheint wie mir Wir alle stimmen nichts als Worten zu und wenn die Aussage uns keine verstaumlndliche Bedeutung vermittelt ist sie fuumlr uns nichts und wir stimmen nichts zu Stuumlnden diese Worte in der Bibel dann koumlnnte ich sagen dass ich glaube sie druumlcken die Wahrheit aus auch wenn ich sie nicht verstehe Sind die Aus-sagen aber nicht in der Bibel betrachte ich sie als die bloszlige Er-findung von fehlbaren Menschen Ich kann nicht an ihre Autoritaumlt glauben Da ich sie selbst nicht verstehe und niemand sie mir er-klaumlren kann halte ich es fuumlr fair zu dem Schluss zu kommen dass diejenigen die sie entworfen haben keine klaren Vorstellungen hattenldquo1001

Durchschnitts-Christen in der westlichen Welt scheinen kaum beunruhigt oder gar bewusst zu sein dass Millionen von Juden nicht-trinitarische Christen wie auch Muslime ernsthaft besorgt sind angesichts der Identifikation des bestehen-den orthodoxen bdquochristlichenldquo Systems mit dem Monotheismus Fast uumlberall in den Mainstream-Kreisen wird der Monotheismus der Orthodoxie als selbstver-staumlndlich angesehen waumlhrend private Bedenken zu diesem Thema oft schnell ab-getan oder missbilligt werden1002 Trotz des fehlenden Interesses ist das Problem

1000 Brunner p70 1001 George Washington Burnap Lectures On The Doctrines of Christianity (Wm R Lucas amp R N

Wright 1835) S 18-19 (Vorlesungen zu den Doktrinen des Christentums) 1002 Ein moderner Christ schreibt bdquoEin gaumlngiger Satz den ich allzu oft uumlber die Lehre der Dreifaltigkeit

houmlre ist dass sbquoes ein Mysterium istrsquo und das ist alles was du wirklich wissen musst Gefolgt von sbquoMach einfach das Zeichen des Kreuzes und geh deinen Wegrsquo rdquo (Marion De La Torre ldquoIs the Trinity Too

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jedoch sehr real Was waumlre wenn waumlhrend eines evangelischen Gottesdienstes Mitglieder ausrufen wuumlrden bdquoIhr habt uns erschaffenrdquo oder bdquoWir verehren euch allerdquo oder bdquoLob gebuumlhrt euch allen dreirdquo Wuumlrde dies nicht zu ernsthaften Fragen fuumlhren Wie ein aufschlussreiches Buch erkennt

In der Geschichte der amerikanischen Kirche ist die protestanti-sche Mehrheit vor allem trinitarisch geblieben weil sie den seriellen Monotheismus praktizierte - mit dem Fokus mal auf das eine mal auf das andere Mitglied der Heiligen Dreifaltigkeit Offenbar ist dies eine praktische Anpassung an eine verwirrende trinitarische Termi-nologie die vermieden werden kann wenn man nicht versucht uumlber alle drei Personen in einem Atemzug zu sprechen1003

Tatsaumlchlich muss der Trinitarier nicht nur an jede dieser drei Personen glauben sondern jede davon gleichermaszligen als Gott verehren Gleichzeitig muss er zwi-schen monotheistischer und polytheistischer Sprache balancieren Wenn der Trinitarier im Gebet seinen einen einzigen Gott anruft und die uumlbliche singulaumlr-persoumlnliche Sprache bdquoDurdquo bdquoDichrdquo und bdquoDirrdquo verwendet dann loumlst er die Drei-faltigkeit mental aus seiner Anbetung Er verehrt drei verschiedene Personen nur im offiziellen Bekenntnis waumlhrend es in seiner Praxis nur eine [Person] gibt1004

Natuumlrlich finden wir in der Bibel keinen der Juumlnger Jesu der einen Juden mit solchen Fragen beruhigen und seine Sorgen uumlber den Monotheismus zerstreuen musste Die historische Aufzeichnung der Debatten zwischen Juden und Chris-ten kam erst in spaumlteren Jahrhunderten auf und war fortan von solchen Ausei-nandersetzungen durchzogen Dies scheint unmittelbar darauf zuruumlckzufuumlhren zu sein dass die Theologie spaumlterer Christen mit dem juumldischen Monotheismus ganz anders umging als die Theologie Jesu und seiner Apostel im ersten Jahrhun-dert

bdquoEinerrdquooderbdquoMehralsEinerrdquoJesu Bestaumltigung der juumldischen Interpretation des Shema der bdquovornehmstenrdquo Glaubensregel (Markus 1228ff) kann kaum genug betont werden Das Verbot

Much of a Mystery to Understandrdquo Knowing Is Doing 31 May 2015 Web Accessed 10 August 2015 lthttpwwwknowingisdoingorg20150531is-the-trinity-too-much-of-a-mystery-to-under-standgt)

1003 Mark H Graeser John A Lynn John W Schoenheit One God amp One Lord Reconsidering the Cornerstone of the Christian Faith (Indianapolis Christian Educational Services 2000) p 544 (Ein Gott und ein Herr Eine Neubetrachtung des Ecksteins des Christlichen Glaubens)

1004 Der Blinde Didymus von Alexandria ein Trinitarier schreibt gemaumlszligigt vor dass die drei Personen der Trinitaumlt gehoumlrt bekannt verehrt und verherrlicht werden sollen bdquoals eine Personrdquo (De Trinitate 2 36) Siehe ebenfalls Thomas F Torrance The Christian Doctrine of God One Being Three Persons (London TampT Clark 1996) p 135

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des Credos durch die spaumlteren katholischen Behoumlrden die in ihm eine Opposi-tion zu ihrem trinitarischen Dogma entdeckten oumlffnet uns ebenfalls die Au-gen1005 Ist uns bewusst dass kein Vers in den Hebraumlischen Schriften vom juumldi-schen Geist mehr Aufmerksamkeit erhalten hat als 5 Mose 64 Es ist der Pruumlf-stein fuumlr alle Doktrinen und der starke Fels auf dem sich alle Moumlglichkeiten des Polytheismus zerschlagen

Shma Yisrael YHWH Eloheinu YHWH Echad

bdquoHoumlre oh Israel JHWH ist unser Gott JHWH ist einerrdquo

Was diese Glaubenserklaumlrung fuumlr das juumldische Zielpublikum Christi im ersten Jahrhundert bedeutete ja was sie fuumlr die Juden heute noch bedeutet kann kaum in Frage gestellt werden Der juumldische Schriftgelehrte vor Ort interpretierte die Rezitation Christi so und sagte zu Jesus bdquoRichtig Lehrer du hast wirklich gesagt dass er eins ist und es gibt niemanden auszliger ihmrdquo (Markus 1232) Nach der Identifizierung des bdquoEinenrdquo im Shema durch den gelehrten juumldischen Gespraumlchspartner Jesu als singulaumlres bdquoErrdquo (eine Person) bestaumltigte Jesus dass der Mann bdquoweiserdquo oder bdquointel-ligentrdquo geantwortet hatte (Vers 34) Es ist daher nicht nur das Shema sondern die ausgesprochen juumldische ja pharisaumlische Interpretation des Shema die Jesus mit Nachdruck bestaumltigte Der prominente juumldische Historiker Joseph Klausner von der Hebraumlischen Universitaumlt in Jerusalem schreibt

Wie weit Jesus bis zuletzt ein wahrer pharisaumlischer Jude geblieben ist kann man aus [Markus 1229] erkennen Der Schriftgelehrte un-terstuumltzte Jesus [Verse 32-34] Jesus ist also immer noch ein Phari-saumler geblieben und findet sich in Uumlbereinstimmung mit einem Schriftgelehrten Wie jeder pharisaumlische Jude glaubte er an die ab-solute Einheit Gottes1006

Als Entgegnung auf das Argument dass die Einheit im Shema auf Gottes nume-rische Singularitaumlt hinweist behaupten die Trinitarier oft dass die bdquoEinheitrdquo nur ein Hinweis auf die Einzigartigkeit des juumldischen Gottes sein koumlnne oder dass dieser Gott allein sei im Unterschied zu anderen Goumlttern Allerdings erklaumlrt der anglikanische Gelehrte Christopher Wright

Ein exegetisches Verstaumlndnis waumlre dass die beiden hebraumlischen Woumlrter bedeuten Jahwe ist eins und nicht nur Jahwe allein die

1005 Davies Finkelstein The Cambridge History of Judaism Vol 4 p 17 1006 Klausner Jesus of Nazareth His Life Times and Teachings p 319 377 (Jesus von Nazareth sein

Leben seine Lheren seine Zeit)

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verbalen Formen die normalerweise die Einzigartigkeit und Un-vergleichbarkeit Jahwes ausdruumlcken unterscheiden sich deutlich von dem Ausdruck in 5 Mose 64 was auf die Einheit oder Ein-zigartigkeit Jahwes hinweist Es ist moumlglich dass es eine polemi-sche Absicht gibt Gott als voumlllig anders zu definieren als die Menge der Goumltter die Israel umgaben vielleicht um Gott besonders ab-zuheben von den vielfaumlltigen Manifestationen und Formen des ka-naanitischen Baalskultes Jahweh ist nicht der Markenname eines kosmi-schen Unternehmens Er ist ein einziger Gott unser Gott und Jahwe ist sein persoumlnlicher Name Nach diesem Verstaumlndnis liegt der Schwerpunkt auf Jahwehs Singularitaumlt die scharfsinnige Praumlzision des Shema kann nicht in eine philosophische Abstraktion verwan-delt oder auf eine unbedeutende Ebene der Wahrheit verbannt werden Es ist eine majestaumltische Erklaumlrung des Monotheismus die durch die geschichtstraumlchtige charakterreiche buumlndnisbezogene und dynamische Persoumlnlichkeit von Jahweh unserem Gott defi-niert ist1007

Tatsaumlchlich war Jesu Zitat des Shema wie selbst N T Wright festgestellt hat voll-kommen bdquounumstrittenrdquo1008 bdquoEs gab keine Zweifel an der Bedeutung des Bekennt-nisses fuumlr die Juden Gott ist nur einer in Personrdquo1009 Wie ein Gelehrter zu Recht feststellt bdquoMarkus 1229 hat die Bestaumltigung Jesu selbst ohne Einschraumlnkung des houmlchsten monotheistischen Glaubensbekenntnisses der israelitischen Religion in ihrer vollen Form festgehaltenrdquo1010 Natuumlrlich hielten seine Schuumller auch an diesem genauen Maszligstab fest1011 Wie J N D Kelly erklaumlrt bdquoDie Lehre von dem einen Gott dem Vater und Schoumlpfer bildete den Hintergrund und die unumstoumlszligliche Voraussetzung fuumlr den Glauben der Kirche Das Erbe vom Judentum war ein Bollwerk gegen den heidnischen Polytheismus den gnostischen Emanationismus

1007 C Wright Deuteronomy 9 (5 Mose 9) 1008 Wright Jesus and the Victory of God p 305 (Jesus und der Sieg Gottes) 1009 Eine Mitteilung des trinitarischen Bischofs Beveridge (siehe Private Gedanken S 66) Wiederum neh-

men wir die Zustimmung des trinitarischen Leonard Hodgson zur Kenntnis bdquoDer [juumldische] Monothe-ismus war damals wie er noch immer ist unitarischrdquo (Christian Faith and Practice p 74)

1010 Werner pp 241-242 unsere Hinzufuumlgung 1011 Zu beachten ist Blacks Kommentar des Neuen Testaments zum Jakobusbrief bdquoJakobus zitiert den

zentralen Grundsatz der sowohl fuumlr ihn selbst als auch fuumlr seinen vermeintlichen Gegner gelten muss sbquoSie glauben dass Gott einer ist oderlsquo Gott ist einer Das so angesprochene Bezugsdatum des Glau-bens ist nicht spezifisch christlich Es ist hingegen vollkommen charakteristisch fuumlr das Judentum (5 Mose 55) und macht die Annahme von ihr grundlegend fuumlr das Verhalten Israels Dies war Teil der zweimal taumlglichen Rezitation des Shema aber sie ist ebenso [charakteristisch] fuumlr das Christentum in seinem juumldischen Erbe (vgl 1 Kor 84-6 Gal 320 Eph 46 1 Tim 25 Hermas Mand I und Didache i 1) und es hat einen besonderen Platz im Denken dieses Autorsrdquo (Sophie Laws A Commentary on the Epistle of James (London A And C Black 1980) p 125)

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und den markionitischen Dualismusrdquo1012 Wenn Professor Kelly Recht hat und der im Shema von Jesus verankerte Monotheismus die Pluriform der persoumlnlichen Hypostasen des Gnostizismus ablehnt was bedeutet dann das fuumlr die christliche Orthodoxie Koumlnnen der Christ und die Christin weiterhin so locker die Existenz mehrerer Gott-Personen im Jahwe des Shema behaupten und diese Uumlberzeugung [der Dreifaltigkeit] als grundlegend fuumlr die Religion des historischen Jesus halten

Heute houmlrt man Mainstream-Apologeten erklaumlren man koumlnne nicht wirklich Christ sein dh man koumlnne nicht bdquogerettetrdquo werden wenn man nicht an die Goumltt-lichkeit Christi glaube Aus diesen Kreisen houmlrt man auch dass sich Gott aus mehr als einer Person [Vater Sohn und Heiliger Geist] zusammensetzt Aber wenn dem so waumlre und die Erloumlsung - zum Beispiel der Juden - wirklich vom Erwerb dieses spezifischen Verstaumlndnisses abhinge warum unternahm dann Je-sus nicht das Geringste um sein Volk daruumlber korrekt zu informieren Weshalb klaumlrte er die Juden nicht auf dass die grundlegende Glaubenssatzung in Bezug auf Gott neu strukturiert worden sei Christus gilt als der groszlige Offenbarer Got-tes (Johannes 118) Hat er es etwa versaumlumt seinen juumldischen Bruumldern die rele-vantesten und wertvollsten Informationen zu liefern und zu erzaumlhlen was er wusste War er wirklich ein guter Rabbi der nichts sehnlicher wuumlnschte als die Errettung der Juden Wenn der Mann Jesus von Nazareth tatsaumlchlich der [fleisch-gewordene] Gott Abrahams Isaaks und Jakobs war wie koumlnnte er die leiblichen Nachkommen der Patriarchen verantwortlich machen dass sie ihn [aufgrund des 1 und 2 Gebotes des Dekalogs] zuruumlckwiesen Nachdem er festgestellt hatte dass die Juden wissen oder bdquokennen was sie anbetenrdquo (Johannes 422) wie haumltte er dann eine neue Form der Anbetung einer Dreieinigkeit einfuumlhren koumlnnen die sie [logischerweise] ablehnen mussten Hatte Gott sein Volk nicht ausdruumlcklich zuvor gewarnt jeden zuruumlckzuweisen ja sogar zu steinigen der einen Gott pre-digt bdquoden du nicht kennst noch deine Vaumlterrdquo (5 Mose 136-11) Wie konnten seine juumldischen Feinde direkt dafuumlr schuldig gesprochen werden weil sie einen angeb-lichen Gott-Menschen ablehnten der ihnen bei der Beschaffung dieser neuen Informationen wenig oder gar nicht half Eine trinitarische Quelle behauptet so-gar widerspruumlchlich dass bdquoes wie wir gesehen haben die Goumlttlichkeit unseres ge-segneten Herrn war die er sorgfaumlltig verborgen hat aber wuumlnschte dass alle Men-schen davon Kenntnis erlangenrdquo1013 Wenn Jesus wirklich ein gerechter Gott war dem die Akzeptanz des Judenvolkes am Herzen lag hat er dann nicht zutiefst und erschreckend versagt denjenigen zu helfen die waumlhrend seiner oumlffentlichen Debatten in Jerusalem um ihn herum versammelt waren

1012 Kelly p 87 1013 Isaac Williams ldquoOn Reserve in Communicating Religious Knowledgerdquo Tracts for the Times Vol IV

No 80 (London J G F amp J Rivington 1837) p 38 (Vom Zuruumlckhalten der Bekanntmachung Religioumlsen Wissens)

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Wie entzieht sich der moderne Trinitarier dann den Aussagen des Shema Offen-sichtlich ist das hebraumlische Schluumlsselwort in 5 Mose 64 bdquoechadrdquo (einseiner) Das Wort ist definiert als bdquoeins einer allein ein bestimmtes nur einmalrdquo Im einfachsten Sinne des Wortes bedeutet der Begriff bdquoeinsrdquo nur einer und nicht zwei oder mehr1014 Trinitarier haben sich jedoch auf eine kreative Interpretation des Wor-tes bdquoEinsrdquo als etwas bdquoZusammengesetztesrdquo berufen Unnoumltig zu erwaumlhnen dass die Juden selbst zu Recht seit Jahrhunderten waumlhrend der christlichen Aumlra uumlber diese Behauptung in Aufruhr sind Die Jewish Encyclopedia von 1906 schreibt

Die Dreistigkeit der christlichen Exegeten die selbst das bdquoShemardquo das feierliche Bekenntnis zur Goumlttlichen Einheit in einen Beweis der Dreifaltigkeit verwandelten liefert die Erklaumlrung weshalb die juumldischen Apologeten so verbittert sind die Juden haben die Lehre der Dreifaltigkeit immer als mit dem Geist der juumldischen Re-ligion und dem unitarischen Monotheismus unvereinbar betrach-tet1015

Einige Trinitarier behaupten sogar dass bdquoechadrdquo tatsaumlchlich die Pluralitaumlt ver-langt und dass bdquoeinsrdquo bedeuten muumlsse bdquomehr als eines in Einemrdquo Tatsaumlchlich haben ein paar von ihnen nicht aufgehoumlrt nach bdquodem inhaumlrent pluralistischen Wort echad zu rufenrdquo1016 Diese Behauptung wird oft vom Hinweis auf 1 Mose 224 begleitet bdquoDeshalb wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und mit seiner Frau verbunden sein und sie werden ein (echad) Fleisch seinrdquo Trinitarier sagen dass dieses bdquoechadrdquo hier offensichtlich zwei Personen umfasst den Mann und seine Frau und deshalb sei angedeutet dass das bdquoechadrdquo in 5 Mose 64 auch zwei (oder mehr) Personen beinhalteten kann Dies ist jedoch ein Missbrauch der Sprache Das Wort bdquoechadrdquo ist ein numerisches Adjektiv das ein Substantiv modifiziert Waumlhrend sich jedes Substantiv durch bdquoechadrdquo aumlndern kann bedeutet bdquoechadrdquo unveraumlndert eins und nicht zwei Im Falle von 1 Mose 224 beschreibt bdquoechadrdquo ein bdquoFleischrdquo und nicht zwei [bdquoFleischrdquo ist ein sog Singularetantum hat also keine Mehrzahlform Anm d Uuml] Die Trinitarier zitieren auch 4 Mose 1323 eine Schriftstelle die bdquoeine (echad) Trauberdquo beschreibt um ihre Beweisfuumlhrung zu untermauern Aber auch hier modifiziert bdquoechadrdquo nur eine Weintraube [engl one cluster] Das Substantiv wird modifiziert Eine Weintraube kann eine Plura-litaumlt signalisieren (durch ihre vielen Weinbeeren) nicht aber das numerische Ad-jektiv bdquoechadrdquo veraumlndern eins bleibt bdquoeinsrdquo

1014 ldquoechadrdquo Brown-Driver Briggs Hebrew Lexicon 1015 Kohler Krauss ldquoTrinityrdquo Jewish Encyclopedia 1906 1016 Woodrow Whidden Jerry Moon and John Reeve The Trinity (Hagerstown Review and Herald Pub-

lishing 2002) p 76 emphasis added

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In den 960 Faumlllen in denen dieses bdquoechadrdquo in der Hebraumlischen Bibel erscheint bezeichnet es in keinem einzigen Fall eine Pluralitaumlt innerhalb einer Sache viel-mehr ist es einfach die Identifizierung von etwas als bdquoanzahlmaumlszligig eine Sache ein Dingrdquo und nicht von zwei oder drei Dingen Zum Beispiel wird Abraham in He-sekiel 3324 auch bdquoechadrdquo genannt bdquoAbraham war ein einzelner Mann (echad)rdquo Ab-raham also war eine Person In der Tat hat die englische baptistische Uumlbersetzung (HCSB) diese Aussage korrekt wiedergegeben bdquoAbraham war nur eine Personrdquo Aber wenn die gleiche Formulierung fuumlr Jahwe in 5 Mose 64 verwendet wird verzich-ten die trinitarischen Uumlbersetzer und Interpreten - aus naheliegenden Gruumlnden - auf Konsistenz In der Schrift wird Jahwe als bdquoechadrdquo bezeichnet nicht weil es in ihm eine Vielzahl von Personen gibt sondern einfach weil er anzahlmaumlszligig ein Indi-viduum ist Juumldische Apologeten fuumlhren seit jeher mit der Schrift ins Feld dass das Wort keine trinitarische Pluralitaumlt erlaubt Wenn es auf ein Individuum (wie auf Gott mit dem Namen Jahwe) angewendet wird impliziert es offensichtlich schlicht und einfach eine eigenstaumlndige Persoumlnlichkeit

Dies wird durch verschiedene Verse veranschaulicht zB 2 Samuel 1330 bdquoAbsalom hat alle Soumlhne des Koumlnigs erschlagen dass nicht einer von ihnen uumlbrig geblieben waumlrerdquo 2 Samuel 1712 bdquo von ihm und allen seinen Maumlnnern nicht einen einzigen uumlbrig lassenrdquo 2 Mose 97 bdquovon dem Vieh Israels war nicht eines gestorbenrdquo 2 Samuel 1722 bdquoes gab nicht einen der nicht uumlber den Jordan gingrdquo Prediger 48 bdquoDa ist einer der steht allein und hat weder Kind noch Bruderrdquo Offensichtlich ist der Begriff bdquoeinseinerrdquo der in diesen Versen verwendet wird ein absolutes Wort und gleichbedeutend mit dem Wort bdquoyachidrdquo bdquodas einzigerdquo bdquoalleinrdquo In diesem Sinne jedoch mit extremer Verfeinerung wird in 5 Mose 64 das bdquoechadrdquo verwendet bdquoHoumlre o Israel der Herr unser Gott der Herr ist einseineralleinrdquo Hier wird bdquoechadrdquo unqualifiziert als ein unitaumlres absolutes System verwendet Nirgends wird ein dreieiniger Gott er-waumlhnt1017

Doch nichts davon bringt offenbar die Trinitarier zum Schweigen Bedauerlicher-weise geht der reformierte Theologe und ehemalige Vorsitzende des Internatio-nalen Rates fuumlr biblische Irrtuumlmer J M Boice sogar so weit und behauptet dass bdquodas Wort in der hebraumlischen Bibel nie in einer starr singulaumlren Einheit verwendet wirdrdquo1018 Wir muumlssen dieses Statement auf jeden Fall als kategorisch falsch be-zeichnen und den Urheber bestenfalls als unverantwortlich anprangern Wir

1017 Gerald Sigal ldquoIn What Sense Is lsquoEchadrsquo [one] used in the Shemardquo Jews for Judaism Web 20 October

2014 (In welchem Sinn wird Echad im Shema verwendet) unsere Hinzufuumlgung 1018 James Montgomery Boice The Sovereign God (Downerrsquos Grove IVP 1978) p 139 (Der Souveraumlne Gott)

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koumlnnten jene Dogmatiker fragen die eine implizite Pluralitaumlt innerhalb des bdquoechadrdquo befuumlrworten was sie mit Beispielen wie Nehemia 111 bdquoEiner (echad) von zehnrdquo oder Prediger 412 bdquo (echad) Einer mag uumlberwaumlltigt werden aber zwei koumlnnen widerstehenrdquo Die mental anstrengende verbale Gymnastik die mit diesem einfa-chen Wort durchgefuumlhrt wurde hat leider gereicht um diejenigen zu uumlberzeugen die nicht willens sind einen inzwischen sakrosankt gewordenen Glauben aufzu-geben oder sogar uumlber die reine Bedeutung von Woumlrtern hinaus nach dem Abs-trusen zu greifen Doch das Argument dient letztlich nur dazu um zu verwirren und abzulenken Wie N T Wright richtig bemerkte war das von Jesus in Markus 1228ff zitierte Shema tatsaumlchlich bdquounumstrittenrdquo1019 und die Aussage fuumlr jedermann simpel und klar

Bemerkenswert ist auch die griechische Interpretation des Shema Sowohl die Sep-tuaginta LXX (in 5 Mose 64) als auch das Neue Testament (in Markus 1229) lesen sich wie folgt bdquoDer Herr unser Gott ist ein Herrrdquo (Κύριος ὁ ἡμῶν Θεὸς ἡμῶν Κύριος εἷς ἐστιν) Das Wort fuumlr bdquoeinsrdquo hier das griechische bdquoheisrdquo (εἷς) ist der Begriff fuumlr eine einzelne Person - nie fuumlr mehrere Personen Wuest schreibt bdquoDas Wort bdquoeinerrdquo ist geschlechtsspezifisch maumlnnlich und damit persoumlnlich und be-zieht sich auf eine Personrdquo1020 Robertson identifiziert bdquoheisrdquo ebenfalls als bdquoeine Personrdquo1021 Dieses Wort stellt die trinitarische Interpretation vor groszlige Schwie-rigkeiten in den uumlber 90 Faumlllen erscheint das Wort im Neuen Testament in Bezug auf (den) Menschen aber es wird nie fuumlr mehr als eine Person verwendet Das gleiche Wort das den Menschen als einzelnes Selbst [ein Individuum] beschreibt wird verwendet um Gott als bdquoeinen Gottrdquo (Matt 1917 Markus 1229 Lukas 1819 Gal 320 1 Tim 25 etc) und auch als bdquoeinen Vaterrdquo (Matt 239 Joh 841 Hebr 211 etc) zu beschreiben Die Bezeichnung bdquoein Vaterrdquo beschreibt unmissverstaumlndlich eine Person da sind wir uns alle einig Aber was ist mit bdquoei-nem Gottrdquo oder bdquoeinem Herrnrdquo Die griechische Verwendung von bdquoeinem Herrnrdquo (Κύριος εἷς - Kyrios heis) durch die Juden ist klar In der altgriechischen (LXX) Version von Daniel 317 lesen wir bdquoDenn es gibt einen Gott der im Himmel ist unseren einen Herrn den wir fuumlrchtenrdquo Vergleichen wir dies mit dem entsprechen-den Gegenstuumlck im Neuen Testament in 1 Korinther 86 oder Epheser 45 wo wir lesen dass Jesus (eine Person) bdquoein Herrrdquo ist Wie die eine Person Jesu als ein Herr beschrieben wird so ist auch die eine Person Gottes in Daniel 317 und schlieszliglich im Shema von Markus 1229 als bdquoein Herrrdquo beschrieben

1019 Wright Jesus and the Victory of God p 305 (Jesus und der Sieg Gottes) 1020 Ebenso 1021 ldquoeine Person (εις mdash heis maumlnnlich singular) rdquo Siehe J A T Robertson ldquoCommentary on John

171rdquo Robertsonrsquos Word Pictures of the New Testament (Nashville Broadman Press 1932 1933)

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Nichtsdestotrotz versuchen einige moderne Trinitarier die augenfaumllligen Impli-kationen des Shema zu vermeiden indem sie behaupten dass die spezifische Art und Weise in welcher der juumldische Gott bdquoeinsrdquo ist nicht durch den Text gewaumlhr-leistet sei Fuumlr sie oumlffnet eine vermeintliche Ambiguitaumlt das Tor zur Spekulation Es gibt jedoch weder in 5 Mose 64 noch in Markus 1229 einen Grund warum christliche Leser diesen bdquoEinenrdquo in einem anderen Sinne verstehen sollten als in dem Sinn den der Rest der Bibel ihm beimisst Wenn die Bibel sagt dass Abra-ham bdquoeinseiner istrdquo sind wir dann frei zu spekulieren Wenn es auszligerdem wahr ist dass die Natur der bdquoEinheitrdquo Gottes wirklich nicht angesprochen wird stoumlrt das dann nicht sofort die Autoritaumlt der trinitarischen Erklaumlrung Warum ist die Erklaumlrung dass sich der bdquoEinerdquo nur auf eine Person bezieht als unguumlltig bezeich-net aber ein Bezug auf zwei drei oder mehr Personen nicht Wenn es um den bdquoEinenrdquo des Shema geht wirft diese trinitarische Interpretation die biblische Spra-che in ein eigentuumlmliches Durcheinander Ihre Bedeutung ist unbestimmt und alle Interpretationen sind moumlglich ausgenommen die unitarische Interpretation Dennoch bringen uns sowohl die biblische Exegese als auch die historische Ana-lyse zwangslaumlufig zum Schluss dass das Shema weder von den alten Israeliten noch von den Juden in der Zeit Jesu auf metaphysische Weise verstanden wurde die der Trinitarismus erfordert Da das Shema ein integraler Bestandteil der Sinai-Offenbarung an Israel war kann man davon ausgehen dass seine urspruumlngliche Bedeutung ebenfalls offenbart wurde Wir brauchen nicht zu schlussfolgern dass die Juden Gott missverstanden haben oder dass Gott Spielraum fuumlr eine abwei-chende Interpretation seines bdquowichtigsten Gebotesrdquo gelassen hat

LasstunsMenschenmachenVieles wurde aus der Mehrzahlform der Woumlrter gemacht die auf den ersten Sei-ten von 1 Mose verwendet werden Trinitarier belieben zu sagen dass das heb-raumlische Wort fuumlr Gott bdquoelohimrdquo das die Pluralendung bdquoimrdquo traumlgt die Existenz von mehr als einer Person in der Gottheit bezeichnet Sie nehmen an dass dieses Argument dadurch verstaumlrkt werde dass in der Schoumlpfungserzaumlhlung der Schoumlp-fer zu einem bdquoWirrdquo spricht bdquoGott (elohim) sprach Lasset uns Menschen machen ein Bild das uns gleich sei rdquo (1 Mose 126a)

Aber erfordert die Pluralform des Wortes bdquoelohimrdquo (deutsch unterschiedlich uumlbersetzt als Gott Goumltter Abgoumltter oder Goumltzen) wirklich eine Pluralitaumlt von Goumlttern oder dass der Schoumlpfer selbst aus mehr als einer Persoumlnlichkeit besteht Eine solche Schlussfolgerung zu ziehen uumlberschreitet die sprchlichen Schranken

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der Schrift Wie ein angesehener trinitarischer Gelehrter bekraumlftigt bdquoEs ist zwei-felhaft aus dem Namen selbst eine Vielzahl von Personen abzuleitenrdquo1022 Waumlh-rend bdquoelohimrdquo in den Hebraumlischen Schriften verwendet werden kann um sich auf mehrere goumlttliche Wesen zu beziehen (Jer 256) wird es auch fuumlr goumlttliche Wesen verwendet die in der Einzahl erscheinen Der Philistergott Dagon zum Beispiel der nachweislich keine Dreieinigkeit war wird bdquoelohimrdquo genannt1023 bdquoUnd als die Leute von Aschdod sahen dass es so zuging sagten sie Die Lade des Gottes Israels soll nicht bei uns bleiben Denn seine Hand liegt hart auf uns und auf unserem Gott (elohim) Dagonrdquo (1 Sam 57)

bdquoElohimrdquo ist nicht das einzige Substantiv im Hebraumlischen das in Pluralform er-scheint aber eine singulaumlre Bedeutung hat Geseniussbquo Hebraumlische Grammatik praumlsentiert dazu mehrere Beispiele bdquozequimrdquo (Alter ndash 1 Mose 4420) bdquopanimrdquo (Gesicht ndash 4 Mose 625) und bdquoneurimrdquo (Jugend - Ps 1274) Diese Woumlrter haben alle die Pluralendung bdquoimrdquo tragen aber eine singulaumlre Bedeutung Offensichtlich bestimmt die Form dieser Worte in keiner Weise ihren Sinn aber wir erhalten die einzigartige Bedeutung dieser seltenen Pluralformen durch die sie umgebenden Singularadjektive und Verben Konkret uumlber bdquoelohimrdquo sprechend kommentiert Gesenius bdquoDie Sprache lehnt die Idee der numerischen Pluralitaumlt in bdquoelohimrdquo (wenn sie einen Gott bezeichnet) voumlllig ab Das beweist vor allem dass die Be-zeichnung fast immer mit einem einzigen Attribut verbunden istrdquo1024 Das Wort bdquoelohimrdquo kann nicht aus seinem Zusammenhang gerissen werden und trotzdem die vom Autor beabsichtigte Bedeutung beibehalten Die verbundenen Worte bdquowirrdquo und bdquounserrdquo koumlnnen den Kontext in dem sie sich befinden nicht uumlberwin-den Die klare Meinung der Genesis [des Schoumlpfungsberichts] ist dass eine ein-zige individuelle Persoumlnlichkeit als Schoumlpfer fungierte Die Juden verstanden das sehr gut Charles Hunting und Anthony Buzzard schreiben in ihrem wegweisen-den Buch Die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes

Wir muumlssen die Tatsache respektieren dass die Vertrautheit der Ju-den mit ihrer eigenen Sprache sie nie schlussfolgern lieszlig eine Viel-zahl von Personen in der Gottheit sei in diesem Schoumlpfungskapitel der Genesis auch nur im Entferntesten angedeutet Fuumlr den Fall dass wir das Gefuumlhl haben die Juden haumltten in ihrer eigenen Bibel etwas verpasst sollten wir in den folgenden Versen (1 Mose 127-31) beachten dass das Singularpronomen immer mit dem Wort Gott verwendet wird bdquonach seinem eigenen Bild nach dem Bild Gottes hat er sie erschaffenrdquo (Vers 27) Aus diesem Vers in dem das persoumlnliche

1022 Ryrie p 58 1023 Siehe Charles Souvay ldquoDagonrdquo The Catholic Encyclopedia Vol 4 (New York Robert Appleton Com-

pany 1908) Web 12 August 2013 1024 E Kautzsch (ed) Geseniusrsquo Hebrew Grammar (Oxford Clarendon Press 1910) pp 398-399

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Fuumlrwort nach seinem eigenen Bild Gott in der Einzahl beschreibt laumlsst sich schwer herleiten dass eine Vielzahl von Wesen gemeint war Beachten wir weiter bdquoSiehe ich habe euch alles samentragende Kraut gege-ben hellip es soll euch zur Nahrung dienen Und Gott sah alles was Er (keine Mehrzahl) gemacht hatte und es war sehr gutrdquo (Verse 29-31)1025

Wie ist dann der Satz bdquoLasst uns Menschen machenrdquo in der Schoumlpfungsgeschichte zu verstehen Trotz der haumlufigen christlich-trinitarischen Spekulationen uumlber einen internen metaphysischen Dialog zwischen mehreren Personen [in der Gottheit] bietet der angesehene trinitarische Alttestamentforscher und Kommentator Gor-don Wenham etwas mehr Sicherheit in dieser Angelegenheit bdquoDie Christen ha-ben [1 Mose 126] traditionell als Vorahnung der Trinitaumlt gesehen [sie warf ihre Schatten voraus] Es ist inzwischen allgemein bekannt dass dies nicht das war was der Plural fuumlr den urspruumlnglichen Autor bedeuteterdquo1026 Vermutlich kann eine viel direktere und umfassendere Interpretation in dem Vorschlag gefunden wer-den dass Gott nicht zu einem anderen Aspekt von sich selbst spricht sondern zu seinen Engeln

bdquoLasst uns Menschen erschaffenrdquo sollte daher als eine goumlttliche An-kuumlndigung an den himmlischen Hofstaat betrachtet werden die die Aufmerksamkeit des Engelsheeres auf den Meisterakt der Schoumlp-fung den Menschen lenkt Und tatsaumlchlich deutet die Einzahl-Verwendung des Verbs bdquoerschaffenrdquo in 127 darauf hin dass Gott allein an der Erschaffung der Menschheit gearbeitet hat1027

Obwohl Wenham ein Trinitarier immer noch daran festhaumllt dass Christus mit dem Vater bei der Schoumlpfung aktiv war gibt er zu dass bdquosolche Einsichten si-cherlich jenseits des Horizonts des Urhebers der Genesis lagenrdquo1028 Wie beim Rest des Alten Testaments finden wir in Bezug auf die Lehre der Dreifaltigkeit absolutes Schweigen Dass der Schoumlpfer der Genesis nicht beabsichtigte den Dreifaltigkeitsbegriff einzubringen sondern Gott einfach als den alleinigen Schoumlpfer [Kreator] darzustellen der zu seinem heiligen Rat [oder Entourage] spricht wird allgemein unterstuumltzt Die sonst notorisch protrinitarische NIV-Stu-dienbibel enthaumllt auf Englisch sogar diese Notiz (unsere Uumlbersetzung)

1025 Anthony F Buzzard Charles F Hunting The Doctrine of the Trinity Christianityrsquos Self-Inflicted

Wound (Lanham International Scholars Publications 1998) p 23 (Die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes)

1026 Wenham p 27 1027 Ebenso p 28 1028 Ebenso

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bdquoWir uns unser rdquo Gott spricht als Schoumlpferkoumlnig und ver-kuumlndet den Mitgliedern seines himmlischen Hofes sein krouml-nendes Werk (siehe 1 Mose 322 117 Jesaja 68 1 Koumlnige 2219-23 Hiob 158 Jeremia 2318)1029

Aus den biblischen Dokumenten lernen wir an anderer Stelle dass die Engel bei der Erschaffung unserer Welt anwesend waren und mit Gott interagierten bdquoWo warst du als ich die Erde gruumlndete als die Morgensterne miteinander jauchzten und alle Gottessoumlhne jubeltenrdquo (Hiob 384a7)1030 Die Frage ist sicherlich berechtigt ob es theologisch die beste Vorgehensweise ist andere Persoumlnlichkeiten (wie Jesus) die hier nicht erwaumlhnt sind in das etablierte Schoumlpfungsszenario miteinzubringen

An mehreren Stellen in der Bibel ist zu finden dass Gott sich mit seiner himmli-schen Ratsversammlung der Engel im Plural auf sich selbst bezieht wenn er sich direkt mit den Engeln seiner Gefolgschaft uumlber wichtige Dinge austauscht

Im Todesjahr des Koumlnigs Usija da sah ich den Herrn sitzen auf hohem und erhabenem Thron und die Saumlume seines Gewandes fuumlllten den Tempel Serafim standen uumlber ihm Jeder von ihnen hatte sechs Fluumlgel mit zweien bedeckte er sein Gesicht mit zweien bedeckte er seine Fuumlszlige und mit zweien flog er (Vers 8) Und ich houmlrte die Stimme des Herrn der sprach Wen soll ich senden und wer wird fuumlr uns gehen Da sprach ich Hier bin ich sende mich (Jesaja 61-28)

Und Micha sprach Darum houmlre das Wort des HERRN Ich sah den HERRN auf seinem Thron sitzen und das ganze Heer des Himmels stand um ihn zu seiner Rechten und zu seiner Linken

Und der HERR sprach Wer will Ahab betoumlren dass er hinaufzieht und bei Ramot in Gilead faumlllt Und der eine sagte dies und der andere sagte das Da trat der Geist hervor und stellte sich vor den HERRN und sagte Ich will ihn betoumlren Und der HERR sprach zu ihm Womit Da sagte er Ich will ausgehen und will ein Luumlgengeist sein im Mund aller seiner Propheten Und er sprach Du sollst ihn betoumlren und wirst es auch koumlnnen Geh aus und mache es so (1 Koumlnige 2219-22)

1 Mose 126 erklaumlrt Gott kein Selbstgespraumlch zu fuumlhren oder mit einem Teilas-pekt von sich selbst zu reden sondern mit seinem Engelsrat Das war auch das Verstaumlndnis der juumldischen Schriftgelehrten im Laufe der Geschichte Philon der

1029 NIV Study Bible (Grand Rapids Zondervan 1985) p 7 1030 Siehe Hiob 16 21 1 Mose 62

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alexandrinische Jude der um die Zeit von Christus lebte schrieb in seinem Kom-mentar dass in 1 Mose 126 bdquoder Vater des Universums zu seinen eigenen Heerscharen sprichtrdquo1031 Das Targum von Pseudo-Jonathan eine aramaumlische Uumlbersetzung die angeblich aus dem vierten Jahrhundert stammt sagt bdquoUnd der Herr sprach zu den Engeln die vor ihm dienten die am zweiten Tag der Erschaffung der Welt geschaffen worden waren lasst uns den Menschen nach unserem Bild nach un-serem Ebenbild machenrdquo1032 In einem neueren rabbinischen Kommentar heiszligt es bdquoGott hat sich mit den Dienstengeln beraten und zu ihnen gesagt Lasst uns erschaffenrdquo1033

Wir sollten die Einfachheit der obigen Interpretation gegen die Unwahrschein-lichkeit der trinitarischen Standardansicht beruumlcksichtigen Wenn die Trinitarier uumlberdies sagen dass die von Gott in 1 Mose 126 verwendete plurale Sprache eine Vielzahl von Personen in Gott bedeute dann folgt daraus nur dass Gottes Verwendung von singulaumlren Personalpronomen anderswo lediglich eine Person anzeigt Wenn bdquoWirrdquo die angeblichen drei Personen in 1 Mose 126 bedeutet dann wenn Gott sagt bdquoIch bin Jahwe und es gibt keinen anderen auszliger mir gibt es keinen Gottrdquo (Jes 455) dann gibt es nur eine Person die Gott ist Sicherlich ist es nicht die Absicht des Trinitariers dass wir diese Schlussfolgerung ziehen aber er kann es nicht in beiden Richtungen haben Entweder ist der biblische Gebrauch von Pronomen ein effektiver Weg um zu erkennen wie viele Personen in Gott sind oder eben nicht Letztendlich sollten wir nicht zu viel aus 1 Mose 126 machen Es ist wirklich eine eher unpraumltentioumlse Passage1034

1031 Philon (i 556 ed Mangey) 1032 1 Mose 126 Targum des Pseudo-Jonathan 1033 Solomon Buber (ed) Pesikta de-Rav Kahana (Lyck 1868) 34a 1034 Zusaumltzlich zur Interpretation mit dem himmlischen Engelsgericht gibt es noch eine weitere wenn

auch weniger populaumlre (und weniger wahrscheinliche) Interpretation der Genesis-Phrasierung die jegli-che trinitarische Implikationen meidet Einige Wissenschaftler sind der Uumlberzeugung dass die Ver-wendung der Pluralpronomen bdquounsrdquo und bdquowirrdquo in der Genesis einfach Hebraismen sind Wendungen der hebraumlischen Sprache die die uumlberflieszligende Groumlszlige des Themas hervorheben wollen So wird beispielsweise in 1 Mose 423033 Josef als bdquodie Herren des Landesrdquo bezeichnet Dies nennt man bdquoplu-ralis maiestatis oder Majestaumltspluralldquo die Verwendung mehrerer Begriffe zur Beschreibung eines einzelnen Subjekts Ein aumlhnliches Konzept in der westlichen Sprache koumlnnte das bdquokoumlnigliche Wirrdquo sein Paumlpste Bischoumlfe und Koumlnige der viktorianischen Aumlra sind bekannt dafuumlr dass sie das koumlnigliche bdquoWirrdquo benutzt haben um sich in ihren offiziellen Erklaumlrungen auf sich selbst zu beziehen Die Schoumlpfung des Menschen in der Genesis ist sicherlich ein heiliger koumlniglicher Akt und eine solche Sprache kann in ihrem Bericht verwendet werden Zur Unterstuumltzung dieser Ansicht enthaumllt The Liberty Annotated Study Bible herausgegeben vom trinitarischen baptistischen Minister Jerry Falwell eine Notiz zu 1 Mose 126 die argumentiert dass bdquodas Pluralpronomen sbquoUnsrsquo houmlchstwahrscheinlich ein majestaumltischer Plural aus der Sicht der hebraumlischen Grammatik und Syntax istrdquo (Jerry Falwell (Hrsg) Liberty Annotated Study Bible (Lynchburg Liberty University 1988) S 8) Waumlhrend fruumlhere Theologen 1 Mose 126 als Hinweis auf die Dreifaltigkeit angesehen haben betrachten moderne Analysten (sowohl trinitarisch als auch anderweitig) sie allgemein entweder als eine Vielzahl von Majestaumlt (von denen einige sie sogar als die einzig moumlgliche Erklaumlrung bestaumltigen siehe Keil amp Delitzsch Kommentar zum Alten Testament Bd I (Peabody Hendric 1989) S 62) oder als eine Erklaumlrung an Gottes Engelsgericht Unabhaumlngig davon

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WarJesusderSchoumlpferinderGenesis-GeschichteAuf keinen Fall sollten wir das unmittelbare Zeugnis Jesu uumlber die Identitaumlt des Schoumlpfers auszliger Acht lassen bdquoEr aber antwortete und sprach Habt ihr nicht gelesen dass der welcher schuf von Anfang an Mann und Frau schufrdquo (Matthaumlus 194) Man beachte dass Jesus weder in der Mehrzahl redet also nicht von bdquowirrdquo oder auch nicht von bdquoichrdquo spricht wenn er den identifiziert der den Menschen erschuf Wenn auch selten so findet man doch ab und zu Trinitarier die zugeben bdquo[Jesus] hat sich nie zum Schoumlpfer der Welt erklaumlrt ein Argument das offenbar die Soci-nianer [biblische Unitarier 16 Jh] positiv vertratenrdquo1035 Fuumlr Jesus war der Schoumlpfer in der Tat kein Geringerer als der Gott der Juden eine Person die er immer wieder als Vater identifizierte bdquo mein Vater ist es von dem ihr [die Juden] sagt Er ist unser Gottrdquo (Johannes 854)

Dessen ungeachtet haben einige versucht apostolische Verse wie bdquoAlles wurde durch dasselbe und ohne dasselbe wurde auch nicht eines das geworden istrdquo (Jo-hannes 13 ELB) und bdquo es ist alles durch ihn geschaffenrdquo (Kolosser 116 ELB) als Beweis anzufuumlhren dass Jesus derjenige war durch den die Schoumlpfung der Ge-nesis persoumlnlich vollbracht wurde Aber wir begegnen in diesen Zitaten sowohl einer missbraumluchlichen Verwendung von biblischen Ausdruumlcken als auch Vorur-teilen der Bibeluumlbersetzungen Ein Gelehrter bemerkt bdquoWeder Paulus noch ein anderer Autor des Neuen Testaments setzt die griechische Praumlposition bdquoenrdquo mit bdquodurchrdquo oder bdquovonrdquo [im Sinne von bdquomittelsrdquo] gleich wenn er von der Taumltigkeit des Sohnes oder des Logos in der Schoumlpfung sprichtrdquo1036 Die meisten Versionen der deutschen Bibeluumlbersetzungen geben das griechische bdquoenrdquo jedoch auf Deutsch mit bdquodurchrdquo wieder Viele moderne Bibelherausgeber (im englischen Sprach-raum) haben erkannt dass hier die Praumlposition bdquoenrdquo mit bdquofuumlrrdquo oder bdquowarumrdquo ste-hen sollte Einige groumlszligere englische Uumlbersetzungen haben diesen Fehler im Jo-hannes-evangelium korrigiert Ein Theologe und Bibelverleger bestaumltigt dies

Die (englische) King James Version der Bibel fuumlhrt uns in dieser Angelegenheit in die Irre Im ersten Kapitel des johanneischen Be-richts lesen wir dass bdquoalle Dinge durch ihn geschaffen wurdenrdquo (Jo-hannes 13) und wieder bdquodie Welt wurde durch ihn geschaffenrdquo (Jo-hannes 110) In beiden Faumlllen sollte es bdquofuumlrrdquo heiszligen Der Logos oder das Wort Gottes war das Mittel um alles zu machen nicht die

welche Interpretation man favorisiert vermeiden beide philosophische und theologische Anachronis-men auf den Schreiber der Genesis zu projizieren

1035 Flatt pp 174-175 1036 Ezra Abbot The Authorship of the Fourth Gospel and Other Critical Essays (Boston Geo H Ellis

1888) p 369

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effiziente erste Ursache von allem Christus wird nie als absolute Quelle dargelegt1037

Auch Origenes kam im dritten Jahrhundert zum Schluss sollte das apostolische Zeugnis davon sprechen dass Dinge bdquodurchrdquo Christus gemacht wurden dies kein Argument ist dass der Sohn selbst der Urheber des schoumlpferischen Aktes war

Und der Apostel Paulus sagt in seinem Brief an die Hebraumler (11-2)

bdquohellip hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn den er zum Erben aller Dinge eingesetzt hat durch den er auch die WeltenZeitalter gemacht hatrdquo und zeigte uns dass Gott die Zeitalter durch seinen Sohn gemacht hat die bdquodurch dierdquo Zugehoumlrigkeit wenn die Zeitalter durch den eingeborenen [Sohn] gemacht wurden Wenn also alle Dinge wie auch in diesem Abschnitt durch den Logos gemacht wurden dann wurden sie nicht durch den Logos gemacht sondern durch einen staumlrkeren und groumlszligeren als er Und wer sonst koumlnnte das sein als der Vater1038

Ohne Frage fuumlr die Juden Jesus einschlieszliglich ist die schoumlpferische Quelle und Hauptursache fuumlr alles der Vater bdquo ein Gott der Vater aus dem das All ist rdquo (1 Kor 86a) Fuumlr die Fruumlh-Christen war Jesus nicht der Urheber sondern der Kanal oder das Mittel durch den Gottes Aktivitaumlt und Ausdruck flieszligen bdquo und es gibt nur einen Herrn Jesus Christus durch den alles kam und durch den wir lebenrdquo (1 Kor 86b)

Viele Christen behaupten in der Regel dass der Sohn nicht nur waumlhrend der Schoumlpfung anwesend war sondern derjenige war der die Schoumlpfung in die Tat umsetzte John MacArthur schreibt dass Jesus bdquodie Welt bei der Schoumlpfung ins Leben gerufen hatrdquo1039 und andere Apologeten wiederholen seine Behauptung Mehr noch sie erklaumlren dass bdquoGott der Vater die Welt geplant hat aber Jesus (das Wort) sie ins Leben gerufen hatrdquo1040 Die Bibel zeigt nirgendwo eine solche Dar-stellung Weit davon entfernt bietet das Neue Testament das Bild eines Sohnes der erst vor kurzem auf den Plan gerufen wurde der Sohn wird nirgends praumlsen-tiert wie wenn er zu irgendeinem Zeitpunkt vor seiner Geburt gesprochen haumltte sondern

nachdem Gott vielfaumlltig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vaumltern geredet hat in den Propheten hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet

1037 Adolph Ernst Knoch Christ and Deity (Birkenfeld Concordant Publishing 1958) p 45 1038 Origen Commentary on John The Ante-Nicene Fathers Vol 10 Book 2 (Grand Rapids Eerdmans 1969)

p 328 1039 John F MacArthur The MacArthur Bible Commentary (Nashville Thomas Nelson 2005) p 1368 1040 James B Hoffman Sin and Life in the Kingdom of God (Indianapolis Dog Ear Publishing 2009) p 320

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im (gr en) Sohn den er zum Erben aller Dinge eingesetzt hat durch (gr dia) den er auch die Welten gemacht hat (Hebraumler 11-2 ELB)

Hier (Hebr 11-2) wird ein Zeitraum beschrieben in dem der Sohn - trotz der verschiedenen christologischen Theorien uumlber eine Vielfalt von Aktivitaumlten Jesu Christi vor der Geburt ndash keine aktive Rolle in der goumlttlichen Offenbarung hatte Justin der Maumlrtyrer wenn wir uns an den ersten Teil dieses Buches erinnern glaubte beispielsweise dass bdquoder Engel des Herrnrdquo der zu den Hebraumlern sprach eigentlich Christus war Ebenso gibt es heute noch einige Christen besonders in evangelikalen Kreisen die meinen dass der Priester Melchisedek der mit Abra-ham sprach in Wahrheit der Sohn war bevor er geboren wurde1041 Der evange-likale Autor Hank Hanegraaff wiederum schreibt bdquoMelchisedek ist in Wirklich-keit eine Christophanie [eine Christus-Erscheinung] Er ist in der Tat eine vorge-burtliche Gestalt von Jesus Christusrdquo1042 Aber Gott hat nach Hebraumler 1 bis in die letzten Tage dh bis in die Tage des Dienstes Christi und der Gruumlndung der Kirche ausdruumlcklich nicht durch seinen Sohn zu den Vaumltern gesprochen Es ist ein Ding der Unmoumlglichkeit zu sagen dass es tatsaumlchlich der Sohn war der in 1 Mose 14 zu Abraham gesprochen habe Es bereitet auch groszlige Schwierigkeiten zu sagen dass der Sohn derjenige war der die Schoumlpfung in die Existenz gerufen habe

Gott allein ist immer die schoumlpferische Quelle bdquoIch der Herr bin der Schoumlpfer aller Dinge der den Himmel allein ausstreckt und die Erde ganz allein ausbreitetrdquo (Jesaja 4424) Tatsaumlchlich ist Gottes Sprache die seine eigene Souveraumlnitaumlt beschreibt nach-druumlcklich

Ich bin der HERR und sonst keiner Auszliger mir gibt es keinen Gott Ich guumlrte dich ohne dass du mich erkannt hast damit man erkennt vom Auf-gang der Sonne und von ihrem Untergang her dass es auszliger mir gar keinen gibt Ich bin der HERR - und sonst keiner - der das Licht bildet und die Finsternis schafft Ich der HERR bin es der das alles wirkt (Jesaja 455-7a)

Gott sagt nicht bdquoEs gibt keinen anderen als unsrdquo oder bdquokeinen anderen als unsere Substanzrdquo Gott sagt bdquoes gibt keinen anderen als sbquomichlsquo das heiszligt sbquomich persoumln-lichlsquo So wird er vernuumlnftigerweise als der einzige Vater verstanden diese Person

1041 bdquoIn der Tradition der fruumlhen Kirche stimulierte die patristische Reflexion uumlber die Bedeutung von

Melchisedek christologische Formulierungen insbesondere von Christus vor der Inkarnation und waumlhrend seiner Praumlexistenz Der Vergleich zwischen Christus und Melchisedek lieferte Augustinus die Grundlage fuumlr ein tiefes theologisches Denken das die Basis seiner Christologie und marianischen The-ologie bildetrdquo (John M Norris ldquoAugustinersquos Interpretation of Genesis in the City of God XI-XVrdquo Studia Patristica Vol XLIII (Louvain Peeters Publishers 2006) p 218)

1042 Hank Hanegraaff ldquoWer War Melchizedekrdquo Hank Hanegraaff Blogspot 13 September 2010 Web 22 December 2015 lthttphankhanegraaffblogspotcom201009who-was-melchizedekhtmlgt

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die sagt dass niemand sonst Gott ist als er und dass niemand anderes das Uni-versum ins Leben gerufen hat als er bdquoDenn er sprach und es war geschehenrdquo (Psalm 339) und bdquoauf seinen Befehl hin wurden sie erschaffenrdquo (Psalm 1485)

Jesus selbst bestaumltigt den Juden nicht nur dass ein anderes Individuum fuumlr die Schoumlpfung verantwortlich war (Matthaumlus 194) sondern sagt zudem klipp und klar dass bdquoGott die Welt geschaffen hatrdquo (Markus 1319) Damit meint er nie-mand anderes als den Gott der Juden Jesus identifizierte den traditionellen Gott der Juden als bdquoden Vaterrdquo (Johannes 854) Fuumlr die Juden war der Schoumlpfergott schon immer der Vater gewesen bdquoHaben wir nicht alle einen Vater Hat uns nicht ein einziger Gott erschaffenrdquo (Maleachi 210) Selbst im trinitarischen System ist der Vater ausdruumlcklich nicht der Sohn so sind sich auch die Trinitarier einig dass wenn Jesus von bdquoGottrdquo spricht er bdquoden Vaterrdquo meint Es ist dieser traditionelle Gott der Vater der sagt dass er die Schoumlpfung der Genesis bdquoganz alleinrdquo (Jesaja 4424) vollbracht hat Dies schlieszligt den Sohn oder sonst jemanden eindeutig aus

Wir muumlssen verstehen dass im Judentum der Schoumlpfer keine Gottheit im plato-nischen Sinne ist Entgegen der Meinung der griechischen Kirchenvaumlter verlangt Gott keinen Zwischenhaumlndler der seine bdquoDrecksarbeitrdquo fuumlr ihn erledigt Er be-nutzt keinen Demiurgen (keinen Engel und keinen ewigen Sohn) um zu erschaf-fen - die Schoumlpfung vollbringt er selbst bdquoHat meine Hand nicht all diese Dinge erschaffenrdquo (Jesaja 662) Die kreative Taumltigkeit die er ausuumlbt ist immer direkt und persoumlnlich Die Hebraumler sehen das genauso bdquoDeine Haumlnde haben mich gemacht und geformtrdquo (Psalm 11973) und in diesem Punkt steht Jesus ebenfalls in voller Uumlbereinstimmung bdquoGott (der Vater) hat geschaffenrdquo (Markus 1319)

JesusunddaskuumlnftigeZeitalterDie zuvor zitierte Bibelstelle im Hebraumlerbrief 12 die lautet bdquo in seinem Sohn durch den er auch die Welt erschaffen hatrdquo ist symbolisch fuumlr das trinitarische Bemuuml-hen Jesus mit der Schoumlpfung der Genesis in Verbindung zu bringen Einige Uumlbersetzungen geben bdquodie Weltenldquo wieder und die Einheitsuumlbersetzung sowie die Neue Evangelische Uumlbersetzung machen sogar daraus bdquodurch wen er das ganze Uni-versum geschaffen hatrdquo Das Wort das hier mit bdquoUniversumrdquo und bdquoWeltWeltenrdquo uumlbersetzt wird ist eigentlich vom griechischen bdquoaionrdquo hergeleitet was woumlrtlich bdquoZeitalterrdquo oder verdeutscht bdquoAumlon(en)rdquo bedeutet1043 Die meisten Versionen uumlbersetzen den Ausdruck mit bdquoWeltWeltenrdquo die Konkordante Uumlbersetzung (von 1958) lautet bdquodurch welchen er auch die Aumlonen machtrdquo Der Autor des Hebraumler-briefs koumlnnte andere griechische Begriffe verwendet haben um den Planeten

1043 Siehe Thayers Griechisches Lexikon Siehe auch Englishmans das bdquoaionrdquo als bdquofuumlr immer ein unge-

brochenes Zeitalterrdquo definiert und Strongs das es als bdquoein Zeitalter einen Zeitzyklus insbesondere des gegenwaumlrtigen Zeitalters im Gegensatz zum zukuumlnftigen Zeitalter und eines aus einer Reihe von Zeit-altern definiert die sich bis zur Unendlichkeit erstreckenrdquo

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Erde oder das erschaffene Universum zu bezeichnen wie bdquooikoumenerdquo oder bdquokos-mosrdquo aber er bezog sich bewusst auf die Zeitalter Vom uumlbrigen Inhalt des Hebrauml-erbriefs koumlnnen wir annehmen dass dies die Zeit der bdquokommenden Welt ist uumlber die wir sprechenrdquo (Hebraumler 25)

Doch was bedeutet es dass die Zeitalter der kommenden Welt durch Christus gemacht werden Das alte griechische Verb bdquogemachtrdquo (poieo) hat eine breite Be-deutung und wird auf dutzende verschiedene Arten wiedergegeben1044 Man koumlnnte hier bdquoetabliertrdquo uumlbersetzen In Hebraumler 11a 2b sehen wir dass es eigentlich bdquoGottrdquo war der die Zeitalter festlegte oder eben etablierte Der Sohn ist demzu-folge nicht der urspruumlngliche Schoumlpfer unseres Planeten sondern derjenige durch den Gott das neue Zeitalter nach der Auferstehung Christi die neue Welt-ordnung Gottes sein neues System der Dinge bdquoetabliertrdquo hat In der Tat als Gott Christus erhoumlhte hat er auch die Machtstruktur des Universums dramatisch ver-aumlndert Der Hebraumlerbrief sagt dass bdquoals [Jesus] die Reinigung der Suumlnden vorgenommen hatterdquo dh nach seinem Tod und seiner Auferstehung bdquoer sich zur rechten Hand der Majestaumlt in der Houmlhe setzte und so viel besser geworden war als die Engelrdquo (Hebr 13b-4a) Auf Gottes Befehl sind die Engel jetzt Jesus untertan Paulus schreibt

Ich bete darum dass Gott ndash der Gott unseres Herrn Jesus Christus der Vater dem alle Macht und Herrlichkeit gehoumlrt mit der er am Werk war als er Christus von den Toten auferweckte und ihm in der himmlischen Welt den Ehrenplatz an seiner rechten Seite gab Damit steht Christus jetzt hoch uumlber allen Maumlchten und Gewalten hoch uumlber allem was Auto-ritaumlt besitzt und Einfluss ausuumlbt er herrscht uumlber alles was Rang und Namen hat ndash nicht nur in dieser Welt sondern auch in der zukuumlnftigen (Epheser 117a 20-21 NGUuml)

Man beachte die Betonung des Paulus dass Gott der Vater der Gott unseres Herrn Jesus Christus eine neue Machtstruktur geschaffen hat als er Christus er-hob eine neue Organisation die bis in bdquodas kommende Zeitalterrdquo andauert Und so stimmt der Autor des Hebraumlerbriefs der Aussage zu dass bdquodie Zeitalterrdquo von Gott durch Jesus bdquoetabliertrdquo wurden dh die Neuordnung der Himmel und der Erde wurde infolge der Erhebung Jesu durch den Vater zu seiner Rechten einge-leitet

Vor diesem Hintergrund wird auch die im Volksmund zitierte Stelle in Kolosser 115-16 immer noch eine der am heftigsten diskutierten Passagen im Neuen Tes-tament verdeutlicht In der Regel wird der Text von Trinitariern auf diese Weise wiedergegeben

1044 Die NASB hat bdquopoieordquo auf folgende Weise definiert vollendet gehandelt ernannt engagiert etabliert

ausgefuumlhrt aufgefuumlhrt komponiert produziert gearbeitet etc

Der juumldische Schoumlpfer

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Der Sohn ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes der Erstgeborene der uumlber der gesamten Schoumlpfung steht Denn durch ihn wurde alles erschaffen was im Himmel und auf der Erde ist das Sichtbare und das Unsichtbare Koumlnige und Herrscher Maumlchte und Gewalten Das ganze Universum wurde durch ihn geschaffen und hat in ihm sein Ziel

- (Kolosser 115-16 NGUuml)

Zuerst muumlssen wir feststellen dass Paulus diesen Brief an die Kolosser geschrie-ben hat weil sie sich von Christus als dem Haupt des Leibes geloumlst hatten (Ko-losser 219) Paulus arbeitet hier in erster Linie daran die Bedeutung Christi als Fundament der gegenwaumlrtigen Kirche und des kommenden messianischen Zeit-alters zu unterstreichen

Zweitens ist Vers 15 im obigen Abschnitt tatsaumlchlich eines der staumlrksten Zeug-nisse gegen die Gottheit Christi Fuumlr Paulus ist Jesus nicht der unsichtbare Gott selbst er ist das Bild des unsichtbaren Gottes Das griechische Wort fuumlr bdquoBildrdquo ist hier bdquoeikonrdquo definiert als bdquoein Abbild (woumlrtlich) eine Statue ein Profil oder (bildlich) eine Darstellung ein aumlhnliches Bildrdquo Wir muumlssen betonen dass das Bild von etwas nicht die Sache selbst ist sondern nur eine Darstellung der Sache des Originals In Lukas 2024 und Markus 1216 fragte Jesus die Juden wessen bdquoBildrdquo (eikon) auf dem Denar stand und sie antworteten bdquoCaumlsarsrdquo Natuumlrlich war Caumlsar selbst nicht auf der Muumlnze es war nur eine Praumlgung von Caumlsar eine Abbildung Ebenso ist Jesus nicht Gott selbst sondern eine Repraumlsentation von ihm ja sogar die bdquogenaue Darstellungrdquo (Hebraumler 13) aufgrund seiner vollkommenen Wieder-gabe der Eigenschaften Worte und Werke Gottes Zu sagen dass Jesus bdquoder Erstgeborene der ganzen Schoumlpfungrdquo ist (Vers 15b) stellt ihn zudem direkt in den Bereich der geschaffenen Dinge1045 Die Bezeichnung bdquoErstgeborenerrdquo be-deutet einfach dass er innerhalb dieser Gruppe [von Geborenen] herausragt so-wie unter den anderen Subjekten in dieser Kategorie Vorrang hat1046 Wie die

1045 Man beachte auch Offenbarung 314 wo Jesus als bdquoAnfang der Schoumlpfung Gottesrdquo oder bdquoUrsprung

der Schoumlpfung Gottesrdquo beschrieben wird 1046 Viele bdquoArianerrdquo haben versucht mit diesem Vers zu zeigen dass ein bereits existierender Sohn

chronologisch die erste Schoumlpfung Gottes war bevor er die Welt erschaffen hat Aber bdquoErstgeborenerrdquo wird sowohl im Alten als auch im Neuen Testament verwendet um nicht nur die Chronologie sondern auch die rangmaumlszligige Prioritaumlt anzugeben bdquoDem Erstgeborenen wurde von seinen Eltern Vorrang oder Vortritt sowie das beste Erbe gegeben Erstgeborener kann auch bildlich verwendet werden um das Groumlszligte oder Beste von etwas zu bezeichnen Zum Beispiel bedeutet der Ausdruck bdquoder Erstgeborene der Armenrdquo (Jes 1430) einen der aumluszligerst arm ist oder den Aumlrmsten der Armen Protokos das griechische Wort fuumlr bdquoErstgeborenerrdquo wird im Neuen Testament achtmal verwendet meist mit Bezug auf Jesus Er heiszligt Marias erstgeborener Sohn (Lukas 27) der Erstgeborene der ganzen Schoumlpfung (Kolosser 115) der Erstgeborene der Toten (Kolosser 118 Offb 15) der Erstgeborene der Familie Gottes (Roumlmer 829) und einfach der bdquoErstgeborenerdquo (Heb 16 1223) Die Absicht all dieser Hinweise ist es die Pri-oritaumlt und Vorrangstellung Jesu in der Kirche als Erstgeborener aus den Toten und Erstgeborener aus der ganzen Familie Gottes zu zeigen

Der juumldische Schoumlpfer

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King James Version der Bibel es ausdruumlckt ist Jesus der bedeutendste bdquovon allen Geschoumlpfenrdquo (KJV) Wir muumlssen zum Schluss kommen dass Jesus von Paulus als bdquoErstgeborenerrdquo bezeichnet wird in dem Sinne dass er der Erste in der Hierar-chie oder im Rang ist denn mehrere Verse spaumlter sagt Paulus dass Jesus der bdquoErstgeborene von den Totenrdquo wurde und zwar bdquoder Erste der von den Toten auferstand denn nach Gottes Plan soll er in allem den ersten Platz einnehmenrdquo (Kolosser 118 NGUuml)

Kolosser 116 wird von vielen trinitarisch orientierten Uumlbersetzungen mit bdquodenn durch ihn wurden alle Dinge geschaffenrdquo wiedergegeben (Hoffnung Fuumlr Alle Neue Genfer Neues Leben Neue Evangelische Uumlbersetzung) Das ist nicht die beste Formulierung Mehrere Versionen (wie die Luther Elberfelder Schlachter Zuumlr-cher Gute Nachricht Menge und Einheitsuumlbersetzung) geben den Vers besser wieder bdquodenn in ihm sind alle Dinge entstandenrdquo Der griechische Ausdruck fuumlr bdquoin ihmrdquo ist bdquoen autordquo Das bdquoenrdquo hier ist kausal und bedeutet wie Buzzard richtig fest-stellt bdquowegen ihm um seinetwillen mit ihm im Blick mit ihm in der Absichtrdquo1047 Wir muumlssen jedoch unsere groumlszligte Aufmerksamkeit auf den folgenden Satz bdquowur-den geschaffenrdquo in 116b richten Dies ist die aoristische (die erzaumlhlende Zeitform in der Vergangenheit) Form des bdquoSchaffensrdquo und ein verbales Konstrukt bekannt als bdquogoumlttliches Passivumrdquo1048

Wenn Handlungen ins Passiv gestellt werden ist Gott der offensichtliche Verursa-cher1049 Zum Beispiel bedeutet bdquodenen die haben wird mehr gegeben werdenrdquo (Markus 425) bdquodenen die haben wird Gott mehr gebenrdquo Das goumlttliche Passivum tritt in mindestens sechsundneunzig verschiedenen Instanzen in der Synoptik auf1050 Es mag sogar ein Weg fuumlr den frommen Juden gewesen sein der es vermeiden wollte Gott nicht zu missachten von ihm zu sprechen ohne seinen Namen zu nennen1051 Es gibt uumlber fuumlnfzig Faumllle im Neuen Testament in denen Gott der

1047 Anthony F Buzzard The One God the Father One Man Messiah Translation (McDonough Restoration

Fellowship 2015) p 497 (Der Eine Gott der Vater und der Mensch Merssias) Buzzard zitiert verschiedene Quellen uumlber die kausale Natur des Griech ldquoenrdquo Expositorrsquos Greek Testament Vol 3 p 504 Turner A Grammar of NT Greek Vol 3 p 253 Dunn Christology in the Making p 190

1048 J A T Robertson schreibt dass hier bdquogeschaffenrdquo bdquoder konnotative Aorist passiv der auf bdquoekistherdquo hinweist wurden angelegt (ektistai) Perfekt Passiv von kitzo das anzeigt bdquowar geschaffenrdquo bdquobleibt geschaffenrdquo bdquoChristus ist der Vermittler und Erhalterrdquo (John A T Robertson Word Pictures in New Testament Vol IV (Grand Rapids Baker Book House 1933) S 478) Garland schreibt auch dass dies bdquoein goumlttliches Passivumrdquo ausdruumlckt bdquoin ihm (nicht durch ihn) wurden alle Dinge geschaffenrdquo (David E Garland The NIV Application Commentary Colossians Philemon (Grand Rapids Zondervan 1998) p 44)

1049 Daniel B Wallace Greek Grammar Beyond the Basics (Grand Rapids Zondervan 1996) p 437 (Griechische Grammatik Etwas uumlber die Grundbegriffe hinaus)

1050 Robert H Stein The Method and Message of Jesusrsquo Teaching (London Westminster John Knox Press 1994) p 64

1051 J Jeremias New Testament Theology (New York Scribnerrsquos 1971) pp 9-14

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Vater als Schoumlpfer bezeichnet wird1052 Wenn Paulus den Christen von Kolossauml sagt bdquoIn ihm sind alle Dinge geschaffen wordenrdquo dann will er den Mann aus Nazareth nicht als Schoumlpfer feiern sondern meint bdquowegen Jesus sind alle Dinge von Gott dem Vater geschaffen wordenrdquo

Was hat Gott hier in Kolosser 116ff geschaffen War es die Schoumlpfung der Ge-nesis oder die neue messianische Machtstruktur Selbst Trinitarier wie Thomas C Oden geben zu dass bdquo sbquoalle Dingersquo in Kolosser 116 als Bezugnahme auf den ganzen Kosmos oder auf die neue Schoumlpfung in Christus verstanden werden koumlnntenrdquo1053 Viele sind uumlberzeugt dass Paulus diese neue Schoumlpfung im Sinn hatte nicht die urspruumlngliche Genesis unserer Welt des Universums des Alls1054 Ein Grund dafuumlr ist dass der Kontext der Passage nicht auf die Schoumlpfung der Genesis zu verweisen scheint in der die Lichter Pflanzen und Tiere erschaffen wurden Stattdessen spricht der Kolosserbrief uumlber Throne Herrschaften und Autoritaumlten - als ob eine neue Regierung zu bilden waumlre Wenn das der Fall ist haben wir bereits gesehen dass es der Gott von Jesus der Vater war der - durch die Erhoumlhung Christi - sowohl eine neue himmlische Hierarchie als auch ein neues Zeitalter etablierte (Hebraumler 113-4 25 Epheser 117a 20-21)1055

Doch auch wenn Paulus hier auf die Schoumlpfung der Genesis Bezug nehmen wollte kann daraus letztlich keine bdquoJesus ist Gottrdquo Interpretation hergeleitet wer-den Es ist immer noch Gott der Vater der in beiden Faumlllen die Schoumlpfung in-szeniert Aber was koumlnnte Paulus damit gemeint haben dass der Vater bdquodurchrdquo Jesus geschaffen hat

Hier spielt Paulus wahrscheinlich auf die Tradition der bdquoWeisheitrdquo an die in den Psalmen Spruumlchen und anderen juumldischen Werken vorherrscht in denen gesagt wird dass Gott die Welt durch seine Weisheit aufgebaut hat In der juumldischen Tradition werden die Begriffe Gottes Weisheit Gottes Wort und sogar Gottes Thora austauschbar verwendet1056 Mehr uumlber Gottes Schoumlpfung durch sein Wort (hebraumlisch bdquodavarrdquo griechisch bdquologosrdquo) wird in einem spaumlteren Kapitel dieses

1052 Buzzard The One God p 188 (Der Eine Gott hellip) 1053 Thomas C Oden Peter Gorday Colossians 1-2 Thessalonians 1-2 Timothy Titus Philemon (New

York Fitzroy Dearborn Publishers 2000) p xxvii unsere Hinzufuumlgung 1054 Als Beispiel diene Grotius ldquoInterpretation zitiert von Barnesrdquo Notes on the New Testament on Co-

lossians 116 1055 Viele Gelehrte haben vorgeschlagen dass Paulus die Neue Schoumlpfung so verstanden hat als mit dem

Tod und der Auferstehung Christi begonnen hat Siehe T Jackson New Creation in Paulrsquos Letters (Tubingen Mohr Siebeck 2010) p 95

1056 Weisheit wird im Juumldischen Buch Weisheit Salomos mit dem Wort Gottes gleichgesetzt (Weisheit 92) In Sirach wird die Weisheit mit der Thora Gottes gleichgesetzt (Sirach 2423) Philon sagt dass Mose die Verkoumlrperung der Thora (also Gottes Weisheit Gottes Wort) war (Uumlber Mose 1162) Und der Apostel Johannes sagt dass Jesus die Verkoumlrperung von Gottes Wort (also von Gottes Weisheit von Gottes Thora) in Johannes 11-14

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Buches behandelt Aber vorerst werden wir uns kurz auf Gottes Einsatz der Weisheit und ihre Identifikation mit Jesus durch Paulus konzentrieren

Im Alten Testament war Gottes Weisheit ein Prinzip durch das Gott das Uni-versum erschaffen hat In der Septuaginta-Version (LXX) von Psalm 10324 lesen wir bdquoWie groszlig sind deine Werke o Herr In Weisheit hast du sie alle gebrachtrdquo Durch das gleiche Prinzip der Weisheit (Spruumlche 811) regieren bdquoKoumlnige und Herrscher hellip sie bestimmen was gerecht istrdquo (Spruumlche 815) Salomo brauchte Weisheit um die richtige Ordnung uumlber die Nation auszufuumlhren (1 Koumlnige 31-15) Gott brauchte sie um die Schoumlpfung zu ordnen Fuumlr Paulus sieht Jesus als eine Repraumlsentation der Weisheit Gottes Tatsaumlchlich traumlgt Jesus den messianischen bdquoGeist der Weisheitrdquo (Jesaja 113-5) in sich selbst bdquoin der Weisheit erhoumlhtrdquo (Lukas 240) und stellt letzt-endlich die Weisheit Gottes gegenuumlber seinen Nachfolgern dar Paulus druumlckt aus dass Christus selbst bdquofuumlr uns zur Weisheit Gottes geworden istrdquo (1 Korinther 130) bdquoWeisheitrdquo ist dann keine vorexistente Person die spaumlter zum menschlichen Jesus mutierte es ist ein Prinzip welches durch den Menschen Jesus vertreten wurde Wie bereits erwaumlhnt ist Jesus bdquonicht nur die Erfuumlllung der mosaischen Thora sondern auch die Verkoumlrperung der Weisheit Gottes die man in der Offenbarung der geschaffenen Ord-nung selbst siehtrdquo1057 Wenn fuumlr Paulus die Person Jesu eine Verkoumlrperung oder eine Repraumlsentation der Weisheit ist die Gott gebraucht hat als er die Welt struktu-rierte dann sollte die Aussage des Paulus dass Gott alle Dinge bdquodurch [gr dia] Jesusrdquo gemacht hat als eine bdquoVerkoumlrperungrdquo dieser Idee angesehen werden1058 Wie Dunn bemerkt

[Paul] Paulus stellte die Herrschaft Christi im Kontext des juumldi-schen Monotheismus und Christus (den Gesalbten den Messias) als jemanden dar den die Christen jetzt sehen und der jene Kraft Gottes repraumlsentiert und vermittelt welche die Welt geschaffen und erhalten hat Er sieht Jesus nicht als ein praumlexistentes goumlttli-ches Wesen sondern als einen Menschen einen Juden dessen Gott der Eine Gott ist und jemanden der die schoumlpferische Kraft und

1057 Daniel L Aikin A Theology for the Church (Nashville B amp H Publishing Group 2007) p 109 emphasis

added 1058 bdquoPaulus und andere Urchristen greifen auf die juumldische Weisheitstradition zuruumlck die von Gottes

Weisheit als dem Mittel sprachen durch das Gott die Welt erschaffen hat (Spruumlche 8 Weisheit 7) Indem Paulus Jesus die Rolle zuweist die zuvor der Weisheit Gottes zugewiesen wurde die an einigen Stellen mit der Thora oder dem Gesetz Gottes gleichgesetzt wurde (zB Sirach 2423) hat er Jesus Christus den Platz in Gottes Vorhaben zugewiesen die an anderer Stelle der Weisheit oder dem Gesetz uumlbertragen worden warrdquo (Marianne Meye Thompson Colossians and Philemon (Grand Rapids Eerdmans 2005) p 30)

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die rettende Weisheit Gottes so verkoumlrpert hat dass er bdquodie Kraft Gottes und die Weisheit Gottesrdquo identifizierte1059

Was die letzte Haumllfte von Kolosser 116 betrifft so finden wir in Epheser eine weitere hilfreiche Parallele wo Paulus schreibt dass Gottes urspruumlnglicher Zweck darin bestand bdquohellip die Fuumllle der Zeiten heraufzufuumlhren auf dass alles zusammen-gefasst wuumlrde in Christus was im Himmel und auf Erden ist durch ihnrdquo (Epheser 110) So bekraumlftigt Paulus den Christen von Kolossauml dass bdquoalle Dingerdquo von Gott fuumlr ihn geschaffen wurden (Kolosser 116) Gott hat dem erhabenen Jesus bdquohellip alles hellip unter seine Fuumlszlige getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt uumlber allesrdquo (Epheser 122)

Zusammenfassend sehen wir dass Gott Jesus durch seine Auferstehung uumlber jede bdquoAutoritaumlt Macht und Herrschaft und jeden Namen der aufgerufen wirdrdquo (in Epheser 121) gestellt hat Das sind die gleichen bdquoThrone Herrschaften Herr-scher und Autoritaumltenrdquo die Gott Christus in Kolosser 116 unterwirft In der ers-ten Passage ist es eindeutig bdquoder Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christusrdquo (Vers 1) der die Neuausrichtung vornimmt Diese Aktivitaumlt schafft eine neue Ordnung die bereits jetzt existiert und in der kommenden Zeit weiterexistieren wird (Vers 21b) Jesus selbst der kroumlnende Abschluss von Gottes Werken ist nun als Repraumlsentation der Weisheit zu verstehen mit der Gott sowohl die ur-spruumlngliche Schoumlpfung als auch diese Neue Schoumlpfung strukturiert hat

Es gibt zwangslaumlufig im Judentum keine Darstellung von Jesus als dem Schoumlpfer Wie beobachtet wurde

In den fruumlhen Phasen [der Pauluszeit] waumlre es verfehlt gewesen zu sagen dass Christus als ein praumlexistentes Wesen verstanden wurde das Fleisch geworden sei oder dass Christus persoumlnlich anwesend und aktiv an der Schoumlpfung beteiligt angesehen wurde in den paulinischen Briefen und wahrscheinlich auch in der Einfuumlhrung des Schreibens an die Hebraumler ist der Gedanke in erster Linie an Christus als eschatologische Verkoumlrperung der Weisheit Gottes Er ist derjenige durch den der Schoumlpfergott die Erneuerung der Schoumlpfung bewirkt1060

Die juumldischen Schriften des Neuen Testaments erweisen sich nicht als patente Verteidiger der Idee Christus sei selbst der Schoumlpfer der urspruumlngliche hebraumli-sche Gott gewesen Wie Emil Brunner zugab bdquoGott allein ist der Schoumlpfer der Sohn wird schlicht und einfach sbquoder Mittlerrsquo der Schoumlpfung genannt Im Neuen

1059 Dunn Christology in the Making p 211 1060 Ebenso

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Testament wird der Sohn oder Jesus Christus nie als Schoumlpfer bezeichnet Der Titel gehoumlrt nur dem Vaterrdquo1061 Wir haben bereits bemerkt dass die Sprache der Juden mit der sie Gott beschreiben auch nach der Geburt des Messias unveraumln-dert blieb Gott war immer der Vater der allmaumlchtige Schoumlpfer eine einzige mo-nolithische Persoumlnlichkeit deren strenge Einheit uumlber alle Lehren gestellt wurde Auch nach dem Auftreten Jesu wurde diese unverwechselbare angestammte Gottheit staumlndig seinem gesalbten Diener [dem Messias] gegenuumlbergestellt

bdquoDer Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs der Gott unserer Vaumlter hat seinen Knecht Jesus verherrlichtrdquo (Apostelgeschichte 313)

bdquoDer Gott unserer Vaumlter hat Jesus auferweckt den ihr ermordet habt in-dem ihr ihn ans Holz haumlngtetrdquo (Apostelgeschichte 530)

bdquoDer Gott dieses Volkes Israel hellip hat ihn [Christus] aus den Toten auf-erwecktrdquo (Apostelgeschichte 131730)

Wie haumltte ein Jude des ersten Jahrhunderts diese Sprache verstanden Haumltten sie aus diesen Predigten gelernt dass dieser juumldische Mann den der juumldische Gott von den Toten auferweckt hat irgendwie der juumldische Gott war Moderne Juden haben unmissverstaumlndlich erklaumlrt bdquoDas Judentum war schon immer rigoros uni-tarischrdquo1062 und viele christliche Gelehrte haben bestaumltigt dass der Glaube an bdquoein zweites Wesen in Gott bedeutet sich von der juumldischen Gemeinschaft zu entfer-nenrdquo1063 Selbst angesehene Trinitarier sind sich einig bdquoDas Judentum ist unita-rischrdquo1064 bdquoDer Monotheismus war damals wie er heute noch ist unitarischrdquo1065 Ebenso wie die Juden zu den alttestamentlichen Zeiten von Gott selbst gelehrt worden waren dass Gott bdquoeine Personrdquo ist1066 so beteuern die Juden bis zum heutigen Tag noch bdquoimmer dass Gott nur eine Person istrdquo1067 Diese Harmonie ist wichtig da wie bereits erwaumlhnt bdquoin der Lehre Jesu und der Apostel gegenuumlber dem Monotheismus des Alten Testaments und des Judentums kein Element der Veraumlnderung vorhanden warrdquo1068

Es ist stets darauf zu achten nicht in die Respektlosigkeit einiger trinitarischer Theologen zu verfallen welche die juumldische Gottesvorstellung als unterentwickelt oder unvollstaumlndig darstellen Sie behandeln die Juden wie theologische Kinder

1061 Brunner Dogmatics Vol I p 232 1062 ldquoDeismrdquo The Jewish Encyclopedia 1906 1063 Casey From Jewish Prophet to Gentile God p 176 1064 Brunner p 205 1065 Hodgson p 74 1066 Warfield p 127 1067 Beveridge p 66 1068 Werner p 241

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auszliger Stande die erforderliche Metaphysik zu beherrschen in der die spaumlteren Heiden [als Christen] gediehen sind1069 Der Monotheismus Israels darf nicht un-terschaumltzt werden Jesus hat diesen Glauben bekraumlftigt Da er ein treuer Jude war man kann ruhig sagen der ultimative Jude sollten wir nicht erwarten in Jesu Aussagen uumlber die Identitaumlt seines Gottes eine rekonstruierte Bedeutung zu finden Seine Berufung wie wir als naumlchstes entdecken werden war immer die einfache aber voll ausgebildete Dogmatik der Juden ein Bekenntnis zu einem einzigen persoumlnlichen Vater Jesu Ansicht uumlber sich selbst beinhaltetet nur den Anspruch der speziell ausgewaumlhlte und treue Diener Gottes zu sein - Gottes Messias

1069 bdquoAber dass das gesamte juumldische Volk voumlllig ohne die Vorstellung einer Dreifaltigkeit war ist offen-

sichtlich genug und nach dem Schema der ihnen uumlberlieferten goumlttlichen Natur wurden sie nicht davor gewarnt die Personen in der Gottheit zu verwechseln damit sie nicht von der natuumlrlichen Tendenz einer schwachen Gesinnung in das entgegengesetzte Extrem der Aufteilung der Substanz fallen die ihnen nach ihrem damaligen moralischen und intellektuellen Zustand den weitaus gefaumlhrlicheren Wahnvor-stellungen bewiesen haumltterdquo (John Browne Predigten bei der von John Bampton (Oxford) gefuumlhrten Vorlesung OUP 1809) S 88) Die Idee der Dreifaltigkeit bdquowar noch zu keiner Zeit in den Geist eingedrungen Dieser Artikel wurde im Alten Testament nicht als Objekt des Glaubens niedergelegt weil die Menschen noch nicht in der Lage waren ihn zu empfangenrdquo (Salmeron Comm tom i pp 201-2 Prolog Xi Can XXV zitiert von Wilson Uni Princip p 334)

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bdquoWenn in deiner Mitte ein Prophet aufsteht oder einer der Traumlume hat und er gibt dir ein Zeichen oder ein Wunder und das Zei-chen oder das Wunder trifft ein von dem er zu dir geredet hat indem er sagte bdquoLass uns anderen Goumlttern - die du nicht gekannt hast - nachlaufen und ihnen dienenrdquo dann sollst du nicht auf die Worte dieses Prophe-ten houmlren oder auf den der die Traumlume hat Denn der HERR euer Gott pruumlft euch um zu erkennen ob ihr den HERRN eu-ren Gott mit eurem ganzen Herzen und mit eurer ganzen Seele liebt Dem HERRN eurem Gott sollt ihr nachfol-gen und ihn sollt ihr fuumlrchten Seine Gebote sollt ihr halten und seiner Stimme gehor-chen ihm sollt ihr dienen und ihm anhaumln-genrdquo

5 Mose 131-4

AumlHREND DES DREIJAumlHRIGEN DIENSTES JESU wie die Evan-gelien belegen machte der Mann von Nazareth viele tiefgruumlndige Aus-sagen uumlber sich selbst und seine Beziehung zu Gott Einige dieser Spruuml-

che wurden von seinen Feinden falsch interpretiert (die Gegner werden oft zu-rechtgewiesen oder korrigiert) aber seine direkten Lehren daruumlber wer Gott ist

W

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sind unverkennbar Wie einige der kuumlhnsten Forscher festgestellt haben lodert das rhetorische Feuer des tiefsinnigen nachdenkenden und streng monotheisti-schen Rabbiners auf den Seiten der Bibel Man muss aber davon absehen den Rahmen des entwickelten Trinitarismus auf die Jesus-Geschichte anzuwenden Dann erkennt man eine erschuumltternde Inkongruenz mit dem modernen Chris-tentum Zeitgenoumlssische Akademiker sowohl liberale als auch konservative ent-decken zwischen den Modi der entwickelten Orthodoxie und Christus einen gro-szligen Unterschied

Es ist wirklich eine auszligergewoumlhnliche und zum Nachdenken anre-gende Tatsache dass diese traditionellen christlichen Lehren in Jesu eigener Zusammenfassung seiner Botschaft an die Menschheit uumlberhaupt keine Rolle spielen Bei einer einfachen Lesung der sy-noptischen Evangelien scheint es in der Tat so als ob Jesus von Gott rein monotheistisch und unitarisch dachte1070

Wir duumlrfen nicht vergessen dass bdquokein verantwortlicher Neutestament-Forscher behaupten wuumlrde dass Jesus die Doktrin der Dreifaltigkeit lehrterdquo1071 Eigentlich koumlnnten sich alle modernen Nachfolger Christi gluumlcklich zusammenschlieszligen nicht um nach Worten fuumlr eine gestelzte Argumentation zu suchen sondern um das Zentrum des wahrhaft juumldischen Glaubens zu feiern Dieses war der Mittel-punkt des Lebens und der Elan des beruumlhmtesten Lehrers der Menschheitsge-schichte Im Wesentlichen muumlssen die Nachfolger Christi aufhoumlren sich an ihre eigene vorgefasste Meinung in Bezug auf die Dreifaltigkeit zu klammern Sie soll-ten ihren Geist allen Informationen oumlffnen die er bereitwillig und unmissver-staumlndlich praumlsentierte Jesus vertrat offenbar die Gesinnung die heute als bdquoUni-tarismusrdquo definiert wird oder den Glauben dass Gott ein eigenstaumlndiges Indivi-duum ist Das kann sicherlich als die kritischste aber am wenigsten bekannte Mitteilung des Neuen Testaments bezeichnet werden

DerVatervonJesusderGottderJudenDenn alle Juden so auch Jesus verstehen unter den Begriffen bdquoGottrdquo und bdquoder Vaterrdquo immer ein und dieselbe Person Der Samariterin gegenuumlber brachte Jesus die Identitaumlt Gottes und die noumltige Verehrung ganz konkret zum Ausdruck bdquoAber die Zeit kommt ja sie ist schon da wo Menschen Gott als den Vater anbeten werden Men-schen die vom Geist erfuumlllt sind und die Wahrheit erkannt haben Das sind die wahren An-beter so moumlchte der Vater die haben die ihn anbetenrdquo (Joh 423b-24 NGUuml) Oftmals

1070 John Hick The Concept of Monotheism in Islam and Christianity A Recent Development within

Christian Monotheism (Austria Typostudio amp Druckkunst Wie 1982) p63 1071 Hanson p 87

Gott und sein Messias

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umschreibt das Neue Testament den Auftrag Christi als die Offenbarung der Per-son Gottes (Joh 118 1725) Ist er in seiner Offenbarungsmission gescheitert als er lehrte dass die Anbetung des bdquoVatersrdquo die Anbetung bdquoGottesrdquo sei

Ausgeruumlstet mit einer respektvollen Betrachtung des historischen Gottes des Ju-dentums sollten alle Anweisungen und Forderungen des Rabbiners Jesus an die Menschen um ihn herum bezuumlglich ihrer Wahrnehmung und Hingabe an Gott sorgfaumlltig gepruumlft werden Auch die Apostel welche die Tradition Christi fort-setzten sind auszligerhalb dieses Kontextes kaum zu verstehen Sowohl die griechi-sche als auch die hebraumlische Schrift sind in dieser Frage unmissverstaumlndlich und klar Sie bestaumltigen laut und deutlich dass sowohl fuumlr die alten Israeliten wie auch fuumlr die Juden der Urkirche bdquoGottrdquo eindeutig der bdquoVaterrdquo war

bdquoWollt ihr so dem HERRN vergelten toumlrichtes und unweises Volk Ist er nicht dein Vater der dich geschaffen hat Er hat dich gemacht und dich bereitetrdquo (5 Mose 326 ELB)

bdquo wuumlrdet ihr mir zurufen sbquoMein Vaterrsquo und wuumlrdet euch nicht mehr von mir abwenden hellip spricht der HERRrdquo (Jeremia 319b-20 ELB)

bdquoMein Vater bist du mein Gott und der Fels meines Heilsrdquo (Psalm 8926 ELB)

bdquoHaben wir nicht alle einen Vater Hat nicht ein Gott uns geschaffenrdquo (Malaechi 210 ELB)

bdquoSo ist doch fuumlr uns ein Gott der Vaterrdquo (1 Korinther 86 ELB)

bdquoGnade euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christusrdquo (Roumlmer 17 ELB)

bdquoEin Gott und Vater aller der uumlber allen und durch alle und in allen istrdquo (Epheser 46 ELB)

In seinem Gespraumlch mit der Samariterin lehrte Jesus dass man Gott bdquoin Wahr-heitrdquo anbeten muss dh Gott so anbeten muss wie Gott wirklich ist und wie er es verlangt (Johannes 424) Es ist nicht zu uumlbersehen wen Jesus mit diesem Gott meinte Seine Darstellung Jahwes als Vater aller des einen wahren Gottes ist in voumllliger Uumlbereinstimmung mit dem juumldischen Erbe

bdquoAber JHWH Gott ist Wahrheitrdquo (Jeremia 1010a)

bdquoDu HERR (JHWH) bist unser Vater von alters her das ist dein Namerdquo (Jesaja 6316)

bdquoVater hellip allein wahrer Gottrdquo (Johannes 171a3b)

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In Anbetracht des obigen Verses bdquoDies aber ist das ewige Leben dass sie dich den allein wahren Gott und den du gesandt hast Jesus Christus erkennenrdquo (Johannes 173) sehen wir dass gemaumlszlig Christus die Essenz des Lebens im kuumlnftigen Zeitalter von einer ausdruumlcklichen Kenntnis von zwei Charakteren zu finden ist von denen einer als der einzige beschrieben wird der wirklich Gott ist und der andere als jemand anderes der auszligerhalb dieser exklusiven Klasse steht Die klar und deutliche Un-terscheidung Christi zwischen dem einen Gott und sich selbst ist konsequent bdquoLasst euer Herz nicht beunruhigt sein Glaubt an Gott glaubt auch an michrdquo (Johannes 141) Natuumlrlich fragen wir uns wo die angebliche dritte Person des Trinitarismus in dieser Anleitung steht

Fuumlr den Trinitarier ergibt sich ein einzigartiges Problem wenn man an Johannes 173 denkt Dass bdquoder Vaterrdquo der wahre Gott ist wird von niemandem bestritten Fraglich ist nur ob bdquoder Sohnrdquo der nach trinitarischem Dogma ausdruumlcklich nicht der Vater ist (da er eine ganz eigene Person ist) auch bdquowahrer Gottrdquo ist oder nicht Doch Jesus nannte den Vater nicht einfach bdquoGottrdquo und lieszlig so Raum fuumlr sich selbst und noch einen anderen der auch diese Beschreibung traumlgt sondern er nannte den Vater bdquoden einzigen wahren Gottrdquo Mit anderen Worten Jesus hat zwei Argumente vorgebracht erstens dass der Vater der wahre Gott ist (ein Ge-danke dem die Trinitarier sicher zustimmen) und zweitens dass der Vater der einzige ist der wahrer Gott ist (ein Gedanke den die Trinitarier bestimmt ableh-nen)

In Johannes 173 findet der Forscher wie sich sowohl alte als auch moderne The-ologen mit einer erstaunlichen und beunruhigenden Verachtung fuumlr die Schrift auf die angeblich felsenfeste Erklaumlrung Christi stuumlrzen Ein Beispiel dafuumlr liefert Augustinus (430 n Chr) der ehemalige Gnostiker und der als Vorlaumlufer der cal-vinistischen Theologie verehrt wird Als er Johannes 173 las gestand er sofort die Unfaumlhigkeit ein das Dogma von der wahren Gottheit des Sohnes mit der praumlzisen Sprache Christi auszudruumlcken Er zeigte jedoch eine ungeheure Bereit-schaft diese Aussage sogar ruumlckwaumlrtskonform zu aumlndern Hier ist was Augustinus schreibt

bdquoUnd das ist das ewige Leben damit sie Dich den einzigen wahren Gott und Jesus Christus den Du gesandt hast erkennenrdquo Die rich-tige Reihenfolge der Worte ist bdquoDamit sie Dich und Jesus Christus den Du gesandt hast als den einzigen wahren Gott erkennenrdquo1072

Die Dreistigkeit von Augustinus der die Worte Jesu in der Hoffnung auf eine dogmatische Bewahrung ohne auch nur einen Hauch von Einschraumlnkung unver-

1072 Augustine Homilies on the Gospel of John Ch XVII 1-5 Tractate CV 3 unsere Hinzufuumlgung

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hohlen aumlndert lassen jedem Bibelstudenten die Haare zu Berge stehen Ange-sichts der unentschuldbaren Sinnverdrehungen von Gelehrten wie Augustinus finden Christen in Christus immer noch Erleichterung wenn er die Welt daran erinnert bdquoDer Himmel und die Erde werden vergehen meine Worte aber sollen nicht verge-henrdquo (Matthaumlus 2435)

Es ist aufgezeichnet wie Jesus waumlhrend seines gesamten Dienstes betonte dass nicht er selbst sondern derjenige den er bdquoVaterrdquo nannte der traditionelle Gott des Judentums ist bdquo mein Vater ist es der mich ehrt von dem ihr sagt Er ist unser Gottrdquo (Johannes 854b) Obwohl im Laufe der Jahrhunderte viel Verwirrung uumlber die Identitaumlt des Gottes der Juden verbreitet wurde war ein grosser Teil der Mis-sion des lang ersehnten Messias (des Christus) die Identitaumlt Gottes bei seinen Landsleuten offen zu foumlrdern Tatsaumlchlich kommt der Messias und sagt bdquoKundtun will ich deinen Namen meinen Bruumldern inmitten der Gemeinde will ich dir lobsingenrdquo (Hebr 212) Gemaumlszlig den Worten Jesu war er in dieser Mission erfolgreich bdquoGerechter Vater Und die Welt hat dich nicht erkannt ich aber habe dich erkannt und diese haben erkannt dass du mich gesandt hast Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtunrdquo (Joh 1725a-26a) Die Verherrlichung des Vaters als das ultimative Ziel Jesu sollte immer im Auge behalten werden (Matt 516 Joh 1228 Joh 171) Gott selbst hat sich ebenfalls um seine eigene Ehre als bdquoVaterrdquo gekuumlmmert Wie er Israel ermahnte bdquoEin Sohn ehrt den Vater und ein Knecht seinen Herrn Wenn ich nun Vater bin wo ist meine Ehre Und wenn ich Herr bin wo ist meine Furchtrdquo (Maleachi 16)

DerMessiasderGefaumlhrtedeseinenGottesSo wie wir aus der Schrift unmittelbar herleiten koumlnnen dass Gott an der Zahl einer ist stellen wir fest dass Jesus auch numerisch von ihm verschieden ist Christus zeigt dies selbst bdquoAber auch in eurem Gesetz steht geschrieben dass das Zeugnis zweier Menschen wahr ist Ich bin es der von mir selbst zeugt und der Vater der mich gesandt hat zeugt von mirrdquo (Joh 818) Das Gesetz schreibt diesen viel zitierten Grundsatz vor dass das Zeugnis von zwei Personen rechtsguumlltig ist (4 Mose 3530) und Jesus bekraumlftigt bdquoWenn ich von mir selbst zeuge so ist mein Zeugnis nicht wahrrdquo (Joh 531) Christus betrachtet sich ganz offensichtlich nur als einen Zeugen aber es braucht das Zeugnis von mindestens zwei voumlllig unterschiedlichen Personen um in den Augen der Menschen glaubwuumlrdig zu sein In Joh 818 erklaumlrt Jesus dass sein Vater der zweite Zeuge ist insgesamt sind es also zwei Aber wenn Jesus in irgend-einem Sinne mit dem Vater tatsaumlchlich eins ist erklaumlrt Christus sein Zeugnis durch dieses Thora-Prinzips fuumlr unguumlltig Auch von Trinitariern houmlrt man oft wenn sie ihren fragwuumlrdigen Monotheismus verteidigen die Zustimmung dass Gott nur einer ist Aber wenn dies zutrifft wie kann ein einzelnes Wesen die Position von

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zwei verschiedenen Zeugen einnehmen Sind Trinitarier bereit eine Unterschei-dung der goumlttlichen Personen ebenso fundamental vorzunehmen wie ein Mensch von einem anderen unterschieden werden muss um das Zeugnis von den zweien rechtskraumlftig zu machen Hier koumlnnte man einflechten dass wenn Jesus Gott ist dann sind - so logisch wie der Sohn und der Vater zwei verschiedene Zeugen sind - auch der Sohn und der Vater zwei verschiedene Goumltter sind Wir schlieszligen da-raus dass Jesus glaubte dass er und der Vater vollkommen getrennte Personen sind Gott ist die eine und Jesus ist die andere Person Auf diese einfach Weise kom-men zwei verschiedene Zeugen zusammen

Nie begegnen wir einem Jesus der behauptet der eine Gott Israels zu sein son-dern in der Regel finden wir ihn wie er neben der Gottheit wohl als goumlttlich be-vollmaumlchtigter Mann und eng mit Gott verbunden den hohen zweiten Platz ein-nimmt Status und Rangordnung sind systematisch und klar in den Hebraumlischen Schriften prophezeit Von Christus sagt Gott bdquoWach auf Schwert gegen meinen Hir-ten und gegen den Mann der mein Gefaumlhrte ist spricht der HERR der Heerscharen Schlage den Hirten dass die Schafe sich zerstreuenrdquo (Sacharja 137a ELB) oder bdquomeinen Hirten auf den Mann der mir nahe stehtrdquo (GNB) oder bdquoden Mann der mir verbunden istrdquo (Ein-heitsuumlbersetzung) In Matthaumlus 2631 erklaumlrt Jesus dass sich diese Prophezeiung auf ihn selbst bezieht damit ist sie eine ausdruumlckliche Beschreibung der Bezie-hung zwischen Gott und dem Messias

Wie uumlblich in den alttestamentlichen Prophezeiungen erscheint Jahwe in der Ein-zelrolle des Gottes fuumlr Israel waumlhrend der bdquoGesalbterdquo Gottes die Rolle des Herrn und Koumlnigs innehat Er ist ein Mann der bdquoaus eurer Mitte aus euren Landsleutenrdquo sein soll (2 Mose 1815) und vor allem bdquoaus dem Stumpf Jesses hervorgehenrdquo (Jesaja 111) Die Propheten hatten den Ursprung Christi laumlngst beschrieben bdquoDas Haus Juda hellip aus ihm kommt der Ecksteinrdquo (Sacharja 103b-4a) und zwar noch genauer bdquoBethlehem Ephrata das du klein in Juda bist aus dir wird mir der hervorgehen der Herr-scher uumlber Israel sein soll und seine Urspruumlnge sind von der Urzeit von den Tagen der Ewigkeit herrdquo (Micha 51) Wir sehen bei Micha wie der erwartete Messias ein von Gott auserwaumlhltes Individuum war um an Gottes Stelle als sein goumlttlich ernannter Ver-treter zu regieren Wenn der Messias Gott selbst waumlre koumlnnte man dann wirklich sagen dass er anstelle von Gott regiert Das Alte Testament geht von einem klaren Konsens aus Jahwe wird die Hauptrolle als dem einen Gott zugeschrieben und dem Messias die Nebenrolle des Koumlnigs aus der Davidischen Linie zugeteilt

Ich werde einen Hirten uumlber sie einsetzen der wird sie weiden mei-nen Knecht David der wird sie weiden und der wird ihr Hirte sein Und ich der HERR (JHWH) werde ihnen Gott sein und mein Knecht David wird Fuumlrst in ihrer Mitte sein Ich der HERR (JHWH) habe geredet (Hesekiel 3423-24)

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Die hebraumlischen Prophezeiungen uumlber den Messias und seine Beziehung zu Gott bilden die unabdingbare Basis fuumlr das christliche Verstaumlndnis der Identitaumlt und Rolle Jesu dies waren in der Tat die gleichen maszliggeblichen Quellen die von Jesus und seinen Juumlngern als Beweis fuumlr ihre Botschaft angefuumlhrt wurden Doch Chris-ten konsultieren das Alte Testament in der Regel nicht sehr oft Vielleicht picken sie missbraumluchlich einige wenige Passagen aus dem Buch Jesaja heraus die be-weisen sollen dass Jesus der ins Fleisch gekommene Gott war Auf der anderen Seite sind die Hebraumlischen Schriften einfach voll von Hinweisen und Prophezei-ungen uumlber den Messias als einem Individuum das seinem Gott zwar nahesteht sich von ihm aber unterscheidet und ihm unterstellt ist Die unbestreitbare Tat-sache dass der Messias buchstaumlblich einen Gott hat sollte ausreichen um jeden Glaumlubigen zum Nachdenken anzuregen

bdquoEr aber wird auftreten und bdquoDu liebst Gerechtigkeit und sie weiden in der Kraft des HERRN und in der Hoheit des Namens des HERRN (JHWH) seines Gottesrdquo (Micha 54a)hassest Frevel darum hat dich Gott dein Gott gesalbt mit Freudenoumll wie keinen deiner Gefaumlhrtenrdquo (Psalm 457 Heb 19)

Im Buch Jesaja lesen wir bdquoUnd der Geist des Herrn wird auf ihm ruhen der Geist der Weisheit und des Verstaumlndnisses der Geist des Rates und der Macht der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrnrdquo (Jesaja 112) Hier wird der Geist Gottes auf den Messias uumlbertragen Wie kompliziert waumlre sonst diese einfache Idee wenn die Interpretation stimmt dass Gott (der Vater) sich selbst und Gott (den Sohn) mit sich selbst (mit dem Heiligen Geist) salbt Folgerichtig fragt man sich ob wirklich drei Personen in der Gottheit gleichberechtigt und allmaumlchtig sind Was waumlre der Zweck eines so bizarren kreisfoumlrmigen Salbungsaustausches Weiter koumlnnte man sich fragen ob dies die beste und direkteste Lesart des Textes im Buch Jesaja ist Daruumlber hinaus mutet die Anspielung dass dem allwissenden bdquoGottrdquo der bdquoGeist der Erkenntnisrdquo gegeben wird eher verwirrend an Ebenso wuumlrde bdquodie Furcht des Herrn (Jahwe)rdquo in Unsinn verwandelt die Furcht des Herrn die im Gesalbten (Messias) wohnt ist eine wirklich lobenswerte Eigen-schaft wenn er ein Geschoumlpf Gottes und ihm wahrhaft unterstellt ist doch voumlllig unerklaumlrlich wenn der Messias selbst Jahwe ist Wollten hier Gott und der Pro-phet durch den Gott redete der Welt zu verstehen geben dass Gott sich in ir-gendeiner Weise fuumlrchtet In den prophetischen Aufzeichnungen des hebraumli-schen Volkes wird vermittelt dass der Messias eine statusmaumlszligig geringere Posi-tion innehat in der eine aufrichtige Gottesfurcht begruumlndet und moralisch lo-benswert ist Die Natur dieser Rolle wird weiter verdeutlicht wenn der Messias konsequent nicht als Gott sondern als Diener Gottes dargestellt wird Ein Die-ner ist rangmaumlszligig nicht gleichzusetzen mit seinem Herrn

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bdquoSiehe mein Knecht mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenrdquo (Jes 421 Matt 1218)

bdquoDer Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs der Gott unserer Vaumlter hat seinen Knecht Jesus verherrlicht Gott hat seinen Knecht erwecktrdquo (Apg 31326)

bdquoGott der durch den Heiligen Geist durch den Mund unseres Vaters deines Knechtes David geredet hat In dieser Stadt versammelten sich in Wahrheit gegen deinen heiligen Knecht Jesus den du gesalbt hast sowohl Herodes als auch Pontius Pilatus mit den Nationen und den Voumllkern Is-raels nun Herr sieh an ihre Drohungen und gib deinen Knechten dein Wort mit aller Freimuumltigkeit zu reden indem du deine Hand ausstreckst zur Heilung dass Zeichen und Wunder geschehen durch den Namen deines heiligen Knechtes Jesusrdquo (Apg 425b2729-30)

Der obige Abschnitt ist besonders interessant da Jesus wie David Petrus und die anderen Juumlnger alle als Knecht oder bdquoDiener Gottesrdquo bezeichnet werden Man koumlnnte sagen dass genauso fundamental wie die Personen David und Petrus im vollen Dienst Gott unterstellt sind die Person Jesu auf die gleiche Weise zu be-trachten ist Denn gerade durch die ausdruumlckliche Identifikation Christi als bdquoDie-nerrdquo Gottes wird seine rangmaumlszligig niedrigere Stellung [in der Hierarchie] klar kommuniziert Jesus selbst haumllt das Prinzip ein bdquoDer Juumlnger steht nicht uumlber dem Meis-ter und der Knecht nicht uumlber seinem Herrnrdquo (Matt 1024) und noch einmal bdquoDenkt an das Wort das ich euch gesagt habe Der Knecht ist nicht groumlszliger als sein Herrrdquo (Joh 1520) und ein drittes Mal bdquoWahrlich wahrlich ich sage euch Der Knecht ist nicht groumlszliger als sein Herr und der Gesandte nicht groumlszliger als der der ihn gesandt hatrdquo (Joh 1316) Das wird umso deutlicher wenn Jesus erklaumlrt bdquoGott hat mich gesandtrdquo (Joh 842)

Der Apostel Paulus offenbart dass selbst nachdem alle Dinge durch seine Ver-herrlichung unter den Fuumlszligen Christi liegen er Gott untergeordnet bleibt

bdquoAlles hat Gott ihm unter die Fuumlszlige gelegt Ausgenommen von diesem alles ist natuumlrlich der der Christus zum Herrscher uumlber alles gemacht hat Wenn dann alles unter die Herrschaft von Christus gestellt ist wird er selbst der Sohn sich dem unterstellen der ihn zum Herrn uumlber alles gemacht hat Und dann ist Gott alles in allemrdquo (1 Korinther 1527-28 NGUuml)

Hier sehen wir dass alle Dinge Christus unterworfen werden auszliger einem Gott Paulus geht sogar davon aus dass dieser Sachverhalt jedem klar sein sollte oder bdquooffensichtlich istrdquo Wenn in Bezug auf den erhabenen Status Christi der Begriff bdquoallesrdquo verwendet wird bdquoist Gott selbst der alles Christus unterstellt nicht in

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allem eingeschlossenrdquo1073 Viele Trinitarier haben jedoch fuumlr diese Verse eine Er-klaumlrung parat Sie berufen sich auf ihre Uumlberzeugung dass die zweite Person der Dreifaltigkeit bei der Inkarnation in irgendeiner Weise Selbst-Entaumluszligerung geuumlbt habe waumlhrend er auf der Erde war habe sich [Jesus] voruumlbergehend von seinem gleichberechtigten Status mit dem Vater entbunden Obwohl wir diese Behaup-tung in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels noch genauer untersuchen werden koumlnnen wir gleich hier feststellen 1 Korinther 1527-28 sagt der aufer-standene Messias bleibt auch nach seiner dramatischen Erhoumlhung [zu rechten Hand des Vaters] der Untertan Gottes Auch hier spricht die Bibel nirgendwo von der metaphysischen Hierarchie eines Mitglieds des Dreieinigen Gottes das eine unerklaumlrliche Prioritaumlt - voruumlbergehend oder nicht - gegenuumlber einer sekun-daumlren gleichrangigen Person hat Die Sprache der Bibel ist ganz klar Im Detail zeigt Paulus in Kapitel 11 die eindeutige Unterordnung Jesu unter bdquoGottrdquo

Ich will aber dass ihr wisst dass der Christus das Haupt eines jeden Man-nes ist das Haupt der Frau aber der Mann des Christus Haupt aber Gott (1 Korinther 113)

Im 1 Korintherbrief 113 finden wir vielleicht das pointierteste und unentrinn-barste neutestamentliche Beispiel fuumlr die totale Unterordnung und voumlllige Unter-stellung Christi unter Gott Hier haben wir die Gleichung der Beziehung So voll-staumlndig wie jeder Mensch dem auferstandenen Christus unterworfen ist so voll-staumlndig ist auch der auferstandene Christus Gott unterstellt Ebenso lesen wir in 1 Kor 323 bdquoIhr gehoumlrt zu Christus und Christus gehoumlrt zu Gottrdquo

Waumlhrend allgemein Trinitarier behaupten dass Vater und Sohn vollkommen gleichberechtigt und einander ebenbuumlrtig sind offenbart der trinitarische Theo-loge James Hastings in seinem beruumlhmten Hastings Bibelwoumlrterbuch ein gewiszliges Mass an Unsicherheit

Mag sein dass der heilige Paulus nirgendwo Christus bdquoGottrdquo ge-nannt hat Noch deutlicher spricht er in 1 Korinther 113 Das Haupt der Frau ist der Mann und das Haupt Christi ist Gott und in 1 Korinther 1528 stellt er Christus dar wie er das Koumlnigreich Gott uumlbergibt und sich schlieszliglich selbst einem Houmlheren unter-wirft bdquodamit Gott alles in allem sein kannrdquo Der heilige Paulus hilft

1073 bdquoMit keinen anderen Worten so wuumlrde man meinen koumlnnte Christus deutlicher von Gott unterschie-

den und seine Abhaumlngigkeit und Unterodnung erklaumlrt werden und damit zusammenhaumlngend seine Stel-lung denn ein begrenztes sowie abhaumlngiges Wesen muss ein endliches vergaumlngliches Wesen sein und Endliches und Unendliches lassen keinen Vergleich zurdquo (Norton S 29)

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uns vielleicht nicht viel bei der Loumlsung dieses Antinoms [dh dieser Inkonsistenz des Trinitarismus]1074

Nicht nur die apostolischen Schriften zeugen von dieser Ordnung Jesus selbst beteuert stolz seine Unterstellung unter die Gottheit und sagt bdquoDer Vater ist grouml-szliger als ichrdquo (Joh 1428b) und mehr noch bdquoMein Vater ist groumlszliger als allerdquo (Joh 1029) Paulus ist mit diesem Punkt einverstanden nachdem er sowohl Jesus als auch den Heiligen Geist erwaumlhnt hat erklaumlrt er dass es immer noch bdquoeinen Gott und Vater von allen gibt der uumlber alles und durch alles in allem istrdquo (Eph 46) Natuumlrlich stehen die Meinungen von Paulus und Jesus in scharfem Gegensatz zur Orthodoxie die fordert bdquoIn dieser Dreifaltigkeit ist niemand vorher oder nach-her groumlszliger oder kleiner als der andere aber alle drei Personen sind in sich selbst ewig und gleichberechtigtrdquo1075 Aber Jesus gibt uns auch eine verbluumlffende Erklauml-rung fuumlr seine Verbindung zur Gottheit

Jesus sagte zu ihr Halte mich nicht fest denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen Geh aber zu meinen Bruumldern und sag ihnen Ich gehe hin-auf zu meinem Vater und eurem Vater zu meinem Gott und eurem Gottrdquo (Johannes 2017)

Was wir hier haben ist eine weitere Gleichung der Beziehung Die Verbindung zu Gott die Maria und die Juumlnger genieszligen ist die gleiche Verbindung die Jesus hat Der Gott und Vater der Juden ist der Gott und Vater Jesu Interessanterweise spiegelt Christus die Gefuumlhle seiner Vorfahren in dieser Hinsicht wider bdquoDein Gott ist mein Gottrdquo (Ruth 116) Tatsaumlchlich wurde dem Davidischen Messias wie-derholt prophezeit diese ausdruumlckliche Beziehung zum Goumlttlichen zu zeigen

Ich habe meinen Knecht David gefunden ich habe ihn gesalbt mit meinem heiligen Oumll Er wird mich nennen Du bist mein Vater mein Gott und der Hort meines Heils (Psalm 892027)

Jesus selbst bringt klar und deutlich zum Ausdruck dass er einen Gott hat

Um die neunte Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme Eli Eli lema sab-achtani das heiszligt bdquoMein Gott mein Gott warum hast du mich verlas-senrdquo (Matthaumlus 2746)

Werde wach und staumlrke was noch uumlbrig ist was schon im Sterben lag Denn ich habe nicht gefunden dass deine Taten in den Augen meines Got-tes vollkommen sind (Offenbarung 32)

1074 James Hastings Hastingsrsquo Dictionary of the Bible (Grand Rapids Baker Books 1994) pp 707-708 (Has-

tings Bibelwoumlrterbuch) 1075 Das Athanasianische Glaubensbekenntnis ca 500 n Chr

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bdquo hellip den werde ich zu einer Saumlule im Tempel meines Gottes machen hellip Und ich werde auf ihn den Namen meines Gottes schreiben und den Na-men der Stadt meines Gottes des neuen Jerusalem das aus dem Himmel herabkommt von meinem Gott und auch meinen neuen Namen(Offenba-rung 312)

Die Frage ist jetzt offensichtlich Wie kann Jesus der eine Gott sein und einen Gott haben wenn es nur einen Gott gibt Wenn wir einfachen Worten eine houmlhere Bedeutung beimessen wollen muumlssen wir dafuumlr uumlberaus gute und stichhaltige Gruumlnde haben Unsere Schlussfolgerungen daruumlber was Jesus wirklich meint wenn er behauptet einen Gott zu haben sollten durch die Bibel selbst untermau-ert werden Unterstuumltzen die Apostel in ihren Schriften Jesu Anspruch einfach bdquoeinen Gott zu habenrdquo so sicher wie sie selbst ohne Einschraumlnkung

Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus der Vater der Erbarmungen und Gott allen Trostes (2 Korinther 13)

Der Gott unseres Herrn Jesus Christus der Vater der Herrlichkeit euch gebe den Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst (Epheser 117)

Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus der nach seiner groszligen Barmherzigkeit uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten (1 Peter 13)

Die Apostel waren uumlberzeugt dass selbst der auferstandene Christus denselben Gott wie sie verehrte Dies ist unbestreitbar Das Gleiche aber nicht fuumlr Trinita-rier gesagt werden Sie scheinen Schwierigkeiten zu haben mit einem einfachen Vorschlag Auf die Frage ob Jesus einen Gott hat gibt es trinitarische Apologe-ten die sagen bdquoDie Antwort auf diese Frage ist ja und neinrdquo1076 In ihrem Argu-ment ist es nur weil Jesus (Gott) eine menschliche Natur angenommen hat dass er bdquojemanden brauchte den er seinen Gott nennen koumlnnterdquo1077 Es ist ganz klar diese trinitarische Ansicht bietet in Wirklichkeit in keinem praktischen Sinne ei-nen wahren Gott fuumlr Jesus Der Jesus der Dreifaltigkeit kann Gott nicht so anru-fen wie es jeder andere Mensch tut von einer Position der Unterordnung aus oder in der Not In unerklaumlrlicher Weise ruft er Gott von einem Standpunkt der Mitberechtigung aus an vielleicht in einem oberflaumlchlichen oder metaphysischen Sinne Hier ist Jesus paradoxerweise sowohl abhaumlngig wie auch der von dem alles abhaumlngt Natuumlrlich ist diese Idee nirgendwo in der Schrift zu finden Sie ist eine

1076 Matt Slick ldquoDoes Jesus Have a Godrdquo Christian Apologetics and Research Ministry Web 24 October

2014 lthttpcarmorgdoes-jesus-have-a-godgt 1077 Ebenso unsere Hinzufuumlgung

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seltsame Demonstration Christi am Kreuz die den Ruf der Verzweiflung an sei-nen Gott (bdquoMein Gott mein Gott warum hast du mich verlassenrdquo) ohne Ver-trauen auf eine houmlhere Macht erscheinen laumlsst

Den evangelikalen Verteidigern die sagen dass Jesus Gott bdquonur von seiner menschlichen Natur ausrdquo gerufen habe und es sich sehr wohl um eine echte An-rufung gehandelt habe sei gesagt dass er damit ihrer Meinung nach noch immer nicht mit der Gesamtheit seiner Person gerufen haumltte denn eine abstrakte mensch-liche Natur kann keinen Gott haben nur eine Person kann und wie die Trinitarier behaupten ist die Persoumlnlichkeit Christi bdquodie Persoumlnlichkeit der ewigen zweiten Person der Trinitaumlt Der vollkommen goumlttliche Sohn ist die Personrdquo1078 Wenn sie also bekennen dass seine Abhaumlngigkeit von Gott nur bdquoin seiner menschlichen Naturrdquo lag ist anzunehmen dass houmlchstwahrscheinlich ein Bruch mit der Ortho-doxie vorliegt

Unter Bezugnahme auf die nestorianische Kontroverse die im Mittelpunkt des orthodoxen Konzils von Ephesus im Jahre 431 n Chr stand wurde die Idee dass die menschliche und goumlttliche Natur Christi in seiner Person getrennt waren als ketzerisch bezeichnet Nestorius wurde verflucht weil er sich nicht dazu durchringen konnte Maria die bdquoMutter Gottesrdquo zu nennen Er nannte sie statt-dessen die bdquoMutter Christirdquo was bedeutet dass sie die Mutter lediglich der menschlichen Natur und nicht auch der goumlttlichen Natur war Aber die orthodo-xen Vertreter argumentierten die beiden Naturen Christi seien zwangslaumlufig mit-einander vereint gewesen Maria sei die Mutter beider Naturen da beide gleich-zeitig [durch sie] die Geburt erlebten Das spaumltere Konzil von Chalcedon im Jahre 451 n Chr verfestigte fuumlr die Orthodoxie die Auffassung dass bdquoder eine Mensch Jesus Christus zwei Naturen hat und dass diese beiden Naturen organisch und unloumlsbar miteinander vereint sindrdquo1079 Was der orthodoxe Trinitarismus hier ei-gentlich bekennt ist dass die menschliche und goumlttliche Natur so vereint sind dass die eine Seite keine Erfahrung machen kann waumlhrend die andere Seite voumlllig losgeloumlst davon unberuumlhrt bleibt Dies wuumlrde wie die Synoden argumentierten zwei verschiedene Personen in Christus voraussetzen Deshalb kann die eine Per-son Jesu nicht nur in der einen Natur einen Gott haben nicht aber in der anderen Wenn Maria die wahre Mutter der Natur Gottes ist dann ist derjenige der Vater genannt wird auch der wahre Gott der Natur Gottes Im orthodoxen Modell hat Gott unerklaumlrlicherweise einen Gott Daruumlber hinaus wurde Gott geboren ver-sucht ermuumldete erlangte Reife litt Schmerzen und nahm zu an Weisheit und

1078 David Mathis ldquoEnhypostasis What Kind of Flesh Did the Word Becomerdquo Desiring God 25 De-

cember 2010 Web Accessed 27 July 2015 lthttpwwwdesiringgodorgarticlesenhypostasis-what-kind-of-flesh-did-the-word-becomegt

1079 Augustus H Strong Systematic Theology (Philadelphia Judson Press 1985) p 673

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Verstand Trotz der Unpopularitaumlt dieser Vorstellungen bei vielen modernen Evangelikalen sind dies die Implikationen der Orthodoxie

Viele derselben christlichen Mainstream-Theologen die andere Christen als bdquoket-zerischrdquo bezeichneten weil sie sich nicht an die Konzilsbeschluumlsse hielten haben sich als ebenso unorthodox erwiesen indem sie sich fuumlr nestorianische oder semi-nestorianische Ansichten uumlber die duale Natur [Jesu] eingesetzt haben Wie wir in fruumlheren Kapiteln gesehen haben lehren Evangelikale wie R C Sproul dass bdquodie Suumlhne durch die menschliche Natur Christi erfolgt ist der Tod ist etwas das nur von der menschlichen Natur erfahren wirdrdquo1080 Aber ist das nicht die bdquoHaumlresierdquo von Nestorius der behauptete dass bdquoder nur menschliche Aspekt Christi am Kreuz gestorben ist aber nicht der goumlttlicherdquo1081 Unglaublich Waumlh-rend Sproul Nestorius als ketzerisch brandmarkt und den Triumph des Konzils lobt das ihn als Ketzer verdammt hat fragen wir uns ob Sproul faumlhig ist sich und seine eigenen Gedanken als Haumlresie zu erkennen1082 Wie Hilarius so poin-tiert bemerkte bdquoWir verurteilen entweder die Lehre der anderen in uns selbst oder unsere eigene in der Lehre der anderenrdquo1083 Das war so scheint es die Stan-dardpraxis fuumlr trinitarische Gelehrte die trotz ihres oumlffentlichen Bekenntnisses zu einer groszligen oumlkumenischen Einheit bis heute keine umfassende Harmonie zwischen sich und den schwierigen Fragen der Orthodoxie erreichen konnten1084 Im Gegensatz zu der Vorstellung dass nur die menschliche Natur Jesu am Kreuz starb sagt uns das Neue Testament dass bdquowir durch den Tod seines Sohnes mit Gott versoumlhnt wurdenrdquo (Roumlmer 510) Es war also keine bdquoNaturrdquo sondern bdquoder Sohnrdquo selbst der starb Eine bdquomenschliche Naturrdquo kann nicht fuumlr die Suumlnden des Volkes suumlhnen nur die menschliche Person der Sohn selber Er hatte sich zur Ausfuumlhrung des Heilsplans Gottes qualifiziert (Hebraumler 217-18)

1080 R C Sproul ldquoDid God Die on the Crossrdquo Ligonier Ministries Web 27 October 2014

lthttpwwwligonierorgblogit-accurate-say-god-died-crossgt (Ist Gott am Kreuz gestorben 1081 bdquoNestorian Christianityrdquo New World Encyclopedia Web 27 October 14 1082 R C Sproul ldquoNone Dare Call It Heresyrdquo Ligonier Ministries Web 27 October 2014

lthttpwwwligonierorglearnarticlesnone-dare-call-it-heresygt (Keiner wagt es Haumlresie zu nennen) 1083 Hilarius Ad Constantium I 1084 Es ist wichtig zu beachten traditionell gesehen dass der roumlmische Katholizismus das protestantische

Christentum die griechische Orthodoxie die orientalische Orthodoxie der oumlstliche Katholizismus usw alle behaupten an die Lehre der Dreifaltigkeit zu glauben sich aber in den Definitionen Prinzipien und Dogmen aus denen diese Doktrin besteht stark unterscheiden Ihre Gelehrten sehen sich in vielen ihrer Lehren uumlber die Natur Christi in der Regel als ketzerisch an doch heute finden sich ihre Gemeinschaften die sich allgemein als mehr oder weniger legitime Christen einschaumltzen waumlhrend die anderen Christen die das Trinitaumltsdogma insgesamt verneinen marginalisiert oder noch schlimmer behandelt werden Es wird uns obliegen die Fassade der vollkommenen christlichen Einheit auf dem bdquoorthodoxen Trinitaris-musrdquo staumlndig zu erhellen und eine Illusion zu beseitigen die nur durch Tabu und Unwissenheit hergestellt und verewigt worden ist

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Letztendlich erweist sich die Unterordnung Christi (Subordination) unter Gott im Neuen Testament als gut begruumlndet und erklaumlrt Die subordinationistischen Urchristen - die Nazarener die Theodotianer die Artemoniten die Paulianisten die Photinier und andere - hatten Recht als sie behaupteten an der Lehre der fruumlhesten Jesusgemeinschaft in diesem Punkt festgehalten zu haben Aber wieso beharren diese historischen Gruppen auf Jesus als erhabene [erhoumlhte] menschliche Figur Stimmen ihre Ansichten auch in diesem Punkt mit dem neutestamentli-chen Zeugnis uumlberein

DerMenschderMittlerSeit der Katastrophe im Garten Eden braucht die Menschheit einen Vermittler um den Abgrund zu uumlberbruumlcken welcher sich durch der Menschen Suumlnde gegen den heiligen Gott aufgetan ist Hiob beklagte seine Trennung von Gott bdquoGaumlbe es doch einen Schiedsmann zwischen uns dem wir uns alle beide beugen muumlssten rdquo (Hiob 933 GNB) Die unabdingbare Vermittlung zwischen Gott und den Menschen war ein wichtiges Thema des Apostels Paulus und er schreibt an die Galater bdquoEs braucht aber keinen Vermittler wenn [nur] eine einzige Person handelt und Gott ist doch Einerrdquo (Galater 320 ELB) Wie bereits erwaumlhnt uumlbersetzt die moderne Amplified Bible auf Englisch tatsaumlchlich bdquoGott ist nur eine Personrdquo Obwohl eine trinitarisch ori-entierte Uumlbersetzung ist sie darauf bedacht die volle Bedeutung des Originaltex-tes zu vermitteln In Galater 320 lesen wir in dieser Version allerdings eine Aus-sage mit der die trinitarische Theologie vehement nicht einverstanden sein kann Die beiden in diesem Abschnitt erwaumlhnten Parteien die eine Vermittlung benouml-tigen sind auf der einen Seite Gott und auf der anderen die Menschheit Die Frage draumlngt sich nun auf Zu welcher Partei gehoumlrt nun der Vermittler Jesus Christus Ist er Gott und repraumlsentiert er die Partei Gottes Oder ist er Mensch der die Partei der Menschen vertritt Vielleicht ist er irgendwie beides

Paulus macht in seinem ersten Brief an Timotheus eine praumlgnante und bewegende Ankuumlndigung bdquoDenn es gibt einen Gott und einen Mittler zwischen Gott und den Menschen den Menschen Christus Jesusrdquo (1 Timotheus 25) Hier definiert Paulus Jesus als den Menschen der zwar zwischen den beiden Parteien steht aber nicht als hybriden Gott-Menschen sondern explizit als Vertreter der Menschheit Die Mehrheit der christlichen Kirchen weicht in dieser Hinsicht heute von Paulus ab Die Southern Baptist Convention erweitert freimuumltig die Aussage des Paulus und sagt dass es bdquoden einen Vermittler gibt wahrer Gott wahrer Menschrdquo1085 Sie finden die Worte des Paulus offensichtlich unzureichend als ob er andere grundlegende Daten ver-

1085 ldquoThe Baptist Faith amp Messagerdquo SBC Official Website of the Southern Baptist Convention Web 5

May 2013 lthttpwwwsbcnetbfmbfm2000aspIgt unsere Hinzufuumlgung

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nachlaumlssigt oder gar nicht gewusst haumltte In der Tat wie oft houmlren wir von trini-tarischen Apologeten dass Jesus sowohl Gott als auch Mensch gewesen sein muumlsse um sich als Vermittler zu qualifizieren1086 Aber das ist nicht die einfache verstaumlndliche Forderung des Paulus Die einzige neutestamentliche Bedingung fuumlr den Messias um sich als Fuumlrsprecher [Mittler] zu qualifizieren ist dass er ganz Mensch war

bdquoDaher musste er in allen Dingen seinen Bruumldern gleich werden auf dass er barmherzig wuumlrde und ein treuer Hoherpriester vor Gott zu versoumlhnen die Suumlnden des Volksrdquo (Hebraumler 217)

Als Gott den Messias zeugteerschuf war er bdquoin jeder Hinsichtrdquo (Schlachter 2000) Mensch Er bdquomusste seinen Geschwistern in jeder Hinsicht gleich werdenrdquo (NeUuml) dh wenn der Messias wirklich ein Engel gewesen waumlre oder ein Gott-Mensch-Hybrid der eine menschliche und eine goumlttliche Natur zwei Verstandes-ebenen und zwei Willen beherbergte oder wenn er selbst der allmaumlchtige ewige Gott gewesen waumlre haumltte ihn dies [fuumlr das Amt des Hohepriesters] disqualifiziert Wenn jemand im Namen der Menschheit zwischen den Menschen und Gott ver-mittelt dh um ein Priester zu sein muss er ausschlieszliglich aus dem Kreis der Menschheit stammen Das Neue Testament bestaumltigt diese Auffassung Was Je-sus als Hoherpriester betrifft so lesen wir

bdquoWir wollen also voll Zuversicht vor den Thron unseres gnaumldigen Gottes treten damit er uns sein Erbarmen schenkt und uns seine Gnade erfahren laumlsst und wir zur rechten Zeit die Hilfe bekommen die wir brauchen Ein Hoherpriester ist jemand der aus dem Kreis seiner Mitmenschen her-ausgerufen und fuumlr seine Mitmenschen eingesetzt wird mit dem Auftrag vor Gott fuumlr sie einzutreten und fuumlr ihre Suumlnden Gaben und Opfer darzubrin-genrdquo (Hebraumler 416 51)

In der Uumlbersetzung Hoffnung fuumlr Alle (HFA) lesen wir folgende Version bdquoJeder Mensch der zum Hohenpriester ernannt wird ist zum Dienst fuumlr Gott eingesetzt stellvertretend fuumlr seine Mitmenschenrdquo Menge uumlbersetzt den Vers wie folgt bdquoDenn jeder aus der Zahl der Menschen genommene Hohepriester wird fuumlr Men-schen zum Dienst vor Gott eingesetztrdquo Die Ebene der Menschheit und keiner anderen sonst ist die Gattung aus der bdquojeder Hohepriester ausgewaumlhlt wirdrdquo Ein

1086 Die Kommentare des Trinitariers Warren Wiersbe sind bezeichnend bdquoAls Gott-Mensch ist Jesus

Christus der perfekte Vermittler zwischen dem heiligen Gott und seinen misslungenen Kindern Keine andere Person kann sich qualifizieren Jesus Christus ist sowohl Gott als auch Mensch rdquo (Warren Wiersbe Epheser durch Offenbarung Band 2 (David C Cook 2003) S 216) Beachten Sie auch die unglau-bliche Abhandlung eines oumlsterreichischen Professors bdquoPaulus Bezug auf Ihn als den bdquoMenschen Christus Jesusrdquo druumlckt seine einzigartige Eigenschaft aus sowohl menschlich als auch goumlttlich zu seinrdquo (Martin Probstle Where God and I Meet the Sanctuary (Hagerston Review and Herlad Publishing 2013) Eine solche goumlttliche Natur wird von Paulus jedoch nicht angegeben

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richtiges Verstaumlndnis des mediatorischen Konzepts des Paulus in 1 Timotheus 25 ist grundlegend fuumlr das Verstaumlndnis nicht nur der Beziehung Christi zu Gott sondern auch der Beziehung des Menschen zu Gott durch Christus Wir muumlssen darauf achten dass wir seine genauen Worte nicht aufheben oder unsere eigenen Gedanken und chronologisch inkonsistente Dogmen nicht in seine Formeln ein-bringen Der katholische Priester und Professor Raymond Collins gibt einen

Mit dem Nachhall des juumldischen Shema (2 Mose 64) und des hym-nischen Bekenntnisses des Paulus (1 Kor 86) [Denn es gibt einen Gott den Vater und einen Herrn Jesus Christus] bekraumlftigt der Pastor [der Apostel Paulus] die Einzigartigkeit Gottes und weiter dass es nur einen Vermittler zwischen Gott und den Menschen gibt Der Pastor [der Apostel Paulus] verwendet das Substantiv anthropos bdquoMenschrdquo bdquoeine Personrdquo um Menschen zu bezeichnen Sein Gebrauch folgt der Praxis anderer neutestamentlicher Auto-ren die diesen Oberbegriff regelmaumlszligig verwenden um Menschen als von Gott verschieden zu bezeichnen Im gesamten Neuen Tes-tament steht der bdquoMenschrdquo (anthropos) immer in explizitem oder im-plizitem Kontrast zu bdquoGottrdquo (theos) Indem er die Menschlichkeit des Mediators bekraumlftigt bevor er ihn identifiziert zeigt der Medi-ator seine versoumlhnende Absicht Der Mediator ist kein vergoumlttlich-ter Imperator [ein Gott-Mensch]1087 der Mediator ist ein Mensch Dann und erst dann identifiziert der Pastor [der Apostel Paulus] den Vermittler als Christus Jesus die Menschlichkeit von Chris-tus Jesus ist ein sehr wichtiger Faktor im theologischen Schema des Pastors [des Apostels Paulus] Dies liegt an der subtilen Polemisie-rung gegen die Vergoumlttlichung der [roumlmischen] Kaiser sowie an sei-ner radikal juumldischen Sichtweise von Gott - einzigartig dynamisch und transzendent Es unterstreicht auch die Solidaritaumlt Christi Jesu mit der gesamten Menschheit soweit er ein Mensch ein anth-ropos einer unter und in der Beziehung zu anderen Menschen ist1088

Collins Bezugnahme auf das Argument von Paulus gegen vergoumlttlichte Kaiser1089 erinnert an unsere fruumlhere Studie im ersten Teil in der es darum ging dass die

1087 bdquoRoumlmische Kaiser wie auch die heidnischen babylonischen aumlgyptischen und griechischen Koumlnige vor

ihnen wurden von vielen als die lebendige Verkoumlrperung ihrer Goumltter oder der Gottmenschen angesehenrdquo (Steve Urick Major Cults and False World Religions (Bloomington Authorhouse 2014 [2011]) p 222)

1088 Raymond F Collins First and Second Timothy and Titus A Commentary (Louisville Westminster John Knox Press 2002) pp 60-61 unsere Hinzufuumlgung

1089 Alexander war der erste Grieche der behauptete er sei tatsaumlchlich als Sohn eines Gottes geboren worden Er konnte die Griechen nicht uumlberzeugen aber in Aumlgypten waren die Ptolemaumler erfolgreicher

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aumlgyptischen Koumlnige als goumlttliche Inkarnationen anerkannt wurden als vermit-telnde Gottmenschen Eine Enzyklopaumldie zeigt das

Der roumlmische Kaiserkult laumlsst sich bis ins antike Aumlgypten zuruumlck-verfolgen wo der Pharao Jahrtausende lang als ein inkarnierter [fleischgewordener] Gott galt Nachdem Alexander der Groszlige sein mazedonisch-griechisches Reich gegruumlndet hatte eroberte er auch Aumlgypten wo ihn ein Orakel zum Gott erklaumlrte Der Herrscherkult wurde in den Koumlnigreichen verbreitet [Die Errungenschaften des roumlmischen Kaisers Augustus] waren ein Beweis dafuumlr dass eine Gottheit in ihrem Kaiser praumlsent war [und] der Senat verfuumlgte dass Augustus nach seinem Tod ein Gott war (14 n Chr) Der Kult spielte eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der roumlmischen Zivi-lisation bei der Foumlrderung des Buumlrgerstolzes und der Treue zur rouml-mischen Herrschaft bei der Assimilation des traditionellen Poly-theismus [Vielgoumltterkults] und im Wettbewerb mit den Behauptun-gen des [orthodoxen] Christentums dass Jesus Christus der fleisch-gewordene [inkarnierte] Gott sei1090

Der Gottmensch Augustus war derselbe Kaiser der zum Zeitpunkt der Geburt Christi in Judaumla in der Bibel erwaumlhnt wurde (Lukas 21) die Tradition des Gott-menschen wurde also zum Zeitpunkt des Schreibens des Paulus gepflegt1091 und wie Collins feststellte ist es genau ein solches vermittelndes Wesen sowohl goumltt-lich als auch menschlich gegen das Paulus wohl im 1 Timotheus 25 argumen-tiert Das Christentum des Paulus konkurriert nicht um Aufmerksamkeit mit den Gottmenschen der Heiden denn Paulus ist der Mensch und nur der Mensch Jesus der dem groszligen und transzendenten Gott den Dienst im Namen seiner Bruumlder anbietet Dennoch wie Historiker festgestellt haben bdquowurde Jesus als

bei der Annahme der Goumlttlichkeit Sie nutzten die Tradition dass der Pharao der Sohn des Gottes Amun war rdquo (Freeman Closing of the Western Mind S 40) bdquoDer erste roumlmische Kaiser Octavian war maszliggeblich an der Entstehung des Reichskultes beteiligt der lebende Kaiser mit den Goumlttern verband er wurde als Sohn von Julius Caumlsar adoptiert der die Abstammung von der Venus und den Koumlnigen Roms beanspruchte Caumlsar wurde als Gott anerkannt und machte Octavian so zu einem divi filius (Sohn eines Gottes)rdquo (Michael Bland Simmons Holy People of the World A Cross-cultural Encyclopedia Vol 1 (Oxford ABC-CLIO 2004) p 83) Gaius Caligula Nero und Domitian sind vielleicht die besten Beispiele fuumlr roumlmische Kaiser die angeblich Goumltter sind man erinnert sich auch an die Bemerkung des Kaisers Vespasian uumlber sein Sterbebett bdquoVae puto deus fiordquo oder bdquoWeh ich glaube ich werde zu einem Gottrdquo (M F Wiles Studia Patristica Vol 34 (Oxford 1999) p 204)

1090 Simmons p 83 unsere Hinzufuumlgung 1091 Muumlnzen die Octavians goumlttlichen Status verkuumlnden tauchen um 38 v Chr auf und der Titel bdquodivi

filiusrdquo beginnt von ihm ab 40 v Chr verwendet zu werden Nach seinem Tod im Jahre 14 n Chr wurde er zum bdquointer deos relatesrdquo (unter den Goumlttern eingetragen) Es wird angenommen dass die ersten Schriften des Paulus um 52 und die neuesten um 64 n Chr entstanden sind Zur Datierung der pau-linischen Briefe siehe Raymond E Brown An Introduction to the New Testament (New York Doubleday 1997) p 424

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Mittler zwischen Mensch und Gott durch die spaumltere Lehre der Dreifaltigkeit in den Hintergrund gedraumlngt indem er erklaumlrte dass er ein wesentlicher Bestandteil der Gottheit seirdquo1092

Das Gesetz der Handlungsvollmacht

Ein wichtiges Konzept wenn wir den Jesus des Neuen Testaments verstehen wollen ist ein juumldisches Prinzip das als bdquodas Gesetz der Handlungsvollmacht bekannt istrdquo1093 Das Konzept wird in der Regel so zusammengefasst Der Agent eines Menschen ist gleichbedeutend mit dem Auftraggeber Wenn Gott einem Agenten Autoritaumlt uumlbertraumlgt kann dieser Agent selbst bdquoGottrdquo genannt werden Er kann im Namen Gottes als Gott sprechen und handeln Dieses uralte Prinzip wurde von den Juden in der Zeit des Zweiten Tempels haumlufig zitiert und allge-mein verwendet Es wurde in sozialen Situationen eingesetzt in denen ein Mann einen anderen in seinem Namen senden kann um Geschaumlfte zu machen Es ist auch in biblischen Kommentaren erklaumlrt1094 Wie McGrath bemerkt

Die Handlungsvollmacht war in der Antike ein wichtiger Bestand-teil des Alltags Personen wie Propheten und Engel die in der Juuml-dischen Schrift erwaumlhnt werden wurden als bdquoAgentenrdquo Gottes an-gesehen Und die Schluumlsselidee bezuumlglich des Handelns in der An-tike scheint in dem Satz aus der rabbinischen Literatur zusammen-gefasst zu sein der in diesen Kontexten so oft zitiert wird bdquoDerje-nige der geschickt wurde ist wie derjenige der ihn geschickt hatrdquo Das Ergebnis ist dass der Agent nicht nur goumlttliche Funktionen erfuumlllen sondern auch in goumlttlicher Sprache dargestellt werden kann auf dem Thron Gottes oder neben Gott sitzt und sogar den goumlttlichen Namen traumlgt1095

1092 Freeman Closing of the Western Mind p 117 1093 Die Juumldische Enzyklopaumldie definiert auf diese Weise das hebraumlische Gesetz des Handelns auch

bekannt als bdquoShaliahrdquo bdquoDas Gesetz der Agentur (Vollmacht) befasst sich mit dem Status einer Person (bekannt als der Vertreter) die auf Anweisung eines anderen (des Auftraggebers) handelt und damit den Auftraggeber in seinem Zusammenhang mit einer dritten Person rechtsverbindlich macht Die Person die einen Auftraggeber auf diese Weise bindet ist sein Vertreter der im juumldischen Rechtssystem als Sheluah oder Shaliah bekannt ist (einer der gesandt wird) die Beziehung des Ersten zu dem Letzteren wird als Agentur (Shelihut) bezeichnet Das allgemeine Prinzip wird so formuliert Der Agent eines Mannes ist wie er selbst (Kid 41b)rdquo (Lewis N Dembitz ldquoLaw of Agencyrdquo Jewish Encyclopedia 1906 p 232)

1094 Siehe versch Rabbinische Quellen (b Nazir 12b m Ber 55 b B Mes 96a b Qidd 42b 43a b Menah 93b etc) Siehe Oxford Dictionary of the Jewish Religion (New York OUP 2011) p 24

1095 James F McGrath The Only True God Early Christian Monotheism in its Jewish Context (Urbana and Chicago The University of Illinois Press 2009) p 14 (Der einizig wahre Gott Fruumlhchtristlicher Monotheismus im Juumldischen Kontext)

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Ein Beispiel fuumlr dieses Prinzip in der Praxis des Alten Testaments ist Mose bdquoDa sprach Jahwe zu Mose Siehe ich habe dich fuumlr den Pharao zum Gott eingesetzt und dein Bruder Aaron soll dein Prophet seinrdquo (2 Mose 71) ein weiteres Beispiel sind die Fuumlrsten und Richter Israels bdquoIch sagte sbquoIhr seid Goumltterrsquo ihr seid alle Soumlhne des Allerhoumlchstenrdquo (Psalm 826 Johannes 1034) Diese Personen die mit der Autoritaumlt Gottes ausgestattet waren sollten von den Parteien zu denen sie gesandt wurden mit dem Titel sbquoGottsbquo angesprochen werden1096

Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament werden der Auftraggeber und sein Vertreter so sehr identifiziert dass sie im Text manchmal fast durcheinander geraten Zum Beispiel sagt JHWH in 2 Mose 717 bdquoSiehe ich will mit dem Stab der in meiner Hand ist auf das Wasser im Nil schlagenrdquo Aber in Vers 19 lesen wir dass es Aaron ist der tatsaumlchlich seinen Stab nahm und uumlber den Nil aus-streckte Vers 25 kommt zu dem Schluss dass bdquoJahwe den Nil getroffen hatterdquo Im Matthaumlusevangelium lesen wir dass ein roumlmischer Hauptmann kam um mit Jesus zu sprechen (Matthaumlus 85) Aber in Lukas 73 lesen wir dass der Centurio des roumlmischen Heeres juumldische Aumllteste geschickt hatte um mit Jesus in seinem Namen zu verhandeln Matthaumlus sieht die Agenten (die Aumlltesten) so als waumlren sie der Hauptmann (der Centurio) und er [Jesus] handelte mit den Boten wie wenn sie der Centurio persoumlnlich waumlren

Wir begegnen diesem Prinzip der Handlungsvollmacht mehrmals in den neutes-tamentlichen Lehren Jesu1097 Das Verstaumlndnis dieses wichtigen Verfahrens klaumlrt einige der ansonsten potenziell raumltselhaften Aspekte der Evangeliumsgeschichte Die erstaunlichen Wunder Christi seine Verkuumlndigungen des Gerichts und der Vergebung - alles wurde ausdruumlcklich erfuumlllt weil Jesus bdquoim Namenrdquo (in der Au-toritaumlt Gottes) kam1098 Waumlhrend das Johannesevangelium haumlufig als Beweis fuumlr die Gottheit Jesu oder seine Identifikation mit Gott angefuumlhrt wird haben Wis-senschaftler festgestellt dass es insbesondere im vierten Evangelium uumlberaus wichtig ist Jesus nicht selbst zu Gott zu machen sondern ihn als Vertreter Gottes zu unterscheiden Jesus erfuumlllt Gottes Willen (434) spricht Gottes Worte (828) und gehorcht den Geboten Gottes (1431) Wie Marianne Meye Thompson be-staumltigt

Jesus wird im Evangelium [des Johannes] vor dem Hintergrund des juumldischen Handlungskonzepts und daruumlber hinaus vor der Tatsa-che dass es einen Hauptagenten gibt durch den Gott handelt [den

1096 Siehe 2 Mose 416 71 216 228-9 Psalm 456 581 826 Johannes 1034 1097 Siehe Matthaumlus 1040 Markus 937 Lukas 948 1016 Johannes 1320 1098 Jesus wird ausdruumlcklich sowohl von ihm selbst als auch von der Menge die ihn liebte als ein Koumlnig

identifiziert der in der Autoritaumlt Jahwes gesandt worden war bdquoDenn ich sage euch ihr werdet mich erst wieder sehen wenn ihr sagt rsquoGesegnet ist der da kommt im Namen des Herrnlsquo (Matthaumlus 2329) sbquoGe-segnet ist der Koumlnig der im Namen des Herrn kommtlsquo

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Messias] Weil Jesus der Hauptagent Gottes ist wenn man ihm gegenuumlbertritt konfrontiert man Gott1099

Tatsaumlchlich betont der johanneische Jesus immer wieder diesen Punkt bdquoWer mich sieht sieht den der mich gesandt hatrdquo (Johannes 1245 ELB) bdquoWer mich gesehen hat hat den Vater gesehenrdquo (Johannes 149 ELB) Dieses bdquoGesetz der Handlungsvollmachtrdquo wird auch im weiteren Verlauf unserer Untersuchung eine wichtige Rolle spielen und sich letztendlich als die beste Methode zur Interpreta-tion der Jesus-Geschichte im juumldischen monotheistischen Kontext erweisen

MeshiachbenJosephwieistChristiUnterordnungundseineRollezuverstehenEs gibt eine nuumltzliche biblische Illustration um Jesu hierarchische Stellung unter Gott als seinem Agenten und seine funktionale Gleichheit mit ihm weiter zu ver-stehen die alttestamentliche Erzaumlhlung uumlber Joseph

Gemaumlszlig einer rabbinischen Tradition nahmen Schriftgelehrte die die messiani-schen Prophezeiungen der Schrift untersuchten aufgrund ihrer radikal unter-schiedlichen Rollen tatsaumlchlich wahr was sie von mehr als einen Messias ausgin-gen Zwei dieser eschatologischen Figuren wurden bdquoMessias ben Davidrdquo und bdquoMessias ben Josephrdquo genannt Diese hypothetischen Charaktere wurden auf-grund der prophetischen Typologie welche die biblischen Persoumlnlichkeiten Da-vid und Joseph umgab so genannt Zum Beispiel wurde bdquoMessias ben Davidrdquo als bdquoder erobernde Koumlnig von Israelrdquo anerkannt waumlhrend bdquoMessias ben Josephrdquo bdquoder leidende Dienerrdquo war1100 Diejenigen die Jesus von Nazareth als Messias akzeptieren werden diese beiden typologischen Figuren in ihm schnell erkennen Die meisten Juden die auf den Messias warten scheinen jedoch nur den bdquoer-obernden Koumlnigrdquo im Sinn zu haben Deshalb waren und sind vielleicht so viele schockiert dass der Messias der fuumlr sie unverzuumlglich die Roumlmer haumltte erobern sollen an einem roumlmischen Kreuz hingerichtet wird Doch selbst in dieser rabbi-nischen Tradition wurde erwartet dass bdquoMessias ben Josephrdquo zuerst auf den Schauplatz kommt nur um dann tatsaumlchlich getoumltet zu werden bevor bdquoMessias ben Davidrdquo kommt um das Koumlnigreich Gottes auf Erden einzuweihen1101 Auch

1099 Marianne Meye Thompson Dictionary of Jesus and the Gospels (Downerrsquos Grove IVP 1992) S 377

Dieses Prinzip zu verstehen bedeutet bdquoden Agenten wie denjenigen zu sehen der ihn geschickt hatrdquo und es wird hilfreich sein wenn wir die Worte von Thomas in Johannes 2028 in Kapitel 12 dieses Buches betrachten

1100 Siehe John Parsons ldquoMashiach ben Yosef Joseph as a Type of Messiahrdquo Hebrew for Christians Web 29 October 2014 (Mashiach ben Yosef Joseph als Typus des Messias Hebraumlisch fuumlr Christen)

1101 Siehe Gerald J Blidstein ldquoMessiah in Rabbinic Thoughtrdquo Jewish Virtual Library and Encyclopedia Judaica The Gale Group 2008 Web 2 December 2012 See also Markus Bockmuehl James Carleton Paget (ed) Redemption and Resistance The Messianic Hopes of Jews

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hier erkennen Christen diese Dinge in der Person Jesu als selbstverstaumlndlich an aber fuumlr viele Juden sind sie dennoch schwierig zu begreifen

In der Wahrnehmung des biblischen Joseph als archetypischen Messias entde-cken wir eine reiche Parallele zu unserer Untersuchung Joseph der zu Unrecht dazu verurteilt wurde neben zwei Verbrechern im Land Aumlgypten zu leiden (1 Mose 402-3) wurde aus der Grube erhoben und mit feinem Leinentuch versehen (1 Mose 4142) so wie Jesus zwischen zwei Verbrechern gekreuzigt wurde aus dem Grab auferweckt und mit Unsterblichkeit bekleidet wurde (Matthaumlus 286) Ebenso kroumlnte der Pharao Joseph nach der bdquoAuferstehungrdquo mit Ehre und Macht und ernannte ihn zum Stellvertreter [des Pharaos] in Aumlgypten (1 Mose 4139-45) Wie Psalm 10521 erinnert setzte der Pharao Joseph zum bdquoHerrnrdquo und bdquoHerr-scher uumlber all seinen Besitzrdquo ein Ebenso erhoumlhte Gott Jesus zum bdquoHerrnrdquo und bdquoMessiasrdquo (Apg 236) und gab ihm bdquoalle Machtrdquo (Matthaumlus 2818) In der Jo-sephsgeschichte entdecken wir leicht dasselbe Muster des Machtverhaumlltnisses zwischen dem erhoumlhten Jesus und seinem Gott

bdquoDu sollst mein Stellvertreter sein und mein ganzes Volk soll deinen An-ordnungen gehorchen Nur die Koumlnigswuumlrde will ich dir voraushaben Ich gebe dir die Vollmacht uumlber ganz Aumlgypten Mit diesen Worten zog er seinen Siegelring vom Finger und steckte ihn Josef an Dann lieszlig er ihn in feinstes Leinen kleiden und legte ihm eine goldene Halskette um Er lieszlig ihn den Wagen besteigen der fuumlr den Stellvertreter des Koumlnigs bestimmt war und die Laumlufer die vor ihm her den Weg bahnten riefen den Leuten zu bdquoAb-rek Aus dem Wegldquo So machte der Pharao Josef zum Herrn uumlber ganz Aumlgypten sbquoIch bin und bleibe der Pharaolsquo sagte er zu ihm sbquoaber ohne deine Erlaubnis darf niemand im ganzen Land auch nur die Hand oder den Fuszlig bewegenlsquo Er verlieh Josef den Namen Zafenat-Paneach und gab ihm Asenat die Tochter des Priesters Potifera von On zur Frau So wurde Josef Herr uumlber ganz Aumlgyptenrdquo (1 Mose 4140-45 NET)

Joseph erhielt den Status der houmlchsten Ehre und Macht und wurde sogar dem Pharao im Staat funktional gleichgestellt Obwohl Joseph die Macht des Pharaos uumlber alle Menschen in Aumlgypten erhielt blieb der Pharao dennoch houmlher Joseph war bdquoHerrrdquo und bdquoStellvertreterrdquo waumlhrend der Koumlnig allein bdquoPharaordquo war Ebenso sehen wir dass Jesus in eine Position groszliger Ehre erhoben wurde die Autoritaumlt Gottes uumlber alle Menschen erhielt und nur von Gott selbst uumlbertroffen wurde (1 Kor 1527-28) Der Vater behielt jedoch seine einzige Identifikation und Ehre als der eine wahre Gott bei bdquoIch Jahwe werde ihr Gott sein und mein Diener

and Christians in Antiquity (Continuum 2009) p 269 (Erloumlsung und Widerstand Die Messianische Hoffnung von Jesus und den Christen der Antike)

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David wird Fuumlrst unter ihnen seinrdquo (Hesekiel 3424) bdquoSie werden ihrem Gott Jahwe und ihrem Koumlnig David dienen den ich fuumlr sie auferwecken werderdquo (Jere-mia 309)

Sicherlich behaupteten damals einige der Feinde Christi uumlberwaumlltigt von Miss-verstaumlndnissen und erfuumlllt von Hass auf den jungen Rabbiner dass er behauptete Gott gleichwertig zu sein oder sich in unerlaubter Weise an Gottes eigenen Platz zu stellen1102 Bei Johannes lesen wir dass die Feinde Jesu wuumltend wurden weil bdquoer Gott sogar seinen eigenen Vater nannte und sich mit Gott gleichstellterdquo (Johannes 518b) Aber welche Art von Gleichheit meinten sie hier Man braucht nicht weiter zu gehen als die Worte aus dem Munde Christi in Johannes 1428 bdquoDer Vater ist groumlszliger als ichrdquo um jeden Argwohn schnell abzuwenden Wie McGrath bemerkt

In praktischer Hinsicht funktionierte Jesus Gott ebenbuumlrtig wie Jo-hannes zeigt entsprechend dem Grundprinzip der Handlungsvoll-macht dass bdquoder Gesandte ist wie derjenige der ihn gesandt hatrdquo Die zentrale Frage im Konflikt ist ob Jesus bdquosich Gott gleich-stelltrdquo oder eben der von Gott ernannte Vertreter ist Der johan-neische Jesus verneint leidenschaftlich dass er sich selbst zu etwas macht vielmehr tut er den Willen dessen der ihn gesandt hat1103

Tatsaumlchlich berichtet Johannes dass Jesus beteuerte der Vater sei bdquogroumlsserrdquo als er selbst und sogar bdquogroumlsser als allerdquo (Johannes 1029) Die Autoritaumlt Christi ba-sierte auf der Autoritaumlt Gottes und war gemaumlszlig seinen eigenen Angaben vollstaumln-dig [von Gott] hergeleitet Indem er Gott seinen eigenen Vater nannte bean-spruchte er in der Tat den zweiten Platz nach Gott Diese Position entspricht einer sehr intimen Beziehung die im Endeffekt der Autoritaumlt eines Sohnes uumlber das Haus seines Vaters gleichkommt Aber es war nicht Jesus der die Macht an sich gerissen hat sie wurde ihm von seinem Vater uumlbertragen Die Frage in der Erzaumlhlung des Johannes also betraf die Autoritaumlt Jesu und wie er sie erhielt Wurde sie ihm von Gott gegeben oder nicht War Jesu Anspruch auf die Sohn-schaft guumlltig oder hatte er sich angemaszligt sich selbst zum Sohn Gottes zu machen

1102 bdquoMissverstaumlndnisrdquo ist ein Hauptthema der Erzaumlhlungen des Evangeliums besonders bei Johannes

Sowohl die Nachfolger Christi als auch seine Gegner interpretierten seine Aussagen immer wieder falsch Waumlhrend er seine Feinde nicht uumlber die wahre Bedeutung vieler seiner Aussagen aufklaumlrte wurden die Fragen der Juumlnger die ihn liebten zugelassen Interessanterweise verstehen viele heute noch immer nicht die wahre Bedeutung der Worte Christi und schlieszligen sich den voumlllig falschen Vorstellungen und Klagen seiner Feinde an Siehe Johannes 219-22 313-13 431-34 651-6171 733-36 737-39 818-1921-222733-3438-4451-5256-58 939-41 101-626-36 1111-14 1123-25 121632-3440 136-1227-2933-37 142-57-11 1616-18 1625-29 20915 214 2122-23 Matthaumlus 1310-17 1334-36 1511-20 165-12 2229 2746-47 Markus 410-13 33-34 Lukas 250 945 1834 Siehe auch Spruumlche 285 Jesaja 69

1103 James F McGrath Jerry Truex ldquoTwo Powers and Early Jewish and Christian Monotheismrdquo Journal of Biblical Studies Vol 4 No 1 (2004) pp 50-51 (Zwei Maumlchte und der Juumldisache und Fruumlhchristliche Montheismus)

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und das Haus Gottes allein zu fuumlhren Es ist offensichtlich dass Jesus nicht be-schuldigt wurde persoumlnlich zu behaupten Gott selbst zu sein Das Schlimmste was seine Anklaumlger bei dieser schicksalhaften Pruumlfung gegen ihn vorbringen konnten war seine Behauptung Gottes Sohn zu sein (Lukas 2270)1104

Wir erkennen die patriarchalische Kultur der Juden und stellen fest dass die Au-toritaumlt uumlber die Familie und ihren Besitz uumlblicherweise durch das Dekret des Va-ters an den erstgeborenen Sohn verliehen wurde1105 Jesus bezeugte immer wie-der dass dies bei ihm der Fall war und sagte bdquoMir ist alle Autoritaumlt gegeben wor-denrdquo (Matthaumlus 2818) und bdquoDer Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Haumlnde gegebenrdquo (Johannes 335) Jesus hatte dann von Natur aus weder die Au-toritaumlt noch eine Gleichstellung mit Gott denn alle Dinge wurden ihm tatsaumlchlich von einem anderen verliehen Autoritativ handelte der Sohn nur mit Gottes Er-laubnis er agierte nicht allein Der Trinitarier A W Tozer sagt zu Recht bdquoEs ist

1104 Dustin R Smith schreibt bdquo[im Johannesevangelium] haumltte Jesus als rebellischer Sohn verstanden

werden koumlnnen der Vorrechte annimmt die nicht rechtmaumlszligig seine sind innerhalb des Judentums des ersten Jahrhunderts ein Anspruch auf Sohnschaft impliziert Gehorsam und Abhaumlngigkeit nicht Gleich-heit und Ebenbuumlrtigkeit (5 Mo 2118 Sir 36-16 Philo Conf 63 Dec 118) Mit anderen Worten wenn ein Sohn die Gleichstellung mit seinem Vater in einer Weise beansprucht welche die einzigartigen Vor-rechte des Vaters herausfordert (und damit den Vater entehrt) wuumlrde dies den Sohn zu einem rebel-lischen Sohn machen [Siehe McGrath Johns Apologetic Christology S 87] Wenn die johanneischen sbquoJudenlsquo Jesus als rebellischen Sohn verstanden haumltten der unrechtmaumlszligig das Recht beansprucht haumltte den Sab-bat zu brechen und Leben zu geben dann haumltten sie den Anspruch Jesu auf das Messiasamt als falschen Anspruch interpretiert In ihren Augen war Jesus ein falscher Messias Um dieser Behauptung entgegen-zuwirken sagte Jesus sbquoDer Sohn kann nichts aus sich selbst machen es sei denn es ist etwas was er den Vater tun siehtlsquo (Johannes 51930) Mit anderen Worten Jesus reagierte auf dieses Missverstaumlndnis (ein weit ver-breitetes Motiv im vierten Evangelium) indem er behauptete ein gehorsamer Sohn und nicht ein rebel-lischer Sohn zu seinrdquo (Smith Irons Dixon The Son of God S 39)

1105 Dass der Sohn insbesondere der bdquoerstgeborene Sohnrdquo der Familie von seinem Vater einen hohen Rang und Anspruch erhaumllt ist ein bekannter Aspekt im Familiensystem des Juden Das Recht wurde ihm vom Vater speziell eingebracht wobei seine Ausstattung eine Ableitung des eigenen Rechts des Vaters auf Eigentum und Verwaltung der Familie ist Juumldische Quellen erkennen an dass bdquoder erste Sohn der dem Vater geboren wurde einen bedeutenden Platz in der hebraumlischen Familie einnahm Der erstgeborene Sohn hatte Vorrang vor seinen Bruumldern und Schwestern Normalerweise vermachte ihm der Vater den groumlszligten Teil des Erbes rdquo (Morris Jastrow B Eerdmans Marcus Jastrow Louis Ginzberg ldquoBirthrightrdquo Jewish Encyclopedia 1906) Rabbinische Quellen kommentieren bdquoDie Vorrechte des Erstgeborenen als das eigentliche Fam-ilienoberhaupt nach dem Tod des Vaters waren tief im haumluslichen Leben der Juden verwurzeltrdquo (Bek VIII 1 vergleiche ldquoMaggid Mishnahrdquo in Maimonides ldquoYadrdquo Nahalot II 12) Am nuumltzlichsten fuumlr das Verstaumlndnis der Sohnschaft Christi ist die Tatsache dass bdquoDie Identifizierung des Erstgeborenen durch den Vater war am wichtigsten nur er war der Erstgeborene den der Vater als solchen erkannte auch wenn es der allgemeinen Vermutung widersprichtrdquo (B B 127b Sifre Deut 216) Beachten wir dass Gott Jesus offiziell als den geliebten Sohn anerkannt hat den er auserwaumlhlt hat bdquoDas ist mein auserwaumlhlter Sohnrdquo (Lukas 935) und bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Wohlgefallen gefunden rdquo (Markus 111) und bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Wohlgefallen gefunden hatrdquo (Matthaumlus 1218) und bdquoMein Sohn bist du ich habe dich heute gezeugtrdquohellip und wiederum bdquoIch werde ihm Vater und er wird mir Sohn seinrdquo hellip Wenn er aber den Erstgeborenen wieder in den Erdkreis einfuumlhrt spricht er bdquoUnd alle Engel Gottes sollen ihn anbetenrdquo (Hebraumler 15-6a) Beachten wir auch folgenden Vers bdquoDenn er empfing von Gott dem Vater Ehre und Herrlichkeit als von der erhabenen Herrlichkeit eine solche Stimme an ihn erging sbquoDies ist mein geliebter Sohn an dem ich Wohlgefallen gefunden habelsquo ldquo (2 Petrus 117)

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undenkbar dass Gott zu etwas wurde was er nicht warrdquo1106 Bei Jesus jedoch sehen wir eine groszlige Transformation Er erhielt Rechte und Macht und er wurde sowohl zum Herrn [Meister] als auch zum Christus [zum Gesalbten] durch goumltt-lichen Befehl (Apg 232) Die alttestamentlichen Propheten sahen diese groszlige Machtuumlbertragung voraus dass der Messias bdquoAutoritaumlt Herrlichkeit und souve-raumlne Machtrdquo erhalten wuumlrde (Daniel 714)1107 Wir duumlrfen jedoch nicht den Fehler begehen den Schluss zu ziehen da Gott sich seinen Sohn in der Funktion gleich-gestellt und ihm ein Amt uumlbergeben habe dass er mit ihm eine Substanz teile

Als Jesus die Autoritaumlt Gottes ausuumlbte gab es diejenigen die ihn missverstanden und andere die ihn zudem schlecht machten Es gab auch diejenigen welche die im Menschen Jesus entfaltete Macht [Gottes] richtig verstanden und sich daruumlber freuten Das heutige christliche Publikum scheint sich immer noch in dieselben Kategorien aufzuteilen Die dem Sohn verliehene Autoritaumlt erlaubte es ihm of-fensichtlich sogar Suumlnden zu vergeben eine Tat von der seine Gegner im ersten Jahrhundert (und viele moderne Trinitarier) annahmen dass sie nur Gott vorbe-halten war bdquoWie kann dieser Mensch so reden Er laumlstert Gott Wer kann Suumlnden vergeben auszliger der eine Gottrdquo (Markus 27) Jesus genoss die groszlige Bewunderung der Menge und zeigte ihr dass er dieses Recht als Mensch tatsaumlchlich von Gott erhalten hat Er haumltte der Anschuldigung auch entgegnen koumlnnen indem er auf seine angeblich eigene Gottheit verwies tat es aber nicht1108

1106 Tozer p 22 1107 Jesus interpretierte zusammen mit anderen Juden seiner Zeit die Gestalt des bdquoMenschensohnesrdquo in

Daniel 713 messianisch Jesu Zitat uumlber die Figur in Johannes 1234 als Antwort auf die An-schuldigungen der Juden dass er behauptete der Messias zu sein erlaubt uns diese Schlussfolgerung Wissenschaftler haben festgestellt dass bdquofuumlr einen Groszligteil der juumldischen und christlichen Geschichte diese Figur [in Daniel 713] als Messias interpretiert wurderdquo (John Collins The Scepter and the Star) Der Messias der Schriftrollen vom Toten Meer und andere antike Literatur (New York Doubleday 1995) S 36) bdquoDie messianische Sicht ist die aumllteste und in der Vergangenheit die vorherrschende Meinungrdquo (Stephen Miller The New American Commentary Daniel (Broadman amp Holman Pub 1994) S 209) Die Verbindung Jesu in Johannes 1234 des Messias aus der Davidischen Linie und des Bildes des Menschensohnes aus dem Buch Daniel verstaumlrkt die Vorstellung bdquodass die juumldische Tradition auch eine Ko-Regentschaft zwischen Gott und diesem Menschensohn entwickelte um im Koumlnigreich zu re-gierenrdquo (Douglas Welker Kennard Messiah Jesus Christology in His Day and Ours (Oxford Peter Lang 2008) p 388)

1108 Eine andere Perspektive Wenn Christus Suumlnden vergibt sagt er nicht bdquoIch vergebe dirrdquo als waumlre er Gott selbst der kuumlrzlich beleidigt wurde Stattdessen sagt er einfach dass bdquoeure Suumlnden vergeben sindrdquo und zeigt damit an dass Gott die Suumlnden vergeben hat Dasselbe Recht um zu verkuumlnden dass Gott die Suumlnden vergeben hatte war auch den Hohenpriestern Israels vorbehalten die im Tempel Opfer brachten Wer kann sagen dass Jesus nicht genau dieses Recht auf Priestertum und nicht das Recht des beleidigten Gottes in Anspruch genommen hat Jesus wird sicherlich zum Priester gemacht (Hebr 414-16) und macht auch andere zu Priestern bdquoEr hat uns gemacht hat zu einem Koumlnigtum zu Priestern seinem Gott und Vater Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit Amenrdquo (Offb 16) Einige Gelehrte wie R T France (The Gospel of Mark (Grand Rapids Wm B Eerd Pub Co 2002) S 125-126) und Sherman E Johnson (Gospel Acc to Mark (Black 1960) S 56) haben den passiven Ausdruck Christi (afientai sou hai hamartiai - ldquoyour sins are forgivenrdquo) als bdquogoumlttliches Passivrdquo

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bdquoDamit ihr aber wisst dass der Sohn des Menschen Vollmacht hat auf der Erde Suumlnden zu vergeben Dann sagt er zu dem Gelaumlhmten Steh auf nimm dein Bett auf und geh in dein Haus Und er stand auf und ging in sein Haus Als aber die Volksmengen es sahen fuumlrchteten sie sich und verherrlichten Gott der solche Vollmacht den Menschen gegeben hatrdquo (Mat-thaumlus 96-8)

J R Daniel Kirk vom Fuller Theological Seminary bestaumltigt in seiner juumlngsten Studie trotz populaumlrer Interpretationen des bdquogoumlttlichenrdquo Jesus die Geschichte von Markus 2 und Matthaumlus 9

Ein menschlicher Vertreter ndash ausgestattet mit Macht und Autoritaumlt - ergibt ein besseres Verstaumlndnis der Christologie dieser Schriftstel-len Ein Problem mit der Interpretation eines bdquogoumlttlichen Christusrdquo ist dass in der Erzaumlhlung die Schriftgelehrten als Gegner Jesu keine vertrauenswuumlrdigen Interpreten der Identitaumlt Jesu sind Ein weite-rer Punkt der Vorsicht [ist die Tatsache dass] die Menge Gott fei-ert der eine solche Autoritaumlt bdquodenrdquo oder bdquounterrdquo Menschen gibt (Matthaumlus 98) Es ist unwahrscheinlich um nicht zu sagen un-moumlglich dass die Leser von Markus davon ausgehen Jesus sei sel-ber der bdquoGott alleinrdquo der Suumlnden vergeben kann1109

So wie der Mensch Jesus von Gott das Vergebungsrecht erhalten hat uumlbertrug er diese Autoritaumlt auch auf andere Menschen Zu seinen Aposteln sagte er bdquoDenen ihr die Suumlnden erlasst denen sind sie erlassen denen ihr sie behaltet sind sie behaltenrdquo (Jo-hannes 2023) Wenn die Faumlhigkeit Suumlnden zu vergeben im Neuen Testament auf eine eigenstaumlndige [oder innewohnende] Gottheit hinweist dann ergibt sich hier mit den Aposteln eine houmlchst seltsame Situation

In diesem Prinzip erkennen wir wieder die Parallele zu Joseph [in Aumlgypten] Ob-wohl Joseph dem Pharao untertan blieb erfuumlllte er alle Pflichten des Pharaos So erkannte das Volk seine Gleichheit mit dem Koumlnig im funktionalen Sinne an Zum Beispiel realisierte Juda bdquodenn du bist wie der Pharaordquo (1 Mose 4418) Andere Uumlber-setzungen sind nuumltzlich um den genauen Sinn ihrer Gleichheit zu verstehen bdquoDu stehst so hoch wie der Pharaordquo (Menge) bdquoDu bist maumlchtig wie der Pharaordquo (Neue Evang) bdquoDu bist so maumlchtig wie der Pharaordquo (GNB) Juda fleht dann seinen Bruder an weil er erkennt dass Joseph das Recht hat das zu tun was der Pharao tut Tatsaumlchlich hatte Pharao verfuumlgt bdquoIch bin der Pharao aber ohne dich soll niemand seine Hand oder

identifiziert indem sie sich auf die Person Gottes in Aktion beziehen Das heisst also bdquoGott vergibt deine Suumlndenrdquo Natuumlrlich scheinen es die Gegner Christi nicht so zu sehen

1109 J R Daniel Kirk ldquoMarkrsquos Son of Man and Paulrsquos Second Adamrdquo Horizons in Biblical Theology Vol 37 (Leiden Brill 2015) pp 175-176 unsere Hinzufuumlgung

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seinen Fuss heben im ganzen Land Aumlgyptenrdquo (1 Mose 414144) Ein Berufungsbegeh-ren an Joseph war so gut wie ein Berufungsbegehren an den Pharao das nur aufgrund der Autoritaumlt des Pharaos moumlglich ist Hier erinnern wir uns natuumlrlich an Thompsons fruumlhere Beobachtung bdquoWeil Jesus der Hauptagent Gottes ist kon-frontiert man Gott wenn man ihn konfrontiertrdquo1110 Es ist genau diese Position die gleiche Beziehung die Joseph zum Pharao hatte die Jesus in Anspruch nimmt Einige in Jesu Publikum waren offensichtlich veraumlrgert dass dieser bdquosimple Menschrdquo sich in diesen Angelegenheiten an die Stelle von Gott setzte Sie fragten ihn frustriert bdquoFuumlr wen haumlltst du dich eigentlich rdquo [bdquoWas machst du aus dir selbst rdquo] (Johannes 853b) Er antwortete und verneinte jedes andere Recht oder jede Befugnis uumlber das hinaus was ihm von einem anderen einseitig bereit-gestellt worden war bdquoWenn ich mich selbst ehre so ist meine Ehre nichts mein Vater ist es der mich ehrt von dem ihr sagt Er ist unser Gottrdquo (Johannes 854)

DieneutestamentlicheAdam-ChristologieIm gesamten Neuen Testament wird Jesus als der ideale Mensch dargestellt Das synoptische Portraumlt dieses menschlichen Jesus wird durch seine eigene haumlufige Verwendung des Ausdrucks bdquoMenschensohnrdquo fuumlr sich selbst verkoumlrpert1111 In den Evangelien wird dieser Begriff ausschlieszliglich in Beschreibungen von Jesus und nur von Jesus verwendet Im alttestamentlichen Buch Hesekiel wird der Pro-phet als bdquoMenschensohnrdquo dreundneunzigmal beschrieben und angesprochen und der Satz wurde als Hinweis auf den Menschen im Allgemeinen verwendet Aber Jesu konsequente Selbstbezeichnung als bdquoMenschensohnrdquo war wie die Ge-lehrten erkannt haben wahrscheinlich darauf ausgerichtet zwei verschiedene As-soziationen hervorzubringen 1) die apokalyptische Gestalt des Buches Daniel und 2) Adam der erste Mensch1112

Erstens ist es Jesus selbst der den Gebrauch von bdquoMenschensohnrdquo mit dem bdquoEi-ner wie ein Menschensohnrdquo in Daniel 713 verbindet der vom Aumlltesten der Tage Au-toritaumlt und ein Koumlnigreich erhalten soll Jesus verbindet diese Gestalt des Buches Daniel ausserdem mit dem davidischen Messias indem er eine Anspielung auf

1110 Thompson Dictionary of Jesus and the Gospels p 377 1111 Der bdquoMenschensohnrdquo wird von Jesus mehr als achtzig Mal in den griechischen Evangelien als Selbstbe-

zug verwendet In der hebraumlischen Schrift tritt bdquoMenschensohnrdquo uumlber hundert Mal auf wo er im Ge-gensatz zu Gott oder Engeln als Ausdruck fuumlr den Menschen im Allgemeinen verwendet wird (4 Mose 2319 Hesekiel 21) Siehe Geoffrey W Bromiley The International Standard Bible Encyclopedia Vol IV (Grand Rapids Eerdmans 1995) S 574 In dem juumldischen Werk 1 Henoch das sicherlich in der NT-Gemeinschaft gelesen wurde (siehe Judas 114) wird bdquoder Menschensohnrdquo zu einem Titel fuumlr die messianische Gestalt welche die Welt Gottes richten wird

1112 See Joel Marcus ldquoSon of Man as Son of Adamrdquo Revue Biblique Vol 110 (Paris 2003) pp 38-61

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den bdquozweiten Herrnldquo (hebr adoni) des Psalms 1101 und seine Erhoumlhung zur rech-ten Hand Gottes in Matthaumlus 2664 macht1113 Jesus identifiziert sich so als ein Menschenfuumlrst der von Gott das Recht und die Macht zugesprochen erhaumllt nicht nur uumlber Israel sondern auch uumlber die Nationen zu herrschen

Zweitens haben Gelehrte auch die Verwendung von Jesu bdquoMenschensohnrdquo mit dem in Verbindung gebracht was in den Briefen des Paulus als bdquoAdam-Christo-logierdquo bezeichnet wird1114 Im 1 Korintherbrief wird Jesus als bdquoder zweite Adamrdquo (Kap 1545) bezeichnet und als eschatologischer Erloumlser dargestellt der Adams urspruumlnglichen Auftrag zur Herrschaft uumlber die ganze Erde erfuumlllt (1 Korinther 1521-28 vgl 1 Mose 126-28) So wie es schon immer in Gottes Absicht lag dass ein Mensch die Welt bdquounterwerfenrdquo wuumlrde (Psalm 86) so sollen auch alle Dinge bdquounterworfen werden unter die Fuumlszlige Jesurdquo (1 Korinther 1527) Paulus spielt auch auf den davidischen Messias an dem seine Feinde wie bdquoein Schemel unter seinen Fuumlszligenrdquo unterstellt werden (1 Korinther 1525 vgl Psalm 1101) Paulussbquo Zitat aus Psalm 86 erinnert ausdruumlcklich an die urzeitliche koumlnigliche Bestim-mung der Menschheit Indem er die Erfuumlllung dieser Bestimmung an Jesus als den Messias bindet erkennt Paulus in Jesus den zweiten Adam einen Menschen

Wir sehen dass jede dieser alttestamentlichen Figuren - Adam der davidische Messias und Daniels Menschensohn - von Gott die Regentschaft erhaumllt Im Neuen Testament verbinden sowohl Jesus als auch Paulus diese Figuren mitei-nander und identifizieren sie als in der Person Christi erfuumlllt So meint Kirk wei-ter bdquoliegt die Autoritaumlt Jesu in der Erfuumlllung der Rolle der idealisierten menschli-chen Figur Der adamische undoder davidische Anspruch erfuumlllt sich durch ei-nen Menschen entsprechend der Bildhaftigkeit von Daniel 7 wie ein Menschrdquo1115

Die Wiederherstellung der Herrschaft des Menschen uumlber die Erde ist in der Tat das zentrale Thema das sich durch die gesamte Bibelliteratur zieht Adam hatte einst die Autoritaumlt erhalten als Vizeregent Gottes zu regieren Er hat sie an eine kommandierende satanische Macht verloren worunter die Welt infolge der kata-strophalen Misswirtschaft leiden musste Die Juden blickten gespannt auf eine Zukunft in der Adam (dh die Menschheit) die Regentschaft uumlber die Nationen (symbolisch die wilden Tiere) wieder zuruumlckgewinnen und die Bestimmung der Herrlichkeit einer weltweiten Herrschaft erfuumlllen wuumlrde (Psalm 85-6)1116 Der

1113 In Kapitel 12 werden wir Psalm 1101 und Jesu Selbst-Identifikation als bdquozweiter Herrldquo des Psalms

Davids bdquoadonirdquo - ein hebraumlischer Begriff der 195 Mal in der Schrift von Oberen ohne Gottheit ver-wendet wird - gruumlndlich analysieren

1114 Kirk pp 170-195 1115 Ebenso p 177 1116 Ein juumldisches Dokument datierend aus dem ersten Jahrhundert das das Testament Abrahams darstellt

zeigt Adam wie er einen goldenen Thron besteigt von dem aus er die Seelen der ganzen Menschheit

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zukuumlnftige bdquoMenschensohnrdquo in Daniel ist Gottes Vertreter bei der Verwirkli-chung dieser Wiederherstellung fuumlr das menschliche Geschlecht und derjenige dem Gott die Nationen geben wird (Kap 714) Diese dramatische Schilderung ist die vorbestimmte Kulisse des Neuen Testaments Sie steht auch im Mittel-punkt Jesu eigener Predigt1117 Die Geschichte vom Fall der Menschheit und der erwarteten Wiederherstellung des Menschen ist die wesentliche Rahmengeschichte durch die der in den Evangelien beschriebene Jesus und der von Paulus erklaumlrte Jesus betrachtet werden muss

DerleidendeAdamPaulus zieht eine klare Parallele zwischen Adam dem einen Menschen der die Herrschaft der Menschheit durch die Suumlnde [seines Ungehorsams] verlor und bdquodem einen Menschen Jesus Christusrdquo dessen Gehorsam gegenuumlber Gott letzt-endlich diese Herrschaft fuumlr bdquoalle Menschenrdquo zuruumlckgewonnen hat (Roumlmer 517-18) Gehorsam ist der Schluumlssel zum Sieg des zweiten Adam und der Ausloumlser fuumlr diesen Gehorsam ist das Leiden Betrachten wir Folgendes Der erste Adam wurde als Gottes Sohn (Lukas 338) und Abbild Gottes gemacht und erhielt die Welt Gottes als seinen Besitz - er wurde effektiv in die funktionale Rolle Gottes uumlber die Erde einbezogen Als Vertreter Gottes haumltte Adam in der Welt tun und lassen koumlnnen was ihm gefiel obwohl er sich letztlich im Gehorsam dem Willen

beaufsichtigt und bdquomit Herrlichkeit geschmuumlcktrdquo ist (111ff) vergleiche mit Psalm 85 in dem die Menschheit dazu bestimmt ist bdquomit Herrlichkeit gekroumlntrdquo zu werden In einem weiteren juumldischen Werk des ersten Jahrhunderts das Leben Adams und seiner Frau Eva werden die Engel angewiesen Adam als das Bild Gottes zu verehren Satan weigert sich sich vor Adam zu verbeugen weil er glaubt dass Adam ein minderwertiges Geschoumlpf ist und sucht stattdessen die Verehrung fuumlr sich selbst Satan wird vertrieben und als Vergeltung entwickelt er die Taumluschung welche die Entherrlichung Adams und seiner Frau verursacht hat Siehe Leben von Adam und Eva 121-173 Der Apostel Paulus bezieht sich wahrschein-lich auch auf das Leben Adams und Evas 91 im 2 Korintherbrief 1114 was eine Vertrautheit mit der adamischen Verehrung innerhalb der NT-Gemeinschaft beweist Die Geschichte von Satans Ablehnung der Verehrung Adams wird auch im Koran wiedergegeben (234 711-13 1761-62)

1117 Jesus definiert sein Evangelium als eine Botschaft uumlber die bevorstehende Wiederherstellung der Herrschaft Gottes auf der Erde (Markus 114-15) Das erklaumlrt er bdquoIch muss das Reich Gottes predigen denn darum wurde ich gesandtrdquo (Lukas 443) Paulus als Juumlnger Jesu richtet seine eigene Evangeliumslehre auf die Dinge des Koumlnigreichs aus (Apg 2025 282331) Obwohl die Verkuumlndigung des bdquoEvangeliums uumlber das Koumlnigreichrdquo die feierliche Aufgabe Jesu an seine Anhaumlnger war (Matt 2414) wurde im Main-stream-Christentum bdquodas Evangeliumrdquo weitgehend verwaumlssert um nur eine Botschaft uumlber Jesu Opfer-gabe zu enthalten Aber Jesus der nie davon gesprochen hat fuumlr Suumlnden zu sterben und nicht einmal seinen eigenen Tod bis spaumlt in seinem Dienst erwaumlhnt hat wird von den Synoptikern gesagt dass sie uumlberall hingegangen sind bdquodas Evangelium predigenrdquo (Matthaumlus 423) das heiszligt bdquodas Koumlnigreichrdquo und seine bevorstehende Wiederherstellung verkuumlnden Im Gegensatz zu der begrenzten Darstellung des Evangelikalismus paarte die NT-Gemeinschaft die Informationen uumlber Jesus mit der Kouml-nigreichsbotschaft als Evangelium bdquoSie glaubten Philippus als er das Evangelium uumlber das Reich Gottes und den Namen Jesu Christi predigterdquo (Apg 812) Das moderne Christentum hat die Bedeutung dessen noch nicht begriffen und die apokalyptische Vision Christi von einer imminenten Theokratie der realen Welt weitgehend gegen die Hoffnung auf eine gnostische Flucht in den Himmel ausgetauscht Fuumlr weitere Informationen zu diesem Thema siehe Anthony Buzzard Unsere Vaumlter die nicht im Himmel sind (McDonough Restoration Fellowship 1999)

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Gottes unterwerfen musste Aber als er versuchte die Grenzen seiner Stellung zu uumlberschreiten fiel er in den Ungehorsam und ging uumlber die Grenzen seiner Herr-schaft hinaus Aber uumlber Jesus lesen wir bdquoObwohl er ein Sohn war lernte er den Ge-horsam durch die Dinge die er erlitten hatrdquo (Hebraumler 58) Waumlhrend Jesus zugleich Got-tes Sohn und Gottes Ebenbild und damit der rechtmaumlszligige Herrscher uumlber die Erde war nahm er die Tatsache an dass die Herrschaft uumlber alles nur durch das Leiden im Gehorsam erlangt werden konnte Nachdem er seinen Juumlngern bestauml-tigt hatte dass er bdquoder Christusrdquo sei lehrte er sie dass bdquoder Sohn des Menschen viel leiden und nach drei Tagen wieder auferstehen mussrdquo (Markus 829b31) Sein Studium der Schrift hatte ihm das deutlich gemacht Jesus sagte bdquoDas ist es was geschrieben steht Der Messias wird leidenrdquo (Lukas 2446) und er nahm dieses Schicksal gehorsam an und sagte bdquoDer Menschensohn geht hellip den Weg der ihm in der Schrift vorausgesagt istrdquo (Matthaumlus 2624) Nachdem Gott ihn auferweckt hatte erinnerte Jesus seine be-sorgten Juumlnger an bdquoalles was die Propheten gesprochen hattenrdquo und bestaumltigte dass bdquoder von Gott erwaumlhlte Retter all dies erleiden musste bevor ihn Gott als houmlchster Herr einsetzen konnterdquo (Lukas 2425b-26)

Nur wenige Texte zeigen die bdquoChristologie des leidenden Adamsrdquo klarer als die Schriftstelle im Brief von Paulus an die Philipper Kap 26-8 Gerade diese Pas-sage ist jedoch seit langem einer der wichtigsten und beliebtesten Texte mit der die Trinitarier die Lehre der Inkarnation dh der Fleischwerdung untermauern Im Philipperbrief schrieb Paulus

Er der in goumlttlicher Gestalt war hielt es nicht fuumlr einen Raub Gott gleich zu sein sondern entaumluszligerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode ja zum Tode am Kreuz (Philipper 26-8 Luther)

Trinitarier behaupten dies bedeute dass Jesus buchstaumlblich als Gott im Himmel existierte dann aber voruumlbergehend seine Rechte als Gottheit bdquobeiseitegelegtrdquo und eine menschliche Natur angenommen habe Viele Herausgeber der Bibel die an die Dreifaltigkeit glauben und davon uumlberzeugt sind haben den obigen Satz bdquoin goumlttlicher oder in Gottes Gestaltrdquo (Philipper 26 Luther 2017 und Menge) so uumlbersetzt bdquoEr war in jeder Hinsicht Gott gleichrdquo (HFA) bdquoEr der doch von goumltt-lichem Wesen warrdquo (Zuumlrcher Bibel) bdquoEr der Gott in allem gleich war und auf einer Stufe mit ihm standldquo (Neue Genfer) bdquoEr war Gott gleich hielt aber nicht daran fest Gott gleich zu seinrdquo (Einheitsuumlbersetzung) bdquoObwohl er Gott war bestand er nicht auf seinen goumlttlichen Rechtenrdquo (Neues Leben) bdquoEr war genauso wie Gottrdquo (NEUuml) Die Frage lautet Ist es wirklich das was Paulus in dieser Pas-sage geschrieben hat

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Dr Jason BeDuhn zeigt in seiner bahnbrechenden Untersuchung in Bezug auf das Vorurteil in vielen Uumlbersetzungen dass das griechische Wort fuumlr bdquoGestaltrdquo hier nicht bdquoNaturrdquo bdquoWesenrdquo bdquoGleichheitrdquo oder bdquoEssenzrdquo bedeutet die Mitglie-der des englischsprachigen NIV-Uumlbersetzungsausschusses schreiben in der New International Version (NIV) naumlmlich bdquoin derselben Natur Gottes zu seinrdquo (ldquobeing in very nature Godrdquo Unsere Uumlbersetzung) Dr J BeDuhn erklaumlrt

Sie uumlbersetzen nicht das Griechische sondern fuumlgen eigene Inter-pretationen ein die uumlberhaupt nicht auf der Aussage von Paulus basieren Deshalb sind sie ungenau und ihre Vorurteile sind in dem was sie in diesen Abschnitt zu importieren versuchen offen-sichtlich Sie versuchen die bdquoZwei-Naturenrdquo-Christologie einzu-fuumlhren (die von Christen im Konzil von Chalcedon uumlber dreihun-dert Jahre nach dem Schreiben des Neuen Testaments ausgearbei-tet wurde) Wir koumlnnen ihrer Interpretation der Passage nicht viel Vertrauen abgewinnen wenn wir sehen wie sie den Text manipu-lieren um sie [die dualistische Christologie] zu unterstuumltzen1118

Was beabsichtigt also dieser Abschnitt von Philipper 26 wirklich Das Griechi-sche fuumlr bdquoFormrdquo ist hier bdquomorpherdquo Thayers erklaumlrt dass der Begriff bdquodie Form bezeichnet mit der eine Person oder Sache in Erscheinung tritt die aumluszligere Er-scheinungrdquo also Kinder spiegeln angeblich die Form (morphe) ihrer Eltern wi-derrdquo Thayer zitiert auch 4 Makkabaumler 154 worin erklaumlrt wird dass die bdquoFormrdquo eines Elternteils seinen Kindern aufgepraumlgt ist Vergleichen Sie dies mit bdquoAdam wurde nach seinem Ebenbild zum Vater eines Sohnes und nannte ihn Sethrdquo (1 Mose 53) und bdquoGott schuf den Menschen nach seinem Ebenbildrdquo (1 Mose 127) Das Wort in der Genesis hier fuumlr bdquoBildrdquo ist das hebraumlische bdquotselemrdquo definiert als bdquoForm Bild Bil-der Aumlhnlichkeit(en) Phantom Gestaltrdquo Das hebraumlische bdquotselemrdquo ist analog zum griechischen bdquomorpherdquo und beide werden mit bdquoBildrdquo [bdquoimagerdquo] uumlbersetzt Wir wis-sen dass sich bdquotselemrdquo auf das aumlussere Erscheinungsbild einer Sache beziehen muss da sie in 1 Samuel 65 zur Beschreibung von bdquoAbbildern von Beulen und Springmaumlusenrdquo aus Gold verwendet wurde sowie in Hesekiel 1617 wo Goumltzen ebenfalls wie ein bdquoMaumlnnerbildnisrdquo beschrieben werden In der Septuaginta finden wir das griechische Wort bdquomorpherdquo das in diesem Sinne verwendet wird bdquo[der Goumltzendiener] formt es in der Form (bdquomorpherdquo) eines Menschenrdquo (Jesaja 4413 LXX) Diese Faumllle von bdquotselemrdquo und bdquomorpherdquo befassen sich offensichtlich nicht mit der inneren Natur eines Subjekts sondern mit der aumluszligeren Erscheinung1119

1118 BeDuhn S 53 1119 Ein anderes verwandtes hebraumlisches Wort kann uns helfen - bdquoAumlhnlichkeitrdquo bdquoAls Gott den Menschen

erschaffen hat hat er ihn nach dem Ebenbild Gottes geschaffenrdquo (1 Mose 51) Dieses hebraumlische Wort fuumlr bdquoAumlhnlichkeitldquo ist bdquodwmuthrdquo das in verschiedenen Uumlbersetzungen als bdquoAussehenrdquo bdquoGestaltrdquo bdquoFormrdquo oder bdquoErscheinungrdquo wiedergegeben wird (Hesekiel 151016 1021) Thayers Lexikon erklaumlrt bdquodwmuthrdquo

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Aber hat die bdquomorpherdquo (Form) in Philipper 26 dieselbe uumlbliche Bedeutung Ein Blick auf die neutestamentliche Verwendung der griechischen bdquomorpherdquo rundet das Argument ab Markus 1612 sagt dass der auferstandene Jesus auf dem Weg nach Emmaus bdquoin einer anderen Form (morphe)rdquo erschien so dass zwei seiner Juumlnger ihn nicht erkannten Offensichtlich war es nicht die innere Natur Christi die an-ders war sondern nur seine bdquoRepraumlsentationrdquo oder sein bdquoaumluszligeres Erscheinungs-bildrdquo so dass was die Juumlnger mit ihren Augen sehen konnten sie nicht als ihren Meister wahrnahmen Aus diesem Grund sollte der biblische Gebrauch nicht ge-brochen werden und sich bdquomorpherdquo im Philipperbrief ploumltzlich auf die bdquoinnere Na-turrdquo beziehen wie es uns die NIV heruumlberbringen will Vielmehr sollten wir er-kennen dass im Wesentlichen bdquomorpherdquo ein Synonym fuumlr bdquoAbbildrdquo bdquoRepraumlsenta-tionrdquo oder bdquoDarstellungrdquo ist

Viele Gelehrte sind sich einig dass bdquoin der Gestalt Gottes zu seinrdquo gleichbedeutend ist mit bdquonach dem Bild Gottes [gestaltet] zu seinrdquo und dass bdquodie Terminologie des sbquoBil-deslsquo auf Christus in adamitischer Symbolik verweistrdquo1120 Wir muumlssen bedenken dass 1 Mose 1-3 fuumlr Paulus den historischen Rahmen fuumlr seine Christologie bildet (Roumlmer 512-21 1 Kor 1521ff 45-47) Moderne Forscher kommen daher zum Schluss dass die Lyrik im Philipperbrief in Jesu Leben das Leben Adams wider-spiegelt1121 In diesem Sinne ist Jesu bdquoin Menschengestalt gemachtrdquo (Vers 7) Hier han-delt es sich nicht um die Nacherzaumlhlung einer Inkarnationsgeschichte sondern um einen Hinweis darauf dass er sich der Herrschaft als Messias die eigentlich fuumlr Adam bestimmt war entledigte und in Unterwerfung (Submission) lebte bdquowie jeder andere Menschrdquo Selbst trinitarische Kommentatoren haben das erkannt

Der Schluumlssel zum Text liegt in der beabsichtigten Parallele zwi-schen dem ersten Adam und dem zweiten Adam dies ist die all-gemein vorherrschende moderne Sichtweise Der erste versuchte in unsinniger Weise die Gleichheit mit Gott zu erreichen Durch Stolz und Ungehorsam verlor er das herrliche Bild seines Schoumlp-

als Bedeutung bdquo des aumluszligeren Erscheinungsbildesrdquo Es sollte an dieser Stelle klar sein dass das griechische bdquomorpherdquo in Philipper 26 dem hebraumlischen bdquotselemrdquo und bdquodwmuthrdquo gleichkommt indem sich alle Ausruumlcke auf die aumluszligere bdquoDarstellungrdquo die bdquoRepraumlsentationrdquo beziehen nicht auf die innere Natur einer Sache

1120 David Steenburg ldquoThe Worship of Adam and Christ as the Image of Godrdquo Journal for the Study of the New Testament Vol 39 (New York Sage 1990) p 99 (Die Verehrung von Adam und Christus als Ebenbild Gottes)

1121 Siehe Dunn Christology in the Making p 115 Kirk ldquoMarkrsquos Son of Man and Paulrsquos Second Adamrdquo Horizons p 192 OrsquoConnor ldquoChristological Anthropologyrdquo RB pp 37-42 Steenburg ldquoAdam and Christ as the Image of Godrdquo JNST pp 95-109 Martin Carmen Christi Philippians 25-11 p 108 (Chris-tologische Anthropologie Adam und Christus als Ebenbild Gottes )

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fers der zweite Adam entschied sich den Weg des demuumltigen Ge-horsams zu gehen um schlieszliglich von Gott verherrlicht zu wer-den1122

Es gibt zwei grundsaumltzlich verschiedene Ansichten um die von Paulus in Vers 6 verwendete Sprache richtig zu interpretieren diese haben zu Auslegungsdifferen-zen gefuumlhrt Einige Gelehrte haben vorgeschlagen dass Jesu Weigerung nach bdquoGleichheit mit Gottrdquo (Vers 6) zu greifen Adams unheilvollem Wunsch bdquowie Gottrdquo zu sein in 1 Mose 35 gegenuumlberzustellen ist Aus dieser Sicht betrachtet hat sich Jesus geweigert etwas zu erstreben das ihm nicht gehoumlrte Zur Unter-stuumltzung dieser Ansicht sagt Dr BeDuhn bdquoEs gibt kein einziges Wort das von sbquoharpazorsquo hergeleitet ist Dieses griechische Wort kann verwendet werden um an-zudeuten sbquoan etwas festzuhalten das man bereits besitztrsquo rdquo1123 Ein protestanti-scher Theologe stimmt zu dass bdquodie alte Streitigkeit uumlber harpagmos vorbei ist Die bdquoGleichheit mit Gottrdquo ist keine res rapta ein lateinischer Begriff der beschreibt dass der vorbestehende [prauml-existente] Christus eine Position innehatte sie aber aufgab es ist eine res rapienda das heiszligt eine Moumlglichkeit des rangmaumlszligigen Auf-stiegs die er ablehnterdquo1124 Das von Paulus in diesem Abschnitt verwendete grie-chische Wort hat jedoch eine unmissverstaumlndliche Interpretation zumindest er-schwert1125 Denn andere Wissenschaftler haben die oben erwaumlhnte Sichtweise in Frage gestellt und argumentiert dass die bdquoGleichheit mit Gottrdquo hier als etwas zu betrachten ist das Jesus bereits besaszlig aber nicht zu seinem eigenen Vorteil aus-nuumltzen wollte oder genutzt hat Es scheint erhebliche (wenn auch nicht unwider-legbare) sprachliche Beweise dafuumlr zu geben dass die beiden hier genannten Ob-jekte bdquodie FormGestalt von Gottrdquo und bdquoGleichheit mit Gottrdquo grundsaumltzlich als gleichbedeutend betrachtet werden koumlnnen1126 Sowohl aus sprachlicher als auch

1122 Ralph P Martin Epistle of Paul to the Philippians An Introduction and Commentary Tyndale New

Testament Commentaries (Grand Rapids Eerdmans 1987) p 102 (Der Paulusbrief an die Philipper Einfuumlhrung und Kommentar)

1123 BeDuhn p 55 1124 Ethelbert Stauffer New Testament Theology (London SCM Press 1955) p 284 1125 Wallace argumentiert dass der Zweck des Artikels vor bdquoeinairdquo darin besteht bdquoeinai isa theordquo als das

direkte Satzobjekt in der Aussage zu identifizieren Siehe Daniel Wallace Griechische Grammatik Jen-seits der Grundlagen (Grand Rapids Zondervan 1996) S 186 Auf der anderen Seite argumentiert Blass dass der Artikel hier anaphorisch ist und signalisiert dass der Begriff den er aumlndert auf ein bereits in der Anweisung erwaumlhntes Objekt verweist Siehe Friedrich Blass A Greek Grammar of the New Testament and Other Early Literature (Griech Grammatik des Neuen Testaments und anderer fruumlher Literatur) (Chicago University of Chicago Press 1961) Abschnitt 205 Da wir nicht in der Lage sind unbestreitbar nachzuweisen dass der Artikel anaphorisch ist sind wir nicht in der Lage in diesem einen Punkt eine unbestreitbare Auslegung vorzunehmen

1126 For examples of support for this view see Robert H Gundry ldquoStyle and Substance in sbquoThe Myth of God Incarnatersquo according to Philippians 26-11rdquo in Crossing the Boundaries (Leiden Brill 1994) pp 283-

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aus historischer Sicht scheint dies die staumlrkere Position zu sein Allerdings ergibt sich daraus noch keine unabdingbare Implikation einer trinitarischen Sichtweise

Wenn der Ausdruck sich in der bdquoFormbdquo oder bdquoGestalt Gottesrdquo zu befinden gleichbedeutend ist mit im bdquoBild Gottesrdquo zu sein und wenn diese Ausdrucksweise eine Parallele zu Adam zieht sollte es nicht schwierig sein zu verstehen was Pau-lus meint wenn er bdquoGleichheit mit Gottrdquo sagt1127 Der erste Adam bdquoder Sohn Gottesrdquo (Lukas 338) stellte ein Abbild Gottes dar Er hatte die Rolle als Herr-scher uumlber die Erde und ihre Geschoumlpfe inne Er genoss eine funktionale nicht aber eine ontologische [wesensmaumlssige] Gleichstellung mit Gott Von der Welt aus betrachtet war Adam Gott gleichgestellt er handelte an Gottes Stelle und erteilte Befehle basiert auf Gottes Autoritaumlt Jesus der zweite bdquoSohn Gottesrdquo (Lukas 135) war gleichfalls nach dem Ebenbild Gottes gemacht Er war als rechtmaumliger Koumlnig auserwaumlhlt - er war der von Gott eingesetzte Herrscher Gott geleichge-stellt Gemauml Paulus bedeutet bdquoGleichheit mit Gottrdquo nicht dass Jesus in seiner Natur Gott selbst war sondern dass Jesus wie Gott als sein Agent und sein Ver-treter fungierte Die griechische Sprache des Paulus unterstuumltzt diese Interpreta-tion Mehrere katholische Gelehrte haben bestaumltigt dass der griechische Satz bdquoisa theourdquo

nicht einfach mit Begriffen wie bdquoGleichheit mit Gottrdquo uumlbersetzt werden darf Das wuumlrde die Form bdquoisos theosrdquo erfordern Was wir im Text haben ist das Adverb bdquoisardquo und das bedeutet lediglich bdquoals Gottrdquo bdquowie Gottrdquo Es gibt also keine Aussage daruumlber dass Chris-tus Gott gleich und ebenbuumlrtig ist und das wiederum spricht gegen eine Interpretation im Sinne der Prauml-Existenz So gibt es nach An-sicht des katholischen Exegeten und des Jerusalemer Dominika-ners Jerome Murphy-OConnor aus beiden traditio-historischen sprachlichen Gruumlnden bdquokeine Rechtfertigung fuumlr die Interpretation des Satzes der Hymne [des Philipperbriefs] im Sinne des Seins von Christusrdquo1128

Fuumlr Paulus war Jesus nicht Gott selbst sondern bdquoals Gottrdquo dh er funktionierte als Gott weil er Gottes Repraumlsentant oder Gottes irdisches Aumlquivalent war Die Erinnerung an unsere typologische Parallele zu Joseph erweist sich einmal mehr als nuumltzlich In 1 Mose 4418 hatten die Bruumlder Josephs erkannt dass Joseph bdquo denn du bist wie der Pharaordquo (LUT) oder bdquodu bist dem Pharao gleichrdquo (ELB) oder bdquodu

284 H A W Meyer Critical and Exegetical Handbook to the Epistles to the Philippians and the Colossians (Ed-inburgh T amp T Clark 1875) p 88 N T Wright ldquoHarpagmos and the Meaning of Philippians 25-11rdquo Journal of Theological Studies Vol 37 (Oxford OUP 1986) p 344

1127 Steenburg p 99 1128 Kuschel p 251 unsere Hinzufuumlgung

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bist der Stellvertreter des Pharaosrdquo (HFA) oder bdquodu stehst so hoch wie der Pharaordquo (Menge) Uumlber das Prinzip der Handlungsvollmacht [Shaliah)] war Joseph als Ver-treter des Pharaos dem Pharao gleichgestellt Uumlber Mose selbst ein Typus fuumlr Christus wurde auch gesagt dass er fuumlr den Pharao bdquowie Gottrdquo gemacht wurde (2 Mose 416 71 bdquoDa sprach der HERR zu Mose Sieh ich mache dich zum Gott fuumlr den Pharaoldquo ZB) Dasselbe Prinzip gilt also bei Paulus auch fuumlr Jesus nachdem er ihn als Gottes Bild oder Darstellung identifiziert

Aber in den Augen von Paulus versuchte Jesus nicht seinen erhabenen Status gegenuumlber seinen Bruumldern auszunuumltzen er wurde als bdquonach dem Aussehen aller anderen Menschenrdquo befunden Er hatte nicht wie ein Koumlnig gelebt obwohl er ein Koumlnig war sondern wusch seinen eigenen Juumlngern die Fuumlszlige (Johannes 1312) Er machte ihnen klar bdquoIch aber bin in eurer Mitte wie der Dienenderdquo (Lukas 2227) Wie Kuschel bemerkt war Adams erste Strafe bdquoeine Art Sklavenexistenz zu fuumlh-renrdquo1129 Die freiwillige Uumlbernahme einer Art von bdquounwuumlrdigemldquo Leben des zwei-ten Adams macht Jesus moralisch so lobenswert Er profitierte nicht von seinen koumlniglichen Privilegien sondern unterwarf sich konsequent dem Leiden bis hin zum Tod (Philipper 28) Murphy-OConnor fasst den Abschnitt in fachkundiger Sprache so zusammen

Als der Gerechte Mensch par excellence war Christus das vollkom-mene Bild (eikon) Gottes Er war genau das was Gott fuumlr den Men-schen vorgesehen hatte Sein suumlndloser Zustand haumltte ihm das Recht gegeben so behandelt zu werden als waumlre er Gott das heiszligt die Unvergaumlnglichkeit zu genieszligen in der erste Adam geschaffen wurde Dieses Recht nutzte Jesus jedoch nicht zu seinem eigenen Vorteil aus sondern er gab sich den Folgen einer ihm nicht gebuumlh-renden Existenzweise hin indem er den Rang eines Sklaven akzep-tierte der Leiden mit sich brachte und den Tod1130

Der erste Adam hatte seinen Status eigenwillig ausgenutzt und Grenzen uumlbertre-ten die Gott gesetzt hatte er hatte im flagranten Widerspruch zu Gott seine ei-genen Wuumlnsche verfolgt Jesus hingegen verleugnete seinen eigenen Wunsch dem Kreuz zu entkommen und unterwarf sich dem Willen Gottes (Lukas 2242) Paulus erklaumlrt an anderer Stelle dass das Gewicht des bdquoUngehorsams eines Men-schenrdquo (Adams Nichteinhaltung des goumlttlichen Befehls) durch bdquoden Gehorsams eines Menschenrdquo uumlberwunden wurde (Jesu Unterwerfung Roumlmer 519) und des-halb soll Christus jetzt groszlige Ehre zuteil werden

1129 Ebenso 1130 Jerome Murphy-OrsquoConnor ldquoChristological Anthropology in Phil 26-11rdquo Revue Biblique Vol 93 (Paris

1976) p 49f unsere Hinzufuumlgung

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Aber wie verhaumllt es sich mit den Versen 7-8 von Philipper 2 Bedeutet das Ereig-nis nicht einfach die Inkarnation oder Fleischwerdung Wir lesen dass Jesus sich bdquoselbst entaumluszligerte und nahm Knechtsgestalt an ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkanntrdquo (Philipper 27 LUT 2017) Die Frage ist Wovon genau hat sich Jesus entaumluszligert Das trinitarische Argument ist dass Phi-lipper 26-8 sich mit der inneren Natur beschaumlftigt doch mit dieser Ansicht gibt es mehrere groszlige Probleme Wir zitieren und uumlbersetzen (uUuml) nochmals aus der trinitarisch orientierten NIV bdquoDer da er in der Natur Gottes war die Gleichstellung mit Gott nicht als etwas zu Ergreifendes anstrebte sondern sich selbst zu nichts machte indem er die Natur eines Dieners nahm der in Menschengestalt geschaffen wurderdquo Aber wenn es zutrifft dass es in dem Vers um die innere Natur (als Gott) geht dann hat Chris-tus wenn er sich bdquoentaumluszligertrdquo und die bdquoNaturrdquo eines Dieners (Menschen) ange-nommen hat nicht auf seine goumlttliche Natur verzichtet und nur den Menschen angenommen Das Wort fuumlr bdquoentaumluszligernrdquo lautet hier bdquokenoordquo (κενόω) und ist defi-niert als bdquoleeren Inhalte berauben unwirklich machenrdquo und wird in anderen Versionen als bdquounguumlltig machenrdquo und bdquoleer machenrdquo uumlbersetzt Thayer versteht bdquokenoordquo in dem Sinne dass man etwas bdquohohlrdquo oder bdquofalschrdquo macht Interessanter-weise verwendet Roumlmer 414 das Wort auf diese Weise bdquoDenn wenn jene die aus dem Gesetz leben Erben sind dann ist der Glaube nichts (kenoo) und die Verheiszligung ist dahinrdquo (LUT) oder bdquoder Glaube waumlre entwertet (kenoo) und die Zusage haumltte ihren Sinn verlorenrdquo (GNB) Wenn Philipper 27 wirklich davon spricht die goumlttliche Natur Christi bdquokenoordquo zu machen dann ist sie leer hohl nutzlos falsch null und wir-kungslos gemacht worden Die Trinitarier scheinen hier selbst vorzuschlagen dass der irdische Jesus ohne Gottes Natur war lediglich ein Mensch1131 Natuumlrlich spricht dieser Abschnitt nicht davon dass Jesus seine Gottheit aufgegeben oder seine Gottesnatur bdquoverstecktrdquo habe sollte er sie uumlberhaupt je besessen haben Wir wissen das weil die Schriftstelle besagt dass er im Austausch fuumlr das was er ent-aumluszligert oder geleert hat bdquodie Form eines Knechtes angenommen hatrdquo (Vers 7b) Gottheit ist eine Natur Aber die Stellung eines Dieners eines Knechtes oder eines Sklaven ist eine Rolle

1131 Einige trinitarische Gelehrte haben eine bdquoKenosis-Theorierdquo vorgeschlagen in der der Sohn in der Inkar-

nation sich seiner goumlttlichen Attribute entledigt hat Nach dieser Theorie erklaumlrt diese bdquoEntleerungrdquo [Entaumluszligerung] Jesu Mangel an Allwissenheit in Markus 1332 und andere Inkonsistenzen die durch die Lehre von den zwei Naturen (Dualismus) hervorgerufen werden Natuumlrlich bleibt die Frage nach seiner angeblich goumlttlichen Natur Wenn Jesus sich von Gottes Eigenschaften entledigt hat wie kann er dann [noch] ganz Gott sein Die meisten haben solche Theorien als unorthodox und gefaumlhrlich abgelehnt Fuumlr weitere Informationen zu diesem Thema siehe C Stephen Evans (ed) Exploring Kenotic Christology The Self-Emptying of God (Oxford 2006) Oliver Crisp Divinity and Humanity The Incarnation Reconsidered (Cambrdige 2007) esp pp 118-153

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Also was genau sagt uns Paulus Wir duumlrfen nicht vergessen dass der Kontext von Philipper 2 bdquoDemut unter Bruumldernldquo ist1132 In diesem Zusammenhang waumlre eine angemessenere Interpretation dass Jesus seine [ihm zugedachte] Funktion als rechtmaumlszligiger Herrscher in Gottes Auftrag aufgegeben und die Rolle eines Dieners uumlbernommen hat Obwohl der goumlttlich ernannte Vertreter Gottes uumlber seine Bruumlder haumltte herrschen koumlnnen wurde er stattdessen als einer von ihnen niedrig und unterwuumlrfig Er war in seiner selbst angenommenen Rolle der Knechtschaft gegenuumlber Gott und seinen Mitmenschen so engagiert dass er in den Tod ging ohne die Rechte des Sohnes Gottes in Anspruch zu nehmen Er haumltte dies leicht tun koumlnnen bdquoOder meinst du ich koumlnnte meinen Vater nicht bitten und er wuumlrde mir sogleich mehr als zwoumllf Legionen Engel schickenrdquo (Matthaumlus 2653) Aber anstatt dieses Recht auszuuumlben bdquoerniedrigte er sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode ja zum Tode am Kreuzrdquo (Philipper 28) Christus war Gott vollkommen gehor-sam nicht nur in der freiwilligen Auflassung seines fuumlrstlichen Amtes sondern erlitt daruumlber hinaus das Schicksal eines gemeinen Verbrechers

In Philipper 27 wo Paulus sagt dass Jesus sich bdquoentaumluszligerterdquo bezieht sich Paulus wahrscheinlich auf die Bildsprache des bdquoleidenden Dienersrdquo von Jesaja 5312 wo der Messias bildlich gesprochen bdquoseine Seele zum Tode ausgegossen hatrdquo In dieser Sym-bolik entleert sich Christus von seinem eigenen Leben als irdischer messianischer Herrscher nicht als eine prauml-existierende goumlttliche Natur Im Buch Jesaja erklaumlrt Gott wegen der Bereitschaft des Messias sich dem Tod zu unterwerfen bdquoSiehe mein Knecht wird einsichtig handeln Er wird erhoben und erhoumlht werden und sehr hoch seinrdquo (Jesaja 5213) Damit ist das Portraumlt das Paulus von Christus zeichnet vollstaumln-dig Jesus ist der zweite Adam der indem er seine Rechte bewusst beiseite schob die Rolle eines leidenden Dieners uumlbernahm und bis zum Tod gehorsam war Obwohl er als Repraumlsentant Gottes haumltte behandelt werden sollen als waumlre er selbst Gott akzeptierte er dennoch bereitwillig Boshaftigkeit und Scham Mit die-sem Akt hat Jesus den Vater verherrlicht und seine eigene Verherrlichung [durch den Vater] moumlglich gemacht

Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen verliehen der uumlber jedem Namen ist damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen und jede Zunge be-kenne dass Jesus Christus Herr ist zur Ehre Gottes des Vaters (Philip-per 29-11 ELB)

Das Schluumlsselwort ist bdquodarumrdquo was bdquoaus genau diesem Grundrdquo bedeutet Gerade weil Jesus sich unterworfen hat und gehorsam war ist er der Erhoumlhung uumlber nicht

1132 Paul ermahnt den Leser bdquoSo erfuumlllet meine Freude dass ihr einerlei gesinnt seid dieselbe Liebe

habend einmuumltig eines Sinnes nichts aus Parteisucht oder eitlem Ruhm tuend sondern in der Demut einer den anderen houmlher achtend als sich selbstrdquo (Philipper 23-4)

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nur den irdischen Bereich wuumlrdig der ihm zu Recht gehoumlrte sondern jetzt auch uumlber die Engel und uumlber alle himmlischen Kraumlfte alles auszliger Gott (1 Petrus 322 Eph 120-22 1 Kor 1545) Diese Supererhoumlhung war schlieszliglich immer die Bestimmung gewesen die Gott fuumlr die Menschheit bestimmt hatte Jesus war jetzt der Erste der sie empfangen hat er wurde zum Vorlaumlufer zum Wegbereiter unserer Errettung zum bdquoPionier unserer Erloumlsungrdquo (Hebraumler 210) Wie wir wei-ter im Hebraumlerbrief lesen

Er ist um so viel erhabener geworden als die Engel wie er einen vorzuumlgli-cheren Namen vor ihnen ererbt hat Denn nicht Engeln hat er den zu-kuumlnftigen Erdkreis unterworfen von dem wir reden es hat aber irgendwo jemand bezeugt und gesagt bdquoWas ist der Mensch dass du seiner gedenkst oder des Menschen Sohn dass du auf ihn achtest Du hast ihn ein wenig unter die Engel erniedrigt mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn ge-kroumlnt du hast alles unter seine Fuumlszlige gelegtrdquo Denn indem er ihm alles un-terwarf lieszlig er nichts uumlbrig das ihm nicht unterworfen waumlre jetzt aber sehen wir ihm noch nicht alles unterworfen Wir sehen aber Jesus der ein wenig unter die Engel erniedrigt war wegen des Todesleidens mit Herrlichkeit und Ehre gekroumlnt damit er durch Gottes Gnade fuumlr jeden den Tod schmeckte (Hebraumler 14 25-9 NGUuml)

Der obige Abschnitt aus dem Hebraumlerbrief ist eine knappe Zusammenfassung von der bdquoChristologie des Leidenden Adamsrdquo den Paulus in Philipper 26-11 vor-stellte Gottes Traum war dass die Menschen einst uumlber die Erde und schlieszliglich uumlber die Himmel und auch die Engel herrschen sollten Aber die Erfuumlllung dieser groszligen Vision ist global noch nicht eingetreten Es wurde erst von einem Indivi-duum dieser geschundenen Menschenrasse dem Menschen Jesus erreicht Und er hat es nur durch das Leiden und seinen Gehorsam bis zum Tod vollbracht Darum erhielt er einen Namen der uumlber jedem Namen ist sogar uumlber den En-geln Dieses Ereignis oumlffnete die Tuumlr fuumlr die zukuumlnftige Entwicklung des Restes der Menschheit Der Mensch soll nicht nur uumlber die irdischen sondern auch die himmlischen Maumlchte verfuumlgen Jesu Uumlberlegenheit gegenuumlber den Engeln war nur der erste Schritt in einem groumlsseren Programm der Wiedereinsetzung Adams Man koumlnnte bildlich sagen dass in dieser sbquoRevolutionsbquo Gottes der Menschheit die sbquoersten Schuumlsse gefeuertsbquo wurden Fuumlr Paulus sind die Bruumlder Jesu dazu bestimmt bdquoMiterben mit Christusrdquo zu sein (Roumlmer 817) die an Jesu eigenem Erstgeburtsrecht teilhaben Deshalb erinnert uns Paulus bdquoWisst ihr nicht dass wir uumlber Engel richten werdenrdquo (1 Korinther 63)

In Philipper 2 sehen wir dass Jesus letztendlich seinen Status wegen seines akti-ven Mitwirkens am Werk Gottes verliehen wird Dies geschieht nicht weil er angeblich eine inhaumlrente goumlttliche Natur traumlgt Jede Ehre die Jesus jetzt zu Recht

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zuteil wird fuumlr das was er getan hat verherrlicht Gott den Vater (Vers 11) Wir sollten nicht uumlbersehen dass das Finale der Anerkennung Jesu als bdquoHerrrdquo nicht Jesu Verherrlichung als sbquoGottrsquo bezweckt sondern der Verherrlichung des groszligen Gottes dient der ihn erhoumlht hat bdquoJede Zunge bekenne dass Jesus Christus Herr ist zur Ehre Gottes des Vatersrdquo (Philipper 211 ELB) In diesem Licht sieht James Dunn deutlich die Parallele zu Adam wie von Paulus erklaumlrt

Kurz gesagt der Fall bleibt stark wenn bewusst auf Adam und ei-nen Kontrast zu Adam in Philipper 26-11 angespielt wird der zweite Adam-Christus hat nach seinem eigenen Entschluss und aus freien Stuumlcken das uumlble Vermaumlchtnis angenommen welches das unerlaubte Greifen nach der Frucht und Adams Ungehorsam der Menschheit hinterlassen hat Jesus akzeptierte das Los der Mensch-heit freiwillig als Sklave der Suumlnde und des Todes welche die Fol-gen des Uumlbergriffs von Adam waren Und Jesus nahm freiwillig den Tod in Kauf der die Folge von Adams Ungehorsam war Folglich wurde Jesus in houmlchstem Maszlig erhoumlht zum Rang und zur Rolle die urspruumlnglich fuumlr [den ersten] Adam bestimmt waren (Psalm 86) Zu argumentieren dass die houmlchste Erhabenheit (Philipper 29) eine Wiederaufnahme [einer fruumlheren] goumlttlichen Existenzweise war die er bereits in 26 genossen hatte laumlsst nicht nur das Adam-Motiv von Paulus voumlllig auszliger Acht sondern auch die folgerichtige Betonung von kyrios (Herr) ein Titel der Jesus erst bei der Erhoumlhung verliehen wurde1133

Dr Kuschel erkennt die Bedeutung von Paulus Adam-Christus Gegenuumlberstel-lung Er schreibt

Juumldisches Erbe statt hellenistischer Synkretismus mag der Schluumlssel zum Verstaumlndnis der Hymne im Philipperbrief sein Tatsaumlchlich hinterfragen immer mehr heutige neutestamentliche Gelehrte die bisherigen Praumlmissen der Exegese und koumlnnen die Praumlexistenz ge-schweige denn die Inkarnation in der Hymne des Philipperbriefs nicht sehen aus gutem Grund in diesem Text wird Christus nicht als praumlexistentes Himmelswesen gefeiert sondern auf gute juumldische Weise als menschliches Gegenstuumlck zu Adam Christus ist die groszlige kontrastierende Figur zu Adam

Adam der dreiste Mensch - Christus der Mensch der sich selbst gedemuumltigt hat

1133 James Dunn The Theology of Paul the Apostle (Grand Rapids Eerdmans 1998) p 287 unsere Hin-

zufuumlgung

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Adam der von Gott zwangslaumlufig gedemuumltigt werden musste - Christus der Mensch der sich freiwillig vor Gott gedemuumltigt hat Adam der rebellische Mensch - Christus der Mensch der voumlllig gehorsam war Adam der letztendlich verflucht wurde - Christus derjenige der letztendlich erhoumlht wurde Adam der wie Gott sein wollte und am Ende zu Staub wurde Christus der im Staub war und tatsaumlchlich zum Kreuz gegangen ist und am Ende der Herr uumlber den Kosmos ist1134

Wie Murphy-OConnor feststellt bdquoDie urspruumlngliche Hymne (Philipper 26-11) stellt einen Versuch dar die Einzigartigkeit Christi zu definieren der als Mensch genau betrachtet wird Das ist es was man zu Beginn der christlichen Theologie erwarten wuumlrderdquo1135

HatderMessiasuumlbereinenDreieinigenGottgelehrtSetzen wir unsere Untersuchung der biblischen Unterscheidung zwischen Gott und seinem Messias fort Wir werden oft mit einer haumlufig zitierten neutestament-lichen Passage konfrontiert bdquoGeht nun hin und macht alle Nationen zu Juumlnger und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistesrdquo (Matthaumlus 2819 ELB) In ihrem apologetischen Buch The Trinity erklaumlren die trinitarisch gesinnten Autoren dass bdquoder wahrscheinlich staumlrkste Hinweis auf eine solche goumlttliche Dreieinigkeit im beruumlhmten Evangelisierungsauftrag steht den Jesus in ihrer Taufformel der Kirche gabrdquo1136 Aber beachten wir dass die Autoren zugeben dass es sich nur um einen bdquoHinweisrdquo auf die Existenz der Dreifaltigkeit handelt nicht um eine tatsaumlchliche Praumlsentation des Konzepts

Waumlhrend dieser Abschnitt den Vater den Sohn und den Heiligen Geist erwaumlhnen mag lehrt er jedoch nicht dass es sich um drei Divisionen innerhalb der Gottheit handelt Wir finden in diesem Vers keine [exegetische] Erklaumlrung dass der Vater der wahre Gott ist der Heilige Geist der wahre Gott und der Sohn der wahre Gott und dass alle drei als ewige gleichberechtigte Mitglieder desselben Wesens

1134 Kuschel pp 250-252 unsere Hinzufuumlgung 1135 Murphy-OrsquoConnor p 49 unsere Hinzufuumlgung 1136 Woodrow W Whidden Jerry Moon John W Reeve The Trinity Understanding Godrsquos Love

His Plan of Salvation and Christian Relationships (Review and Herald Publishing Association 2002) p 32 (Die Trinitaumlt Verstaumlndnis von Gottes Liebe Seinem Heilsplan und die Christlichen Bezie-hungen)

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existieren Wenn Matthaumlus 2819 so belassen wird wie geschrieben steht haben wir die Anweisung Jesu in der Autoritaumlt Gottes Jesu und des Heiligen Geistes zu taufen

Die juumldischen Massen in Jerusalem hatten erkannt dass Jesus der Koumlnig von Is-rael war der bdquoim Namen Jahwesrdquo (Matthaumlus 219) kam dh dass er mit Gottes Macht zu ihnen kam Ebenso sagte Gott uumlber den Engel der in 2 Mose 2321 die Autoritaumlt Gottes ausgeuumlbt hat bdquoMein Name ist in ihmrdquo Der Satz bdquoim Namen vonrdquo taucht bei Matthaumlus tatsaumlchlich mehrmals als Hinweis auf die Autoritaumlt eines bestimmten Subjekts auf bdquoEs werden viele zu mir sagen an jenem Tage Herr Herr haben wir nicht in deinem Namen geweissagt Haben wir nicht in deinem Namen Daumlmonen ausge-trieben Haben wir nicht in deinem Namen viele Machttaten getanrdquo (Matthaumlus 722) Die Autoritaumlt in die man getauft wird muss nicht unbedingt Gott sein Paulus sagt dass die Israeliten bdquoalle in Mose getauft wurdenrdquo (1 Kor 102) oder durch die Auto-ritaumlt die der Name Mose traumlgt Das Rezept Jesu sowohl in der Autoritaumlt des Va-ters und des Sohnes als auch in der Autoritaumlt des Heiligen Geistes zu taufen aumlhnelt einem Polizisten der einen Befehl erteilt bdquoim Namen des Gesetzesrdquo oder durch die Autoritaumlt die das Gesetz traumlgt aufzuhoumlren Eine klare und notwendige Dreifaltigkeit kann hier nicht abgeleitet werden

Allerdings haben viele neutestamentliche Gelehrte tatsaumlchlich vorgeschlagen dass der Originaltext von Matthaumlus 2819 moumlglicherweise nicht in den noch vor-handenen Manuskripten erhalten geblieben ist Die Form der Passage die in un-seren modernen Bibelausgaben existiert mit Bezug auf Vater Sohn und Heiligen Geist scheint mit der Praxis der Juumlnger im Neuen Testament inkonsistent zu sein Wenn die heute vorherrschende Version korrekt ist scheint die spezifische bdquoFor-melrdquo Christi (sollte es sich wirklich um eine Formel handeln) zugunsten der Taufe nur bdquoim Namen Jesurdquo ignoriert zu werden (Apg 238 816 1048 195 Gal 327 Roumlm 63) Im gesamten Bericht der neutestamentlichen Gemeinschaft taufen die Nachfolger Christi immer (Apg 238) sprechen (Apg 417-18) lehren (Apg 528) befehlen (Apg 1618) und heilen (Apg 47-10) - alles bdquoim Namen Jesurdquo Deutet das Fehlen der bdquoDreieinigen Formelrdquo auf eine apostolische Nichteinhaltung der An-weisungen Christi hin oder sind wir auf eine moumlglicherweise textliche Textverfaumll-schung in Matthaumlus gestoszligen Eusebius (gestorben 340 n Chr) laumlsst einen Blick auf eine fruumlhere Version von Matthaumlus 2819 zu wenn er sie in seiner Rede zitiert als bdquoGeht und machet alle Nationen in meinem Namen zu Juumlngernrdquo1137 Auch in seiner Kirchengeschichte zitiert er sein Manuskript als bdquoin meinem Namenrdquo1138 Dies scheint eher mit der historischen Praxis der Persoumlnlichkeiten der neutestamentli-

1137 Eusebius of Caesarea Oration of Emperor Constantine 16 8 (Gebet des Kaisers Konstantin) 1138 Eusebius of Caesarea Church History 5 2

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chen Kirche in Einklang zu stehen Diese Diskrepanz wurde von vielen Gelehr-ten festgestellt die auf die Moumlglichkeit einer spaumlteren kirchlichen Interpolation [Einfuumlgung] hinweisen1139

Nichtsdestotrotz bestaumltigt die bestehende Form des Verses in den noch vorhan-denen Manuskripten keinesfalls die trinitarische Doktrin und ist keineswegs ein trinitarischer Beweistext Wenn Matthaumlus 2819 das beste Beispiel fuumlr die Drei-faltigkeit im Neuen Testament ist koumlnnen wir uns getrost den Gelehrten auch aus dem trinitarischen Lager anschlieszligen die zugeben dass bdquoes keine Beweistexte gibtrdquo1140 und dass bdquodie Lehre von der Dreifaltigkeit nicht von Jesus gepredigt wurderdquo1141

Letztendlich stellen wir fest dass der Messias sowohl im Alten als auch im Neuen Testament immer ein ehrenwerter Mensch als erhabener Prinz der Menschheit ist aber in keiner Weise eine Gestalt welche die Anerkennung und Stellung des einen Gottes an sich reiszligt (Hesekiel 3423-24) Jesus selbst erklaumlrte dass er den einen Gott anbetet (Lukas 48 Johannes 422) Mit Gott meint er weder sich selbst noch ein dreieiniges Komitee verschiedener Personen sondern einen Gott den er stattdessen als bdquoeinen Herrnrdquo (Markus 1229) und als die Gottheit des tradi-tionellen Judentums bezeichnet (Johannes 854) Zwischen dem von Mose dar-gestellten Gott sowie dem von anderen alttestamentlichen Propheten und dem von Jesus gezeichneten Bild gibt es keinen Unterschied Ein Professor der Kir-chengeschichte bestaumltigt

Das Alte Testament ist streng monotheistisch Gott ist ein singulauml-res persoumlnliches Wesen Die Vorstellung dass dort eine Dreieinig-keit zu finden waumlre ist voumlllig unbegruumlndet An dieser Stelle gibt es keinen Bruch zwischen dem Alten und dem Neuen Testament Die mo-notheistische Tradition wird fortgesetzt Jesus war ein Jude der von juumldischen Eltern in den alttestamentlichen Schriften ausgebil-det wurde Seine Lehre war bis ins Mark juumldisch keine neue The-

1139 bdquoEs wird oft behauptet dass die Worte im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes

nicht die ipsissima verba [die genauen Worte] Jesu sind sondern eine spaumltere liturgische Ergaumlnzungldquo (Tyndale neutestamentliche Kommentare I S 275) bdquoDie formale Authentizitaumlt von Matt 2819 muss in Frage gestellt werdenrdquo (Schaff-Herzog Enzyklopaumldie des religioumlsen Wissens S 275) 435) bdquoDas his-torische Raumltsel wird nicht durch Matthaumlus 2819 geloumlst da es nach einem breiten wissenschaftlichen Konsens kein authentischer Spruch Jesu ist nicht einmal eine Ausarbeitung eines Jesus-Spruchs uumlber die Tauferdquo (The Anchor Bible Dictionary Vol 1 1992 S 585) bdquoIn jedem Punkt ist der Beweis der Apostelgeschichte ein uumlberzeugender Beweis dafuumlr dass die in Matthaumlus 2819 verkoumlrperte Tradition spaumlt und unhistorisch istrdquo (FJ Foakes Jackson amp Kirsopp Lake The Jewish Gentile and Christian Backgrounds pp 335-337)

1140 Ryrie Basic Theology p 89 1141 Hanson The Image of the Invisible God p 87 (Das Bild des unsichtbaren Gottes)

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ologie Und er akzeptierte den groszligen Text des juumldischen Mono-theismus als seinen eigenen Glauben bdquoHoumlre Israel der HERR unser Gott ist ein einziger HERRrdquo1142

Koumlnnten moderne Bibelstudenten durch das aufruumlttelnde Zeugnis des Messias bewegt werden dass diese eine Einheit [Gottes] immer groumlszliger ist als er (Joh 1428) dass er bdquomein Gott und dein Gottrdquo ist (Joh 2017) dass er spezifisch bdquoder Vaterrdquo ist (Joh 423-24) und dass dieser Vater allein bdquoder einzig wahre Gottrdquo ist (Markus 123234 Joh 171-3) Diese einfach verstaumlndlichen Behauptungen scheinen jedoch weitgehend auf taube Ohren zu stoszligen zugunsten von hochgra-dig spitzfindigen Subtilitaumlten die nie zu einer praktischen Offenbarung fuumlhren sondern kopfuumlber in die Verwirrung

1142 L L Paine A Critical History of the Evolution of Trinitarianism (Boston Houghton Mifflin amp Co

1900) p 4 unsere Hinzufuumlgung (Eine Kritische Geschichte der Entwicklung des Trinitarismus)

Vor Grundlegung der Welt

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VorGrundlegungderWelt

bdquoDas Nuumltzlichste was wir im Leben lernen koumlnnen ist zu verlernen was unwahr istrdquo

mdash Antisthenes (444 - 371 v Chr)

URCH UNSEREN UumlBERBLICK den wir bisher in diesem Buch uumlber die metaphysischen Modelle der Platoniker und Gnostiker gewonnen haben beobachten wir wie grundlegend dieser Rahmen fuumlr die trinita-

rischen Prinzipien war und wie direkt er in den historischen christlichen Glauben eingefuumlhrt wurde Die platonischen und gnostischen Vorstellungen von realer Praumlexistenz von der Seelenwanderung dem wahren Einklang von menschlicher und goumlttlicher Natur alle diese Modelle wurden von den fruumlhen Katholiken lei-denschaftlich gesammelt Auch wenn es oft unbequem war haben sie Christus darauf basiert Dadurch entstand eine Art Verliebtheit mit einem bdquovor-menschli-chenrdquo Jesus Diese wurde gefoumlrdert und ist noch heute der Glaube der das tradi-tionelle Christentum praumlgt Die Vorstellung dass vor seiner Empfaumlngnis in Maria Christus real und persoumlnlich existierte findet sich nicht nur in trinitarischen Krei-sen sondern auch bei modernen bdquoArianernrdquo (Zeugen Jehovas) Mormonen Bini-tariern (Armstrongismus) und Sabellianern (Einheitspfingst-bewegung ndash Onen-ess Pentecostal) obwohl sie sich daruumlber unterscheiden wer Christus vor seiner Geburt war Trinitarier behaupten dass Christus bereits als die ewig gezeugte zweite Person der Dreifaltigkeit existierte Die Arianer sind der Ansicht dass Christus als ein hohes Geist-Wesen oder ein Engel die chronologisch erste Schoumlpfung Gottes bereits existierte Mormonen sagen dass er der erste und groumlszligte der Geist-Soumlhne Gottes und Luzifer sein Bruder war Sabellianer (Moda-listen) sagen dass er zuerst als Gott der Vater da war bevor er der Sohn wurde Ungeachtet der breitgefaumlcherten Vielfalt der Theorien uumlber seine vormenschliche

D

Vor Grundlegung der Welt

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Identitaumlt stoszligen wir auf grosse Diskrepanzen zwischen diesen Ansichten So po-pulaumlr sie einerseits auch sein moumlgen muumlssen sie durch die exakte Darlegung der Evangelien gepruumlft werden Die biblischen Daten bringen uns zur Frage ob der Streit daruumlber wer Jesus vor seiner Geburt war wirklich der richtige Ansatzpunkt der Debatte ist Vielleicht sollten wir uns stattdessen fragen ob Jesus vor seiner Geburt wirklich existiert hat

Es gibt eine bescheidene Sammlung von Jesu Spruumlchen in den Evangelien von denen allgemein gesagt wird dass sie die Vorstellung von seiner eigenen persoumln-lichen Existenz vor der Schoumlpfung der Genesis in einer entlegenen Sphaumlre unter-stuumltzen Aufgrund der Mehrdeutigkeit eben dieser Passagen ist es moumlglich sie in einer Vielzahl unterschiedlicher Christologien einzusetzen was beharrlich auch geschieht Keiner dieser Spruumlche Jesu kann jedoch als ausschlieszliglich sbquotrinitarischrsquo angesehen werden Tatsaumlchlich ist die Prauml-Existenz eine Sache die Prauml-Existenz als zweites Glied eines dreieinigen Gottes aber eine andere Die Aussagen Christi werden wir untersuchen aber erst nachdem wir einige der Probleme der Tradi-tion der woumlrtlichen Prauml-Existenz sowie der exegetischen Methodik und Weltan-schauung kennengelernt haben die eine korrekte Interpretation der Lehren Christi erfordert

PlatonischePrauml-ExistenzgegenklassischeJuumldischePrauml-ExistenzEs ist von groumlszligter Bedeutung genau zu bestimmen was man unter bdquoPraumlexistenzrdquo versteht Das Konzept variiert stark zwischen den Volksgruppen und Religionen der Antike aber fuumlr den Zweck dieser Untersuchung werden wir diese Ansichten in zwei Arten einteilen Griechisch [hellenistisch] und juumldisch Mit Fug und Recht kann man sagen dass die Juden wie die Griechen an die Vorexistenz aller Dinge glaubten1143 Doch ihre Vorstellungen von Praumlexistenz sind so unterschiedlich wie die Kulturen und Religionen in denen sie gediehen Hier ist wie die allgemei-nen Ansichten zusammengefasst werden koumlnnen Die griechische Praumlexistenz ist woumlrtlich und gegenwaumlrtig waumlhrend die juumldische Praumlexistenz ideell und konzepti-onell zu begreifen ist1144

1143 Einige hellenisierende Elemente des Judentums der Aumlra des Zweiten Tempels die stark von der pla-

tonischen Philosophie beeinflusst waren nahmen eine woumlrtliche Sicht auf die Praumlexistenz eines jeden Menschen an Die Geschichte beweist jedoch dass dies nicht die Meinung des dominanten Judentums des ersten Jahrhunderts oder der Hebraumler des Altertums war die sich ein ideelle oder eine kontemplative Praumlexistenz fuumlr alles im Geist im Plan oder in der Weisheit Gottes vorstellten Diese hebraumlische bdquoWeisheitrdquo Gottes wurde von spaumlteren juumldischen Philosophen wie Philon von Alexandria als dem griechischen bdquoLogosrdquo Gottes entsprechend wahrgenommen

1144 Das Woumlrterbuch des Spaumlteren Neuen Testaments bestaumltigt diese Unterscheidung bdquoDer vorher ex-istierende Zustand kann als ideell (Existenz im Verstand oder Plan Gottes) oder tatsaumlchlich (eine Ex-istenz neben und verschieden von Gott) beschrieben werdenrdquo (David Capes ldquoPreexistencerdquo Dictionary of the Later New Testament (Downerrsquos Grove IVP 1997) p 956)

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Wie in Teil I dieses Buches festgestellt gehen die griechischen oder platonischen Weltanschauungen von der Annahme aus dass alle Menschen unsterbliche See-len beherbergen die zuvor auf einer houmlheren himmlischen Ebene existierten bevor sie in unsere irdische Sphaumlre kamen Vor der Inkarnation [Fleischwerdung] als menschliches Wesen lebte die Seele in einer vollkommenen unveraumlnderlichen Welt in der sie alles wusste Die bereits vorhandene Identitaumlt wurde zum Zeit-punkt der Empfaumlngnis in die Form eines neugeborenen Menschen eingefuumlgt das Wissen unterdruumlckt und das Kleinkind muss alles wieder neu lernen Allgemein gesprochen wurde die woumlrtliche Praumlexistenz aller Menschen sowohl von Juden als auch von den Urchristen als unbiblisch abgelehnt Zitate aus Sacharja 121 fin-den sich oft in den klassischen Argumenten bdquoDer HERR bildet den Geist des Menschen in seinem Innerenrdquo Anstatt dass das menschliche Leben bereits existiert und nur darauf wartet von auszligen in einen Koumlrper eingefuumlhrt zu werden wurde im historischen Christentum argumentiert dass Gott entweder jede menschliche Seele ex nihilo [lat aus dem Nichts] im Moment der Empfaumlngnis erschafft1145 oder dass jede Seele von den oder durch die Eltern erzeugt wird1146 Tatsaumlchlich wurde der Glaube an die woumlrtliche Praumlexistenz des Menschen 553 n Chr vom Zweiten Konzil von Konstantinopel als ketzerisch verurteilt Selbst moderne Verteidiger der woumlrtlichen Praumlexistenz Christi bekraumlftigen dass die Praumlexistenz menschlicher Seelen bdquonicht das Ergebnis biblischen sondern platonischen Den-kensrdquo ist1147 Es uumlberrascht jedoch nicht dass der Mensch Jesus Christus von dieser Regel ausgenommen wurde So wird behauptet dass das bewusste Leben Jesu tatsaumlchlich Milliarden von Jahren [gedauert habe] ja sogar die Ewigkeit sei-ner Geburt vorausgegangen sei Trinitarier sind daher der Ansicht die Geburts-erzaumlhlungen in den Evangelien seien die Information dass ein uumlbernatuumlrlicher Nicht-Mensch von auszligen in den Mutterleib des jungen Maumldchens gelangt sei In der Tat wurde der Sohn fuumlr sie bdquoin den Schoszlig der Jungfrau Maria eingesetztrdquo1148 wo er sich mit einer abstrakten menschlichen Natur verband Natuumlrlich hat die Geschichtsschreibung bereits gezeigt dass dieses metaphysische Denken im Christentum nur durch die intensive Vermischung der griechischen Philosophie mit dem christlichen Glauben erreicht wurde Dieser Synkretismus fand nach dem Tod der Apostel statt Wie ein Gelehrter feststellt bdquoDie Denkgewohnheiten

1145 Dieses Konzept wird als bdquoKreationismusrdquo bezeichnet 1146 Bekannt als bdquoTraducianismusrdquo oder bdquoGeneratianismusrdquo 1147 Douglas McCready He Came Down From Heaven The Preexistence of Christ and the Christian Faith

(Downerrsquos Grove IVP Academic 2005) p 220 (Er kam aus dem Himmel herab Die Praumlexistenz Christi und der Christliche Glaube)

1148 ldquoWhen Did Jesus Know He Was the Son of Godrdquo The Bible Study Site Barnabas Ministries Web 16 December 2014 lthttpwwwbiblestudyorgquestionwhen-did-jesus-know-he-was-godhtmlgt (Wann wusste Jesus dass er der Sohn Gottes war)

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welche die Nichtjuden in die Kirche einbrachten reichen aus um die Verfaumll-schungen der apostolischen Lehre zu erklaumlren die im nachapostolischen Zeitalter begannenrdquo1149 Dennoch behauptet Douglas McCready in seinem beliebten Buch zur Verteidigung der Praumlexistenz Jesu dass bdquodie [reale] Praumlexistenz die beste Er-klaumlrung fuumlr sein Zeugnis bleibtrdquo1150 Wir werden bald herausfinden ob dies wirk-lich der Fall ist oder nicht

Was wir die klassische juumldische Sicht der Praumlexistenz nennen ist ganz anders ge-lagert Die aumllteste hebraumlische Auffassung war nicht gleich der griechischen Onto-logie im woumlrtlichen Sinne sondern sie war eine Existenz nur in der bdquoVorkennt-nisrdquo oder bdquoVorherrschaftrdquo Gottes Demzufolge existierten bdquowichtige Gestalten Objekte und Symbole zuerst im Himmel bei Gott bevor sie zu ihren festgelegten Zeiten verwirklicht wurdenrdquo All diese Dinge wohnten nicht woumlrtlich und phy-sisch in einer weit entfernten Dimension sondern wurden von Gott nur persoumln-lich in der Vision seines ewigen Planes fuumlr das Universum vorgestellt Ein Ge-lehrter erklaumlrt es

Wenn der Jude sagte dass etwas bdquopraumldestiniertrdquo sei dachte er es sei bereits in houmlheren Lebensbereichen bdquovorhandenrdquo Die Weltge-schichte ist damit praumldestiniert weil sie in gewisser Weise bereits vorexistent und damit fixiert ist Diese typisch juumldische Vorstellung von Praumldestination laumlsst sich von der griechischen Praumlexistenzidee durch die Uumlberlegenheit des Gedankens der bdquoPraumlexistenzrdquo zum goumlttlichen Zweck unterscheiden1151

In den kommenden Abschnitten werden wir dieses hebraumlische Verstaumlndnis un-tersuchen und wie es sich auf die Aussagen und die Theologie Jesu im Neuen Testament bezieht Aber zuerst muumlssen wir erkennen dass sofort mehrere Schwierigkeiten auftreten wenn das Modell der woumlrtlichen bdquogriechischenrdquo Prauml-existenz von Trinitariern auf die Jesus-Texte angewendet wird In diesem Kapitel werden wir nur einige der Probleme mit dem buchstaumlblichen Anwendungssystem behandeln bevor wir im naumlchsten Kapitel die alternative Sichtweise betrachten

ProblemDerGeistChristiDie Trinitarier sagen dass Christus obwohl ganz Mensch auch ganz Gott sei und deshalb die vollen Eigenschaften Gottes aufweise Gott muss so existieren dass seine eigenen identifizierenden Eigenschaften (Allmacht Von-sich-selbst-

1149 G T Purves The Testimony of Justin Martyr to Early Christianity (New York Randolph and Co

1889) p 167 (Das Zeugnis von Justin Martyr der fruumlhen Christienheit) 1150 McCready p 316 1151 E C Dewick Primitive Christian Eschatology (Cambridge CUP 1912) pp 253 254 unsere Betonung

(Fruumlhchristliche Eschatologie)

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heraus-bestehende Natur (Aseitaumlt) Allwissenheit usw) eingeschraumlnkt werden Ein paar wenige berechtigte Fragen zeigen gleich eine Fuumllle von Problemen auf Was geschah mit Jesu Erinnerungen und Wissen haumltte er sich als allwissender Gott in ein mensch-liches Baby verwandelt Wusste Jesus als hilflos weinendes Kind dass er der Schoumlpfer aller Dinge war Wie kommt es dass ein Wesen von dem behauptet wird es habe nie einen Moment erlebt in dem es nicht ganz Gott war nicht die genauen Eigenschaften aufweist die es identifi-zierbar machen Gab es eine Zeit in der Jesus nicht wusste dass er Gott war

Wie wir sehen werden loumlsen die Erzaumlhlungen der Evangelien eine scheinbar vor-herbestehende Allwissenheit Christi auf Aber das hindert trinitarische Apologe-ten nicht daran folgendes zu behaupten bdquoWaumlhrend seiner Tage im Fleisch blieb Jesus der allwissende Gottrdquo1152 Andere trinitarische Pastoren bestaumltigen bdquoAllwis-send zu sein bedeutet im Gegensatz zu normalen Menschen alles Wissen zu besitzen Die Bibel erklaumlrt dass Jesus tatsaumlchlich allwissend warrdquo1153 Natuumlrlich ist es einfach zu sagen dass bdquodie Bibel dieser oder jener Meinung istrdquo aber es ist eine andere Sache diese Meinung dann auch konsequent zu belegen

Entgegen dieser Behauptungen entdecken wir in den Evangelien dass der junge Jesus der offenbar nicht die Kenntnis aller Dinge von Ewigkeit her verfuumlgbar hatte auf die Erlangung der Erkenntnis hingearbeitet hat bdquoUnd Jesus nahm zu an Weisheit und an Groumlszlige und an Gunst bei Gott und Menschenrdquo (Lukas 252 ELB) Dies zeigt dass Christus nach und nach eine houmlhere Ebene der Weisheitdes Verstan-des erreicht hat (griechisch bdquosophiardquo) definiert als bdquoEinsicht Faumlhigkeit Wissen oder Intelligenzrdquo1154 Aber Jesus ist so will man uns weismachen offensichtlich

1152 Tim Haile ldquoHow Did Jesus lsquoGrow in Wisdomrsquordquo The Bible Banner Web 15 December 2014

lthttpwwwbiblebannercomga_artlk_2_52htmgt unsere Betonung (Wie konnte Jesus sbquozunehmen an Weisheitsbquo)

1153 James L Melton lsquoThe Deity of Jesus Christ Scriptural Proof That Jesus Christ is Godrdquo Bible Baptist Publications Web 15 December 2014 (Die Divinitaumlt Jesu Christi Der Beweis der Schrfit dass Jesus Christus Gott ist) Apologeten argumentieren manchmal dass weil mehrere Verse sagen dass Jesus wusste was in den Herzen oder im Geist der Menschen war die Bibel ihn als allwissenden Gott darstelle Aber bdquoalle Menschen zu kennenrdquo oder bdquozu wissen was im Menschen warrdquo (Joh 224-25) erfordert kaum eine gottaumlhnliche Allwissenheit es erfordert nur zu wissen wie Menschen sind Matthaumlus 94 stellt Jesus als bdquoihre Gedanken wissendrdquo dar und weiszlig was die Menschen in ihren Herzen bdquodachtenrdquo waumlhrend wir argumentieren koumlnnen dass seine Schlussfolgerungen mit natuumlrlichen Mitteln haumltten gezogen werden koumlnnen auch wenn er buchstaumlblich wuumlsste was in ihrem Geist vor sich ging wuumlrde dies keine Gottheit erfordern Andere Menschen in der Bibel wurden durch den heiligen Geist befaumlhigt Gedanken zu bdquolesenrdquo Zum Beispiel wusste Petrus dass Ananias ihn uumlber den Verkauf seines Eigentums angelogen hatte (Apg 53) aumlhnlich Johannes 148 wo Jesus sagt dass er wusste dass Nathanael unter einem Feigenbaum gesessen hatte bevor Philippus ihn rief Ebenso sagte der Prophet Elisa im Alten Testa-ment dass er wusste dass sein verlogener Diener sich mit einem Mann auf einem Wagen getroffen hatte bevor er Elisa traf (2 Koumlnige 526) Diese Art von Wissen zu haben erfordert nicht bdquoganz Gottrdquo zu sein

1154 ldquoSophiardquo Thayerrsquos Greek Lexicon

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der Gott der alles Wissen besass aber dann vergessen hat wie genau man es [auf Erden] anwendet Aber ist das wirklich die einfachste Erklaumlrung des Textes

Betrachten wir ein Zitat aus dem Artikel eines [trinitarischen] Apologeten bdquoEs kann keine einzige Bibelstelle herangezogen werden in der steht dass Jesus In-formationen von Menschen erhalten hatrdquo1155 Aufgrund dieser so impulsiv daher-gesagten Aussage koumlnnte man erwarten dass die Bibel wirklich einen allwissenden Gott-Christus befuumlrwortet Es gibt jedoch mehrere Passagen die dieser Behaup-tung widersprechen bdquoDa nun Jesus houmlrte dass Johannes gefangen gesetzt worden war zog er sich nach Galilaumla zuruumlck (Matt 412) und bdquoJesus houmlrte dass sie ihn (den Blinden) ausgestoszligen hatten Und als er ihn fand fragte er Glaubst du an den Menschensohnrdquo (Joh 935) Das Wort in diesen Passagen fuumlr bdquogehoumlrtrdquo ist das griechische bdquoekousenrdquo das Thayer definiert als bdquoum durch Houmlren zu kommen zu lernen zu verstehen uswrdquo Jesus war offensichtlich an einigen Aktivitaumlten beteiligt wurde von Menschen mit Informationen versorgt und reagierte auf diese Informationen mit einem Kurs-wechsel

Indem wir so problemlos Jesu Beschaffung von Informationen von einer Quelle ausserhalb seiner selbst demonstrieren konnten fragen wir uns was die trinitari-sche Antwort darauf sein koumlnnte Waumlre es dass Jesus Informationen nur in seiner menschlichen Natur erlangte nicht aber in seiner goumlttlichen Natur Wenn das der Fall ist wird die Natur in zwei separate Personen aufgeteilt dies entspraumlche der als bdquoketzerischrdquo erklaumlrten nestorianischen oder valentinianischen Christologie Ob-wohl der durchschnittliche Trinitarier mit der Idee immer noch unzufrieden sein mag wird die konziliare Orthodoxie ihn dazu bringen zu bestaumltigen dass ein zielstrebiger Jesus das Wissen auf einer seiner Geistesebenen empfangen hat aber nicht auf der anderen Aber was ist ein abstrakter Geist ohne eine reale Person da-hinter Unabhaumlngig davon welcher Geist Verstand oder welche Natur angeblich die Aufnahme dieses Wissens erleichtert hat ist es die eine Person Christi die es aufgenommen hat1156

Jesus Christus war offensichtlich nicht allwissend Am treffendsten wird dies ge-gen Ende des Matthaumlusevangeliums demonstriert Auf die Frage nach dem Zeit-punkt der Wiederkunft Christ antwortet Jesus bdquoAber um diesen Tag oder diese Stunde weiszlig niemand nicht einmal die Engel im Himmel und nicht der Sohn sondern nur der Vaterrdquo (Matt 2436) In diesem beruumlhmten Abschnitt begegnen wir noch einmal einigen wichtigen Informationen Jesus verfuumlgt nicht uumlber das Wissen das ausschlieszliglich dem Vater vorbehalten ist Es ist derjenige den Jesus oumlffentlich als den einen und einzigen wahren Gott der Juden anerkannt hat (Joh 854 173) Ist es daher nicht

1155 Haile ldquoHow Did Jesus lsquoGrow in Wisdomrsquordquo (Wie nahm Jesus an Weisheit zu) 1156 Weitere Analysen uumlber die zwei Naturen siehe Hick The Metaphor of God Incarnate S 51ff (Die

Metapher des fleischgewordenen Gottres)

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vernuumlnftig zu dem Schluss zu kommen Gott der Vater besitzt als einziger All-wissenheit und der Vater ist der alleinige Inhaber dieses Attributs der wahren Gottheit Ist das nicht genau das was Jesus in Johannes 173 sagte Wie es moumlg-lich ist dass ein vermeintlich gleichberechtigter und gleich-ewiger Teilhaber an Gottes Existenz nicht in das eingeweiht ist nicht auch weiss was Gott weiszlig Diese Frage ist schon Gegenstand endloser Uumlberlegungen gewesen Doch die einfachste Erklaumlrung erfordert kaum solche Spielereien Im Neuen Testaments schreibt Jesus dem Vater staumlndig bestimmte Vorrechte zu wie zB das Recht Ehrenplaumltze im Reich Gottes zu vergeben bdquoZu meiner Rechten oder Linken zu sitzen ist nicht meine Aufgabe aber es ist fuumlr diejenigen fuumlr die es von meinem Vater vorbereitet wurderdquo (Matt 2023) Wie soll Gott keine Rechte in Gottes Koumlnigreich delegieren koumlnnen entgeht der Logik des Lesers ebenso wie ein Gott der alles weiszlig ausser wenn er es nicht tut Aber es gibt noch eine andere Sache die hier zu beruumlcksich-tigen ist Jesu Ausschluss nicht nur seiner selbst von bestimmten Vorrechten Got-tes sondern auch der Ausschluss der vermeintlich dritten Person des Heiligen Geistes [in der Trinitaumlt] Wir duumlrfen nicht vergessen dass in der trinitarischen Theologie der Vater der Sohn und der Heilige Geist definitiv nicht die gleiche Person sind sondern drei ganz unterschiedliche Personen Wenn behauptet wird dass Jesus den Tag und die Stunde nicht bdquokannterdquo nur weil er seine goumlttlichen Vorrechte durch die Menschwerdung [voruumlbergehend] aufgegeben hatte und so-mit seine adoptierte menschliche Natur die Ursache seiner Unwissenheit war wie verhaumllt es sich dann ist dann mit der Person des Heiligen Geistes Warum weiszlig diese besondere Einheit - wie auch der Sohn - nicht was der Vater weiszlig Im Lichte von Matthaumlus 2436 erscheint die gaumlngige Interpretation auf Schritt und Tritt zu-mindest beunruhigend

Waumlhrend viele Apologeten offensichtlich nicht bereit sind die Auswirkungen der selbstbewussten Anerkennung des exklusiven Wissens des Vaters durch Christus zu akzeptieren haben einige wie der trinitarische Philosoph Brian Leftow zugegeben dass Jesus uumlber seine Beziehung zum Vater hinaus keinen bdquovollen Zugangrdquo zum Wissen des Vaters hatte1157 Ein populaumlrer Vertreter der Dreifaltigkeitdoktrin zeigt diese Erklaumlrung des Trinitarismus ebenfalls die ein vermindertes Bewusstsein Christi fuumlr seine eigene Gottheit waumlhrend seines Le-bens anerkennt Wir sind uns einig dass dies die fortschrittlichste (aber gleichzei-tig unbefriedigendste) Schlussfolgerung ist Diese Trinitarier schreiben als Ant-wort auf die Frage bdquoWann wusste Jesus dass er Gott istrdquo folgendes

Die Bibel sagt nicht klar dass es einen Punkt gab an dem Er erfuhr dass Er die zweite Person der Dreifaltigkeit war Irgendwann er-kannte Jesus aber voll und ganz wer Er von Ewigkeit her war Wir

1157 Brian Leftow God and Necessity (Oxford OUP 2012) p 322 (Gott und Notwendigkeit)

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koumlnnen zum Schluss kommen dass obwohl der inkarnierte Jesus von seiner Vergangenheit in der Ewigkeit Kenntnis hatte und wusste wer Er war der inkarnierte Jesus zu einem bestimmten Zeitpunkt in seinem irdischen Leben zu dieser Erkenntnis ge-langte1158

Dies scheint kaum hilfreich zu sein um den aufgezeichneten Dienst des histori-schen Jesus zu verstehen Selbst gegen Ende seines Lebens im Kapitel 24 von Matthaumlus sehen wir dass er einen allwissenden Geist als Gott noch nicht voll-staumlndig bdquowiedererlangtldquo hatte Wie sollen wir dann seine vielen Aussagen davor und danach interpretieren In der Tat kommen die Trinitarier zu dem Schluss dass diese Erkenntnis der Schoumlpfer aller Dinge gewesen zu sein irgendwann ein-trat bdquoGenau wann dieser Punkt war koumlnnen wir nicht sicher wissenrdquo1159 N T Wright stimmt im Hinblick auf das Portraumlt des Evangeliums von Jesus zu dass Jesus nicht wirklich gewusst hat wer er war zumindest nicht bdquoso wie man weiszlig dass man maumlnnlich oder weiblich hungrig oder durstig ist [Jesu Wissen uumlber sich selbst war] einer riskanteren aber vielleicht bedeutenderen Art Wie weiszlig man dass man geliebt wirdrdquo1160 Das Selbstbewusstsein Jesu so scheint es war eine Sache des Glaubens oder des Vertrauens Soll Christus nicht sicher gewesen sein wann er hungrig oder durstig war da ihm diese Sinneswahrnehmung [Hun-ger Durst] fehlte

Die Auswirkungen solcher Ideen sind bedauerlich Wenn die eine Person des Sohnes der allmaumlchtige Gott ist integral und lebenswichtig fuumlr Gott dann gab es eine Zeit in welcher der allmaumlchtige Gott nicht wirklich wusste wer er war Des-halb ist Jesus nach dieser systematischen Identitaumltskrise ein Gott der bewusst vergaszlig was er wusste und es dann wieder neu lernen musste Dieses ganze Sys-tem spiegelt eindeutig das platonische Modell der Praumlexistenz wider das besagt dass die Seele zuerst im Himmel existierte wo sie alles wusste aber das Wissen bei der Geburt reduziert wurde so dass alles neu erlernt werden musste Unab-haumlngig von den wirklichen Urspruumlngen des Systems scheinen moderne Christen keine Moumlglichkeit zu haben in irgendeiner praktischen oder erbaulichen Weise zu verstehen wie Gott vergessen haben koumlnnte dass er Gott ist und nicht zu wissen dass er Gott ist bis er sich irgendwie irgendwann daran erinnerte

Hier kann ein weiser Ausspruch von J W Bowman angefuumlgt werden Er behaup-tet dass bdquodie Kirche nicht unbegrenzt weiter Dinge von und uumlber Jesus glauben

1158 ldquoWhen Did Jesus Know That He Was Godrdquo Got Questions Ministries Web 16 December 2014

(Wann wusste Jesus dass er Gott ist) 1159 Ebenso 1160 Wright Jesus and the Victory of God pp 652-653

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kann die er selber nicht wusste ob sie wahr sindrdquo1161 Glaumlubige Christen bemuuml-hen sich doch einfach den Lehren und dem Leben ihres Meisters treu zu folgen die eben zitierten Ansichten stuumltzen jedoch das Bild eines falsch informierten unwissenden oder Gott bewahre eines praktisch schizophrenen [dh eines in sich widerspruumlchlichen inkonsequenten] Christus Die Orthodoxie moumlchte ja si-cher auch nicht dass bekennende Christen andere Menschen von so etwas uumlber-zeugen Aber mit zwei Naturen zwei Willen und zwei Verstandes- oder Geistes-ebenen (die unterschiedliche Vorstellungen und variierende Grade der Selbster-kenntnis aufweisen) scheint es dass Christen dazu verurteilt sind genauso unsi-cher uumlber den Jesus der Dreifaltigkeit zu sein wie der Jesus der Dreifaltigkeit selbst

ProblemDieInkarnationdesGottes-FoumltusEine Reihe von Problemen widerspiegeln die massiven Komplikationen fuumlr den Glauben wenn auch nur einen kleinen Ausschnitt davon Es beginnt damit wenn man sagt dass der Gott der Bibel sich in bdquoein kleines Babyrdquo verwandelt habe1162 Dies ist eine immer haumlufiger gehoumlrte Aumluszligerung der populaumlren christlichen Tradi-tion Der Trinitarier Max Lucado war langjaumlhriger Pastor der Oak Hills Kirche in San Antonio Texas Die Zeitschrift Christianity Today zaumlhlt ihn zu den bekanntes-ten christlichen Autoren Amerikas und ernannte ihn zum bdquoPastor Amerikasrdquo Readers Digest zeichnete ihn als bdquoden besten Prediger von Amerikardquo1163 aus Er verkaufte uumlber 100 Millionen Buumlcher in 50 Sprachen In einem seiner Wekre bdquoDas Geschenk von Bethlehem Die groumlszligte Geschichte der Welt begann in einer klei-nen Kripperdquo (unsere freie Uumlbersetzung)

Derjenige der groumlszliger war als das Universum wurde zum winzigen Embryo Und derjenige der die Welt mit einem Wort aufrechter-haumllt entschied sich von der Nahrung eines jungen Maumldchens ab-haumlngig zu sein Gott als Foumltus Die Heiligkeit schlaumlft in einer Ge-baumlrmutter Der Schoumlpfer des Lebens wird erschaffen Gott erhielt Augenbrauen Ellbogen zwei Nieren und eine Milz Er streckte sich gegen die Waumlnde des Uterus und schwebte im Fruchtwasser seiner Mutter Engel schauten zu wie Maria Gott die Windeln

1161 Bowman The Intention of Jesus p 108 1162 Michael Najim ldquoWhy God Became a Babyrdquo Catholic News Agency Web 23 December 2014

lthttpwwwcatholicnewsagencycomcwpostphpid=65gt 1163 Tiffany Taylor ldquoReaderrsquos Digest honors alumnus Max Lucado named Best Preacher in America in

magazinerdquo The Optimist (Abilene Christian University 2005)

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wechselte Das Universum blickte staunend zu als der Allmaumlchtige gehen lernte1164

Diese Auffassung zieht biblische und rationale Schlussfolgerungen die beunru-higend sind insbesondere dass bdquoder Schoumlpfer des Lebens erschaffen wurderdquo Es ist schwer vorstellbar dass es etwas Antagonistischeres fuumlr den Geist des Juden-tums den Glauben von Jesus geben koumlnnte als diese Aussage Das Neue Testa-ment repraumlsentiert die juumldische Sichtweise die auch die der Apostel war zum Thema bdquoGottldquo Weil sie Gott kannten ihn aber weder als Gott verherrlichten noch ihm Dank darbrachten sondern in ihren Uumlberlegungen in Torheit verfielen und ihr unverstaumlndiges Herz verfinstert wurde Indem sie sich fuumlr Weise ausgaben sind sie zu Narren geworden und haben die Herrlichkeit des unvergaumlnglichen Gottes verwandelt in das Gleichnis eines Bildes vom vergaumlnglichen Menschen sie welche die Wahrheit Gottes in die Luumlge verwandelt und dem Geschoumlpf Verehrung und Dienst dargebracht haben statt dem Schoumlpfer der gepriesen ist in Ewigkeit Amen (Roumlmer 121-23a25)

Gott unterscheidet sich grundlegend und unwiderlegbar von seinen Geschoumlpfen Er ist der bdquoHoumlchste Andererdquo dem kein Geschoumlpf gleich ist (Jesaja 469) Paulus erklaumlrt dass es diejenigen waren die eigentlich von Gott wussten die aber auf tragische Weise die feste Grenze zwischen Geschoumlpf und Schoumlpfer verwischten Oberflaumlchlich verkuumlndeten diese Verfechter Weisheit aber dem Apostel war die Vorstellung dass der einzigartige unnachahmliche und unsterbliche Gott jemals selbst ein Bild in Form eines Menschen haumltte sein koumlnnen nur barer Unsinn Unter Hinweis darauf dass die Bibel Jesus als bdquodas Bild Gottesrdquo (2 Kor 44) ja bdquodas Bild des unsichtbaren Gottesrdquo (Kolosser 115) identifiziert fragen wir nach den Auswirkungen dessen was Paulus sagt Es scheint dass im allgemeinen Christen-tum ein Bild ja eine Darstellung Gottes in Form eines Menschen (Jesus) als der einzigartige unsterbliche Schoumlpfer selbst angesehen wurde Man glaubt jedoch dass die Durchschnittschristenheit die Bedeutung der Materie noch nicht verstan-den hat Waumlhrend die Christen heute einen Gott bestaunen der Mensch gewor-den ist war es fuumlr Paulus ein gewaltiger Fehler die Grenzen zwischen Schoumlpfer und Geschoumlpf zu verwischen was letztendlich zu einem bdquoverwirrten Verstandrdquo fuumlhrte (Roumlmer 124) Ein biblischer Gelehrter erkannte das ebenso

Die Griechen moumlgen Gott und den Menschen identifiziert haben aber fuumlr einen Israeliten gab es einen tiefen und unpassierbaren Un-terschied zwischen dem Schoumlpfer und all seinen Geschoumlpfen selbst zwischen ihm und den houmlchsten [seiner Kreaturen] Es ent-sprach uumlberhaupt nicht der damaligen zeitgenoumlssischen juumldischen

1164 Max Lucado ldquoDas Geschenk von Bethlehem Die groumlszligte Geschichte der Welt begann in

einer kleinen Kripperdquo Web 23 Dezember 2014 lt httpsmaxlucadocomit-began-in-a-manger-christmasgt

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Vorstellung dass sich Gott in menschlicher Gestalt manifestieren sollte1165

Als guter Jude belaumlsst Paulus Gott sorgfaumlltig im exklusiven Reich des Schoumlpfers waumlhrend er Jesus direkt in die Welt der Schoumlpfung stellt und ihn sogar als bdquo den Erstgeborenen der ganzen Schoumlpfungrdquo bezeichnet (Kol 115) Wir verstehen hier un-schwer die Bedeutung Christus gehoumlrt zur Schoumlpfung er ist das bedeutendste Glied aller Geschoumlpfe Das muumlssen auch die trinitarischen Verleger der Neuen Internationalen Version der Bibel (NIV) erkannt haben weshalb sie sich viel-leicht gezwungen fuumlhlten von anderen groszligen Uumlbersetzungen abzuweichen und den Vers so zu wiederzugeben bdquoder Erstgeborene uumlber die ganze Schoumlpfungrdquo Dies ist natuumlrlich gelinde gesagt ein verkappter Versuch Christus von der Schoumlpfung zu distanzieren

Einmal abgesehen von der Kontoverse zwischen dem Inkarnationsdogma und dem Neuen Testament gibt es noch eine ganze Reihe schwerwiegender rationa-ler Probleme Ein trinitarischer Philosophie-Professor schreibt

Gott der Foumltus Gott der Embryo und Gott die Heilige Zygote Das ist der Gott den ich anbete der Gott der die Dunkelheit im Schoszlig Maria sah der Gott der Finsternis Wie kann Gott diese Dinge gesehen haben Wie koumlnnen Gottes Kopf und Schultern klein genug verkrampft gewesen sein um durch die Vagina Mariens zu gelangen1166

Die Trinitarier scheinen uumlber solche Ansichten genauso verbluumlfft zu sein wie je-dermann Aber das Erstaunen laumlsst sich leicht verdecken indem man an das un-fehlbare Prinzip des Mysteriums anwendet Was nicht nachvollziehbar ist kann letztlich nicht widerlegt werden wie zum Beispiel ein unbeweisbarer bdquoGott der Finsternisrdquo Die eigenartige Anziehungskraft die von der gefuumlhlvoll beschriebe-nen und emotional praumlsentierten Idee der bdquoGottheit in Windelnrdquo ausgeht ist ein Phaumlnomen1167 Es bleiben noch viele andere quaumllende Probleme Max Lucado beschreibt sogar dass es Maria vielleicht seltsam vorkam bdquoGottrdquo daruumlber aufzu-klaumlren wie bdquoerrdquo die Welt erschaffen hat Wie muss sie es empfunden haben zu dem Gott zu beten der unter ihrem Dach schlief Wie mag es ihr vorgekommen sein ihren eigenen Sohn im Gebet versehentlich bdquoVaterrdquo zu nennen Lucado

1165 Charles Gore Belief in Christ (New York Charles Scribnerrsquos Sons 1922) p 11 (Der Glaube an Christus) 1166 Mark S McLeod-Harrison Apologizing For God The Importance of Living in History (Eugene

Cascade Books 2011) p 138 (Gott entschuldigen Die Wichtigkeit in der Geschichte zu leben) 1167 Greg Laurie ldquoWas Jesus Godrdquo Cross Map Web 26 December 2014 lthttpwwwcrossmapcomblogsgreg-laurie-was-jesus-god-3907gt

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spekuliert dass Gott vielleicht nachts erschreckt aus einem boumlsen Traum auf-wachte Er hat seinen Eltern wahrscheinlich auch Fragen uumlber die Heilige Schrift gestellt Hat er verstohlene Blicke auf sein kindliches Gesicht gezogen waumlhrend er schweigend die Gebete der Menschen houmlrte Lucado betont bdquoJesus mag Pickel im Gesicht gehabt haben Moumlglicherweise war er unmusikalisch Vielleicht war ein Maumldchen von der Straszlige in ihn verknallt oder umgekehrt Eines aber ist sicher Er war obwohl voumlllig goumlttlich voumlllig menschlichrdquo1168 Wenn wir uns den Trinitariern anschlieszligen und sagen dass Jesus wirklich voumlllig menschlich war aber irgendwie jenseits aller verstaumlndlichen Erklaumlrungen er auch der allmaumlchtige Gott war dann begeben wir uns auf einen rutschigen Abhang [siehe Marius Raab] und enden zu guter Letzt wie Lucado der behauptet dass bdquoGottrdquo moumlglicherweise romantisch an einem jungen Maumldchen interessiert war

Dieses Dogma [der Vermenschlichung Gottes] ist nicht nur fuumlr die persoumlnliche Vorstellung der Christen vom Schoumlpfergott potenziell schaumldlich sondern auch fuumlr den Ruf des Christentums in der Welt Unfundierte Spekulationen wie die von Lucado rufen in der christlichen Gemeinschaft zarte Gefuumlhle und starke Emotionen hervor zeigen sie doch die liebevolle Bereitschaft eines Gottes sich mit seinen Geschoumlpfen zu identifizieren Fuumlr Anhaumlnger des klassischen Mono-theismus der Bibel hingegen naumlmlich die Juden sind sie houmlchst beunruhigend und zutiefst beleidigend

Moderne Juden wie Meir Y Soloveichick erklaumlren dass das Judentum historisch bdquoneoplatonische Ideenrdquo strikt abgelehnt hat die darauf abzielten das Numinose das Goumlttliche mit bdquobegrenzten Mittelnrdquo in Verbindung mit uns Menschen zu bringen dh durch die wirkliche Vermischung von unbegrenztem Gott mit end-lichen Menschen1169 Auf dem Sinai hatte der Gott der Bibel seine Darstellung als geschnitztes Bild [Idol] verboten die Person Gottes durfte nicht als [zur Erde] herabgestiegen angesehen werden um im materiellen Bereich enthalten zu sein Gott war nicht mit den natuumlrlichen Sinnen zu erleben Die Methode der Gemein-schaft Gottes bestand darin sich durch sein Wort durch seine Gebote oder durch seine Agenten denen er sein Wort gegeben hatte auszudruumlcken Wie der juumldische Gelehrte Jacob Neusner erklaumlrt bdquoDas Judentum kennt Gott durch Got-tes eigene Selbstdarstellung in der Thora des Sinai muumlndlich und schriftlich Gott macht sich bekannt durch das was er tut durch seine Beziehungen die Regeln

1168 Lucado ldquoIt Began in a Manger (Christmas)rdquo (Es begain einer kleinen Krippe) 1169 Meir Y Soloveichick ldquoTorah and Incarnation Torah Learning Bridges the Gap Between Man and

Godrdquo First Things 01 October 2010 Web 14 Juni 2015 (Thora und Inkarnation Thora lernen uumlberbruumlckt den Abstand zwischen Mensch und Gott)

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denen diese Handlungen und Transaktionen entsprechenrdquo1170 Ein buchstaumlblich menschgewordener Gott wie Neusner bestaumltigt ist also bdquovoumlllig unvereinbar mit dem Gott des Judaismus ndash dh fremd jeglicher Art von Judentumrdquo1171 Man soll mit dem biblischen Gott kommunizieren aber nicht durch Sehen Beruumlhren und Riechen sondern durch die Auseinandersetzung mit dem Geist Gottes durch sein Wort seine Thora Soloveichick zeigt dass das Judentum seit jeher auf das Wort Gottes als Verkoumlrperung des Willens Gottes ausgerichtet ist Das Christentum hingegen fokussierte sich auf einen verkoumlrperten Gott In der Tat wie angese-hene evangelikale Religionslehrer bestaumltigen ist das allgemeine Christentum ein Glaube nicht an die ausdruumlcklichen Lehren Christi sondern an Jesus als die Ver-koumlrperung des fleischgewordenen Gottes1172 Auf diese Weise wird fuumlr die Chris-ten bdquodie Distanz zwischen dem endlichen [sterblichen] Menschen und dem un-endlichen Gott uumlberbruumlckt fuumlr die Juden sind die Christen der Versuchung erle-gen vor der das 5 Buch Mose ausdruumlcklich warnte die Kluft zwischen Mensch und Gott mit endlichen Mitteln uumlberbruumlcken zu wollenrdquo1173 Im Laufe der juumldi-schen Geschichte ist Gottes Wort das Mittel geblieben mit dem der Himmel auf die Erde kommt Wie wir in spaumlteren Kapiteln dieses Buches feststellen werden wurde in juumldischen Kreisen in der Aumlra des Zweiten Tempels sogar gesagt dass Gottes Wort oder die Thora in juumldischen Lehrern und Propheten bdquoverkoumlrpertrdquo wurde Dieser Gedanke kann sich als hilfreich erweisen um kontroverse juumldische Texte aus dieser Zeit zu verstehen wie den Prolog des Johannesevangeliums in dem gesagt wird dass Gottes Wort in der Person Jesu Christi bdquoFleisch gewordenrdquo [verkoumlrpert] ist

Aber vorerst konzentrieren wir uns auf die Ungereimtheit zwischen der Inkarna-tionsdoktrin der christlichen Orthodoxie und der althergebrachten Weltanschau-ung der Juden Wir muumlssen schlieszliglich den Grund erklaumlren warum die Illustra-tion vom weinenden und urinierenden [anthropomorphen] bdquoGottrdquo Christen keines-falls so abstoszligend und schockierend beruumlhrt wie die Juden Der einzige Grund dafuumlr ist dass die Christenheit durch die Ausuumlbung der Kultur und der Tradition der Kirche schlicht und einfach an den Gedanken gewoumlhnt worden sind Fuumlr die juumldischen Autoren der Bibel waumlre eine solche Idee jedoch bestenfalls eine uner-traumlgliche Blasphemie eine intolerable Gotteslaumlsterung gewesen

Im Uumlbrigen sehen wir uns durch das Gewicht des Neuen Testaments gezwungen jeder Inkarnations-Theologie als einem pauschalen Missverstaumlndnis der Absicht

1170 Jacob Neusner The Incarnation of God The Character of Divinity in Formative Judaism (Bing-

hamton Global Academic Publishing 2001 [1998]) p xiii (Die Inkarnation Gottes Der Charakter der Divinitaumlt im Formellen Judentum)

1171 Ebenso S 6 1172 Siehe James Kennedy ldquoHow I Know Jesus is Godrdquo Harold O J Brown Heresies p 13 1173 Soloveichick rdquoTorah and Incarnationrdquo

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Gottes in der Sendung Jesu Christi zu widersprechen Gottes groszliges Bestreben war es sich durch einen von ihm auserwaumlhlten Menschen zu offenbaren nicht als Mensch selbst [aufzutreten] Das Zeugnis der Apostel auch nach dem Dienst Jesu lautete bdquoNiemand hat Gott je gesehenrdquo (1 Joh 412) Tatsaumlchlich kann Gott selbst nicht gesehen werden ist er doch bdquounsichtbarrdquo (Kol 115) Es war offen-sichtlich notwendig dass Gott sich durch ein anderes Individuum das [physisch] gesehen werden konnte offenbarte So waumlhlte Gott zu diesem Zweck den Men-schen Jesus den er als bdquomeinen Knecht den ich erwaumlhlt haberdquo (Matt 1218) bezeich-nete Mit Nachdruck bezeugt Johannes bdquoNiemand hat Gott zu irgendeinem Zeitpunkt gesehen der eingeborene Sohn der im Schoszlig des Vaters ist hat esihn offenbartrdquo (Joh 118) Dies ist hier nuumltzlich zum Verstaumlndnis Die Mission Christi war nicht Gott zu sein sondern Gott der Welt zu zeigen Die Einzigartigkeit von Jesus liegt gerade in seinem beispiellosen Dienst himmlischen Ursprungs in der uumlbernatuumlrlichen Kraft seines Wirkens nicht in der Initiative des Menschen selbst Waumlhrend Jesus wirklich der einzigartig gezeugte Sohn Gottes war maszligte er sich nicht an irgend-eine Kraft aus sich selbst zu schoumlpfen sondern richtete die Menschen immer auf das goumlttliche Hoheitsrecht seines Vaters Die Taten Jesu und die Faumlhigkeit sie zu vollbringen kamen von jemandem auszligerhalb seiner selbst bdquoIch kann nichts von mir selbst tunrdquo (Joh 530 ELB) bdquoIch vermag nichts von mir selbst aus zu tunrdquo (Menge) Nicht einmal seine eigene Lehre hat er persoumlnlich entwickelt sondern erhielt sie aus anderer Quelle bdquoWenn jemand seinen Willen tun will so wird er von der Lehre wissen ob sie aus Gott ist oder ob ich aus mir selbst rederdquo (Joh 717) Einfach ausgedruumlckt war es ein anderer naumlmlich Jesu eigener Gott und Vater der jeden Moment seines Dienstes genehmigt hatte Diese exklusive und kraftvolle Partnerschaft mit Gott war der Schwerpunkt von Christus nicht dass er mit Gott identisch war Gott bewies durch alle moumlglichen Zeichen und Zeugnisse bdquomitrdquo Christus und bdquoinrdquo Christus zu sein und zu wirken Dies ist unbestreitbar die ausdruumlckliche Absicht des Neuen Testaments In dieser Hinsicht ist ein Zweifel unmoumlglich bdquoGott war in Christusrdquo (2 Kor 519) es heiszligt nicht bdquoGott war Christusrdquo In der Apostelge-schichte finden wir die von den Aposteln geleitete Kirche die diese Botschaft konsequent den Heiden predigte bdquoJesus von Nazareth wie Gott ihn mit Heiligem Geist und mit Kraft gesalbt hat der umherging und wohltat und alle heilte die von dem Teufel uumlber-waumlltigt waren denn Gott war mit ihmrdquo (Apg 1038) Die Kirche predigte auch den Juden die ihn zuvor verfolgt hatten die gleiche Botschaft uumlber die Partnerschaft Gottes mit dem Menschen Jesus bdquoJesus von Nazareth war ein Mensch Gott tat [Zei-chen] durch ihnrdquo (Apg 222) Nikodemus war davon uumlberzeugt bdquoRabbi wir wissen dass du ein Lehrer bist der von Gott gekommen ist Denn niemand kann diese Zeichen tun die du tust wenn Gott nicht bei ihm istrdquo (Joh 32) Es sei noch einmal wiederholt dass der Christus all diese Dinge nicht tat weil bdquoer Gott warrdquo sondern weil Gott bdquomit ihm warrdquo Eine andere maumlchtigere Einheit arbeitete mit Jesus zusammen um die Leistungen zu sanktionieren und zu erbringen Als sie Jesu Wunder sahen freuten

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sich die Leute nicht weil sie diese Wunder als Beweis dafuumlr verstanden dass Gott selbst in ihrer Mitte war sondern bdquoals aber die Volksmengen es sahen fuumlrchteten sie sich und verherrlichten Gott der solche Vollmacht dendem Menschen gegeben hatrdquo (Matt 98) Dieser menschliche Jesus das war offensichtlich war nicht allein hinter den Ku-lissen wirkte etwas ungeheuer Maumlchtiges In der Tat Christus bekraumlftigt bdquoIch bin nicht allein denn der Vater ist bei mirrdquo (Joh 1632) und bdquoIch rede nicht von mir selbst der Vater aber der in mir bleibt tut seine Werkerdquo (Joh 1410) Es ist dieses lebendige und kontinuierliche Zeugnis der Apostel von Jesus welches viele Juden zu Pfingsten und spaumlter auch Heiden zum Glauben brachte dass Jesus ein Mensch war durch den der groszlige und unsichtbare Gott wirkte (Apg 222) Keinesfalls war es die Idee dass ein Mensch auf irgendeine Weise Gott war Wie ein Historiker feststellt war die Vorstellung dass der Mann von Nazareth Gott selbst gewesen sei bdquofuumlr jeden orthodoxen juumldischen Glauben voumlllig fremdrdquo Stattdessen wurde Jesus von der fruumlhen juumldisch-christlichen Gemeinschaft angesehen als bdquoJesus von Nazareth unter euch von Gott ausgewiesen durch maumlchtige Taten und Wunder und Zeichen die Gott durch ihn in eurer Mitte getan hatldquo (wie bei den fruumlheren juumldischen Propheten) und welchen bdquoGott durch seinen Tod erhoumlht hatrdquo Petrus erklaumlrt das in Apg 222-241174

Waumlre ein bereits fruumlher existierender ewiger Gott wirklich Mensch geworden haumltten doch unzaumlhlige Moumlglichkeiten fuumlr die biblischen Autoren bestanden diese Angelegenheit zu erlaumlutern Aber wie Religionswissenschaftler berichten bdquodie Menschwerdung im vollen und eigentlichen Sinne ist nicht etwas das direkt in der Schrift dargestellt wirdrdquo1175 Besonders im Dienst der Apostel an den Heiden haumltte es eine Menge von Gelegenheiten gegeben die angebliche Inkarnation zu erklaumlren Demgegenuumlber hielten die Heiden die Idee einer goumlttlichen Menschwer-dung ohnehin fuumlr ein wichtiges religioumlses Konzept Das war auch waumlhrend der Zeit Christi so Wie wir in Teil I dieses Buches gesehen haben kursierte die Ge-schichte einer Gottheit die sich an der menschlichen Erfahrung beteiligt in den heidnischen Mythen vieler Weltreligionen lange bevor das Christentum auf den Plan trat1176 Der Gott-Mensch der spaumlteren Orthodoxie war also nichts Neues wie der Gruumlndervater der modernen Anthropologie Sir James George Frazer berichtet bdquoDer Begriff des Gott-Menschen gehoumlrt im Wesentlichen zu dieser fruumlheren Periode der Religionsgeschichterdquo und die Mitglieder dieser Gemein-schaften waren mit bdquoder Idee eines in Menschengestalt inkarnierten Gottesrdquo bes-tens vertraut1177 Das Christentum so scheint es hat das Konzept in der Welt der modernen Religion verewigt

1174 Freeman Closing of the Western Mind p 104 1175 M Wiles zitiert in Dunn Christology in the Making p 4 1176 Siehe Sir James George Frazer The Golden Bough A Study in Magic and Religion (New York The

Macmillan Company 1922) Part VII p 2 (Der goldene Zweig Eine Studie uumlber Magie und Religion) 1177 Ebenso

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Inkarnation die Annahme der menschlichen Gestalt durch einen Gott ist eine in der Religion uumlbliche Idee [vgl Theophanie] In-dien und Aumlgypten waren besonders reich an Formen der Inkarna-tion sowohl bei Menschen als auch bei Tieren Die Inkarnation fin-det sich in verschiedenen Phasen der griechischen Religion in de-nen der menschliche Koumlrper eines Gottes eine Verkleidung oder ein voruumlbergehendes Kommunikationsmittel war Unter den west-lichen Kulturen ist der am weitesten verbreitete Glaube an die In-karnation Jesu der von den Christen als Gott im Fleisch angesehen wird1178

Aber wie haumltte eine solche Transmigration und Verschiebung des religioumlsen Den-kens wirklich stattfinden koumlnnen Was hat die Einschleusung der Inkarnations-theorie aus dem Heidentum in ein grundsaumltzlich kritisches Christentum erleich-tert Selbst angesehene Gelehrte wie James Dunn schlieszligen eine solche Uumlbertra-gung nicht aus und geben offen zu dass bdquoes natuumlrlich immer die Moumlglichkeit gab den landlaumlufigen heidnischen Aberglauben durch eine allmaumlhliche Assimilation und Verbreitung der Vorstellungen zum populaumlren christlichen Aberglauben zu machenrdquo1179 Das historische griechische Konzept der Inkarnation ist fuumlr diesen Dialog wichtig da es ausgerechnet dieses Glaubenssystem ist das der Religion des juumldischen Jesus und den Aposteln des ersten Jahrhunderts in der Zeit nach Ostern diametral zuwiderlaumluft Wie Freeman bemerkt

In der griechisch-roumlmischen Welt konnte der Mensch - im Gegen-satz zur Welt des Judentums - die Grenze zwischen Mensch und Gott uumlberschreiten Waumlhrend Petrus und Paulus davon berichten dass Jesus erst nach seinem Tod von Gott bdquoverherrlichtrdquo wurde war es nun [nach dem Uumlbergangsprozess des Christentums in die Welt der Griechen] in diesem ganz anderen geistlichen Umfeld moumlglich anzunehmen dass er schon immer goumlttlich gewesen sein koumlnnte Das Zusammenspiel zwischen den [apostolischen] Erinne-rungen an Jesus und der geistlich fruchtbaren Kultur der griechi-schen Welt war immens kreativ und ihr Erbe uumlberlebt in Interpre-tationen von oder uumlber Jesus die bis heute Bestand haben1180

Die Begegnung zwischen diesen sehr unterschiedlichen religioumlsen Weltanschau-ungen bleibt fuumlr uns in der neutestamentlichen Aufzeichnung der fruumlhen Kirche erhalten Die Missionare Paulus und Barnabas heilten waumlhrend ihres Besuchs bei

1178 ldquoGod incarnaterdquo Collins Discovery Encyclopedia 1st Ed HarperCollins Publishers 2005 Web 23 De-

cember 2014 1179 Dunn Christology in the Making p 211 251 1180 Freeman Closing of the Western Mind p 128

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den Griechen einen Menschen und bdquoals die Volksmengen sahen was Paulus tat erho-ben sie ihre Stimme und sagten auf Lykaonisch Die Goumltter sind den Menschen gleich geworden und sind zu uns herabgekommenrdquo (Apg 1411) Das waumlre doch ein passender Moment fuumlr die Juumlnger Jesu gewesen den latenten Irrtum der Heiden zu korrigieren und sie zur wahren christlichen Inkarnation zu fuumlhren Die Trinitarier bestehen ja da-rauf dass die Apostel an Jesus als den fleischgewordenen Gott glaubten Sie haumlt-ten leicht sagen koumlnnen bdquoes gibt einen Gott den houmlchsten Gott der genau das getan hat er heiszligt Jesus Christus Gott und Menschrdquo Gemaumlszlig der Uumlberlieferung der Orthodoxie war diese Vorstellung angeblich Kern des Glaubens der fruumlhen Christen doch offensichtlich haben die Missionare diese Gelegenheit schlichtweg verpasst Die groszligen Persoumlnlichkeiten des Neuen Testaments haben sich auch offenbar jede andere Chance entgehen lassen bei der sie trinitarische Grundprin-zipien haumltten legen koumlnnen

Als aber die Apostel Barnabas und Paulus es houmlrten zerrissen sie ihre Kleider sprangen hinaus unter die Volksmenge und riefen und sprachen Maumlnner warum tut ihr dies Auch wir sind Menschen von gleichen Emp-findungen wie ihr und verkuumlndigen euch dass ihr euch von diesen nichtigen Goumltzen bekehren sollt zu dem lebendigen Gott der den Himmel und die Erde und das Meer gemacht hat und alles was in ihnen ist (Apostelge-schichte 1414-15)

Anstatt zu erklaumlren dass es einen Menschen gab dessen Natur sowohl mensch-lich als auch goumlttlich war der vom Himmel herabgestiegen war wie sie gemeint hatten beschworen die Apostel die Heiden sich von diesen sinnlosen Dingen abzu-wenden Sie wiesen unmittelbar auf den bdquolebendigen Gottrdquo ihrer Vaumlter hin1181 (5 Mose 526 Jos 310 Ps 422 Jer 1010 Dan 620) den einzigen Schoumlpfer aller Dinge Paulus bezeichnete diese Gottheit als bdquoEl Chairdquo einen der traditionellen Namen des Hebraumlischen Gottes Wie die Juumldische Enzyklopaumldie bemerkt bedeu-tet Jahwes Name bdquoEr lebtrdquo und er wird als bdquoder lebendigelebende Gottrdquo dargestellt wohl im Gegensatz zu den leblosen Goumlttern der Heidenrdquo1182 Dieser uralte und einzigartige Gott der Israeliten ist die feierliche Empfehlung des Paulus Er kuumlm-merte sich nicht um die Ideen der Griechen von der Menschwerdung und deren Goumltter Waumlhrend seines gesamten Dienstes wie ein Historiker feststellt bdquowar

1181 Siehe Jeremia 1010 bdquoAber JHWH Gott ist Wahrheit er ist der lebendige Gott und ein ewiger Koumlnig rdquo

vergleiche mit Jesus in Johannes 173 bdquoDu (Vater) [bist] der allein wahre Gottrdquo Ebenfalls in Matthaumlus 1616 Jesus bestaumltigt die Aussage von Petrus dass nicht Jesus der allein wahre Gott ist sondern bdquoDu bist der Christus der Sohn des lebendigen Gottesrdquo

1182 J F McLaughlin Judah David Eisenstein ldquoNames of Godrdquo The Jewish Encyclopedia 1906 Web 23 December 2014

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Paulus seinem juumldischen Erbe treu er stellte eine tief verwurzelte geistliche Tra-dition der griechisch-roumlmischen Welt in Frage in der es moumlglich war dass die Goumltter menschliche Gestalt annahmenrdquo1183

In Anbetracht all dieser Informationen scheint die Inkarnation [biblisch] wenig Ruumlckhalt zu haben Doch es gibt noch eine weitere Frage im Zusammenhang mit dem griechischen Stil der Praumlexistenz der sich im orthodoxen Trinitarismus aus-druumlckt Diese Angelegenheit sollte vor der Betrachtung der alternativen Sicht-weise analysiert werden

ProblemEwiggezeugtodergeborenvonMariaWaumlhrend schon die Vernunft uns daran hindern koumlnnte Vertrauen in die Inkar-nation eines buchstaumlblich praumlexistierenden Jesus zu gewinnen beweist die Bibel kontinuierlich dass sie der beharrlichste und tauglichste Gegner dieses Dogmas ist Eines der beruumlhmtesten und wichtigsten Merkmale der orthodoxen Tradition die wir gegenuumlber dem Neuen Testament untersuchen werden ist die Vorstel-lung dass Jesus als Gott ewig ist Das heiszligt dass der Sohn Gottes bdquokeinen An-fangrdquo hat

Wie wir in Teil I dieses Buches gesehen haben war der erste der proto-orthodo-xen Theologen der diese Idee eines bdquoanfangslosenrdquo Christus entwickelte der ale-xandrinische Philosoph Origenes (185-254 n Chr) Er stuumltzte bdquosich auf die heid-nische Philosophie um den christlichen Glauben in einer fuumlr Intellektuelle ak-zeptablen Weise zu erklaumlrenrdquo1184 Origenes Platonismus erforderte dass es nie eine Zeit gab in der Gott nicht schuf so stellte er Gott in ein bdquoewiges Jetztrdquo in dem der Sohn bdquostaumlndig gezeugtrdquo wurde All dies hatte einen tiefen Einfluss auf den spaumlter folgenden Alexander und auch auf Athanasius die beide einen Schritt weiter gingen und am Konzil von Nicaumla die einzigartige Ko-Eternitaumlt des Sohnes als wahr bekraumlftigten1185

Diesen Erfolg erreichten sie jedoch nicht ohne erhebliche ja sogar unuumlberwind-liche Schwierigkeiten Am problematischsten erwiesen sich die Berichte in den Evangelien uumlber Christus Es wird naumlmlich stets Jesus als bdquogezeugter Sohn Got-tesrdquo (Joh 316) beschrieben1186 Dieser Begriff bdquogezeugtrdquo findet sich im ganzen Neuen Testament bdquoAbraham zeugte Isaak Isaak aber zeugte Jakob Jakob aber zeugte Juda und seine Bruumlderrdquo (Matt 12) Die Wurzel hier ist griechisch bdquogennaordquo definiert

1183 Freeman Closing of the Western Mind p 120 1184 Edward Moore ldquoOrigen of Alexandria (185-254 CE)rdquo Internet Encyclopedia of Philosophy Web 30 De-

cember 2014 1185 Rowan Williams Arius Heresy and Tradition (London Darton Longman and Todd 1987) p 175 1186 Toom Classical Trinitarian Theology A Textbook pp 66-68

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als bdquozeugen hervorbringen gebaumlrenrdquo und es wird auch von den meisten Versio-nen der Bibel so uumlbersetzt Andere Uumlbersetzungen schreiben bdquowurde der Vater vonrdquo Wir verstehen auch diese Sprache ohne Problem bdquoZeugenrdquo bedeutet bdquoals Vater ein Kind zu zeugen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt fortzupflan-zenrdquo1187 Der Duden definiert bdquoerzeugenrdquo ua als bdquoetwas entstehen lassen bewirken hervor-bringen erschaffen produzierenrdquo1188 Wenn Worte etwas bedeuten wurde Jesus als er geboren wurde von einem Vater zur Existenz gebracht Biblisch gesprochen ist Gott die Ursache fuumlr die Zeugung fuumlr den Anfang eines neuen Menschen Wie ein Theologe bemerkt bdquoEs ist leicht zu verstehen warum dieses kleine Wort den-jenigen die glauben dass es Jesus schon immer gegeben hat so viel Aumlrger berei-ten koumlnnterdquo1189

Wenn Gott in dem Moment Jesus bdquozeugterdquo dh als er der Vater von Jesus wurde dann war es ein Ereignis in der Zeit nicht auszligerhalb der Zeit in der Ewigkeit Tatsaumlchlich koumlnnen ein Vater und sein Sohn nicht beide gleichzeitig auf dem Plan in Erscheinung treten Die vielen prophetischen Erklaumlrungen Gottes im Alten Testament betreffend den kommenden Messias bestaumltigen diesen Punkt bdquoDu bist mein Sohn heute habe ich dich gezeugtrdquo oder in einigen Uumlbersetzungen bdquoHeute bin ich dein Vater gewordenrdquo (Apostelgeschichte 1333 Hebraumler 15 55 Psalm 27) bdquoHeuterdquo ist natuumlrlich ein bestimmter Moment in der Zeit keine zeitlose neblige Ewigkeit Tatsaumlchlich foumlrdern die messianischen Prophezeiungen das Argument bdquoIch werde sein Vater sein und er wird mein Sohn seinrdquo (Hebr 15 2 Sam 714) Inte-ressanterweise finden wir in der Aumlra des Zweiten Tempels in welcher die Schrift-rollen des Toten Meeres entstanden sind ein Dokument das ebenfalls eine zu-kuumlnftige Zeit vorsieht bdquoWenn Gott den Messias zeugt rdquo (1QSa 11-12) Es war ihnen klar dass Gott fuumlr den Entscheid Vater des Messias zu werden ein zukuumlnftiges

1187 Siehe ebenfalls Liddell und Scottrsquos authoritatives Lexikon welches ebenfalls die Bedeutung von

bdquozeugtrdquo fuumlr bdquogennaordquo bestaumltigt (Henry Liddle Robert Scott Greek-English Lexicon (New York Harper amp Brothers Pub 1870) Bruce Metzger bestaumltigt ebenfalls diese Bedeutung (Bruce Metzger A Textual Com-mentary on the Greek New Testament (London United Bible Societies 1971) p 8)

1188 bdquoto beget ndash begat - begottenrdquo Merriam-Webster Dictionary Web 30 Dezember 2014 (Das englische to beget ist sprachgeschichtlich mit dem deutschen Wort bdquobegattenrdquo ndash zeugen verwandt)

1189 Sean Finnegan ldquoJesus Has A Beginningrdquo Christian Monotheism Web 30 Dec 2014 (Jesus hat einen Anfang) lthttpwwwchristianmonotheismcommediatextJesus_Has_A_Beginning_is-sue_62pdfgt

Finnegan fuumlgt auch diese aufschlussreiche Fuszlignote hinzu bdquoDeshalb haben wahrscheinlich die meisten modernen Uumlbersetzungen den Satz sbquoeingeborenenrsquo in sbquoeinzigenrsquo geaumlndert (siehe HFAZuuml-rcherGenferGNBEinhNeues Leben etc Johannes 316)rdquo Damit die Uumlbersetzer den Wortlaut der Bibel so drastisch aumlndern weil die Originalsprache eine traditionelle Doktrin zu bestreiten scheint sollten alle Parteien als verwerflich erachtet werden Es liegt nicht in der Verantwortung der Bibeluumlbersetzer das Dogma zu schuumltzen sondern genau und verantwortungsbewusst eine vorurteilsfreie Uumlbertragung der Botschaft Gottes zu gewaumlhrleisten Fuumlr weitere Informationen daruumlber wie theolo-gische Verzerrungen unsere modernen Bibeluumlbersetzungen beeinflusst haben siehe das wegweisende Buch von Dr Jason BeDuhn Truth in Translation Accuracy and Bias in English Translations of the New Testa-ment University Press of America 2003

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Datum vorausgesagt hatte nicht dass es buchstaumlblich schon vor aller Zeit gesche-hen waumlre Dies war die messianische Erwartung der juumldischen Welt einschlieszliglich der neutestamentlichen urchristlichen Gemeinschaft die diese Erwartung im Je-susereignis als erfuumlllt bezeichnete

All diese Daten stellten spaumlter eine hohe Huumlrde fuumlr die proto-trinitarischen The-ologen beim Konzil von Nicaumla dar Fuumlr sie musste Jesus Gott sein aber was sol-len wir mit all dieser Sprache von einer Zeugung machen Der Konflikt zwischen der bdquoZeugung Empfaumlngnis und Geburtrdquo Christi und seiner angeblichen bdquoEwig-keitrdquo konnte nicht einfach ignoriert werden Zweifellos hatten die Philosophen erkannt dass Jesus wenn er schlicht und einfach bdquogezeugtrdquo oder bdquoerzeugtrdquo wurde nicht bdquoewig Gottrdquo in dem Sinne sein konnte wie ihn die Athanasianer angedacht hatten Schlieszliglich ist Gott eben Gott weil er einzigartig ungeneriert ungeboren voumlllig autark ist und keine Initiation seines Seins keinen Anfang sei-ner Existenz erfordert1190 Wenn die Schrift erklaumlrt dass die Gottheit von bdquoEwig-keit zu Ewigkeitrdquo ist (Psalm 902) stimmen wir vielleicht uumlberein dass bdquoNicht-Gezeugt-Seinrdquo eine wesentliche Eigenschaft des Gottes der Bibel ist er lebt dank keiner anderen Quelle Wir finden jedoch dass Jesus beliebte die Abhaumlngigkeit seines eigenen Lebens von einem anderen zu verkuumlnden und zu erklaumlren bdquoIch lebe um des Vaters willenrdquo (Joh 657) und bdquoDenn wie der Vater Leben in sich selbst hat so hat er auch dem Sohn gegeben [oder zugestanden] Leben zu haben in sich selbstrdquo (Joh 526)1191 Sowohl in den biblischen Dokumenten als auch in der juumldischen Literatur der Aumlra des Zweiten Tempels ist eine unbestreitbare Eigenschaft des Messias dass er gezeugt empfangen und geboren wurde1192

Nochmals was hatte die nicaumlischen Theologen mit all dem zu tun Es gab nur eine Louml-sung Die biblische Beschreibung der Geburt Christi muss geaumlndert werden Was koumlnnten die Dogmatiker sonst tun um ihre Ansicht zu retten als die eigentliche Bedeutung des Wortes bdquogezeugtrdquo zu verschleiern So beschlossen sie eine der

1190 Dieses Konzept ist oft in dem Wort bdquoAseitaumltrdquo verkapselt das aus dem Lateinischen bdquoardquo fuumlr bdquovonldquo und

bdquoserdquo fuumlr bdquoselbstrdquo stammt Es beschreibt eine Eigenschaft die es einem Wesen erlaubt in sich selbst zu existieren oder als solches von und von sich selbst zu existieren (Siehe George Sauvage ldquoAseityrdquo Katholische Enzyklopaumldie 1907) Obwohl der Gebrauch des Wortes seinen Ursprung im Mittelalter hat (zB Thomas Aquinas gest 1274 n Chr) wurde das Konzept von Augustinus (gest 430 n Chr) weit verbreitet und laumlsst sich auch auf Platon (gest 347 v Chr) zuruumlckfuumlhren

1191 Der genaue Wortlaut hier deutet darauf hin dass bdquodas Lebenrdquo zuerst im Besitz des Vaters war - es wird keine andere Quelle fuumlr sein Leben erwaumlhnt Aber das bdquoLebenrdquo das im Sohn war kam erst als ein anderer es erlaubte in ihn einzutreten So hat der Sohn kein Leben bdquoa-serdquo oder von sich selbst Da der Sohn kein Leben hatte bevor es von einem anderen bdquogewaumlhrtrdquo wurde existierte er also nicht bis der Vater es sagte und war nicht ewig

1192 Auch das DSS-Dokument 1QSa sah einen Zeitpunkt vor bdquoan dem Gott den Messias gezeugt hatrdquo (211) der zweifellos die Sichtweise der AT-Psalmen widerspiegelt in denen der davidische Koumlnig sagt bdquoIch werde sicherlich von dem Dekret Jahwes erzaumlhlen Er sagte zu mir sbquoDu bist mein Sohn heute habe ich dich gezeugtrsquo rdquo(Psalm 27) Dieser Psalm wird von der NT-Gemeinschaft messianisch interpretiert und auf Jesus in Hebr 15 und Apg 234-36 angewendet

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schwerwiegendsten Veraumlnderungen die an die Unmoumlglichkeit grenzt in die Glau-bensgemeinschaft einzufuumlhren die Idee dass der Sohn bdquoin Ewigkeit gezeugtrdquo wurde

Dieses unglaubliche Dogma ist gleichsam tragisch und widerspruumlchlich Zu argu-mentieren dass der Sohn bdquoewig gezeugtrdquo wurde bedeutet wirklich dass er bdquoewig ins Leben gerufen wurderdquo oder dass er einen bdquoanfangslosen Anfangrdquo hatte Die-ses Denken versetzt unsere gesamte Christologie sofort in eine Welt des unver-staumlndlichen Durcheinanders Unter Hinweis auf die lexikalischen Definitionen von bdquogennaordquo werden wir angewiesen zu glauben dass Gott auf ewig der Vater Jesu wurde Doch man kann nicht ewig zu etwas werden Etwas zu werden erfor-dert dass es eine Zeit gab in der dies nicht der Fall war Dennoch war dies das bedauerliche Fazit der katholischen Kirche Das von Konstantin in Nicaumla autori-sierte Glaubensbekenntnis lautet denn auch wie folgt

- Wir glauben an einen einzigen Herrn

- Jesus Christus der einzige Sohn Gottes

- ewig vom Vater gezeugt

- Gott von Gott Licht von Licht

- wahrer Gott vom wahren Gott

- gezeugt nicht geschaffen

- von einem Wesen mit dem Vater1193

Die Aussagen bdquoewig vom Vater gezeugtrdquo sowie bdquogezeugt nicht geschaffenrdquo scheinen die eigentliche Bedeutung der Worte bewusst zu missbrauchen So of-fensichtlich ist die falsche Neudefinition der betreffenden Begriffe dass sie sogar in einer polemischen Klaumlrung die Formulierung verwendet wird Sie beabsichti-gen dass sich die Christen bewusst sind dass sie bdquogezeugtrdquo nicht im uumlblichen einfachen Sinne verwenden sondern in einem entfernten metaphysischen Sinne der sich irgendwie von bdquogemachtrdquo unterscheidet Aber ist eine solche Unterschei-dung logisch uumlberhaupt verstaumlndlich Erinnern wir uns an die Definition der NASB dass man als bdquoproduziertrdquo gezeugt wurde und sind wir wirklich bereit fuumlr eine Unterscheidung zwischen bdquoproduziertrdquo und bdquogeschaffenrdquo einzutreten Welches Recht haben die Trinitarier den biblischen Begriff bdquogezeugtrdquo zu verwen-den ihn aber bewusst nicht im biblischen Sinne also in dem Sinne wie bdquoAbraham Isaak gezeugt hatrdquo1194 Wie wir in Teil I beobachtet haben ist diese Idee tatsaumlchlich

1193 Das urspruumlngliche Nicaumlnische Bekenntnis 325 n Chr unsere Hinzufuumlgung 1194 Nicaumla bemaumlchtigte sich sowohl der bdquoZeugungsspracherdquo des Neuen Testaments als auch des Titels

bdquoSohn Gottesrdquo Obwohl bdquogezeugtrdquo sich in der juumldischen Welt einmal sowohl auf die Erschaffung eines Sohnes durch einen Vater (Matt 12) als auch auf die Adoption eines Sohnes (Psalm 27) bezogen hatte wurde nach Nicaumla bdquoJesus jetzt zum Geborenen und alles andere wurde gemacht - und jetzt bedeutete

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repraumlsentativ fuumlr die Angleichung des gnostischen Emanationismus an die Ortho-doxie eine Generation [Zeugung Entstehung] die sich von der Schoumlpfung [Kre-ation] oder Bildung [Formation] unterscheidet (die gemacht wird)1195

Zu guter Letzt muumlssen wir sagen dass jeder der fuumlr diesen bdquoanfangslosen An-fangrdquo [Christi] plaumldiert quadratische Dreiecke kalte Hitze und helle Dunkelheit vorschlaumlgt Dennoch sollte jemand diese sinnlose Definition des Ursprungs Christi ablehnen oder ihr gar widersprechen wuumlrde er oder sie sofort verflucht - Anathema Katholiken und Protestanten muumlssen diese inkongruenten Glaubens-bekenntnisse oumlffentlich akzeptieren oder mit einer schnellen Verurteilung rech-nen Diese Einschuumlchterung der vernuumlnftigen Rechtschaffenheit kam im vierten Jahrhundert in Mode als die Arianer die diesen Punkt nicht mit gutem Gewissen annehmen konnten mit aumlusserster Haumlrte behandelt wurden Die Arianer schrie-ben

Wir koumlnnen diesen Ausdruumlcken nicht zustimmen bdquoimmer Vater immer Sohnrdquo und bdquogleichzeitig Vater und Sohnrdquo oder dass bdquoder Sohn immer mit dem Vater ko-existiert hatrdquo Aber das denken und lehren wir dass der Sohn weder ungezeugt noch unerschaffen ist Doch wir werden verfolgt weil wir sagen dass der Sohn einen Anfang hat und dass Gott keinen Anfang hat1196

Moderne Christen befinden sich in der gleichen Zwickmuumlhle Von ihnen wird verlangt dass sie den gleichen abstrakten Theorien einer archaischen unergruumlnd-lichen Philosophie treu zustimmen Ein mutiger katholischer Gelehrter fragt bdquoErfordern Aussagen uumlber die Existenz Jesu Christi vor der Welt seiner ewigen goumlttlichen Sohnschaft von modernen Maumlnnern und Frauen nicht ein vollstaumlndi-ges Opfer der Intelligenz [lat sacrificium intellectus] eine Aufgabe ihres Verstandes fuumlr eine ihnen fremde Kirchenlehrerdquo1197 Unsere naumlchste Frage ist natuumlrlich ob dies wirklich vom Neuen Testament und von Christus selbst gefordert wird Oder sind es nur Kirchen die seinen Namen tragen die solches verlangen Im Nach-hinein moumlgen die Christen des vierten Jahrhunderts zwar gehofft haben den Glauben zu sbquointellektualisierenrsquo und aus der mystischen paradoxen Liturgie der Gnostiker zu extrahieren aber sie fielen dennoch Hals uumlber Kopf in die gleiche

sbquoerschaffenrsquo sbquonicht angenommenrsquo rdquo (Michael Peppard The Son of God in the Roman World Divine Sonship in Its Social and Political Context (Oxford OUP 2011) p 5) (Der Sohn Gottes in der Roumlmischen Welt Goumlttliche Sohnschaft in ihrem Sozialen und Politischen Umfeld)

1195 Siehe pp 121-122 A Grillmeier ldquoChrist in Christian Traditionrdquo p 109 ldquoEmanationrdquo IEP 1196 Epiphanius Haeresies 69 6 1197 Kuschel p 58

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dunkle Wolke der Unverstaumlndlichkeit indem sie sich an diese stumpfsinnige De-finition des Ursprungs Christi gebunden haben1198 Die modernen Apologeten welche die nicaumlnische Christologie um jeden Preis aufrechterhalten wollen sind diejenigen die sich mit diesen immer wiederkehrenden Fragen befassen muumlssen das Neue Testament selbst hat keine Probleme damit

Trotz der zermuumlrbenden Verwirrung die durch die Streitereien des vierten Jahr-hunderts bezuumlglich der Herkunft Jesu entstanden ist bietet das Neue Testament eine ausfuumlhrliche Aufklaumlrung in dieser Angelegenheit Im Gegensatz zum sbquoewig gezeugten goumlttlichen Charakterrsquo des Trinitarismus zeigt das Neue Testament dass Jesus einen echten Anfang hatte wie alle Menschen Aber dieser Anfang fand nicht vor der Erschaffung der Welt statt wie die Arianer annahmen Auch erklaumlr-ten die Arianer dass Christus chronologisch das erste aller Geschoumlpfe Gottes sei ein hohes geistiges Wesen das von Gott im Akt der Schoumlpfung eingesetzt werde Dieses arianische Verstaumlndnis wurde wie die trinitarische Sichtweise ebenso durch eine Fehlinterpretation der biblischen Sprache und des Denkens sowie durch den Einfluss von Platons Lehre von der woumlrtlichen Praumlexistenz der Seele erworben Im Neuen Testament hingegen wird der Anfang des Sohnes Gottes ausdruumlcklich auf der Erde dargestellt nicht in einer himmlischen Zeitlosigkeit noch vor der Erschaffung der Welt Vielmehr geschieht der Anfang des Sohnes Got-tes nach den Evangelien im Schoszlig der Maria1199

Matthaumlus beginnt seine Aufzeichnung des Lebens Jesu mit einem detaillierten Bericht uumlber Jesu Abstammung Hier fragt man sich sofort wie es moumlglich ist den eigenen Vorfahren vorauszugehen Damit der Messias bdquoein Nachkomme Davidsrdquo sein kann (Roumlmer 13) wie es in den offiziellen Buumlchern geschrieben steht und wie er oft von den Menschen um ihn herum genannt wurde (Markus 1047) muss er nach David kommen (2 Samuel 712) Wenn man einmal die metaphysischen Uumlberlegungen weglaumlsst stellt das Matthaumlusevangelium ein einfa-ches Modell fuumlr den wahren Ursprung Christi dar

Mit der Geburt Jesu Christi war es so Maria seine Mutter war mit Josef verlobt noch bevor sie zusammengekommen waren zeigte sich dass sie ein Kind erwartete - durch das Wirken des Heiligen Geistes (Matthaumlus 118)

1198 Siehe noch einmal Rudolphs Beobachtung dass die fruumlhchristlichen Vaumlter sich bemuumlhten bdquoverstaumlnd-

licherdquo und bdquonicht-gnostischerdquo Wege zu finden um einen geistlichen praumlexistenten und goumlttlichen Jesus zu bejahen der auch menschlich war Er schreibt bdquoStreng genommen ist es ihnen nicht gelungen Selbst die spaumlteren Kirchenraumlte die die christologischen Probleme in komplizierten und heute kaum noch verstaumlndlichen Definitionen diskutierten haben dies nicht geschafft die Einheit der Kirche ist gerade bei diesem [Problem] zerbrochenrdquo (Rudolph S 372)

1199 Zur Erklaumlrung Trinitarianismus bdquoder Sohn Gottes ewig gezeugt vor aller Zeit hatte keinen Anfangrdquo Arianismus bdquoder Sohn Gottes hatte einen Anfang er wurde vor der Welt erschaffenrdquo Biblischer Unitari-

anismus bdquoder Sohn Gottes hatte einen Anfang er wurde gezeugt im Schoszlig von Mariardquo

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Diesen Text wollen wir im Detail untersuchen

Tou de Iesou Christou he genesis houtos en mnesteutheises tes metros

- aber Jesus Christus - Geburt so war (Als) verlobt worden war seine Mutter

Das Wort das im obigen Text mit bdquoGeburtrdquo uumlbersetzt wird ist griechisch bdquoGe-nesisrdquo was bdquoUrsprungrdquo bedeutet1200 Jeder der auch nur ansatzweise mit der Bi-bel vertraut ist weiszlig dass das erste Buch [Mose] wegen seiner beruumlhmten Ein-fuumlhrung den Namen Genesis traumlgt bdquoAm Anfang rdquo (1 Mose 11) Einfach aus-gedruumlckt bdquoGenesisrdquo bedeutet bdquoAnfangrdquo Der Anfang von Jesus Christus der An-fang den er nach der Orthodoxie angeblich nicht hat wird hier von Matthaumlus erklaumlrt1201 Weitere Klarheit uumlber das Wort bdquoGenesisrdquo schafft sein Wurzelwort bdquoginomairdquo das von Strong in seiner Konkordanz als bdquoentstehenrdquo definiert wird Die New American Standard (Exhaustive) Konkordanz und Thayers Lexikon stimmen uumlberein dass das Wort im Wesentlichen bdquozu existieren beginnenrdquo bedeutet

Diese Information sollte fuumlr diejenigen die gelehrt wurden dass es nie eine Zeit gab in welcher der Sohn Gottes entstand Doch Matthaumlus beschreibt das Ereignis fuumlr jeden Leser in unmissverstaumlndlichen Worten bdquoSo geschah das Entstehen des Mes-sias Jesus Maria wurde durch den Heiligen Geist schwanger rdquo Es gibt hier keinen Hin-weis darauf dass Jesus bereits existiert haumltte dann aber in die Zeit[dimension] eintrat um eine menschliche Natur anzunehmen Vielmehr geschah der bdquoBeginnrdquo (die Entstehung die Schoumlpfung) Christi zu einem auf der Zeitachse genau fest-gelegten Punkt Waumlhrend der Verlobung Marias aber noch bevor sie Beziehungen hatte Die englische Standardversion (ESV) zeigt dies sehr gut

1200 Die fruumlhesten griechischen Manuskripte haben in Matthaumlus 118 eine bdquoGenesisrdquo (Geburt oder Her-

kunft) Einige spaumltere Manuskripte haben ein aumlhnliches Wort bdquoGennesisrdquo (Geburt) das einen Versuch spaumlterer Kopisten belegen koumlnnte die mit der Vorstellung unzufrieden sind dass der bdquoUrsprungrdquo Jesu darin bestand dass Maria durch die Kraft Gottes schwanger wurde Dennoch haben Kritiker bestaumltigt dass die bdquogenesisrdquo die originellste Lesart ist Metzger bestaumltigt dass bdquogenesisrdquo auch bdquoSchoumlpfungrdquo bedeu-tet (Bruce Metzger A Textual Commentary on the Greek New Testament (London United Bible Societies 1971) S 8)

1201 Matthaumlus hat in der Tat bereits dieses Wort verwendet um sein Evangelium vorzustellen bdquoDas ist das Buch des Ursprungs (Genesis) von Jesus dem Messias dem Sohn Davids des Sohnes Abrahams rdquo (Mat-thaumlus 11) Er erklaumlrt hier den genauen Ursprungdie Herkunft Christi ein notwendiges Verstaumlndnis fuumlr seine Leser wenn sie Jesus als den Erben der Rechte Davids als seinen direkten Nachkommen betrachten wollen

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Nun geschah auf diese Weise die Geburt [Anfang Entstehung] von Jesus Christus Als seine Mutter Maria mit Josef verlobt war bevor sie zusam-menkamen wurde festgestellt dass sie vom Heiligen Geist ein Kind bekom-men hatte (Matthaumlus 118 ELB)

Im Gegensatz zu den metaphysischen und widerspruumlchlichen Spekulationen der Orthodoxie vermitteln die Evangelien dass Jesus seinen bdquoEntstehungszeitpunktrdquo waumlhrend der Verlobung Mariens erlebt hat als Gott sie schwanger machte Die Trinitarier (und auch die Arianer) behaupten dass Christus ndash oumlrtlich gesprochen - im ewigen Himmel geboren wurde Aber es gibt absolut keinen Hinweis darauf dass ein [praumlexistenter] Sohn tatsaumlchlich von auszligen in den Schoszlig von Maria ein-getreten waumlre Im Gegenteil die Evangelien sagen uns nicht nur wann Christus entstanden ist sondern auch wo

Als er [Josef] noch so dachte siehe da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach Josef du Sohn Davids fuumlrchte dich nicht Maria deine Frau zu dir zu nehmen denn was sie empfangen hat das ist von dem Heiligen Geist (Matthaumlus 120)

en aute gennethen ek Pneumatos estin Hagiou

in ihr Gezeugte vom Geist ist Heilig

Das Wort bdquogennethenrdquo ist hier eine Ableitung von bdquogennaordquo was so viel bedeutet wie bdquozeugen hervorbringen verursachen entstehen lassenrdquo Es ist wichtig zu be-achten dass von den 96 Mal in denen das griechische Wort bdquogennaordquo im Neuen Testament erscheint dies der einzige Fall ist in dem es von einigen trinitarischen Uumlbersetzern bewusst mit bdquoempfangenrdquo uumlbersetzt wird1202 Dies ist ein Hinweis darauf dass bdquoempfangenrdquo nicht die geeignetste Uumlbersetzung ist Es waumlre sach-dienlicher wenn sie sich an die woumlrtliche Bedeutung hielten bdquogezeugtrdquo Zu beach-ten sind auch die Worte bdquoin ihrrdquo die mit diesem Begriff verbunden sind Nach Matthaumlus wurde Jesus buchstaumlblich von Gott gezeugt oumlrtlich geografisch gese-hen in Marias Leib nicht im Himmel

Ein umstrittener Teil des Psalms 110 dem wichtigsten messianischen Text des Alten Testaments ist hier erwaumlhnenswert In den am weitesten verbreiteten heb-raumlischen Manuskripten enthaumllt Vers 3 das Wort bdquoyalduthekardquo (bdquodeine Jugendrdquo) und wird oft uumlbersetzt als bdquoaus dem Schoszlig der Morgenroumlte tritt der Tau deiner Jung-mannschaft hervorrdquo (Schlachter) Viele Kommentatoren glauben jedoch dass

1202 Die meisten trinitarischen Uumlbersetzungen (besonders auf Englisch) verdecken hier das bdquoGeborenerdquo

siehe NASB ESV KJV HCSB Am Rande der groszligen Revidierten Version von 1881 finden wir jedoch eine Notiz die zeigt dass der Grieche woumlrtlich bdquogezeugtrdquo sagt Andere Versionen wie DBY und YLT lesen ebenfalls zutreffend bdquoin ihr gezeugtrdquo in Matthaumlus 120

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das urspruumlngliche Hebraumlisch beabsichtigt haben koumlnnte dass der Koumlnig selbst nicht die Jugend des Koumlnigs aus dem Mutterleib hervorgebracht werden soll In vielen der masoretischen Manuskripten steht tatsaumlchlich bdquoyelidtikardquo (bdquoIch habe dich gezeugtrdquo) und indem der Vokal den wir lesen neu angeordnet wird ergibt sich folgendes bdquoIn heiliger Pracht aus dem Mutterleib aus der Morgendaumlmmerung hast du den Tau mit dem ich dich geboren haberdquo1203 Dies entspricht der Septuaginta-Version bdquoIch habe dich vor dem Morgen aus der Gebaumlrmutter gezeugtrdquo (Brentons LXX 1093) Dies ist die bevorzugte Lesart vieler Experten1204 So soll in der juumldischen Welt zu der Zeit des Neuen Testaments der Davidische Messias nicht nur von Gott gezeugt werden wie es auch in DSS 1QSa zum Ausdruck kam sondern er wird spezifisch bdquoaus dem Mutterleibrdquo gezeugt wie es in der LXX heiszligt

Weitere Beweise dafuumlr dass kein prauml-existenter Jesus aus der Ewigkeit hernieder kam finden sich in der Geburtserzaumlhlung des Lukasevangeliums

Der Engel antwortete und sprach zu ihr bdquoDer Heilige Geist wird uumlber dich kommen und Kraft des Houmlchsten wird dich uumlberschatten darum wird auch das Heilige das geboren werden wird Sohn Gottes genannt werdenrdquo (Lukas 135)

dio kai to gennomenon hagion

darum das [eine] geboren werden Heilige

Wiederum bdquogennomenonrdquo ist eine Ableitung von bdquogennaordquo bedeutet auch hier bdquozeu-gen hervorbringen aufkommen lassenrdquo Lukas nennt Jesus buchstaumlblich bdquoden Geborenenrdquo Natuumlrlich beinhaltet dieser Ausdruck einen zeitlichen Faktor Die Zeugung des Sohnes fand innerhalb der [Dimension] Zeit statt nicht ausserhalb

Wir muumlssen uns einen Moment Zeit nehmen um sorgfaumlltig einen weiteren As-pekt von Lukas 135 zu betrachten in diesem Text finden wir eines der Schluumls-selzeugnisse gegen die trinitarische Vorstellung von einem Jesus der von Ewig-keit her der Sohn Gottes gewesen sei Der Engel Gabriel erklaumlrte bdquoHeiliger Geist wird uumlber dich kommen und Kraft des Houmlchsten wird dich uumlberschatten Darum wird auch das Heilige das gezeugt wird Sohn Gottes genannt werdenrdquo (Lukas 135) Wir sehen dass Christus nicht bdquoder Sohn Gottesrdquo ist weil er ewig als Gott der Sohn existierte noch weil er bdquoewig Zeugnis ablegterdquo Nein er ist nicht der ewige Sohn Gottes er wird erst zu einem bestimmten Moment auf der Zeitachse der Sohn Gottes die-ser Augenblick ist seine Empfaumlngnis in Maria durch ein Wunder

1203 Siehe Collins King and Messiah as Son of God pp 16-17 (Koumlnig und Messias als Sohn Gottes) Siehe

auch Aubrey R Johnson Sacral Kingship in Ancient Israel (Cardiff University of Wales Press 1955) p 95 (Heilige Koumlnigswuumlrde im Alten Israel)

1204 Siehe Collins King and Messiah as Son of God p 17 (Koumlnig und Messias als Sohn Gottes)

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Noch weitere Hilfe zum Verstaumlndnis leistet uns Lukas dadurch dass er in seinem Evangelium eine andere Person erwaumlhnt die er bdquoSohn Gottesrdquo nennt Adam der erste Mensch Im dritten Kapitel des Lukas gipfelt eine Genealogie die durch die Vorfahren Christi chronologisch nach hinten klettert in bdquoSeth dem Sohn Adams dem Sohn Gottesrdquo (Lukas 338) Offensichtlich ist der Grund warum Adam als Gottes Sohn bezeichnet wird dass er durch keine menschliche Handlung hervor-gebracht wurde Mit anderen Worten Gott war Adams Vater Deshalb wird Jesus von Paulus in 1 Korinther 1545 auch bdquoder zweite Adamrdquo genannt Nach Adam war Jesus der zweite Mensch der von Gott direkt gezeugt oder bdquoins Leben geru-fenrdquo wurde So erklaumlrte der Engel Gabriel dass Jesus gerade wegen der Art und Weise wie die Existenz Jesu in Maria ohne menschlichen Vater zustande kam bdquoder Sohn Gottesrdquo genannt wird James Dunn stimmt dem hier zu bdquoIn Matthaumlus und Lukas ist die goumlttliche Sohnschaft Jesu spezifisch auf seine Geburt bezie-hungsweise seine Empfaumlngnis zuruumlckzufuumlhren er war Gottes Sohn weil seine Empfaumlngnis ein Akt der schoumlpferischen Kraft durch den Heiligen Geist warrdquo1205

Wie bereits erwaumlhnt war die neutestamentliche Gemeinschaft nicht die einzige juumldische Koumlrperschaft die den Glauben besaszlig dass Gott den davidischen Mes-sias zeugen wuumlrde Die goumlttliche Sohnschaft des Koumlnigs von Israel die in Psalm 2 und 2 Samuel 7 vorgesehen ist findet sich in den Schriftrollen vom Toten Meer DSS 4QFlor wieder die den Messias sowohl als bdquoSohn Davidsrdquo als auch als bdquoSohn Gottesrdquo darstellen In einem anderen Dokument bekannt als 4Q246 lesen wir auch

bdquoSohn Gottes wird er gerufen werden und sie werden ihn sbquoSohn des Houmlchs-tenrsquo nennen Das (oder sein) Koumlnigreich ist ein ewiges Koumlnigreich Der groszlige Gott wird seine Staumlrke seinrdquo1206

Die Widerspiegelung dieser juumldischen Erwartung ist im Lukasevangelium offen-sichtlich wie der Engel von Jesus sagt

bdquoDieser wird groszlig sein und Sohn des Houmlchsten genannt werden und der Herr Gott wird ihm den Thron seines Vaters David geben und er wird uumlber das Haus Jakobs herrschen in Ewigkeit und seines Koumlnigtums wird kein Ende seinrdquo (Lukas 132)

Aus diesem Grund folgt dass Gottes Vaterschaft des Messias des Nachfolgers Davids kein ausgesprochen bdquochristlichesrdquo Konzept ist Es handelt sich nicht um

1205 Dunn Christology in the Making p 61 1206 4Q246 Uumlbersetzung zitiert in Collins Koumlnig und Messias als Sohn Gottes S 67 Einige Gelehrte

haben spekuliert dass es sich hierbei tatsaumlchlich um einen Verweis auf eine boumlse Gestalt wie einen seleukidischen oder syrischen Koumlnig handelt aber es scheint wenig Beweise dafuumlr zu geben Unabhaumlngig davon zeigt die seltsame Parallele zum Text von Lukas 132-33 dass die NT-Gemeinschaft diese Figur nicht nur als positiv sondern auch als messianisch empfand

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eine von Natur aus trinitarische Idee bdquoSohn Gottesrdquo bedeutet nicht bdquoGott der Sohnrdquo Wie ein katholischer Professor in Yale verraumlt bdquoSowohl Matthaumlus (120) als auch Lukas (135) stellen Jesus als von Gott gezeugt dar in dem Sinne dass er von der Kraft Gottes empfangen wurde und keinen menschlichen Vater hatte In keinem der beiden Faumllle ist diese Idee jedoch mit den Begriffen Praumlexistenz und Inkarnation kombiniertrdquo1207 Mehr zur Identifikation Jesu als bdquoSohn Gottesrdquo im Kontext des Judentums des ersten Jahrhunderts wird in den kommenden Ka-piteln behandelt aber vorerst koumlnnen wir daraus schlieszligen dass die These der sbquoewigen Sohnschaft Jesusbquo nicht auf den Geburtserzaumlhlungen des Evangeliums be-ruht

Der renommierte methodistische Gelehrte Adam Clarke schreibt nach der Durchsicht von Lukas Bericht bdquoHier vertraue ich darauf dass ich bei allem Res-pekt fuumlr diejenigen die mit mir nicht einverstanden sind sagen darf dass die Lehre von der ewigen Sohnschaft Christi meiner Meinung nach antibiblisch und houmlchst gefaumlhrlich istrdquo1208 Clarke bemerkte dass die Bibel zumindest diesen Teil der konventionellen Christologie eindeutig unbrauchbar gemacht hat

Der Sohn impliziert einen Vater und der Vater impliziert in Bezug auf den Sohn den Vorrang in der Zeit wenn nicht sogar auch in der Natur Vater und Sohn implizieren die Idee der Generation [Entstehung Abstammung] und die Generation impliziert einen Zeitpunkt zu dem sie bewirkt wurde und auch die Zeit[-dauer] die einer solchen Generation vorausgeht Zu sagen dass er [der Sohn] von Ewigkeit zu Ewigkeit gezeugtgeboren wurde ist mei-ner Meinung nach absurd und der Ausdruck sbquoEwiger Sohnrsquo ist ein positiver Selbstwiderspruch1209

Wenn wir die Summe der Beweise betrachten werden wir mit dem deutschen Theologen Wolfhart Pannenberg uumlbereinstimmen dass bdquodie jungfraumluliche Ge-burt Jesu in einem unvereinbaren Widerspruch zur Christologie der Inkarnation eines prauml-existierenden Sohnes Gottes stehtrdquo1210 Zu Recht hat der schottische Reformator John Knox (1513 ndash 1572 n Chr) Mitbegruumlnder der Presbyteriani-schen Kirchen zugegeben bdquoWir koumlnnen das Mensch-Sein [Christi] ohne die Prauml-

1207 Collins King and Messiah as Son of God p 209 1208 Adam Clarke ldquoCommentary on Luke 135rdquo The Adam Clarke Commentary Web 07 December 2015 1209 Ebenso 1210 Wolfhart Pannenberg Jesus God and Man (Westminster John Knox 1977) p 120 142 143 (Jesus Gott

und Mensch)

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Existenz haben und wir koumlnnen die Prauml-Existenz ohne das Mensch-Sein haben Es gibt jedoch absolut keine Moumlglichkeit beides zu habenrdquo1211

Obwohl wir jetzt befuumlrchten muumlssen den Punkt uumlbermaumlszligig zu bearbeiten mei-nen wir dass es sich der ernsthafte Student nicht leisten kann sich weiterhin ir-refuumlhren zu lassen Die Idee dass Jesus irgendwie der Sohn Gottes war bevor er in Maria gezeugt wurde ist definitiv nicht die Auffassung der Bibel Ein letzter aufschlussreicher Kommentar von Anthony Buzzard wird dieses Kapitel ab-schlieszligen Er schreibt

Ich glaube nicht dass viele Kirchengaumlnger je uumlber diese erstaunli-chen Berichte dh den Beginn und die Entstehung des Sohnes Gottes ernsthaft nachgedacht haben Wie viele sehen das Wunder das Gott vollbrachte als er beschloss seine Aktivitaumlt der Erschaf-fung Adams zu wiederholen - ein zweites Mal also einen eigenen Sohn zu zeugen diesmal nicht aus dem Staub sondern innerhalb der biologischen Menschenkette und in der Familie des [Koumlnigs] David Viele haben sich nicht hingesetzt um daruumlber nachzuden-ken welcher verwirrende Widerspruch der Schrift zwangslaumlufig entsteht wenn die bdquospaumltererdquo Theologie mit einem ungeschaffenen Sohn Gottes ohne Anfang den historisch geschaffenen Sohn Got-tes ersetzt Es scheint dass sich dieser bdquospaumltererdquo Jesus radikal von demjenigen unterschied den Gabriel ankuumlndigte und den Maria als ihren Sohn und als den Sohn Gottes erkannte Die spaumltere Darstel-lung von Jesus war ein Sohn Gottes von der Ewigkeit der bewusst in alttestamentlicher Zeit taumltig war und dann eines Tages beschloss sich auf einen Foumltus zu reduzieren und durch Maria1212 in die Welt zu gehen anstatt durch goumlttliche Schoumlpfung von und zu Maria zu kommen1213

Wenn der Ursprung Christi wirklich in Maria war was ist dann das wahrhaftige biblische Modell der Prauml-Existenz Wie sollen wir die verschiedenen Aussagen Jesu im Johannesevangelium verstehen die auf eine Existenz des Messias vor der

1211 John Knox The Humanity and Divinity of Christ (Cambridge CUP 1967) p 106 (Die Humanitaumlt

und die Divinitaumlt Christi) 1212 Wie wir im ersten Teil dieses Buches bemerkt haben bezeugten die valentinianischen Gnostiker bdquoDie-

ser Christus ist durch Maria gegangen so wie Wasser durch einen Schlauch flieszligtrdquo (Irenaeus Against Heresies 1 7 2)

1213 Anthony F Buzzard ldquoImagine Meeting a Man Whose Father is Godrdquo Focus on the Kingdom Vol 5 No 10 (McDonough Restoration Fellowship 2003) (Man stele sich vor einen Mann zu treffen dessen Vater Gott ist)

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Gruumlndung der Welt hinzudeuten scheinen Die Antworten finden wir im naumlchsten Kapitel

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11

BiblischePrauml-ExistenzunddieChristologieJesu

bdquoEhe ich dich im Mutterleib bildete habe ich dich erkannt und ehe du aus dem Mut-terschoszlig hervorkamst habe ich dich gehei-ligt zum Propheten fuumlr die Nationen habe ich dich eingesetzt hellip zu allen zu denen ich dich sende sollst du gehen und alles was ich dir gebiete sollst du redenrdquo

ndash Jeremija 157

bdquo[Ich bin] vom Vater geheiligt und von Gott in die Welt gesandt hellip von Gott ge-sandt rede ich Gottes Worte helliprdquo

ndash Johannes 1036 334

AS KONZIL VON NICAumlA LEGTE PRAKTISCH EINEN STAAT-LICH beglaubigten Christus fest Die nicaumlnische Christologie stellte fuumlr die Person sowie die Religion des Mannes von Nazareth jedoch eine Be-

drohung dar Jesu Weltanschauung seine Philosophie und sein persoumlnliches Got-teskonzept wurden summarisch vereinnahmt und im Dogma der Kirche faktisch aufgeloumlst Von der Differenzierung zwischen Gott und den Menschen und von Jesu Subordination unter Gott beides Charakteristika des urspruumlnglichen Glau-bens lieszligen diese Philosophen nicht mehr viel uumlbrig Die historische Sprache des

D

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Judentums wurde ebenfalls progressiv durch die philosophischen Modelle der hellenisierenden Gelehrten unterjocht Der juumldische Messias wurde verwischt und in die Form eines praumlexistenten Gottes im Himmel gepresst Festzustellen ist jedoch noch immer in den aumlltesten Bereichen des traditionellen hebraumlischen Denkens eine Prauml-Existenz des Messias Allerdings unterschied sie sich radikal vom Modell des spaumlter folgenden Christentums von dem man die Christenheit uumlberzeugen wollte

Die Hebraumler wurden auf biblische Andeutungen auf die Existenz eines Messias im Himmel und auf die goumlttlichen Absichten des Allmaumlchtigen sowie seinen Plan in der Geschichte verwiesen kaum beabsichtigt duumlrften das populaumlre Portraumlt ei-nes ontologisch goumlttlichen Wesens geschweige denn die Einfuumlhrung einer zwei-ten Person in der Gottheit gewesen sein Innerhalb des rasch zusammenwach-senden Christentums des Roumlmischen Reiches nahmen die Konzepte und die Phraseologien des klassischen Judentums durch die dominierende Philosophie mit der Zeit neue und gehobene Interpretationen an Es steht aber auch fest dass sich das spaumltere Christentum bewusst von der bdquoalten Religionrdquo distanziert hat1214 Ebenso klar ist dass der Messias des Judentums in den ersten Jahrhunderten der heidnischen Kontrolle eine rapide und verwirrende Transformation durchlief Martin Werner Professor fuumlr Theologie an der Universitaumlt Bern legte den Finger auf die Bewegung

Die Ursache des trinitarisch-christlichen Problems welches das post-apostolische Christentum so verbluumlffte lag im Uumlbergang vom apokalyptischen Messias-Sohn-Mensch-Konzept des urchristli-chen eschatologischen Glaubens mit seinem Gefuumlhl der Imminenz [des unmittelbaren Bevorstehens] zum neuen Dogma von der Goumlttlichkeit Jesu 1215

Das platonische Modell der Prauml-Existenz und Seelenwanderung (Transmigra-tion) das bereits von den heidnischen Bekehrten des ersten Jahrhunderts akzep-tiert worden war wurde hier geschickt angepasst wie Werner erklaumlrt Ein drama-tischer und uneingeschraumlnkter Kurswechsel als Ersatz fuumlr

das urspruumlngliche Konzept des Messias fand statt Eine hellenisti-sche Analogie eines erloumlsenden goumlttlichen Wesens Die Analogie

1214 Rubenstein p74 1215 Werner p 298

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war voumlllig unguumlltig Sie war ein Mythos hinter welcher der histori-sche Jesus voumlllig verschwand da es zwischen ihnen nichts Gemein-sames gab1216

Waumlhrend in den meisten Kirchen die theologischen Meinungen des historischen Jesus tragischerweise weitgehend in Vergessenheit geraten sind erkennt ein Wis-senschaftler dennoch an dass heute bdquodie Frage nach dem Jesus der Geschichte wieder zunehmend an theologischer Bedeutung gewinntrdquo1217 Unseren gegenwaumlr-tigen christologischen Streitigkeiten wird sehr gedient sein wenn Fragen der Ge-schichte gestellt werden Haumltte Christus tatsaumlchlich behauptet praumlexistent gewe-sen zu sein koumlnnten wir nicht hoffen seinen Anspruch zu verstehen ohne die gegensaumltzlichen Modelle des Praumlexistenzthemas zu kennen die in seiner eigenen Zeit kursierten

Judaismusversusmystisch-hellenistischenJudaismusWie in Teil I des vorliegenden Buches erwaumlhnt hatte es im heiligen Land bereits im ersten Jahrhundert n Chr als Ganzes eine kulturelle Hellenisierung erfah-ren1218 Aber es ist offensichtlich dass diese langwierige Verschiebung den religi-oumlsen Geist der meisten Juden in dieser Zeit nicht vollstaumlndig verschlungen hatte eine Mehrheit welche die juumldischen Apostel des Neuen Testaments hervorge-bracht hat Paulus ein Mann der sich selbst zum pharisaumlischen Judentum be-kannte und der unter dem fuumlhrenden Pharisaumler Gamaliel (ca 9 - 50 n Chr) stu-diert hatte konnte griechische Dichter zitieren ordnete sein Evangelium in grie-chische Kategorien ein differenzierte die bdquoPhilosophierdquo der Welt und lehnte sie ab (1 Kor 118-31 Kol 28 Apg 1718) Wir wissen dass die Pharisaumler zu denen Gedankenwelt Paulus gehoumlrte die groumlszligten und am weitesten respektierten der drei groszligen juumldischen Gruppen waren1219 Ihre bitteren Rivalen die Sadduzaumler

1216 Ebenso 1217 Ernst Kasemann ldquoThe Problem of the Historical Jesusrdquo Essays on New Testament Themes (London

1964) pp 15-4717 (Das Problem des historischen Jesus Aufsaumltze zu Neutestamentlichen Themen) 1218 Fuumlr eine detaillierte Untersuchung der Hellenisierung Judaumlas siehe Martin Hengels feingegliederte An-

alyse Judaism and Hellenism Studies in their Encounter in Palestine During the Early Hellenisic Period (Eugene Wipf amp Stock 2003[1974]) (Judaismus und Hellenismus Studien zu deren Begegnung in Palaumlstina in der fruumlhhellen-istischen Periode) Viele Wissenschaftler sind zu dem Schluss gekommen dass die juumldische Gesellschaft sowohl vom hellenistischen Reich als auch von seinem hellenisierenden roumlmischen Nachfolger bdquobis zu einem gewissen Gradrdquo beeinflusst wurde (Anthony J Saldarini Pharisees Scribes and Sadducees in Palestinian Society (Grand Rapids Eerdmans 2001[1988]) p 302) und dass bdquobis zum ersten Jahrhundert der Hel-lenismus selbst hebraumlisch und das Judentum selbst hellenisiert worden warrdquo (W D Davies Christian Engagements with Judaism (Harrisburg Trinity Press International 1999) S 10) Dennoch blieb eine Un-terscheidung zwischen den Juden insbesondere in Bezug auf den religioumlsen Synkretismus beobachtbar

1219 bdquoPharisaumler waren im allgemeinen Bauern und Handwerker die aus der Mittel- und Unterschicht kamen so neigten sie dazu weniger hellenisiert zu sein Im Gegensatz dazu waren Sadduzaumler im Allgemeinen buumlrgerliche hellenisierte Jerusalemer Sie lehnten die muumlndliche Tradition der Pharisaumler ab Stattdessen

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waren eine elitaumlre offen hellenisierte Minderheit welche den Tempel in Jerusalem kontrollierte Es war die Oumlffnung der Sadduzaumler fuumlr die Hellenisierung ihre Zu-sammenarbeit mit den Roumlmern und ihr Hochmut gegenuumlber dem einfachen Ju-den die dazu fuumlhrte dass sie von der Bevoumllkerung stark abgelehnt wurden Die dritte grosse Gruppe jener Epoche die Essener hielt den Tempel und diejenigen die ihn kontrollierten fuumlr so hoffnungslos korrupt dass sie sich in die Wuumlsten-Moumlnchsgemeinschaften zuruumlckzogen um auf Gottes endguumlltiges Urteil uumlber die Abtruumlnnigen zu warten Genug um zu sagen es gab Juden die sich im Mainstream des Judentums im heiligen Land dadurch auszeichneten dass sie mit der Auszligenwelt in einem irreparablen Ausmaszlig Kompromisse eingingen1220 Die-ser kontinuierliche Kampf um den kulturellen und religioumlsen Synkretismus praumlgte auch die erste christliche Gemeinschaft und dieser Riss ist im Neuen Testament noch immer leicht erkennbar1221 Petrus und Jakobus waren sicherlich nicht Teil einer synkretistischen Splittergruppe sondern eher Traditionalisten welche die alten Propheten dem heidnischen Elitedenken vorzogen und ihren juumldischen Hintergrund trotz der eindringenden hellenistischen Philosophie und des griechi-schen Lebensstils beibehielten Paulus der zwar in die hellenisierte Welt hinein-geboren wurde wich ebenfalls nicht bdquovom wahren juumldischen Glauben abrdquo und

interpretierten sie die Thora auf ihre eigene Weiserdquo (Howard N Lupovitch Jews and Judaism in World History (London Routledge 2010) p 32)

1220 bdquoIm Laufe ihrer ganzen Geschichte hatten sich die Juden der Diaspora freundlicher gegenuumlber neuen Ideen gezeigt Die Juden Palaumlstinas hingegen waren in der Regel selbstzufrieden und neigten dazu auf andere Mitglieder ihrer Rasse herabzuschauen die sie durch den Kontakt mit den Heiden und durch ihren langen Aufenthalt im Ausland als verseucht ansahen Sie betrachteten auch ihre tolerantere Hal-tung gegenuumlber der griechischen Kultur und dem griechischen Leben und den Braumluchen der Auszligenwelt als fragwuumlrdig Es war wahrscheinlich diese vererbte und inbruumlnstige Haltung die die palaumlstinischen juumldischen Christen dazu veranlasste die beduumlrftigen Mitglieder der hellenistischen Gruppe zu ver-nachlaumlssigenrdquo (Charles Foster Kent The Work and Teachings of the Apostles (New York Scribnerrsquos 1916) pp 50-51)(Das Werk und die Lehren der Apostel) In der Apostelgeschichte stellen wir fest dass die hellen-istischen Juden von den palaumlstinischen Juden in Bezug auf die Belieferung mit Nahrungsmitteln tatsaumlchlich vernachlaumlssigt wurden und sieben Aumllteste wurden ernannt um sicherzustellen dass das Es-sen richtig verteilt wurde bdquoDie griechischen Namen der Sieben sowie die Erzaumlhlung deuten darauf hin dass sie wahrscheinlich alle hellenistische Juden von Geburt an waren sie scheinen ein Komitee zu sein das ernannt wurde um die hellenistische Gruppe in der christlichen Gemeinschaft in gleicher Weise zu vertreten wie die Apostel die die palaumlstinische Gruppe vertraten Ihre Ernennung ist ein uumlberzeugender Beweis dafuumlr dass die Kluft zwischen den palaumlstinischen und den hellenistischen Juden auch innerhalb der christlichen Gemeinschaft praktisch unvermeidlich war und dass sie lange bevor Paulus in seine Kampagne zur Befreiung der Christen heidnischer Herkunft von juumldischen Fesseln eingriff anerkannt wurderdquo (Ebenso p 51)

1221 Apostelgeschichte 61ff beschreibt sowohl bdquoHellenistenrdquo als auch bdquoHebraumlerrdquo Anderswo wenn der Autor Heiden identifizieren will verwendet er den Begriff bdquoHellenenrdquo aber in Apostelgeschichte 6 stoszligen wir auf einen Streit zwischen den bdquoHellenistenrdquo und den bdquoHebraumlernrdquo die beide je nach Kontext Gruppen von Juden sind die in Jerusalem leben Fuumlr Mitteilung uumlber Stephanus Streit mit hellenisierten Juden siehe Paton James Gloag A Critical and Exegetical Commentary on the Acts of the Apostles Vol 1 (Edinburgh T amp T Clark 1870) p 214(Ein kritischer und exegetischer Kommentar der Apostelgeschichte) Zum Disput des Apostels Paulus mit ihnen siehe G Campbell Morgan Die Apostelgeschichte (Eugene Wipf amp Stock 2011 [1934]) pp 242-243

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behielt seinen Blick auf den Messias bei Wissenschaftler bezeichneten dies als bdquojuumldischen Messianismus wie er durch das apokalyptische Buch Daniel bestimmt worden warrdquo1222 Andererseits wurde Philon von Alexandria der Zeitgenosse von Paulus und der wohl bedeutendste der hellenisierenden Juden vom Mainstream-Judentum abgelehnt zufolge seiner synkretistischen Mischung aus Platonismus und Judentum (gekennzeichnet durch reale Prauml-Existenz Seelenwanderung usw)1223 Dies alles deutet darauf hin dass es im ersten Jahrhundert n Chr tat-saumlchlich ein Segment hellenisierender Juden gab die sich die griechischen Vor-stellungen von einer woumlrtlichen Prauml-Existenz angeeignet und auf biblische Ge-schichten angewendet hatten aber es besteht kein Zweifel dass dies nicht das allgemeine Judentum Judaumlas des ersten Jahrhunderts war Vielmehr wurde die Gewohnheit der Eliten als explizit hellenistisch gewertet hochspekulativ und in einigen Faumlllen einer voumllligen Ablehnung wuumlrdig

Wissenschaftler haben damit die Entstehung einer bdquohellenistisch-juumldischen Mys-terienreligionrdquo im ersten bis dritten Jahrhundert n Chr identifiziert1224 Das my-thologische Werk Das Gebet Josephs das sinnigerweise einen prauml-existierenden Engel erwaumlhnt der sich als Patriarch Jakob verkoumlrpert ist ein bdquoParadebeispielrdquo fuumlr diese akut hellenistische Entwicklung im Judentum1225 Obwohl immer noch uumlber den genauen Ursprung dieses Textes debattiert wird bestaumltigte der Religionswissen-schaftler J Z Smith den Mythos als ein Produkt des ersten oder zweiten christli-chen Jahrhunderts und zwar des bdquomystischen hellenistischen Judentumsrdquo1226 Philons Vorstellung vom engelhaften Logos bietet sicherlich eine auffaumlllige Pa-rallele zum Engel im Gebet Josephs Die Datierung dieses Gebets ist jedoch schwie-rig so dass es unmoumlglich ist mit Sicherheit festzustellen ob Philon aus dem Gebet oder der Autor des Gebets von Philon abgeschrieben hat Es ist wahrscheinlicher

1222 Daniel R Langton zitiert Leo Baeck The Apostle Paul in the Jewish Imagination (Cambridge CUP 2010)

p 85 (Der Apostel Paulus in der Juumldischen Vorstellung) Baeck faumlhrt fort bdquoWie Paulus an die hellenistische Welt heranging war die gleiche wie bei einigen palaumlstinischen Lehrern Tarsus eine Stadt in der Paulus aufwuchs war ein Ort des sbquoHellenismus mit all seinen Philosophien Uumlberzeugungen Verkuumlndigungen und Kultenrsquo und dennoch war sbquoPaulus ein Jude aus Tarsus kein Syrer Perser oder Aumlgypter aus Tarsus Sein Hintergrund war der des juumldischen Volkesrsquordquo (Ebenso)

1223 Fuumlr zusaumltzliche Einzelheiten uumlber Philons synkretistischen Hintergrund siehe C H Toy C Siegfried J Z Lauterbach ldquoPhilo Judaeusrdquo Jewish Encyclopedia 1906

1224 Siehe J Z Smith ldquoThe Prayer of Josephrdquo Religions in Antiquity Essays in Memory of E R Goode-nough (Leiden 1968) pp 253-294 (Das Gebet des Jospehs)

1225 Michael Tuval From Jerusalem Priest to Roman Jew (Tubingen Mohr Siebeck 2013) pp 45-46 (Wie ein Jerusalemer Priester zum roumlmischen Juden wurde) Die Absicht des Mythos war es wahrscheinlich die Juden der Diaspora zu inspirieren ihre eigene Identitaumlt innerhalb dieses Milieus zu verwirklichen sie alle teilen die himmlische Herrlichkeit eines engelhaften Vorfahrens J Z Smith erklaumlrt dass ldquoder Mythos von seinen Glaumlubigen rituell uumlbernommen werden kann dass die sbquoobjektiversquo Erzaumlhlung ein sbquosubjektivesrsquo Kor-relat hat Was durch die paradigmatische Figur des Patriarchen Jakob-Israel vollbracht wird kann ver-mutlich auch durch die sbquoSoumlhne Jakobsrsquo erreicht werdenrdquo (Smith bdquoThe Prayer of Josephrdquo p 288)

1226 James Charlesworth zitiert J Z Smith Pseudepigrapha and Modern Research (Scholarrsquos Press 1981 [1657]) pp 141-142 (Pseudoepigraphien und die moderne Forschung)

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dass die beiden bdquoaus der gegenseitigen Abhaumlngigkeit von gemeinsamen Traditio-nen resultierenrdquo1227 Die gemeinsame Tradition war ein akut platonisiertes Juden-tum Professor Broek bestaumltigt dass bdquosich juumldische und platonische Spekulatio-nen bereits vor der Ankunft des Christentums in Alexandria zu einer besonderen Marke des Judentums verschmolzen haben die in der Lage war die religioumlsen und intellektuellen Beduumlrfnisse weit fortgeschrittener hellenisierter Juden zu be-friedigen und so auch fuumlr interessierte Heiden attraktiv warrdquo1228 So wie John J Collins erklaumlrt bdquoDie Ideen im Gebet Josephs sind merkwuumlrdig haben aber genug gemeinsam mit denen des Philon und anderen Dokumenten aus der Zeitwende um Smiths These zu untermauern dass das Werk tatsaumlchlich ein Produkt des hellenistischen Judentums istrdquo1229 Wie Wissenschaftler bestaumltigen waren diese Interpretationen der Bibel bdquofuumlr den durchschnittlichen Juden kaum nachvollzieh-barrdquo1230

In Bezug auf die Prauml-Existenz behauptete das dominierende Judentum des ersten Jahrhunderts dass das biblische Portraumlt des Messias keine ontologische Realitaumlt vor der Geburt beschreibe sondern eine Vorkenntnis [Praumldetermination] des Messias in Gottes Geist Dieses alt-juumldische Modell der Prauml-Existenz war dem woumlrtlichen platonischen System der Hellenisierer vorangegangen Wie Harnack enthuumlllt ist dieses bdquoantike juumldische Modell der Prauml-Existenz die fruumlheste An-sichtrdquo1231

DieAlternativeKlassischejuumldischePrauml-EzistenzinGottesPlanIm juumldischen System wurden wirklich alle Dinge von Ewigkeit an als bdquomitrdquo oder bdquobeirdquo Gott betrachtet aber nur in dem Sinne dass sie ideell in seinem ewigen Ziel und Zweck existierten Die Existenz dieser zu erwartetenden Dinge so koumlnnte man sagen war konzeptionell ideell und vorlaumlufig [zeitmaumlszligig] noch unrealisiert Wie bereits erwaumlhnt

Wenn der Jude sagte dass etwas bdquopraumldestiniertrdquo sei dachte er es sei bereits in einem houmlheren Lebensbereich bdquovorhandenrdquo Die Weltgeschichte ist demzufolge vorherbestimmt weil sie in gewisser Weise bereits [von Gott] beschlossen und damit fixiert ist Diese

1227 Siehe Darrell D Hannah Michael and Christ Michael Traditions and Angel Christology (Tubingen

Mohr Siebeck 1999) pp 89-90 (Michael und Christus Michael-Traditionen und Engels-Christologie) 1228 Broek p 117 1229 John J Collins Between Athens and Jerusalem Jewish Identity in the Hellenistic Diaspora (Grand

Rapids Eerdmans 2000) p 240 (Zwischen Athen und Jerusalem Juumldische identitaumlt in der Hellenisti-schen Diaspora)

1230 M Smith ldquoGoodenoughrsquos Jewish Symbols in Retrospectrdquo Journal of Biblical Literature 86 (1967) 61 as cited in Tuval p 72 (Goodenoughs Juumldische Symbole im Ruumlckblick)

1231 Harnack History of Dogma Vol 1 p 47 (Dogmengeschichte)

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typisch juumldische Vorstellung von Praumldestination laumlsst sich klar von der griechischen Praumlexistenzidee durch die Uumlberlegenheit des Gedankens der bdquoPraumlexistenzrdquo im goumlttlichen Zweck unterscheiden1232

Fuumlr den juumldischen Verstand war Gottes Kraft unabwendbar Er gestaltete die Geschichte die jeden seiner Gedanken und Absichten verfestigte und die Perso-nen und Ereignisse aus denen sein groszliger Entwurf bestand praktisch greifbar machte Diese Verherrlichung der Unvermeidlichkeit der Absichten Gottes staumlrkte folglich die apokalyptischen Hoffnungen des juumldischen Volkes Ihre Stra-fen ihre Leiden ihre nachfolgenden Misshandlungen durch die Nationen ndash wur-den allesamt ertraumlglich durch eine spuumlrbare messianische Zukunft in der Gegen-wart Gottes Der anglikanische Theologe und Gelehrte Gordon Selwyn (1885 - 1959) identifizierte zu Recht den sprachlichen Brauch der Hebraumler in Bezug auf die Vorherbestimmung Gottes bdquoWenn der Jude etwas als praumldestiniert bezeich-nen wollte sprach er davon dass es im Himmel bereits existiertrdquo1233 Ebenso erkennt der protestantische Gelehrte Emil Schuumlrer (1844 - 1910 n Chr) an dass bdquoim juumldi-schen Denken alles wirklich Wertvolle bereits im Himmel existierterdquo1234 Waumlh-rend der Jude alle Dinge als zuerst mit oder bei Gott seiend identifizieren koumlnnte war er uumlberzeugt dass insbesondere Personen und Dinge die zum groszligen Erlouml-sungsplan Gottes gehoumlren im himmlischen Reich bdquoeingelagertrdquo waren und auf ihre Verwirklichung auf Erden zur richtigen Zeit warteten Sogar Tertullian im dritten Jahrhundert schrieb dass alle Dinge bdquogeplant und disponiert ja und be-reits gemacht worden waren soweit sie im Geist und in der Intelligenz Gottes [vorhanden] warenrdquo1235

Sicherlich war der Messias der ultimative Diener Gottes der dazu bestimmt war die Verheiszligungen der Vorvaumlter zu offenbaren [in diesem Sinne] von Anfang an mit oder bei Gott Doch seine Gegenwart bei Gott unterschied sich nicht von der Art wie sie Mose oder Johannes der Taumlufer oder eine der groszligen Gestalten der Geschichte Gottes genossen Wie ein Gelehrter schreibt bdquoDas Judentum hat nie etwas von einer Prauml-Existenz des Messias gewusst die der Geburt des Messias als Mensch vorausgegangen waumlrerdquo1236 Charles Gore einer der einflussreichsten The-ologen des 19 Jahrhunderts stellt die Auffassung der Christenheit in Frage dass die Inkarnation eines prauml-existierenden Messias mit der historischen Religion Jesu

1232 E C Dewick Primitive Christian Eschatology The Hulsean Prize Essay for 1908 (Cambridge CUP

1912) pp 253-254 emphasis added (Fruumlhchristliche Eschatologie ein preisgekroumlnter Aufsatz aus dem jahr 1908)

1233 E G Selwyn First Epistle Of St Peter (Grand Rapids Baker 1983) p 124 (1 Petrusbrief) 1234 Emil Schuumlrer The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ Vol 2 (Edinburgh T amp

T Clark 1979) p 522 (Die Geschichte des Juumldischen Volkes in der Aumlra Jesu Christi) 1235 Tertullian Against Praxeas 6 1236 G Dalman Words of Jesus (Edinburgh T amp T Clark 1902) pp 128-32 248 252

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uumlberhaupt kompatibel sei bdquoDie Dominanz der Idee kann in keinen juumldischen Kreisen welcher Richtung auch immer ernsthaft aufrechterhalten werden Das Judentum wusste nichts von einem [buchstaumlblich] prauml-existierenden Ideal-Men-schenrdquo1237 Ein katholischer Professor bemerkte auch dass bdquoin der Synagoge zwar immer eine besondere eigentuumlmliche Art der Prauml-Existenz mit dem Messias in Verbindung gebracht wurde aber diese hat den Messias nicht von anderen Men-schen abgegrenzt Die ideelle Prauml-Existenz des Messias ist der Inbegriff der Prauml-Existenz in Gottes Denkenrdquo1238

Eine Fuumllle von Wissenschaftlern hat zu Recht erkannt dass das von Jesus und den neutestamentlichen Autoren verwendete Konzept der Prauml-Existenz nicht das woumlrtliche Modell Platons und der alexandrinischen Philosophen widerspiegelt son-dern die aumlltere hebraumlische Tradition die im allgemeinen Judentum der Aumlra des Zweiten Tempels also in der Zeit Christi die akzeptierte Anschauung war1239 Wie ein Spezialist auf diesem Gebiet bestaumltigt bdquobesteht heute unter den Religi-onswissenschaftlern ein virtueller Konsens daruumlber dass der fundamentalste Hintergrund fuumlr die Idee der Prauml-Existenz im Neuen Testament die juumldische Tra-dition (und nicht die platonische) istrdquo1240 Zu ihrem groszligen Nachteil ist die Mehr-heit der Christen uumlber diese Informationen voumlllig im Unklaren belassen worden Bildung waumlre hier angesagt um die richtige Bedeutung der Phrasen und Gedan-kenformen der Urkirche des ersten Jahrhunderts wiederherzustellen Der ehrwuumlr-dige Maurice Wiles Professor fuumlr Theologie in Oxford kommentiert

In der christlichen Tradition wird das Neue Testament seit langem durch das Prisma der spaumlter entwickelten konziliaren Glaubensbe-kenntnisse gelesen Von Jesus als dem Sohn Gottes zu sprechen hatte im ersten Jahrhundert eine ganz andere Bedeutung als die welche sie seit dem Konzil von Nicaumla (325 n Chr) annahm Das Sprechen uumlber seine Prauml-Existenz sollte wahrscheinlich in den meisten vielleicht sogar in allen Faumlllen analog zur Praumlexistenz der Thora verstanden werden um auf den ewigen goumlttlichen Zweck

1237 Charles Gore Belief in Christ (New York Charles Scribnerrsquos Sons 1922) p 31 (der Glaube an Christus) 1238 Kuschel p 218 unsere Betonung 1239 Siehe Willibald Beyschlag (1823-1900) Life of Jesus (Das Leben Jesu) H H Wendt The Teaching of Jesus

(Die Lehren Jesu) (1892) George H Gilbert ldquoAn Important Unnoticed Argument in John Chapter Sev-enteenrdquo (Ein wichtiges unbeachtetes Argument in Joh 17) (1899) Gustaf Dalman Words of Jesus (1930) E G Selwyn First Epistle of Peter (1983) Maurice Wiles The Remaking of Christian Doctrine (1973) E C Dewick Primitive Christian Eschatology (1908)

1240 Smith The Son of God Three Views p 40 unsere Betonung (Der Sohn Gottes Drei Ansichten)

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hinzuweisen der durch ihn erreicht wird anstatt auf die Prauml-Exis-tenz einer vollstaumlndig persoumlnlichen Art1241

Juumldische Texte aus verschiedenen Epochen liefern beobachtbare Beispiele fuumlr dieses Modell im juumldischen Denken der Aumlra des Zweiten Tempels Die Genesis Rabba ein Kommentar in der Form eines kurzen Sermons aus der klassischen Zeit des Judentums lautet

Sechs Dinge gingen der Erschaffung der Welt voraus einige von ihnen wurden tatsaumlchlich erschaffen waumlhrend die Erschaffung der anderen bereits in Betracht gezogen wurde [deren Planung vorge-sehen war] Die Thora und der Thron der Herrlichkeit wurden er-schaffen Die Erschaffung der Patriarchen wurde in Betracht ge-zogen [Die Erschaffung] Israels wurde in Betracht gezogen [Die Erschaffung] des Tempels wurde in Betracht gezogen Der Name des Messias wurde betrachtet [vorgesehen] (Genesis Rabba 14)

Hier sehen wir dass es der Name des Messias war der im Geist Gottes in Be-tracht gezogen war Das ist etwas ganz anderes als die woumlrtliche Prauml-Existenz einer goumlttlichen Person Wie A E Harvey bemerkt dachten die Juden dass bdquoder Name des Messias unter anderen wichtigen Dingen von Anfang an schon da war Aber niemand im Judentum hielt den Messias selbst fuumlr sbquogoumlttlichrsquordquo1242 Der Talmud wiederholt

Sieben Dinge wurden erschaffen bevor die Welt erschaffen wurde und das sind sie Thora Reue der Garten Eden Gehenna der Thron der Herrlichkeit und das Haus des Heiligtums sowie der Name des Messias (Babylonischer Talmud Peshaim 54a)

Der Abschnitt ldquoGleichnisserdquo [Parabeln] des beruumlhmten Buches von Henoch der oft waumlhrend oder kurz vor dem ersten Jahrhundert datiert wird1243 erklaumlrt eben-falls dass der Messias

benannt wurde in Gegenwart des Herrn der Geister noch vor der Erschaffung der Sonne und des Mondes vor der Erschaffung der

1241 Maurice Wiles The Remaking of Christian Doctrine The Hulsean Lectures (London SCM Press

1974) emphasis added (Die Erneuerung der Cistlichen Doktrinen) 1242 A E Harvey Jesus and the Constraints of History (London Duckworth 1980) p 178 (Jesus und die

Grenzen der Geschichte 1243 Siehe Gabriele Boccacini Enoch and the Messiah Son of Man Revisiting the Book of Parables (Grand

Rapids Eerdmans 2007) See also R H Charles The Book of Enoch or 1 Enoch (Oxford at Clarendon Press 1912) (Henoch und der Messias Menschensohn Neubearbeitung des Buches der Gleichnisse)

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Sterne er wurde von Gott erwaumlhlt und bei Gott verborgen bevor die Welt erschaffen wurde (I Henoch 4836)

Anstatt die Existenz eines physisch vorexistierenden Wesens aufzuzeigen wurde diese Selektion des Auserwaumlhlten von den Juden einfach als seine urspruumlngliche Berufung zum Dienst angesehen1244 Waumlhrend Henoch im obigen Zitat bezeugt dass der Messias bdquobenanntrdquo oder im Bereich des Wissens Gottes (im Geist) ge-waumlhlt wurde wird nichts uumlber seine aktive Existenz als bewusstes und spirituelles Wesen gesagt geschweige denn uumlber Gott selbst Was prauml-existierte war lediglich der Auftrag des Menschensohnes

Sigmund Mowinckel (1884 - 1965 n Chr) Alttestamentler und eine der weltweit fuumlhrenden Autoritaumlten fuumlr die Psalmen erweitert in seinem umfassenden Werk He That Cometh The Messiah Concept in the Old Testament and Later Judaism (zu Deutsch Er der Kommt Das Messias-Konzept im Alten Testament und im spauml-teren Judaismus) die Allgegenwaumlrtigkeit dieser juumldischen Sicht

Die Zuordnung von Prauml-Existenz deutet auf die religioumlse Bedeu-tung houmlchsten Ranges hin Die rabbinische Theologie spricht vom Gesetz vom Thron der Herrlichkeit Gottes von Israel als von Dingen die bereits bei [Gott] vor der Erschaffung der Welt vor-handen waren Dasselbe gilt auch fuumlr den Messias in Pesikta Rab-bati 152b heiszligt es dass bdquovom Beginn der Erschaffung der Welt an der Kouml-nigsmessias geboren wurde denn er kam im Gedanken [Geist] Gottes auf bevor die Welt erschaffen wurderdquo Das bedeutet dass es von Ewigkeit her der Wille Gottes war dass der Messias ins Leben gerufen werde und sein Werk in der Welt verrichte um den ewigen Heilsplan Got-tes zu erfuumlllen1245

Wie Mowinckel betont ist der Ausdruck bdquoim Gedanken Gottes auftauchenrdquo praktisch gleichbedeutend mit dem tatsaumlchlichen Leben eines Juden obwohl wir sehen dass die wahre Existenz des Messias noch lange eine Sache war die erst in der Zukunft liegt Wir muumlssen hier betonen dass es sich nicht irgendeinen Teil des mystischen Judentums handelt der dieses Modell der Praumlexistenz betrifft sondern um den gesamten nationalen Glauben Die Hebraumlische Bibel zeigt in vollkommener Uumlbereinstimmung mit diesem Gedanken das Prinzip dass alle Dinge (wie ua der Messias) von Gott benannt (oder vorher bekannt) waren be-vor sie tatsaumlchlich existieren

- Was da ist ist laumlngst mit Namen genannt (Prediger 610 LUT)

1244 Gottfried Schimanowski Wisdom and Messiah (Tubingen Mohr Siebeck 1985) p 170 1245 Sigmund Mowinckel He That Cometh (Grand Rapids Eerdmans 2005 [1956]) p 334

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Alles was hier auf der Welt geschieht ist schon vor langer Zeit bestimmt

worden (Neues Leben Bibel)

Die Vorkenntnis aller Dinge des unbeirrbaren Gottes des Judentums erlaubte es die noch nicht verwirklichte Welt konkret zu beschreiben Die juumldische Welt Christi war mit Sicherheit historisch an diese Einstellung gewoumlhnt Ihre Schriften hatten von zukuumlnftigen Personen und ihren zukuumlnftigen Errungenschaften ge-sprochen die laumlngst vor ihrer eigentlichen Ankunft als abgeschlossen galten So sagte Gott

Hast du nicht gehoumlrt dass ich es lange zuvor bereitet und von Anfang an geplant habe Nun aber habe ich es passieren lassen dass du feste Staumldte zerstoumlrtst und zu wuumlsten Steinhaufen machst (2 Koumlnige 1925)

Waumlhrend es wirklich von Gott vor aller Zeit bdquonurrdquo geplant wurde war es im Grunde genommen so gut wie erledigt bdquoVor langer Zeit habe ich es getanrdquo erklaumlrt Gott waumlhrend es in Wirklichkeit erst bdquojetztrdquo [zu einem spaumlteren Zeitpunkt] ver-wirklicht wurde1246

Das vielleicht beste Beispiel fuumlr diese Idee ist Gottes prophetische Ansprache an den zukuumlnftigen Koumlnig Kyros im Buch Jesaja Zum Zeitpunkt als Jesaja schrieb lag die Geburt von Kyros noch 150 Jahre in der Zukunft aber Gott spricht zu ihm [Kyros] als ob er bereits existieren wuumlrde und benutzt die Vergangenheits-form

So spricht der HERR zu seinem Gesalbten [zu seinem Messias] zu Ky-ros den ich bei seiner Rechten ergriffen habe um Nationen vor ihm zu unterwerfen Wegen meines Knechtes Jakob und Israels meines Auser-waumlhlten habe ich dich bei deinem Namen gerufen Ich gebe dir einen Eh-rennamen ohne dass du mich erkannt hast (Jesaja 451a4)

Das Neue Testament zeigt dass dieses Konzept im apostolischen Christentum fortgesetzt wird Offenbarung 411 sagt bdquoDu bist wuumlrdig unser Herr und Gott die Herrlichkeit und die Ehre und die Macht zu nehmen denn du hast alle Dinge erschaffen und um deines Willens wegen waren sie und sind sie erschaffen wor-denrdquo Hier begegnen wir wieder dem zweistufigen Schoumlpfungsmodell entspre-chend dem juumldischen Glauben Alle Dinge entstanden zuerst gemaumlszlig dem Willen

1246 Diese Redewendung ist bekannt als bdquoProlepsisrdquo ein Begriff griechischen Ursprungs (von bdquoprolambaneinrdquo

was bdquovorher nehmenrdquo bedeutet) und ein Wort das von Merriam-Webster definiert wird als bdquodie Dar-stellung oder Annahme einer zukuumlnftigen Handlung oder Entwicklung als ob sie derzeit schon existierte oder bereits vollendet waumlrerdquo Duden Vorwegnahme eines Satzgliedes besonders Nennung (im Akkusativ) des Subjekts eines Gliedsatzes im vorausgehenden Hauptsatz (z B Hast du den Kerl gesehen wie er aussieht statt Hast du gesehen wie der Kerl aussieht (Anm des Uuml)rdquo

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Gottes im Himmel bdquound [dann] wurden sie erschaffenrdquo Sogar im fruumlhen heid-nisch-christlichen Denken blieb diese Uumlberzeugung weit verbreitet Der Patriarch von Antiochia Theophilus (183 n Chr) schreibt dass Gott bdquoMenschen denen er bekannt gemacht werden koumlnnte machen will fuumlr sie hat er deshalb die Welt im Voraus vorbereitetrdquo1247 Weil Gott die Welt zuerst im Himmel vorbereitet hatte konnte man sagen dass er sie bereits erschaffen hatte sowohl Gott als auch die Juden konnten von seiner zukuumlnftigen Taumltigkeit als bereits vollbracht spre-chen Der Apostel Paulus erlaumlutert ebenfalls die Sicherheit der Prophezeiung Gottes uumlber Abraham

So sagt Gott schon in der Heiligen Schrift zu Abraham bdquoIch habe dich zum Stammvater vieler Voumllker bestimmtrdquo Ja in Gottes Augen ist er das denn Abra-ham vertraute dem Gott der die Toten lebendig macht und der aus dem Nichts ins Leben ruft (Roumlmer 417 HFA)

Waumlhrend Abraham und seine Frau noch unfruchtbar waren hatte Gott Abraham in seinem bereits bestehenden Plan schon zum Vater vieler Menschen ernannt Biblisch gesehen hat Gott fuumlr jene die an seine Verheiszligungen fuumlr die Zukunft glauben nicht nur mit Zuversicht uumlber die kommenden Dinge gesprochen son-dern auch so als waumlre Gottes Vision fuumlr die Zukunft bereits angekommen Wir werden diese Methode nuumltzlich finden um die neutestamentliche Darstellung Jesu als den [von den Juden] lang ersehnten Messias zu verstehen

Prauml-ExistenzimJudentumundChristusimNeuenTestamentIn der Welt des Judentums wurde oft gesagt dass Gott alle Menschen ihre Werke und ihre Belohnungen bdquovon Grund aufrdquo vorbereitet habe Ein Beispiel fuumlr diese Formulierung findet sich im juumldischen Text Die Himmelfahrt des Moses der auf das fruumlhe erste Jahrhundert zuruumlckgeht und so zeitgemaumlszlig mit den Lehren und Braumlu-chen Jesu und seiner Apostel zusammenkommt Hier sagt Mose

bdquoAber Er hat mich entworfen und erdacht und Er hat mich von Anfang der Welt an darauf vorbereitet Mittler Seines Bundes zu seinrdquo (Die Him-melfahrt des Moses 114)

Natuumlrlich waumlren wir aufgrund dieser Aussage allein kaum in der Lage Argumente fuumlr Moses eigene woumlrtliche Prauml-Existenz zu finden Dennoch wiederholt sich diese Sprache im Neuen Testament welche die Person Jesu beschreibt

bdquo das Lamm das geschlachtet worden ist von Grundlegung der Welt anrdquo (Offenbarung 138 SLT)

1247 Theophilus Apology to Autolycus 2 10

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Die Konsequenzen sollten hier offensichtlich sein Natuumlrlich wurde Jesus nicht buchstaumlblich getoumltet bevor die Welt begann aber er wurde in Gottes ewigem Plan und [dessen] Vorkenntnis sbquogetoumltetldquo dh als Opfer vorgesehen Das erklaumlrt der Apostel Petrus

bdquoDiesen Mann der nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkennt-nis Gottes hingegeben worden ist habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen an das Kreuz geschlagen und umgebrachtrdquo (Apostelgeschichte 223)

Paulus stimmt dem Gedanken zu dass es in Bezug auf den von Ewigkeit her [in Gottes Plan] existierenden Christus Gottes Absicht war bdquoNach dem ewigen Vorsatz den er verwirklicht hat in Christus Jesus unserem Herrnrdquo (Eph 311) In diesem Sinne beginnen selbst die umstrittensten bdquoPrauml-Existenz-Aussagenrdquo Christi ihre Schwie-rigkeiten [des Verstaumlndnisses] zu uumlberwinden Zum Beispiel wird Johannes 175 oft von denen eingesetzt die die woumlrtliche Prauml-Existenz Jesu demonstrieren wollen

bdquoUnd nun verherrliche du Vater mich bei dir selbst mit der Herrlichkeit die ich bei dir hatte ehe die Welt warrdquo (Johannes 175)

Die Erhoumlhung des [auferstandenen] Christus in die Gegenwart Gottes zu seiner Rechten wurde von alters her ausdruumlcklich vorhergesagt (Psalm 1101 Jesaja 5213) Dieser Lohn wurde bei Gott gespeichert und erwartete nur die chronolo-gische Erfuumlllung seiner Vision Hier in Johannes 17 nachdem er sich dem Tod und der Verwirklichung der Vision Gottes freiwilling unterstellt hatte betete Je-sus fuumlr seine vorbestimmte und von ihm zu Recht erwartete Verherrlichung nach Abschluss seiner Mission Wie die Verwuumlstung der Staumldte in 2 Koumlnige 1925 bdquoso gut wie erledigtrdquo war so nahm Christus seinen Lohn entgegen Doch so wie Jesus nicht buchstaumlblich bdquovon der Grundlegung der Welt an geopfertgetoumltetrdquo wurde (Offenba-rung 138) hatte er auch nicht buchstaumlblich bereits die Herrlichkeit in Gottes Gegenwart besessen Ein Professor am Chicago Theological Seminary bemerkt das in Johannes 175

Diese Herrlichkeit scheint als Belohnung fuumlr das Werk angesehen zu werden das Jesus jetzt vollbracht hat Diese Denkweise deutet darauf hin dass er die erwartete Herrlichkeit als seine ihm zu-stehende Belohnung betrachtete Die Schlussfolgerung daraus in Bezug auf die Prauml-Existenz des Messias ist offensichtlich Beloh-nungen werden nach getaner Arbeit vergeben und koumlnnen nur dann als Belohnung anerkannt werden Jesus besaszlig diese Herrlichkeit vor der Gruumlndung der Welt nur in dem Sinne dass sie gemaumlszlig dem goumlttlichen Entschluss fuumlr ihn bestimmt war Er wusste dass das glorreiche Ergebnis seiner messianischen Arbeit feststeht und dass die Belohnung fuumlr ihn bereitgehalten wird So fragt er im Schatten

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des Kreuzes als das Werk Jesu aus menschlicher Sicht ein vollstaumln-diges und beschaumlmendes Scheitern zu sein schien ruhig und zuver-sichtlich nach der Herrlichkeit die er beim Vater hatte bevor die Welt war Das ist sicherlich die Aussage eines Menschen der sich bewusst war der von Gott gesandte Messias zu sein Die damit verbundene Prauml-Existenz ist ideell1248

Wir erinnern uns dass Koumlnig Kyros 150 Jahre vor seiner Geburt von Gott mit Ehre bedacht wurde Gott hatte ihm gesagt bdquoIch gab dir einen Ehrennamenrdquo (Jesaja 451-4) Als Kyros schlieszliglich Koumlnig wurde erhielt er die Herrlichkeit die Gott fuumlr ihn bereitgehalten hatte Auf die gleiche Weise wurde Jesus von Gott verherr-licht bevor er geboren wurde und bei seiner Erhoumlhung erhielt er den Ehrentitel den Gott vorbereitet hatte (Apg 236)

Was die besondere Art der Ehre Christi betrifft so behaupten moderne Dogma-tiker sei sie die ausschlieszligliche Herrlichkeit der Gottheit doch Jesus erlaumlutert mehrere Verse spaumlter

bdquoUnd die Herrlichkeit die du mir gegeben hast habe ich ihnen gegeben dass sie eins seien wie wir eins sindrdquo (Johannes 1722)

Wenn die Herrlichkeit die Christus gegeben wurde tatsaumlchlich die Herrlichkeit als Gott war dann hat er offensichtlich seinen Juumlngern dieselbe Herrlichkeit der Gottheit gegeben Das ist sicherlich nicht der Fall Wir wissen dass die besondere Art der Herrlichkeit die Jesus traumlgt die Herrlichkeit der Sohnschaft ist nicht die Herrlichkeit als Gott Das erste Kapitel des Johannesevangeliums erklaumlrt bdquowir sahen seine Herrlichkeit eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vaterrdquo (Joh 114b Schlachter) bdquoeine Herrlichkeit wie sie Gott nur seinem einzigen Sohn gibtrdquo (HFA) Die Herrlichkeit der Sohnschaft wird vom Menschen Jesus eindeutig richtig einge-schaumltzt und es ist durchaus akzeptabel dass er diese Ehrung an seine Anhaumlnger weitergibt bdquoDie ihn aber aufnahmen und an ihn glaubten denen gab er das Recht [die Macht] Kinder Gottes zu werdenrdquo (Johanes 112)

Natuumlrlich wird die einzigartige Herrlichkeit Gottes nicht mit anderen geteilt son-dern ist von Jahwe fuumlr sich selbst reserviert bdquoMeine Ehre gebe ich keinem anderenrdquo (Jes 4811) Doch wir sehen dass Gott tatsaumlchlich anderen einen gewissen Grad an Ehre verteilt bdquoJahwe [Gott der HERR] wird Gnade und Herrlichkeit geben und kein Gutes vorenthalten denen die in Lauterkeit wandelnrdquo (Psalm 8412b) Es handelt sich offensichtlich um eine andere Herrlichkeit nicht um seine eigene Herrlich-keit als Gott die er unter seinen Kindern austeilt Das Neue Testament bezeugt

1248 George H Gilbert ldquoAn Important Unnoticed Argument in John Chapter 17rdquo The Biblical World Vol

13 No 5 (Chicago University of Chicago Press 1899) p 308 311 unsere Hinzufuumlgung (Ein wichtiges aber unbemerktes Argument in Joh 17)

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eindringlich dass die Herrlichkeit die Gott denen anbietet die ihm wohlgefallen tatsaumlchlich der Herrlichkeit entspricht die Jesus Christus hat bdquoDer Geist selbst be-zeugt zusammen mit unserem Geist dass wir Kinder Gottes sind Wenn aber Kinder so auch Erben Erben Gottes und Miterben Christi wenn wir wirklich mitleiden damit wir auch mit-verherrlicht werdenrdquo (Roumlmer 816-17) Wir lesen ferner dass das Endziel der Ver-herrlichung Jesu durch Gott darin bestand bdquoviele Soumlhne zur Herrlichkeit zu fuumlhrenrdquo (Hebr 210) Paulus stimmt zu dass Gottes gesamtes Programm in Bezug auf Christus ein Plan war naumlmlich der bdquoPlan den Gott schon vor der Erschaffung der Welt gefasst hat und nach dem er uns Anteil an seiner Herrlichkeit geben willrdquo (1 Kor 27 NGUuml) Paulus offenbart daruumlber hinaus dass unsere zukuumlnftigen glorreichen Koumlrper (dh derselbe Lohn den der auferstandene Jesus bereits erhalten hat) ebenso bei Gott im Himmel aufbewahrt werden bdquoSo gleicht zum Beispiel der Koumlrper in dem wir hier auf der Erde leben einem Zelt das eines Tages abgebrochen wird Doch wir wissen Wenn das geschieht wartet auf uns ein Bauwerk das nicht von Menschenhand errichtet ist sondern von Gott ein ewiges Haus im Himmelrdquo (2 Kor 51 NGUuml) Man beachte dass wir diese Belohnung derzeit bdquobei Gott im Himmel habenrdquo obwohl sie noch nicht offen-bart wurde so wie Christus in Johannes 175 beteuert hat dass seine Belohnung bereits vor der Schoumlpfung in seinem Besitz gewesen sei Offensichtlich kann jeder Juumlnger Jesu Gebete mit dem gleichen Effekt sprechen wie Christus selbst in Jo-hannes 17 denn alle Christen und Christinnen besitzen ebenso bdquodie Ehre bei Gott bevor die Welt warrdquo Tatsaumlchlich bekraumlftigt Paulus weiter dass jedem Juumlnger Jesu bereits bdquovor Beginn der Zeitrdquo Gnade geschenkt wurde (2 Tim 19) Dies deutet natuumlrlich nur darauf hin dass diese Personen schon im Voraus Gott bekannt wa-ren

Biblisch gesprochen wurden alle heiligen Agenten [Propheten] Gottes von ihm vor ihrer wahren Existenz erkannt bdquoEhe ich dich im Mutterleib bildete habe ich dich erkannt und ehe du aus dem Mutterschoszlig hervorkamst habe ich dich ge-heiligt zum Propheten fuumlr die Nationen habe ich dich eingesetztrdquo (Jeremia 15) Das Neue Testament erklaumlrt schlieszliglich dass das Volk Gottes nicht nur vorher-gesagt sondern auch zur Ehre der Sohnschaft mit Jesus vorherbestimmt wurde bdquoDenn die er vorher erkannt hat die hat er auch vorherbestimmt dem Bilde sei-nes Sohnes gleichfoumlrmig zu sein damit er der Erstgeborene sei unter vielen Bruuml-dernrdquo (Roumlm 829) Wir glauben jedoch nicht dass diese Aussage die reale Exis-tenz eines jeden Christen bei Gott vor der Schoumlpfung zeigt Es steht aber auszliger Frage dass die Autoren des Neuen Testaments zu verstehen geben dass die Glaumlubigen in Gottes Geist gegenwaumlrtig [erkannt] waren Dies ist natuumlrlich die gleiche Formulierung mit der Christus beschrieben wird bdquoEr ist im Voraus vor Grundlegung der Welt erkanntrdquo (1 Petrus 120)

Die apostolischen Autoren waren der Ansicht dass sie selbst von Gott erkannt wurden und vor Grundlegung der Welt Belohnungen bei ihm bereitgelegt waren

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Die christliche Nachwelt glaubt allgemein nicht an eine buchstaumlbliche Prauml-Exis-tenz der Menschen Die Frage draumlngt sich auf warum sollten dann dieselben Re-dewendungen fuumlr den Menschen Jesus eine Prauml-Existenz beweisen Ein anglika-nischer Theologe erkennt das

Wir sind nicht berechtigt zu sagen dass Petrus die Idee hegte Christus sei vor seiner Inkarnation bei dem Vater praumlexistent ge-wesen Denn in seiner Beschreibung Christi ist eine solche Idee nur aufgrund von bdquovor der Entstehung der Welt bekanntrdquo nicht unbe-dingt impliziert da Christen auch Objekte der Vorausschau Gottes sind Alles was wir sagen koumlnnen ist dass der Satz pro kataboles kosmou (gr vor Gruumlndung der Welt) das Amt Christi bestaumltigt und eine uumlberirdische Bandbreite und Bedeutung hat1249

Auffaumlllig an dieser Inkonsistenz der Interpretation ist die dramatische Schwan-kung des Dogmas indem es selektiv linguistische Modelle isoliert und neu defi-niert um dem Zweck gerecht zu werden naumlmlich der uneingeschraumlnkten Vertei-digung der Lehre von der Goumlttlichkeit Jesu Passagen uumlber den Christus werden ploumltzlich von der normalen historischen Deutungsweise zweckdienlich ausge-nommen Wenn es um Dogmen geht gelten im Bereich der orthodoxen Chris-tologie die Regeln auf einmal nicht mehr Dennoch sollte der moderne Bibelstu-dent in dieser Hinsicht auf exegetischer Konsistenz beharren Ein unitarisch ge-sinnter Dozent sagte es so

Orthodoxe Kommentatoren sind sich bewusst dass der Sprachge-brauch des Neuen Testaments haumlufig die grammatikalische Zeit-form der Vergangenheit verwendet um Ereignisse zu bezeichnen die tatsaumlchlich in der Zukunft liegen Ich frage diese Kritiker was sie normalerweise gegen roumlmisch-katholische Verfechter der Lehre der Transsubstantiation vorbringen die als Beweis den Text zitie-ren bdquoDas ist mein Koumlrper der fuumlr euch gebrochen wurderdquo Was sagt der protestantische Gegner dazu bdquoOh es ist bloszlig ein idiomatischer Ausdruck durch den ein Ereignis als vollendet dargestellt wird das noch nicht geschehen istrdquo Desgleichen und mit aumlhnlicher Interpre-tation houmlren wir die Orthodoxen den Satz verwenden bdquoDas Lamm das von der Grundlegung der Welt an geschlachtet wurderdquo In diesem Fall zeigen sie keine Skrupel von dem als tatsaumlchlich Geschehenen zu sprechen was nur in der Vorschau von Ewigkeit her in Betracht gezogen wurde Wenn gesagt wird dass alle Ereignisse fuumlr den

1249 E G Selwyn First Epistle of St Peter (Grand Rapids Baker Book House 1983) p 248 250

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Geist Gottes gegenwaumlrtig sind antworten wir so sind es alle Men-schen und Christus ebenso Diese Sichtweise auf das Thema hat viele Nachdenker und was auch immer unsere Gegner meinen viele faumlhige und ehrliche Koumlpfe zufrieden gestellt1250

Was Johannes hier im Kapitel 175 berichtet ist keine Feier der Wiedergewinnung einer durch Christus als Gott vor der Schoumlpfung innegehabten Majestaumlt die er irgendwann aber aufgab Er bat nicht bdquogib mir zuruumlckrdquo sondern bdquogib mir jetztrdquo - eine glaubenserfuumlllte Bestaumltigung der versprochenen Erhoumlhung die der Vollen-dung seines Leidens folgte Offensichtlich sollte das Wissen um den linearen Weg des Messias vom unruumlhmlichen Leiden zur Herrlichkeit (nicht von der Herrlich-keit zum Leiden und dann wieder zuruumlck zur Herrlichkeit) von den Juumlngern Jesu richtig begriffen werden Christus selbst der seine hinterbliebenen und trauern-den Juumlnger auf dem Weg nach Emmaus belehrte erinnerte sie eindringlich daran bdquoMusste nicht der Christus [der Messias] dies erleiden und dann in seine Herrlichkeit einge-henrdquo (Lukas 2426) Dementsprechend war dies auch die richtige Erwartung de-rer die mit ihm gelitten und ihn angenommen hatten

Vom bdquoHimmel gekommenrdquo Es gibt mehrere Aussagen in den Evangelien uumlber den bdquoHimmelrdquo die uumlblicher-weise in Argumenten fuumlr eine woumlrtliche Prauml-Existenz anzutreffen sind Wir wer-den bald feststellen dass diese Spruumlche Christi tatsaumlchlich hebraumlische Redewen-dungen sind die in ihrem urspruumlnglichen Kontext nicht angemessen beruumlcksich-tigt wurden

Die uumlberwiegenden Beweise lassen den Schluss zu dass wenn Jesus sagt bdquoDenn ich bin vom Himmel herabgekommen nicht dass ich meinen Willen tue sondern den Willen dessen der mich gesandt hatrdquo (Joh 638) er nicht meint dass er buchstaumlblich aus dem Himmelreich angereist sei Vielmehr will er uumlber den himmlischen Ursprung sei-ner Mission sprechen uumlber seine persoumlnliche Beauftragung aus dem Thronsaal Gottes

Bei dieser Erklaumlrung koumlnnen wir uns auf den Vorwurf gefasst machen dass wir auf einfache Auslegungen der Bibel verzichten und den Text zu Unrecht der Abs-traktion uumlberlassen haben Darauf wuumlrden wir mit einer Frage nach streng woumlrt-lichen Auslegungen eines jeden historischen Dialogs antworten Stellen Sie sich vor viele Jahre in der Zukunft wuumlrde ein Anthropologe ein heutiges Buch entde-

1250 Henry Giles There is One God and One Mediator between God and Men the Man Christ Jesus a

Lecture delivered in Paradise-Street Chapel Liverpool March 5 1839 (Liverpool Willmer amp Smith 1839) p 16 unsere Betonung (Es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen der Mensch Christus Jesus Vorlesung vom 531839 Liverpool)

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cken und dann darin lesen dass bdquoes Katzen und Hunde regneterdquo dh umgangs-sprachlich dass es in Stroumlmen goss Wuumlrde er dann von seinen Kollegen verlan-gen dies ohne Respekt auf Kultur und Sprache absolut woumlrtlich zu interpretie-ren Sollten wir dann in diesem Zusammenhang nicht auch uumlber Passagen wie bdquoIch bin das Brot das aus dem Himmel herabgekommen istrdquo (Joh 641) vielleicht zwei-mal nachdenken Die Problematik einer allzu woumlrtlichen Analyse und Auslegung solcher Aussagen wird in einer klassischen Publikation beleuchtet

Nun zu solchen Versen kann man den Trinitariern einfach eine Frage stellen Ist die Rede Jesu woumlrtlich oder bildlich zu verstehen Wir bestehen nicht darauf dass Trinitarier die von uns gewaumlhlte Alternative uumlbernehmen sondern uumlberlassen ihnen die Entschei-dung Wenn ihre Devise lautet bdquoChristus ist woumlrtlich zu verstehen wenn er von einer tatsaumlchlichen persoumlnlichen Himmelsherkunft sprichtrdquo dann darf diese Interpretationsmethode auch auf die an-deren Teile der Passage und den umgebenden Kontext der Bibel angewendet werden Wenn Christus leibhaftig als das wahre Brot vom Himmel heruntergekommen ist dann sagt er uns dass eben dieses bdquo lebendige Brot das aus dem Himmel herabgekommen istrdquo (Joh 651) bdquomein Fleisch wahre Speise und mein Blut wahrer Trank istrdquo (Joh 655) und dass es notwendig ist das eine zu essen und das andere zu trinken um sich das ewige Leben zu sichern Vers 58 bdquoDies ist das Brot das aus dem Himmel herabgekommen ist Nicht wie die Vaumlter aszligen und starben wer dieses Brot [Christi Fleisch und Blut also] isst wird leben in Ewigkeitrdquo Wer nun die Aussage Christi hier buchstaumlblich interpre-tiert versucht damit zu beweisen dass er nicht nur vom Himmel herabgekommen ist sondern dass er aus echtem Fleisch und Blut dh menschlicher Natur also nicht goumlttlicher Natur war denn das steht hier nicht Werden die [Trinitarier] nun die woumlrtliche Interpre-tation der Rede Christi weiter verfolgen um zu diesem legitimen Ergebnis zu gelangen1251

Wie wir bereits gesehen haben sagte bdquoder Jude wenn er etwas als praumldestiniert oder vorherbestimmt bezeichnen wollte dass es im Himmel bereits exis-tierterdquo1252 Die Stelle in Johannes 641-42 und die auch anderswo gefundene Re-dewendung bdquokam vom Himmelrdquo verdeutlicht dies Christus erklaumlrte nicht dass er buchstaumlblich durch die Dimensionen [Raum und Zeit] zur Erde gereist sei Er

1251 George Harris (ed) ldquoThe Christian Pioneer No 160 Vol XIIIrdquo The Christian Pioneer January 1839 -

December 1839 (London Simpkin Marshall amp Co 1839) pp 451-452 1252 Selwyn First Epistle Of St Peter p 124

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sagte auch nicht dass der allmaumlchtige Gott eine bdquoInkarnationrdquo seiner selbst in-szeniert habe um persoumlnlich eine seiner Schoumlpfungen zu werden Christus er-kannte dass eine Sache die ihr Fundament in Gott hat und die Gott aufbewahrte zu einem bestimmten Zeitpunkt offenbar werden kann Hilfreiche Passagen zur Unterstuumltzung unserer Interpretation der Redewendung stammen aus dem Jako-bus-Brief

Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben herab von dem Vater der Lichter bei dem keine Veraumlnderung ist noch ein Wech-sel des Schattens (Jakobus 117)

Denn Neid und Selbstsucht haben nichts mit der Weisheit von Gott zu tun sondern sie sind irdisch gottlos und teuflischen Ursprungs Aber die Weisheit die von Gott kommt ist vor allem rein (Jakobus 31517a)

Die Absicht von Jakobus 117 ist natuumlrlich nicht einen naiven Glauben zu ver-mitteln dass jede gute Gabe (wie Jesus) physisch aus dem Himmelreich kommt Vielmehr sollten wir verstehen dass Gott die Quelle und der Urheber von allem Guten ist Ein Vergleich mit unseren Kindern laumlsst uns erkennen dass sie genau das sind was Psalm 1273 erklaumlrt bdquoKinder sind die Gabe des HERRNrdquo Gott ist ohne Zweifel die Quelle des Segens der durch das Leben unserer Kinder zu uns kommt aber wir wissen dass Kinder nicht physisch von Gott aus dem Himmel kommen Wir koumlnnen auch den klar metaphorischen Gebrauch der Redewen-dung beobachten wenn Gott sein Volk herausfordert

bdquoBringt den Zehnten ganz in das Vorratshaus damit Speise in meinem Haus sei und pruumlft mich doch dadurch spricht der HERR der Heerscha-ren ob ich euch nicht die Fenster des Himmels oumlffnen und euch Segen in uumlberreicher Fuumllle herabschuumltten werderdquo (Maleachi 310)

Als die Menschen in jener Zeit dies houmlrten verstanden sie dass Gott denjenigen die ihm vertrauten einfach nur Segnungen versprach deren Ursprung im Himmel war

Der himmlische Plan fuumlr den Messias wurde persoumlnlich vom Vater [im Himmel] entworfen und eingefuumlhrt und er selbst war es der Jesus im Leib seiner Mutter zeugte (Psalm 27 Matt 120 Lukas 131-35 Hebr 55 1 Joh 518) Jesu per-soumlnliche Anspruumlche haben auf der einen Seite alles mit seiner Aufgabe als Beauf-tragter Gottes auf der anderen aber nichts mit seiner physischen oumlrtlichen Her-kunft zu tun Der beruumlhmte Theologe Robert Bultmann raumlumte ein dass die Aus-drucksweise Christi in den Evangelien aus historischer Sicht nicht dazu bestimmt war seine koumlrperliche Durchquerung von Zeit und Raum zu beschreiben Aus-druumlcklich forderte Bultmann dies im Text

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Jesus wird nicht ernsthaft als ein woumlrtlich praumlexistentes goumlttliches Wesen dargestellt das in menschlicher Gestalt auf die Erde gekom-men sei um unerhoumlrte Geheimnisse zu enthuumlllen Vielmehr soll die mythologische Terminologie die absolute und entscheidende Be-deutung seines Wortes zum Ausdruck bringen1253

Auch andere Exegeten haben eingeraumlumt dass die neutestamentlichen Autoren bdquoJesus weder als die Inkarnation eines Geist(-wesens) betrachten noch als einen bereits vor seiner Existenz auf Erden existierenden Geistrdquo1254 Die Frage bleibt was haben sie [die Urchristen] dann gedacht Einfach nur dass dieser Jesus ein Mensch war der einzigartig von Gott beauftragt wurde Das ist in der Tat so erkennen wir die lautstarke Botschaft der Kirche am Pfingsttag bdquoJesus von Naza-reth war ein von Gott anerkannter Menschrdquo (Apg 222) Kaum zu glauben aber wahr ist dass die [angeblich] goumlttliche Inkarnation der kritischste Wandlungsprozess des gesamten trinitarischen Dogmas zwar von vielen Gelehrten anerkannt wird als bdquoein christologisches Denkenrdquo das aber nicht auf Jesus selbst zuruumlckgefuumlhrt werden kann Es kann auch nicht behauptet werden dass Jesus sich selbst fuumlr den inkarnierten Sohn Gottes hieltrdquo1255 Tatsaumlchlich haumltte der ganze Hintergrund des juumldischen Denkens und der Religionsgeschichte Jesus davon abgehalten so etwas zu verkuumlnden Da Jesus jedoch keine derartige Philosophie befuumlrwortete ist es ein Phaumlnomen dass so viele Christen spaumlterer Generationen motiviert wer-den konnten so dogmatisch an diesen Aspekt zu glauben Moumlglicherweise war es die Bedrohung durch das Anathema (den Kirchenbann) welche eine totale Un-terwerfung unter eine Doktrin erwirkte die der in den Evangelien uumlberlieferten Lehre Christi doch so voumlllig fremd ist

BedeutetbdquovonGottgesandtrdquowoumlrtlicheinePrauml-ExistenzJesus erklaumlrte von Gott bdquogesandtrdquo zu sein (Johannes 1244 173) und auch bdquoin die Welt gesandtrdquo (Johannes 317) Das landlaumlufige christliche Verstaumlndnis interpre-tiert diese Formulierung so dass Christus obwohl er schon immer und ewig Gott im Himmel war unlaumlngst als Mensch inkarniert wurde um die Erloumlsungsmission zu erfuumlllen Mit anderen Worten fuumlr den Trinitarier bedeutet die Redensart bdquovon Gott gesandtrdquo oder bdquoin die Welt gesandtrdquo dass Jesus aus einem anderen Reich physisch auf den Planeten Erde gereist sei1256 Christus ist jedoch nicht der einzige Mensch auf den im Neuen Testament diese Sendungs-Beschreibung angewendet

1253 Bultmann Rudolph Theology of the New Testament Vol 2 (Waco Baylor University Press 2007 [1951])

p 62 1254 Dunn Christology in the Making p 61 1255 Ebenso p 254 unsere Hinzufuumlgung 1256 Siehe Louis Rushmore ldquoCome Meet Jesus Christ as Pre-Incarnate Godrdquo Gospel Gazette Vol 8 No 6

2006 Web 23 September 2015 (Komm und begegne Jesus Christus bevor er der fleischgewordene Gott wurde)

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wird Johannes der Taumlufer liefert das Paradebeispiel bdquoEs kam ein von Gott gesandter Mann der hieszlig Johannesrdquo (Joh 16) Jesu Cousin wurde von Gott direkt fuumlr seinen Taufdienst beauftragt (Joh 133) Christus argumentiert sogar dass die Taufe des Johannes direkt bdquovom Himmelrdquo kam (Matt 2125) Sprachlich gesehen erlebten auch Mose (2 Mose 312) Jeremia (Jer 431) Paulus (2 Kor 217) und sogar der Engel Gabriel (Lukas 126) Gottes dynamische bdquoSendungrdquo ohne dass eine Inkar-nation vorangegangener Identitaumlten erforderlich gewesen waumlre Dennoch be-haupten die Dogmatiker dass der Mensch Jesus der bdquoin die Welt gesandtrdquo wurde eine solche vorgaumlngie Aktivitaumlt voraussetzte Wir finden Christus selbst der im Gebet zu Gott uumlber seine eigenen Juumlnger erklaumlrte dass bdquowie du mich in die Welt gesandt hast so habe ich sie in die Welt gesandtrdquo (Joh 1718) Das Wort bdquowierdquo sollte uns hier nicht entgehen so [aumlhnlich in gleicher Weise] wie Jesus gesandt wurde so wurden auch seine Juumlnger von ihm gesandt Dies geschieht durch Verordnung sicherlich nicht durch Inkarnation Die Redewendung bdquoin die Welt kommenrdquo scheint damals eine uumlberraschend aumlhnliche Bedeutung wie heute gehabt zu haben denn auch moderne Eltern sagen ihr Kind sei auf bdquodie Welt gekommenrdquo Den Juumlngern war klar dass bdquowir nichts in die Welt gebracht habenrdquo (1 Tim 67) Auch Jesus redete davon dass Muumltter bei der Geburt eines Kindes bdquoFreude erleben dass ein Mensch in die Welt geboren wurderdquo (Joh 1621) Dies laumlsst erkennen dass ein Groszligteil der biblischen Sprache nicht mehr metaphysische Konnotationen hatte als heute Wenn wir Jesus und seine Zeitgenossen wirklich verstehen wollen muumls-sen wir ihnen die Moumlglichkeit geben einfache Redewendungen zu gebrauchen

Da Jesus von Gott mit einer himmlischen Aufgabe betraut wurde (Apg 1731) koumlnnte man zu Recht Jesus auch bdquoden Menschen vom Himmelrdquo (1 Kor 1547) nen-nen und sogar bdquonicht von dieser Weltrdquo (Joh 1714) Da der Messias Gottes spaumlter seine eigenen Juumlnger ernannte koumlnnten auch sie auf diese Weise umschrieben werden Doch obwohl einige behaupten dass die Bezeichnung Christi bdquonicht von dieser Weltrdquo bedeute dass er tatsaumlchlich ein Wesen aus einem anderen Reich sei erklaumlrt Jesus lediglich bdquoIch habe ihnen dein Wort gegeben und die Welt hat sie gehasst weil sie nicht von der Welt sind wie ich nicht von der Welt binrdquo (Johannes 1714) Die Juumlnger wurden als bdquonicht von dieser Weltrdquo durch ihren himmlischen Herrn Jesus Christus gemacht dh sie hatten ihr Vertrauen in Gottes Wort und Glauben an die Frohe Botschaft Offensichtlich verlangen solche jenseitigen Beschreibungen die sowohl Christus auf sich als auch auf seine Nachfolger bezog keine buch-staumlbliche Prauml-Existenz und noch viel weniger eine Goumlttlichkeit In der Tat stellen wir fest dass wie Jesus bestaumltigte bdquovon Gottrdquo zu sein (Joh 842) der Apostel Jo-hannes in selbstbewusster Weise uumlber sich dasselbe sagt

Sie sind aus der Welt deswegen reden sie aus dem Geist der Welt und die Welt houmlrt sie Wir sind aus Gott wer Gott erkennt houmlrt uns (1 Johannes 45-6a)

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Damit kehren wir zu der von Jesus vorgebrachten Idee uumlber die Taufe des Johan-nes zuruumlck als er bestaumltigte dass bdquosie vom Himmel kamrdquo (Lukas 204) Dabei stellen wir fest dass innerhalb der juumldischen Weltanschauung Boten entweder als bdquovom Himmelrdquo oder bdquovon der Weltrdquo angesehen werden konnten In 1 Johannes 45-6 zeigt Johannes die Verwendung dieser metaphorischen Unterscheidung im Ge-gensatz zu Lehrern die entweder von Gott autorisiert oder nicht von Gott er-maumlchtigt dh unbefugt waren Jesus spiegelt diese Unterscheidung in Johannes 823 wider bdquoUnd er sagte zu ihnen (seinen Befragern im Tempel) Ihr seid von dem was unten ist ich bin von dem was oben ist ihr seid von dieser Welt ich bin nicht von dieser Weltrdquo Offensichtlich gab es bestimmte Personen die vom Himmel beauftragt waren sowie gewisse Leute die es nicht waren Es gab Dienste die mit irdischer Auto-ritaumlt betrieben wurden Sie standen den Diensten gegenuumlber die vom Himmel sanktioniert wurden bdquoUnd sie erstaunten sehr uumlber seine Lehre denn er lehrte sie wie einer der Vollmacht hat und nicht wie die Schriftgelehrtenrdquo (Markus 122) Sowohl Christus als auch seine Juumlnger waren in aumlhnlicher Weise von Gottes Recht auf Verkuumlndi-gung befaumlhigt Die Inspiration wurde als bdquojenseitigesrdquo Vorrecht anerkannt die-selbe himmlische Sprache wurde verwendet um nicht nur die Basis ihrer Macht sondern auch die daraus resultierende Glaubwuumlrdigkeit ihrer Person zu unter-mauern

Wenn man es Worten erlaubt ihre Bedeutung zu behalten muumlssen wir auch ar-gumentieren dass der Anspruch Christi von Gott gesandt zu sein bedeutet dass er nicht Gott ist sonst haumltte er sich selbst gesandt Indem Jesus sich selbst aber als Propheten bezeichnet (Lukas 424) erkennt er an dass er nicht in seinem ei-genen Namen handelt sondern im Namen eines anderen naumlmlich seines Gottes und Vaters Tatsaumlchlich lokalisiert er immer wieder die Urheberschaft seiner Tauml-tigkeit nicht in sich selbst sondern in einer anderen houmlheren Quelle Er bemuumlht sich auch wiederholt dies deutlich und klar zu machen bdquoDenn ich habe nicht aus mir selbst geredet sondern der Vater der mich gesandt hat er hat mir ein Gebot gegeben was ich sagen und was ich reden sollrdquo (Joh 1249) bdquoJesus sprach Meine Lehre ist nicht mein sondern dessen der mich gesandt hatrdquo (Joh 716) bdquoDie Worte die ich zu euch rede rede ich nicht von mir selbstrdquo (Joh 1410) bdquoich tue nichts von mir selbstrdquo (Joh 828) bdquoIch kann nichts von mir selbst tunrdquo (Joh 530) bdquoDer Sohn kann nichts von sich selbst tunrdquo (Joh 519) und so weiter in diesem Sinn Christus stellt sich dar als nicht gewillt und nicht befugt zu sein fuumlr jedes Vorhaben das seiner eigenen Willkuumlr oder seinen eige-nen Mitteln entstammt Das ist ein harter Einwand fuumlr einen dem man nachsagt bdquoganz Gottrdquo zu sein Der Einwand erscheint noch viel unertraumlglicher wenn man bedenkt dass Jesus immer wieder einen anderen Urheber auszligerhalb seiner selbst fuumlr seine Autoritaumlt und Mission praumlsentiert Wie Christus treu berichtet bdquoIch bin auch nicht von mir selbst gekommen sondern er [Gott der Vater] hat mich gesandtrdquo (Joh 842) Wir fragen uns uumlberhaupt wie Christus derselbe sein koumlnnte der ihn ge-

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sandt und bevollmaumlchtigt hat und wie er dann als dieser Gott seine eigene Macht-losigkeit und den inhaumlrenten Mangel an Autoritaumlt seinem Publikum gegenuumlber mit aller Ehrlichkeit weismachen will Haumltte Jesus wirklich beabsichtigt dass alle glauben er sei tatsaumlchlich Gott selbst wie haumltte er dann erwarten koumlnnen mit dieser Art von Instruktion und Predigt Erfolg zu haben Viel ansprechender ist die Schlussfolgerung dass Christus einfach meinte was er sagte Mit der Aussage bdquoGott hat mich gesandtrdquo wollte er nicht die Juden davon uumlberzeugen ein ewig exis-tierender Gott gewesen zu sein der auf wundersame Weise [aus der Ewigkeit] in ihre Gegenwart gekommen sei Er wollte schlicht und einfach beteuern ein goumltt-lich bevollmaumlchtigter Bote zu sein dessen Autoritaumlt vom angestammten Gott [der Juden] herruumlhrte

Wir muumlssen erkennen dass die weit verbreitete dogmatische Forderung nach universeller Akzeptanz der angeblichen Aussage Christi als klarer Anspruch auf persoumlnliche Praumlexistenz insbesondere auf Praumlexistenz als Gott selbst eine post-apostolische Entwicklung ist Wie es scheint haumltte Jesus selbst so einen Glauben von seinen ersten Nachfolgern nicht gefordert

Stattdessenhellip

sah sich Jesus selbst als Sprecher Gottes und als Botschafter der goumlttlichen Weisheit wie in Markus 937 und Lukas 731-35 erklaumlrt wird Auch wenn Jesus gelegentlich von sich selbst als bdquodem Sohn (Gottes)rdquo oder dem bdquogeliebten Sohn Gottesrdquo (Matthaumlus 1127 Markus 1332) sprach obwohl gerade dieser Punkt umstritten ist haumltte es aus dieser Feststellung [Kategorie] selbst keinen Anspruch auf Praumlexistenz gegeben Goumlttliche und intime Sohnschaft war be-reits einem messianischen Koumlnig und der gerechten Person in Is-rael zugeschrieben worden (Psalm 27 Jesaja 421 Weisheit 216-18) Jesus sprach von sich selbst als bdquodem Menschensohnrdquo Auch wenn er auf Daniel 713 anspielte kann dies nicht als Bestaumltigung einer Praumlexistenz verstanden werden Das Buch Daniel wurde of-fensichtlich verfasst als die Passage von Daniel 713 noch nicht als Rede von einem goumlttlichen Individuum ausgelegt wurde1257

Jesus foumlrderte zusammen mit den ersten Christen bereitwillig die geistliche Inspi-ration des Messias durch Gott blieb aber weit hinter einer physischen Inkarnation zuruumlck Dass Jesus in gewisser Weise auch die repraumlsentative Manifestation der Weisheit Gottes des Wortes Gottes oder der goumlttlichen Vernunft war wurde

1257 James Dunn Christ and the Spirit Collected Essays of James DG Dunn Vol 1 (Grand Rapids

Eerdmans 1998) p 37

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auch in der bdquonachoumlsterlichenrdquo Gemeinschaft gefeiert (Joh 11-14) Aber die spauml-tere christologische Verwandlung Jesu Christi vom Houmlhepunkt des verkoumlrperten Wortes Gottes und der Weisheit Gottes in eine zweite Goumlttliche Person einer Dreiheit geschah sicherlich nicht innerhalb der Apostolischen Kirche ebenso-wenig wie die Transformation dieser zweiten Person in einen Menschen Wie Dunn abschlieszligend feststellt gibt es trotz der Meinung spaumlterer Epochen kein wirkliches Gewicht hinter der Behauptung dass Jesus selbst an das bdquochristlicherdquo Dogma der Inkarnation geglaubte und es offen gelehrt haumltte

In den fruumlheren Schichten der Tradition Jesu gibt es substantielle Beweise dafuumlr dass Jesus den Anspruch erhoben hat mit goumlttlicher Inspiration und mit der Autoritaumlt [Gottes] zu sprechen gewisser-maszligen als der Vertreter Gottes Aber es gibt nichts um daraus die These abzuleiten und zu unterstuumltzen dass Jesus sich in gewissem Sinne als Gott als Inkarnation der Gottheit sah Es ist daher un-wahrscheinlich dass die Idee der Inkarnation Teil des fruumlhesten christlichen Glaubens war1258

VorAbrahamBei einem Streitgespraumlch mit seinen Gegnern ging es um die Vorrangstellung und die heilbringende Wirksamkeit der Blutsverwandtschaft der Juden mit Abraham Christus sagte zu ihnen bdquoWahrlich wahrlich ich sage euch Ehe Abraham war bin ichrdquo (Joh 858) Trinitarier erklaumlren oft dass die Existenz Christi bdquovorrdquo Abraham hier beweise dass er der Geburt Abrahams buchstaumlblich und bewusst um Milliarden von Jahren vorausgegangen sei und dass er der Schoumlpfer Abrahams war Doch der dogmatische Ruf nach einer Darstellung der woumlrtlichen Prauml-Existenz sollte auch hier im Lichte unserer Untersuchung widerlegt werden Woumlrtlich wird hier von Christus gesagt vor Abraham bdquogewesen zu seinrdquo doch die Frage ist offen in wel-chem Sinne [war er praumlsent] War er koumlrperlich da als eine wirkliche bewusste Person Oder war er im Geiste Gottes da in seinem Plan zur Erloumlsung der Menschheit quasi sbquoangedachtsbquo

Im Zusammenhang mit Johannes 8 deuten die Beweise auf eine Bestaumltigung der Vorrangstellung vor Abraham im grandiosen Schema der Geschichte Gottes hin nicht auf eine originale gefuumlhlte Realitaumlt Zwei Verse zuvor sagt Jesus bdquoAbraham euer Vater jubelte dass er meinen Tag sehen sollte und er sah ihn und freute sichrdquo (Joh 856 ) Diese Aussage Christi wurde dann von seinen Feinden dahingehend ver-standen dass Jesus waumlhnte persoumlnlich aumllter als Abraham zu sein bdquoDu bist noch nicht fuumlnfzig Jahre alt und hast Abraham gesehenrdquo (Joh 857) Auch heute noch wird

1258 Dunn Christ and the Spirit Vol 1 p 38 40 (Christus und der Geist)

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diese Aussage missverstaumlnden ein weiteres Beispiel fuumlr das bei Johannes verbrei-tete bdquoMissverstaumlndnis-Motivrdquo Jesus sagte nicht dass er selbst Abraham gesehen habe sondern dass Abraham bdquoseinen Tagrdquo gesehen habe Was war dieser bdquoTag Christirdquo von dem Abraham Zeuge war War Jesus buchstaumlblich lebendig vor dem gemeinsamen Ahnherrn des Judenvolkes

Das Neue Testament sagt uns dass Abraham die gute Botschaft zum Voraus verkuumln-digtrdquo wurde (Galater 38) und durch den Glauben wartete Abraham (Hebraumler 1110) auf den Tag [bdquoer schaute in die Zukunftrdquo] Er erwartete sehnlichst den Messias der die Verheiszligungen Gottes erfuumlllen wird indem er das Koumlnigreich Gottes aufbaut (Roumlmer 413) Dadurch wird klar dass der Kontext in Johannes 8 Gottes Plan in Bezug auf das Evangelium [die Frohe Botschaft] ist und in diesem Sinne ist Christus [der Messias] sicherlich [statusmaumlszligig] an erster Stelle [vor Ab-raham]

Es ist vernuumlnftig zu folgern dass die Existenz Christi [des Messias] welche Ab-raham chronologisch voranging hier Gottes Plan entsprach schlieszliglich wurde Abraham bdquozum Vater vieler Nationen gesetztrdquo waumlhrend er und Sarah noch unfrucht-bar waren (Roumlmer 417) Ebenso wurde Koumlnig Kyros sogar von Gott angespro-chen waumlhrend er erst in Gottes noch unerfuumlllter Absicht existierte (Jesaja 451-13) und Koumlnig David und der Prophet Jesaja sprachen von Christus als ob sie persoumlnlich seinen zukuumlnftigen Leidensweg gesehen hatten Uumlberdies stellten die eigenen Juumlnger Jesu die in den Prophezeiungen des Alten Testaments versiert waren den Messias kontinuierlich als vor der Gruumlndung der Welt vorhergesagt und vorherbestimmt [prophezeit] dar (1 Petrus 117-21) Sie sprachen sogar von sich selbst dass jeder von ihnen durch das Opfer Christi Gnade empfangen hat bevor die Welt begann (2 Tim 19) Es ist daher nicht unangemessen zu behaup-ten dass in Johannes 8 die Existenz des Messias vor Abraham in den zukuumlnftigen Absichten Gottes lag Viele Kommentatoren sowohl trinitarische als auch an-dere und aus allen Epochen der Religionswissenschaft sind zu diesem Schluss gelangt Selbst der beruumlhmte trinitarische Theologe Hugo Grotius betrachtete die Passage auf diese Weise und erklaumlrte dass die Sprache Christi einfach bdquodass sbquoJe-sus vor Abrahamrsquo im goumlttlichen Dekret warrdquo bedeutet1259 Ein Gelehrter fasst die Interpretation von Grotius zusammen

Es harmoniert mit dem Vorangegangenen Abraham freute sich oder wollte meinen Tag sehen und er sah ihn voraus und er war froh Denn bevor Abraham war bin ich - ich war - im goumlttlichen Sinn es war so bestimmt dass der Messias kommen wird Es war

1259 Samuel Bache Charles Clarke Examination of Objections Made to Unitarianism by the Rev JC

Miller (London Whitfield Strand 1854) p 29

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vor Abrahams Zeit in Gottes Plan oder zu seinem Zweck den Messias in die Welt einzufuumlhren1260

Der groszlige Reformator und trinitarische Theodore Beza folgte ebenfalls dieser Interpretation und sagte bdquoIch glaube nicht dass Christus hier von sich selbst als Gott spricht wie er von Abraham mit dem sbquoAuge des Glaubensrsquo gesehen wurde sonst haumltte er nicht vom Zweck [Gottes] gesprochenrdquo1261

Tatsaumlchlich finden wir im Kontext dass Jesus die gegen ihn eingestellten Juden angewiesen hatte auf seine Heilslehre zu achten darauf antworteten sie dass sie aufgrund ihrer angestammten Beziehungen zu Abraham keine Hilfe von ihm brauchten (Joh 831-40) Jesus antwortete also auf ihren Streitpunkt mit einem Vorranganspruch in Gottes Heilsplan fuumlr die Nation sogar vor ihrem Vater Ab-raham Die Absicht Christi ist hier seine Prioritaumlt als lang ersehnter Messias Aus-loumlser fuumlr Gottes Heilswerk absolut zu betonen

Als er sagte dass Abraham sich sogar auf ihn freute fuumlgte Jesus etwas raumltselhaft hinzu bdquoBevor Abraham war bin ichrdquo (Vers 58) Die Trinitarier waren uumlberzeugt dass ihn die Juden fuumlr diese Bemerkungen sofort zu steinigen versuchten Der Grund Christus behauptete nicht nur buchstaumlblich ihrem Urahnen vorausgegan-gen sondern Gott selbst zu sein Die Trinitarier hofften dies zu beweisen indem sie sich auf die mangelnde sichtbare Ablehnung ihres Verstaumlndnisses durch Chris-tus beriefen bdquoSie nahmen Steine auf um ihn zu steinigenrdquo sagen Trinitarier bdquound Jesus hat ihren Eindruck nicht einen Moment lang korrigiertrdquo1262 Im Wesentli-chen weil Jesus sie nicht gleich korrigierte wird angenommen dass er ihre An-sicht billigte Das Argument geht also zunaumlchst einmal davon aus dass sie ihn steinigen wollten weil er behauptete Gott zu sein Warum haumltten sie ihn nicht steinigen koumlnnen als er behauptete der Messias zu sein hatten sie doch ein be-stimmtes Gesetz unter ihnen das den Tod auch fuumlr einen solchen Anspruch vor-schrieb (Joh 197 Matt 2663) Haumltte er sie nicht auch so schon wuumltend machen koumlnnen indem er eine Vorrangstellung vor ihrem grossen Vorfahren [Abraham] beanspruchte Oder weil er behauptete dass sie sich fuumlr die Suumlndenvergebung an ihn wenden koumlnnen Erstens ist es in keiner Weise eindeutig dass sie ihn angeb-lich wegen des Anspruchs auf Goumlttlichkeit hinrichten wollten Zweitens abgese-hen davon dass es sich um ein bdquoArgument des Schweigensrdquo handelt vernachlaumls-sigt dieses Denken auch die Tatsache dass Jesus sein Publikum insbesondere seine antagonistischsten Kritiker immer wieder in ihrem Unwissen und Unver-staumlndnis straucheln laumlsst Zum Beispiel als Jesus sagte dass die Juden bdquosein Fleisch

1260 Joseph Barker Authentic Report of the Public Discussion Between Joseph Barker and William Cooke

(London J Barker 1845) p 443 1261 Bache Clarke p 29 1262 J C Miller (Trinitarian) zitiert in Bache Clarke p 29

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essen und sein Blut trinkenrdquo muumlssen reagierten seine Zuhoumlrer nicht nur verwirrt sondern empoumlrt

Die Juden stritten nun untereinander und sagten bdquoWie kann dieser uns sein Fleisch zu essen gebenrdquo Da sprach Jesus zu ihnen bdquoWahrlich wahr-lich ich sage euch Wenn ihr nicht das Fleisch des Sohnes des Menschen esst und sein Blut trinkt so habt ihr kein Leben in euch selbst denn mein Fleisch ist wahre Speise und mein Blut ist wahrer Trank rdquo Viele nun von seinen Juumlngern die es gehoumlrt hatten sprachen bdquoDiese Rede ist hart Wer kann sie houmlren Da aber Jesus bei sich selbst wusste dass seine Juumlnger hieruumlber murrten sprach er zu ihnen Aumlrgert euch diesrdquo (Johannes 651ff)

Die Juden nahmen ihn woumlrtlich und wurden deswegen nicht korrigiert Sogar seine eigenen Juumlnger konnten sich uumlber seine Reden nur wundern Das Motiv des staumlndigen Missverstaumlndnisses durch die Zuhoumlrer Christi waumlhrend des gesamten Johannes-Evangeliums und seine haumlufige Weigerung diesem Missverstaumlndnis di-rekt und sofort entgegenzuwirken muss hier beruumlcksichtigt werden Ein fertiges Bekenntnis Jesu uumlber seine angebliche Goumlttlichkeit waumlre weder von gewichtiger Bedeutung noch echt Diesbezuumlglich blieben die Lippen Jesu verschlossenen Aber ein weiterer Teil dieser Episode uumlber die Johannes berichtet faumlllt ins Ge-wicht und muss nun analysiert werden

DiebdquoIchbinrdquo-AussagenDas Argument fuumlr die woumlrtliche Prauml-Existenz Jesu bdquovor Abrahamrdquo in Joh 8 wird gemeinhin durch die Verwendung des Satzes bdquoIch binrdquo (griechisch ego eimi) durch Christus verstaumlrkt von dem die Trinitarier behaupten dass der bdquogoumlttliche Namerdquo des Gottes von Israel in 2 Mose 314 bdquoIch binrdquo lautet Die meisten Uumlbersetzungen geben diese Aussage auf diese Weise wieder bdquoGott sagte zu Mose Ich bin der ich bin Das sollst du den Israeliten sagen sbquoIch binrsquo hat mich zu euch gesandtrdquo (ELB) Auf den ersten Blick erscheint die Verbindung zwischen den beiden Texten plausibel aber wir werden in Kuumlrze sowohl die Unzulaumlnglichkeit als auch die tendenzioumlse Ver-wendung dieses Arguments beleuchten

Bei genauerer Betrachtung stellt der Gebrauch von bdquoIch binrdquo (ego eimi) durch Christus keinen kuumlhnen und schockierenden Anspruch dar der Gott Israels zu sein Die bdquoIch binrdquo-Aussagen Jesu in ihrem Kontext deuten lediglich darauf hin dass Jesus als Messias in Frage kommt Dieser griechische Ausdruck bdquoego eimirdquo ist in Wirklichkeit nur die uumlbliche Art und Weise wie sich viele Menschen im ge-samten Neuen Testament als Gespraumlchspartner identifizieren Jesu Gebrauch von bdquoIch binrdquo bezieht sich nicht unbedingt auf den goumlttlichen Namen Gottes Tatsaumlchlich ist die traditionelle Uumlbersetzung des Hebraumlischen in 2 Mose 314 als

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bdquoIch bin der ich binrdquo nicht die beste Uumlbersetzung Hebraumlisch bedeutet diese For-mulierung woumlrtlich bdquowerdenrdquo oder bdquoseinrdquo und wuumlrde besser wiedergegeben mit bdquoIch werde sein was (oder der) ich sein werderdquo1263 Daher entspricht der genaue [hebraumlische] Wortlaut nicht der bdquoIch binrdquo-Aussage Christi im Johannesevange-lium [die auf Griechisch aufgezeichnet ist] Sogar der trinitarische Gelehrte und entschiedene Gegner des Unitarismus Dr John Pye Smith schreibt

Einige vermuten dass unser Herr mit dem Ausdruck bdquoIch binrdquo eine Anspielung auf die goumlttliche Bezeichnung [auf dem Sinai] beabsich-tigte die Mose verkuumlndete bdquoIch bin das was ich binrdquo Aber es ist zu beachten dass die [hebraumlischen] Worte dieser Passage in der Zu-kunftsform sind bdquoIch werde das sein was ich sein werderdquo 2 Mose 314 und houmlchstwahrscheinlich war sie nicht als Name gedacht sondern als Erklaumlrung fuumlr die sichere Erfuumlllung aller Verheiszligungen Gottes insbesondere jener die sich auf die BefreiungErloumlsung der Israeliten bezogen Es gibt also keinen ausreichenden Grund um die Idee einer Anspielung [auf die Goumlttlichkeit] aufrechtzuerhal-ten1264

Dennoch behaupten moderne Trinitarier oft dass diejenigen in der Zuhoumlrer-schaft Christi einfach wussten dass die Verwendung der Worte bdquoego eimirdquo auf 2 Mose 314 zuruumlckgeht und somit offen einen Anspruch Jesu darstellt der Gott des Exodus zu sein Aber wenn dieser Topos zutraumlfe dann ergaumlbe sich im Neuen Testament ein ernsthaftes theologisches Problem da mehrere andere Persoumlnlich-keiten die gleiche Phrase verwenden um sich selbst zu beschreiben

- Judas Ischariot bdquoego eimirdquo ἐγώ εἰμι (Matthaumlus 2625)

- Der Blinde bdquoego eimirdquo ἐγώ εἰμι (Johannes 99)

- Paulus von Tarsus bdquoego eimirdquo ἐγώ εἰμι (1 Timotheus 115)

- Johannes der Taumlufer bdquoego eimirdquo ἐγώ εἰμι (Johannes 127)

Obwohl diese Bibelzitate mit der Aussage Christi buchstaumlblich identisch sind ar-gumentiert niemand dass diese Maumlnner die Stelle aus 2 Mose 314 zitiert ge-schweige denn behauptet haumltten Gott zu sein Die Wahrheit ist dass ego eimi keine Art bdquogoumlttlicher Namerdquo ist es ist einfach das Griechische fuumlr bdquoIch bin errdquo oder

1263 Auf Hebraumlisch steht bdquoehyeh asher ehyehrdquo Diese Phrase bezieht sich auf den hebraumlischen Namen

Gottes JHWH der sich aus dem Verb HAYAH ableitet um zu sein Waumlhrend die traditionelle Wiedergabe oft bevorzugt wird liefern viele moderne englischsprachige Ausgaben wie die ESV und AMP die richtige Uumlbersetzung bdquo Ich werde sein was ich sein werderdquo in ihrer Fuszlignote zu 2 Mose 314

1264 John Pye Smith Scripture Testimony to the Messiah Vol II (Edinburgh London Hamilton amp Co Jackson amp Walford 1759) p 161 (Zeugnisse der Schrift uumlber den Messias)

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bdquoIch bin der Menschrdquo oder bdquoIch bin derjenige uumlber den du sprichstder Betref-fenderdquo Tatsaumlchlich ist in der in Johannes 858 gefundenen Struktur das griechi-sche Pronomen bdquoautosrdquo (er) obwohl nicht angegeben so doch impliziert Zum Beispiel suchten die Menschen in Johannes 99 nach dem Blinden den Jesus ge-heilt hatte und als sie ihn fanden sagten einige bdquoDas ist er andere sagten er ist ihm aumlhnlich aber er sagte Ich bin esrdquo (ELB) oder bdquoich bin es erklaumlrte der Mann selbstrdquo (NGUuml) Weder die Worte bdquoeresrdquo noch bdquoder Mannrdquo sind im Text enthal-ten aber die Uumlbersetzer haben verstanden was durch die Verwendung des einfa-chen Satzes bdquoego eimirdquo (ich bin) impliziert ist Trinitarische Uumlbersetzer sind diesem Vorbild sogar mit anderen Ausspruumlchen Jesu gefolgt wie in Johannes 824 bdquoGlaubt an mich als den der ich bin wenn nicht werdet ihr in euren Suumlnden sterbenrdquo (NGUuml) und bdquoWenn ihr nicht glaubt dass ich wirklich bin der ich bin gibt es keine Rettung fuumlr euchrdquo (HFA) Aber wenn die gleiche Sprache in Johannes 858 erscheint wechselt ihre Uumlbersetzungspraxis zu bdquoIch binrdquo und bdquoIch bin esrdquo Das normalerweise einge-fuumlgte Pronomen bdquoerrdquo wird fallen gelassen offensichtlich in der Hoffnung eine Verbindung mit der unzulaumlnglichen traditionellen Uumlbersetzung von 2 Mose 314 herzustellen

Johannes zeigte schon fruumlh in seinem Evangelium was es bedeutet wenn Jesus bdquoego eimirdquo benutzt In Johannes 425 sagt die Samariterin zu Jesus bdquo Ich weiszlig dass der Messias kommt den man Christus nennt wenn der kommt wird er uns uumlber alles Aus-kunft gebenrdquo Jesus antwortet ihr bdquoIch der zu dir spricht bin eresrdquo Die Antwort Jesu die hier in griechischer Sprache aufgezeichnet ist lautet bdquoego eimirdquo - und be-deutet bdquoIch bin der Messias von demmit dem du sprichstrdquo Dieses erste Auftreten der Phrase hilft uns zu verstehen was damit in den folgenden Abschnitten gemeint ist Wir muumlssen bedenken dass die Identifikation Jesu als Messias der erklaumlrte Zweck von Johannes beim Schreiben seines Evangeliums ist (Joh 2031) keines-falls die Darstellung als der alleinige Gott

Wenn im Uumlbrigen behauptet wird dass der Gebrauch von bdquoego eimirdquo durch Chris-tus wirklich bdquoIch bin der allmaumlchtige Gottrdquo bedeute droht der ganzen Text in eine seltsame Verwirrung zu stuumlrzen die ans Absurde grenzt bdquoDa fuhr nun Jesus fort Wenn ihr den Menschensohn erhoumlht haben werdet dann werdet ihr erkennen dass ich es bin und dass ich nichts von mir selbst aus tue sondern so rede wie der Vater mich gelehrt hatrdquo (Joh 828) Ein Bibelwissenschaftler schreibt bdquoEs ist unertraumlglich dass Jesus sbquoWorte in den Mund gelegt werden wonach er gesagt haben soll sbquoIch bin Gott der Houmlchste Gott des Alten Testaments und als Gott tue ich was mir gesagt wirdrsquo rdquo1265

Uumlberdies haumltte Christus wirklich 2 Mose 314 zitieren wollen wuumlrde er wahr-scheinlich gesagt haben Denn bdquoego eimi ho onrdquo ist die griechische Wiedergabe

1265 C K Barrett Essays on John (Philadelphia Westminster 1982) p 9 cf p 32 (Aufsaumltze uumlber Johannes)

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dieses Verses wie die Septuaginta (LXX) beweist das griechische Alte Testament das zu Christi Zeiten verfuumlgbar war aus dem er wiederholt zitierte1266 Die Septu-aginta gibt den Satz wieder bdquoἐγώ εἰμι ὁ ὤνrdquo (ego eimi ho on) was bedeutet bdquoIch bin der Selbstexistierenderdquo oder bdquoIch bin Er Der Istrdquo oder bdquoIch bin Das Eine Wesenrdquo1267 In der Septuaginta liest sich der Satz wie folgt (unsere Uumlbersetzung auf Deutsch)

Und Gott sprach zu Mose Ich bin derjenige der [ἐγώ εἰμι ὁ ὤν] ist Und er sprach So wirst du zu den Soumlhnen Israels sagen Derjenige der ist [ὁ ὤν] hat mich zu dir geschickt (Exodus 314 LXX)

Hier nennt sich Gott eindeutig nicht bdquoIch binrdquo sondern bdquodas existierende We-senrdquo Auch Brentons Septuaginta-Uumlbersetzung auf Englisch ist in dieser Hinsicht hilfreich

Und Gott sprach zu Mose bdquoIch bin der DER DA IST [ho ōn] und er sprach So sollst du zu den Kindern Israel sagen Er DER DA IST [ho ōn] hat mich zu dir geschicktrdquo (2 Mose 324 LXX Brenton uUuml)

Zu beachten ist was Brenton in Groszligbuchstaben geschrieben hat Was als Gottes bdquoNamerdquo bezeichnet werden koumlnnte ist das bdquoho ōnrdquo-Segment da das bdquoego eimirdquo der praumldiktive Identifikator ist Von einem Mann namens Thomas (als Beispiel) wird erwartet dass er bdquoego eimi Thomasrdquo sagt und niemand wuumlrde denken dass bdquoego eimirdquo sich auf irgendeinen anderen Name bezieht

- Daruumlber hinaus finden wir in den Werken anderer griechischspra-chiger Juden die um die Zeit Jesu herum lebten die gleiche Form wenn sie 2 Mose 314 zitieren sie zeigen offensichtlich ein Ver-staumlndnis dafuumlr dass Gottes Name oder Titel nicht der Teil von bdquoego eimirdquo ist sondern von bdquoho onrdquo Man beachte wie der Jude Philon (gest 50 n Chr) in seinem Werk bdquoUumlber das Leben Mosisrdquo den bdquoTitelrdquo gibt und sogar Gott durch verschiedene Variationen (u Uuml) von bdquoho onrdquo benennt

- ho Ōn bdquoEr der istrdquo (Philo Uumlber das Leben Mosis I 75)

- to Ōn bdquodas Wesen das istrdquo (Philo Uumlber das Leben Mosis II 67)

- tou Ontos bdquovon Ihm der istrdquo (Uumlber das Leben Mosis II 99)

1266 Es besteht kein Zweifel dass die Septuaginta (LXX) die Bibel der Zeit Jesu war Die protestantischen

Wissenschaftler Archer und Chirichigno listen 340 Stellen auf an denen das Neue Testament die Sep-tuaginta zitiert im Gegensatz zu nur 33 Zitaten aus hebraumlischen Texten (G Archer G C Chirichigno Old Testament Quotations in the New Testament A Complete Survey (Chicago Moody Press 1983) pp 25-32)

1267 L Perkins A New English Translation of the Septuagint Electronic Edition online verfuumlgbar httpccatsasupennedunetsedition Griechisch ho on wurde auch schon als bdquodas Wesenrdquo uumlber-setzt Septuaginta Version des AT mit einer Englisch-Uumlbersetzung (London Samuel Bagster and Sons 1879) p 73ff

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- tou Ontos bdquovon Selbst-Existierendenrdquo (Uumlber das Leben Mosis II 132)

- to Ōn bdquoder Selbst-Existierenderdquo (Uumlber das Leben Mosis II 161)

Der bekannte F F Bruce schreibt Waumlre in der vorliegenden Passage (Joh 858) ein direkter Bezug auf 2 Mose 314 beabsichtigt gewesen haumltte man eher ho on als ego eimi erwartetrdquo1268 Es ist falsch auf einer Interpretation des bdquoego eimirdquo als Zitat aus 2 Mose 314 oder als offenen Anspruch auf Goumlttlichkeit zu bestehen Sollte Jesus versucht haben sich selbst als den Gott des Exodus zu bezeichnen dann haumltte er einfach sagen koumlnnen bdquoIch bin GOTTrdquo Weit davon entfernt an-statt sich als bdquoselbstexistierendrdquo zu bezeichnen begnuumlgte sich Jesus damit sich persoumlnlich als einen Menschen darzustellen dessen Existenz vollstaumlndig auf einer anderen Quelle beruht bdquoIch lebe um des Vaters willenrdquo (Joh 657) Letztendlich of-fenbart der weitreichende Streit um das bdquoego eimirdquo den sehnlichen Wunsch den Jesus zu finden der im Neuen Testament woumlrtliche Prauml-Existenz und Goumlttlich-keit beansprucht Dieses Dogma wird so sehr angestrebt dass Apologeten die Worte Christi kaum begreifen und dann aber [was da steht] radikal missbrauchen Die einfache Botschaft des Neuen Testaments dass Jesus der Messias ist der Sohn Gottes Diese Botschaft wird durch diese volkstuumlmliche aber theologisch houmlchst problematische Interpretation grundlegend beeintraumlchtigt

Zusammenfassend sollten wir auf eine vernuumlnftigere Analyse von James Dunn zuruumlckgreifen der zugibt keine biblischen Beweise fuumlr die Behauptung zu entde-cken dass entweder Christus oder seine Apostel die Lehren der Prauml-Existenz oder der Inkarnation Jesu gefoumlrdert haben

Es gibt keinen Gedanken in irgendeinem der Abschnitte die wir studiert haben uumlber Jesus der vor seiner Geburt existierte ob als En-gel oder Erzengel als ein Geist(-wesen) oder als Geist Es gibt kei-nerlei Gedanken an Jesus auf Erden als die Inkarnation eines Engels oder Erzengels eines Geistes oder des Geistes1269

Hier muumlssen wir noch einmal betonen dass alle Juden von der Antike bis heute auf das Kommen eines gesalbten Menschen gewartet haben nicht eines Engels geschweige denn Gottes verkoumlrpert in menschlicher Gestalt Die Urspruumlnge des Messias als Mann aus Israel wurden eindeutig prophezeit bdquoEinen Propheten wie mich wird dir der HERR dein Gott aus deiner Mitte aus deinen Bruumldern erstehen lassen Auf ihn sollt ihr houmlrenrdquo (5 Mose 1815) Es gibt nirgendwo im Neuen Testament den ausdruumlcklichen und umfassenden Beweis der erforderlich waumlre um dieses leben-

1268 F F Bruce The Gospel of John (Grand Rapids Eerdmans 1983) p 193 1269 Dunn Christology in the Making p 159 (die Entwicklung der Christologie)

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dige Bild aus dem juumldischen Geist zu entfernen Wir werden Dunn daher erlau-ben dieses Kapitel mit einer bewegenden und schluumlssigen Beobachtung in dieser Richtung zu beenden

In den fruumlhen Phasen dieser Entwicklung [der Zeit der ersten Schriften des Neuen Testaments] waumlre es unrichtig zu sagen dass Christus als ein bereits existierendes inkarniertes Wesen verstanden wurde oder dass Christus angesehen wurde als anwesend bei und aktiv beteiligt an der Schoumlpfung Es gibt keinen Hinweis darauf dass Jesus von sich selbst dachte oder sprach dass er vor seiner Ge-burt oder vor seinem Auftreten auf Erden bei Gott bereits existiert haumltte1270

1270 Ebenso S 211 254 unsere Hinzufuumlgung

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DerSohnGottes

bdquoIch sagte sbquoIch bin Gottes Sohnrsquo rdquo mdash Jesus (Johannes 1036)

bdquoDenn er sagte sbquoIch bin der Sohn Gottesrsquo rdquo

mdash die Juden (Matthaumlus 2743)

THANASIUS UND SEINE PARTEI setzten waumlhrend den nicaumlnischen Querelen mit viel Aufwand die Schriftstelle in Johannes 1030 ein um ihr homoousianisches Dogma zu beweisen Dieser Vers beschreibt eine Aus-

einandersetzung zwischen Jesus und den Juden anlaumlsslich welcher Jesus sagte bdquoIch und der Vater sind einsrdquo Dieser Text wird auch heute noch oft von Christen zitiert die zeigen wollen dass Jesus eine und dieselbe Essenz oder die gleiche Substanz mit dem Vater teilt Allerdings wird diese exegetische Bedeutung hier nicht ge-fordert und die Behauptung erweist sich zudem im Lichte von Christi Unterord-nung und Unterwerfung unter Gott als immer problematischer

Wie wir bereits gesehen haben geben einige moderne trinitarische Kommenta-toren trotz der langandauernden Verwendung von Johannes 1030 in den Dis-kussionen um die Dreifaltigkeit zu dass diese Passage einfach eine Einigkeit der Zielsetzung zwischen Jesus und dem Vater widerspiegelt Es geht nicht um das Wesen die Substanz oder das Sein

A

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Somit steht diese Interpretation im Einklang mit der konsequenten Demonstra-tion des Evangeliums der EinheitEinigkeit von Willen und Funktion des Sohnes mit dem Vater1271 Kommentatoren erinnern uns daran dass

eine Einheit der Gemeinschaft des Willens und der Absicht zwi-schen dem Vater und dem Sohn ein haumlufiges Thema im Vierten Evangelium ist (vgl Joh 518-19 14923 und 171122) Es kommt hier treffend und kraftvoll zum Ausdruck aber die Worte so zu druumlcken und zu zwingen dass sie auf die Identitaumlt von bdquoousiardquo oder bdquoEssenzrdquo hinweisen bedeutet Gedanken einzubringen die den Theologen des ersten Jahrhunderts nicht gegenwaumlrtig waren1272

Waumlhrend die esoterische Anwendung der patristischen Kommentatoren in der volkstuumlmlichen Apologetik bei vielen auch heute noch sehr beliebt ist darf die Sehnsucht nach dem Obskuren [dem Mystischen] die Absichten Christi nicht be-eintraumlchtigen In den Versen 26-30 sehen wir dass Jesus seine Juumlnger mit Schafen verglich die Gott unter seine Aufsicht gestellt hatte bdquoNiemand wird sie aus meiner Hand reiszligen Mein Vater der sie mir gegeben hat ist groumlszliger als alle und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters reissen Ich und der Vater sind einsrdquo Sowohl Christus als auch sein Vater werden hier gezeigt dass sie fuumlr den Schutz der Schafe verant-wortlich sind sie sind in diesem gemeinsamen Ziel vollkommen einig1273

An anderer Stelle beschreibt Jesus mit derselben Wortwahl die Beziehung der Kirche zu sich selbst und zu Gott und betet dass bdquo sie alle eins seien gleichwie du Vater in mir und ich in dir auf dass auch sie in uns eins seien damit die Welt glaube dass du mich gesandt hastrdquo (Joh 1721) Christus bittet auch seine Juumlnger bdquoeins zu sein wie wir eins sindrdquo (Vers 22) und daruumlber hinaus dass sie auch bdquoeins seienrdquo mit Jesus und seinem Vater (Vers 23) Das erklaumlrte gemeinsame Ziel ist natuumlrlich die Verbrei-tung der Botschaft der Kirche oder bdquodamit die Welt glaubt dass du mich gesandt hastrdquo (Vers 21) Die gleiche Bildsprache wird auch von Paulus verwendet um die Be-ziehung zwischen ihm als Gruumlnder einer bestimmten Gemeinde und Apollos als Pfleger dieser Gemeinde zu beschreiben bdquoDer aber welcher pflanzt und der welcher begieszligt sind einsrdquo (1 Korinther 38) Es gibt also keinen Hinweis darauf dass die-selbe Wortwahl in Johannes 1030 eine Einheit von Substanz oder Sein impliziert

1271 R V G Tasker Tyndale NT Commentaries John (Grand Rapids Eerdmans 1975) p 136 J N

Sanders B A Mastin The Gospel According to John (London Randomhouse Publishers 1968) p 258 J H Bernard A Critical and Exegetical Commentary on the Gospel According to St John (Edin-burgh T amp T Clark 1928) pp 365-366 Karl Josef Kuschel Born Before All Time p 170

1272 Bernard pp 365-366 1273 Sogar der Reformator Jean Calvin erkannte dass bdquodie sbquoAumlltestenrsquo [Johannes 1030] falsch angewendet

haben um zu beweisen dass Christus von der gleichen Essenz wie der Vater ist Denn Christus diskutiert nicht uumlber die Einheit der Substanz sondern uumlber die Uumlbereinstimmung die er mit dem Vater hatrdquo (Jean Calvin Commentary on John John 1030) (Kommentar zu Johannes 1030)

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Diese Implikation waumlre eine durch und durch griechisch-metaphysische Vorstel-lung und weit weg vom Denken Jesu sowie von seiner juumldischen Zuhoumlrerschaft sowie von seinen unmittelbaren juumldischen Geschichtsschreibern [den Aposteln]

Experten unterschiedlicher Herkunft und aus anderen Epochen sind sich in die-sem Punkt einig auch wenn es in vergangenen oder modernen Zeiten viel Wirbel um das Thema gegeben haben mag Die Worte mit denen Christus seine [innige] Beziehung zum Vater beschreibt sind im christologischen Sinne leicht verstaumlnd-lich

Mit bdquoeinsrdquo wird das neutrale griechische bdquohenrdquo uumlbersetzt Dieser Vers wurde im Arianischen Streit von den Orthodoxen zur Unter-stuumltzung ihrer Lehre dass Christus mit dem Vater eine Substanz habe des Oumlfteren zitiert Der Ausdruck scheint jedoch auf die Hauptsache hinzudeuten dass der Vater und der Sohn im Willen und im Zweck vereint sind Jesus betet in Johannes 1711 dass seine Juumlnger alle eins seien (hen) dh ein einheitliches Ziel vor Au-gen haben wie er und sein Vater eins sind1274

Dass der Sohn und der Vater eins sind (hen) woumlrtlich einig in einer Sache wird nicht als metaphysische Behauptung angeboten son-dern einfach als Erklaumlrung warum ein Angriff auf den Sohn auch ein Angriff auf den Vater ist und daher a priori zum Scheitern ver-urteilt ist1275

Wie die Geschichte zeigt haben Trinitarier vielleicht aus Angst vor dem Sabelli-anismus schnell darauf hingewiesen dass das griechische Wort fuumlr bdquoeinsrdquo nicht bdquoheisrdquo ist Heis wuumlrde bedeuten dass der Vater und der Sohn bdquoeine Personrdquo sind Interessanterweise ist heis das Wort mit dem Jesus [den einen] Gott in Markus 1229 beschreibt Gott ist bdquoheisrdquo (masculin und in der Einzahl) eine Person

Das Aufspuumlren komplexer trinitarischer Theologie innerhalb der philosophisch anspruchslosen Aussagen Christi in Johannes 1030 sollte im Hinblick auf die sprachlichen und kontextuellen Beweise nicht als bloszlige Spekulation abgetan wer-den Als Studenten der Heiligen Schrift muumlssen wir stets darauf achten einen gesunden Respekt vor dem Kontext zu bewahren und noch mehr darauf dass wir keine anachronistischen Kontroversen inmitten der Worte Jesu heraufbe-schwoumlren

1274 Tasker John 1960 p 136 1275 Sanders Mastin Blackrsquos New Testament Commentaries The Gospel According to Saint John p 258

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bdquoSohnGottesrdquooderbdquoGottderSohnrdquoIn der gleichen Weise wie viele heute noch die Worte Christi missverstehen oder gar missbrauchen so haben manche in seinem feindlich gesinnten juumldischen Publikum blind vor Intoleranz seine Absichten auch nicht gesehen Nach Jesu Erklaumlrung seiner Einigkeit mit Gott in Johannes 1030 berichtet Vers 33 wie ei-nige der Juden versuchten Jesus zu steinigen bdquo weil du ein Mensch bist und machst dich selbst zu Gottrdquo Hier finden wir eine der meistzitierten Passagen die den An-spruch Jesu auf seine Goumlttlichkeit beweisen soll Aber das Argument basiert hier auf dem Zeugnis der Feinde Christi Sie sind eine wenig vertrauensunwuumlrdige Quelle Sie waren die Leute zu denen Christus bereits gesagt hatte bdquoIhr versteht meine Rede nichtrdquo (Johannes 843)

Wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln erwaumlhnt ist das Missverstehen von Jesus ein wiederkehrendes Hauptthema des Johannesevangeliums Episoden welche Fehlinterpretation von Jesu Aussagen durch seine Zuhoumlrerschaft beinhal-ten kommen in mindestens fuumlnfzehn der einundzwanzig Kapitel vor1276 Sowohl seine Gegner als auch die Juumlnger Christi verfehlten laufend seine Aussagen und waumlhrend Jesus diese Fehler manchmal korrigierte klaumlrte er viele seiner widerwaumlr-tigsten Kritiker uumlber den wahren Sinn seiner Aussagen absichtlich nicht auf Die Juumlnger die ihn liebten durften ihn jedoch oft [auch nicht immer] verstehen bdquoEuch ist es gegeben zu wissen die Geheimnisse des Himmelreichs diesen aber ist es nicht gegebenrdquo (Matthaumlus 1311) Interessanterweise verewigen viele der Zuhoumlrer Christi heute nicht nur dieses Versaumlumnis die wahre Bedeutung seiner Wahrspruumlche zu erfassen sondern wiederholen sogar die Einwendungen seiner Gegner der Ver-gangenheit Einige von Jesu Widersachern nahmen an dass er in Johannes 1030-33 behauptete (in gewissem Sinne) Gott zu sein oder zumindest mit Gottes Au-toritaumlt zu agieren Das allgemeine christliche Dogma hat diese Behauptung [viel-leicht in einem anderen Sinn] lautstark aufgegriffen Doch da wir wissen wie oft die Pharisaumler ihn falsch interpretierten muumlssen wir uns fragen ob diese [gegneri-schen] Zeugen wirklich die beste und zuverlaumlssigste Quelle fuumlr eine zutreffende theologische Auslegung der Lehren dieses Mannes sind Die Menge hatte ihn ja schon missverstanden und gemeint er erhebe Anspruch auf Goumlttlichkeit oder auf eine woumlrtliche Prauml-Existenz als er sagte bdquoEhe Abraham war bin ichrdquo (Johan-nes 858) Jesus ging davon aus dass sie absichtlich schwerhoumlrig waren bdquoWarum versteht ihr denn nicht was ich sage Weil ihr unfaumlhig seid mein Wort aufzunehmen hellip Wer Gott zum Vater hat houmlrt was Gott sagt Aber ihr houmlrt es nicht weil ihr ihn nicht zum Vater habtrdquo (Johannes 843a47b)

1276 Siehe Johannes 219-22 34-13 431-34 651-6171 733-36 818-1921-222733-3438-4451-5256-

58 939-41 101-626-36 1111-14 1123-25 121632-3440 136-1227-2933-37 142-57-11 1616-18 1625-29 209 2122-23 Siehe auch Matthaumlus 1310-17 1334-36 1511-20 165-12 2746-47 Markus 410-1333-34 Lukas 250 945 1834 Siehe auch Spruumlche 285 Jesaja 69

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Jesus antwortete ihnen Steht nicht in eurem Gesetz geschrieben bdquoIch habe gesagt Ihr seid Goumltterrdquo Wenn er jene Goumltter nannte an die das Wort Gottes erging - und die Schrift kann nicht aufgeloumlst werden - sagt ihr von dem den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat Du laumlsterst weil ich sagte Ich bin Gottes Sohnrdquo (Johannes 1034-36)

Wie brillant Jesus war zeigt sich in dieser eher zuruumlckhaltenden aber nichtsdes-toweniger stichhaltigen Widerlegung Christus zeigte in sachkundiger Weise dass in ihren eigenen Schriften die menschlichen Propheten und Richter Israels wie auch Mose (2 Mose 71) aufgrund ihres Empfangs der autoritativen Inspiration der Gottheit sogar als bdquoGottrdquo bezeichnet werden durften Wenn solche hohen Bezeichnungen fuumlr sie angemessen waumlren dann sollte Jesus der von Gott als Messias ausgewaumlhlt und damit [statusmaumlszligig] noch houmlher als Mose einzustufen war doch die Bezeichnung bdquoSohn Gottesrdquo genieszligen duumlrfen zudem implizierte dieser Titel seine eigene Abhaumlngigkeit [von Gott] Obwohl er den nachweislich angemessenen Titel bdquoGottrdquo fuumlr sich haumltte annehmen koumlnnen hat Jesus ihre An-schuldigung klugerweise zunichte gemacht indem er bewusst auf diesen grandi-osen Titel fuumlr sich selbst verzichtete und stattdessen seinen konsequenten An-spruch Gottes geliebter Sohn zu sein betonte

Es muss erneut darauf hingewiesen werden dass das Johannesevangelium eine Vielzahl von Episoden aufzeichnet in denen das Missverstaumlndnis der Feinde Christi offen zutage tritt Am Ende der Erzaumlhlung scheinen einige wenige unter ihnen seine Absichten erfasst zu haben Sie revidierten ihre Wahrnehmung des Anspruchs Jesu auf Goumlttlichkeit oder zumindest behaupteten sie nicht mehr dass er sich auf die gleiche Ebene wie die Gottheit selbst gestellt haumltte Als sich der Jesus-Zwischenfall in Jerusalem zuspitzte wurde bei seiner schicksalhaften Ge-richtsverhandlung die letzte Anklage gegen ihn erhoben bdquoBist du der Christus [der Messias der Gesalbte] der Sohn des Hochgelobtenrdquo (Markus 1461b ELB) Matthaumlus zeichnet es so auf bdquoUnd der Hohepriester sagte zu ihm Ich beschwoumlre dich bei dem leben-digen Gott dass du uns sagst ob du der Christus bist der Sohn Gottesrdquo (Matthaumlus 2663) Offensichtlich wurde ihm nicht vorgeworfen Jahwe zu sein der lebendige und gesegnete Gott selbst sondern er mache sich selbst zum Sohn Gottes Als Jesus beschuldigt wurde zuvor behauptet zu haben Gott zu sein hatte er ihre Auffas-sung nicht auf sich sitzen lassen sondern sie korrigiert (Johannes 1036) Nicht so bei dieser Verhandlung bei der Jesus beschuldigt wird behauptet zu haben der Sohn des Gottes ihrer Stammvaumlter zu sein Da antwortete er sofort mit Ja bdquoIch bin es und ihr werdet den Menschensohn zur rechten Hand der Macht sitzen sehenrdquo (Markus 1462a) Bei dieser verbalen Verifizierung [von Jesu Aussage] bdquozerriss der Hohepriester seine Kleider und sagte Er hat Blasphemie gesprochen Was brauchen wir noch mehr an Zeugenrdquo (Matthaumlus 3665) Er sollte also klar nicht mehr aufgrund der urspruumlnglichen Blasphemie verurteilt werden diese lautete dass er behauptet

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habe mit dem einen Gott identisch zu sein Dies wurde bei seiner Verhandlung vor Pilatus deutlich Der Roumlmer hatte keine Schuld in ihm gefunden aber die juumldischen Fuumlhrer beharrten darauf bdquoSie antworteten ihm Wir haben ein Gesetz und nach dem Gesetz muss er sterben weil er sich selbst zu Gottes Sohn gemacht hatrdquo (Johannes 197) Offensichtlich war jeder zuvor angeblich wahrgenommene Anspruch Jesu Jahwe zu sein aus dem Konsens seiner Feinde verschwunden der Vorwurf aumln-derte sich in einen Anspruch auf die Sohnschaft eine Beziehung von engster Ver-trautheit und houmlchsten Ranges mit dem Schoumlpfer Tatsaumlchlich hatte Jesus selbst seine Gegner vorher oumlffentlich zurechtgewiesen bdquoIch sagte Ich bin Gottes Sohnrdquo (Johannes 1036) Selbst waumlhrend der Vollstreckung seiner schrecklichen Strafe wurde die Begruumlndung fuumlr die er hingerichtet wurde von seinen Feinden genau wiederholt bdquoEr vertraute auf Gott der rette ihn jetzt wenn er ihn liebt denn er [Jesus] sagte Ich bin Gottes Sohnrdquo (Matthaumlus 2743) Die Juden die seine Hinrichtung forderten hielten nicht mehr am fruumlher erhobenen Vorwurf fest naumlmlich an der Behaup-tung mit Gott identisch zu sein sie klagten ihn nun an sich selbst fuumlr einen Menschen zu halten der in einer enorm engen Beziehung zum Goumlttlichen stand Als bei seinem dramatischen Hinschied die Erde bebte bezeugte dieses ausser-ordentliche Zeichen den von Jesus so oft erhobenen Anspruch bdquoWahrhaftig dieser Mensch war Gottes Sohnrdquo (Markus 1539)

Wenn dies tatsaumlchlich die praumlzise Aussage Jesu war was bedeutet uumlberhaupt bdquoSohn Gottesrdquo Bedeutet es wirklich bdquoGottrdquo wie es einige moderne religioumlse Wortfuumlhrer behaupten Was war die Bedeutung fuumlr die Juden Jesu haumlufige Ver-wendung dieses Titels in seinem juumldischen Umfeld des ersten Jahrhunderts muss nun eroumlrtert werden Wie die Religionswissenschaftler fordern bdquoEs ist offensicht-lich dass die von Jesus verwendeten messianischen Begriffe im Alten Testament und in der spaumlteren juumldischen Literatur zu finden sind und dort muumlssen sie selbst-verstaumlndlich in ihrem Kontext analysiert werdenrdquo1277

Die heutigen Verfechter der Trinitaumltsdoktrin repraumlsentieren den bdquoSohn Gottesrdquo bedingungslos als ewig prauml-existierende Gott-der-Sohn-Figur des post-nicaumlni-schen Christentums Tatsaumlchlich scheint die Ausuumlbung der kirchlichen Tradition die Augen vieler Studenten wirksam bdquopolarisiertrdquo zu haben so dass sie wenn sie die Beteuerung Christi lesen bdquoIch bin der Sohn Gottesrdquo (Johannes 1036) sie instink-tiv bdquoIch bin Gottrdquo oder bdquoIch bin Gott-der-Sohnrdquo [das zweite Gott-Wesen] den-ken Wie eine Quelle der trinitarischen Apologetik mit Nachdruck argumentiert bdquoJesus als Sohn Gottes zu bezeichnen bedeutet dass Jesus Gott ist der Begriff

1277 H Riesenfeld ldquoThe Mythological Background of New Testament Christologyrdquo The Background of

the New Testament and Its Eschatology (Cambridge CUP 1956) p 91 (Der Mythologische Hinter-grund des Neuen Testaments und seiner Eschatologie)

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Sohn Gottes bedeutet dass Jesus Gott im Fleisch istrdquo1278 Aber ist diese Behaup-tung korrekt In diesem Argument des Apologeten laumlsst sich keine umsichtige Beruumlcksichtigung der Religionsgeschichte erkennen Ein etwas vernuumlnftigerer anglikanischer Gelehrter erkennt richtig an dass bdquodas Neue Testament nie sugge-riert der Begriff sbquoSohn Gottesrsquo bedeute einfach nur sbquoGottrsquo rdquo1279 Viele haben in den allgemeinen Traditionen den Titel bdquoSohn Gottesrdquo als klare Bezeichnung fuumlr die Gottheit Jesu propagiert dies jedoch voumlllig zu Unrecht Inzwischen bekennen sich respektierte christliche Apologeten dazu dass bdquoweder das Judentum noch das Heidentum der Aumlra Jesu den Titel auf diese Weise verstanden haben auch die fruumlhe Kirche nichtrdquo1280 Wenn das wahr ist warum ist dann die inkorrekte Definition der Metapher bdquoSohn Gottesrdquo seit dem ersten Jahrhundert bis heute uns erhalten geblieben Ein katholischer Experte hat zu diesem Thema kuumlrzlich argumentiert dass

Die Forschung uumlber die goumlttliche Sohnschaft im Neuen Testament hat sich anachronistisch auf die philosophischen und theologischen Arten der Auslegung des Christentums des vierten Jahrhunderts gestuumltzt insbesondere auf die entscheidende [nicaumlnische] Doktrin bdquogezeugt nicht geschaffenrdquo In der roumlmischen Welt vor Nicaumla war die Zeugung eines Sohnes und die Geburt nicht grundsaumltzlich eine Sache der philosophischen Unterscheidung der [orthodoxe] Zu-gang zu biblischen Texten ist oft eine unbewusste Kombination von christologischen Auslegungen des vierten Jahrhunderts mit Texten des ersten Jahrhunderts1281

Wie wir gesehen haben waren diese Ansichten des vierten Jahrhunderts so durch und durch platonisch geworden so sehr wie sie sich von der juumldischen Weltan-schauung getrennt hatten So belegte Nicaumla nur die neutestamentliche Aussage uumlber die Sohnschaft mit Beschlag und wie Peppard bemerkt

mit der Vorherrschaft philosophischer Stroumlmungskategorien unter den christlichen Fuumlhrern aumlnderten sich die Begriffe bdquogezeugtrdquo und bdquogeschaffenrdquo in ihrer Bedeutung Sie houmlrten auf als Metaphern zu funktionieren die mit menschlichen Praktiken verbunden waren

1278 Matthew Slick ldquoWhat is Meant When It Says Jesus is the Son of Godrdquo Christian Apologetics and

Research Ministry Web 30 December 2014 lthttpcarmorgjesus-son-of-godgt (Was bedeutet es wenn es heisst Jesus sei der Sohn Gottes)

1279 Don Cupitt The Debate About Christ (London SCM Press 1979) p vii 4 1280 McCready p 56 1281 Michael Peppard The Son of God in the Roman World Divine Sonship in Its Social and Political

Context (Oxford OUP 2011) p 4 (Der Sohn Gottes in Roumlmischen Welt Goumlttliche Sohnschaft in ihrem socio-politischen Kontext)

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Sie wurden immer abstrakter bis die Debatten um den Wende-punkt der nicaumlnischen Aumlra sie schlieszliglich als das alleinige Eigentum der Theologen etablierten1282

Was bedeutete es dann fuumlr die fruumlheste Jesusgemeinschaft als sie Christus den bdquoden Sohn Gottesrdquo nannte Was hielt Jesus von dieser Bezeichnung seiner selbst Wir koumlnnen davon ausgehen dass die Juden des Neuen Testaments das Diktum entsprechend seinem historischen Gebrauch in ihren eigenen Schriften interpre-tierten dh als einen Titel der haumlufig auf maumlchtige menschliche Persoumlnlichkeiten angewendet wurde die besondere Begabungen von und enge Beziehungen zu Gott hatten Das Alte Testament insbesondere die Psalmen hatten die Koumlnige der Linie Davids dargestellt die dem Messias vorausgingen und ihn typisierten bdquoIch will ihm Vater sein und er soll mir Sohn sein Und ich will meine Gnade nicht von ihm weichen lassen wie ich sie von dem habe weichen lassen der vor dir warrdquo (1 Chronik 1713) Ein evangelikaler Gelehrter hat festgestellt dass bdquoim Alten Testament Koumlnige (besonders David) Gerechte und sogar Israel als Soumlhne Gottes bezeichnet wer-denrdquo1283 Konkret finden wir Salomo (1 Chronik 1713) Engel (Hiob 387) und besonders Adam (Lukas 338) so beschrieben Ein anderer Gelehrter postuliert dass bdquoJesus in der fruumlhesten [christlichen] Gemeinschaft auf der Grundlage von Psalm 2 in dem der israelitische Koumlnig durch die Verwendung der altorientali-schen Adoptionsformel als Sohn Gottes bezeichnet wird durchaus so genannt werden konnterdquo1284 Auf diese Weise so der deutsche Gelehrte Martin Noth (1902 ndash 1968) bdquowar der davidische Koumlnig in Jerusalem kein fleischgewordener Gott er war auch nicht goumlttlichen Ursprungs sondern er wurde durch die gnauml-dige Zustimmung seines Gottes als sbquoSohnrsquo bezeichnetrdquo1285 Diese Anwendung des Titels bdquoSohn Gottesrdquo auf einen normalen Menschen steht in scharfem Gegensatz zu seiner Verwendung im System des inkarnierenden dual-natuumlrlichen Koumlnig-tums das den Pharaonen des alten Aumlgypten zugeschrieben und in Teil I dieses Buches behandelt wurde Wie Noth abschlieszligend feststellt ist der Gebrauch un-ter den Hebraumlern bdquoein Hinweis auf eine Ablehnung der Ideologie eines echten

1282 Ebenso S 5 1283 McCready p 56 1284 Kuschel S 141 Siehe Peppard in seiner Untersuchung der synoptischen Verwendung von bdquoSohn

Gottesrdquo in seinem roumlmischen Kontext des ersten Jahrhunderts bdquoDie Resonanz von bdquoSohn Gottesrdquo hat sich mit der Zeit veraumlndert Viele Autoren des ersten und zweiten Jahrhunderts haben bei der Beschreibung der goumlttlichen Sohnschaft Christi und der Christen die gezeugten und adoptiven Meta-phern vermischt Aber im vierten Jahrhundert war die Adoption kein entscheidender sichtbarer Bestandteil der imperialen Ideologie mehr und verlor damit einen Teil (aber nicht alle) ihres Reizes als Metapher fuumlr Macht und Erhoumlhungrdquo (Peppard S 5)

1285 Martin Noth ldquoGod King and Nationrdquo in The Laws in the Pentateuch and Other Studies (Philadelphia Fortress 1966) pp 172-173 (Gott Koumlnig und Volk))

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Gott-Koumlnigsrdquo1286 Tatsaumlchlich unterscheiden Religionswissenschaftler sehr deut-lich zwischen dem aumlgyptischen Gott-Mensch-Koumlnigreich und der juumldischen Vor-stellung Ein Gelehrter kommt zu dem Schluss dass der Begriff des bdquoSohnes Gottesrdquo in Israel bdquoin erster Linie eine Moumlglichkeit war den Koumlnig gegenuumlber an-deren Menschen als uumlberlegen zu bezeichnen auch wenn der Koumlnig nicht auf Augenhoumlhe mit dem Houmlchsten warrdquo1287 Ein anderer Forscher folgerte dass bdquotrotz aller mythologischen Metaphern uumlber die Geburt eines Koumlnigs wir in Is-rael nie einen Ausdruck einer sbquometaphysischenrsquo Vorstellung von der Goumlttlichkeit des Koumlnigs und seiner Beziehung zu Jahwe findenrdquo1288

Der israelitische Brauch war es offensichtlich diesen Titel an [saumlkulare] Persoumln-lichkeiten zu verleihen die obwohl offensichtlich weltlich in bestimmten Aumlm-tern oder Beziehungen transzendent waren - besondere Personen die von Gott in eine unverwechselbare Position gewaumlhlt oder berufen wurden aufgrund ihrer einzigartigen Tugend oder ihrer Bedeutung in seinem [Gottes] groszligen Vorhaben oder seiner Regierung Die Verleihung des Titels im antiken Judentum erfolgte mit Sicherheit ohne jegliche Hypothese einer echten goumlttlichen Natur Ein einfa-cher Uumlberblick uumlber die breite biblische Anwendung der Phrase sollte daher den Wunsch nach impliziter Goumlttlichkeit zum Schweigen bringen

Adams Beschreibung als Gottes Sohn ist hier besonders interessant da wir be-obachten dass er in der Ahnentafel des Lukas als bdquoder Sohn Gottesrdquo bezeichnet wird gerade weil Gott sein Vater war (Lukas 338) In diesem Fall finden wir eine direkte und houmlchst angemessene Parallele zu Christi eigener Sohnschaft Adams erklaumlrter Status spiegelt eine auszligergewoumlhnliche Verbindung zum Vater wider Diese basierte nicht auf der Weitergabe von Gottes Essenz Ein Professor in E-dinburgh raumlumt ein dass bdquodie goumlttliche Sohnschaft - biblisch gesehen - nicht dazu diente Goumlttlichkeit kundzutun aber sie zeigte bestimmt den besonderen Status und die Beziehung zu Gott anrdquo1289 Sicherlich hat Jesus eine solche einzigartige Zugehoumlrigkeit in seinem Dienst aufzuweisen und auch die Autoren der Evange-lien schaumltzen sich gluumlcklich sie in ihren Berichten uumlber die Geburt anzuerkennen und zu foumlrdern Die Erklaumlrung der besonderen Beziehung Christi zum Vater fin-det sich deutlich in der Aufzeichnung der bedeutungsvollen Empfaumlngnis und Ge-burt des Menschen [Jesus] in der er zum Sohn Gottes ernannt wird bdquoUnd der Engel antwortete und sprach zu ihr Der Heilige Geist wird uumlber dich kommen und Kraft des Houmlchsten wird dich uumlberschatten darum wird auch das Heilige das geboren werden wird Sohn Gottes genannt werdenrdquo (Lukas 135 ELB) Seine direkte Erschaffung durch Gott in

1286 Ebenso 1287 Collins King and Messiah as Son of God p 204 1288 Mowinckel He That Cometh p 78 1289 Larry W Hurtado Lord Jesus Christ (Grand Rapids Eerdmans 2003) p 103

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Maria ist ausdruumlcklich das was ihm die unmittelbare Anerkennung einer auszliger-gewoumlhnlichen persoumlnlichen Beziehung zum Schoumlpfer ermoumlglicht hat Alle ande-ren Menschen nach Adam hatten offensichtlich ihre Sohnschaft durch einen menschlichen Vater erfahren aber die Existenz Christi die in Maria durch keine andere Handlung als diejenige Gottes vollbracht wurde berechtigte ihn zweifel-los zu dieser Bezeichnung Letztendlich wird Jesus der Sohn Gottes genannt nicht weil er irgendwie Gott selbst ist sondern wegen seiner engen Beziehung zu Gott weil Gott sein Vater ist1290

Fuumlr diese familiaumlre Beziehung eine Beziehung transzendenter Liebe erhaumllt der Sohn seine weitreichenden Rechte und Privilegien sogar die Vorrechte Gottes bdquoDer Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegebenrdquo (Johannes 335) Der angesehene lutherische Theologe der Franzose Oscar Cullman (1902 ndash 1999) liegt voumlllig richtig wenn er erkennt dass bdquoSohnrdquo und andere Titel von denen oft behauptet wird dass sie eine inhaumlrente Gottheit ausdruumlcken eher eine funktio-nale als eine ontologische Harmonie erklaumlren bdquoDie Titel sbquoLogosrsquo und sbquoSohn Got-tesrsquo zeigen nicht die Einheit im Wesentlichen [der Essenz des Seins] oder der Natur zwischen Gott und Christus sondern eine Einheit im Offenbarungs-werkrdquo1291 Eine ganze Reihe von christlichen Wissenschaftlern bestaumltigt ebenfalls dass der bdquoSohnrdquo nicht nur keine Einheit des Wesens foumlrdert sondern tatsaumlchlich die scharfe Unterscheidung zwischen Gott und dem einen so genannten bdquoSohnrdquo unterstuumltzt Professor Colin Brown vom Fuller Theological Seminary erklaumlrt dass dieser Titel tatsaumlchlich dazu dient jede Identifizierung von Jesus als den Gott der Bibel zu widerlegen

Der Titel bdquoSohn Gottesrdquo ist an sich keine Bezeichnung der persoumln-lichen Goumlttlichkeit oder Ausdruck metaphysischer Unterschiede innerhalb der Gottheit Tatsaumlchlich muss man um ein bdquoSohn Got-tesrdquo zu werden ein Wesen sein welches nicht Gott ist1292

Der Schweizer Alttestamentforscher und Gelehrte Herbert Haag (1915 - 2001) teilt uns auch mit dass bdquoIm Alten Testament und im fruumlhen Judentum bedeutet sbquoSohn Gottesrsquo also sbquogeschaffenrsquo zu sein Erwaumlhlung und Intimitaumlt zu haben viel weniger ist es beabsichtigt Goumlttlichkeit zu bedeutenrdquo1293 Der weit uumlber Deutsch-land hinaus beruumlhmte Rudolf Karl Bultmann (1884 ndash 1976) stimmte dem zu mit den Worten bdquoEs ist klar dass weder im Judentum noch in der christlichen Kirche dieser Titel die mythologische Bedeutung hatte die er im spaumlteren hellenistischen

1290 See Collins King and Messiah as Son of God p 209 1291 Oscar Cullmann The Christology of the New Testament (Philadelphia Westminister Press 1963) p

247 (Die Christologie des Neuen Testaments 1957) 1292 Colin Brown ldquoTrinity and Incarnationrdquo Ex Auditu Vol 7 (Eugene Wipf amp Stock 1991) p 90 1293 Herbert Haag ldquoSon of Godrdquo Concilium (Norwich SCM Press 1996) p 36

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Christentum hatte dh er bezeichnete den Messias nicht als uumlbernatuumlrliches We-sen das von Gott gezeugt wurde sondern war einfach sein koumlniglicher Titelrdquo1294 In der neutestamentlichen Aumlra war es in der Tat wie die moderne Wissenschaft nachdruumlcklich bestaumltigt ein koumlniglicher Titel - einer der sich speziell auf den Messias bezog der aus der Familie von Koumlnig David hervorgehen sollte Wie bereits erwaumlhnt interpretierten sowohl das Judentum der Aumlra des Zweiten Tem-pels als auch die urchristliche Gemeinschaft des Neuen Testaments Schluumlssel-passagen wie Psalm 27 8926-27 und 2 Samuel 714 als messianische Prophezei-ungen1295 Im Falle von 2 Samuel 714 wird der zukuumlnftige Sohn Davids (Salomo) ebenso als Sohn Gottes identifiziert und 4QFlor der Schriftrollen vom Toten Meer formuliert die Prophezeiung ebenfalls messianisch Mit anderen Worten der Titel bdquoSohn Gottesrdquo war in seinem messianischen Kontext des ersten Jahr-hunderts praktisch gleichbedeutend mit bdquoSohn Davidsrdquo und bdquoKoumlnig von Is-raelrdquo1296 Man beachte dass Lukas 135 Jesus ausdruumlcklich als bdquoSohn des Houmlchs-tenrdquo benennt und [in der Ahnentafel] als Nachkomme des Koumlnig Davids bezeich-net1297 Beachten wir auch die synonyme Parallelitaumlt im Ausruf von Nathanael bei der [ersten] Begegnung mit Jesus bdquoNathanael antwortete und sprach Rabbi du bist der Sohn Gottes du bist der Koumlnig Israelsrdquo (Johannes 149) Angesichts dieser Beweise gibt N T Wright zu bdquoWir muumlssen betonen dass die uumlbliche juumldische Bedeutung

1294 Bultmann Theology of the New Testament Vol I p 50 (Theologie des Neuen Testaments 1948-

53) 1295 Siehe Hebraumler 15 bdquoDenn zu welchem der Engel hat Gott jemals gesagt sbquoDu bist mein Sohn heute

habe ich dich gezeugtrsquo rdquo Und noch einmal bdquoIch werde ihm ein Vater sein und er wird mir ein Sohn seinrdquo Juden auszligerhalb der christlichen Gemeinschaft hatten diese Passagen sicherlich als messianisch interpretiert - die Qumran-Schrift 4QFlorilegium (4Q174) identifiziert den bdquoSprossrdquo der Davidfigur aus Jeremia und Sacharja mit 2 Samauel 712-14 und Amos 911 bdquo er wird ein Sohn fuumlr mich sein Er ist der Zweig Davids der sich mit dem Dolmetscher des Gesetzes erheben wird in Zion in den letzten Tagen wie es geschrieben steht sbquoIch werde das Zelt Davids aufrichten das gefallen istrsquo der sich erheben wird um Israel zu rettenrdquo Bemerkenswert ist auch das DSS-Dokument 1QSa das auf den Tag bdquowenn Gott den Messias zeugtrdquo (211) wartete und die LXX-Uumlbertragung des Psalms 1103 bdquoIch habe dich aus dem Mutterleib gezeugtrdquo Der davidische Messias sollte bdquogezeugtrdquo oder ins Leben gerufen werden nicht von einem menschlichen Vater sondern von Gott

1296 Bei seinem Prozess als Jesus von den Juden nach seiner Identitaumlt gefragt wurde fragten sie bdquoWenn du der Messias bist sag es unsrdquo (Lukas 2267) Jesus identifiziert sich dann als bdquoder Menschensohnrdquo (Vers 69) In ihrer Folgefrage draumlngen sie ihn bdquoDu bist dann der Sohn Gottesrdquo (v 70) Ihre ersten und zweiten Fragen sind daher voneinander abhaumlngig und bdquoMessiasrdquo bdquoDavidssohnrdquo bdquoMenschensohnrdquo bdquoGottessohnrdquo und bdquoKoumlnig von Israelrdquo sind daher alle im Evangeliumskontext als messianische Titel zu betrachten

1297 bdquoWie in Markus sind sbquoSohn Gottesrsquo und sbquoMenschensohnrsquo in Matthaumlus gleichwertig In Lukas wie in Markus und Matthaumlus ist es klar dass sbquoSohn Gottesrsquo (oder sbquoSohn des Houmlchstenrsquo) gleichbedeutend ist mit sbquoMessiasrsquo sbquoSohn Gottesrsquo und sbquoMessiasrsquo sind in Johannes ebenso gleichwertig genau wie sie in der Syn-optik sindrdquo (Collins Koumlnig und Messias als Sohn Gottes S 209-210) Siehe auch den Praumlzedenzfall DSS 4Q246 der eine Figur als bdquoSohn Gottes Sohn des Houmlchstenrdquo bezeichnet der bdquoals der davidische Messias identifiziert werden sollte wie auch in Lukas 13235rdquo (Ebenso p 206)

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dieses Titels [Sohn Gottes] im ersten Jahrhundert nichts mit einem beginnenden Trinitarismus zu tun hatte Er bezeichnete den Koumlnig als Vertreter Israelsrdquo1298

Die post-apostolische heidenchristliche Kirche jedoch mit ihrer sich auf breiter Basis an das Denken und dem Wirken der Griechen ausgeliefert hatte druumlckte ausgerechnet diesem Titel den Rahmen ihre mythischen Weltanschauung auf Be-dauerlicherweise interpretierten sie den Titel [Sohn Gottes] als virtuellen Beweis fuumlr die Goumlttlichkeit Christi und zwar im Wesen als auch in der Natur Das Epithet [der Beiname] den fruumlher juumldische Koumlnige genossen war zur exklusiven Marke eines Halbgottes aumlhnlich dem Herkules oder dem Dionysos geworden Er blieb eine uumlbernatuumlrliche Gestalt die aus dem Himmelreich kam um goumlttliche Privilegien unter den Menschen auszuuumlben Es ist leider augenfaumlllig dass ein Groszligteil des modernen Christentums dieses krasse Missverstaumlndnis verewigt hat Nichtsdestoweniger haben einige Gelehrte vorgeschlagen dass die neutestament-liche Perspektive auf bdquoSohn Gottesrdquo nicht von der historischen Interpretation der alten Israeliten abweichen sollte Der wertvolle Kommentar von Dr Kuschel sollte nicht vernachlaumlssigt werden

In Uumlbereinstimmung mit seiner juumldischen Herkunft wurde der Titel bdquoSohn Gottesrdquo nie mit einer himmlischen Existenz vor der Zeit oder mit der Goumlttlichkeit in Verbindung gebracht die Grundvo-raussetzung fuumlr das nachoumlsterliche Gespraumlch uumlber Jesus als Sohn Gottes liegt nicht in der bdquogoumlttlichen Naturrdquo Jesu bzw in einer be-reits existierenden goumlttlichen Sohnschaft sondern in der Praxis und Verkuumlndigung des irdischen Jesus selbst in seiner einzigartigen Be-ziehung zu Gott die er in einer beispiellos vertrauten Weise aus-uumlbte als er den Vater bdquoAbbardquo nannte in Israel verwies der Titel des Sohnes Gottes groumlszligtenteils auf die einzigartige Wuumlrde und Macht des obersten politischen Fuumlhrers1299

So wird Jesus bdquoSohn Gottesrdquo genannt weil Gott ihn in seiner Mutter ins Leben gerufen [gezeugt] hat und weil er der Thronfolger Davids uumlber Israel ist Aber wenn bdquoSohn Gottesrdquo tatsaumlchlich Gottheit anzeigt dann bricht das Neue Testa-ment sofort zusammen

Johannes schreibt bdquoGeliebte jetzt sind wir Kinder Gottes und es ist noch nicht offenbar geworden was wir sein werdenrdquo (1 Johannes 32) und Paulus sagt uns bdquoWir sind die Soumlhne Gottesrdquo mit der zusaumltzlichen Zusicherung dass bdquowenn wir Soumlhne sind dann auch Erben Erben Gottes und Miterben mit Christusrdquo (Roumlmer

1298 Wright Jesus and the Victory of God pp 485-486 1299 Kuschel p 238

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816-17) Angesichts des Werkes Gottes bdquoviele Soumlhne zur Herrlichkeit zu brin-genrdquo (Hebraumler 210) und in Verbindung mit dem Prolog des Johannes der vielen offenbart dass bdquoer das Recht gegeben hat Soumlhne Gottes zu werdenrdquo (Johannes 112) koumlnnen wir die Interpretation des Begriffs durch die [Dreifaltigkeits-]Dog-matiker nicht akzeptieren Waumlhrend bdquoder Sohnrdquo im Trinitarismus in einer seltsa-men Pseudo-Beziehung zum Vater allein dasteht oumlffnet der Jesus des Neuen Testaments allen die Tuumlr zu einer gemeinsamen Sohnschaft [Gottes] Die Sohn-schaft die Christus anbietet ist jedoch keine armselige Nachahmung einer ge-heimnisvollen unergruumlndlichen Vater-Sohn-Beziehung zwischen den Hyposta-sen der Trinitaumlt - vielmehr ist es der gleiche Beziehungsstatus Christi den er gerne teilt es ist nicht eine Verbindung der Substanz sondern ein Bund der Liebe

Das Johannesevangelium wird von den Trinitariern oft als der uumlberzeugendste Verfechter der Idee bezeichnet dass bdquoJesus Gott im Fleisch istrdquo Trinitarische Bibelverleger behaupten sogar dass die Vermittlung dieser dogmatischen Bot-schaft die ausdruumlckliche Absicht des johanneischen Werkes gewesen sei Sie sa-gen seine Mission war es kritische Informationen uumlber die Goumlttlichkeit Christi zu liefern welche die Berichte von Matthaumlus Markus und Lukas angeblich unzu-reichend weitergegeben haben1300 Doch Johannes machte seine eigenen Absich-ten ganz klar und fasste seine Botschaft in seinen letzten Kapiteln so zusammen bdquoDiese aber sind geschrieben damit ihr glaubt dass Jesus der Christus [Messias] ist der Sohn Gottes und damit ihr weil ihr glaubt das Leben habt in seinem Namenrdquo (Johannes 2031)

JesusalsbdquoGottrdquoDie christliche Verwendung des Wortes bdquoGottrdquo in unserer Zeit ist in der Regel ein Hinweis auf den einen Gott der Bibel und ist fuumlr ihn reserviert Doch in der Zeit der biblischen Autoren wurde der Begriff viel freier verwendet um auch Menschen oder Engel zu beschreiben Es gibt nur zwei Faumllle in denen das Wort bdquoGottrdquo (griechisch bdquotheosrdquo) im Neuen Testament sicher in Bezug auf Jesus ver-wendet wird1301 Es wird oft von Trinitariern ins Feld gefuumlhrt diese Faumllle seien

1300 Das Vorwort zum Johannesevangelium in der Bibelversion des Harvest House Publishers New Inductive

Study lautet bdquoGott im Fleisch Die Inkarnation waumlre fuumlr einige schwer zu glauben aber ihr Glaube oder Unglauben waumlre eine Frage von Leben oder Tod Drei andere Evangelien waren geschrieben worden und Jahre waren vergangen Es brauchte noch ein weiteres Evangelium eines das diese Fragen beant-wortet und noch mehr eines das Licht auf die sbquoSchatten des Zweifelsrsquo wirft So reagierte der Apostel Johannes auf Gottes Ruf ein viertes und letztes Evangelium zu schreiben rdquo (The New Inductive Study Bible (Eugene Harvest House Publishers 2000) p 1711)

1301 Es hat sieben weitere diskutable Verse (Johannes 118 Roumlmer 95 Titus 213 2 Petrus 11 1 Joh 520 Apg 2028 2 Thess 112) Diese wurden von Textanalytikern aus einer Vielzahl von Gruumlnden zur Identifizierung von Jesus als bdquoGottrdquo angezweifelt Der Triniatier Christopher Kaiser bemerkt hierzu dass bdquoes nur sehr wenige ausdruumlckliche Verweise auf Jesus als sbquoGottrsquo im Neuen Testament gibt und selbst diese wenigen sind im Allgemeinen mit Unsicherheiten hinsichtlich des Textes oder der Auslegung behaftetrdquo (Christopher Kaiser The Doctrine of God (London Marshall Morgan amp Scott 1982) p 29) Der Trinitarier William Barclay bestaumltigt bdquoBei fast jeder Gelegenheit im Neuen Testament bei der Jesus Gott

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der beste Beweis dafuumlr dass die biblischen Schreiber selber glaubten der Mensch [Jesus] sei kein geringerer als der eine und allmaumlchtige Gott Sie meinten dies waumlre die zentrale uumlberwaumlltigende Offenbarung des Neuen Testaments Dies er-weckt sogleich unsern Verdacht denn das Wort bdquoGottrdquo kommt im Neuen Tes-tament zwar 1327 Mal vor aber nur zwei Mal bezieht es sich erwiesenermaszligen auf Christus Dass schluumlssige Beweise fuumlr eine konsequente Anwendung des Wortes bdquoGottrdquo auf Jesus mangeln wird auch von manchen Trinitariern als prob-lematisch eingestuft Ein Gelehrter meint dazu

Jesus hat den Begriff bdquoGottrdquo nie verwendet wenn er von oder uumlber sich selbst redete Keines der synoptischen Evangelien (Matthaumlus Markus oder Lukas) schreibt Jesus ausdruumlcklich den Titel bdquoGottrdquo zu Keine Predigt in der Apostelgeschichte fuumlhrt den Titel bdquoGottrdquo auf Jesus zuruumlck Es gibt keine existierenden christlichen Bekennt-nise Jesu als bdquoGottrdquo vor den spaumlten 50er Jahren [des ersten Jahr-hunderts] und obwohl es siebzehn Texte gibt die als moumlgliche bdquoJe-sus-Gottrdquo-Passagen angesehen werden erscheinen nur vier von ihnen in den etwa fuumlnfzig neutestamentlichen Manuskripten des griechischen Neuen Testaments die vor dem vierten Jahrhundert entstanden sind Auch und vielleicht ist dies das groumlszligte Hindernis bei der Zuschreibung des Titels bdquoGottrdquo an Jesus unterscheiden sich die bestehenden neutestamentlichen Manuskripte in allen Passagen die moumlglicherweise oder ausdruumlcklich Jesus bdquoGottrdquo nen-nen1302

Uumlberdies wird festgestellt dass [der Titel] bdquoGottrdquo im Neuen Testament genauso oft fuumlr andere Personen verwendet wird einmal fuumlr Herodes (Apg 1222) und ein anderes Mal fuumlr Satan (2 Kor 44) Die gaumlngigen Lexika liefern diese Ver-wendungen des griechischen Wortes bdquotheosrdquo bdquoein Gott oder eine Goumlttin ein all-gemeiner Name von Gottheiten [Divinitaumlten] oder Goumlttern was auch immer in irgendeiner Hinsicht mit Gott verglichen werden kann oder ihm in irgendeiner Weise aumlhnelt [das Numinose] Gottes Vertreter oder Vizeregent Magistraten und Richterrdquo1303 Wenn wir auf das Alte Testament zuruumlckblicken stellen wir fest dass das hebraumlische Wort fuumlr bdquoGottrdquo (el oder elohim) gleicherweise fuumlr andere Menschen oder fuumlr Engel verwendet wird (Psalam 457-8 Psalam 821-6 2 Mose

genannt werden soll gibt es ein Problem entweder der Textkritik oder der Uumlbersetzungrdquo (William Bar-clay Jesus as They Saw Him (Grand Rapids Eerdmans 1978) p 21) Wir werden uns daher nur auf die weniger strittigen bdquotheosrdquo Texte konzentrieren Mehr zu den Textfragen rund um die anderen Passagen siehe Bart D Ehrmanrsquos The Orthodox Corruption of Scripture (Oxford OUP 1993)

1302 Brian J Wright ldquoJesus As Godrdquo Christian Research Journal Vol 31 No 4 (CRI 2008) unsere Hin-zufuumlgung (Jesus als Gott)

1303 ldquotheosrdquo Strongrsquos

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71) In Psalm 85 bezieht sich der hebraumlische Text auf Gott aber im Zitat eben-dieser Stelle im Neuen Testament wird das Griechische bdquoEngelrdquo (ἄγγελος) ver-wendet Ebenso wurde in der Septuaginta-Version von Hiob 2015 das hebraumli-sche Wort bdquoGottrdquo (el) von den juumldischen Schriftgelehrten sogar durch den grie-chischen Begriff bdquoEngelrdquo (ἄγγελος) ersetzt Da der Titel bdquoGottrdquo oft in den bibli-schen Dokumenten zu finden ist die kurzum sbquokoumlnigliche Personen mit goumlttlicher Befugnisrsquo beschreiben wie zB die Richter Israels (Johannes 1034) oder Engel (Psalm 85) uumlbersetzen viele populaumlre englische Ausgaben der Bibel sogar bdquoGottrdquo als bdquoRichterrdquo oder bdquoHerrscherrdquo1304

Die Identifizierung anderer Wesen die nicht Jahwe waren als bdquoGottrdquo stellte we-der fuumlr die alten Hebraumler noch fuumlr die neutestamentlichen Juden ein bdquotheologi-sches Problemrdquo dar Wie bereits erwaumlhnt wird das hier uumlbliche biblische Prinzip als bdquodas Gesetz der Handlungsvollmachtrdquo bezeichnetrdquo1305 Wenn Gott seinem Agenten Autoritaumlt uumlbertraumlgt kann dieser Agent selbst bdquoGottrdquo genannt werden und in seinem Namen bdquoals Gottrdquo sprechen und handeln Oftmals wurden Mose und die Richter Israels als Gott angesprochen bdquoUnd der HERR sprach zu Mose Siehe ich habe dich fuumlr den Pharao zum GOTT eingesetzt und dein Bruder Aaron soll dein Prophet seinrdquo (2 Mose 71) bdquoIch sagte Ihr seid GOumlTTER Soumlhne des Houmlchsten seid ihr alle rdquo (Psalm 826) In 2 Mose 228 wird auch von den menschlichen Richtern Israels auf diese Weise gesprochen das Hebraumlische bezieht sich auf diese Perso-nen als bdquoGottrdquo oder bdquoGoumltterrdquo Die amerikanische Amplified Bible macht es deut-lich bdquoDer Hausbesitzer wird vor Gott erscheinen die Richter als seine Agenten um heraus-zufinden ob er das Eigentum seines Nachbarn gestohlen hatrdquo

Tatsaumlchlich werden viele bdquoGoumltterrdquo in der Schrift erwaumlhnt obwohl es fuumlr die Na-tion Israel eindeutig nur einen wahren Gott gibt die anderen sind offensichtlich Goumltter im gegenstaumlndlichen abgeleiteten oder sekundaumlren Sinne Der Apostel Paulus definiert sogar welcher Gott der wahre Gott der neutestamentlichen Ge-meinschaft ist bdquoObwohl es solche gibt die Goumltter genannt werden es sei im Himmel oder auf Erden wie es ja viele Goumltter und viele Herren gibt so haben wir doch nur einen Gott den Vater von dem alle Dinge sindrdquo (1 Korinther 85-6) In der Tat wie Christus zuge-stimmt hat ist bdquoder Vaterrdquo bdquoder einzige wahre Gottrdquo (Johannes 171a3) Es ist dieser

1304 In 2 Mose 228-9 28 wird das Wort bdquoRichterrdquo zB in den Uumlbersetzungen von KJV NIV NASB

HCSB ISV und NET verwendet waumlhrend bdquoGottrdquo in der ASV ESV JPS ERV und WEB verwendet wird In den meisten deutschen Uumlberstezungen wird Gott oder Gottesurteil uumlbersetzt

1305 Auch hier definiert die Juumldische Enzyklopaumldie das hebraumlische Gesetz der Handlungsvollmacht auch bekannt als bdquoSheliahrdquo auf diese Weise bdquoDas Gesetz der Stellvertreterschaft beschaumlftigt sich mit dem Status einer Person (bekannt als der Vermittler Vertreter) die auf Anweisung eines anderen (des Auftraggebers) handelt Das allgemeine Prinzip wird so formuliert Der Vertreter einer Person ist wie er selbstrdquo (Lewis N Dembitz ldquoLaw of Agencyrdquo Jewish Encyclopedia (1906) p 232)

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groszlige Gott der bestimmte andere Personen die er direkt autorisiert oder inspi-riert hat selbst als bdquoGottrdquo bezeichnet Christus erklaumlrt das Prinzip

Jesus antwortete ihnen bdquoSteht nicht geschrieben in eurem Gesetz (Psalm 826) sbquoIch habe gesagt Ihr seid Goumltterrsquo Wenn jene bdquoGoumltterrdquo genannt werden zu denen das Wort Gottes geschah ndash und die Schrift kann doch nicht gebrochen werden ndash wie sagt ihr dann zu dem den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat sbquoDu laumlsterst Gottrsquo ndash weil ich sage sbquoIch bin Gottes Sohnrsquo rdquo (Johannes 1034-36)

Jesus als bdquoSohn Gottesrdquo oder gar als bdquoGottrdquo zu bezeichnen bedeutet nicht ihn als Jahwe zu identifizieren Sicherlich ist Christus der ranghoumlchste Vertreter Got-tes aber Jahwe - im strikten Sinne des Wortes ndash ist weder er [Jesus] noch Mose Dennoch bleibt die [trinitarische] Behauptung bestehen dass das Neue Testa-ment Jesus klar als den einen Gott identifiziert da er mit dem Begriff von bdquotheosrdquo beschrieben wird

Hebraumler 18 der den klassischen Psalm 456 auf Jesus anwendet ist ein wichtiges Zitat in diesem beliebten Argument bdquoAber von dem Sohn (Psalm 457-8) sbquoGott dein Thron waumlhrt von Ewigkeit zu Ewigkeit und das Zepter der Gerechtigkeit ist das Zepter deines Reichesrsquo rdquo (Hebraumler 18) Sicherlich identifiziert der Autor in diesem Abschnitt Jesus als bdquoGottrdquo Das Psalmlied das der Schreiber hier zitiert richtete sich jedoch offensichtlich an den damaligen menschlichen Koumlnig von Israel1306

Einem Koumlnig will ich es singen holdselig sind deine Lippen darum hat dich Gott gesegnet ewiglich Gott dein Thron bleibt immer und ewig das Zepter deines Reiches ist ein gerechtes Zepter Du liebst Gerechtigkeit darum hat dich Gott dein Gott gesalbt mit Freudenoumll wie keinen deiner Gefaumlhrten In deinem Schmuck gehen Toumlchter von Koumlnigen die Braut steht zu deiner Rechten in Gold-schmuck (aus Psalm 45)

Als Koumlnig von Israel repraumlsentierte dieser Mann bdquoGottrdquo er saszlig auf Gottes Sitz der Autoritaumlt uumlber die Nation (siehe 1 Chronik 2923) Natuumlrlich gilt dieses Mus-ter direkt fuumlr Jesus als den Messias den ultimativen Koumlnig Israels (Johannes 149) Es ist auch wichtig zu beachten dass der naumlchste Vers im ersten Kapitel des Heb-raumlerbriefs besagt dass der Sohn tatsaumlchlich selbst einen Gott hat Die Hymne war an einen menschlichen Koumlnig gerichtet bdquoDeshalb hat Gott dein Gott dich mit dem Oumll der Freude uumlber deine Gefaumlhrten gesalbtrdquo (Hebraumler 19) Dieser Bezug auf den eigenen Gott des Koumlnigs dient als hilfreicher Mechanismus um einen besseren Eindruck uumlber seinen erhabenen Status zu gewinnen Jesus als Koumlnig von Israel kann als

1306 See Nancy L DeClaisse-Walford ldquoPsalm 45rdquo Psalms for Preaching and Worship A Lectionary Commentary

(Grand Rapids Eerdmans 2009) p 156 See also Graham Cole The God Who Became Human A Biblical Theology of Incarnation (Downerrsquos Grove IVP 2013) p 84

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bdquogoumlttlichrdquo erkannt werden aber diese bdquoGoumlttlichkeitrdquo wird durch das Prisma der Subordination (der Unterordnung) breit ausgestrahlt und schlieszliglich als repraumlsen-tative Goumlttlichkeit auf seinen Gott zuruumlckgespiegelt

Der Autor des Hebraumlerbriefs argumentiert hier des Weiteren dass weil Jesus bdquodie Gerechtigkeit geliebt hatrdquo sein Gott ihn nun hoch erhoben und ihn sogar uumlber die heiligen Engel gesetzt hat (Hebraumler 14) Im naumlchsten Kapitel des Briefes wird zudem argumentiert dass Jesus jetzt noch groumlszligerer Herrlichkeit und Ehre wuumlrdig befunden wurde als Mose (Hebraumler 33) Das Argument waumlre voumlllig sinnlos ge-wesen haumltten sowohl der Verfasser als auch die uumlbrigen Christen damals ge-glaubt dass Jesus Jahwe sei Selbstverstaumlndlich war Gott groumlszliger als Mose Sicher-lich beabsichtigte der Autor nicht den Mann Jesus als bdquoGottrdquo zu identifizieren in dem Sinne wie Jahwe Gott ist Dennoch werden wir hier den umgebenden Kontext im Hebraumlerbrief eingehend untersuchen um unseren Standpunkt bib-lisch zu belegen

Vor dem Vers 8 lesen wir dass der Sohn

- in fruumlheren Zeiten nicht zu den Vaumltern sprach (11-2)

- den Engeln uumlberlegen sein musste was bedeutet dass er es vor-her nicht war (14)

- eine Erbschaft erworben hatte die er vorher nicht besaszlig (14)

- als ein Sohn Gottes (nicht als Gott selbst) betrachtet wird (15)

- von Gott bdquogezeugtrdquo (15)

- ein Abglanz Gottes (nicht Gott selbst) ist (13)

- Jetzt nach Vers 8 lesen wir dass der Sohn

- einen Gott hat (19)

- uumlber seinen Gefaumlhrten gesalbt worden ist (19) (Gott hat keine Gefaumlhrten und es besteht keine Notwendigkeit dass ihn jemand salbe)

- niedriger gemacht wurde als die Engel (29)

- nun mit Herrlichkeit und Ehre gekroumlnt wurde weil er gestorben [und auferstanden] ist (29) (er war und wurde nicht vorher ge-kroumlnt)

- der Pionier der Erloumlsung des Menschen ist (210) (dh der Erste der die Erloumlsung erhielt)

- die Menschen seine Bruumlder nennt (211) (Gott hat keine Bruumlder)

- sagt dass er sein Vertrauen auf Gott setzen wird (213)

- in jeder Beziehung wie seine Bruumlder gemacht wurde (217)

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- versucht wurde (218) (Gott kann nicht versucht werden)

- jetzt als wuumlrdig fuumlr mehr Herrlichkeit angesehen wird als Mose (33) (waumlre er Jahwe waumlren Ehre und Herrlichkeit selbstverstaumlndliche Attribute)

Wie kann man angesichts des unmittelbaren Kontexts aus dieser Stelle ableiten dass der Verfasser den allmaumlchtigen Jahwe beschreibt den monolithischen Schoumlpfer aller Dinge nicht einfach einen erhabenen Menschen Jesus wird weder vom Schreiber des Hebraumlerbriefes noch von einem anderen biblischen Autor ex-plizit Jahwe genannt und er wird als bdquoein Menschrdquo beschrieben (Apg 222 1 Tim 25 Joh 840) der mit goumlttlicher Autoritaumlt ausgestattet ist (Matt 2818) Je-sus kann also sicherlich als bdquoGottrdquo in dem Sinne betrachtet werden dass er ein hoher Wuumlrdentraumlger ein heiliger Prinz und ein maumlchtiger Herrscher ist der Gott repraumlsentiert Der Vater selbst hatte Jesus diesen erhabenen Status gegeben (Apg 236 Phil 29) und der Verfasser des Hebraumlerbriefes stellt klar dass er gerade wegen seines grandiosen Dienstes Gott gegenuumlber bdquojetzt mit Herrlichkeit und Ehre gekroumlntrdquo ist (Hebraumler 29) Jesus ist damit im biblischen Sinne des Wortes bdquoein Gottrdquo geworden

Letztendlich bleibt die Interpretation des bdquoGesetzes der Handlungsvollmachtrdquo die beste Wahl um die Sichtweise der neutestamentlichen Gemeinschaft auf Je-sus zu verstehen und gleichzeitig Konflikte mit dem Juumldischen Monotheismus zu vermeiden

InJesusGottbdquosehenldquoDer andere Fall in dem das Wort bdquotheosrdquo in Bezug auf Christus vorkommt ist der Ausruf von Thomas in Johannes 2028 bdquoThomas antwortete und sprach zu ihm sbquoMein Herr und mein Gottrsquordquo Trinitarier lehren dieser Vers zeige eindeutig den Glauben von Thomas dass Jesus tatsaumlchlich der eine wahre Gott sei Oberflaumlchlich gese-hen mag die Aussage fuumlr den modernen Leser und die Leserin ziemlich einleuch-tend erscheinen Es steht hier ja schwarz auf weiszlig geschrieben Wird jedoch ein Vers aus seinem Zusammenhang gerissen kann die beabsichtigte Bedeutung leicht verloren gehen

Betrachten wir zunaumlchst was sowohl das Alte als auch das Neue Testament uumlber das bdquoSehen Gottesrdquo sagen Jahwe sagt zu Mose bdquoMein Angesicht kannst du nicht sehen denn kein Mensch wird leben der mich siehtrdquo (2 Mose 3320) Das Johannesevangelium beginnt mit den Worten bdquoNiemand hat jemals Gott gesehenrdquo (Johannes 118a) Auch nach dem oumlffentlichen Dienst Christi und seinem Aufstieg in den Himmel haumllt Johannes die Erklaumlrung in seinen folgenden Briefen woumlrtlich aufrecht bdquoNiemand hat jemals Gott gesehenrdquo (1 Johannes 412) Paulus stimmt in diesem Punkt mit Jo-hannes voumlllig uumlberein und beschreibt Gott als einen bdquoder da wohnt in einem Licht zu

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dem niemand kommen kann den kein Mensch gesehen hat noch sehen kannrdquo (1 Timotheus 616) Wenn Gott wirklich bdquounsichtbarrdquo ist (Kol 115) wie kann dann Jesus sagen bdquoWer mich sieht der sieht den Vaterrdquo (Joh 149) Auch hier spielt das Gesetz der Handlungsvollmacht eine Rolle

Da Gott nicht gesehen werden kann und weil Gott die Bitte der Israeliten am Berg Horeb gehoumlrt hatte nur durch Vertreter zu ihnen zu sprechen (2 Mose 2019) hat Gott in Israel das Amt der Propheten eingefuumlhrt Als er diesen Pro-pheten seine Worte in den Mund legte machte er diese Menschen zu bdquoGottrdquo fuumlr die Gruppe zu der sie gesandt waren (2 Mose 71) Dies erlaumlutert den Rahmen fuumlr die Darstellung Jesu im Johannesevangelium Christus wird als houmlchster Ver-treter Gottes eingesetzt der den persoumlnlichen Willen Gottes erfuumlllt (Joh 434) sowie Gottes eigene Worte spricht (Johannes 828) und mehr Wie Marianne Meye Thompson bereits fuumlr uns bestaumltigt hat

Jesus wird im Evangelium [des Johannes] vor dem Hintergrund des juumldischen Handlungskonzepts und daruumlber hinaus vor dem Hinter-grund dass es einen Hauptagenten gibt durch den Gott handelt [den Messias] wenn man ihm gegenuumlbertritt konfrontiert man Gott weil Jesus der Hauptagent Gottes ist1307

Eines der Hauptthemen des Evangeliums ist daher die Uumlberzeugung dass man Gott bdquosiehtrdquo wenn man Jesus sieht oder ihm begegnet bdquoJesus aber rief Wer an mich glaubt der glaubt nicht an mich sondern an den der mich gesandt hat Und wer mich sieht der sieht den der mich gesandt hatrdquo (Johannes 1244-45) Wenn wir uns dem Gespraumlch zwischen Jesus und Thomas in Johannes 14 zuwenden finden wir dass Jesus den Glauben an zwei verschiedene Individuen vorschreibt

bdquoEuer Herz erschrecke nicht Glaubt an Gott und glaubt an mich Spricht zu ihm Thomas Herr wir wissen nicht wo du hingehst wie koumln-nen wir den Weg wissen Jesus spricht zu ihm Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben niemand kommt zum Vater denn durch mich Wenn ihr mich erkannt habt so werdet ihr auch meinen Vater er-kennen Und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehenrdquo (Johannes 1415-7)

Jesus zu sehen und zu kennen bedeutet den Vater zu sehen und zu kennen Das Sehen mit den Augen hier ist eine einfache Metapher fuumlr das Wahrnehmen oder Erkennen Gottes mit dem Geist Aber nach Jesu Belehrung von Thomas stellen wir fest dass Philippus damit anscheinend nicht einverstanden war Er wollte jetzt den Vater bdquosehenrdquo und er unterbricht das Gespraumlch

1307 Thompson Dictionary of Jesus and the Gospels p 377

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Spricht zu ihm Philippus bdquoHerr zeige uns den Vater und es genuumlgt unsrdquo Jesus spricht zu ihm bdquoSo lange bin ich bei euch und du kennst mich nicht Philippus Wer mich sieht der sieht den Vater Wie sprichst du dann Zeige uns den Vaterrdquo (Johannes 146-9)

Und noch einmal erklaumlrt es Jesus ganz genau

Glaubst du nicht dass ich im Vater bin und der Vater in mir Die Worte die ich zu euch rede die rede ich nicht aus mir selbst Der Vater aber der in mir bleibt der tut seine Werke Glaubt mir dass ich im Vater bin und der Vater in mir wenn nicht so glaubt doch um der Werke willen (Johan-nes 1410-11)

Jesu Wunsch dass seine Juumlnger in ihm Gott erkennen ist klar Der Beweis fuumlr Gott sind seine Worte und Werke Es ist nicht moumlglich Gottes Unendlichkeit mit physischen Augen zu erfassen - wenn die Juumlnger wissen wollten wie Gott ist haumltten sie nicht weiter suchen muumlssen als Jesus Jetzt in Johannes 2025 nach der Grablegung und Auferstehung Christi laufen die Juumlnger zu Thomas und sagen zu ihm bdquoWir haben den Herrn gesehenrdquo Thomas aber sprach zu ihnen bdquoWenn ich nicht hellip sehe kann ichs nicht glaubenrdquo Dann erscheint Jesus dem Thomas und sagt zu ihm

bdquoReiche deinen Finger her und sieh meine Haumlnde und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite und sei nicht unglaumlubig sondern glaumlubigrdquo Thomas antwortete und sprach zu ihm bdquoMein Herr und mein Gottrdquo (Jo-hannes 2027-28)

Es war nicht das erste Mal dass Jesus Thomas aufforderte zu glauben Jesus hatte ihn schon fruumlher gelehrt bdquoWer an mich glaubt der glaubt nicht an mich sondern an den der mich gesandt hatrdquo (Johannes 1244) Durch das kraftvolle Zeugnis der Auferste-hung konnte Thomas nun bdquosehenrdquo was er zuvor verpasst hatte ndash beide seinen Herrn Jesus als auch seinen Gott

Die Stelle in Johannes 2028 ist weit davon entfernt ein trinitarischer Meistertext zu sein sondern sie bestaumltigt einfach die fruumlhere Lehre Christi von Johannes 14 Thomas meinte bdquomein Herrrdquo um sich auf Jesus zu beziehen der vor ihm stand und bdquomein Gottrdquo um sich auf den Vater zu beziehen der in ihm taumltig war Es gibt zwar eine trinitarische Meinung die uumlber Thomas Aussage aber nicht sicher ist jedoch unsere Interpretation bestaumltigt

Mit dieser Auslegung behaupte ich nicht dass Thomas auf einmal vom begruumlndeten Zweifel zum houmlchsten Grad des Glaubens uumlber-gegangen ist und dass er Christus ploumltzlich als den wahren Gott

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anerkannt hat Das erscheint mir zu viel fuumlr den damaligen Wis-sensstand der Juumlnger wir haben keine Ahnung ob sie die goumlttliche Natur Christi vor der Ausgieszligung des Heiligen Geistes erkannt ha-ben Ich bin daher geneigt diesen Ausdruck zu verstehen der vom erstaunten Thomas ausging und zwar im uumlbertragenen Sinne in-dem er sagte bdquoDerjenige den ich jemals in houmlchstem Maszlige vereh-ren werderdquo Wenn er sich nur an die Worte erinnert die er zehn Tage zuvor aus dem Mund Jesu gehoumlrt hatte (Kapitel 149-10) dann koumlnnte diese Erinnerung den Ausruf veranlasst haben den wahrscheinlich Thomas selbst nicht haumltte voumlllig erklaumlren koumlnnen wie es oft bei solchen spontanen Aumluszligerungen der Fall ist Worte die uns entweichen wenn wir unter dem Eindruck einer uumlberwaumllti-genden Uumlberraschung stehen Aber der Ausdruck koumlnnte doch gleichbedeutend sein mit dem Sprechen bdquoDu Mein Herr Gott ist am innigsten vereint mit dir und er ist in dir - in dir sehe ich Gott als waumlre er vor mir gegenwaumlrtigrdquo Oder man kann einen von den Toten auferstandenen Menschen als bdquogoumlttlichldquo betrachten das Wort sbquoGottrsquo wird ja nicht immer im streng dogmatischen Sinne ver-wendet1308

ChristusderHerrJesus wird im Neuen Testament oft als bdquoHerrrdquo bezeichnet In den Koumlpfen vieler moderner Christen ist das Wort bdquoHerrldquo zu einer Art Eigenname fuumlr den Gott der Bibel geworden Fast zwangslaumlufig denkt man nun dass wenn fuumlr Gott und Jesus der gleiche Ehrentitel verwendet wird dies tatsaumlchlich auf ein und dasselbe Wesen hindeute Dennoch ist bdquoHerrldquo streng genommen lediglich ein Titel aumlhnlich wie bdquoKoumlnigrdquo bdquoMeisterrdquo oder bdquoKapitaumlnrdquo Wie die Gelehrten bemerkt haben wurde dieser Titel und das Neue Testament bestaumltigt dies Jesus fuumlr seinen groszligen Ver-dienst verliehen Petrus erklaumlrt bdquoKlar und deutlich erkenne also das ganze Haus Israel dass Gott ihn zum Herrn und zum Gesalbten gemacht hat diesen Jesus den ihr gekreuzigt habtrdquo (Apg 236) Und gemaumlszlig Paulus erhielt Christus diesen Status insbesondere weil er sich freiwillig gedemuumltigt und bis zum Tod gehorsam geblieben war - so-gar bis zum Tod am Kreuz Aber bdquo hellip Gott hat ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen verliehen der uumlber alle Namen istrdquo (Phil 28-9)

Interessanterweise finden wir wie sich das Neue Testament unter diesem Titel sowohl auf Gott als auch auf Christus beziehen kann Schlachter uumlbersetzt richtig bdquo hellip welche die Gnade unseres Gottes in Zuumlgellosigkeit verkehren und Gott den einzigen Herrscher und unseren Herrn Jesus Christus verleugnenrdquo (Judas 14) Offensichtlich ist

1308 J D Michaelis Notiz zu Joh 2028 zitiert von J P Smith in Script Test Vol 2 pp 68-39

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bdquoHerrldquo nicht ein Eigenname sondern ein Ehrentitel Wir sollten uns daran erin-nern dass Jesus in Markus 1229 kurz und buumlndig erklaumlrte bdquoJahwe unser Gott ist ein einziger Herrrdquo Wenn wir also der Aussage Jesu glauben dass Jahwe ein Herr ist dann sollten wir wenn wir in einem Abschnitt des Neuen Testaments zwei Herren begegnen wohl zustimmen dass nur einer von den beiden Jahwe sein kann

Dennoch werden viele Leser immer noch durch die Benennung des bdquoHerrnrdquo Gott und des bdquoHerrnrdquo Messias [Jesus Christus] verwirrt Das Verstaumlndnis wird leider oft dadurch erschwert dass viele christliche Mainstream-Uumlbersetzungsko-mitees eine merkwuumlrdige juumldische Tradition aufrechterhalten Gottes persoumlnli-chen Namen bdquoJahwehrdquo (manchmal uumlbersetzt mit bdquoJehovardquo) in gedruckten Texten zu verdecken Seit etwa dem zweiten Jahrhundert n Chr vermeiden es die Juden das Tetragrammaton (die vier Buchstaben JHWH) laut auszusprechen und oft sogar zu schreiben aus Angst den heiligen Namen Gottes zu missbrauchen (2 Mose 207) Bis heute rezitieren glaumlubige Juden die Schrift und ersetzen Jahwe unter anderem durch das Wort bdquoHerrldquo (Adonai) Viele englische Ausgaben der christ-lichen Bibel folgen weiterhin dieser Methode und ersetzen Gottes Namen im Text durch den Begriff bdquoHERRNrdquo alles in Groszligbuchstaben geschrieben1309 Diese gaumlngige Praxis hat wahrscheinlich zur Vorstellung beigetragen dass Chris-tus aufgrund seiner Ernennung durch Gott zum bdquoHerrnrdquo im Neuen Testament (Apg 236) als der bdquoHERRldquo des Alten Testaments zu identifizieren ist Hinzu kommt dass sie bei den juumldischen Uumlbersetzungen des Alten Testaments des Heb-raumlischen ins Griechische (zB LXX) an ihrer zuruumlckhaltenden Tradition der Aus-sprache festgehalten haben und fuumlr jeden Fall des bdquoTetragrammsldquo (JHWH) das griechische Wort bdquokyriosrdquo hineinschrieben was bdquoHerr Meisterrdquo bedeutet1310 Die

1309 David Moses und andere biblische Autoren scheinen keine Bedenken gehabt zu haben wenn es um

das Schreiben und Aumluszligern des persoumlnlichen Namens Gottes geht Schlieszliglich scheint es sich um einen von Gott selbst stark propagierten Namen zu handeln dass er ihn benutzte Gott sprach auch zu Mose bdquoSag zu den Israeliten sbquoJahwe der Gott deiner Vaumlter der Gott Abrahams der Gott Isaaks und der Gott Jakobs hat mich zu dir geschicktrsquo Das ist mein Name fuumlr immer der Name den du mich von Generation zu Generation nennen wirstrdquo (2 Mose 315) Viele christliche Uumlbersetzungen haben die Verdunkelungspraxis umgekehrt und drucken nun eine Form des Namens im Text des Alten Testaments zB die Holman (2002) das Emphatic Di-aglott (1864) die ERV (1885) das NEB (1961) das NWT (1984) das Darby (1890) das WEB (2000) Versionen und andere Die Schlachter 2000 Bibel hat folgende Fussnote zu V 14 bdquoDer hebraumlische Name des Gottes Israels (in dieser Uumlbersetzung mit Herr wiedergegeben wahrscheinlich lautete er raquoJahwehlaquo) beruht auf dem hebr Wort hawa = seinexistieren von daher die Wen-dung sbquoIch bin der ich binrsquordquo

1310 Beweise deuten auf die fruumlhesten Versionen der LXX hin die den goumlttlichen Namen beibehalten Spaumltere Manuskripte die wir in unserem Besitz haben nahmen die Praxis der sbquoVerdunkelungrsquo auf Ein einziges Woumlrterbuch zeigt das bdquoJuumlngste textliche Entdeckungen haben die Idee in Frage gestellt dass die Uumlbersetzer der LXX das Tetragrammaton JHWH mit kyrios uumlbersetzt haben Die aumlltesten LXX MSS (Fragmente) die uns jetzt zur Verfuumlgung stehen haben das Tetragrammaton in Hebraumlischen Buchstaben im griechischen Text geschrieben Dieser Brauch wurde von spaumlteren juumldischen Uumlbersetzern des AT in den ersten Jahrhunderten n Chr beibehaltenrdquo (The New International Dictionary of New Testament Theology Vol 2 (1984) p 512)

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griechischen Texte des Neuen Testaments folgten dieser Praxis Die Auswirkun-gen im Neuen Testament ist es manchmal schwierig schluumlssig zu erkennen ob eine Erwaumlhnung des bdquoHerrnrdquo (kyrios) ein Ersatz fuumlr den Namen Gottes bedeutet oder ob es im typischen Sinne einfach als Ehrentitel fuumlr eine Respektsperson ein-gesetzt wird Der trinitarische Bestsellerautor Don Stewart glaubt persoumlnlich dass die Anwendung von bdquoHerrrdquo (kyrios) auf Jesus im Neuen Testament wahrscheinlich ein Hinweis auf seine Divinitaumlt sein koumlnnte raumlumt aber ein dass der Gebrauch nicht zwingend als Hinweis auf die Gottheit ausgelegt werden muss sondern dass der Begriff tatsaumlchlich ein gebraumluchlicher Beiname oder ein Titel fuumlr jemanden sein konnte die nicht unbedingt Gott war

Die Tatsache dass Jesus als sbquoHerrrsquo angesprochen wird bedeutet auch nicht unbedingt dass Menschen seine Goumlttlichkeit anerkannt haben Das griechische Wort fuumlr Herr kyrios kann fuumlr Gottes Na-men verwendet werden ndash Jahwe oder Jehova Kyrios kann aber auch lediglich die Houmlflichkeitsform sein jemanden anzusprechen Zum Beispiel gibt es neben Jesus Menschen die im Neuen Testament als kyrios betitelt werden Manchmal ist kyrios wirklich eine Houmlf-lichkeitsformel [lat honorificum] doch oftmals ist es tatsaumlchlich die Uumlbersetzung des goumlttlichen Namens fuumlr Gott Der Kontext muss bestimmen was gemeint ist1311

Wir fragen uns dann welche Art von bdquoHerrrdquo die Bibel Jesus wirklich beabsichtigt zu bezeichnen Ist er eine menschliche Respektsperson oder handelt es sich um Gott selbst Als Jesus den Ehrentitel zugesprochen erhielt [von Gott] was hat er selbst dazu gemeint

Es gibt einen Vers im Alten Testament auf den sich das Neue Testament des Oumlfteren bezieht und der die genaue Natur dieses Titels offenbart wie er auf Christus angewendet wird Psalm 1101 Dieser Abschnitt ist der am haumlufigsten zitierte alttestamentliche Vers im Neuen Testament entweder von Jesus oder sei-nen Juumlngern sage und schreibe mindestens 23 Mal In Psalm 110 hatte Koumlnig David die Rolle des Propheten uumlbernommen und prophezeite uumlber die Interak-tion zwischen Gott und dem zukuumlnftigen Messias

Der HERR sprach zu meinem Herrn bdquoSetze dich zu meiner Rechten bis ich deine Feinde zum Schemel unter deine Fuumlsse legerdquo Psalm 1101 zitiert von Jesus bei Markus 1237 (Luther 2017)

1311 Don Stewart ldquoWhy Was Jesus Called Lordrdquo The Blue Letter Bible Web 5 May 2013

lthttpwwwblueletterbibleorgfaqdon_stewartstewartcfmID=787gt (Warum wurde Jesus Herr ge-nannt)

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Allgemein wird angenommen David beschreibt den Messias als seinen bdquoHerrnrdquo die Frage ist in welchem Sinne1312 Einige Trinitarier haben mehrfach versucht diesen Vers in einen Beweis der Dreifaltigkeit umzuwandeln und geben vor hier zwei [ebenbuumlrtige] bdquoHerrenrdquo auszumachen einander gleichgestellt waumlren beide Jahwe Im Wesentlichen wird deshalb behauptet der Text laute bdquoAdonai sagte zu Adonairdquo oder bdquoJahwe sagte zu Jahwerdquo Aber laumlsst sich diese These aufrecht-erhalten Zeigt der Vers wirklich dass es zwei gibt die den Namen Jahwe tragen

Eine einfache Untersuchung der Worte wird sofort beweisen dass die beiden Herren in Psalm 1101 nicht gleich sind [Viele deutsche Uumlbersetzungen geben das erste mit HERR und das zweite mit Herr wieder Anm des Uuml] Der zweite Herr hier ist derjenige von dem Jesus in Markus 1237 ausgeht prophetisch damit ge-meint zu sein Der hebraumlische Begriff lautet hier eindeutig bdquoadonirdquo Der fuumlr Gott gebraumluchliche Name hingegen lautet bdquoadonairdquo Der minime Unterschied der Wor-tendungen (-ai versus -i) ist allerdings houmlchst signifikant In der hebraumlischen Bibel wird adoni 195 Mal verwendet und umschreibt jeweils wohl immer eine Person in vorgesetzter Stellung aber ohne Gottheitsanspruch Beispiele sind der Koumlnig Da-vid der Erzvater Abraham und verschiedene Engelswesen bdquoadonirdquo wird nie fuumlr Gott verwendet1313 Gewisse populaumlre Uumlbersetzungen (wie NGUuml GNB NLB und NeUuml) die meist von Trinitariern publiziert werden stellen die beide Worte bdquoadonairdquo und bdquoadonirdquo in Psalm 1101 absichtlich [gleichlautend] mit bdquoHerrrdquo dar Dies sieht dann so aus als ob [ein] Gott zu [einem] Gott spricht Die aumllteren Uumlbersetzungen hingegen geben den Vers in dieser Fassung wieder bdquoDer HERR sprach zu meinem Herrnrdquo (LUT ELB HFA SLT ZB und Menge

Sara nannte ihren Mann bdquoHerrldquo

Sara lachte in ihrem Innern und sagte Nachdem ich alt geworden bin sollte ich noch Liebeslust haben Und auch mein Herr (adon) ist ja alt (in 1Mose 1812)

1312 Obwohl der Messias der Nachkomme Davids und in der patriarchalischen hebraumlischen Gesellschaft

nicht groumlszliger als sein Vater ist wendet sich Jesus an Davids Vision ndash wohl als Beweis dafuumlr dass er mit mehr Respekt und Autoritaumlt als sein beruumlhmtester Vorfahre ausgestattet werden sollte bdquoWaumlhrend nun die Pharisaumler versammelt waren stellte Jesus ihnen eine Frage Was haltet ihr von dem ChristusMessias wessen Sohn ist er Sie sprachen zu ihm Der Sohn Davids Er sprach zu ihnen sbquoWie nennt ihn David im Geiste Herr und sprach Der Herr sprach zu meinem Herrn Setz dich zu meiner Rechten bis ich deine Feinde unter deine Fuumlszlige lege Wenn David ihn dann Herr nennt wie ist er dann sein Sohn Niemand konnte ihm ein Wort antworten und auch niemand wagte es von diesem Tag an ihm eine andere Frage zu stellenrdquo (Matthaumlus 2241-46 ebenfalls berichtet in Markus 1237 Lukas 2044) Siehe auch unsere Fuszlignote Nr 1309 in diesem Buch

1313 Anthony F Buzzard The One God the Father One Man Messiah Translation (McDonough Restoration Fellowship 2015) S 145 bdquo sbquoHerrrsquo im Alten Testament wird verwendet um Adonai zu uumlbersetzen wenn er sich auf das Goumlttliche Wesen bezieht Das hebraumlische Wort hat ein Suffix [eine Endung mit einem Vokal] vermutlich um zwischen goumlttlicher und menschlicher Bezeichnung zu unterscheidenrdquo (ldquoLordrdquo Hastingssbquo Dictionary of the Bible Vol 3 p 137)

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Eliezer nannte Abraham zwei Mal seinen bdquoHerrnrdquo

Jahwe Gott meines Herrn (adoni) Abraham lass es mir doch heute begeg-nen und erweise Gnade an meinem Herrn (adoni) Abraham (in 1 Mose 2412)

Abigail nannte David ihren bdquoHerrnldquo und kniete zu seinen Fuumlszligen nieder

Sie fiel ihm zu Fuumlszligen und sagte Auf mich allein mein Herr (adoni) falle die Schuld Lass doch deine Magd reden vor deinen Ohren und houmlre die Worte deiner Magd (in 1 Samuel 2524)

Josua nannte Mose seinen bdquoHerrnldquo

Und Josua der Sohn des Nun der schon von seiner Jugend an der Diener des Mose gewesen war antwortete Mein Herr (adoni) Mose halte sie zu-ruumlck (in 4 Mose 1128)

Es sei hier um der Klarheit willen nochmals wiederholt Die gemeinsame Wort-wurzel ist adon die Endung adonai wird angewendet wenn das Wort fuumlr oder im Zusammenhang mit Gott verwendet wird und die Endung adoni wird angewen-det wenn es fuumlr Menschen oder gelegentlich fuumlr Engel in Autoritaumltspositionen verwendet wird1314 Frederick Bruner obwohl ein engagierter Trinitarier erkennt dies an

bdquoDer Herr sagte zu meinem Herrnrdquo bedeutete bdquoGott sagte zu mei-nem Koumlnigrdquo Im Hebraumlischen heiszligt der Satz bdquoJahwe sagte zu Adonirdquo Adoni bedeutet bdquomein Meisterrdquo oder bdquomein Herrrdquo Der fromme Jude wuumlrde diesen Satz lesen indem er bdquoJHWHrdquo (Jahwe) bedeckte und stattdessen sagte bdquoAdonai sagte zu Adonirdquo Adonai (im Unterschied zu Adoni) bedeutet Jahwe der Gott der Israel of-fenbart wurde Die griechische Uumlbersetzung (LXX) des hebraumli-schen Textes schrieb hier einfach bdquoDer Kyrios sagte zu meinen Kyriosrdquo mit demselben Wort fuumlr beide hebraumlischen Begriffe [Aber] der zweitgenannte offenbar menschliche bdquoHerrrdquo im zweiten

1314 Das hebraumlische Lexikon von BDB macht den klaren Unterschied dass Adoni sich konsequent auf

Fuumlrsten bezieht die nicht der allmaumlchtige Gott sind bdquoein Hinweis auf die Menschen Mein Herr mein Meister (adoni) (a) Meister Bsp 215 (Buumlndniscode) 1 Mose 2412+ 445 (J 20t) 1 Sam 301315 2 Koumlnige 532022 615 (b) Mann 1 Mose 1812 (J) (c) Prophet 1 Koumlnige 18713 2 Koumlnige 219 41628 65 85 d) Prinz 1 Mose 4210 (E) 1 Mose 2361115 (P) 1 Mose 4320 4418 4718 + (J 12t) Richter 418 (e) Koumlnig 1 Sam 2212+ (SampK 75t) (f) Vater 1 Mose 315 (E) (g) 2 Mose 3222 4 Mose 1128 1211 3226-27 (J) 4 Mose 362 (2x) (P) (h) Priester 1 Sam 11526 (2x) (i) the-ophanischer Engel [ein Engel der Gott darstellt] Josua 514 Richter 613 (j) Hauptmann 2 Sam 1111 (k) allgemeine Anerkennung der Uumlberlegenheit 1 Mose 2418 325 338 447 (J 13t) Ruth 213 1 Sam 2524+ (15t)rdquo

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Substantiv des Psalms unterscheidet sich von der Divinitaumlt des ers-ten bdquoHERRNrdquo wie die strenge Exegese nahelegtrdquo1315

In diesem Zusammenhang ist es ratsam sich mit der bdquostrengen Exegeserdquo zu be-fassen Wenn der Wortlaut des zweiten Herrn eine sbquoNichtgottheitsbquo bezeichnet und Jesus selbst beteuerte persoumlnlich dieser Herr zu sein waumlre dann eine andere In-terpretation moumlglicherweise eisegetisch [Eisegese bezeichnet eine Textauslegung bei der etwas in den Text hineininterpretiert wird das entweder gar nicht darin steht oder nicht gemeint ist Im Deutschen spricht man auch vom bdquoHineinlesenrdquo bdquoHineindeutenrdquo oder bdquoHineininterpretierenrdquo Anm des Uuml] Im Lichte dieser Le-sung stellte sogar Jean Calvin die Frage bdquoHaumltte Gott nicht jemanden der mensch-lichen Rasse als Erloumlser auferwecken koumlnnen um gleichzeitig Davids Herr und Sohn zu seinrdquo1316 Wir muumlssen unter dem Druck der Schrift ausdruumlcklich mit bdquoJardquo antworten Natuumlrlich liefern Calvin und andere Ausleger die sich dem Interpre-tationsrahmen des Konzils von Chalcedon so bdquovorbehaltlos verpflichtetrdquo fuumlhlten die uumlbliche orthodoxe Antwortrdquo1317 bdquoNeinrdquo protestieren sie bdquoer [Jesus] muss mehr als das gewesen sein sogar Gott selbst obwohl der Text dies nicht aus-druumlcklich sagtrdquo Die Auswirkungen des biblischen Urtextes auf die traditionelle Doktrin werden als bedrohlich empfunden Anthony Buzzard der die Bedeutung einer korrekten Lesung des Psalms 1101 erkennt beschreibt den Abschnitt auf diese Weise

1315 Frederick Dale Bruner The Churchbook Matthew 13-28 (Grand Rapids Eerdmans 1990) p 423 (Das

Kirchenbuch Mt 13-28) 1316 Calvin 343 wie von Emil Brunner zitiert In Matthaumlus 2242ff Jesu Frage bdquoWas denkt ihr uumlber den

Messias Wessen Sohn ist errdquo scheint eine Umformulierung seiner fruumlheren Frage an seine Juumlnger zu sein bdquoWer ist eurer Meinung nach der Menschensohnrdquo (Mt 1613ff) In Matthaumlus 2242 befasst sich Jesus mit seinem sbquoPrimatsbquo als Gottes erwaumlhltem Vertreter Er stellt fest dass Gott einen Mann erweckt hat der gleichzeitig Davids Sohn und sein Herr ist Er stellt klar dass der davidische Messias nicht einfach ein anderer Prinz in einer langen Reihe von Koumlnigen war - ansonsten waumlre sein Vorfahre David [sta-tusmaumlszligig] groumlszliger als er angesehen worden Der Messias sollte auch der adamitische MeisterRegent der Erde sein der Sohn Gottes (siehe Lukas 338 1 Mose 315 Psalm 8 6 Roumlmer 413) Jesu Taktik bestand darin den davidischen Messias von Psalm 1101 mit dem eschatologischen adamischen Herrscher (Sohn des MenschenAdam) von Daniel 7 zu verbinden wie in Matthaumlus 2664 zu sehen ist In Matthaumlus 2242ff scheint er sich sogar auf eine aumlhnliche Polemik einzulassen Er macht sich zum bdquoSohn Davidsrdquo und zum Erben Davids uumlber Israel sowie zum bdquoSohn Gottesrdquo und zum Erben Adams uumlber die Erde Somit ist der Messias Davids Sohn aber er ist auch David rangmaumlszligig uumlbergeordnet Dass Jesus mit dieser Frage nicht impliziert irgendwie der einzig wahre Gott zu sein liegt auf der Hand Im Evangelium des Markus stellt Jesus fest dass bdquoJahwe unser Gottrdquo nur bdquoein Herrrdquo ist (Mk 1229) und zitiert dann sofort Psalm 1101 in dem es zwei Herren gibt bevor er seine Fragen zur Identitaumlt des Messias stellt Wenn Gott nur ein Herr ist was ist dann mit dem anderen Herrn in Psalm 1101 Er ist eine menschliche Figur (Adoni) die von Gott sogar uumlber seinen eigenen Vorfahren den groszligen Koumlnig David erhoumlht wurde

1317 bdquoWir haben uns hoffnungslos der chalcedonischen Formulierung verschriebenrdquo (Geivett Phillips Okholm McGrath Pinnock Hick Phillips Four Views on Salvation in a Pluralistic World p 74) (Vier Ansichten zur Errettung in einer pluralistischen Welt)

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Psalm 1101 ist der wichtigste Beweistext der Bibel um den Unter-schied zwischen dem Einen Gott und dem Messias [der Gesalbte der Christus] der nicht Gott ist zu erklaumlren Den Messias Adonai zu nennen fuumlhrt bdquozwei Goumltterrdquo in die Bibel ein und kaumlme dem Po-lytheismus gleich Psalm 1101 sollte uns alle davor bewahren an-zunehmen dass es zwei gibt die Gott sind Tatsaumlchlich ist der Mes-sias der ranghoumlchste Mensch und Vertreter des Einen Gottes Psalm 1101 ist der Haupttext der Bibel um den Sohn Gottes in der Beziehung zu dem Einen Gott seinen Vater klar zu definie-ren1318

Angesichts dieser fuumlr Trinitarier bedrohlichen Beweise haben einige versucht den Folgerungen des Psalms 1101 auszuweichen indem sie auf die unfundierte Spe-kulation zuruumlckgreifen dass die urspruumlnglichen hebraumlischen Texte im siebten Jahrhundert n Chr von den Masoreten geaumlndert worden sein koumlnnten da sie den konsonanten Text des Hebraumlischen mit dem so genannten Nikkud oder dem Vo-kalpunkt geschmuumlckt haben um die Aussprache zu konservieren Ohne Beweise vorzulegen wurde nun behauptet dass diese Juden den Text absichtlich forciert haben um darauf hinzuweisen dass der Messias ein bdquoadonirdquo also ein Wuumlrdentrauml-ger ohne Gottheitsanspruch war Sie wollten damit die christliche Vorstellung von der Divinitaumlt Christi kontern Das trinitarische Argument beinhaltet im Wesent-lichen dass weil die beiden bdquoHerrenrdquo ohne die bdquoVokal-Punktierungrdquo schriftlich gleich aussehen die urspruumlngliche Aussprache von Psalm 1101 bdquoJahwe sagt zu meinem Jahwerdquo oder bdquoJahwe sagt zu Adonairdquo lautete bevor die Manuskripte ma-nipuliert worden seien Aber dieser Vorschlag ist abzulehnen da er nichts anderes als eine Verschwoumlrungstheorie ist Die Behauptung einer Intrige der Schriftge-lehrten wuumlrde gar nicht erst aufkommen waumlre der Vers selbst nicht so destabili-sierend Wie wir feststellen koumlnnen gibt es keine Hinweise auf eine boumlswillige Veraumlnderung des Textes [durch die Masoreten oder irgendwen]

Die Septuaginta (LXX) die ins Griechische uumlbersetzte Hebraumlische Heilige Schrift die von juumldischen Weisen um 250 v Chr geschrieben wurde dh lange vor der Entwicklung der masoretischen Zeichen unterscheidet sehr wohl zwi-schen dem ersten und zweiten Herrn des Psalms 1101 Der erste Herr wird als bdquoho kyriosrdquo (der Herr) und der zweite als bdquoto kyrio mourdquo (zu meinem Herrn) uumlber-setzt Letzteres ist die foumlrmliche Floskel mit der in der LXX Persoumlnlichkeiten von houmlherem Rang auszligerhalb der Gottheit uumlblicherweise angesprochen wur-den1319 Wenn der zweite Herr eigentlich Jahwe bedeutet haben sollte bevor die

1318 Anthony F Buzzard ldquoAdonai and Adonirdquo Focus on the Kingdom Web 10 September 2014

lthttpwwwfocusonthekingdomorgarticlesadonaihtmgt 1319 In der LXX wird das hebraumlische ldquoadonirdquo in 1 Mose 2414363944 32519 1 Sam 247 252630 2

Sam 1828 1929 1 Koumlnige 1813 2 Koumlnige 1823 1 Chron 213 Jes 368 und mehr uumlbersetzt Es

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Masoreten das Manuskript angeblich verdorben haben bliebe rudimentaumlr der textlich anomale Satz bdquozu meinem Jahwerdquo Im Hebraumlischen gibt es keinen Fall dass der goumlttliche Name durch das schwache Praumlfix (bdquozu meinemrdquo) eingeleitet wird Wie Wissenschaftler gezeigt haben

Die Form bdquozu meinem Herrnrdquo wird im Alten Testament anderswo nie als goumlttliche Referenz verwendet [Diese Beobachtung] ver-leiht der allgemein anerkannten Tatsache dass die masoretischen Zeichen eine Unterscheidung zwischen goumlttlichen Beziehungen (adonai) von menschlichen Beziehungen (adoni) ermoumlglichen weite-ren Glauben1320

Auch im Griechischen wird die Form bdquoto kyrio mourdquo nie fuumlr Gott verwendet Diese Form bezeichnet immer einen menschlichen Obersten Beachten Sie die atembe-raubende Parallele zwischen Psalm 1101 und 1 Samuel 2530 die lautet bdquowenn Jahweh [kurios] meinem Herrn [kyrio mouladoni] nach all dem Guten das er uumlber dich gesagt hat tut rdquo Dieser zweite Herr ist der Menschenfuumlrst David So kom-men die Gelehrten in Psalm 1101 zum Schluss dass bdquoder Satz sbquoan meinen Herrnrsquo offenbar darauf hinweist dass David diese Aussage von Jahwe an einen mensch-lichen Gebieter gerichtet hatrdquo1321

All dies veranlasste offensichtlich die Trinitarier die unhaltbare Theorie voran-zutreiben dass die Masoreten im 7 Jahrhundert n Chr die Bedeutung des Textes

gibt drei seltene Ausnahmen in denen bdquokurio mourdquo (mein Herr) verwendet wird um sich in der LXX auf Gott zu beziehen In diesen Beispielen wird jedoch nur eine Person mit Doppeltiteln angesprochen In der griechischen Uumlbersetzung von 2 Mose 349 werden sowohl bdquoKyriosrdquo als auch bdquoKyrios mourdquo verwendet um das gleiche Thema zu beschreiben es ist eine Moumlglichkeit einen zweiten uumlberfluumlssigen Bezug zum gleichen Herrn zu formulieren In Psalm 162 wird bdquokurios mourdquo als zweiter Titel fuumlr bdquoJahwerdquo verwendet und in Psalm 3523 wird bdquokurios mourdquo auch als zweiter Titel verwendet - er ist bdquomein Gottrdquo und bdquomein Herrrdquo (kurios mou) In jedem dieser ungewoumlhnlichen Faumllle gibt es keinen zweiten kon-trastierenden Herrn Wir sollten Aumlpfel nicht mit Birnen vergleichen Diese Ausnahmen beziehen sich nur auf ein Thema waumlhrend Psalm 1101 beinhaltet dass Gott zu einem anderen Herrn spricht In der hebraumlischen Bibel wenn Jahwe neben einem anderen Fuumlrsten vorgestellt wird ist der zweite Fuumlrst immer die Nicht-Gottheit bdquoadonirdquo (siehe 1 Sam 2530 2 Sam 48 1 Mose 2427) So wird in der LXX bdquokurios mourdquo fuumlr jeden anderen Herrn verwendet der in der Beziehung zu Gott erscheint Es ist wahr dass Griechisch nur ein Wort fuumlr Herrn und Fuumlrst hat bdquoKyriosrdquo aber das aumlndert nichts daran dass die be-sondere Form in Psalm 1101 bdquoto kyrios mourdquo (zu meinem Herrn) nie als Bezugnahme auf Gott im LXX verwendet wird noch daran dass in den 6828 Faumlllen von Jahweh im Griechischen keiner von ihnen bdquokurios mourdquo uumlbersetzt wird Dieser Satz ist niemals ein Ersatz fuumlr den goumlttlichen Namen Auszligerdem wird Jahwe in der hebraumlischen Bibel nie bdquoadonirdquo genannt und bdquoladonirdquo (zu meinem Herrn) wird nie als goumlttliche Referenz verwendet Siehe auch Hermann Cremer Biblico-Theological Lexicon of New Testament Greek (Edinburgh T amp T Clark 1878) pp 382-384

1320 Herbert W Bateman ldquoPsalm 1101 and the New Testamentrdquo Bibliotheca Sacra Vol 149 (Dallas DTS 1992) p 448 See also G V Wigram The Englishmanrsquos Hebrew and Chaldee Concordance of the Old Testament 5th ed (Grand Rapids Zondervan 1970) p 22 See also O Eissfeldt ldquoadhon adhonairdquo The Theological Dictionary of the Old Testament Vol 1 (Grand Rapids Eerdmans 1974) p 62

1321 Bateman p 448

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veraumlnderten Aber die Geschichte wirkt dieser Spekulation entgegen Es steht au-szliger Frage dass der hebraumlische Text im ersten Jahrhundert n Chr noch nicht die Vokal-Punktierung hatte Vergessen wir nicht dass diese Punktierung nur einge-fuumlhrt wurde um eine Tradition der Aussprache von alters her zu bewahren und zu konservieren Psalm 1101 wurde in den hebraumlischen Gemeinschaften seit Jahrhunderten laut vorgelesen In juumldischen Schriften vor den masoretischen Tex-ten ist das Verstaumlndnis dieser hebraumlischen Gemeinschaften erhalten geblieben Der zweite Herr des Psalms 1101 galt nicht als Gott sondern stets als Mensch jedoch ohne Goumlttlichkeitsrang

Ende des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung wurden rabbinische Lehren gesammelt aus Angst dass juumldische Traditionen durch Krieg und Verfolgung verloren gehen koumlnnten Eine Sammlung die Mischna (zusammengestellt um 200 n Chr) erinnert an andere biblische Interpretationen aus der Aumlra des Zweiten Tempels (536 v Chr - 70 n Chr) in welcher der zweite Herr eindeutig als Ab-raham identifiziert wird Der babylonische Talmud (ca 300 n Chr) folgt diesem Beispiel1322 Der Rabbiner Zacharias aus dem dritten Jahrhundert spricht im Na-men des Rabbiners Ismael aus dem ersten Jahrhundert (90-135 n Chr) und be-zeichnet den zweiten Herrn ebenfalls als Abraham1323 Auch der grosse Rabbi Akiva (40-137 n Chr) kommt zu diesem Schluss1324 Akiva ist insofern bemer-kenswert als er ein enger Freund und Anhaumlnger von Gamaliel (gest 63 n Chr) war der auch der Tutor des Apostels Paulus war (Apg 223) Dies stellt die abra-hamitische (menschliche) Lesung des zweiten Herrn unmittelbar in die Welt der fruumlhesten Jesusgemeinschaft Ein weiteres aber etwas spaumlteres Werk das an diese fruumlheren Interpretationen erinnert bestaumltigt dass bdquounsere Rabbiner es so inter-pretiert haben dass sich der Vers auf Abraham unseren Vater beziehtrdquo1325 Die-ser Kommentar verbindet sogar den sbquoHerrnsbquo in Psalm 1101 mit dem adoni der von Abraham in 1 Mose 236 verwendet wurderdquo1326 Die Wissenschaftler kom-men zu dem Schluss dass dies bdquoeinen guten Uumlberblick uumlber die fruumlhe rabbinische

1322 Siehe Francis A Sullivan Robert Faricy Ignation Exercises Charismatic Renewal (Eugene Wipf amp Stock

1977) p 34 1323 Talmud b Ned 32b Die Rabbiner erklaumlrten dass das Priestertum von Melchisedek (identifiziert als

Noahs Sohn Shem) genommen und Abraham gegeben worden seihellip Siehe M McNamara ldquoMelchize-dek Gen 14 17-20 in den Targums in der Rabbinishen und fruumlhen Literaturrdquo Biblica Vol 81 (Rome Pontifical Biblical Institute 2000) pp 1-31 See also Gard Granerod Abraham and Melchizedek Scribal Activity of Second Temple Times in Genesis 14 and Psalm 110 (Berlin Walter de Gruyter 2010) pp 217-219

1324 Siehe Genesis Rabbah 465 Cf 556 7 Leviticus Rabbah 256 1325 Midrash Schocher Tov (Tehillim) Psalm 110 Siehe Maye Irwin Gruber Rashirsquos Commentary on Psalms

(Leiden EJ Brill 2004) p 645 1326 Gard Granerod Abraham and Melchizedek Scribal Activity of the Second Temple Times (New York

Walter de Gruyter 2010) p 218 (Abraham und Melchisedek Aktivitaumlten der Schriftgelehrten waumlhrend der Aumlra des zweiten Tempels) siehe auch Gerhard Bodendorfer bdquoAbraham zu Gottes Rechten Psalm 110 in der Rabbinischen Traditionrdquo Evangelische Theologie Vol 59 (1999) pp 252-266

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Interpretation dieses Psalms gibtrdquo In der Mitte des zweiten Jahrhunderts finden wir Tryphon den Juden der Psalm 1101 als eine Bezugnahme auf den Koumlnig Hiskija (750 ndash 696 v Chr) interpretiert1327 und andere als Hinweis auf Koumlnig Saul1328 Obwohl es klar ist dass bdquoder Leser der Periode des Zweiten Tempels eindeutig David als Sprecher des Psalms 110 annahmrdquo1329 argumentierten noch andere spaumlter folgende Interpretationen dass mit dem zweiten Herr tatsaumlchlich David selbst gemeint war1330 Alle diese Deutungen sind deshalb von Bedeutung weil die juumldischen Weisen nicht auf ihrer Auslegung beharrt haumltten dass der zweite Herr keine Gottheit war wenn der urspruumlngliche Text jemals [fuumlr den zweiten Herrn] bdquoJahwerdquo oder bdquoadonairdquo gelautet haumltte wie es die Verschwoumlrungs-theorie faumllschlicherweise wahrhaben will

Am weitesten verbreitet war die Ansicht in der vormasoretischen Welt dass Psalm 1101 ein klarer Hinweis auf Abraham sei Aber wie sind die Juden zu die-ser Uumlberzeugung gelangt Ein Gelehrter erklaumlrt dass eine bdquoBeobachtung der Le-ser der Periode des Zweiten Tempelsrdquo sie zu dieser Auslegung fuumlhrte Abraham wurde im 1 Buch Mose haumlufig als bdquoadonrdquo betitelt1331 So war es naheliegend dass schon in den Jahrhunderten vor den masoretischen Texten Psalm 1101 unveraumln-dert bdquoadonirdquo (mein Herr) gelautet hatte

Das krampfhafte Argument dass die Masoreten absichtlich und irrtuumlmlich die Standardaussprache geaumlndert haben wird durch die Tatsache widerlegt dass die fruumlheren Targums einen sbquozweiten Herrn ohne Gottheitsanspruchsbquo unterstuumltzen und die fruumlheren Rabbiner den zweiten Herrn als Abraham oder David interpre-tierten den Masoreten lag alles daran einfach eine ererbte juumldische Tradition zu konservieren Es gibt zudem keinen Beweis aus der Aumlra des Zweiten Tempels die fuumlr eine juumldische Interpretation des Psalms 1101 spricht den zweiten Herrn als Jahwe selbst zu identifizieren Es fehlt auch jeder Beweis dafuumlr dass die spauml-tere masoretische Lesung in irgendeiner Weise von der Lesung in der neutesta-mentlichen Gemeinschaft abgewichen waumlre In der Tat wenn Jesus Psalm 1101

1327 Justin Martyr Dialogue with Trypho Ch 32-33 83 (Dialog mit Tryphon) 1328 Granerod p 224 1329 Ebenso 1330 Midrash Psalm 110 Targum Psalm 110 See Granerod p 218 fn 14 Siehe auch David M Stec The

Targum of Psalms Translated with a Critical Introduction Apparatus and Notes (London T amp T Clark 2004) pp 202-203 (Targum der Psalmen uumlbersetzt mit einer kritischen Einfuumlhrung mit Referenzen und Anmerkungen)

1331 Granerod stellt fest dass Abraham im bdquo1 Mose 18 (Vers 12 von Sarah) und 24 (mehrmals von seinem Diener) bdquoadonirdquo genannt wird In 1 Mose 2465 wird Isaak bdquoadonirdquo genannt (von Abrahams Diener) Auszligerdem wird Josef in der Josef-Novelle mehrmals als bdquoHerrrdquo bezeichnet 1 Mose 42103033 4320 4481618-20222433 (von seinen Bruumldern) 1 Mose 445 (von seinem Verwalter) 1 Mose 458-9 (von ihmvon Jahweh) 1 Mose 471825 (von den Aumlgyptern)rdquo (Granerod S 224 fn 2) Rashis Kommentar zu Psalm 1101 der an fruumlhere rabbinische Traditionen erinnert lautet bdquoDas Wort des Herrn an Abra-ham den die Welt sbquomeinen Meisterrsquo nannte wie es geschrieben steht (1 Mose 236) sbquoHoumlre auf uns mein Meisterrsquo (Herr - adoni)rdquo

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in Markus 1462 zitiert und wenn Stephanus den Vers in Apg 756 erneut er-waumlhnt beziehen sie sich beide auf bdquoden Menschensohnrdquo nicht auf Gott [Jahwe] Oder sitzt etwa [noch] ein Gott zur Rechten Gottes bdquoMenschensohnrdquo bedeutet also einfach nur Mensch1332 Die Lesart unter den Urchristen muss ebenfalls bdquoadonirdquo gewesen sein nicht etwa bdquoJahwerdquo oder bdquoAdonairdquo Gott wird in der heb-raumlischen Bibel nirgendwo als bdquoMenschensohnrdquo bezeichnet und ausdruumlcklich nicht bdquoals Menschrdquo (4 Mose 2319) Es ist offensichtlich dass im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung Psalm 1101 weder Juden noch Christen glaubten der zweite Herr stelle Gott dar Hier spricht nicht bdquoGott zu Gottldquo was der Fall waumlre wenn der Text jemals vor einer angeblichen masoretischen Verschwoumlrung bdquoado-nairdquo gelautet haumltte Die metaphysische trinitarische Lesart von Psalm 1101 ist erwiesenermaszligen ein Anachronismus Diese unfundierte Theorie uumlber eine juumldi-sche Verschwoumlrung ist eine unnoumltige Ablenkung von den wahren Tatsachen

Letztendlich sollte der Trinitarier nicht hoffen dass der Originaltext bdquoJahwe sagte zu meinem Jahwerdquo gelautet habe dh eine Praumlsentation von zwei Jahwe macht nicht einmal gegenuumlber dem trinitarischen Glauben Sinn Wenn es heiszligen wuumlrde bdquoJahwe sagte zu meinem Adonairdquo haumltten wir immerhin zwei Goumltter von denen einer zum anderen spricht Die Idee von zwei Jahwe oder zwei adonai steht im Widerspruch zur Religion sowohl der alten Israeliten als auch der Juden des ers-ten Jahrhunderts (siehe Neh 96 5 Mose 435 64 Markus 1232) Psalm 1101 bleibt ein brillanter Maszligstab der Klarheit uumlber die Person des Menschen Messias und seiner Beziehung zu Gott Der Vers gibt der orthodoxen Lehre der Dreifal-tigkeit einen vernichtenden Schlag Abschlieszligend bemerkt bestaumltigt Hebraumler 13-413 uumlberdies dass kein Engel zur Rechten Gottes sitzt Eine engelhafte bdquoariani-scherdquo Sichtweise wird ebenso unmoumlglich gemacht wie die trinitarische Hypo-these1333

EinGottundeinHerrIm Judasbrief Vers 4 uumlbersetzt die englische KJV als einzige die griechischen Worte ldquodenying the only Lord God and our Lord Jesus Christrdquo zu Deutsch bdquo verleugnen den alleinigen Herrgott und unseren Herrn Jesus Christusrdquo Diese Worte sind in keiner deutschsprachigen Version so zu finden Wir haben bisher sicherlich genuumlgend Beweise dafuumlr erbracht dass die Ernennung Christi zum

1332 bdquoDie Bezeichnung sbquoSohn des Menschenrsquo bedeutet ganz einfach sbquomenschliches Wesenrsquo [oder] sbquoMenschrsquo

rdquo (W S Lasor D A Hubbard F W Bush Old Testament Survey The Message Form and Background of the Old Testament (Grand Rapids Eerdmans 1996 [1982]) p 581)

1333 bdquoNachdem er die Reinigung der Suumlnden bewirkt hat sich gesetzt hat zur Rechten der Majestaumlt in der Houmlhe indem er um so viel besser geworden ist als die Engel Zu welchem der Engel aber hat er je gesagt Setze dich zu meiner Rechten bis ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Fuumlszligerdquo (Hebraumler 13b - 4a13)

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bdquoHerrnrdquo nicht bedeutete dass er bdquozum alleinigen Herrgottrdquo geworden ist Ande-rerseits ist er deutlich von Gott unterscheidbar Wir muumlssen auch beachten dass wenn Jesus als bdquoHerrrdquo beschrieben wird dies oft in Verbindung mit einer Be-schreibung des Vaters als bdquoGottrdquo geschieht Es ist in der Schrift nicht nur uumlblich zwischen den einzelnen Personen sondern auch zwischen den Merkmalen der Ehrentiteltraumlger klar zu unterschieden Diese Unterscheidung wird von Paulus wie folgt hervorgehoben

bdquoDenn wenn es auch sogenannte Goumltter gibt im Himmel oder auf Erden - wie es ja viele Goumltter und viele Herren gibt - so ist doch fuumlr uns ein Gott der Vater von dem alle Dinge sind und wir auf ihn hin und ein Herr Jesus Christus durch den alle Dinge sind und wir durch ihnrdquo(1 Korinther 86)

Dies ist eine echt aufschlussreiche Erklaumlrung Paulus identifiziert hier zwei Kate-gorien bdquoGottrdquo und bdquoHerrrdquo und er definiert exakt auch wer zu diesen exklusiven Kategorien gehoumlrt indem er ihre Rolle und ihre Funktion naumlher erlaumlutert Der eine Gott der Christen ist ausschlieszliglich bdquoder Vaterrdquo von dem alle Dinge sind Die Rolle des Vaters ist die des Schoumlpfers - waumlhrend der Herr Jesus Christus derjenige ist durch den alle Dinge geschehen dh seine Rolle ist die eines Vermittlers zwi-schen Gott und der Welt 1 Timotheus 25 bdquoDenn es gibt einen Gott und einen Mittler zwischen Gott und den Menschen den Menschen Christus Jesusrdquo Waumlhrend die Rolle des Herrn Jesus also der kritische Mittelpunkt der Schoumlpfung ist finden alle Dinge ihre Quelle nur im bdquoeinen Gott dem Vaterrdquo Ein katholischer Gelehrter schreibt

Fuumlr diese fruumlhen Christen war der Titel bdquoHerrrdquo also keine Gleich-setzung von Jesus mit Gott Die Ernennung verband aber zwei Dinge gleichzeitig den auferstandenen Jesus so nah wie moumlglich mit Gott dessen Ehre er teilte und es unterschied ihn von Gott weil der ihn als Menschen vom Tod wieder zum Leben auferweckte Wegen der Rolle in die Gott Jesus [neu] eingesetzt hat indem er ihn von den Toten auferstehen liess dh durch Gottes Gabe hat der auferstandene Jesus Anspruch auf die Ehre die letztendlich Gott gebuumlhrt Diese Anschauung ist weit entfernt von den bdquochrist-lichenrdquo Glaubensbekenntnissen die im vierten und fuumlnften Jahr-hundert entwickelt wurden1334

1334 Jerome Crowe From Jerusalem to Antioch The Gospel Across Cultures (Collegeville The Liturgical

Press 1997) pp 114-115 (Von Jerusalem nach Antiochien Das Evangelium durchquert die Kulturen)

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Trotzdem behaupten viele evangelikale Gelehrte dass Paulus in 1 Korinther 86 tatsaumlchlich bdquodas Shema spaltetrdquo um Jesus dem einen Gott des Judentums einzu-verleiben1335 Aber eine solche Aktivitaumlt scheint fuumlr einen pharisaumlischen Mono-theisten wie Paulus undenkbar Jesus engagiert sich natuumlrlich nicht fuumlr eine solche Aufhebung und bekraumlftigt das Shema wie es bis heute unveraumlndert im Judentum steht als das bdquooberste Gebotrdquo (Markus 1229) Aber haumltte Paulus wirklich beab-sichtigt das Glaubensbekenntnis Israels zu bdquospaltenrdquo um Jesus darin [im Begriff Gott] mit einzubeziehen koumlnnten wir erwarten dass er sagt bdquoDenn es gibt einen Gott den Vater und den Sohnrdquo Stattdessen fasst Paulus das Shema-Bekenntnis praumlgnant zusammen bdquoEs gibt einen Gottrdquo und zusaumltzlich zu dieser Aussage legt er ein weiteres Bekenntnis ab bdquound es gibt einen Herrnrdquo Diese Information uumlber Jesus wird an die Seite des Glaubensbekenntnisses von Israel gebracht und zer-bricht oder spaltet es nicht James F McGrath der Religionswissenschaftler schreibt

Die Erwaumlhnung der bdquovielen Goumltterrdquo ist am besten als ein Hinweis auf die Goumltter zu verstehen von denen man annimmt dass sie im Himmel existieren die bdquovielen Fuumlrstenrdquo sind dann die Herrscher oder Fuumlrsten auf der Erde welche die Autoritaumlt der Goumltter im menschlichen Existenzbereich vertreten Die Aussage von Paulus in 1 Korinther 86 laumlsst sich am ehesten gegen diesen Aspekt des zeitgenoumlssischen griechisch-roumlmischen Glaubens interpretieren Fuumlr Christen gibt es sagt Paulus nur einen Gott im Himmel und es gibt nur einen Herrn als Agenten und Vermittler der in seinem Namen uumlber die ganze Schoumlpfung herrscht Paulus hat bereits bekraumlftigt dass es bdquokeinen Gott als einen einzigen gibtrdquo und Vers 6 erweitert und kommentiert diese Bekraumlftigung des monotheisti-schen Glaubens indem er hinzufuumlgt dass es auch eine von Gott bestimmte Persoumlnlichkeit als Herrscher uumlber alle Dinge gibt1336

Wir kehren zum parallelen Bekenntnis in 1 Timotheus 25 zuruumlck Hier finden wir eine weitere paulinische Aussage die den bdquoeinen Gottrdquo des Shema bestaumltigt und daneben bdquoeinen Vermittlerrdquo hinzufuumlgt Es wird hier keine Aufruumlstung des

1335 Siehe Andrew Y Lau Manifest in Flesh The Epiphany Christology of the Pastoral Epistles (Tubingen

Mohr Siebeck 1996) pp 73-74 (Manifestiert im Fleisch die Epiphanie-Christologie der pastoralen Epis-tel) Richard Bauckham God Crucified Monotheism and Christology in the New Testament (Grand Rapids Eerdmans 1999) p 31 37 (Gott gekreuzigte Monotheismus und Christologie im NT) James Dunn The Theology of Paul the Apostle (Grand Rapids Wm B Eerdmans Pub Co 1998) pp 267-268 Richard N Longenecker The Road from Damascus The Impact of Paulrsquos Conversion on His Life Thought and Ministry (Grand Rapids Eerdmans 1997) pp 127-128 (Die Straszlige nach Damaskus Die Auswirkungen von Pauli Bekehrung auf sein Leben seine Gedanken und seinen Dienst)

1336 McGrath The Only True God p 41

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traditionellen Monotheismus der Juden in Erwaumlgung gezogen oder gar notwen-dig Ebenso muss man in 1 Korinther 86 wie McGrath abschlieszligt bdquodurch Er-gaumlnzen des Shema etwas hinzuzufuumlgen es nicht sbquoaufspaltenrsquo Es sollte auch nicht so verstanden werden dass man die erwaumlhnte zusaumltzliche Person oder Sache der goumlttlichen Identitaumlt einverleibtrdquo1337 Die paulinische Christologie stellt zwar eine Entwicklung im Judentum dar aber die Neuigkeit ist die Hinzufuumlgung von Jesus als erhabenem Vermittler zwischen Gott und den Menschen Wie die Wissen-schaftler erkannt haben war dies eine Entwicklungsstufe bdquoinnerhalb der Grenzen des juumldischen Monotheismus nicht auszligerhalbrdquo1338 Das Novum des Paulus be-schaumlftigte sich damit wer der Mittler zwischen Gott und den Menschen ist nicht wer aktuell der Gott ihrer Vaumlter ist Waumlre dies nicht der Fall koumlnnte man in den paulinischen Briefen ganz sicher Beweise fuumlr die Kontroverse uumlber den Mono-theismus finden Wie wir gesehen haben waren aber Judentum und das fruumlheste Christentum untrennbar miteinander verbunden Juden und Christen besuchten gemeinsam die Synagoge wo das Shema oumlffentlich gelesen wurde Wie konnte der Jude das traditionelle Shema rezitieren waumlhrend sein Nachbar neben ihm angeb-lich ein neues bdquogespaltenesrdquo Shema proklamierte So wie es ist haben wir keinen Grund daraus zu schlieszligen dass Paulus dem Shema des Judentums etwas angetan hat sondern er hat es vollstaumlndig bestaumltigt

Was diese evangelikale Theorie uumlber 1 Korinther 86 letztlich auszliger Acht laumlsst ist die Tatsache dass Paulus wenn er anfaumlngt uumlber den bdquoeinen Herrn Jesusrdquo zu sprechen von der Rede uumlber den bdquoeinen Gottrdquo bereits zu einem anderen Thema uumlbergegangen ist Tatsaumlchlich wenn der Abschnitt durch die Linse der trinitari-schen Behauptungen gelesen wird faumlllt die vermeintlich Aussage des Paulus schnell auseinander Wird bdquoHerrrdquo als bdquoJahwerdquo definiert zwingt man Paulus zu sagen bdquoDenn es gibt einen Gott den Vater und einen Jahwe Jesus den Messiasrdquo Das ist wie wenn gesagt wuumlrde bdquoFuumlr uns gibt es einen Kaiser Konstantin und einen Theodosius den Bischof Ambrosiusrdquo Sicherlich hatte Paulus nicht die Ab-sicht eine solch fragmentierte verworrene Erklaumlrung abzugeben Stattdessen be-nutzt Paulus den Titel bdquoHerrrdquo fuumlr Jesus nicht um ihn als Jahwe zu identifizieren sondern lediglich als Titel so wie er bdquoGottrdquo als Bezeichnung fuumlr den Vater be-nutzt Der Vater ist natuumlrlich bdquoHerrrdquo des Universums aber er ist nicht bdquoHerrrdquo in dem Sinne dass er von einem anderen ernannt oder ins Amt eingesetzt wurde Da das Neue Testament ausdruumlcklich besagt dass Gott Jesus zum Herrn gemacht hat (Apg 236) ist Jesus lediglich in diesem besonderen Sinne als sbquoHerrrsquo zu be-trachten Gott hat ihm einen [Ehren-]Titel einen [hierarchischen] Rang verliehen

1337 Ebenso p 42 1338 Maurice Casey ldquoMonotheism Worship and Christological Developments in Pauline Churchesrdquo The

Jewish Roots of Christological Monotheism (Leiden Brill 1999) p 231

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bdquoGoumlttlicheIdentitaumltrdquoWir muumlssen uns einen Moment Zeit nehmen und untersuchen wie und mit wel-chem Argument Trinitarier Christus als bdquoHerrrdquo im Neuen Testament identifizie-ren Der trinitarische anglikanische Religionswissenschaftler Richard Bauckham hat eine heute populaumlre Theorie vorgeschlagen die als bdquoChristologie der goumlttli-chen Identitaumltrdquo bekannt ist und bestimmte Merkmale als nur Gott zugehoumlrig identifiziert Er kommt zum Schluss dass sollte Jesus ebenso diese Eigenschaf-ten besitzen Christus bdquoin die goumlttliche Identitaumlt einbezogen werden mussrdquo1339 Zum Beispiel Gottes Name Gottes Privilegien Gottes Ehre - wenn entdeckt wird dass Jesus an diesen einzigartigen Identifikationsmerkmalen teilhaftig ist dann muss er zwingend mit Gott identisch sein Aber eine solche Identitaumltsaussage zu etablieren ist nicht so einfach wie es scheint

Ein Problem das in Bauckhams Vorschlag gleich in die Augen springt ist dass zwei Dinge um identisch zu sein sich in keiner Weise unterscheiden duumlrfen Die-ses einfache und offensichtliche Prinzip wird manchmal als die bdquoUndeutlichkeit des Identischenrdquo bezeichnet1340 Tatsaumlchlich ist es unmoumlglich dass sich etwas von sich selbst unterscheidet wenn sich eine Person auch nur im Geringsten von ei-ner anderen unterscheidet kann sie nicht die gleiche Identitaumlt teilen1341 Natuumlrlich unterscheiden sich bdquoGottrdquo und bdquoJesusrdquo in vielerlei Hinsicht Selbst fuumlr den Trini-tarier ist bdquoGottrdquo eine tri-persoumlnliche Essenz aber bdquoJesusrdquo ist keine tri-persoumlnliche Essenz bdquoGottrdquo schickte seinen einzigen eingeborenen Sohn bdquoJesusrdquo schickte nicht seinen einzigen eingeborenen Sohn und so weiter1342 Zwei Evangelikale die Bauckhams These unterschreiben sagen dazu

Das Neue Testament unterscheidet zwischen [Jesus und Gott dem Vater] manchmal als Gott und manchmal als der Sohn Gottes Obwohl schwer zu verstehen unterscheidet das Neue Testament mal Jesus von Gott oder identifiziert ihn als Gott - manchmal in einem Atemzug1343

1339 See Bauckham Jesus and the God of Israel pp 24-25 130 1340 Philosophen haben das Prinzip so formuliert Wenn zwei Objekte tatsaumlchlich ein und dasselbe sind

haben sie alle die gleichen Eigenschaften Mit anderen Worten wenn x = y dann hat x alle Eigenschaf-ten die y hat (und umgekehrt) Das Identitaumltssymbol bdquo=rdquo in dieser Gleichung stellt bdquonumerische Iden-titaumltrdquo dar oder ist genau das Gleiche und nicht nur aumlhnlich Zwei Geraumlte die von derselben Fabrik hergestellt werden koumlnnen genau gleich sein sind aber numerisch nicht identisch (Vgl den Begriff Kongruenz ndash Deckungsgleichheit)

1341 Siehe Dale Tuggy ldquoOn Bauckhamrsquos Bargainrdquo Theology Today 702 (Los Angeles Sage 2013) pp 128-143

1342 Ebenso(Der bdquoHandelldquo von Bauckham) 1343 Robert M Bowman J Ed Komoszewski Putting Jesus in His Place (Grand Rapids Kregal Publications

2007) p 1 Dank an Dr Dale Tuggy dieses Zitat (Jesus seinen Platz geben)

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Aber lassen die Fakten wirklich den Schluss zu dass das Neue Testament Jesus gleichzeitig positiv als bdquoGottrdquo und als bdquonicht Gottrdquo identifiziert Ist diese Schluss-folgerung wirklich nur bdquoschwer zu verstehenrdquo wie diese Apologeten behaupten oder ist sie nicht ganz und gar unmoumlglich Dr Dale Tuggy schreibt als Antwort an diese Gelehrten

Wenn diese Autoren das Neue Testament lesen empfinden sie es selbst als von Widerspruumlchen zu den Themen Gott und Jesus durchzogen die doppeldeutig sagen oder klar andeuten dass die beiden anzahlmaumlszligig gleich sind und dass sie es nicht sind Aber sie bestehen darauf dass dieser Widerspruch kein Problem ist - weder fuumlr das Neue Testament noch fuumlr ihre Interpretationen davon - denn sie draumlngen darauf dass Gott per se bdquounverstaumlndlichrdquo ist Aus diesem Grunde sollte man bdquoParadoxien oder Geheimnisse erwar-ten entweder auf der ganzen Linie oder auch nur in Bezug auf die Attribute Gottesrdquo Wenn sie behaupten ihren Glauben an Jesus fest auf das Neue Testament zu stuumltzen wuumlrde man erwarten dass sie auf der Grundlage dieser Lesung sowohl bestaumltigen dass Jesus Gott ist wie auch dass Jesus nicht Gott ist Aber in der Tat be-haupten sie steif und fest dass er Gott ist Am Houmlhepunkt ihres Buches beteuern sie bdquozweifellos bewiesen zu haben dass Jesus Christus Gott istrdquo Dies ist eine offensichtlich inkohaumlrente Sicht-weise die beiden Autoren haben beschlossen nur die eine posi-tive Seite des Widerspruchs zu sehen1344

Diese Theorie ist einfach nicht stichhaltig und andere renommierte Neutesta-mentler fanden sie ebenfalls problematisch1345 Dennoch erfreut sich das System weiterhin groszliger Beliebtheit bei den Evangelikalen die nach einem Weg suchen den Glauben an einer dreifaltigen Gott neu zu formulieren ohne sich auf die religioumlse Sprache der Katholiken des vierten Jahrhunderts stuumltzen zu muumlssen1346

1344 Tuggy ldquoOn Bauckhamrsquos Bargainrdquo Theology Today pp 11-12 (seine Hervorhebung) 1345 See James Dunn Did the First Christians Worship Jesus (Louisville Westminster John Knox Press 2010)

p 144 1346 Moderne trinitarische Gelehrte haben sich manchmal gescheut sich auf die Sprache der auszligerbib-

lischen Glaubensbekenntnisse zu verlassen um ihre Theologie zu formulieren Dennoch werden ihre Systeme fast immer auf den Satz reduziert dass der Name bdquoJahwerdquo jedes Mitglied der Trinitaumlt identi-fiziert so dass der Vater Jahwe ist der Sohn Jahwe ist und der Heilige Geist Jahwe ist aber es gibt nicht drei Jahwe sondern nur einen Jahwe Dieser Satz kann nicht anders als das Athanasianische Glau-bensbekenntnis widerzuspiegeln das besagt bdquoDer Vater ist der Herr der Sohn ist der Herr und der Heilige Geist ist der Herr Und doch gibt es nicht drei Herren sondern einen Herrnrdquo Der Trinitarismus entwurzelt sich nicht aus dem philosophischen Boden des vierten und fuumlnften Jahrhunderts in dem er gewachsen ist

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Wir werden nun diese bdquoGoumlttliche Identitaumltrdquo [der Gleichheit der Drei in der Gott-heit] weiter unter die Lupe nehmen und gleichzeitig die Identitaumlt des geschichtli-chen neutestamentlichen Jesus sowohl durch die biblischen Daten als auch durch die Weltsicht auszligerbiblischer juumldischer Quellen rekonstruieren

Gemaumlszlig der Auffassung der bdquoGoumlttlichen Identitaumltrdquo wenn in den biblischen Do-kumenten der Name Gottes einer Person gegeben wird soll diese Person bdquoin die Goumlttliche Identitaumlt miteinbezogenrdquo werden1347 Wie der Trinitarier Charles Lee Irons behauptet bdquoGott teilt seinen Namen nicht mit Geschoumlpfenrdquo1348 Es wird argumentiert dass wenn sich Jesus erweist den Namen Jahwes zu teilen er in gewissem Sinne Jahwes selbst sein muss Einer der wichtigsten Texte die zeigen dass Jesus den goumlttlichen Namen traumlgt ist Roumlmer 1013 der sagt bdquoJeder der den Namen des Herrn anruft wird gerettet werdenrdquo Im Kontext scheint mit der bdquoHerrrdquo der Herr Jesus gemeint zu sein Aber Paulus zitiert Joel 232 wo es heiszligt bdquoJeder der den Namen des Herrn [Jahwe] anruft wird gerettet werdenrdquo Dies hat einige dazu veranlasst zu sagen dass der Herr Jesus den Namen Gottes traumlgt und somit bdquoin die Identitaumltrdquo Jahwes miteinbezogen ist Solche Passagen die bis zur Zeitenwende nur fuumlr Jahwe im Alten Testament galten jedoch im Neuen Testament auf Jesus angewendet werden sollen ihre Identifikation beweisen1349

Diese Art von Theorie koumlnnte man nachvollziehen wuumlrden nicht zwei kritische Tatsachen vorliegen Erstens verleiht Gott in der Hebraumlischen Bibel und in der Juumldischen Literatur des ersten Jahrhunderts seinen Namen auch anderen Figuren Zweitens weisen die Juden des ersten Jahrhunderts (einschlieszliglich der Apostel) die Tradition auf verschiedene alttestamentliche Passagen (einschlieszliglich der JHWH-Texte) ziemlich frei anzuwenden Das Argument der bdquoGoumlttlichen Identi-taumltrdquo beruht letztendlich auf einer falschen Praumlmisse Gott der seinen Namen mit einer Kreatur teilt wurde von den Juden nicht als Verletzung des Monotheismus angesehen und es gibt nichts ausschlaggebend bdquoChristlichesrdquo (dh Trinitarisches) daran

Zunaumlchst sollte die Frage der Weitergabe des Namens Gottes an Geschoumlpfe auf-grund der Hebraumlischen Bibel untersucht werden In 2 Mose 2320-21 befiehlt Gott Israel sich seinem Engel zu unterwerfen bdquoHuumlte dich vor ihm houmlre auf seine Stimme und widersetze dich ihm nicht Er wird euer Vergehen nicht vergeben denn mein Name ist in ihmrdquo Hier treffen wir auf ein weiteres Beispiel fuumlr das Hebraumlische bdquoGesetz der Handlungsvollmachtrdquo Der Engel ist von Gottes Autoritaumlt Gottes Befugnis

1347 See Bauckham Jesus and the God of Israel pp 24-25 130 1348 Smith Irons Dixon The Son of God p 19 1349 Siehe N T Wright bdquoDer Kontext macht deutlich dass sich [Roumlmer 109-13] auf Jesus selbst bezieht

denjenigen der als Kyrios [Herr] bekannt ist und dass Paulus die volle [Gleich-]Bedeutung von Kyr-iosJHWH beabsichtigt gegenuumlber Joels Aussage zu seiner eigenen zu erklaumlrenrdquo (N T Wright Paul and the Faithfulness of God (Minneapolis Fortress Press 2013) p 703) (Paulus und die Treue Gottes)

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zum Richten und Vergeben und sogar vom Namen Gottes erfuumlllt Wir muumlssen fragen Teilt der Engel dann auch die bdquoGoumlttliche Identitaumltrdquo Jahwes wie es die trinitarische bdquoRegelrdquo vorschreibt Ist der Engel Gott

Ein juumldisches Werk aus dem spaumlten ersten Jahrhundert n Chr (oder zweiten Jahrhundert) bietet ein weiteres Beispiel In der bdquoApokalypse Abrahamsrdquo befiehlt Gott dem Engel Yahoel bdquodurch die Vermittlung meines unaussprechlichen Namensrdquo (103) zu handeln McGrath notiert

Der Name Yahoel setzt sich eindeutig aus den beiden goumlttlichen Namen Yah(weh) und El zusammen Doch der Engel traumlgt seinen Namen nicht weil er mit Gott verwechselt oder in die Gottheit aufgenommen wurde sondern weil ihm von Gott der goumlttliche Name gegeben wurde1350

Der Name Gottes wird sicherlich auch von Jesus getragen bdquoHeiliger Vater Bewahre sie in deinem Namen den du mir gegeben hast rdquo (Johannes 1711) Wir sehen jedoch dass Jesus wie der Engel Yahoel tatsaumlchlich von Gott diesen Namen erhalten hat Bevor Gott ihnen beiden seinen Namen gab besaszligen sie ihn nicht Der Er-halt dieses Namens wuumlrde die Juden des ersten Jahrhunderts keinesfalls dazu ver-anlassen den Traumlgern unmittelbar und unausweichlich eine echte volle Goumlttlich-keit zuzuschreiben Die monotheistische (unitarische) Matrix des Judentums ist trotz der Existenz erhabener Nebenfiguren welche gewisse Attribute Gottes teil-ten erhalten geblieben

Richard Bauckham obwohl er einer der Hauptvertreter der Theorie der bdquoGoumlttli-chen Identitaumltrdquo ist gibt tatsaumlchlich zu dass in der Apokalypse Abrahams der Engel Yahoel wirklich bdquoden goumlttlichen Namen traumlgt und seine Autoritaumlt ausuumlbtrdquo1351 Aber wenn Bauckham und andere aus diesen Gruumlnden die Aufnahme Jesu in die bdquoIdentitaumlt Jahwesrdquo fordern sollten sie sich dann nicht dasselbe fuumlr die Kreatur Yahoel oder den Engel des 2 Mose 2320-21 leisten Was ist mit den Christen in der Offenbarung durch Johannes gemeint die bdquoerhobenrdquo [dh geehrt] wurden Christus selbst versprach dass fuumlr den Juumlnger der uumlberwindet bdquoich den Namen meines Gottes und meinen neuen Namen auf ihn schreiben werderdquo (Offb 312) Nein das Tragen des Namens Gottes sowohl nach der Bibel als auch nach der Juumldi-schen Literatur kann ihre Goumlttlichkeit in der Weltsicht der fruumlhesten zum Chris-tentum bekehrten Juden nicht erfordert haben

1350 McGrath The Only True God p 49 1351 Bauckham Jesus and the God of Israel pp 226-227

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Aber wie verhaumllt es sich mit der Anwendung der alttestamentlichen bdquoJHWH-Texterdquo auf Christus im Neuen Testament Identifiziert diese Praxis nicht eindeu-tig Jesus als den Gott den diese Originaltexte beschreiben

Wir muumlssen damit beginnen die Freiheit und Groszligzuumlgigkeit zu erkennen mit der die ersten Juumlnger Jesu die Hebraumlischen Schriften behandelt haben Longenecker identifiziert nicht weniger als vier Arten von alttestamentlicher Exegese die in der Zeit der fruumlhen Kirche verwendet wurden Woumlrtliche Interpretation Mi-drasch Pescher und Allegorie1352 Bei den bdquoMidraschrdquo und bdquoPescherrdquo Methoden koumlnnten die alttestamentlichen Passagen auf aktuelle Ereignisse zuruumlckgefuumlhrt werden ohne die urspruumlnglichen Absichten der Passage zu zerstoumlren Midrasch versucht uumlber die bdquoeinfache Bedeutungrdquo eines Textes hinauszugehen und eine zusaumltzliche Bedeutung zu liefern ohne das Original vollstaumlndig zu ersetzen eine Pescher-Interpretation ist eine besonders eschatologische Auslegung die davon ausgeht dass die Bedeutung einer Schrift in der gegenwaumlrtig lebenden Gemein-schaft erfuumlllt wird1353 Wie der Wissenschaftler Tim McLay erklaumlrt bdquoist das Ele-ment der Wiederanwendung der Schluumlssel zur Identifizierung von Pescherrdquo1354 Wissenschaftler zeigen dass bdquoMidraschrdquo-Interpretationen bdquooft Woumlrter des Alten Testaments oder Phrasen in neuen Kontexten lesen die aus anderen Teilen der goumlttlichen Offenbarung stammenrdquo1355 Mit anderen Worten Begriffe und Phra-sen die in alttestamentlichen Passagen gefunden wurden welche fruumlher eine ge-wisse Bedeutung hatten konnten aus diesem Kontext herausgenommen und auf neue Subjekte angewendet werden Sie konnten neue und zusaumltzliche Bedeutun-gen erhalten Es wird festgestellt dass die juumldischen Autoren des Neuen Testa-ments diese Techniken freizuumlgig angewandt haben besonders wenn sie das Alte Testament christologisch nutzten

Ein Beispiel fuumlr die Midrasch-Interpretation im Neuen Testament ist die Behand-lung von Hosea 111 durch Matthaumlus bdquoAls Israel jung war gewann ich es lieb und aus Aumlgypten habe ich meinen Sohn gerufenrdquo Obwohl es in dieser Passage urspruumlnglich um den Exodus der Israeliten aus dem Land Aumlgypten ging findet Matthaumlus in Jesus eine neue Bedeutung erfuumlllt bdquoUnd er war dort bis zum Tod des

1352 R Longenecker Biblical Exegesis in the Apostolic Period (Grand Rapids Eerdmans 1975) (Biblische

Exegese in der Apostolischen Periode) 1353 Tim McLay The Use of the Septuagint in New Testament Research (Grand Rapids Eerdmans 2003) p 34

Es ist interessant festzustellen dass das amerikanische evangelikale Christentum diese Interpretation in seiner populaumlren apokalyptischen Literatur die die Vereinigten Staaten oder andere gegenwaumlrtige Maumlchte darstellt die die Prophezeiungen der Endzeit erfuumlllen immer noch verwendet

1354 McLay p 34 1355 Martin Pickup ldquoNew Testament Interpretation of the Old Testament The Theological Rationale of

Midrashic Exegesisrdquo JETS Vol 51 No 2 (June 2008) p 355 (NT Interoretationen des AT Die Theologische Vernunft in der Midrasch-Exegese)

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Herodes damit erfuumlllt wuumlrde was von dem Herrn geredet ist durch den Prophe-ten der spricht Aus Aumlgypten habe ich meinen Sohn gerufenrdquo (Matthaumlus 215)

Wir finden diese Praxis der Wiederanwendung auch bei Paulus In Jesaja 426 und 496 hat Gott seinen Diener den Messias prophetisch dazu bestimmt bdquoein Licht fuumlr die Heidenrdquo zu sein bdquoblinde Augen zu oumlffnenrdquo bdquodie Gefangenen zu befreienrdquo und bdquodas Heil bis zum Ende der Erde zu bringenrdquo Aber in Apostelgeschichte 13 finden wir das

bdquoPaulus und Barnabas aber sprachen frei und offen hellip Denn so hat uns der Herr geboten (Jesaja 496) Ich habe dich zum Licht der Heiden ge-macht dass du das Heil seist bis an das Ende der Erderdquo (v 46a 47)

Paulus und Barnabas haben diese beruumlhmten Passagen vom bdquoleidenden Dienerrdquo tatsaumlchlich nicht auf Jesus sondern auf sich selbst angewendet Bedeutet das dass Paulus als der Messias (der Gesalbte) zu betrachten ist Keinesfalls aber Paulus und Jesus erfuumlllen die gleiche Funktion und nehmen an derselben messianischen Mission teil Wie ein Religionsgelehrter erkannte

Konnte sich der Diener aus Jesaja 49 auf [Paulus] beziehen ohne die Art und Weise zu verzerren wie die Prophezeiung seiner Mei-nung nach urspruumlnglich beabsichtigt gewesen sein koumlnnte Da er die Sendung Jesu des Dieners jedoch fortsetzte konnte er diese Dienerprophezeiung problemlos auf sich selbst anwenden1356

Ein weiteres Beispiel fuumlr die Wiederanwendung von Texten aus dem Alten Tes-tament ist die Anwendung des Psalms 10225-27 auf Jesus durch den Verfasser des Hebraumlerbriefes

bdquoDu Herr hast am Anfang die Erde gegruumlndet und die Himmel sind deiner Haumlnde Werk Sie werden vergehen du aber bleibst Und sie werden alle veralten wie ein Gewand und wie einen Mantel wirst du sie zusam-menrollen wie ein Gewand werden sie gewechselt werden Du aber bist der-selbe und deine Jahre werden nicht aufhoumlren Zu welchem Engel aber hat er jemals gesagt Setze dich zu meiner Rechten bis ich deine Feinde zum Schemel unter deine Fuumlsse legerdquo (Hebraumler 110-13)

Der originale Psalm bezog sich tatsaumlchlich auf Jahwe und seine urspruumlngliche Schoumlpfung am Anfang der Welt Nun jedoch wird die Passage auf Jesus den

1356 G K Beale ldquoThe Old Testament Background of Reconciliation in 2 Corinthians 5ndash7rdquo in The Right

Doctrines from the Wrong Texts (Grand Rapids Baker 1994) pp 230-231 (Der AT Hintergrund der Versoumlh-nung in 2 Kor 5-7 die Richtigen Doktrinen aus den Falschen Texten)

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Gruumlnder und Herrscher der neuen Schoumlpfung wieder angewendet (Offb 314)1357 Dass der Autor hier mit Sicherheit nicht von der Teilnahme Christi an der Schoumlp-fung der Genesis spricht macht er nur wenige Verse spaumlter deutlich

bdquoDenn nicht den Engeln hat er untertan gemacht die zukuumlnftige Welt von der wir redenrdquo (Hebraumler 25)

Am Ende der Zeit wird der Messias den Austausch dieser gegenwaumlrtigen Schoumlp-fung gegen eine neue leiten und einen bdquoneuen Himmel und eine neue Erderdquo gruumlnden (Jes 5116 Offb 211)1358 Der Hebraumlerbrief freut sich auf bdquodie guten Dinge die kommen werdenrdquo die bdquonicht von dieser Schoumlpfung sindrdquo (Hebraumler 911) und nicht auf die urspruumlngliche Schoumlpfung der Genesis Die Anwendung funktionaler Jahwe-Passagen auf Christus durch den Verfasser dieses Schreibens die sogar den heb-raumlischen Ersatz-Begriff bdquoHERRrdquo (adonai) und den mehrdeutigeren griechischen bdquoHerrrdquo (kyrios) [gegeneinander] ausspielen beweist nicht dass sie unwiderlegbar als ein und dasselbe Wesen betrachtet werden sollten Es gibt viele Gruumlnde zu glauben dass dies ausdruumlcklich nicht der Fall war

Um den historischen Gebrauch der alttestamentlichen Wiederanwendungs-tech-niken zu verstaumlrken koumlnnen wir ausserhalb der christlichen Welt des ersten Jahr-hunderts schauen und feststellen dass auch Juden aus anderen Gemeinschaften diese Interpretationsmittel gerne einsetzten Die Schriftrollen vom Toten Meer sind vielleicht das beste Beispiel Die Qumran-Gemeinschaft wandte verschie-dene bdquoJahwerdquo-Texte aus dem Alten Testament (wie Psalm 77-8 Psalm 821 Je-saja 611-3) erneut auf eine historische Figur an Melchisedek der Priester von Salem dem Abraham im Bericht in 1 Mose begegnete1359 Sprachwissenschaftler

1357 Der Autor der Hebraumler zitiert aus der Septuaginta nicht aus dem hebraumlischen Originaltext In der

hebraumlischen Version fehlt das Wort bdquoHerrrdquo In der LXX finden wir dass Psalm 10223-25 eine andere Bedeutung angenommen hat und durch eine Verschiebung des Vokals einen zweiten Herrn eingefuumlhrt hat der von dem einen Gott angesprochen wird Offensichtlich hat sich dieser Psalm zunehmend einer apokalyptischen messianischen Bedeutung erfreut Gott spricht nun zu einem anderen bdquoHerrnrdquo uumlber eine bdquoKuumlrze der Tagerdquo bis Gottes Werk vollendet sein wuumlrde also bis zur Ankunft des messianischen Koumlnigreichs Diese Lesung scheint die Meinungen in Markus 1320 und Matthaumlus 2422 beeinflusst zu haben und der Autor der Hebraumler stuumltzt sich auf diese eschatologische Interpretation um die Rolle Jesu bei der Gruumlndung der bdquokommenden Welt uumlber die wir sprechenrdquo (25) zu betonen

1358 Buzzard bemerkt dass Jesaja 5116 diese Erklaumlrung bestaumltigt Die Rede ist von einem Vertreter Gottes in den Gott seine Worte einbringt und den er benutzt um bdquodie Himmel und die Erde zu (be-)pflanzenrdquo Ein Bibelkommentar sagt bdquoDas wuumlrde keinen Sinn machen wenn es sich auf die urspruumlngliche [Genesis] Schoumlpfung bezoumlge In den anderen Faumlllen handelt Gott allein und ohne Mittler Hier ist derjenige den er unter seiner Hand versteckt hat sein Mittler Himmel und Erde muumlssen sich hier metaphorisch auf die Gesamtheit der Ordnung in Israel beziehen dh auf den Himmel der die umfassendere die uumlber-greifende Struktur des Reiches bedeutet waumlhrend das Landdie Erde die politische Ordnung in Israel selbst istrdquo (WBC Is 34-66 (Word Books 1984) p 212) So ist sowohl im Psalm 102 (aus der LXX) als auch im Jesaja der Messias der Agent mit dem Gott die neue politische Ordnung der kommenden Zeit aufbauen wirdrdquo (Anthony F Buzzard Jesus Was Not a Trinitarian McDonough Restoration Fellowship 2012) p 423) (Jesus war kein Trinitarier)

1359 Siehe 11QMelch 4QAmram und Songs of the Sabbath Sacrifice (Sabbat-Opferlieder)

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haben festgestellt dass auf Melchisedek mehrere Namen angewendet werden die normalerweise Namen fuumlr Gott sind wie das hebraumlische bdquoelrdquo und bdquoelohimrdquo und im Zitat des Autors aus Jesaja 612 wird Melchisedeks Name sogar direkt durch Gottes Namen Jahweh ersetzt Forscher haben daruumlber diskutiert ob Mel-chisedek in den Schriftrollen des Toten Meeres als Engel oder als erhabener Mensch dargestellt wird1360 Unabhaumlngig davon wurden juumldische Quellen aus dem ersten Jahrhundert entdeckt die alttestamentliche Passagen uumlber Jahwe auf ein Geschoumlpf (entweder Mensch oder Engel) in einem neuen und spirituellen Sinne anwenden

Was also ist mit Roumlmer 1013 und seiner Wiederanwendung des bdquower den Namen des Herrn anruftrdquo auf Jesus gemeint Wir wissen jetzt dass Paulus wie die an-deren neutestamentlichen Autoren oft alttestamentliche Passagen in neuen Kon-texten las und sogar messianische Prophezeiungen auf sich selbst anwandte weil er die gleichen Funktionen wie der Messias ausuumlbte Es sollte daher recht leicht zu verstehen sein wie Paulus Roumlmer 1013 auf Jesus anwendet In den Tagen des Alten Testaments sollten die Menschen den Namen Jahwes zur Erloumlsung anrufen (nach Joel 232) nach der Erhoumlhung Christi koumlnnen die Menschen nun jedoch den Namen des Herrn Jesus zum Heil und zur Erloumlsung anrufen Es geht hier nicht um eine Identifikation von Personen oder Wesen sondern um eine Uumlber-tragung oder eine Aufteilung von Pflichten oder Funktionen von Jahwe auf den erhabenen Messias1361 Wie in anderen Midrasch-Uumlbungen wird die urspruumlngliche Bedeutung von Joel 232 nicht durch ihre Wiederanwendung in Roumlmer 1013 er-setzt

1360 Siehe Michael Wise Martin Abegg Jr Edward Cook (ed) Dead Sea Scrolls A New Transla-

tion (Die Rollen vom Toten Meer eine neue Uumlbersetzung) (San Francisco Harper 1996) p 455 Waumlhrend Analysten wie Geza Vermes vorgeschlagen haben dass der Melchisedek der Schriftrollen vom Toten Meer mit dem Erzengel Michael identifiziert werden sollte (Geza Vermes The Dead Sea Scrolls in English (Sheffield JSOT Press 1987) S 300) sind viele Wissenschaftler der Meinung dass das Gewicht der Beweise in seiner Identifizierung als er-habener Mensch liegt David C Mitchell erklaumlrt dass die Art und Weise wie die Qumran-Schriftsteller Melchisedek neben anderen menschlichen Messias praumlsentieren bdquodeutlich zeigt dass ihr Melchisedek eine menschliche Priesterfigur istrdquo (David C Mitchell The Review of Rabbinic Judaism Altertum Mittelalter und Neuzeit Band VIII (Leiden Brill 2005) S 87) Natuumlrlich erfordert die weit verbreitete rabbinische Tradition die davon ausging dass Mel-chisedek tatsaumlchlich Shem der Sohn Noahs gewesen sei (vgl B Ned 32b Lev Rabbah 256) eine Theorie die selbst Martin Luther im 16 Jahrhundert unterschrieben hat einen Menschen (Siehe Martin Luther Lectures on Genesis 1418)

1361 Ein katholischer Gelehrter schreibt dass Psalm 1101 der den Messias zur Rechten Gottes beruft und der am Pfingsttag als in Jesus erfuumlllt erklaumlrt wird (Apg 234) darauf hinweist dass bdquoder erhabene Jesus nach der Auferstehung in Zukunft Funktionen erfuumlllen wird die wirklich Funktionen von Gott selbst sindrdquo (Kuschel S 269)

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Das Argument der bdquoGoumlttlichen Identitaumltrdquo von Bauckham und anderen Experten widerspricht essenziell dem wichtigsten Aspekt von Paulus Wiederaufnahme von AT-Texten mit der messianischen Geschichte im Hintergrund Einfach zu sagen Paulus identifiziere Jesus als Jahwe weil er Dinge tut die Jahwe tut uumlbergeht die Tatsache dass der Messias von Gott erhoumlht wurde und von ihm alle Autoritaumlt erhalten hat Paulus beabsichtigte in Roumlmer 1013 nicht zu sagen dass bdquoJesus Jahwe istrdquo - das seinem pharisaumlischen Judentum diametral zuwiderlaufen wuumlrde - sondern setzt einfach die neutestamentliche Erzaumlhlung voraus in welcher der eine wahre Gott den Menschen Jesus erhoumlht und ihm alle Autoritaumlt uumlbertraumlgt

Man beachte die Schwaumlche des trinitarischen Arguments In Joel 31 sagt bdquoGottrdquo bdquoIch werde meinen Geist ausgieszligen uumlber alles Fleischrdquo Aber spaumlter sagt Petrus dass bdquoJe-susrdquo den heiligen Geist in Apg 232-33 ausgegossen hat Daraus zieht der Trini-tarier den Schluss dass Jesus der Gott sein muumlsse der im Alten Testament ge-sprochen hat1362 Auch hier unterdruumlckt diese Art der Argumentation sowohl die biblische Erzaumlhlung als auch den wesentlichen mediatorischen Rahmen des Ju-dentums durch den diese Erzaumlhlung verlaumluft Wir koumlnnen nicht ignorieren dass der Monotheismus der Bibel von alters her klar auf einem Vermittlungssystem aufbaut in dem Gott mit und durch Mittler handelt die seine Aufgaben wahr-nehmen Sowohl das Alte als auch das Neue Testament gehen davon aus dass wir mit dieser Struktur vertraut sind Zum Beispiel lesen wir in Hesekiel dass bdquoJahwerdquo Israel die Gebote gegeben hat (Hesekiel 2011) Aber Josua gibt zu ver-stehen dass es bdquoMoserdquo war der die Gebote an Israel gab (Josua 225) Nach dem trinitarischen Argument muumlsste Mose in die Identitaumlt Jahwes aufgenommen wer-den Ebenso sagt Paulus dass die Gebote tatsaumlchlich von Engeln gegeben wur-den (Galater 319 Apg 753) Sollten die Engel dann nicht auch als Jahwe iden-tifiziert werden Natuumlrlich wird niemand fuumlr diese oberflaumlchlichen Interpretatio-nen plaumldieren Es versteht sich fast von selbst dass Gott das Gesetz Vermittlern gab die es dann dem Volk Israel weitergaben Auf die gleiche Weise gab Gott dem Vermittler Jesus seinen Geist (Johannes 334 Matthaumlus 1218) und Jesus gab ihn dann dem Volk (Apg 232-33)

Aber stellen wir uns ndash rein hypthetisch - fuumlr einen Moment vor dass die groumlsste und erstaunlichste Offenbarung die den Aposteln zuteilwurde darin bestand dass dieser Mann Jesus tatsaumlchlich der Gott Jahwe selbst war Man wuumlrde hoffen dass Paulus eine solch umwerfende atemberaubende Behauptung klarer ausdruuml-cken oder einen hilfreichen Kommentar hinzufuumlgen koumlnnte Wuumlrden sich die Leser des Paulus aus der haltlosen Anwendung dieser Jahwe-Passage in Roumlmer 1013 uumlberzeugen lassen dass ein vor kurzem von den Roumlmern gekreuzigter Mann dieser Nazarener ploumltzlich der angestammte unsterbliche Gott der Juden

1362 Siehe Bowman Putting Jesus in His Place pp 219-221

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sei Vor allem wenn Paulus uumlberall anderswo in seinen Episteln eine gegenteilige Meinung kundtat Wie einige trinitarische Gelehrte wiederholt zugegeben haben bdquounterscheidet Paulus Christus gewoumlhnlich von Gottrdquo1363 und bdquoPaulus setzt Jesus nie mit Gott gleichrdquo1364 Sollten wir angesichts dieser fairen Einschaumltzung schluss-folgern dass Paulus in Roumlmer 1013 ploumltzlich genau das Gegenteil behauptete

Fuumlr die Trinitarier die unbiblisch argumentieren dass bdquoHerrrdquo (kyrios) im Neuen Testament gleich dem bdquoJahwerdquo des Alten Testaments sei koumlnnten andere schwer-wiegende und wahrscheinlich unbeabsichtigte Folgen entstehen Erstens erklaumlren die Apostel die Einsetzung Jesu in die Position der bdquoHerrnrdquo bei der Einweihung der Kirche

Diesen Jesus hat Gott auferweckt wovon wir alle Zeugen sind Das ganze Haus Israel wisse nun zuverlaumlssig dass Gott ihn sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht hat diesen Jesus den ihr gekreuzigt habt (Apostelgeschichte 232a 36)

Nach Ansicht der Apostel machte Gott Jesus zum bdquoHerrnrdquo Wenn bdquoHerrrdquo jedoch bdquoJahwerdquo bedeutet hieszlige das dass Jahwe Jesus zu Jahwe gemacht hat Richtiger erscheint Jesus wurde von Gott Herrschaft verliehen (in dem Sinne dass er als der Meister und der Herrscher aller Dinge etabliert wurde) oder - so koumlnnte man auch argumentieren - Jesus wurde von Gott in den Status von Jahwe erhoben (er wurde in einem gewissen Sinn selbst zu Jahwe gemacht)

Einige Trinitarier haben vorgeschlagen dass Christus sich tatsaumlchlich seiner Jahwe-Eigenschaft bei der Inkarnation entledigt [entaumluszligert] und sie bei seiner Er-houmlhung einfach wieder zuruumlckgenommen habe somit er in diesem Sinne zu Jahwe gemacht wurde Aber die Apostel sagten nicht dass Jesus die Herrschaft zuruumlckgenommen hat sondern dass Gott ihn zu etwas gemacht hat was er zuvor nicht war Zweitens wie koumlnnte jemand der Jahwe ist seinen Jahwe-Rang bei-seitelegen ohne aufzuhoumlren Jahwe zu sein Das entspricht nicht der orthodoxen Lehre gemaumlszlig welcher der Sohn auch bei der Vereinigung mit der menschlichen Natur voll Gott geblieben sein soll So haben andere behauptet dass es seine Mitberechtigung an der Goumlttlichkeit gewesen sein muss der er sich entaumluszligerte habe indem er sich Gott dem Vater auf Erden unterwarf und es war seine Mit-berechtigung an der Goumlttlichkeit die er wieder aufgenommen habe als er zum Herrn gemacht wurde Aber das scheint sowohl fundamental unmoumlglich als auch im Widerspruch zur Orthodoxie Die drei Personen sind angeblich von Natur aus gleich-ewig gleichbedeutend und gleichberechtigt wenn die zweite Person

1363 C J Cadoux A Pilgrimrsquos Further Progress (London Religious Book Club 1945) p 40 42 (Eines Pil-

gersweiterer Forstschritt) 1364 W R Matthews The Problem of Christ in the 20th Century (Oxford OUP 1949) p 22 (Das Problem

Christus imn 20 Jahrhundert)

Der Sohn Gottes

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der Dreifaltigkeit fundamental ungleich zu den anderen gemacht wurde ndash auch nur voruumlbergehend - dann sind die drei Individuen von Natur aus nicht mehr gleichberechtigt sie sind nur durch Vereinbarung gleichberechtigt Auszligerdem wie koumlnnte der einzige Gott jeden Aspekt von sich selbst mit sich selbst ungleich ma-chen Sprechen wir nicht von einem Wesen Sicherlich fehlte es den juumldischen Aposteln sowohl an den Mitteln als auch an der Notwendigkeit die Kirchenmit-glieder uumlber eine solche tiefgreifende Abstraktion in Kenntnis zu setzen

Wir sollten nicht davon ausgehen dass Paulus damit sagen wollte der gekreuzigte Jesus sei in irgendeiner Weise Jahwe [Gott] geworden Wie Hastings schreibt bdquoWir muumlssen jede Art von Sprache vermeiden die darauf hindeutet dass fuumlr den heiligen Paulus die Himmelfahrt Christi die Vergoumlttlichung war Fuumlr den Juden waumlre die Vorstellung dass ein Mensch sbquoGottrsquo werden koumlnnte eine unertraumlgliche Blasphemie gewesenrdquo1365 Wenn Paulus nirgendwo Christus bdquoGottrdquo nennt dann scheint es offensichtlich dass Paulus ihn auch nicht als Jahwe identifizieren wuumlrde Aber wenn Paulus mit seiner Wiederanwendung dieser alttestamentlichen Pas-sage nicht meinte dass Jesus in irgendeiner Weise zu Jahwe mutiert habe sich verwandelte oder umgestaltet wurde was meinte er dann

Keinesfalls vergessen duumlrfen wir dass er nach der Auferstehung Christi von Gott zum bdquoHerrnrdquo gemachtberufen wurde (Apg 23236)1366 Der Grund fuumlr diese rangmaumlszligige Erhoumlhung war ausdruumlcklich der selbstlose Dienst als den er sich Gott gegenuumlber erwiesen hat (Philipper 28-9) Das ultimative Ziel der Anerken-nung Jesu als bdquoHerrrdquo ist nicht nur die Verherrlichung Jesu sondern auch des Gottes der ihn erhoumlht hat Damit bdquojede Zunge bekenne dass Jesus Christus Herr ist zur Ehre Gottes des Vatersrdquo (Philipper 211-12)

Nach dem Empfang seines hohen Amtes wurde ihm alle Autoritaumlt verliehen alle Angelegenheiten des Universums wurden in seinen Zustaumlndigkeitsbereich ge-stellt obwohl er Gott unterworfen blieb (1 Kor 127) Wie ein Gelehrter schreibt bdquoJesus ist nicht Gott sondern der Vertreter Gottes und als solcher han-delt er so vollstaumlndig im Namen Gottes dass er an der Stelle Gottes vor der Welt stehtrdquo1367 Ein anderer Gelehrter erklaumlrt in diesem Zusammenhang die Wieder-anwendung des Herrn durch Paulus bdquoAls die Apostel Jesus solche Ehrentitel wie

1365 Hastings pp 707-708 unsere Hinzufuumlgung 1366 Die Verwendung des Titels bdquoHerrrdquo fuumlr den Jesus vor der Auferstehung im Evangeliumsbericht kann

als Identifikation seines koumlniglichen Status als Gottes Sohn verstanden werden Es kann aber auch die Perspektive des Autors nach der Auferstehung zeigen Dunn schreibt bdquoPremierminister Wilson hat in Oxford Wirtschaftswissenschaften studiert Niemand missversteht den Satz so dass Harold Wilson bereits in Oxford Premierminister war (obwohl es die natuumlrliche Bedeutung des Satzes ist) Jeder der es bewusst oder unbewusst liest interpretiert es so dass er sagt (in einer praumlziseren Sprache) bdquoHarold Wilson der spaumlter Premierminister wurde studierte Wirtschaftswissenschaft in Oxfordrdquo (Dunn Chris-tology p 334 n 121)

1367 Jacob Jervell Jesus in the Gospels (Minneapolis Augsburg Publishing House 1984) p 21

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Christus Menschensohn Gottessohn und Herr zuteilten waren das Wege nicht zu sagen dass er Gott sei sondern dass er Gottes Werk getan haberdquo1368 Deshalb wurde Gottes Rolle als Quelle des Heils auf Jesus uumlbertragen obwohl er sie vor-her nicht innehatte Das ist keine Spekulation sondern das einfache Zeugnis des Neuen Testaments

Dadurch wurde er zur Vollendung gebracht und ist zum Urheber ewigen Heils geworden fuumlr alle die ihm gehorsam sind (Hebraumler 59)

Hier sehen wir dass Jesus tatsaumlchlich eine groszlige Veraumlnderung eine Vervoll-kommnung eine Erhoumlhung erfahren hat erst nachdem dieser Prozess abge-schlossen war wurde er zu demjenigen an den sich die Menschen fuumlr ihre Erlouml-sung wenden koumlnnen Natuumlrlich waren die Menschen schon immer in der Lage Jahwe um Erloumlsung zu bitten und wer zu ihm ging empfing sie Aber jetzt im neuen Schema der Dinge ist die Erloumlsung im Menschen Jesus Christus zu finden Unter Hinweis auf die beispielhafte Beziehung zwischen Joseph und dem Pharao der ihn zum bdquoHerrnrdquo uumlber Aumlgypten gemacht hat (1 Mose 4140 Psalm 10521) stellen wir fest dass die Menschen zuvor zum Pharao gegangen waren um ihre Beduumlrfnisse zu befriedigen aber nach Josephs Amtseinfuumlhrung als Vizekoumlnig sagte der Pharao ihnen bdquoGeht zu Joseph rdquo (1 Mose 4155) In Roumlmer 1013 wie-derholt Paulus genau das Jeder der zu Jesus geht wird gerettet werden Ein wei-terer Gelehrter bestaumltigt Paulusrsquo Ansicht bdquoDer paulinische Christus der das Werk der Erloumlsung vollbringt ist eine Persoumlnlichkeit die sowohl menschlich als auch uumlbermenschlich ist nicht Gott sondern der Sohn Gottesrdquo1369

Letztendlich sollten wir daraus nicht den Schluss ziehen dass die Anwendung von Gottes Namen oder Titeln auf Jesus selbst in einem Zitat des Alten Testa-ments bedeutet dass sie ein und dasselbe Wesen sind Aus biblischer Sicht sind zwei Personen denen der gleiche Ehrentitel verliehen wird nicht als eine Identi-taumlt zu betrachten Auf Jesu Gewand und auf seiner Huumlfte steht der Name bdquoKoumlnig der Koumlnige und Herr der Herrenrdquo (Offbarung 1916) und Gott selbst hat in 1 Timotheus 615 der Titel bdquoKoumlnig der Koumlnigerdquo

Der persische Groszligkoumlnig Artaxerxes wird auch bdquoder Koumlnig der Koumlnigerdquo genannt (Esra 47 77) und Daniel gibt Koumlnig Nebukadnezar in Daniel 237 diesem Titel Die Verwendung von fuumlrstlichen Titeln fuumlr den erhabenen Christus und sogar die Anwendung von Jahwe-Texten auf ihn laumlsst sich leicht erklaumlren mittels der Midrasch-Interpretation der Schrift durch die Apostel ihr Verstaumlndnis des heb-raumlischen bdquoGesetzes der Handelsvollmachtrdquo (in dem ein Vertreter die Autoritaumlt

1368 G H Boobyer ldquoJesus as Theos in the New Testamentrdquo Bulletin of the John Rylands Library 1967-1968

Vol 50 (Manchester University Press 1968) p 250 (Jesus als theos im NT) 1369 Siehe Maurice Goguel Jesus and the Origins of Christianity (New York Harper 1960) p 109 (Jesus

und der Ursprung der Christenheit)

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und den Namen seines Auftraggebers offiziell traumlgt) und durch die Tatsache dass Gott Jesus ausdruumlcklich zum bdquoHerrnrdquo gemacht hat Da das Neue Testament bereits erklaumlrt dass Gottes Macht sein Name und die Autoritaumlt Jesus von seinem Gott gegeben wurden besteht keine Notwendigkeit nach einer anderen Erklaumlrung zu suchen Wir muumlssen nicht davon ausgehen dass Jesus irgendwie Jahwe selbst sein muss Im Lichte des 1 Korintherbriefes 1527-28 ist Jesus als der erhabene aber Gott stets unterworfene Agent des Houmlchsten zu betrachten Wie McGrath be-merkt bdquoDer Monotheismus bliebe nicht erhalten waumlre Jesus in Gott aufgenom-men oder wuumlrde er in die goumlttliche Identitaumlt einbezogen sondern weil Gott selbst nicht Christus sondern Christus Gott unterworfen ist und Jesus im Namen Got-tes uumlber absolut alles andere herrschtrdquo1370

Zum Abschluss muumlssen wir noch einmal betonen was viele Gelehrte bereits ein-gestanden haben bdquoWenn die neutestamentlichen Autoren uumlber Jesus Christus schreiben dann ist nie die Rede von einem Gott noch halten sie ihn fuumlr Gottrdquo1371 Ein Oxford-Professor bekraumlftigt vernuumlnftigerweise die Tatsache dass im gesam-ten Neuen Testament bdquowir nicht annehmen duumlrfen dass die Apostel Christus mit Jehova identifiziert haben es gab Passagen die diese Identifikation unmoumlg-lich machten zum Beispiel Psalm 1101rdquo1372 Eine unuumlberwindbare Barriere hin-derte die Apostel daran selbst den verherrlichten Messias als den Gott ihrer Vaumlter zu identifizieren Wir haben zu wenig Grund zu glauben dass sie ihn als etwas anderes angesehen haben als einen groszligartigen Menschen aus Fleisch und Blut der in Galilaumla mit ihnen umherzog Sie redeten mit ihm wie mit einem anderen Menschen und hatten ndash selbst nach seiner Auferstehung - Kontakt mit ihm Sie teilen sogar das Essen mit ihm

Um dieses Kapitel uumlber die angebliche Gottheit oder Goumlttlichkeit Christi [die Di-vintaumlt] abzuschlieszligen werden wir die zutreffende Beobachtung eines Professors fuumlr Bibelstudien beifuumlgen der unsere Erkenntnisse treffend zusammenfassts

Die Wahrheit ist dass juumldische Quellen des Mainstream-Judentums den Messias nie als goumlttlich oder vorexistent betrachteten Er ist der Nachkomme von Davids Buumlndnis wie im 2 Samuel 7 erwaumlhnt Wenn Jesus sich selbst als Messias betrachtete dann ist es diese menschliche Gestalt die er im Sinn hatte Die traditionellen Be-griffe wie bdquoder Sohn Gottesrdquo bdquoder Menschensohnrdquo bdquoder Herrrdquo wurden allesamt auch fuumlr menschliche juumldische Koumlnige im Psalm-buch (27 8018 1101 etc) verwendet Als Monotheist kann Jesus sich nicht in vernuumlnftiger Weise als Jahwe angesehen haben und in

1370 McGrath The Only True God p 50 1371 J M Creed The Divinity of Jesus Christ (London Fontana 1964) pp 122-123 1372 Charles Bigg International Critical Commentary on Peter and Jude (Edinburgh T amp T Clark 1910) p 99

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den fruumlheren Traditionen spricht er immer von sich selbst mit menschlichen messianischen Eigenschaften [Er dachte nicht] dass er Gott sei sondern dass er Gottes Stellvertreter sei Wegen Vorurteilen uumlbersieht die Orthodoxie laufend wichtige Bindeglie-der oder Mittelbedingungen Die fruumlheste Gemeinde sah ihn nicht als bdquoGott Sohnrdquo sondern als den Menschen den Gott erweckte mit dem Heiligen Geist ausstattete und beauftragt hat um diesen Geist auch auf die Gemeinde auszugieszligen (Apg 233)1373

1373 Micahel Goulder Incarnation and Myth the Debate Continued (Grand Rapids Eerdmans 1979) p

143 (Inkarnation und Mythos ndash der Fortgang der Debatte)

Die ldquoAnbetungrdquo des Herrn

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13

DiebdquoAnbetungrdquodesHerrn

bdquoWenn ich ein Wort benutzerdquo sagte Humpty Dumpty in einem eher veraumlchtli-chen Tonfall bdquobedeutet es genau das was ich meine - weder mehr noch wenigerrdquo

Lewis Carroll

IE ANBETUNG JESU CHRISTI IM NEUEN TESTAMENT wird oft als der staumlrkste Beweis seiner Goumlttlichkeit seiner Divinitaumlt vorgebracht Viele moderne Trinitarier besonders in evangelikalen Kreisen haben

den folgenden Gedankengang gemacht Praumlmisse 1 bdquoNur Gott darf angebetet werdenrdquo Praumlmisse 2 bdquoJesus wurde angebetetrdquo Schlussfolgerung bdquoJesus ist iden-tisch mit Gottrdquo Sind sowohl Praumlmisse 1 als auch Praumlmisse 2 richtig dann ist die Schlussfolgerung auch richtig Aber wenn eine der beiden Voraussetzungen falsch ist dann braucht es eine andere Loumlsung Beginnen wir einmal damit die Guumlltigkeit von Praumlmisse 2 anzuerkennen Es ist absolut wahr dass Jesus im Neuen Testament verehrt und angebetet wurde sowohl von verschiedenen Per-sonen waumlhrend seines irdischen Dienstes als auch spaumlter in der Offenbarung als der erhabene Christus von der ganzen Welt

Unsere Frage aber ist in welchem Sinne wurde Jesus angebetet War es als Gott oder als etwas anderes Wenn Jesus ein Geschoumlpf [Gottes] ist wie passte dann seine Anbetung zu dem etablierten Monotheismus

Faumllschlicherweise definieren Trinitarier den Monotheismus oft nicht als den Glauben an nur einen einzigen Gott sondern auch als den Glauben dass nur eine Einheit [eine Gottheit] angebetet werden kann Der Grund warum Trinitarier den Monotheismus auf diese Weise auslegen liegt in der Hoffnung die Anbetung Jesu als Beweis fuumlr seine Gottheit oder Goumlttlichkeit nutzen zu koumlnnen Wie

D

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Andrew Perry jedoch erklaumlrt wird der juumldische Monotheismus der Bibel nicht durch Verehrungspraktiken definiert sondern einfach durch den Glauben an das was die Schrift in Bezug auf Goumltter erklaumlrt bdquoEs gibt nur einen Gott den Vaterbdquo (1 Kor 86) bdquoIch bin Jahwe und es gibt keinen anderen auszliger mir gibt es keinen Gottrdquo (Jesaja 455)1374 Wie ein Gelehrter es ausdruumlckt ist der Monotheismus einfach bdquodie The-orie die Lehre oder die Uumlberzeugung dass es nur einen Gott gibtrdquo1375 Diese Lehre wird in der neutestamentlichen Gemeinschaft von den Judenchristen kom-promisslos aufrechterhalten waumlhrend gleichzeitig bdquodie Andachtspraxis fuumlr Chris-ten um das Bekenntnis zu Christus erweitert wurderdquo1376 Wie wir gesehen haben war das fruumlheste christliche Bekenntnis uumlber Jesus nicht das Bekenntnis dass er Jahwe ist sondern dass er der aus der Linie Davids stammende Herr und der Messias [der Gesalbte] Gottes ist Daher wird unser Vorschlag in diesem Kapitel sein dass die Verehrung Jesu im Neuen Testament keine Verletzung oder Aktu-alisierung des zeitgenoumlssischen juumldischen Monotheismus darstellte Jesus wurde nicht als Gott verehrt sondern erhielt die Anbetung in einem sekundaumlren Sinne als Gottes Sohn und als Gesandter den Gott erhoumlht hat Es gibt keine Anbetung des Menschen Jesus waumlhrend gleichzeitig Gott vernachlaumlssigt wird sondern die Anbetung oder Verehrung Jesu erfolgt im Gehorsam gegenuumlber Gott der sie befoh-len hat (Hebraumler 16 vgl Ps 977)

AnbetungnachdembiblischenWeltbildDie Praumlmisse 1 dass bdquonur Gott angebetet werden darfrdquo beweist die Bibel selbst unmittelbar als falsch Die Anbetung und Huldigung verschiedener Personen die offensichtlich nicht den Status des einen wahren Gott haben ist in der ganzen Schrift leicht zu finden Diese Persoumlnlichkeiten ohne goumlttlichen Rang erhalten Anbetung und Ehrerbietung ohne Einsprache Zurechtweisung oder Korrektur und einige werden sogar neben Gott verehrt Zum Beispiel wurde Daniel im Alten Testament durch den Koumlnig von Babylonien verehrt

Da fiel der Koumlnig Nebukadnezar auf sein Angesicht und warf sich nieder vor Daniel und befahl man sollte ihm Speisopfer und Raumlucheropfer dar-bringen Und der Koumlnig antwortete Daniel und sprach Wahrhaftig euer Gott ist ein Gott uumlber alle Goumltter und ein Herr uumlber alle Koumlnige der Ge-heimnisse offenbaren kann wie du dies Geheimnis hast offenbaren koumlnnen (Daniel 246-47)

1374 Andrew Perry ldquoJewish Monotheism in the First Centuryrdquo One God the Father (East Bolden Willow

2013) pp 40-55 Dank an Brian Wright fuumlr den Hinweis (Juumldischer Monotheismus im 1 Jh Ein Gott der Vater)

1375 G F Moore Zitat ebenda 1376 Ebenso p 55 unsere Hinzufuumlgung

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Daniel hat weder diesen Akt der Anbetung korrigiert noch hat er die Opfergaben abgelehnt Hat Daniel damit Blasphemie begangen Hat er zu Unrecht entgegen-genommen was Gott nur fuumlr sich selbst vorbehalten hat Anderswo im Alten Testament finden wir dass David der Koumlnig von Israel sogar gemeinsam mit Gott verehrt wurde

Und David sprach zur ganzen Gemeinde Lobet den HERRN euren Gott Und die ganze Gemeinde lobte den HERRN den Gott ihrer Vaumlter und sie neigten sich und fielen nieder vor dem HERRN und vor dem Koumlnig (1 Chronik 2920)1377

Obschon hier steht dass sowohl Gott als auch David vom Volk bdquoangebetetrdquo wurden glauben wir doch nicht dass sie auf die genau gleiche Art und Weise verehrt werden Wir finden auch dass das Volk Israel selbst von seinen Feinden bdquoverehrtrdquo und sogar bdquoangebetetrdquo werden soll (Jesaja 4514) Umgekehrt bdquover-ehrterdquo Abraham auch das heidnische Volk des Landes (1 Mose 237) Wurden diese Leute als bdquoGottheitrdquo wahrgenommen Als das Volk Israel den Koumlnig David anbetete hat es dann das Gebot Gottes vergessen bdquoDu sollst keinen andern Gott anbetenrdquo (2 Mose 3414) Sicherlich nicht Offensichtlich kann man autoritative Persoumlnlichkeiten die nicht den Rang des einen Gottes haben anbeten sie vereh-ren sie respektieren und ihnen huldigen ohne dabei einen Verrat am Monothe-ismus zu begehen

Was bedeutet denn bdquoAnbetungrdquo uumlberhaupt Im Hebraumlischen wird es durch das Wort bdquoshachahrdquo dargestellt ein Verb das woumlrtlich bdquoHuldigung durch Sich-Nieder-werfenrdquo1378 oder bdquoVerbeugungrdquo oder bdquoKniefallrdquo bedeutet1379 Das gleiche hebrauml-ische Wort wird verwendet um die Handlung zu beschreiben die von Menschen sowohl Gott (1 Mose 2448) als auch Nicht-Gottheiten (1 Mose 237) entgegen-gebracht wird Das Neue Testament folgt diesem Beispiel Das griechische Wort ist bdquoproskuneordquo ein Verb das woumlrtlich bdquodurch knienbdquo oder bdquosich niederwerfen zu Ehrenrdquo oder bdquosich verbeugen vorrdquo1380 bdquosich verneigenrdquo bedeutetrdquo1381 Wiederum wird das gleiche Wort verwendet um den Akt des Respekts zu beschreiben der sowohl Gott gezollt wird (Offenbarung 1612) als auch Nicht-Gottheiten gezeigt werden kann (Matthaumlus 1826)

1377 Die Septuaginta uumlbersetzt die bdquoAnbetungrdquo in 1 Chronik 2920 in Griechisch mit bdquoπροσεκύνησανrdquo oder

bdquoproskeynesanrdquo es besteht uumlberhaupt kein Zweifel dass die gleiche Handlung die Jesus in der Offen-barung entgegennimmt von David im Alten Testament empfangen wurde

1378 Brown-Driver-Briggs Hebrew and English Lexicon 2002 1379 NAS Exhaustive Concordance of the Bible with Hebrew-Aramaic and Greek Dictionaries 1981 The

Lockman Foundation (Ausfuumlhrliche Konkordanz) 1380 Thayerrsquos Greek Lexicon Strongrsquos NT 4352 1381 NAS Exhaustive Concordance 1981

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bdquoAnbetungrdquo ist daher im biblischen Sinne nicht etwas das ausschlieszliglich dem einen Gott gegeben werden kann oder darf Waumlhrend die devote koumlrperliche Po-sition die man einnimmt (der Kniefall oder der Fuszligfall) optisch gleich aussehen mag ist die Haltung des Herzens ausschlaggebend naumlmlich das innere Motiv Ehrerbietung kann auch ausgedruumlckt werden wenn ein Wuumlrdentraumlger oder eine Respektsperson den Raum betritt sei dies ein Bezirksrichter oder eine Person des Obersten Rates und wir uns erheben Wir erweisen auch Vorgesetzten - aus un-terschiedlichen Gruumlnden vielleicht - die Ehre Waumlre Jesus also zum Beispiel der ehrwuumlrdige Koumlnig von Israel ein Mensch also und nicht Gott waumlre es fuumlr einen Juden immer noch vertretbar ihn in aumlhnlicher Weise wie einst Koumlnig David bdquozu verehrenrdquo Inakzeptabel waumlre es gemaumlszlig 2 Mose 3414 irgendeinen Menschen in gleicher Weise wie den einen wahren Gott anzubeten Dieses Gebot ist konkret es scheint aber nicht dass Gott die Hochachtung den Respekt oder die Ehrerbie-tung von jemandem auszliger ihm grundsaumltzlich ausgeschlossen hat sondern dass er die bdquoAnbetungrdquo von jemand anderem als Gott verboten hat Gemaumlszlig Jesus soll die spezifische Anbetung und Verehrung Gottes von den wahren Anbetern an den Vater gerichtet werden (Johannes 421ff)

Dennoch wird uumlblicherweise von den Trinitariern behauptet dass Menschen im Neuen Testament Jesus ausdruumlcklich als Gott angebetet haumltten Anscheinend gibt es keine Aufzeichnungen dass er Leute die ihn auf diese Weise (proskuneo) ver-ehrt haben oumlffentlich zurechtgewiesen haumltte Im Fall dass Jesus Gottes eigene Herrlichkeit fuumlr sich selbst beansprucht haumltte waumlre er [der Blasphemie] schuldig auszliger er waumlre wirklich Gott gewesen Aber glaubte Jesus selbst dass ihm seine Mitmenschen die besondere Ehre geben sollten die sonst nur Gott gebuumlhrt Was wird in den Evangelien berichtet Jesus hat Menschen wiederholt aufgefordert nur den bdquoVater als Gott anzubetenrdquo (Johannes 423) Was Jesus privat uumlber ihre Handlungen gedacht haben mag wird nicht berichtet Haumltte er alles angenom-men was ihm angeboten wurde haumltte er sich zumindest [der Gotteslaumlsterung] mitschuldig gemacht Trinitarier geben zu dass die Lehren der Dreifaltigkeit oder gar der Goumlttlichkeit Christi den Juden zu dieser Zeit nicht bekannt waren So erscheint es [kulturell und religioumls] hypothetisch zu schlieszligen dass die Judenchris-ten beabsichtigten Jesus die besondere Ehre zu erweisen die nur dem allmaumlchti-gen Gott gebuumlhrt Oder hat er selbst diese Faumllle von Ehrerbietung als den ange-messenen Respekt gewertet welcher wichtigen Persoumlnlichkeiten erwiesen wurde Sein Publikum sprach stets von ihm als von einem Menschen Waumlhrend ihn viele seiner Nachfolger wohl fuumlr den prophezeiten Messias hielten geben sogar Trini-tarier zu dass sich kein Jude den Messias je als Gott waumlhnte oder vorstellte1382

1382 Die Anbetung Christi in den Evangelien ist eigentlich theologisch gutartig und beweist oder widerlegt

nichts uumlber eine hypothetische bdquoinnere goumlttliche Naturrdquo Viele Gelehrte haben bestaumltigt dass bdquoeine sol-che Anbetung keinen Beweis dafuumlr liefert dass Jesus ein goumlttliches Wesen war Sein Charakter muss

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Wir fragen uns ob Uumlbersetzungsvorurteile [translation bias auf Englisch] etwas mit der allgemeinen Vorstellung zu tun haben koumlnnten dass Jesus im Neuen Testa-ment als Gott angebetet wurde Welche wirklichen Beweise gibt es ausschlieszliglich in den biblischen Aufzeichnungen die eindeutig zeigen dass seine Anbetung durch die Juden die Art und Weise war die eigentlich einer Gottheit vorbehalten war und nicht die Art die anderen menschlichen oder engelsgleichen houmlheren Persoumlnlichkeiten angeboten wurde Gibt es welche

UumlbersetzungenwelchedieAnbetungderGottheitdurchsetzenVielleicht begegnen wir hier mehr als in jedem anderen Bereich der christologi-schen Forschung einem der treuesten Begleiter der orthodoxen Interpretation im Kampf um die Herzen und Sinne der Glaumlubigen wie bereits erwaumlhnt dem Vor-urteil in der Uumlbersetzung Wenn sich Uumlbersetzungskomitees insbesondere diejeni-gen die daran interessiert sind das postnicaumlnische Portraumlt Jesu zu verteidigen so eng auf eine einzige Interpretation eines Wortes konzentrieren und andere ver-tretbare Bedeutungen kategorisch ausklammern auszliger sie erscheinen als theolo-gisch sinnvoll wird dem Bibelstudenten viel Muumlhe bereitet Die an Bildung inte-ressierten Christen und Christinnen sind schon eifrig zu den Experten zu den professionellen Exegeten gekommen sie haben ihr Verstaumlndnis dem Engage-ment des Komitees fuumlr lexikalische Genauigkeit anvertraut und erwarteten eine moumlglichst sichere Interpretation von Sprachen die sich auszligerhalb ihrer eigenen Reichweite befinden Doch in vielen Faumlllen wurde die Kommunikation der Bibel durch eine starke Tendenz zu Uumlbersetzungs-entscheidungen vereitelt die eher dazu dienten bestimmte doktrinaumlre Investitionen zu rechtfertigen als die volle Bandbreite des Verstaumlndnisses hinter kulturell gepraumlgten historischen Begriffen anzubieten Der Bibel muss erlaubt werden frei zu atmen Die Autoren der Hei-ligen Schrift operierten nicht im Vakuum dh im luftleeren Raum sondern in einer lebendigen Kultur die uumlber den starren Rahmen der orthodoxen Interpre-tation hinausreichte

Nur wenige Faumllle veranschaulichen dieses Thema besser als das griechische Wort bdquoproskuneordquo das in den englischen Versionen des Neuen Testaments als bdquoworshiprdquo in der deutschen Sprache am ehesten mit bdquoAnbetungrdquo wiedergegeben wird Wenn

durch andere Beweise bestimmt werdenrdquo (Lucius Robinson Paige A Commentary on the New Testa-ment Vol 1 (Boston Benjamin B Mussey 1849) S 92) Ein anglikanischer Priester schreibt bdquoDie Juden praktizierten die buumlrgerliche Anbetung sowohl an Koumlnige als auch an Propheten entweder durch Beugen des Knies [Knicks] durch Niederwerfen oder durch Fussfall vor ihnen Woraus ich schlieszlige dass die Ehrerbietungen die unserem gesegneten Retter gegeben wurden von jenen Juden und Heiden die nichts von seiner Goumlttlichkeit wussten kein Argument seiner goumlttlichen Natur sein konnte sondern ihm als Messias als von Gott gesandter Prophet oder als Koumlnig von Israel gezollt wurderdquo (Daniel Whitby ldquoAnnotations on [Matthew] Chap VIIIrdquo A Critical Commentary and Paraphrase on the Old and New Testaments Vol 5 (London Richard Priestly 1822) p 103)

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wir die antike Welt der Bibel besuchen sind wir sofort mit einem Gefuumlge oumlffent-licher Hierarchie konfrontiert dh auch mit einer Koumlrpersprache die Uumlberlegenheit und Unterwerfung zwischen den Mitgliedern in dieser Umgebung sichtbar kom-muniziert Kuumlsst man jemandem die Fuumlszlige kniet man nieder verbeugt und ver-neigt man sich oder beruumlhrt man mit dem Gesicht die Erde druumlckt man mit die-sen Verhaltensweisen Ehrfurcht Respekt oder Hochachtung vor einer Person houmlheren Ranges aus Zu Jesu Zeiten waren solche Ausdrucksformen an der Ta-gesordnung Im Neuen Testament ist das wichtigste griechische Wort in diesem System das bereits erwaumlhnte bdquoproskuneordquo das Thayer definiert als bdquoEhrfurcht zei-genrdquo bdquoEhrerbietung erweisenrdquo den Boden oder den Saum des Kleides bdquokuumlssenrdquo und natuumlrlich bdquoanbetenrdquo Diese Anbetungsgesten oder damit verwandte Formen waren aber nicht nur Gott vorbehalten sondern wurden zwischen allen moumlgli-chen hierarchischen Parteien ausgetauscht Schuldner kuumlssten die Fuumlsse ihrer Glaumlubiger Diener verbeugten sich vor ihren Herren unterworfene Nationen hul-digten im Staub vor ihren Eroberern ndash mit anderen Worten ein Vollkoumlrperein-satz der eigenen Ehrerbietung

Wenn jedoch Christen heute das Wort bdquoanbetenrdquo (proskuneo) verwenden deuten sie fast immer auf eine religioumlse Verehrung hin die ihrer Meinung nach nur Gott vorbehalten ist Der Begriff bdquoAnbetungrdquo [lat ad-oratio] hatte in der Antike eine viel breitere Bedeutung die sie vom griechischen bdquoproskuneordquo uumlbernommen hatte Im Laufe der Zeit ist die Bedeutung jedoch enger geworden Aumlltere Uumlbersetzun-gen wie die von Martin Luther lagen sicher nicht falsch als sie das griechische Wort bdquoproskuneordquo mit bdquoanbetenrdquo uumlbersetzten In seiner Zeit wurden Koumlnige und Herren gemeinhin als Exzellenz Majestaumlt Hoheit oder Durchlaucht uauml angere-det Es waumlre unklug alle Faumllle von bdquoproskuneordquo mit bdquoanbetenrdquo zu uumlbersetzen vor allem da eine ganze Reihe von Synonymen zur Auswahl steht Aber noch schlim-mer ist es bdquoanbetenrdquo selektiv auf gewisse Stellen zu beschraumlnken die man in ein bestimmtes religioumlses Licht tauchen will Ein Begriff kann im Laufe der Zeit eine oder mehrere andere Bedeutungen annehmen Ist dies der Fall dann sollte ndash un-serer Meinung nach - eine solche Verschiebung in der Uumlbersetzung beruumlcksichtigt werden Wir duumlrfen erwarten dass moderne Uumlbersetzungen eine moderne Spra-che verwenden es sei denn es gaumlbe durch die Beibehaltung veralteter Sprachfor-men etwas zu gewinnen das heute theologisch Tiefgruumlndigeres suggeriert als fruuml-her

Unsere Kritik in dieser Hinsicht ist dass viele moderne Uumlbersetzer aufgrund christologischer Verzerrungen bdquoproskuneordquo bewusst als bdquosich niederwerfenrdquo oder bdquohuldigenrdquo uumlbersetzen wenn die Handlung an andere Menschen gerichtet ist Sie verwenden jedoch gezielt bdquoanbetenrdquo wenn die Taumltigkeit mit Jesus im Zusammen-hang steht Obwohl das Wort lediglich auf einen Akt der Unterwerfung hinweist wird der Begriff ploumltzlich durch eine tendenzioumlse Umkehrung zur bdquoAnbetungrdquo

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dh in eine oumlffentliche Anerkennung der Goumlttlichkeit umgewandelt [Nicht von ungefaumlhr wird die englische Bezeichnung worship service auf Deutsch mit Gottes-dienst uumlbersetzt Anm d Uuml]

Ein treffendes Beispiel fuumlr diese Verzerrung finden wir in der Geschichte des reichen Mannes in Matthaumlus 1826 Zu beobachten ist hier wie allgemein populaumlre Uumlber-setzungen nicht mehr die Wiedergabe des Wortes bdquoanbetenrdquo der Luther-Bibel 1912 verwenden sie vermeiden unseres Erachtens zu Recht die antiquierte Form bdquoan-betenrdquo aufgrund der modernen Bedeutungsverschiebung des Wortes

LUT 1912 Da fiel der Knecht nieder und betete ihn an und sprach Herr habe Geduld mit mir ich will dirrsquos alles bezahlen

LUT 2017 Da fiel der Knecht nieder und flehte ihn an und sprach Hab Geduld mit mir ich will dirs alles bezahlen

ELB Der Knecht nun fiel nieder bat ihn kniefaumlllig und sprach Herr habe Geduld mit mir und ich will dir alles bezahlen

Die Uumlbersetzer wollen offenbar nicht dass jemand den Fehler macht der Diener bringe dem reichen Mann die religioumlse Anbetung als Gott dar daher wird die tra-ditionelle Uumlbersetzung ersetzt

Ein weiteres Beispiel fuumlr diese wohl vernuumlnftige Praxis finden wir in Offenbarung 39 Da sagt der auferstandene Jesus der hier durch einen Engel spricht dass er am Ende des Zeitalters boumlse Menschen bdquoproskuneordquo zu den Fuumlszligen der Christen-menschen bringen werde Natuumlrlich argumentiert niemand dass Jesus die Gott-losen dazu bestimmt Christen und Christinnen auf eine Weise anzubeten die nur Gott vorbehalten ist zu Recht verzichten die Uumlbersetzer auf die traditionelle Wie-dergabe des griechischen bdquoproskuneordquo als anbeten eine Verwendung die wir (nur) noch in der Konkordanten Wiedergabe (1958) lesen koumlnnen

KNT Ich werde sie dazu bringen dass sie eintreffen werden und anbeten werden angesichts deiner Fuumlszlige

LUT 2017 Siehe ich will sie dazu bringen dass sie kommen sollen und zu deinen Fuumlszligen niederfallen und erkennen

ELB Siehe ich werde sie dahin bringen dass sie kommen und sich nie-derwerfen vor deinen Fuumlszligen und erkennen

Bisher erscheinen diese Uumlbersetzungsentscheidungen alle als angemessen Aber wir beobachten wie dieses gleiche Wort bdquoproskuneordquo von gewissen Uumlbersetzern im Zusammenhang mit Jesus verwendet wird (Matthaumlus 289)

Die ldquoAnbetungrdquo des Herrn

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SLT Und als sie gingen um es seinen Juumlngern zu verkuumlnden siehe da begegnete ihnen Jesus und sprach Seid gegruumlszligt Sie aber traten herzu und umfassten seine Fuumlsse und beteten ihn an

NLB Unterwegs begegneten sie Jesus Seid gegruumlszligt sagte er Und sie liefen zu ihm hin umklammerten seine Fuumlszlige und beteten ihn an

MENG Und siehe Jesus kam ihnen entgegen mit den Worten Seid ge-gruumlszligt Da gingen sie auf ihn zu umfassten seine Fuumlsse und warfen sich anbetend vor ihm nieder

Warum haben diese Uumlbersetzer das Beduumlrfnis hier ploumltzlich auf die antiquierte Bedeutung des Wortes bdquoproskuneordquo als bdquoanbetenrdquo zuruumlckzugreifen Obwohl das Wort im Neuen Testament 58 Mal verwendet wird weshalb erhalten nur die Faumllle in denen es fuumlr Jesus oder fuumlr Gott verwendet wird die veraltete Uumlberset-zung die auf eine bestimmte religioumlse Hingabe [an eine Gottheit] hinweist Dr BeDuhn erklaumlrt die Absicht dahinter

Es ist schon moumlglich dass die Interpretation der Bedeutung der Geste richtig ist (dass die Menschen Jesus als Gott anbeteten) Aber die einfache Uumlbersetzung bdquosich niederwerfenrdquo jemanden bdquohuldi-genrdquo bdquoverehrenrdquo oder bdquohochachtenrdquo ist sicherlich richtig Es stellt sich also die Frage warum von einer bestimmten genaueren Uumlber-setzung zu einer fragwuumlrdigen moumlglicherweise ungenauen uumlberge-hen Die Antwort ist dass wenn dies geschieht die Uumlbersetzer das Beduumlrfnis zu verspuumlren scheinen die Idee zu unterstuumltzen dass im Neuen Testament Jesus als Gott erkannt wurde Aber die Anwesen-heit einer solchen Idee kann nicht untermauert werden indem man ein Wort selektiv auf eine Weise uumlbersetzt wenn es sich auf Jesus bezieht und auf eine andere Weise wenn es sich auf jemand ande-ren bezieht Da solche bdquoHandlungen der Anbetungrdquo neben Jesus im Neuen Testament auch anderen Menschen gegenuumlber ausgeuumlbt werden und Jesus sogar eine Geschichte erzaumlhlt in der eine solche Geste an einen gewoumlhnlichen Menschen gerichtet wird koumlnnen wir die Vorstellung ausschlieszligen dass bdquosich niederwerfenrdquo im moder-nen Sinne des Wortes bdquoAnbetungrdquo bedeutet Wir beobachten also wie dieselben Uumlbersetzer bdquoanbetenrdquo schreiben wenn die Geste von bestimmten Personen an Jesus gerichtet wird Sie waumlhlen andere sy-nonyme Ausdruumlcke um den gleichen griechischen Begriff bdquopro-skuneordquo zu uumlbersetzen wenn die Geste an jemand anderen als Jesus gerichtet ist Ebenso umschreiben sie bdquoproskuneordquo wenn sie von je-mandem an Jesus gerichtet wird den sie als nicht als wahrhaftigen Glaumlubigen betrachten Dies alles legt ihre Inkonsequenz sowie ihre

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Vorurteile offen Sie moumlgen argumentieren dass der Kontext des Glaubens um Jesus herum mehr bedeute als eine bdquoVerbeugungrdquo oder bdquoHuldigungrdquo im landlaumlufigen Sinn Doch dies ist kein sehr gu-tes Argument denn in den meisten Schriftstellen wissen die Men-schen welche die Achtungsgesten machen fast nichts uumlber Jesus auszliger dass er einen oumlffentlichen Bekanntheitsgrad hatte oder dass es Geruumlchte gab er habe die Macht ihnen zu helfen1383

Die Aussage von Dr BeDuhn zur Tatsache dass trinitarische Bibelverleger das Wort bewusst anders wiedergeben ist bemerkenswert insbesondere wenn die Uumlbersetzer die jeweiligen Anbetenden nicht fuumlr wahre Glaumlubige mit der richtigen Theologie einordnen wollen In diesem Zusammenhang sind in Markus 1517-19 die roumlmischen Soldaten zu beachten die Jesus misshandeln

LUT1912 hellip und zogen ihm einen Purpur an und flochten eine dornene Krone und setzten sie ihm auf und fingen an ihn zu gruumlszligen Gegruumlszliget seist du der Juden Koumlnig Und sie schlugen ihm das Haupt mit dem Rohr und verspeiten ihn und fielen auf die Kniee und beteten ihn an

LUT2017 hellip und zogen ihm einen Purpurmantel an und flochten eine Dornenkrone und setzten sie ihm auf und fingen an ihn zu gruumlszligen Ge-gruumlszliget seist du der Juden Koumlnig Und sie schlugen ihn mit einem Rohr auf das Haupt und spien ihn an und fielen auf die Knie und huldigten ihm

ELB Und sie legen ihm ein Purpurgewand an und flechten eine Dornen-krone und setzen sie ihm auf und sie fingen an ihn zu gruumlszligen Sei gegruumlszligt Koumlnig der Juden Und sie schlugen ihn mit einem Rohr auf das Haupt und spien ihn an und sie beugten die Knie und huldigten ihm

Die trinitarischen Uumlbersetzer waren hier offensichtlich der Auffassung dass die Roumlmer diesen Menschen nicht im Sinne einer dreifaltigen Gottheit sahen das heiszligt sie glaubten nicht wirklich dass dieser Mensch [Jesus] eine goumlttliche Natur hatte oder dass er gar Gott sei So wird ihre bdquoAnbetungrdquo in der Uumlbersetzung als die Art gebrandmarkt die Nichtgottheiten gezollt wird Andererseits muumlssen die-jenigen die Jesus liebten ihn im trinitarischen Sinne betrachtet haben so wird ihre bdquoAnbetungrdquo von den Uumlbersetzern als ein Akt der [religioumlsen] Anbetung dar-gestellt der eben nur Gott vorbehalten ist Natuumlrlich ist dies keine Uumlbersetzung mehr Es ist keine schlichte Darstellung von biblischen Grunddaten mit der Ab-sicht die Glaumlubigen lesen zu lassen damit sie ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen Dies ist eine spekulative arrogante Theologisierung der schlimmsten Art

1383 BeDuhn pp 47-48 unsere Hinzufuumlgung

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Dr BeDuhn macht diesbezuumlglich eine pointierte aber auch tragische Beobach-tung

Die Reformation kaumlmpfte fuumlr den Zugang aller Glaumlubigen zur Bibel und das Recht des Einzelnen auf direkte Begegnung und Interpre-tation des Textes Moderne Uumlbersetzer untergraben diese Absicht wenn sie Interpretationen eher denn Uumlbersetzungen veroumlffentli-chen und versuchen immer noch den Lesern ein Verstaumlndnis zu vermitteln das fuumlr die Uumlberzeugungen und Vorurteile der Uumlberset-zer selbst akzeptabel ist1384

Eine weitere Episode im Evangelium des Matthaumlus sollte das Argument beheben dass bdquoproskuneordquo immer die religioumlse oder durch den Glauben induzierte bdquoAnbe-tungrdquo als Gott bezeichnen muss wenn es fuumlr Jesus benutzt wird

Die elf Juumlnger aber gingen nach Galilaumla an den Berg wohin Jesus sie be-stellt hatte Und als sie ihn sahen warfen sie sich vor ihm nieder [pro-skuneo] einige aber zweifelten (Matthaumlus 2816-17 ELB)

Soweit wir feststellen konnten uumlbersetzt keine der deutschsprachigen Bibeln diese Verse mit bdquoanbetenrdquo Trifft es jedoch zu wie die Trinitarier behaupten dass bdquoproskuneordquo im Zusammenhang mit Jesus immer Anbetung bedeute und dadurch ein Bekenntnis oder eine Anerkennung der Goumlttlichkeit [Jesu] war dann muumlssen wir fragen wie konnten die Juumlnger gleichzeitig bdquoanbetenrdquo als auch bdquozweifelnrdquo Dies ist ein Widerspruch und offensichtlich ein Ding der Unmoumlglichkeit Entwe-der haben Jesu Nachfolger kognitiv und uumlberzeugt Christus als ihren Gott aner-kannt oder sie haben daran gezweifelt dass er ihr Gott ist Ein Beispiel macht es klar Man kann nicht gleichzeitig behaupten eine bestimmte Person sei Praumlsident der Vereinigten Staaten und andererseits gleichzeitig diese Behauptung bezweifeln Es sollte daher offensichtlich sein dass das Wort bdquoproskuneordquo auch wenn es wie hier in eindeutigem Bezug auf Jesus verwendet wurde lediglich einen aumluszligeren Akt der Unterwerfung und der Ehrfurcht anzeigt Das bereitwillige Sich-Nieder-werfen sagt nicht unbedingt etwas uumlber die potenzielle Goumlttlichkeit der Zielper-son aus

Schlieszliglich waren im biblischen Modell auch wenn Jesus in der Schrift nirgends als Gott identifiziert wird oumlffentliche Gesten der Ehrerbietung und des Respekts an ihn waumlhrend seines irdischen Dienstes kulturell akzeptabel Durch die Verehrung des Menschen Jesus waumlre die Anbetung Jahwes durch die Juden als ihren einzigen Gott uumlberhaupt nicht beeintraumlchtigt worden Aber wie verhaumllt es sich mit der Anbetung des erhoumlhten und verherrlichten Jesus Das Buch der Offenbarung zeigt

1384 Ebenso

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Jesus als hoch erhaben auf einem Thron der Herrlichkeit sitzend als Weltrichter Verehrten die Urchristen Jesus etwa zu diesem Zeitpunkt als Gott im Himmel und beteten sie ihn an

DiebdquoErhoumlhungrdquoimJudaismusinderAumlradesZweitenTempelsJuumldische Menschen der spaumlten Periode des Zweiten Tempels so auch Jesus und seine Apostel waren ziemlich flexibel und freigiebig wenn sie Lob und Ehre an andere Geschoumlpfe verteilten Es ist leicht zu beobachten wie selbst eine himmli-sche Erhoumlhung von Persoumlnlichkeiten auszligerhalb der Gottheit in dieser Phase des Judentums nicht als blasphemisch empfunden wurde So wird beispielsweise im juumldischen Werk Das Testament Abrahams aus dem ersten Jahrhundert n Chr der erste Mensch Adam erhoumlht und bdquomit Herrlichkeit geschmuumlcktrdquo (111ff) ist Er sitzt auf einem goldenen Thron von wo aus er die Seelen der Menschen uumlberwacht Ebenso wird Mose in der juumldischen Tragoumldie Exagoge aus dem zweiten Jahrhun-dert vor unserer Zeitrechnung auf einen Thron gesetzt und von Gott zum Rich-ter der Welt gemacht Mose sagt bdquoIch hatte die Vision eines groszligen Throns ein edler Mann saszlig darauf Er gab mir das Zepter und wies mich an auf dem grossen Thron zu sitzen Dann gab er mir die Koumlnigskrone und stand vom Thron auf Eine Vielzahl von Sternen fiel vor meine Knierdquo (Vers 70-60) Ein anderer Charakter erklaumlrt die Bedeutung der Vi-sion bdquoDu wirst einen groszligen Thron errichten und ein Richter und Fuumlhrer der Menschen wer-denrdquo (Vers 85) In den Schriftrollen vom Toten Meer im Dokument 11Q13 haben wir die Melchisedek-Figur (entweder war er ein menschlicher Priester oder ein Engel) die als bdquodein Gottrdquo uumlber die Welt gesetzt und als groszliger Richter bezeich-net wird sogar als bdquoRichter der Heiligen Gottesrdquo Und in noch einem weiteren Werk dem Buch Henoch aus dem 1 bis 3 Jahrhundert v Chr das den Aposteln nachweislich bekannt war (da sie es sogar zitierten)1385 finden wir eine aumlhnlich erhabene Gestalt Ein Individuum namens Menschensohn sitzt auf dem bdquoThron der Herrlichkeitrdquo (513 554 618 usw) richtet die Menschheit (512-3) und wird verehrt - bdquoalle die auf Erden wohnen werden hinfallen und vor ihm anbetenrdquo (485) Es ist jedoch wichtig zu beachten dass hier bdquonicht impliziert wird dass der Menschensohn als houmlchster Gott verehrt wird sondern dass die Menschen vor ihm eine Proskynese in Anerkennung

1385 1 Henoch (je nach Ausgabe entweder 19 oder 21) wird in Judas 114-15 direkt zitiert Griggs schreibt

dass bdquodieses Werk das in vielen juumldischen und christlichen Kreisen ab dem zweiten Jahrhundert v Chr als inspirierend und kanonisch anerkannt wurde in Judas als sbquoSchriftrsquo zitiert wurde und laut Charles sbquomehr Einfluss auf das Neue Testament hatte als jedes andere apokryphe oder pseudepigraphische Werkrsquo rdquo (Griggs S 7) Nach der Veroumlffentlichung des DSS wurde deutlich dass Henoch das NT beeinflusste Betrachten wir zum Beispiel 1 Henoch 57 bdquoDie Auserwaumlhlten werden die Erde erbenrdquo und Matthaumlus 55 bdquoDie Sanftmuumltigen werden die Erde erbenrdquo 1 Henoch 6927 bdquoihm dem Menschensohn wurde das Gericht zugewiesenrdquo und Johannes 522 bdquoder Vater hat dem Sohn alles Gericht uumlbertragenrdquo 1 Henoch 1003-4 bdquodie Pferde werden durch das Blut waten es wird bis zu ihrer Brust kommenrdquo und Offenbarung 1420 bdquoBlut kam aus der Weinpresse und kam bis zu den Zaumlumen der Pferderdquo

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seiner Autoritaumlt durchfuumlhrenrdquo1386 Das alles soll fuumlr ihn geschehen bdquoweil der Herr der Geister sie ihm gegeben und ihn verherrlicht hatrdquo (513) Richard Bauckhams beliebte Sichtweise betitelt bdquoChristologie der Goumlttlichen Identitaumltrdquo scheint auch hier ins Stocken zu geraten denn selbst Bauckham muss zugeben dass Henochs Men-schensohn bdquodie Ausnahme ist welche die Regel bestaumltigtrdquo dass nur Gott verehrt werden kann1387

Es gibt noch eine weitere wichtige Quelle aus der Aumlra des Zweiten Tempels wel-che die Anbetung von Wesen die nicht Gott sind zeigt ohne gegen den juumldi-schen Monotheismus zu verstoszligen Das Leben von Adam und Eva (bzw Die Apo-kalypse des Moses) wurde im ersten Jahrhundert n Chr verfasst In den vorange-gangenen Kapiteln haben wir Paulus und die bdquoadamitische Christologierdquo anderer neutestamentlicher Autoren besprochen Hebraumler 26 hatte unter Berufung auf Psalm 84 Jesus als bdquoMenschensohnAdamrdquo beschrieben und sich dabei fuumlr Jesu Selbstidentifikation auf die eschatologische Stelle bdquowie ein Menschensohnrdquo von Da-niel 713 gestuumltzt1388 Der Apostel Paulus bezeichnete Jesus noch deutlicher als bdquoden zweiten Adamrdquo (1 Kor 1545) und identifizierte den ersten Adam auszliger-dem als bdquoeinen Typus von dem der kommen sollterdquo (Roumlmer 514) Paulus sah Gottes Inthronisation Jesu als eine spaumlte Erfuumlllung des urspruumlnglichen goumlttlichen Planes Gottes Herrschaft uumlber die Erde an Adam zu delegieren Fuumlr Paulus war Adam ein Wesen das bdquonach dem Ebenbild Gottesrdquo geschaffen worden war aber seinem Potenzial nicht gerecht wurde waumlhrend Jesus auch das bdquoEbenbild Got-tesrdquo jedoch erfolgreich war Im Leben von Adam und Eva finden wir Material das Paulus offensichtlich vertraut war welches die Anbetung Jesu des zweiten Adam als bdquoBild Gottesrdquo im Neuen Testament weiter beleuchtet Im Leben von Adam und Eva lesen wir von einem Gespraumlch zwischen Satan und Adam in dem Satan er-klaumlrt dass - weil er Gottes Befehl Adam anzubeten verweigerte - er in Ungnade fiel1389 Satan sagt

Als du geformt wurdest dann sagte Gott Siehe Adam ich habe dich nach unserem Ebenbild und uns aumlhnlich geschaffen Nach-dem Michael ausgegangen war rief er alle Engel auf und sagte Ver-ehret das Ebenbild des Herrgottes so wie es der Herrgott befohlen hat Michael selbst betete zuerst an dann rief er mir zu und sagte Bete das Ebenbild von Gott Jahwe an Dann antwortete ich Es liegt mir nicht Adam anzubeten Als Michael mich zur Anbetung

1386 Collins King and Messiah as Son of God p 206 1387 Bauckham p 171 1388 See Marcus ldquoSon of Man as Son of Adamrdquo Revue Biblique Vol 110 pp 38-61 1389 Diese Geschichte von Satans Ablehnung der Anbetung Adams wird auch im Koran nacherzaumlhlt was

die weit verbreitete Popularitaumlt der zum Ausdruck gebrachten Ideen belegt Siehe Koran 2 34 711-13 1761-62

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zwang sagte ich zu ihm Warum zwingst du mich dazu Ich werde denjenigen nicht anbeten der mir tiefer gestellt ist und weiter hin-ten steht Ich bin VOR dieser Kreatur Bevor er erschaffen wurde war ich bereits erschaffen worden Er sollte mich verehren Als ich das houmlrte waren andere Engel die unter mir waren auch nicht be-reit ihn anzubeten Da sagte Michael Verehre das Ebenbild Got-tes Wenn du nicht anbetest wird der Herrgott wuumltend auf dich werden Ich sagte Wenn er wuumltend auf mich wird werde ich mei-nen Thron uumlber die Sternen des Himmels platzieren und ich werde wie der Allerhoumlchste sein Dann wurde der Herrgott wuumltend auf mich und schickte mich mit meinen Engeln aus unserer Herrlich-keit hinaus Wegen dir wurden wir aus unserer Wohnung vertrieben Durch einen Trick habe ich deine Frau verfuumlhrt und durch sie deine Vertreibung verursacht so wie ich aus meiner Herrlichkeit vertrieben wurde (132-163)

Adam sollte verehrt oder gehuldigt werden weil er das bdquoEbenbild Gottesrdquo war (1 Mose 127) Fuumlr Paulus ist die ganze Menschheit tatsaumlchlich geschaffen worden um bdquodas Ebenbild und die Herrlichkeit Gottesrdquo zu repraumlsentieren (1 Kor 117) Aber der erste Adam war fuumlr Paulus symptomatisch fuumlr eine Menschheit die ihrem Ungehorsam dem Potenzial nicht gerecht wurde und klaumlglich versagte Jesus hin-gegen war auch bdquodas Ebenbild Gottesrdquo (Kol 115 2 Kor 44) aber er war derjenige welcher in Vertretung von Gottes Herrlichkeit erfolgreich und gehorsam die Menschheit anfuumlhrt So wie Adam als Gottes Ebenbild haumltte geehrt werden sol-len bevor er ungehorsam war so soll gemaumlszlig Paulus nun auch Jesus infolge seines Gehorsams und wegen seiner Aufrechterhaltung des Ebenbildes Gottes angebe-tet geehrt und gehuldigt werden (Phil 26-11)

Es ist moumlglich dass die Bilder des Lebens von Adam und Eva Paulus und seine Praumlsentation der Adam-Christologie beeinflusst haben Paulus scheint mit diesem Werk vertraut gewesen zu sein in 2 Korinther 1114 sagt Paulus dass Satan sich bdquoals ein Engel des Lichts verkleidetrdquo ndash vielleicht eine Anspielung auf das Leben von Adam und Eva wo steht dass Satan bdquosich in die Brillanz eines Engels verwandelt hatrdquo (91) Die neutestamentliche Gemeinschaft mag daher mit der Anbetung Adams als Gottes Ebenbild wie in diesem Buch berichtet vertraut gewesen sein Wissenschaftler haben postuliert dass auch wenn Paulus nicht direkt auf den Text verweist der Apostel und der Autor von Leben von Adam und Eva geschicht-lich in der Naumlhe von Menschen waren die sich bdquoim gleichen Ideenkreis beweg-tenrdquo1390 In diesem Kulturkreis sollte die Anbetung Adams dh eines Menschen

1390 Wells APOT Vol 2 p 130 zitiert von James H Charlesworth The Old Testament Pseudepigrapha Vol

2 (Peabody Hendrickson Publishers 1983) p 255

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den juumldischen Monotheismus nicht verletzen sondern einfach einen Befehl Got-tes befolgen Wie Perry abschlieszligend sagt bdquoDie Erhoumlhung Jesu in eine Position neben Gott ist moumlglicherweise schockierend wenn man die Menschheit [die Hu-manitaumlt] zu niedrig achtet Die Bestimmung des Menschen war jedoch ein Eben-bild Gottes zu sein und Herrschaft auszuuumlben (1 Mose 126-27) Die Erhoumlhung Jesu [zu diesem Rang] ist eine Erfuumlllung dieser goumlttlichen Absichtrdquo1391 Tatsaumlch-lich haben viele Christen die behaupten eine bdquoHohe Christologierdquo zu besitzen oft eine bdquoniedrige Anthropologierdquo Aber wie Perry empfiehlt

sollten wir im Hinblick auf das urspruumlnglich beabsichtigte Schicksal des Menschen eher eine bdquohohe Anthropologierdquo [eine hohe Meinung vom Wesen der Menschen] haben Die Uumlberzeugung dass Jesus zum Himmel erhoben wurde oder die Juden glaubten dass Persoumln-lichkeiten wie Henoch ebenso erhoben waren berechtigt uns nicht diejenigen in den Monotheismus einzuschlieszligen die erhaben sind solche Individuen waren [und bleiben] Menschen und die Visio-nen die sie beschreiben unterscheiden sie von Gott1392

IstdiebdquoAnbetungrdquoJesuIdolatrieWir haben bereits festgestellt dass Jesus im Neuen Testament in gewisser Weise angebetet wurde Deshalb steht Praumlmisse 2 aus unserem vorgenannten Argu-ment dass bdquoJesus angebetet wurderdquo noch immer aufrecht Allerdings droht die Praumlmisse 1 dass in der biblischen Weltanschauung bdquonur Gott angebetet werden kanndarfrdquo angesichts eines Uumlberblicks uumlber die Bibel und andere juumldische Lite-ratur zu fallen Dennoch werden viele zweifellos weiterhin behaupten und ver-schiedene Referenzen aus der Offenbarung und dem Exodusbuch zitieren um zu beweisen dass Jesus wenn er nicht wirklich Gott ist im biblischen Sinne nicht bdquoangebetetrdquo [proskuneo] werden kann oder darf

Es trifft zu dass im 2 Buch Mose (Exodus) klar festgehalten wird bdquoDenn du sollst keinen andern Gott anbetenrdquo (2 Mose 3414) und Jesus der ein guter Jude war stimmte dem ndash vor seiner Erhoumlhung - ausdruumlcklich zu bdquoDu sollst anbeten den Herrn deinen Gott und ihm allein dienenrdquo (Matthaumlus 410) Aber wir sollten verstehen dass sich hier beide Schriftstellen auf die rituelle bdquoAnbetungrdquo Gottes beziehen Be-trachtet man die Sprache in Matthaumlus 410 etwas naumlher faumlllt sogleich auf dass die bdquoAnbetungrdquo in diesem Abschnitt das uumlbliche griechische bdquoproskuneoproskyneinrdquo jedoch das Wort fuumlr bdquodienenrdquo das Jesus ganz eindeutig als Gott zugehoumlrig be-schreibt das griechische bdquolatreueinrdquo ist Auch dieses Wort kann als bdquoAnbetungrdquo uumlbersetzt werden bezieht sich aber auf eine bestimmte Art von bdquokultischem

1391 Perry p 52 1392 Ebenso

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Dienstrdquo der Gottheiten zukommt In der Bibel bezieht sich dieses Wort nur auf die besondere religioumlse Anbetung [den Gottesdienst] und wird nie verwendet um die Ehrungen an Jesus zu beschreiben (Joh 162 Roumlmer 94 Hebr 916) So erklaumlrt Dunn

bdquolatreueinrdquo bedeutet eigentlich bdquodienenrdquo In der Bibelliteratur wird je-doch immer auf den Gottesdienst die Erfuumlllung religioumlser Pflich-ten bdquoden kultischen Dienst leistenrdquo verwiesen So ist es nicht ver-wunderlich dass es in Verbindung mit bdquoproskyneinrdquo in der oft wie-derholten Antwort Jesu auf die Versuchung andere als Gott anzu-beten erscheint bdquo(Du sollst) den Herrn deinen Gott anbeten und nur ihm dienen (latreuseis)rdquo (Matt 410Lukas 48) Und in meh-reren Passagen wird bdquolatreueinrdquo in englischen Uumlbersetzungen als bdquoworshiprdquo uumlbersetzt (was auf Deutsch sowohl bdquoGottesdienstrdquo als auch bdquoAnbetungrdquo bedeuten kann Anm d Uuml) Es faumlllt auf dass in jedem Fall das Objekt des Verbs derjenige dem (gr to) gedient wird Gott ist Abgesehen von ein oder zwei Ausnahmen bezuumlglich einer falschen Anbetung bezieht sich der Verweis immer auf den kultischen Dienst den Gottesdienst In keinem Fall spricht das Neue Testament davon Jesus den bdquokultischen Dienstrdquo (latreuein) anzubieten1393

Diese Tatsache schwaumlcht den Vorschlag derer die weiterhin behaupten dass Ur-Christen die traditionelle bdquokultischerdquo Anbetung Jahwes nun an Jesus weitergege-ben haumltten Wir werden diese Behauptung bald weiter untersuchen sollten aber zuerst die Uumlbereinstimmung des Alten und des Neuen Testamentes erkennen dass nur Einer als Gott [religioumls] angebetet und verehrt werden sollte Der Gott von Mose und von Jesus fordert sicherlich den spezifischen religioumlsen Dienst und behaumllt ihn fuumlr sich selbst vor bdquoAnbetungrdquo [Verehrung Hochachtung oder auch Lobpreisung] ist jedoch auch fuumlr andere Wesen erlaubt wie die Tatsache zeigt dass sowohl in der Septuaginta-Version des Alten Testaments als auch im Neuen Testament viele andere Personen nicht nur Gott allein Anbetung (Proskynese) entgegengebracht wird

Interessant und sehr aufschlussreich ist auch dass in den Evangelien nie erwaumlhnt wird Jesus habe seine Zuhoumlrer aufgefordert ihn anzubeten oder zu verehren obwohl es ihm [von seiner gesellschaftlichen Stellung her] erlaubt gewesen waumlre Tatsaumlchlich erklaumlrt er ausdruumlcklich dass es nicht seine Absicht war von Men-schen Ruhm zu erhalten bdquoIch bin nicht darauf aus von Menschen geehrt zu werdenrdquo (Johannes 541 GNB) oder bdquoEhre von Menschen nehme ich nicht anrdquo (Menge) Die

1393 James Dunn Did the First Christians Worship Jesus p 13 (Haben die Urchristen Jesus als Gott

verehrt)

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Aussage erscheint seltsam denn Gott verlangt immer Lob und Preis von den Menschen Stattdessen bezeugt Jesus bdquoIch aber suche nicht meine Ehre Es ist einer der sie sucht und der richtetrdquo (Johannes 850 Elb) Alles was Jesus erwartet ist die Erfuumll-lung des Wunsches Gottes ihn [den Messias] zu verherrlichen insbesondere durch die bdquoErhoumlhungrdquo die dem Messias seit der Antike vorhergesagt wurde (Psalm 1101 Markus 1236) Dennoch wurde Jesus in seinem irdischen Leben von anderen Menschen oft Ehre erwiesen oder Achtung gezollt Gemaumlszlig der Er-zaumlhlung verzichtete er aber darauf die Menschen deswegen zurechtzuweisen Doch wie wir bereits gesehen haben wurde Jesus von den Juden houmlchst wahr-scheinlich nicht als Gott verehrt Wir wissen zumindest aus seinem eigenen Be-kenntnis dass der Empfang von Ruhm und Ehre durch Menschen weder seine Erwartung noch sein Ziel war Er glaubte jedoch dass er in Zukunft eine Herr-lichkeit erhalten werde die ihm von Gott bei der Erfuumlllung und Vollbringung seines Werkes also nach der Auferstehung verheiszligen und vorbereitet wurde

Mit der Erhoumlhung Christi dh mit seiner Aufnahme in den Himmel aumlnderten sich die Dinge drastisch Offensichtlich hat Gott von diesem Zeitpunkt an die bdquoAnbetung Christirdquo befohlen Die Apostel erklaumlrten in der Tat dass eine unglaub-liche Veraumlnderung im Himmel stattgefunden habe Fruumlher war dieser Mensch Jesus nicht bdquoerhoumlhtrdquo aber jetzt bdquonachdem Jesus Christus ein einziges Opfer fuumlr die Suumln-den dargebracht hat setzte er sich fuumlr immer auf den Ehrenplatz an Gottes rechter Seiterdquo (Hebraumler 1012 ) und bdquoGott hat alles der Herrschaft von Christus unterstellt und hat Chris-tus als Herrn uumlber die Gemeinde eingesetztrdquo (Eph 122) Es ist mit der Verleihung die-ses Status bei der Gott befiehlt bdquoAlle Engel Gottes sollen vor ihm huldigend sich neigenrdquo (Hebraumler 16) Offensichtlich war von ihnen nicht erwartet oder verlangt worden ihn [Jesus] vor seiner Erhoumlhung anzubeten Wenn Hebraumler 16 genau betrachtet wird heiszligt es [von einem bestimmten Zeitpunkt an] bdquoWeiter sagt er von der Zeit in welcher er den Erstgeborenen wiederum in die Menschenwelt einfuumlhren wird (Psalm 977) sbquoAlle Engel Gottes sollen vor ihm huldigend sich neigenrsquo rdquo (Menge) Die Zeit in der bdquoGott ihn wieder in die Welt einfuumlhrtrdquo ist offensichtlich ein Hinweis auf die von Gott gewirkte Auferstehung Jesu von den Toten1394 Paulus schreibt dass Gottes gewaltige Macht und aktive Staumlrke bdquodie er an Christus erwiesen hat als er ihn von den Toten aufer-weckte und ihn in der Himmelswelt zu seiner Rechten sitzen lieszligrdquo (Epheser 120) Petrus schreibt bdquoDurch die Auferstehung Jesu Christi der zur rechten Hand Gottes ist nachdem er in den Himmel gekommen ist nachdem ihm Engel und Autoritaumlten und Maumlchte unterworfen worden warenrdquo (1 Petrus 322) Es sollte augenfaumlllig sein dass mit der bdquoErhoumlhung Jesurdquo die Unterwerfung von Maumlchten unter Christus einherging und von diesem Moment an Gott die Verehrung Jesu forderte das war etwas Neues Derselbe

1394 Siehe Kol 118 bdquoUnd er ist das Haupt des Leibes der Gemeinde Er ist der Anfang der Erstgeborene

aus den Toten damit er in allem den Vorrang haberdquo bdquoJesus Christhellip der Erstgeborene der Toten rdquo (Offb 15)

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Gott der [einst] befohlen hatte bdquoDu sollst keine anderen Goumltter anbetenrdquo (2 Mose 3414) ordnete nun die bdquoAnbetungrdquo Jesu an Die Kernfrage jedoch bleibt ob Gott damit meinte dass der Mann Jesus analog dem einzigen wahren Gott verehrt und angebetet werden sollte

Die Offenbarung zeichnet ein herrliches Bild davon wie der erhabene Jesus neben Gott verehrt wird Angefangen bei der Anbetung des einen Gottes lesen wir

Alsbald wurde ich vom Geist ergriffen Und siehe ein Thron stand im Himmel und auf dem Thron saszlig Einer Und der da saszlig war anzusehen wie der Stein Jaspis und der Sarder [Karneol] und vor dem der auf dem Thron sitzt der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit fallen die vierundzwan-zig Aumlltesten nieder und beten den an der da lebt von Ewigkeit zu Ewig-keit und legen ihre Kronen nieder vor dem Thron und sprechen Herr unser Gott du bist wuumlrdig zu nehmen Preis und Ehre und Kraft denn du hast alle Dinge geschaffen und durch deinen Willen waren sie und wurden sie geschaffen (Offenbarung 42 3a-10b11)

Dieser Eine ist offensichtlich Jahwe derjenige den Jesus seinen Vater nennt und die gleiche uralte Gestalt [ein Hochbetagter ein ehrwuumlrdiger Greis] sitzend auf demselben himmlischen Thron der Visionen von Jesaja Michaja Daniel und an-deren1395 Aber jetzt erscheint jemand der neu in das Bild eingefuumlhrt wird

der Loumlwe aus dem Stamm Juda die Wurzel Davids um das Buch und seine sieben Siegel zu oumlffnen ich sah inmitten des Thrones und der vier lebendigen Wesen und inmitten der Aumlltesten ein Lamm stehen wie ge-schlachtet das sieben Houmlrner und sieben Augen hatte dies sind die sieben Geister Gottes ausgesandt uumlber die ganze Erde sie singen ein neues Lied und sagen Du bist wuumlrdig das Buch zu nehmen und seine Siegel zu oumlffnen denn du bist geschlachtet worden und hast durch dein Blut Menschen fuumlr Gott erkauft aus jedem Stamm und jeder Sprache und jedem Volk und jeder Nation die mit lauter Stimme sprachen Wuumlrdig ist das Lamm das geschlachtet worden ist zu empfangen die Macht und Reichtum und Weisheit und Staumlrke und Ehre und Herrlichkeit und Lobpreis Und jedes Geschoumlpf das im Himmel und auf der Erde und unter der Erde und auf dem Meer ist und alles was in ihnen ist houmlrte ich sagen Dem der auf dem Thron sitzt und dem Lamm den Lobpreis und die Ehre und die

1395 bdquoIm Todesjahre des Koumlnigs Ussija da sah ich den Herrn sitzen auf hohem und erhabenem Throne

und seine Schleppen erfuumlllten den Tempelrdquo (Jesaja 61) bdquoUnd er sprach Darum houmlre das Wort JHWHs Ich sah JHWH auf seinem Throne sitzen und alles Heer des Himmels bei ihm stehen zu seiner Rechten und zu seiner Linkenrdquo (1 Koumlnige 2219) bdquoIch schaute bis Throne aufgestellt wurden und ein Alter an Tagen sich setzte rdquo (Daniel 79a)

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Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit Und die vier le-bendigen Wesen sprachen Amen Und die Aumlltesten fielen nieder und bete-ten an (Offenbarung 55b6-912-14)

Zu unterscheiden sind hier eindeutig zwei verschiedene Adressaten der Anbe-tung das Lamm und derjenige der auf dem Thron sitzt Dieser ist der bdquoHERRrdquo der allmaumlchtige Gott Aufgrund dieses Textes postuliert der Historiker Larry Hur-tado dass die fruumlhesten juumldischen Christen sowohl Jesus als auch den Vater in vollem und gleichem Sinne verehrten Ist das so Diese Anbetung so argumen-tiert er sei nicht die Art gewesen die anderen Agenten Gottes gegeben wurde1396 Er schreibt

Diese beiden unterscheidbaren aber eng miteinander verbundenen Figuren werden als rechtmaumlszligige und alleinige Empfaumlnger der Art von Andachtaktionen [Anbetungsriten] bezeichnet und behandelt die fruumlhe Christen typischerweise ablehnten anderen Figuren an-zubieten ob dies Menschen (zB der roumlmische Kaiser) himmlische Wesen wie Engel oder mit groumlszligtem Nachdruck andere vermeint-liche Gottheiten waren fruumlhchristliche Kreise zeigten ihre Ablei-tung von und anhaltende Treue zu dem starken juumldischen religioumlsen Skrupel gegen uumlbermaumlszligige Ehrfurcht vor irgendetwas oder irgend-jemand anderem als dem einen Gott ein Skrupel den die christli-che Bewegung von ihrer juumldischen religioumlsen Matrix geerbt hat1397

Das ist es was Hurtado eine bdquobinitaumlrerdquo Sichtweise (Zwei-Gott-Glauben) unter den fruumlhesten Jesus-Gemeinschaften nennt er sieht vielleicht darin eine [Weiter-] Entwicklung des urspruumlnglichen juumldischen Monotheismus in welchen Jesus mit der vollen Ehrerbietung an Jahwe aufgenommen wurde1398 Aber es gibt einige grundlegende Probleme mit Hurtados binitarischer Anbetungs-These Wie wir bald feststellen werden weist diese bdquoererbte juumldische religioumlse Matrixrdquo genau die Eigenschaften auf die Hurtado als ausgeschlossen bezeichnete

Erstens behauptet Hurtado irrtuumlmlich dass das fruumlheste Christentum verboten hat den Menschen die hingebungsvollen Handlungen die Jesus in der Offenba-rung erhaumllt anzubieten Aber in diesem Buch von Hurtado ist der wichtigste hin-gebungsvolle Akt die rituelle bdquoProskyneserdquo der Welt oder das Sich-Niederwerfen vor Christus Es kann nicht behauptet werden dass diese Hingabe eindeutig die

1396 Hurtado Lord Jesus Christ p 592 (Herr Jesus Christus) 1397 Larry Hurtado ldquoThe Binitarian Pattern of Earliest Christian Devotion and Early Doctrinal Develop-

mentrdquo The Place of Christ in Liturgical Prayer (Collegeville Liturgical Press 2008) p 30 (Das Binitarische Muster der fruumlhchristlichen Verehrung und fruumlhe doktrinaumlre Entwicklungen

1398 Siehe Hurtado Lord Jesus Christ pp 29-53 see also p 592

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Art war die nur dem einen Gott und nicht anderen Agenten gezollt wurde da die Christen selbst auch von der Welt und durch den eigenen Befehl Christi bdquoPro-skyneserdquo erhalten werden (Offb 39) Auch hier wird bdquoProskyneserdquo an viele an-dere nicht nur Gott allein gerichtet waumlhrend bdquolatreueinrdquo (der kultische religioumlse Dienst) nur an Gott und nie an Jesus gerichtet wird Waumlhrend sowohl Gott als auch Jesus offenbar bdquoangebetetrdquo werden wurde Jesus nicht die besondere bdquovolle und gleicherdquo religioumlse Hingabe gezollt die ausschlieszliglich Gott gebuumlhrt alle neu-testamentlichen Autoren und Jesus selbst behalten diesen Dienst ausdruumlcklich dem Vater vor Daruumlber hinaus hat Hurtado die Bedeutung des Grundes den die Offenbarung fuumlr die Anerkennung Gottes und Jesu durch die Welt vorsieht of-fenbar uumlbersehen

Eine dieser Figuren wird explizit als bdquounser Gottrdquo (Offb 411) und als bdquoSchoumlpferrdquo verehrt Die andere Figur wird metaphorisch als bdquodas Lammrdquo verehrt und gerade wegen des groszligen Dienstes den dieses Individuum bdquounserem Gottrdquo erwiesen hat hoch gelobt Hier erhaumllt Jesus Herrlichkeit infolge seines Gehorsams gegenuumlber der anderen Persoumlnlichkeit dem Schoumlpfer nicht dadurch dass er irgendwie iden-tisch mit dem Schoumlpfer selbst waumlre Im gesamten Neuen Testament ist der Grund warum Jesus eine solche Ehre zuteilwird vor allem das

Er erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod ja zum Tod am Kreuz Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen verliehen der uumlber jeden Namen ist damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen und jede Zunge bekenne dass Jesus Christus Herr ist zur Ehre Gottes des Vaters (Philipper 28-10a11)

Es ist hier besonders bemerkenswert dass jede Anbetung die an Christus gerich-tet wird letztendlich der Ehre Gottes des Vaters und nicht (nur) Jesus selbst dient Dennoch haben viele Trinitarier Hurtados Argument uumlber die Anbetung Jesu in der Offenbarung widergespiegelt um seine Gottheit seine Divinitaumlt end-guumlltig zu beweisen erneut unter dem Vorwand der Praumlmisse 1 Nur Gott kanndarf angebetet werden Dieses Argument soll durch die Tatsache verstaumlrkt werden dass nicht nur Jesus in der Offenbarung angebetet wird sondern dass auch der Engel der dem Apostel Johannes die Vision Jesu vorstellt sich selbst verneint wenn Johannes ihn anbeten will und ihn instruiert bdquoBete Gott anrdquo (Offb 228b-9) Und so lautet das gaumlngige Argument bdquoJesus wurde angebetet und hat deswegen niemanden zurechtgewiesen oder korrigiert Aber als Johannes den En-gel anbeten wollte korrigierte dieser Johannes und sagte er solle nur Gott anbe-tenrdquo Ein Problem dabei ist dass der Engel einfach sagte bdquoBete Gott anrdquo - er sagte nicht nur Gott anbeten Das waumlre wohl inkonsistent gewesen wenn sbquoetliche Leutesbquo in diesem Buch nicht nur bdquoGottrdquo und die andere hier erwaumlhnte eigenstaumlndige Gestalt bdquodas Lammrdquo anbeten sondern auch vor vielen erhabenen Christen sich

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bdquoniederwerfenrdquo dh sie anbeten werden [proskuneo] (Offb 39) Natuumlrlich sollte Johannes Gott anbeten Die Entscheidung des Engels die Herrlichkeit weg von sich selbst auf Gott zu lenken hat nichts mit unserer Frage zu tun ob die Anbe-tung des Menschen Jesus innerhalb der uumlberlieferten juumldischen Matrix der Ur-Christen erlaubt war oder nicht Wie Hurtado bemerkte war bdquounangemessene Ehrerbietungrdquo sicherlich zu vermeiden aber groszliger Respekt und Hochachtung ja sogar ein Kniefall und das Sich-Niederwerfen muumlssen fuumlr jeden als zulaumlssig angesehen werden dem Gott das Privileg gewaumlhrt verehrt und angebetet zu wer-den Entweder besaszlig dieser Engel das Recht nicht oder entschied sich es nicht auszuuumlben Per Saldo aller Anspruumlche schaffte die Entscheidung des Engels die Ehre von sich selbst wegzuleiten nicht ploumltzlich eine Regel dass in der mono-theistischen Welt der Juden nur Gott verehrt werden kann und darf Wie wir bereits im Alten Testament und in der uumlbrigen juumldischen Literatur gesehen haben genossen auch Figuren die nicht Gott waren eine Anbetung oder Verehrung Es kann sogar ein gemeinsamer Akt der Anbetung neben Gott in einem religioumlsen Umfeld bedeuten (1 Chronik 2920) Der Vollstaumlndigkeit halber sei erwaumlhnt und wie wir bald feststellen werden haben andere Engel die Anbetung und Ehrenbe-zeugungen von Menschen erhalten und sie nicht abgelehnt

Dazu betrachten wir einige Beispiele um unseren Standpunkt darzulegen Im Al-ten Testament als Josua dem Engel in Gilgal begegnete lesen wir bdquoIch bin der Oberste des Heeres des HERRN gerade jetzt bin ich gekommen Da fiel Josua auf sein An-gesicht zur Erde und huldigte [shachah] ihm und sagte zu ihm Was redet mein Herr zu seinem Knechtrdquo (Josua 514) Das hebraumlische Wort fuumlr bdquoHuldigungrdquo ist hier das gleiche Wort wie in 1 Mose 2426 als Eliezer bdquosich verneigte und warf sich nieder [shachah] vor dem HERRNrdquo Die Septuaginta die Bibel der neutestamentlichen Gemein-schaft beschreibt diesen Akt an den Engel als das griechische bdquoproskuneordquo den gleichen Akt der Verehrung von Christus und von Christen in der Offenbarung Dieser Engel den Josua verehrte der sich als bdquoder Oberste des Heeres Jahwesrdquo be-zeichnete lehnte diese Anbetung nicht ab sondern lehrte Josua sogar bdquoZieh deine Sandalen von deinen Fuumlszligen aus denn der Ort an dem du stehst ist heiligrdquo (515) Dies ist dieselbe Aufforderung die der Engel im brennenden Busch benutzte als er von Mose angesprochen wurde (2 Mose 35)1399 Uumlberdies stellen wir in 1 Mose 191 fest dass auch Lot zwei Engel verehrte die ihn am Tor von Sodom besuchten

1399 Mose wurde angewiesen bdquoZiehe deine Sandalen von deinen Fuumlszligen denn der Ort auf dem du steht

ist heiliger Bodenrdquo (2 Mose 35) Dieser Engel im brennenden Busch sprach als Jahwe und wurde als Gott angesprochen er wurde mit der gleichen Ehrfurcht behandelt als waumlre er Gott selbst Aber wir sollten zu dem Schluss kommen dass es tatsaumlchlich ein Engel war denn 2 Mose 32 sagt uns ausdruumlck-lich dass es bdquoder Engel Jahwesrdquo war der ihm in den Feuerflammen erschien und Stephanus in Apostelgeschichte 730 bestaumltigt dass bdquoein Engel Mose in den Flammen erschienrdquo Der Text in 2 Mose pendelt tatsaumlchlich zwischen einer Identifizierung von bdquodem Engelrdquo und bdquoGottrdquo hin und her - so genau und vollumfaumlnglich wurde Gottes Vertreter mit Gott identifiziert dass die beiden [Persoumlnlichkeiten] austauschbar wurden

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als er sich bdquomit seinem Gesicht zur Erde verneigterdquo1400 Hurtados Behauptung dass in der juumldischen monotheistischen Welt die von Jesus empfangene Ehrerbietung und Anbetung wie in der Offenbarung beschrieben fuumlr jedes Wesen - auszliger dem einen Gott - streng untersagt und speziell fuumlr Menschen oder Engel sogar strikte verboten sei scheint ins Wanken zu geraten

Ein anderes Werk der Juumldischen Literatur gibt weitere Einblicke in die Kultur bdquoJoseph und Asenathrdquo Die Datierung dieser Arbeit war schwierig aber einige Ge-lehrte sind zum Schluss gekommen dass sie zwischen dem ersten Jahrhundert v Chr und dem zweiten Jahrhundert n Chr entstanden sein muss Einige haben es sogar als fruumlhchristliches Werk aus der Periode um die Entstehung der Offen-barung durch Johannes anerkannt1401 Im Mittelpunkt der Geschichte steht Asenath die Frau die der Pharao Joseph in 1 Mose 4145 angetraut hat Die Reise der Frau wird beschrieben vom Goumltzendienst und Polytheismus zum Mo-notheismus Als heidnische Prinzessin hatte sie viele Goumltter verehrt bevor Jahwe einen Engel schickte um sie zu erleuchten Interessanterweise nachdem sie sich bekehrt hatte und die juumldisch-monotheistische Theologie annahm verehrte Asenath tatsaumlchlich den Engelsboten Uumlberraschenderweise lehnte der Engel die Verehrung nicht ab In einem juumldischen Text der uumlber die Vernachlaumlssigung Jah-wes gegenuumlber anderen Goumlttern besorgt ist wuumlrde man erwarten dass die Anbe-tung des Engels verboten waumlre insbesondere wenn es wirklich zutraumlfe dass im juumldischen Monotheismus ausschlieszliglich Gott verehrt werden koumlnnte und duumlrfte Einige Gelehrte wie Hurtado und Bauckham haben versucht die Bedeutung die-ser Tatsache herunterzuspielen und sogar behauptet dass der Engel von Asenath nicht wirklich Anbetung erhalten habe Allerdings wie Andrew Chester bestaumltigt

ist es irrefuumlhrend von Hurtado (und Bauckham) zu spekulieren dass der Engel sich weigerte verehrt zu werden Tatsaumlchlich ist Asenath in bdquoJosef und Asenathrdquo 14-15 bereits niedergefallen und hat den Engel zweimal angebetet Wenn es dem Engel also wirklich

1400 Diese Engel scheinen dieselben beiden Engel zu sein mit denen Abraham in seinem Zelt gesprochen

hat Diese Engel unterscheiden sich sogar von Jahwe (1 Mose 1913) 1401 bdquoH F D Sparks und James H Charlesworth denken dass es aus fruumlhen oder sogar vorchristlichen

Zeiten stammt Pierre Batiffol datierte es auf das 1 Jahrhundert nach Christus Christoph Burchard behauptete dass die Schrift entweder im 1 Jahrhundert v Chr oder im 1 Jahrhundert n Chr Gid-deon Bohak den Ursprung des Werkes noch fruumlher als alle anderen legte datierend auf die Zeit der maccabeanischen Revolte im 2 Jahrhundert v Chr Alle Gelehrten sind sich einig dass Joseph und Asenath einen sehr alten Text darstellen dessen Urspruumlnge weit uumlber das in unserem Besitz befindliche syrische Manuskript aus dem 6 Jahrhundert hinausgehen Aber wie weit zuruumlck ist eine Frage die zur Debatte steht Viele denken dass das 1 Jahrhundert n Chr wahrscheinlich ist - das heiszligt zu fruumlhchristlichen Zeiten vielleicht zu Jesu Lebzeiten oder einige Zeit direkt nach seiner Kreuzigungrdquo (Simcha Jacobovici Barrie Wilson The Lost Gospel New York Pegasus Books 2014) p 33) Ein moumlglicher Hinweis darauf dass es sich bei dem Text um ein fruumlhchristliches Werk handelt das nach der Kreuzigung geschrieben wurde ist die Tatsache dass der Engel in einer eigentuumlmlichen rituellen Reinigung das Zeichen eines Kreuzes auf einer Bienenwabe macht

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darum ging unangemessene [blasphemische] Anbetung zu verhin-dern und bdquodie Skrupel des juumldischen Monotheismusrdquo zu schuumltzen und zu erklaumlren haumltte er ganz anders handeln muumlssen Das heiszligt er haumltte sehr deutlich sagen sollen dass er nicht verehrt werden duumlrfe und Asenath den schrecklichen Fehler erklaumlren sollen den sie gemacht hat er tat weder das eine noch das andere [in Asenaths] voller Akzeptanz des Judentums wird die Verehrung ei-nes Engels offensichtlich als unproblematisch dargestellt1402

Das Argument erweist sich unbegruumlndet mit welchem bewiesen werden soll dass in der Weltanschauung der bibeltreuen Juden ausschlieszliglich Gott angebetet und verehrt werden koumlnne und duumlrfe wenn dafuumlr die Umlenkung der Anbetung von Johannes durch den Engel in der Offenbarung angefuumlhrt wird Im spaumlten Juden-tum der Aumlra des Zweiten Tempels in dessen Kultur die Autoren des Neuen Tes-taments lebten wurde die monotheistische Anerkennung Jahwes als einzig wah-rer Gott weder durch die bdquoAnbetungsbquo Adams noch durch die Verehrung von Engeln oder anderen Menschenfuumlrsten in irgendeiner Weise beeintraumlchtigt Die Hochachtung und Anbetung Jesu Christi durch die fruumlheste juumldisch-christliche Gemeinschaft bedeutet also nicht dass sie ihn als Jahwe betrachteten oder dass seine Ankunft auf der Buumlhne eine bdquobinitaumlrerdquo Aktualisierung ihrer traditionellen [unitarischen] Sichtweise erforderlich machte bdquoEs gibt keinen Hinweisrdquo so Hur-tado abschlieszligend bdquodass er unter den Problemen mit denen Paulus zu kaumlmpfen hatte immer um die Hingabe an Jesus als moumlgliche Vernachlaumlssigung Gottes oder Bedrohung der Zentralitaumlt Gottes besorgt warrdquo1403 Das ist schon wahr aber un-sere Frage bleibt warum Paulus sich daruumlber keine weiteren Gedanken gemacht oder diesbezuumlglich zumindest nichts geschrieben hat Liegt es daran dass die Ur-Christen den Mann Jesus moumlglicherweise doch als Jahwe erkannt haben wie die Trinitarier behaupten Oder lag es einfach daran dass in ihrer fruumlhchristlichen Weltanschauung die Anbetung erhabener menschlicher oder engelsgleicher Mitt-ler [Gottes] grundsaumltzlich keine Bedrohung fuumlr ihren Monotheismus darstellte

EhreundHerrlichkeitNach diesen populaumlren Argumenten aus der Offenbarung kommt ein Zitat Christi aus Johannes 523 bdquoDamit alle Menschen den Sohn ehren so wie sie den Vater ehrenrdquo (ELB) Dieser Vers wird von Trinitariern vorgebracht die versuchen die Gleichheit die Ebenbuumlrtigkeit von Vater und Sohn herzustellen (und dem Heili-gen Geist nur damit dieser in der Dreifaltigkeitsdoktrin nicht vergessen wird)

1402 Andrew Chester Messiah and Exaltation Jewish Messianic and Visionary Traditions and New Testa-

ment Christology (Tubingen Mohr Siebeck 2007) pp 112-113 1403 Larry Hurtado ldquoThe Binitarian Shape of Early Christian Worshiprdquo The Jewish Roots of Christological

Monotheism (Leiden Brill 1999) p 208

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Sie meinen dass Christus das Ziel verfolgte gleichermaszligen mit dem Vater ver-ehrt zu werden Doch dieser Vers gibt keine Erlaubnis Gott dem Vater und dem Sohn eine ontologische Gleichheit zuzuschreiben denn weder Natur noch religi-oumlser Kult sind hier Gegenstand des Diskurses Christi Die Ehre auf die sich Jesus in diesem Abschnitt bezieht liegt nicht in der religioumlsen Verehrung sondern in der Annahme einer himmlischen Mission Es ist der Wunsch Gottes erklaumlrt Jesus dass alle ihn in der Funktion des Gesandten Gottes annehmen sollten ihn als goumlttlichen Abgesandten auf die Art und Weise zu empfangen wie sie Gott selbst empfangen wuumlrden Im Kontext sagte Jesus

Denn nicht der Vater spricht das Urteil uumlber die Menschen er hat das Richteramt vielmehr dem Sohn uumlbertragen damit alle den Sohn ehren ge-nauso wie den Vater Wer aber den Sohn nicht anerkennen will der ver-achtet auch die Herrschaft des Vaters der ja den Sohn gesandt hat Ich sage euch die Wahrheit Wer meine Botschaft houmlrt und dem glaubt der mich gesandt hat der hat das ewige Leben Ihn wird das Urteil Gottes nicht treffen er hat die Grenze vom Tod zum Leben schon uumlberschritten (Johan-nes 522-24 HFA)

Mit Bestimmtheit geht es Christus darum als Gottes designierter Vertreter emp-fangen und akzeptiert zu werden Jesus demonstriert dieses gleiche Prinzip der Handlungsvollmacht an anderer Stelle und sagt zu seinen Juumlngern bdquoWer euch houmlrt der houmlrt mich Und wer euch ablehnt der lehnt mich ab Aber wer mich ablehnt der lehnt damit Gott selbst ab der mich gesandt hatrdquo (Lukas 1016) Der Apostel Johannes greift diesen Gedankengang in seinen anderen Schriften auf bdquoDenn wer den Sohn ablehnt der ist auch nicht mit dem Vater verbunden Doch wer sich zum Sohn bekennt der hat auch Gemeinschaft mit dem Vaterrdquo (1 Johannes 223 HFA) Man kann das eine nicht ohne das andere haben oder tun wenn Christus nicht geehrt wird dann wird Gott nicht geehrt Das ist ohne Zweifel die Absicht Jesu in Johannes 522ff Er will empfangen und akzeptiert werden als waumlre er der Vater nicht dass man ihn tat-saumlchlich als den Vater oder den gleichen Gott wie der Vater betrachtet

Doch immer wieder wird argumentiert dass waumlre Christus nicht Gott die An-betung Jesu der Idolatrie und dem Goumltzendienst gleichkaumlme Andere zitieren Rouml-mer 125 wo Paulus diejenigen zurechtweist die bdquodem Geschoumlpf statt dem Schoumlpfer dienten gepriesen sei er in Ewigkeitrdquo (ZB) Wenn Jesus tatsaumlchlich ein Geschoumlpf ist argumentieren diese Leute dann sollte er uumlberhaupt nicht angebetet werden1404 Aber was sagt Paulus hier wirklich Die Elberfelder Bibel liest in Roumlmer 125 dass sie bdquodie Wahrheit Gottes in die Luumlge verwandelt und dem Geschoumlpf Verehrung [gr sebazomai] und Dienst [gr latreuo] dargebracht haben statt dem Schoumlpfer der gepriesen ist in

1404 Jesus gehoumlrt gemaumlss dem NT zur Sphaumlre der Schoumlpfung Er ist bdquoder treue und wahre Zeuge der

Anfang der Schoumlpfung Gottesrdquo (Offb 314) und bdquoder Erstgeborene aller Geschoumlpferdquo (Kol 115)

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Ewigkeitrdquo und in der Menge-Bibel lesen wir dass bdquosie Anbetung und Verehrung dem Geschaffenen erwiesen haben anstatt dem Schoumlpfer der da gepriesen ist in Ewigkeitrdquo Die Praumlposition anstatt bedeutet in Griechisch auch bdquonebenrdquo (Konkordanten Wieder-gabe KNT) oder bdquojenseitsrdquo Das heiszligt dass die erwaumlhnte Anbetung die Vereh-rung oder der Gottesdienst des Geschaffenen bdquodem Ausschluss des Schoumlpfers gleich-kommtrdquo1405 Ein Kommentar besagt dass die Ermahnung an bestimmte Men-schen ergeht die das Geschoumlpf verehren und nicht den Schoumlpfer den sie eigent-lich ehren und anbeten solltenrdquo1406 Ein anderer sagt diese Art von Anbetung bdquokommt der Vernachlaumlssigung der Ausgrenzung Gottes gleichrdquo1407 Weiter heiszligt es dass es sich um eine Anbetung bdquozur Missachtung oder Verachtung des Schoumlp-fers handeltrdquo1408 Tatsaumlchlich stellen viele respektierte Kommentare Roumlmer 125 als eine scharfe Kritik an denen dar welche die Geschoumlpfe [die Natur] bdquomehr als denjenigen verehrten der sie geschaffen hatrdquo1409 Dann koumlnnte man im Lichte von Roumlmer 125 als Goumltzendienst oder Idolatrie definieren alles was im Unge-horsam gegenuumlber Gott sowie in der Vernachlaumlssigung oder dem Ersatz Gottes angebetet oder verehrt wird1410

In Wirklichkeit geschah aber durch die fruumlhchristliche Anbetung des Menschen Jesus weder ein Ungehorsam gegenuumlber Gott noch wurde Gott vernachlaumlssigt sondern sie war in der Tat ein Ritus oder eine Praxis die aufgrund von Gottes Befehl erfolgte Jesus wurde nicht vorgezogen und der Vater hintenan gestellt Durch die Hochachtung vor seinem Geschoumlpf [Jesus] den Gott ausdruumlcklich als den geeigneten und wuumlrdigen Ehrentraumlger bezeichnet wird Gott der Vater ange-betet und geehrt Gott ist immer das ultimative Ziel jeder Anbetung auch wenn [vordergruumlndig] der Sohn verehrt wird Wie Paulus sagte wird sich die Welt eines Tages vor Christus beugen bdquozur Ehre Gottes des Vatersrdquo (Phil 211) Anstatt jeman-den als Ersatz zum Vater oder anstelle des Vaters anzubeten symbolisiert die Verehrung Christi eine Handlung die via den erwaumlhlten Vermittler an Gott den Vater gerichtet ist

1405 Henry Alford ldquoCommentary on Romans 125rdquo The New Testament for English Readers Vol 2 (London

Gilbert and Rivington 1865) p 13 1406 Heinrich Meyer ldquoCommentary on Romans 125rdquo Heinrich Meyerrsquos Critical and Exegetical

Commentary on the New Testament (Edinburgh T amp T Clark 1832) emphasis added 1407 ldquoCommentary on Romans 125rdquo Cambridge Greek Testament for Schools and Colleges (London Cambridge

Warehouse 1896) 1408 W Robertson Nicol ldquoCommentary on Romans 125rdquo The Expositorrsquos Greek Testament 1897-1910 Web

02 December 2015 1409 E W Bullinger ldquoCommentary on Romans 125rdquo E W Bullingerrsquos Companion Bible Notes 1909-1922

Web 02 December 2015 1410 bdquoDas erste Gebot ist keine Goumltter vor Gott zu haben (2 Mose 203 5 Mose 57) Goumltzendienst

ersetzte einen anderen fuumlr Gott rdquo (Walter A Elwell ldquoIdol Idolatryrdquo Evangelical Dictionary of Theology (Baker Pub Group 1996) p 3)

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Dennoch ist es fuumlr viele schwer zu glauben dass der verherrlichte Jesus im Neuen Testament nicht vielleicht doch als Gottheit dargestellt wird Aber biblisch gese-hen kann die Herrlichkeit die Jesus von Menschen erhalten hat die sich vor ihm niederwarfen und ihn verehrten nicht mit der Herrlichkeit von Jahwe verglichen werden Im Lichte des Kapitels 11 des vorliegenden Buches uumlber die Prauml-Exis-tenz sollten wir uns daran erinnern dass die Art der Herrlichkeit die Jesus ge-nieszligt ausdruumlcklich bdquoseine Herrlichkeit als eines Eingeborenen (Sohnes) vom Vaterrdquo (Jo-hannes 114) ist also die Herrlichkeit der Sohnschaft Christen werden in der Tat die gleiche Herrlichkeit erhalten bdquoDann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeitrdquo (Kol 34) Dies wird von Christus selbst ausgefuumlhrt bdquoIch habe ihnen die Herrlichkeit gegeben die du mir gegeben hastrdquo (Joh 1722) Christus besteht sogar darauf dass die Menschen die Herrlichkeit von Gott suchen sollen bdquoIhr sollt die Herrlichkeit suchen die von dem einen und einzigen Gott kommtrdquo (Joh 544 vgl Roumlmer 27) Das ist die gleiche Herrlichkeit die Jesus von Gott erwartet hatte bdquoIch suche nicht meine Ehre es ist aber einer der sie sucht rdquo (Joh 850) Christus besitzt ganz klar nicht die Herrlichkeit Gottes sondern er genieszligt die Herrlichkeit des Sohnes Gottes In dieser Eigenschaft wird er zu Recht verehrt und angebetet

Viele Christen glauben dass Jesus mit Gott identisch sein muumlsse weil das Lamm bdquoEhre und Herrlichkeit und Lobrdquo erhaumllt (Offb 512) Jedoch sind alle treuen Juumln-ger nach dem Neuen Testament dazu bestimmt einmal dieselben Ehrungen zu erhalten

Lob Ruhm und Ehre werdet ihr dann an dem Tag empfangen an dem Christus fuumlr alle sichtbar kommt (1 Petrus 17 HFA)

denen die mit Ausharren in gutem Werke Herrlichkeit und Ehre und Unverweslichkeit suchen ewiges Leben Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden jedem der das Gute wirkt (Roumlmer 27 10a ELB)

Sollte man zur [irrigen] Schlussfolgerung gelangen dass das Neue Testament Je-sus als den einzig wahren Gott darstellt weil Jesus mit Gott entweder auf seinem Thron oder zu seiner rechten Hand zusammensitzt (Offb 512-14 Psalm 1101) wie ist dann die Schriftstelle uumlber Salomo zu verstehen In 1 Chronik 2923 steht naumlmlich bdquoSo setzte sich Salomo auf den Thron des HERRN [JHWH] als Koumlnigrdquo Ebenso sind die eigenen Juumlnger Jesu eingeladen an diesem ehrenvollen Ort zu sitzen bdquoWer uumlberwindet dem werde ich geben mit mir auf meinem Thron zu sitzen wie auch ich uumlberwunden und mich mit meinem Vater auf seinen Thron gesetzt haberdquo (Offb 321) Wenn Jesus der eine Gott waumlre weil in Offenbarung 5 das Volk der Welt kommt und zu seinen Fuumlszligen anbetet wie verhaumllt es sich dann mit den anderen erhabenen und verherrlichten Dienern Gottes die ebenso verehrt werden Wie Gott der Welt befiehlt sich vor dem Messias dem Christus zu beugen so befiehlt Christus

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dass das Gleiche fuumlr andere Menschen geschieht (Offb 39) Es waumlre nicht plau-sibel wenn die Anbetung der verherrlichten von Gott mit Macht ausgestatteten Christen hier der Anbetung Gottes widerspraumlche Ebenso wenig greift die Anbe-tung des Menschen Jesus die Ehre des einen Gottes an sie ist eindeutig keine Anbetung Christi im Gegensatz zu Gott sondern geschieht in Hochachtung vor dem Gebot Gottes

Keine der vorliegenden Informationen uumlber die Erhoumlhung sowie die Verehrung und Anbetung Christi genuumlgt als Beweis dafuumlr dass das Neue Testament Jesus als identisch mit Gott oder von gleicher Substanz wie der Vater betrachtet Wie Perry abschliessend festhaumllt

Die Ehrfurcht und der Respekt vor Jesus die Anerkennung und Ehre die ihm zugeschrieben werden und die Ehrerbietung die Be-rufung auf ihn und die Erinnerung an ihn - all diese Handlungen sind Teil der christlichen Hingabe und spiegeln die Erhoumlhung Jesu als bdquoHerrrdquo und Koumlnig aus der Linie Davids wider Das ist mit dem Juumldischen [unitarischen] Monotheismus der damaligen Zeit durch-aus vereinbar denn es ist der Vater der von den Juden und den fruumlhesten Christen gleichermaszligen als der eine Gott bezeichnet wird1411

1411 Perry p 55

Im Anfang war das Wort

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14

AmAnfangwardasWort

bdquoWenn die Autoren des Neuen Testaments von Gott sprechen meinen sie den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus Wenn sie von Jesus Christus reden sprechen sie weder von Gott noch halten sie Jesus fuumlr Gott Er ist Gottes Christus Gottes Sohn Gottes Weisheit Gottes Wort Auch der Prolog des Johannes-Evangeliums welcher der nicaumlnischen Lehre am naumlchsten kommt muss im Lichte des ausgepraumlgten Gedan-kens der Subordination im Kontext des Evangeliums als Ganzem gelesen werden der Prolog ist im Griechischen mit dem ar-tikellosen formfreien sbquotheosrsquo [Gottheit] we-niger explizit als er im Englischen zu sein scheintrdquo

mdash John Martin Creed

N DER FORTSETZUNG UNSERER UNTERSUCHUNG der Lehren uumlber die Prauml-Existenz und Divintaumlt Christi ist es notwendig der beruumlhmten und umstrittenen Praumlambel des Johannesevangeliums ein Kapitel zu widmen

bdquoAm Anfang war das Wort Das Wort war bei Gott und das Wort war Gott Von Anfang an war es bei Gott Alles wurde durch das Wort geschaffen nichts ist ohne das Wort entstan-denrdquo (Johannes 11-3 HFA) Zweifellos hat sich dieser eine Text als die wichtigste Quelle exegetischer Auseinandersetzungen in der Geschichte der Heiligen Schrift

I

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erwiesen Es ist auch die Passage die sich am leichtesten in die platonische Inter-pretation des Neuen Testaments einzuordnen scheint Obwohl auch heute noch von groszligen Kontroversen umgeben wird der bdquoPrologrdquo verstaumlndlicher und klarer im Lichte des juumldischen Konzepts uumlber die Frage der Prauml-Existenz der Schoumlp-fung und der Verpflichtung zu einer strengen Exegese Ein Professor am Fuller Theologischen Seminar postulierte das so

Die heiklen Fragen spaumlterer Zeiten haumltten vermieden werden koumln-nen wenn die Kirchenvaumlter nicht die Sprache der bdquoewigen Zeu-gung des Sohnesrdquo uumlbernommen haumltten Die Dinge haumltten anders sein koumlnnen wenn sich die Vaumlter strikt an die Sprache von Johan-nes Prolog als ihr Paradigma gehalten haumltten1412

Betrachten wir zunaumlchst die traditionelle Uumlbersetzung von Johannes 11-3 In der bereits erwaumlhnten Darstellung der Passage in der englischen King James Version (1604) haben die Uumlbersetzer den griechischen Begriff bdquologosrdquo mit bdquoWortrdquo uumlber-setzt Dies ist nicht unbedingt eine falsche Uumlbersetzung1413 aber zu beachten ist dass die englischsprachigen Uumlbersetzer sich fuumlr die Grossschreibung des An-fangsbuchstabens von bdquoWordrdquo entschieden haben Offensichtlich ist dies ein nicht ganz so subtiler Versuch den Begriff [logos] als den richtigen Eigennamen einer Person darzustellen Dies wird durch die Tatsache belegt dass der Terminus bdquologosrdquo im Neuen Testament uumlber dreihundert Mal vorkommt aber in englischen Uumlbersetzungen wie in der NIV und der KJV bewusst nur sieben Mal groszlig ge-schrieben wird Nicht nur das sondern die Herausgeber sind sich auch nicht ei-nig in welchen Faumlllen genau bdquoWordrdquo groszlig geschrieben werden sollte Dies zeigt dass der Impuls zur Groszlig- oder Kleinschreibung (also wann soll man bdquologosrdquo als Person darstellen und wann nicht)1414 nicht unbedingt durch den Ur-Text sondern durch die persoumlnliche Interpretation bzw dem Vorurteil der Uumlbersetzer erzeugt wird

In Tat und Wahrheit sollte das bdquoWortrdquo (logos) nicht als eine Person betrachtet werden Der Begriff hat zwar einen groszligen Anwendungsbereich wird aber im Wesentlichen in der Bibel durch zwei allgemeine Bedeutungen repraumlsentiert bdquoLo-gikrdquo (oder Vernunft) und bdquoSpracherdquo bdquoWortrdquo Das groszlige Bauer-Lexikon liefert diese Beispiele fuumlr die breite Anwendung des Begriffs Logos

1412 Brown ldquoTrinity and Incarnationrdquo Ex Auditu Vol 7 p 90 1413 Die traditionelle Wiedergabe von bdquoWortrdquo in der King James Version (KJV) scheint jedoch eher der

lateinischen Uumlbersetzung von gr bdquologosrdquo als lat bdquoverbumrdquo aus der Vulgata zu verdanken sein als einer direkten Uumlbersetzung die den gesamten Umfang der Bedeutung des Begriffs beruumlcksichtigt Siehe BeD-uhn S 114

1414 Siehe ldquoJoh 11 ndash But What About John 11rdquo Biblical Unitarian Spirit and Truth Fellowship Interna-tional 2013 Web 25 November 2015 (Aber was ist mit Joh 11)

Im Anfang war das Wort

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- Sprechen gesagte Woumlrter (Roumlmer 1518 bdquowas ich gesagt und ge-tan haberdquo)

- eine Aussage die du machst (Lukas 2020 bdquosie koumlnnten ihn bei einer Aussage erwischen)

- eine Frage (Matthaumlus 2124 bdquoIch werde dir auch eine Frage stel-lenrdquo)

- Predigen (1 Timotheus 517 bdquobesonders diejenigen deren Werk Predigt und Lehre istrdquo)

- Befehl (Galater 514 bdquodas gesamte Gesetz wird in einem einzigen Befehl zusammengefasstrdquo)

- Sprichwort (Johannes 437 bdquoso lautet das Sprichwort Der eine saumlt der andere erntetrdquo)

- Botschaft Anweisung Verkuumlndigung (Lukas 432 bdquoseine Botschaft hatte Autoritaumltrdquo)

- Behauptung Erklaumlrung Lehre (Johannes 660 bdquodas ist eine harte Lehrerdquo)

- das Thema uumlber das wir sprechen Materie (Apg 821 bdquoDu hast keinen Anteil an diesem Dienstrdquo Apg 156 bdquoUnd die Apostel kamen zusammen um diese Angelegenheit zu untersuchenrdquo)

- Offenbarung von Gott (Matt 156 bdquoDu annullierst machst unguuml-ltig das Wort Gottesrdquo)

- Gottes Offenbarung die von seinen Dienern gesprochen wurde (Hebr 137 bdquoLeiter die das Wort Gottes gesprochen habenrdquo)

- eine Abrechnung ein Bericht (Matt 1236 bdquoDie Menschen werden Rechenschaft ablegen muumlssen am Tag des Gerichtsrdquo)

- eine Buchfuumlhrung oder Abrechnung (Finanzen) (Matt 1823 Die Menschen werden Rechenschaft ablegen muumlssen Phil 415 bdquoin Bezug auf Nehmen und Empfangenrdquo)

- ein Grund ein Motiv (Apg 1029 bdquoIch frage aus welchem Grund du nach mir geschickt hastrdquo)1415

- Obwohl es drei Dutzend Mal oder mehr verschiedenartig uumlbersetzt wird (einschlieszliglich bdquoBericht Antwort Ermahnung Botschaft Nachricht Materie Bericht Lehre Geschichte und Vernunftrdquo usw) fasst ein sprachlicher Leitfaden die Bedeutung

1415 William F Arndt and F Wilbur Gingrich A Greek-English Lexicon of the New Testament and Other

Early Christian Literature (The Bauer Lexicon) (Chicago University of Chicago Press 1957) p 480

Im Anfang war das Wort

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von bdquologosrdquo effektiv als bdquodurch Worte ausgedruumlckte Vernunftrdquo1416 zusammen Der Schwerpunkt liegt nicht auf den Worten selbst sondern auf der Argumentation oder den dahinter stehenden Gedanken und Ideen Ebenso definiert es die Strongs Concord-ance als bdquoein Wort (die Verkoumlrperung einer Idee)rdquo

Es ist anzumerken dass kein Lexikon bdquoLogosrdquo als bdquoeine Personrdquo definiert aber genau das verlangen die Trinitarier bei der Uumlbersetzung des Begriffs bdquoWortrdquo im ersten Kapitel des Johannesevangeliums Dennoch haben selbst orthodoxe Ge-lehrte die weit verbreitete Fehleinschaumltzung erkannt wobei sich ein katholischer Gelehrter pointiert wunderte bdquoWarum lesen wir einen Eigennamen Am Anfang war der Sohn und der Sohn war bei Gottrdquo1417 Kein geringerer als Dr Brown vom Fuller Seminar ermahnt uns sogar dass es natuumlrlich voumlllig falsch ist den Vers in Johannes 11 zu lesen als bdquoAm Anfang war der Sohnrdquo1418

MoumlglicherEinflussIn den vorangehenden Kapiteln dieses Buches wurde untersucht wie in den fruuml-hen christlichen Jahrhunderten die griechische Vorstellung des Logos innerhalb der Kreise der synthetisierenden Platoniker [sie versuchten von elementaren zu komplexen Begriffen zu gelangen Anm d Uuml] verschiedene Bedeutungen an-nahm Fuumlr Philon von Alexandria war der Logos eine Art Vermittler ein engels-gleiches Wesen fuumlr Justin den Maumlrtyrer war diese engelsgleiche Gestalt der praumlinkarnierte Jesus Diese Vorstellungen schoumlpften ihre Kraft aus den metaphy-sischen Lehren des Platonismus uumlber die Prauml-Existenz die Seelenwanderung und den Demiurg1419 Aber woher kommt die Darstellung des juumldischen Apostels Jo-hannes uumlber den Logos Haumltten er oder sein eigenes juumldisches Umfeld ein Logos-Konzept einfuumlhren koumlnnen das den Hellenisten wenig oder nichts zu verdanken hat Ein Theologe kommentiert diese Frage

1416 ldquo3056 (logos)rdquo Helps Word-studies Helps Ministries 2011 Web 01 November 2015 1417 Kuschel p 381 1418 Brown Ex Auditu Vol 7 p 89 1419 Wie wir in Teil I entdeckten hatte Philon von Alexandria das Konzept der Logos der Platoniker vor

ihm die etablierte Blaupause oder den Geist des Universums zusammengefasst und war angeblich der erste der es zu einer Art geschaffenem und ungeschaffenem Menschen machte (Lamson Abt S 68) Fuumlr Philon war der Logos sowohl Gottes goumlttliche Vernunft als auch ein Engel mitdurch dem er die Welt erschaffen hatte Der spaumltere Platoniker Justin Martyr im zweiten Jahrhundert postulierte dann dass der Logos-Engel nichts anderes sei als der vorgeborene praumlexistente Jesus Christus Auch Justin hatte das Neue Testament mit den gleichen Interpretationsmethoden gelesen mit denen Philon das AT gelesen hatte wo Philon die Septuaginta-Uumlbersetzung des hebraumlischen bdquodavarrdquo (Wort) gelesen und Pla-tons bdquologosrdquo gleichgesetzt da hatte Justin das Griechische Neue Testament gelesen und Philons Logos in Johannes Prolog gefunden

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Die [platonischen] Philosophen konzipierten die Idee von zwei oder drei goumlttlichen Wesen und fanden nachdem sie die Juden ken-nenlernten den Satz Logos des Herrn fragten aber nicht nach dem juumldischen Gebrauch So wurden sie in den irrigen Glauben gefuumlhrt dass der juumldische logos und ihr nous1420 ein und dasselbe bedeuten ndash naumlmlich eine goumlttliche Person1421

Ein Fehler den ein Groszligteil der christlichen Religionswissenschaft in diesem Punkt begeht ist die Darstellung eines fehlerhaften Entweder-oder-Paradigmas Viele gehen hastig davon aus dass Johannes entweder sein Konzept des Logos aus der parallelen platonischen Tradition erhalten habe oder dass sein Logos voumlllig original war Natuumlrlich ziehen trinitarische Apologeten oft die zweite Option vor dass die johanneische Vorstellung vom Logos als eine echte goumlttliche Person kei-nesfalls von heidnischen Quellen beeinflusst wurde Tatsaumlchlich haben trinitari-sche Gelehrte behauptet dass bdquoes keinen Beweis dafuumlr gibt dass Johannes seinen Logos von Philon erhalten hatrdquo Bei der Verwendung des Begriffs Logos folgte er weder dem gnostischen noch dem alexandrinischen noch dem neoplatoni-schen noch irgendeiner anderen Bedeutung auszliger seiner eigenen und der von Jesus Christus dem Gruumlnder des Christentums1422 Es gab einen gemeinsamen Versuch die bdquoLogos-Christologierdquo darzustellen die Johannes angeblich in sei-nem Prolog als eine brandneue trinitarische Offenbarung praumlsentierte Diese Be-hauptung wird oft unter dem Vorwand erhoben dass Philons Logos wirklich keine echte Person war der Logos des Johannes jedoch schon Tatsaumlchlich wur-den regelmaumlszligig Beurteilungen wie bdquoPhilons Logos ist nicht wirklich persoumlnlich bei St Johannes ist er es auf jeden Fallrdquo1423 wiederholt Trotzdem gibt es immer noch viele Diskussionen daruumlber wie Philons Logos richtig einzuordnen ist und nicht wenige glauben dass auch dieser Logos eben doch eine Person war Viel-leicht uumlben einige von denen die so uumlber Johannes argumentieren Zuruumlckhal-tung um nicht den Gedankenformen der Synthese [dem Versuch von elementa-ren zu komplexen Begriffen zu gelangen] zu nahe zu kommen Moumlglicherweise hegten sie den Wunsch das gesamte trinitarische Konzept als eine ausschlieszliglich christliche Lehre darzustellen die nicht auf platonischem Denken basiert Und

1420 Im neoplatonischen Denken dh bei Plotinus (204-270 n Chr) ist der nous ein Bild von Gott oder

der Demiurg verschieden von Gott (oder bdquodem Einenrdquo) Der nous wird als bdquoAusstrahlungrdquo [Emanation] vom Einen betrachtet Dieses Verhaumlltnis der Emanation wird sicherlich durch das trinitarische bdquoZeugnisrdquo des Gottes - des Sohnes von Gott dem Vater und das bdquoHervorgehenrdquo des Heiligen Geistes vom Vater (oder in westlichen Kirchen sowohl vom Vater als auch vom Sohn) ergaumlnzt

1421 Charles Upham quoted in The Baptist Quarterly Vol 10 (Philadelphia American Baptist Publication Society 1876) p 131

1422 Heuser p 229 unsere Hinzufuumlgung 1423 Hastings Dictionary of the Bible p 550

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warum sollten wir nicht wollen die Christologie des Johannes schnell und oumlffent-lich von jedem vorhergehenden heidnischen Einfluss zu distanzieren Schlieszliglich war Johannes kein griechischer Philosoph Indem sie jedoch behaupten dass Jo-hannes Logos unbedingt eine bdquoPersonrdquo ist und damit eine mysterioumlse ewig ge-zeugte Hypostase meinen sind die Trinitarier allen Bemuumlhungen zum Trotz ruumlck-waumlrts ins platonische Denken gefallen

Ist der Logos des Johannes das Produkt des Platonismus oder ist er eine brand-neue Offenbarung im trinitarischen Sinn Was hinderte Johannes daran das Lo-gos-Konzept aus seinem uumlberlieferten Judentum zu gewinnen war dies doch seine einzige religioumlse Quelle Wir koumlnnen sicher alle zustimmen dass er eng mit dem Judaismus verbunden war So sind die meisten Wissenschaftler heute davon uumlberzeugt dass das Johannesevangelium durch einen grundlegend juumldischen Rahmen interpretiert werden muss1424 James McGrath bekraumlftigt das

Die Mehrheit der Gelehrten hat Recht das vierte Evangelium in den Kontext des Judentums zu stellen es ist keineswegs abwegig zu behaupten dass das Johannesevangelium korrekt als judeo-christ-lich eingestuft wird und keine Distanz zum Judentum zeigt die Beweislast liegt bei denen die versuchen einen urspruumlnglich juumldischen Rahmen fuumlr die judeo-christliche Gemeinschaft und das vierte Evange-lium des Evangelisten Johannes zu verleugnen1425

Unter bdquoJuden-Christenrdquo verstehen wir natuumlrlich die historischen Nazarener- und Ebionitengruppen die nicht an die woumlrtliche Prauml-Existenz des Sohnes [im Him-mel] glaubten In diesem Rahmen wollen wir das Johannesevangelium und damit das Logos-Konzept in seinem Prolog nochmals uumlberpruumlfen Haumltte der ausgespro-chen juumldische Johannes uumlberhaupt ein weniger persoumlnliches Konzept des Logos vertreten koumlnnen wie von manchen Forschern bisher angenommen wurde War es in der Tat ein Konzept das weder von den Hellenisten seiner Zeit noch von einer neuen trinitarischen Offenbarung hergeleitet wurde sondern basierte es ausschlieszliglich auf der althergebrachten Hebraumlischen Bibel selbst Ein Gelehrter machte einen Vorschlag und es lohnt sich diesen eingehend zu pruumlfen bdquoWir wissen dass Johannes von den alttestamentlichen heiligen Schriften durchdrun-gen war Wenn wir die historische Herkunft des Logos-Konzeptes des Johannes so verstehen wollen wie er sie selbst verstanden hat muumlssen auch wir zu diesen Schriften zuruumlckkehrenrdquo1426

1424 Siehe Severino Pancaro The Law in the Fourth Gospel (Leiden EJ Brill 1975) p 530 (Das Gesetz

in Vierten Evangelium) 1425 McGrath ldquoJohannine Christianityrdquo pp 14-15 unsere Hinzufuumlgung (Johanneisches Christentum) 1426 C J Wright ldquoJesus the Revelation of Godrdquo in The Mission and Message of Jesus An Exposition of

the Gospels in the Light of Modern Research (New York EP Dutton and Co 1953) p 677 unsere

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DerhebraumlischeLogosdesJohannesGeorge Ladd ein beruumlhmter baptistischer Professor fuumlr Theologie bemerkte dass bdquoWissenschaftler oft versucht haben die Quelle von Johannes Logos-Kon-zept im hellenistischen Denken zu findenrdquo Unsere Frage ist warum wohl1427 Nach allem was man houmlrt war Johannes wie Jesus ein uumlberzeugter praktizie-render Jude Wie in unserem fruumlheren Kapitel uumlber das Eindringen des Gnosti-zismus [ins Christentum] bereits erkannt schrieb Johannes selbst leidenschaft-lich um den Glauben vor hellenistischen Einfluumlssen zu schuumltzen welche droh-ten das Erbe des menschlichen Messias zu zerstoumlren Warum also zunaumlchst der Idee den Vorzug geben dass Johannes eher von den heidnischen Platonikern beeinflusst wurde als von seinem uumlberlieferten gottesfuumlrchtigen Judentum Ein presbyterianischer Gelehrter findet allerdings den Logos des Johannes in einer viel naumlher liegenden Quelle bdquoEs ist unbestreitbar dass die Lehre [des Logos] im Alten Testament wurzelt und dass ihr Hauptstamm das [Wort von] Jahwe ist das kreative und offenbarende Wort Gottes durch das die Himmel und die Erde geschaffen und die Propheten inspiriert worden sindrdquo1428

Tatsaumlchlich war das bdquoWort Gottesrdquo bereits ein wichtiger Artikel im Judentum des Johannes In der Juumldischen Schrift ist die ganze Schoumlpfung durch das gespro-chene Wort Gottes entstanden Gott bdquosprachrdquo und das Universum wurde er-schaffen (1 Mose 13) alle Dinge sind durch seine Rede entstanden Beachten wir den beruumlhmten Psalm bdquoDurch das Wort des Herrn wurden die Himmel geschaffen ihr sternenklares Heer durch den Atem seines Mundesrdquo (Psalm 336) Hier gibt die Sep-tuaginta-Uumlbersetzung tatsaumlchlich dieses bdquoDurch den Logos des HERRN wurden die Himmel geschaffenrdquo (Ps 326 LXX) wieder So sind das hebraumlische bdquoWortrdquo (davar) und der griechische bdquologosrdquo bei den Juden gleichbedeutend - sie zeigen die geaumluszligerten Vorstellungen Gottes Wie Dunn offenbart bdquoist nirgendwo in der Bibel oder in der auszligerkanonischen Literatur der Juden das Wort ein persoumlnlicher Vertre-ter Gottes oder sbquoauf dem Wegrsquo ein solcher zu werdenrdquo1429 In der Tat lesen wir in der Bibel durchwegs dass es ausschlieszliglich Gottes eigene Willensaumlusserung oder sein Befehl war die seine Schoumlpfung ermoumlglichte keine andere Person [war bei ihm]

Durch unseren Glauben verstehen wir dass die ganze Welt durch Gottes Wort geschaffen wurde dass alles Sichtbare aus Unsichtbarem entstanden ist (Hebraumler

Hinzufuumlgung (Jesus die Offenbarung Gottes in Die Mission und Message von Jesus Eine Darstellung der Evangelien im Licht der modernen Forschung)

1427 George Eldon Ladd A Theology of the New Testament (Grand Rapids Eerdmans 1974) p 274 1428 Thomas Walter Manson Studies in the Gospels and Epistles (Manchester University Press 1962) p

118 (Studien in den Evangelien und den Episteln) 1429 Dunn Christology in the Making p 219

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113 HFA oder bdquo hellip aus mit unseren Sinnen nicht Wahrnehmbaren geworden istrdquo ELB )

Da sprach Gott bdquoLicht soll entstehenrdquo und sogleich strahlte Licht auf (1 Mose 13)

Sie alle sollen den HERRN loben Denn auf seinen Befehl hin wurden sie erschaffen (Psalm 1485)

Denn er sprach und es geschah er gebot und es stand da (Psalm 339)

Wie wir im fruumlheren Kapitel uumlber das juumldische Konzept der Prauml-Existenz bemerkt haben hatte alles vormals in Gottes Denken und Verstand oder in seinem Plan existiert alles war bei ihm vor der Schoumlpfung gespeichert Als Gott schlieszliglich sprach machte sein Wort sein Befehl all diese Dinge sichtbar Jedes kriechende Getier und jedes sich bewegende Wesen entstand zuerst in Gottes Denken laumlngst bevor es gemacht wurde und sein gesprochenes Wort war das Mittel das diese Ideen in das Universum uumlbertrug Johannes folgte diesem Gedankengang Er schreibt dass alles durch das Wort gemacht wurde und auszliger dem Wort wurde nichts gemacht (Joh 13) Weit davon entfernt eine neuartige Offenbarung zu sein war dieselbe Formulierung jedoch von alters her bei den Juden verbreitet dh bei einem Volk das die Trinitaumltstheorie weder kannte geschweige denn an eine Dreifaltigkeit glaubte Beispiele fuumlr die weit verbreitete juumldische Weltan-schauung sind das Buch der Jubilaumlen aus den Jahren 200-150 v Chr in dem steht dass Gott bdquoalles durch sein Wort geschaffen hatrdquo (Jubilaumlen 124) Die Weisheit Salomos in griechischer Sprache aus dem ersten Jahrhundert vor Christus lautet bdquoO Gott der alle Dinge durch sein Wort [logos] und durch seine Weisheit die Menschheit geformt hatrdquo (Weisheit 91-2a) Eine der Schriftrollen des Toten Meeres enthaumllt die Linien bdquoDurch die Erkenntnis Gottes ist alles geschehen und alles was geschieht - er stellt es nach seinem Plan fest und ohne ihn wird nichts getanrdquo (DSS 1QS XI 11) und bdquodurch die Weisheit deines Wissens hast du ihr Schicksal begruumlndet bevor sie entstanden sind nach deinem Willen alles ist geschehen und ohne dich wird nichts geschehenrdquo (DSS 1QH 119-20) Hier wird Gottes Wort mit seinem bdquoWissenrdquo seiner bdquoWeisheitrdquo und seinem bdquoPlanrdquo identi-fiziert und gleichgesetzt

Das alttestamentliche Buch der Spruumlche folgt den oben genannten Quellen und praumlsentiert Gottes schoumlpferisches Wort als praktisch gleichbedeutend mit seiner Weisheit Waumlhrend die Schnittstellen in Spruumlche 1-9 sogar Gottes Weisheit als Frau beschreibt die lange Reden uumlber ihre Bedeutung und ihr Engagement als Mitarbeiterin in der Weltbildung Gottes haumllt ist es fuumlr uns angemessen dies als

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die literarische Technik der Personifizierung zu betrachten1430 Natuumlrlich hatten die

hellenisierenden Juden wie Philon frei uumlber die Natur dieser Weis-heit spekuliert Fuumlr Philon war der Logos eine Hypostasierung (In-dividualisierung) der Weisheit Gottes Er sah im Logos einen ver-mittelnden Engel den erstgeborenen Sohn Gottes1431 Dennoch gibt es innerhalb des Judentums einschlieszliglich des hellenistischen Judentums keine Beweise dafuumlr dass ein solches Gespraumlch uumlber Gottes (vorexistierende allgegenwaumlrtige) Weisheit jemals in den juuml-dischen Monotheismus eingedrungen waumlre1432 In der Tat bdquoPhilon ist religioumls ein wahrer Jude geblieben und hat immer an einem per-soumlnlichen Gott festgehaltenrdquo1433 Und wie Dunn bemerkt bdquoDer Weisheit wird keine Anbetung angeboten Weisheit hat keine Pries-ter in Israelrdquo1434 Letztendlich wurde bdquoWeisheit nie wirklich mehr als eine bequeme Art uumlber Gottes Handeln in Schoumlpfung Offen-barung und Erloumlsung zu sprechen Weisheit wurde nie mehr als eine Verkoumlrperung der eigenen Taumltigkeit Gottes gesehenrdquo1435 Si-cherlich wurde in der Tradition der Juden Gottes bdquoWortrdquo oder bdquoWeisheitrdquo als etwas empfunden das Gott gehoumlrte und bdquosicherlich nicht als persoumlnliches Wesen oder Hypostaserdquo1436

All dies deutet darauf hin dass Johannes um seinen Prolog zu vollenden keines-falls von den seit langem etablierten Ideen seines religioumlsen Hintergrunds abwei-chen musste Er brauchte nicht eine echte Persoumlnlichkeit um Gottes Wort auszu-weisen Keine der 1400 Anwendungen von bdquodavarrdquo (Wort) in der Hebraumlischen Bibel bedeutet eine Person Aber Trinitarier und Arianer behaupteten dass Jo-hannes in diesem Punkt tatsaumlchlich ein groszliger Innovator war der abrupt und

1430 Die sbquoFrausbquo Weisheit wird weithin nicht als eine reale Person sondern als Gottes Weisheit aufgefasst

bdquoDass diese Frau keine echte Person ist ist offensichtlichrdquo (Robert Kappelle Wisdom Revealed The message of Biblical Wisdom Literature Then and Now (Eugene Wipf amp Stock 2014) p 43) bdquoEs ist angebracht in der Weisheit keine reale Person zu verstehen sondern ein Attribut oder eine Eigenschaft welche mit einem persoumlnlichen Wesen versehen sind oder mit der eine imaginaumlre Persoumlnlichkeit vorgestellt wirdrdquo (Nathaniel Lardner Works Vol 5 (London T Bensley 1815) p 90) bdquoKeine echte Frau so Hausmann koumlnnte auf die extravagante Beschreibung passenrdquo (Michael V Fox Proverbs 10-31 Vol 2 (New York Yale University Press 2009) p 908)

1431 Philon verwendet die Worte bdquoWeisheitrdquo und bdquologosrdquo austauschbar See Sherwood Eddy Man Discovers God (New York Books for Libraries Press 1968) p 27

1432 Dunn Christology p 210 1433 Paine The Ethnic Trinities p 132 1434 Dunn Christology p 170 1435 Ebenso p 210 1436 Bruce Chilton Do Jews Christians and Muslims Worship the Same God (Nashville Abingdon Press

2012) p 57 (Beten Juden Christen und Muslime denselben Gott an)

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dramatisch von der historischen juumldischen Verwendung des Begriffs bdquoWortrdquo ab-gewichen sei Aber waumlre es nicht viel plausibler gewesen zu erklaumlren Johannes habe sich einfach auf seinen eigenen religioumlsen juumldischen Hintergrund berufen Christopher Wright erklaumlrt es

Als Johannes das ewige Wort vorstellte dachte er nicht an ein We-sen das in irgendeiner Weise von Gott losgeloumlst war auch nicht an eine bdquoHypostaserdquo Die spaumlteren dogmatischen trinitarischen Unter-scheidungen sollten nicht in den Geist des Johannes hineingelesen werden im Lichte einer Philosophie die ihm fremd war Wir duumlrfen Johannes nicht im Lichte der dogmatischen Entwicklungs-geschichte der drei Jahrhunderte nach dem Schreiben des Evange-listen lesen

Die Sprache des Johannes ist nicht die Sprache der philosophischen Definition Johannes hat einen bdquokonkretenrdquo Verstand und eine bdquobildlicherdquo Vorstellung Das Nicht-Verstehen von Johannes [in seinem Prolog] hat viele zum Schluss gefuumlhrt dass er bdquoVater der metaphysischen Christologierdquo und damit fuumlr die spaumltere kirch-liche Verdunkelung der ethischen und spirituellen Betonung Jesu verantwortlich ist Der Evangelist dachte nicht in Bezug auf die Kategorie der bdquoSubstanzrdquo - einer Kategorie die fuumlr den griechischen Geist so kongenial war 1437

Doch wir fragen uns vielleicht warum Johannes einen hellenistischen Begriff wie bdquologosrdquo verwenden konnte der bereits so lange schon in der philosophischen Arena eine Rolle gespielt hatte Wissenschaftler erklaumlren dass bdquoJohannes absicht-lich einen Begriff verwendete der sowohl in der hellenistischen als auch in der juumldischen Welt weit verbreitet war um die Bedeutung Christi hervorzuhe-benrdquo1438 In der hellenistischen Welt geht die Idee des Logos auf den Philosophen Heraklit (ca 500 v Chr) zuruumlck und wurde zunaumlchst als das fundamentale Ord-nungsprinzip der Welt angesehen Aber wie haumltte Johannes als Jude bdquologosrdquo richtig einsetzen koumlnnen Dazu erklaumlrt Wright

Die Sprache eines Autors mag uns verwirren es sei denn wir bauen ein Verhaumlltnis zu seinem Geist auf Der Evangelist Johannes

1437 C J Wright ldquoJesus the Revelation of Godrdquo p 707 711 (Jesus die Offenbarung Gottes) 1438 George Eldon Ladd Donald Alfred Hagner A Theology of the New Testament (Grand Rapids Eerdmans

1993) pp 275-276 In aumlhnlicher Weise schrieb er den Korinthern bdquoPaulus griff die Sprache der Weisheit auf Er griff auf die Weisheitstradition des hellenistischen Judentums und der stoischen Terminologie zuruumlck und entwarf eine Christologie die den Erfordernissen der Situation in Korinth entsprach hellip Er praumlsentierte eine Lobpreisung von Jesus innerhalb des Kontextes des juumldischen Monotheismus und als die Verkoumlrperung und Mittler der Macht Gottes welcher die Welt gemacht hat und auch erhaumllt hellip er sieht Jesus nicht als ein prauml-existierendes goumlttliches Wesen sondern als einen Menschen einen Juden dessen Gott der eine Gott ist hellip er kann identifiziert werden als sbquodie Kraft Gottesrsquo und sbquodie Weisheit Gottesrsquo rdquo (Dunn Christology p 211)

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nimmt einen bekannten Begriff wie logos definiert ihn aber nicht sondern entfaltet was er selbst damit meint Die Idee gehoumlrte zum Alten Testament und ist in den gesamten religioumlsen Glauben und die Erfahrung der Hebraumlischen Schriften eingebunden Es ist der passendste Begriff um seine Botschaft auszudruumlcken Denn das bdquoWortrdquo eines Menschen ist der Ausdruck seines [intelligenten] bdquoVerstandesrdquo und sein Verstand ist seine wesentliche Persoumlnlich-keit Jeder Geist muss sich ausdruumlcken denn Aktivitaumlt ist die ei-gentliche Natur des Geistes1439

Der allem zugrunde liegende Text von 1 Mose 11-3 bietet eine atemberaubende Parallele zu Johannes 11-3 In 1 Mose 11 finden wir dass bdquoam Anfangrdquo Gott durch sein Wort erschafft bdquoUnd Gott sagte Es werde Licht und es ward Lichtrdquo (1 Mose 13) Durch Gottes Wort daumlmmerte das Licht der Schoumlpfung das Licht des Lebens und der Weisheit und gebar die Welt im Universum Johannes 14 liest sich dementsprechend in der New Living Translation der Bibel bdquoDas Wort hat alles was geschaffen wurde zum Leben erweckt und sein Leben hat allen das Licht gebrachtrdquo (NLT) und in anderen Versionen bdquoIn ihm [oder im Logos] war das Leben und das Leben war das Licht der Menschenrdquo Der beruumlhmte evangelische Gelehrte F F Bruce (1910 ndash 1990) schrieb dass Johannes 13 zutreffend ist denn

[Johannes] fasst die Lehre von 1 Mose 1 zusammen wo die Auf-zeichnung jedes schoumlpferischen Tages durch den Satz bdquoUnd Gott sagterdquo eingefuumlhrt wird In Psalm 336 wird dies so interpretiert dass bdquodurch das Wort des Herrnrdquo die Himmel (und alles andere) ent-standen ist in der Weisheitsliteratur wird es aumlhnlich interpretiert dass alle Dinge durch seine Weisheit existieren (vgl Spruumlche 319 830 auch Psalm 10424)1440

Mit anderen Worten Johannes 11-3 praumlsentiert keine neuen Informationen uumlber das hinaus was von den glaumlubigen Juden seit 1 Mose 1 schon lange geschaumltzt wurde Die Verwendung von Logos (Wort) im Johannesevangelium korreliert da-her genau mit dem Wort [hebr davar] das Gott gesprochen hat um das Univer-sum zu erschaffen Es gibt darin keine sekundaumlre goumlttliche Person und keine Un-terscheidung [von Einheiten] innerhalb der Gottheit die bisher bewiesen oder notwendig waumlre Johannes spricht einfach aus seiner alttestamentlichen Weltan-schauung und rekrutiert einen alltaumlglichen und analogen Begriff aus der Kultur seiner Zeit das Wort

1439 C J Wright p 707 1440 F F Bruce The Gospel of John Introduction Exposition and Notes (Grand Rapids Eerdmans

Publishing 1983) p 32 (Das Evangelium Johannes Einfuumlhrung Dartstellung und Notizen)

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Aber hat Johannes nicht gesagt dass das Wort bdquoFleisch wurde und unter uns wohnterdquo als Jesus Christus (114) Wie koumlnnen wir dann behaupten dass der Logos des Johannes nicht der goumlttliche und praumlexistierende Sohn war der in menschlicher Gestalt inkarniert wurde dh ins Fleisch gekommen sei Nachdem wir den Ur-sprung des johanneischen Logos-Konzepts nicht in der Welt der Platoniker son-dern definitiv in der Welt des traditionellen Judentums gefunden haben sollten wir bereitwillig Informationen pruumlfen die uns verstehen helfen wie das Wort oder die Weisheit des Johannes bdquoFleisch werdenrdquo dh sich materialisieren konn-ten

In der juumldischen Weisheitsliteratur (chokmah ndash חכמה - Weisheit) werden Gottes Logos (Wort) Gottes Weisheit und Gottes Thora praktisch austauschbar ver-wendet Waumlhrend wir im Buch der Spruumlche lesen dass bdquoDer HERR hat durch Weis-heit die Erde gegruumlndet die Himmel befestigt durch Einsichtrdquo (Spruumlche 319) entnehmen wir den rabbinischen Quellen dass bdquoGott die Thora konsultierte und die Welt erschaffen hatrdquo (Genesis Rabba 11) Im Buch Weisheit von Sirach aus dem 1 bis 2 Jahr-hundert v Chr einem Werk das von Jesus und seinen Juumlngern anscheinend an-gedeutet wurde1441 wird Gottes Weisheit mit der Thora gleichgesetzt dem Ge-setz das Mose am Sinai uumlberliefert wurde

Sirach 24 ist die bekannteste Stelle in der Weisheit und Thora iden-tifiziert werden Die ersten 22 Verse sind parallel zur langen Hymne in Spruumlche 8 sowie zu Spruumlche 120-33 Hiob 28 und Weisheit 6-10 Der zweite Hauptabschnitt (Verse 23-29) identifiziert die Weisheit mit bdquodem Buch des Bundes des Allerhoumlchsten Gottes dem Gesetz das Mose uns befohlen hat (v 23)rdquo1442

In Vers 8 von Sirach 24 lesen wir bdquoDann gab mir der Schoumlpfer von allen seinen Befehl und mein Schoumlpfer waumlhlte den Ort fuumlr mein Zeltrdquo Er sagte bdquoIn Jakob mach deine Wohnung in Israel dein Erberdquo Die Idee dass Gottes Weisheit oder Thora herabkommtsbquo und ein Zelt in Israel aufbaut duumlrfte vertraut klingen In Johannes 114 lesen wir dass Gottes Wort bdquoFleisch geworden ist und unter uns wohntrdquo oder woumlrtlich bdquoEr hat ein Zelt unter uns aufgeschlagenrdquo In der Gleich-setzung von Gottes Wort Gottes Weisheit und Gottes Thora zusammen mit der Vorstellung dass man davon sprechen kann dass es bdquoherniederkommtrdquo und un-ter uns wohnt erkennen wir eine nicht-metaphysische Grundlage fuumlr den johan-

1441 Vergleiche Matt 619-20 mit Sirach 2911 Matt 71620 mit Sirach 276 Matt 1128 mit Sirach 5127

Jakobus 119 mit Sirach 511 Matt 716-20 mit Sirach 276 Matt 612 mit Sirach 282 1442 Ryan OrsquoDowd The Wisdom of Torah Epistemology in Deuteronomy and the Wisdom Literature

(Gottingen Vandenhoeck amp Ruprecht 2009) p 177 (Die Weisheit der Thora Epistemologie im 5 Nuch Mose und in der Weisheitsliteratur)

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neischen Logos Dieses Bild [Metapher] wird noch dadurch verstaumlrkt dass juumldi-sche Kreise in den Jahrhunderten vor und nach dem Dienst Jesu dieses Wort sogar als bdquoFleisch werdenrdquo oder in einem lebenden Rabbiner (Lehrer) verkoumlrpert beschrieben In Sirach 501-21 wird der historische Jude Simon ben Onias als Verkoumlrperung der Weisheit behandelt ohne woumlrtliche Prauml-Existenz Waumlre es auch moumlglich dass der historische Jude Jesus auch als Verkoumlrperung von Weis-heit ohne woumlrtliche Prauml-Existenz betrachtet wurde1443 Jacob Neusner verraumlt wie der Jerusalemer Talmud eine Reflexion uumlber das rabbinische Denken des zweiten Jahrhunderts juumldische Lehrer als bdquoInkarnationrdquo als das Fleisch gewordene Wort Gottes oder die Thora darstellte

Der Grund warum die Thora bdquoFleischrdquo wurde ist dass die Thora die Quelle des Heils war Als der Weise durch seine Beherrschung der Thora in die Gestalt eines Heilsbringers verwandelt wurde war es ein leichter Schritt den Weisen als die bdquolebende Thorardquo zu be-trachten1444

Philon selbst scheint einem sehr aumlhnlichen Denken zu folgen In seinem Leben von Mose I sagt Philon dass Mose die Verkoumlrperung oder Personifizierung der Thora war Da bdquoMose auch dazu bestimmt war der Gesetzgeber seines Volkes zu sein war er selbst ein lebendiges und vernuumlnftiges Gesetzrdquo (Philon Das Leben Moses I 28162) In Bezug auf Mose als Koumlnig schreibt Philon erneut dass bdquoder Koumlnig ein lebendiges Gesetz istrdquo (Das Leben Moses II 4) Weil Mose als sbquodie Leitungsbquo bezeichnet worden war durch die Gottes Wort Weisheit und Thora flieszligen sollten (siehe 2 Mose 41215 5 Mose 1818) wurde Mose selbst als eine Verkoumlrperung dieses goumlttlichen Wortes der Weisheit und der Thora angesehen Er wurde bdquodas gesetzgebende Wortrdquo genannt weil er selbst bdquogoumlttliche Kommu-nikationrdquo erhielt1445

1443 Simon J Gathercole The Preexistent Son Recovering the Christologies of Matthew Mark and Luke

(Grand Rapids Eerdmans 2006) p 197 (Der prauml-existierende Sohn Entdeckung der Christologien bei Matthaumlus Markus und Lukas)

1444 Jacob Neusner The Incarnation of God The Character of Divinity in Formative Judaism (Binghamton Global Academic Publishing 2001 [1998]) S 202 Die Inkarnation der Thora als ein Weiser sagt Neusner bdquowird durch die Behauptung repraumlsentiert dass ein Weiser (Mann) selbst einer Schriftrolle der Thora gleichkam - ein materieller rechtlicher Vergleich nicht nur eine symbolische Metapher Hier sind Aus-druumlcke dieser Vorstellung im Talmud des Landes Israel sbquoWer einen Schuumller eines verstorbenen Weisen sieht ist als ob er eine Schriftrolle der verbrannten Thora siehtrsquo rdquo (Ebenda S 203)

1445 O W Holmes ldquoCompeting Concepts of the Cosmos in the Sixteenth and Seventeenth Centuriesrdquo Phenomenology and the Human Positioning in the Cosmos (London Springer 2012) p 57 (rivalisie-rende Konzepte uumlber den Kosmos im 16 Und 17 Jh Phaumlnomenologie und Stellung des Menschen im Kosmos)

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Inwiefern koumlnnte all dies hilfreich sein um Johannes 11 besser zu verstehen Zu Beginn des zweiten Teils dieses Buches uumlberpruumlften wir wie Paulus der Zeitge-nosse des Johannes verstanden hat dass Jesus gekommen war um den Juumlngern Gottes Weisheit zu vermitteln bdquoChristus Jesus ist fuumlr uns zur Weisheit Gottes gewor-denrdquo (1 Kor 130) Gottes Weisheit die Thora oder sein Wort ist also keine be-reits existierende goumlttliche Person die spaumlter eine abstrakte menschliche Natur annahm Es ist der Mann Jesus der zur Weisheit Gottes wurde (vgl Lukas 252) Er war eine lebendige aktive Verkoumlrperung dieses Prinzips Tatsaumlchlich wohnte Gottes WeisheitGottes Wort in Jesus er war der Kanal durch den Gottes eige-nes Wort flieszligen sollte (Johannes 334 828) Wie wir zuvor bei Dunn gelesen haben

[Paulus] stellt die Herrschaft Christi im Kontext des juumldischen Mo-notheismus dar und Christus als jemanden den Christen wahrneh-men als jene Kraft Gottes zu verkoumlrpern und zu vermitteln welche die Welt erschaffen hat und erhaumllt [Paulus] sieht Jesus nicht als ein prauml-existierendes goumlttliches Wesen sondern als einen Men-schen als einen Juden dessen Gott der eine Gott ist und der doch so die schoumlpferische Kraft und rettende Weisheit Gottes verkoumlr-pert hat dass er als bdquodie Kraft Gottes und die Weisheit Gottesrdquo identifiziert werden kann1446

In der Tat war Jesus fuumlr die fruumlhen Christen bdquonicht nur die Erfuumlllung der mosai-schen Thora sondern auch die Verkoumlrperung der Weisheit Gottes die in der Offenbarung der geschaffenen Ordnung selbst zu sehen istrdquo1447 Und so sagt Pau-lus dass Jesus selbst bdquodie Weisheit Gottesrdquo ist (1 Kor 124) Und ebenso sagt Johannes in seinem Prolog dass Gottes Wort (oder Gottes Weisheit) bdquoFleisch gewordenrdquo war - im lebenden Menschen Jesus Christus (114) koumlrperlich und persoumlnlich

Wir werden in Kuumlrze durch eine textkritische Auseinandersetzung mit dem bdquoPro-logldquo feststellen dass Jesus fuumlr Johannes kein bdquoewig existierendes goumlttliches We-senrdquo war das Logos genannt wird Vielmehr war er einfach das was aus dem Logos Gottes spaumlter wurde Es gibt eine sorgfaumlltige Sequenz die Johannes in seiner Einleitung darlegt eine die bewusst vermeidet andere woumlrtliche vor allem gnos-tische Einheiten im Himmel zu platzieren und eine die Gottes unpersoumlnlichen Logos erst spaumlter in Vers 14 als eine Persoumlnlichkeit ausweist1448 Wie ein Gelehrter

1446 Dunn Christology in the Making p 211 1447 Daniel L Akin A Theology for the Church (Nashville B amp H Publishing Group 2007) p 109 unsere

Hinzufuumlgung bdquoDie Ketzerei des Doketismus [Jesus sei zwar Gottes Sohn gewesen habe sich aber eines Scheinleibes

bedient der am Kreuz gestorben sei] war fuumlr den Geist des Johannes immer praumlsent (obwohl sie in

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schreibt bdquoDie gaumlngige Vorstellung dass der Logos im Prolog unmittelbar mit Jesus zu identifizieren ist basiert bis zu einem gewissen Grad auf einer Lesung des Textes auf Griechisch die seiner offenbar beabsichtigten Reihenfolge nicht angemessen Rechnung traumlgtrdquo1449

bdquoAmAnfangwardasWortrdquoBeginnen wir also unsere Analyse mit einer ersten Untersuchung einiger populauml-rer Uumlbersetzungen von Johannes 11-3

bdquoIm Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort Dasselbe war im Anfang bei Gott Alle Dinge sind durch das-selbe gemacht ohne dasselbe ist nichts gemacht was gemacht istrdquo (LUT2017)

bdquoAm Anfang war das Wort Das Wort war bei Gott und das Wort war Gott selbst Von Anfang an war es bei Gott Alles wurde durch das Wort geschaffen nichts ist ohne das Wort entstandenrdquo (HFA)

Der Anfang auf den hier Bezug genommen wird ist normalerweise als der An-fang der Schoumlpfung anzusehen moumlglicherweise ein unbestimmter Zeitpunkt vor-her Viele Trinitarier die hier bdquodie ewige Zeugung des Sohnesrdquo finden wollen haben auf einer tiefgruumlndigeren Interpretation von bdquoAnfangrdquo naumlmlich als bdquoEwig-keitrdquo bestanden Aber der beruumlhmte unitarische Socinus (1539 - 1604 n Chr) aus der Reformationszeit stellte dies in Frage

Diejenigen die an dieser Stelle das Wort bdquoAnfangrdquo als Bezeichnung fuumlr die Ewigkeit Christi haben wollen werden des schwerwiegends-ten Irrtums uumlberfuumlhrt weil ihre Meinung von keiner Autoritaumlt un-terstuumltzt wird weder im Neuen Testament noch im Alten In Tat und Wahrheit wirst du in der Schrift fuumlr die Ewigkeit nirgendwo einen bdquoAnfangrdquo finden1450

Tatsaumlchlich impliziert bdquoAnfangrdquo einen Zeitpunkt nicht auszligerhalb der Dimension Zeit Einige wie Socinus waren sogar uumlberzeugt dass dieser Anfang der bdquoAnfang des Evangeliumsrdquo sei wie in der Parallele Markus 11 bdquoDer Anfang des Evangeliums

seinem ersten Brief am deutlichsten zu erkennen ist) die Vorstellung von Christus als blossem Phan-tasma ohne menschliches Fleisch und Blut war fuumlr das Evangelium zerstoumlrerisch die ausdruumlckliche Erklaumlrung dass sbquodas Wort Fleisch geworden istrsquo war notwendig um die Lehre des Doketismus auszuschlieszligen Ein charakteristisches Merkmal des vierten Evangeliums ist sein haumlufiges Beharren auf dem wahren Mensch-Seins Jesurdquo (John Henry Bernard International Critical Commentary St John Vol 1 (Edinburgh T amp T Clark 1999) p 20)

1449 Chilton p 58 unsere Hinzufuumlgung 1450 Paul C H Lim Mystery Unveiled The Crisis of the Trinity in Early Modern England (London OUP

2012) pp 296-297 (Des Raumltsels Loumlsung Die Krise der Trinitaumlt in England der fruumlhen Moderne)

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uumlber Jesus Christusrdquo erwaumlhnt wird1451 Aber die Meinung des vorliegenden Buches wie bereits erwaumlhnt ist dass der besagte bdquoAnfangrdquo in Johannes 11 tatsaumlchlich irgendwann vor der Schoumlpfung der Genesis gelegen habe

Eine weitere parallele Einfuumlhrung der Aufzeichnungen im Neuen Testament ist Apg 11 bdquoDer erste Bericht (andere Uumlbersetzungen sbquodas erste Buchrsquo) den ich verfasst habe Theophilus uumlber alles was Jesus zu tun und zu lehren begann rdquo Dieses Wort das einige mit bdquoBerichtrdquo andere mit bdquoBuchrdquo uumlbersetzt haben ist eigentlich bdquologosrdquo Der bdquologosrdquo wird als Ausdruck von Ideen und Gedanken dar-gestellt Eine weitere Einfuumlhrung diejenige des Briefes an Titus offenbart eine aumlhnliche Sichtweise Paulus schreibt dass die Hoffnung auf das ewige Leben bdquovor langer Zeit versprochen aber zur rechten Zeit manifestierte sich sogar sein Wort [Logos] in der Verkuumlndigung mit der ich betraut wurderdquo (Titus 13) Gottes bdquologosrdquo eine in Worten ausgedruumlckte Idee die einen Plan fuumlr das ewige Leben enthielt wurden im von Paulus verfassten Buch oder seinem Bericht offenbart Koumlnnte Gottes bdquologosrdquo in Johannes 11 ebenso eine ausdruumlckliche weise Absicht fuumlr die Welt enthalten

Wie wir in den vorangegangenen Kapiteln uumlber die juumldische Vorstellung von der Prauml-Existenz bemerkt haben umfasste das Sinnen und Trachten Gottes alles was mit den Zielen Gottes zusammenhaumlngt einschlieszliglich der zukuumlnftigen Werke Christi und der [von Gott geplanten] Verherrlichung der Menschheit Sein Wort war die Verkapselung die Kurzfassung seines Masterplans fuumlr das Universum sein einzigartiges und ureigenes intimstes Design Waumlhrend der juumldische bdquologosrdquo also keine eigenstaumlndige Person ist enthaumllt er sicherlich die persoumlnlichen Vorstellun-gen Gottes Diese Erkenntnis hilft uns den zweiten Teil von Johannessbquo Einfuumlh-rung zu verstehen bdquo und das Wort war bei Gottrdquo

bdquo und das Wort war bei Gott rdquo

Der Satzteil bdquobei Gottrdquo (gr pros ton theon) wird von den Trinitariern oft bean-sprucht um die einzigartige Personifizierung des Logos zu beweisen und zwar dadurch dass die Praumlposition ihrer Meinung nach eine Beziehung zwischen Gott und dem Wort als eine Relation zwischen einer Person und einer anderen Person

1451 Der unitarische Laelius Socinus (1525-1562 n Chr) bdquonutzte das hermeneutische Prinzip der analogia

fidei Denn die Evangelien von Markus und Lukas sowie die Apostelgeschichte beginnen alle mit einem Bezug auf den Anfang naumlmlich den Beginn des Evangeliums von Jesus Christus dem Sohn Gottesrdquo (Markus 11) sbquodie von Anfang an Augenzeugen warenrsquo (Lukas 12) und sbquodie fruumlhere Abhandlung von allem was Jesus zu tun und zu lehren begannrsquo (Apg 11) musste der im Johannesevangelium erwaumlhnte Anfang auch dasselbe bedeutenrdquo (Lim S 299) Socinus schreibt bdquoAus diesem Grund behaupten wir dass sich das Wort sbquoAnfangrsquo in diesem Abschnitt nicht auf die Ewigkeit bezieht sondern auf die Reihen-folge der Dinge die Johannes uumlber Jesus Christus als geliebten Sohn Gottes schreibt indem er in dieser Angelegenheit Mose nachahmt der dieses Wort indem er seine Geschichte schreibt auch die Oumlffnung von Genesis 11 zu sbquoAnfangrsquo machterdquo (Socinus zitiert in Lim S 297)

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illustriere Bei der genaueren Uumlberpruumlfung stellen wir jedoch fest dass es Johan-nes Gewohnheit war die Praumlposition bdquoparardquo und nicht bdquoprosrdquo zu verwenden um eine Person neben einer anderen Person zu beschreiben (Johannes 139 440 14172325 1925)1452 Einige Verse spaumlter wenn Johannes mit Sicherheit darauf hinweisen will dass es eine Person neben der anderen gibt schreibt er woumlrtlich uumlbersetzt bdquoder Einzige der von neben Gott kommt [para tou theou]rdquo (Johannes 114) Trinitarier waren wohl uumlberrascht wie Johannes in Kapitel 11-3 bdquoprosrdquo ver-wendete sie nannten es bdquoeine bemerkenswerte Wendung da wir normalerweise para mit dem Dativ erwarten wuumlrdenrdquo1453 Natuumlrlich glaubten sie nur dass Johan-nes eine bestimmte Ausdrucksweise benutzte da sie gewisse theologische An-sichten von ihm hatten die er nun nicht ohne weiteres erfuumlllte Wie koumlnnen wir also Johannes bdquoprosrdquo besser verstehen

An anderer Stelle im Neuen Testament werden die gleichen bdquoprosrdquo die Johannes benutzte tatsaumlchlich im Sinne eines Prinzips oder einer mentalen Idee verwendet In den anderen Schriften des Johannes lesen wir von bdquodem ewigen Leben das mit dem Vater war (pros ton patera) und uns offenbart wurderdquo (1 Johannes 12) Paulus schrieb bdquoDamit die Wahrheit des Evangeliums bei euch bleibtrdquo (Galater 25) Hier ist das Evan-gelium offensichtlich kein (Lebe-)Wesen neben den Juumlngern sondern bdquobeirdquo ihnen in dem Sinne dass es in ihrem Bewusstsein ideell praumlsent war

An einer andern Stelle im Alten Testament sehen wir dass im hebraumlischen Den-ken das Wort Gottes keineswegs eine eigentliche Person bezeichnet die sich oumlrt-lich bdquomitrdquo oder bdquobeirdquo einer anderen Person befindet bdquoWenn sie aber Propheten sind und wenn das Wort des HERRN bei ihnen ist dann sollen sie doch bei dem HERRN der Heerscharen Fuumlrbitte tunrdquo (Jeremia 2718) In Hiob werden Dekrete erwaumlhnt uumlber zukuumlnftige Ereignisse die Gott im Sinne in seine Absicht hat bdquoSo wird er denn auch vollfuumlhren was er mir bestimmt hat und dergleichen hat er noch vieles im Sinnrdquo (Hiob 2314 Menge) Dekrete Reden oder Befehle betreffend Gottes weisen Plan fuumlr Hiob sind aufbewahrt bdquomitrdquo oder bdquobeirdquo Gott Es scheint dass dies der Sinn ist in dem Johannes meint dass das bdquoWortrdquo [logos] (Dekrete oder Ratschluumlsse) bdquobeirdquo Gott war1454

1452 Colin Brown The New International Dictionary of New Testament Theology Vol 3 (Regency Reference Li-

brary 1979) p 1205 1453 Jean Borella Secret of the Christian Way (New York Suny Press 2001) p 137 (Das Geheimnis des

Christlichen Weges) 1454 Sirach 11 sagt aumlhnlich bdquoAlle Weisheit ist vom Herrn und bleibt fuumlr immer bei ihmrdquo Wenn wir Gottes bdquologosrdquo

als als seine Vernunft Plaumlne oder Weisheit verstehen beginnen andere Passagen sich eng miteinander zu verbinden In Spruumlche 8 steht dass Gott die Welt durch seine Weisheit erschaffen hat und dass Weisheit bdquovon Anfang anrdquo da war (v 30) Die griechische Septuaginta liest sogar dass Gottes Weisheit bdquobei ihmrdquo war Obwohl die hebraumlischen Dichter oft die literarische Methode der Personifizierung ver-wendeten waumlre kein juumldischer Leser zu dem Schluss gekommen dass Gottes Weisheit tatsaumlchlich eine echte Person war (Anmerkung Trinitaumlre Kommentatoren sind sich einig dass das Motiv bdquoLady Wisdom

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Auszliger in seinem Prolog findet sich dieselbe Praumlposition des Johannes bdquomit Gottrdquo (pros ton theon) tatsaumlchlich noch an zwei weiteren Stellen im Neuen Testament Beide Faumllle werden je nach Version unterschiedlich uumlbersetzt hier sind je drei Versionen zum Vergleich

Denn jeder Hohepriester der von den Menschen genommen wird der wird eingesetzt fuumlr die Menschen zum Dienst vor Gott [pros theou] damit er Gaben und Opfer darbringe fuumlr die Suumlnden (Hebraumler 51 LUT)

Denn jeder aus Menschen genommene Hohepriester wird fuumlr Menschen ein-gesetzt im Blick auf das Verhaumlltnis zu Gott [pros theou] damit er sowohl Gaben als auch Schlachtopfer fuumlr Suumlnden darbringe (Hebraumler 51 ELB)

Die Aufgabe eines Hohen Priesters ist es andere Menschen vor Gott [pros theou] zu vertreten Er bringt Gott ihre Gaben und die Opfer fuumlr ihre Suumlnden dar (Hebraumler 51 NLB) Darum kann ich mich ruumlhmen in Christus Jesus dass ich Gott diene [pros theos] (Roumlmer 1517 LUT)

Ich habe also in Christus Jesus etwas zum Ruumlhmen in den Dingen vor Gott [pros theos] (Roumlmer 1517 ELB)

In Christus Jesus darf ich mich daher meines fuumlr die Sache Gottes [pros theos] geleisteten Dienstes ruumlhmen (Roumlmer 1517 Menge)

In diesen Beispielen sehen wir dass derselbe Ausdruck [pros theou] der in Johan-nes 11bdquobeirdquo oder bdquomit Gottrdquo uumlbersetzt wurde um den trinitarischen Sinn zu ver-mitteln an anderen Bibelstellen mit anderer Wortwahl umschrieben und anders kommuniziert wird Es wurde zwar darauf hingewiesen dass die bdquoSacherdquo in Heb-raumler 51 und die bdquoDingerdquo in Roumlmer 1517 nicht bewusste Wesen bdquomitrdquo bdquonebenrdquo oder bdquobeirdquo Gott bedeuten sondern einfach Ideen die mit Gott in Verbindung stehen oder etwas mit Gott zu tun haben1455 Dies ist ein konsistenteres und an-

= Frau Weisheitrdquo in den Sprichwoumlrtern nicht eine tatsaumlchliche [weibliche] Person beschreibt geschweige denn einen aktiven mysterioumlsen Jesus Siehe Max Anders Holman Old Testament Commentary Proverbs (Nashville BampH Publishing Group 2005) Siehe ebenfalls bdquoWhy is wisdom referred to as a She in Proverbsrdquo Got Questions Ministries Web 24 July 2015)

1455 Die [richtungsweisende] Uumlbersetzung bdquozu Gottrdquo ist die beste woumlrtliche Uumlbersetzung dieses Satzteils John Wycliffes erste englischsprachige Bibel von 1370 stellt das bdquopros ton theonrdquo von Johannes 11-2 als bdquobeirdquo oder bdquomit Gottrdquo dar Auf diese Weise wird es als etwas gesehen das aktiv einen Dienst in Gottes Richtung reflektiert und sich an der Darstellung von Hebraumler 51 des Gottesdienstes eines Priesters in Bezug auf die Dinge bdquodie Gott gehoumlrenrdquo orientiert Dr Alfred Marshall (Interlinear Bible Diaglott) von 1968 uumlbersetzt bdquopros ton theonrdquo mit bdquoin Bezug auf Gottrdquo Flavius Josephus der Historiker des ersten Jahrhunderts in seinen Altertuumlmern (9236) verwendet auch das griechische bdquopros ton theonrdquo um Koumlnig Jotham anzuweisen bdquoin Dingen die Gott betreffen heilig zu seinrdquo (Steven Mason (trans) Flavius Josephus on the Pharisees (Leiden Brill Academic Publishers 2001) p 87)

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gemesseneres Verstaumlndnis dessen was uns Johannes in seinem Prolog sagt Got-tes Wort oder seine durch Worte ausgedruumlckte Idee sind etwas das sich auf Gott bezieht und das von Natur aus mit seiner Person verbunden ist Wenn wir dann erkennen dass die hier verbalisierten Ideen Gottes schoumlpferische Plaumlne seine Absichten und seine Ziele fuumlr die Welt beinhalten wird vieles klar

Die gesamte physische Schoumlpfung Gottes traumlgt den schoumlnen Eindruck ihres wei-sen Schoumlpfers (Psalm 191-4) Auch hier gilt Obwohl Gottes Weisheit keine ei-genstaumlndige Person ist spiegelt sie Gottes eigene persoumlnliche Eigenschaften wi-der Diese Attribute lassen sich in der Ausfuumlhrung seines Plans in der kreativen Manifestation seiner privaten Entwuumlrfe beobachten So erklaumlrt Paulus bdquoSeit Er-schaffung der Welt haben die Menschen die Erde und den Himmel und alles gesehen was Gott erschaffen hat und koumlnnen daran ihn den unsichtbaren Gott in seiner ewigen Macht und seinem goumlttlichen Wesen klar erkennen Deshalb haben sie keine Entschuldigungrdquo (Roumlmer 120 NLB) Wie Paulus sagt dass sich Gott selbst in allen bdquogeschaffenen Dingenrdquo widerspiegelt so wird derselbe Satz von Johannes im dritten Vers seiner Praumlam-bel dargestellt bdquoAlle Dinge wurden durch Gottes Logos geschaffen und abgesehen von diesem Logos wurde nichts gemachtrdquo (Joh 13) Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die trinitarisch motivierte Uumlbersetzung dieses Verses (Joh 13)

Durch ihn wurde alles geschaffen was ist Es gibt nichts was er das Wort nicht geschaffen hat (NLB)

Durch ihn ist alles entstanden es gibt nichts was ohne ihn ent-standen ist (NGUuml)

Alles ist durch ihn geworden und ohne ihn ist auch nicht eines geworden das geworden ist (ZB)

Zu beachten ist die unterschiedliche Verwendung des persoumlnlichen Fuumlrwortes fuumlr den Logos (In englischen Versionen wird das maskuline Personalpronomen zu-saumltzlich mit einem Groszligbuchstaben versehen Anm d Uuml) Natuumlrlich muss dieses Pronomen nicht unbedingt mit der 3 Person Einzahl maskulin bdquoerrdquo oder bdquoihmrdquo duumlrfte jedoch auch mit bdquoesrdquo uumlbersetzt werden Zwar wird hier das maumlnnliche grie-chische Pronomen bdquoautourdquo (er) verwendet aber nur weil es sich auf ein maumlnnli-ches Nomen naumlmlich den bdquologosrdquo bezieht Waumlhrend bdquologosrdquo grammatikalisch zwar maumlnnlich ist bedeutet dies nicht dass der Logos tatsaumlchlich in irgendeiner Weise eine maumlnnliche Person waumlre Wir duumlrfen nicht vergessen dass bdquologosrdquo durch die Lexika nirgends als Person definiert wird sondern immer nur als (unpersoumlnliche) Rede Sprache Sinn oder Vernunft Betrachten wir ein Beispiel aus dem Matthauml-usevangelium bdquoStecke dein Schwert wieder an seinen Platzrdquo sagte Jesus zu ihm denn alle die das Schwert ziehen werden durch das Schwert sterbenrdquo (Matthaumlus 2652) Das Subjekt (das Schwert) ist in der griechischen Sprache weiblich und trotzdem empfindet es niemand als Person Desgleichen ist das Wort bdquologosrdquo auch nie eine Person und

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wird in keinem Lexikon mit Bezug auf die Hunderte von biblischen Belegstellen als Person definiert Uumlbersetzer verwenden Personalpronomen da das gramma-tische Geschlecht je nach Sprache uumlblich und wichtig ist und in einer guten Uumlber-setzung beruumlcksichtigt werden muss Auch wenn das Substantiv wie zB der Baum maumlnnlich ist und wir den Baum als bdquoihnrdquo bezeichnen wird er dadurch keine Person So wie bdquodas Schwertrdquo (griechisch ein weibliches Substantiv) nicht als Person angesehen wird so sollte auch bdquologosrdquo nicht als Person gelten Die De-finition des jeweiligen Themas nicht unbedingt das grammatikalische Geschlecht des Wortes sollte unsere Interpretation des Textes unterstuumltzen Dabei muumlssen wir grundsaumltzlich hinterfragen ob es weise war ein so substanzielles und kriti-sches Dogma wie die wahre Persoumlnlichkeit des Logos auf der Uumlbersetzung des griechischen Textes in eine andere Sprache aufzubauen Selbst hier bedeutet dies nicht dass bdquologosrdquo ein maumlnnliches Pronomen erhalten muss Das grammatische Geschlecht darf nie mit dem sexuellem Geschlecht verwechselt werden Letzt-endlich koumlnnte (und sollte) das Pronomen in Johannes 12-3 mit bdquoesrdquo uumlbersetzt werden wie es bei einigen Versionen der Fall ist da kein Lexikon Logos als Per-son definiert Aus dieser Sicht scheint es eher theologische als textliche Gruumlnde zu geben um bdquologosrdquo bei Johannes als bdquoerrdquo zu bezeichnen (in englischen Versi-onen wird das persoumlnliche Fuumlrwort zur Hervorhebung wie bereits erwaumlhnt mit einem Groszligbuchstaben als bdquoHerdquo markiert)

Mit Ausnahme der oben erwaumlhnten deutschsprachigen Bibelversionen haben die folgenden Uumlbersetzer Joh 11-3 korrekt [saumlchlich] wiedergegeben Sie spiegeln auch drei englische Versionen aus dem 16 Jh wider1456

Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort Dasselbe war im Anfang bei Gott Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht was gemacht ist (LUT 2017)

Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort Dieses war im Anfang bei Gott Alle Dinge sind durch dieses (Wort) geworden und ohne dieses ist nichts geworden (von allem) was ge-worden ist (Menge)

Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott Dieses war im Anfang bei Gott Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts was geworden ist (EUuml)

Der Text sollte wohl am besten lauten bdquoAlle Dinge wurden durch es ge-macht und ohne es war nichts gemacht was gemacht wurderdquo da mit logos

1456 Siehe The Tyndale Bible (1535) Matthew (1535) Taverner (1539) Cranmerrsquos (1539) Whittingham

(1557) Geneva (1560) und die Bishoprsquos Bible (1568)

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keine Person gemeint ist und wie die drei englischen Versionen (Tyndale 1534 Bishoprsquos 1595 Geneva Bible 1599) schon vor der Herausgabe der King James Uumlbersetzung (KJV) von 1611 auch lauteten

bdquohellip und das Wort war Gottrdquo

Die gaumlngige Annahme ist dass im Prolog eine zweite Person vorgestellt wird die [auch] Gott ist Dieses Argument geht natuumlrlich davon aus dass das Wort not-wendigerweise eine [goumlttliche] Person ist sowie dass das Wort [logos] und Jesus gleichbedeutend sind woraus sich Schwierigkeiten ergeben Wenn der Logos je-doch als Ausdruck Gottes naumlmlich seines eigenen schoumlpferischen Wortes be-trachtet wird dann wird die Passage schnell weit weniger problematisch An an-derer Stelle verwendet Johannes das bdquoSeinrdquo-Verb um Attribute Gottes darzustel-len Er schreibt bdquoGott ist Geistrdquo (Joh 424) bdquoGott ist Lieberdquo (1 Joh 4816) und bdquoGott ist Lichtrdquo (1 Joh 115) Waumlhrend Gott Geist ist kann er natuumlrlich nicht total gleichbedeutend mit bdquoLichtrdquo oder bdquoLieberdquo im strikten Sinne der Worte sein Eine solche bildliche Sprache dient dazu die Eigenschaften des einen in dem anderen zu betonen Die Identifizierung der Liebe als Gott in 1 Johannes 48 sollte uns nicht glauben lassen dass bdquoLieberdquo eine persoumlnliche Einheit ist welche die Identitaumlt Gottes teilt Es versteht sich von selbst dass der Ausspruch bdquoGott ist Lieberdquo eine metaphorische Sprache ist die ausdruumlckt dass sich im Prinzip der Liebe etwas Wesentliches im Charakter Gottes erkennen laumlsst In dieser Hinsicht bedeutet bdquodas Wort war Gottrdquo dass das Wort vollkommen Ausdruck des Cha-rakters Gottes war so wie man Gott nicht von seiner Liebe trennen kann so kann man Gott nicht von seinem Wort trennen Wir finden heute aumlhnliche Sprichwoumlrter wie zB wenn wir sagen dass bdquoein Mann ein Wortrdquo ist oder dass bdquoein Mann sein Wort haumlltrdquo oder bdquoein Mann zu seinem Wort stehtrdquo Das Wort des Mannes artikuliert etwas Integrales an sich so sehr dass man es bildlich aus-gedruumlckt als seine ganze Persoumlnlichkeit bezeichnen kann So wie J A T Robertson schreibt bdquoGott und Liebe sind nicht Begriffe die austauschbar waumlren ebenso wenig wie die Begriffe Gott und Logosrdquo1457 Robertsons Erkenntnis dass Gott und Logos keine frei austauschbaren Begriffe sind ist sehr aufschlussreich So wie das Wort eines Menschen trotz seiner Identifikation mit ihm nicht wirk-lich er ist so ist auch nicht Gottes Wort wirklich Gott Es ist ein Abbild seines Charakters sowie seiner einzigartigen und goumlttlichen Persoumlnlichkeit Interessan-terweise spiegelt sich dieses Verstaumlndnis von alters her in der griechischen Spra-che selbst wider

1457 J A T Robertson A Grammar of the Greek New Testament in the Light of Historical Research

(Nashville Broadman Press 1934) pp 767-768 (Grammatik des Griech Neuen Testaments im Licht der Historischen Forschung)

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In fast allen seinen uumlber 1300 Einzelfaumlllen bezeichnet und umschreibt die Schrift mit dem Begriff bdquotheosrdquo [Gott] die Person des einen Gottes der Bibel Die Be-zeichnung erscheint sehr oft mit dem Artikel bdquoho theosrdquo Im dritten Satz in Johan-nes 11 hingegen steht eigentlich nur bdquotheos en ho logosrdquo dh bdquoGott war das Wortrdquo der Artikel bdquohordquo vor bdquotheosrdquo fehlt Diese Auffaumllligkeit kommentiert F F Bruce bdquoGinge der Artikel sowohl theos als auch logos voraus bedeutete dies dass das Wort voumlllig identisch mit Gott warrdquo1458 Das griechische Expositorrsquos Greek Testament stimmt zu dass das Wort nicht bdquomit allem identisch ist was man Gott nennen kann denn dann waumlre der Artikel angefuumlgt wordenrdquo1459 Was bedeutet das also Im Wesentlichen koumlnnten wir bdquoho theosrdquo als eine Art Eigenname fuumlr Gott betrachten Der artikellose bdquotheosrdquo ist jedoch qualitativ und beschreibt den Charakter Gottes Der beruumlhmte Kommentator William Barclay schreibt

Wenn man in der griechischen Sprache uumlber Gott spricht sagt man nicht einfach bdquotheosrdquo sondern bdquoho theosrdquo Jetzt ein Hauptwort ohne den bestimmten Artikel zu verwenden macht dieses Substantiv eher zu einem Adjektiv es beschreibt aber nichtsdestoweniger die Eigenschaft den Charakter die Qualitaumlt der Person Johannes sagte nicht bdquoho theosrdquo damit haumltte er naumlmlich gesagt dass das Wort mit Gott absolut identisch sei Er sagte aber das Wort bdquotheosrdquo sei - ohne den konkreten Artikel ndash und das bedeutet dass das Wort von gleichem Charakter der gleichen Qualitaumlt sowie von derselben Essenz ist wie Gott1460

Robertson fuumlhrt weiter aus bdquoDie Absenz des Artikels hier ist beabsichtigt und wesentlich fuumlr die wahre Ideerdquo1461 Diese Idee ist dass der Logos und Gott nicht austauschbare und identische Begriffe sind sondern qualitativ miteinander ver-bunden sind Nun werden Trinitarier sagen bdquoJa sie sind verschieden aber sie sind in gewisser Weise auch gleich daher unsere trinitarische Sichtweiserdquo Aber das ganze Argument faumlllt sofort dahin wenn wir erkennen dass der Logos des Johannes in diesem Abschnitt keine zweite Person [einer Gottheit] ist

1458 F F Bruce The Gospel of John (Grand Rapids Eerdmans 1983) p 31 1459 Nicoll Roberston (ed) The Expositorrsquos Greek Testament Vol 1 (Grand Rapids Eerdmans 1983) p 684 1460 William Barclay The Gospel of John Vol 1 (Glasgow Saint Andrews Press) S 39 Barclay hat Recht

dass es sicherlich etwas uumlber Gottes Charakter und Qualitaumlt vermittelt aber es gibt keine metaphysische Konnotation von bdquoWesenrdquo oder bdquoSeinrdquo die dieser Text verlangt

1461 Robertson p 68

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GottesWortwirdschlieszliglichzurPersonEs gibt sicherlich eine kalkulierte Weiterentwicklung des johanneischen Logos von Gottes unpersoumlnlichem Wort zu einem realen persoumlnlichen Wesen Am An-fang steht das Wort Gottes Dann in ihm soll bdquodas Lebenrdquo wohnen bdquoIm Logos war das Leben und das Leben war das Licht der Menschenrdquo (Vers 4) Es ist das Licht das bdquoin der Dunkelheit leuchtetrdquo (Vers 5) Kritisch zu erwaumlhnen ist die Tatsache dass bdquodas Lichtrdquo (griechisch to phos) hier als Neutrum dargestellt wird Aber spaumlter in Vers 10 beginnt der Text ploumltzlich es als maumlnnlich darzustellen Dieser Uumlbergang erfolgt jedoch nach Vers 10 der Jesus in seinem spaumlteren irdischen Dienst be-schreibt Mit anderen Worten ist es grammatikalisch gesprochen sogar nur moumlg-lich irgendwann nach der Geburt Jesu es [das Licht] als Person zu betrachten Vor Vers 10 wird Johannes der Taumlufer als Zeuge uumlber bdquodas Lichtrdquo beschrieben und erst nach diesem Punkt zeigen die Pronomen die beschreiben dass das Licht einen markanten Wechsel von neutral zu maumlnnlich zeigt

Das war das wahrhaftige Licht das in die Welt kommend jeden Men-schen erleuchtet Er war in der Welt und die Welt wurde durch ihn und die Welt kannte ihn nicht Er kam in das Seine und die Seinen nahmen ihn nicht an (Johannes 19-11 ELB)

Waumlhrend der Zeit des Dienstes Jesu verschiebt sich die Sprache um gewisserma-szligen bdquodas Lichtrdquo persoumlnlich darzustellen Um diese Tatsache verstaumlndlich zu ma-chen schreibt Johannes dann

bdquodas Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns und wir haben seine Herr-lichkeit angeschaut eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater voller Gnade und Wahrheit (v 14 ELB)rdquo

Natuumlrlich haben Justin Martyr Irenaumlus Athanasius und andere Christen dies spauml-ter als einen Hinweis auf die Inkarnation einer bereits existierenden goumlttlichen Person betrachtet die als der Logos bezeichnet wird Aber auch wie Chilton be-kraumlftigt bdquosind all diese Lesarten und Konstrukte nur unter der Annahme moumlglich dass der Logos und Jesus austauschbar sind rdquo Das Problem bei einer solchen Exegese des johanneischen Textes ist die Sorgfalt [der Interpretation] mit der man umgeht denn in den Versen 1-13 wird Jesus nicht direkt als Logos identifi-ziert1462 Was sagt nun Vers 14 Offensichtlich wird die Person Jesus als die Ver-koumlrperung von Gottes Wort dargestellt Wir haben allerdings keinen Grund die Verkoumlrperung des Wortes Gottes durch Christus in einem streng woumlrtlichen Sinne zu verstehen als haumltte eine bereits [ewig] existierende und koumlrperlose Per-soumlnlichkeit namens bdquoWortrdquo beschlossen sich buchstaumlblich mit Fleisch und Blut

1462 Ebenso

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zu vereinen da Johannes den Logos selbst nicht als etwas anderes als das eigene schoumlpferische Wort Gottes dargestellt hat Es ist angemessener dass wir Jesus als die Manifestation von Gottes Wort uumlber das Licht verstehen Gottes Wahrheits-programm [die Erleuchtung] war nun im Menschen [Jesus] und seinen Werken zu sehen Tatsaumlchlich sollte Jesus Gottes eigene Worte der Welt verkuumlnden (Joh 1410) und in diesem Sinne verkoumlrpert Jesus den Logos Gottes In 5 Mose 1818 prophezeite Gott uumlber den zukuumlnftigen Messias und sagte bdquoEinen Propheten wie dich will ich ihnen aus der Mitte ihrer Bruumlder erstehen lassen Ich will meine Worte in seinen Mund legen und er wird zu ihnen alles reden was ich ihm befehlen werderdquo In der griechi-schen Septuaginta (LXX) ist Gottes Wort hier der Begriff bdquorhema - ῥῆμάrdquo Wis-senschaftler erkennen an dass bdquodie Septuaginta logos - λόγος und rhema - ῥῆμά als Synonyme behandeltrdquo1463 so koumlnnen wir sagen dass es Gottes Logos in 5 Mose 1818 ist den er dem Messias in den Mund legt Wenn der Messias spricht ist es der Logos Gottes Jahwes eigenes Wort das sich manifestiert (vgl Roumlmer 1017 und Lukas 137) Das genau ist Jesu Anspruch bdquoDenn ich habe nicht aus eigener Initi-ative gesprochen sondern der Vater selbst der mich gesandt hat hat mir ein Gebot gegeben was ich sagen und was ich sprechen sollrdquo (Joh 1249) Auch hier ist es Gottes bdquoGebotrdquo das beschrieben wird dass es in Hebraumler 113 das Universum geschaffen hat Daruumlber hinaus ist Gottes bdquoGebotrdquo gleichbedeutend mit seinem bdquoWortrdquo das wie die Schrift sagt Gott vom Himmel sendet bdquoEr sendet seinen Spruch auf die Erde sehr schnell laumluft sein Wortrdquo (Psalm 14715) Das hebraumlische Wort fuumlr bdquoBefehlrdquo wird hier in der Septuaginta als bdquologosrdquo uumlbersetzt So begegnen wir im Alten Testament uumlberraschend der johanneischen Sprache bdquoGott sendet seinen Logos auf die Erderdquo und wir sind in der Lage die Bedeutung fuumlr die Juden vollkommen zu verstehen Gott der seinen Logos in unsere Welt sendet ist gleichbedeutend mit der Uumlbermittlung seines Gebots seines weisen Wortes des Ausdrucks seines Wil-lens oder seiner Gedanken an uns

Jesus Christus beschreibt sich selbst nirgends als ein materialisiertes oder fleisch-gewordenes goumlttliches Wesen sondern als denjenigen der dieses Wort diesen Befehl oder den Logos Gottes an seine Mitmenschen weitergibt Er sieht sich als bdquoeinen Menschen der ich euch die Wahrheit gesagt habe die ich von Gott gehoumlrt haberdquo (Joh 840) Tatsaumlchlich war es Gottes ewige Weisheit und Wahrheit die in Form von Jesus zu ihnen kam Vers 17 des Johannesprologs gibt zu dieser Schlussfolgerung Anlass bdquoDie Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus gewordenrdquo (ELB) Das Licht des goumlttlichen Logos ist auf die Erde gekommen aber es war nicht wirklich als Jesus Christus sondern durch Jesus Christus Johannes selbst bekraumlftigt als er

1463 Gerhard Kittel Theological Dictionary of the New Testament Abridged in One Volume (Grand

Rapids Eerdmans 1985) p 508 See also Dwight Moody Smith Abingdon New Testament Commen-taries John (Abingdon Press 1999) p 50 Bangalore Theological Forum Vol 25-26 (United Theologi-cal College 1993) p 50 The Lutheran Quarterly Vol 5 (1953) p 214

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seinen Prolog schlieszligt dass es nicht wirklich Gott war der durch die Ankunft Christi buchstaumlblich sichtbar gemacht wurde und sagt bdquoNiemand hat Gott jemals gesehen der eingeborene Sohn der in des Vaters Schoss ist der hat ihn kundgemachtrdquo (Vers 18) oder bdquoder hat Aufschluss [uumlber ihn] gegebenrdquo (SLT) Auch nach der Geburt Jesu hatte noch niemand Gott [physisch] gesehen aber weil via den Logos Gottes das Licht durch den Menschen Jesus leuchten sollte konnte Gott [von den Men-schen] erkannt werden

Um all diese Informationen ins rechte Licht zu ruumlcken koumlnnte man sagen dass es am Anfang den Logos gab dh Gottes schoumlpferische Vernunft und sein aus-druumlckliches Dekret uumlber seinen persoumlnlichen groszligen Plan fuumlr die Welt Es ist nie etwas entstanden was nicht durch Gottes weises Gebot zur Realitaumlt wurde bdquoGott sprach Die Erde bringe lebende Wesen hervor nach ihrer Art Vieh Gewuumlrm und Tiere der Erde nach ihrer Art Und es geschah sordquo (1 Mose 124a) Natuumlrlich waren diese Kre-aturen nicht buchstaumlblich praumlexistent sondern entstanden erst als das Wort [der Befehl] erging Eines der Dinge das bis zum richtigen Zeit im weisen Plan Gottes pendent blieb war ein Prinzip das Johannes bdquodas Lichtrdquo nennt Es ist als das Sy-nonym fuumlr bdquodie Wahrheitrdquo zu betrachten und es war dieses Licht der Wahrheit die eigene Weisheit Gottes das vollkommen repraumlsentativ fuumlr den Charakter Gottes war und sich schlieszliglich im Wort und Werk Jesu Christi manifestierte Dass Jesus das bdquoLichtrdquo und das bdquoLebenrdquo und die bdquoWahrheitrdquo aus dem Prolog des Johannes ist macht er selbst viele Male deutlich bdquoIch bin das Licht der Weltrdquo (Joh 95) bdquoIch bin die Wahrheit und das Lebenrdquo (Joh 146) Im weiteren Zusammenhang mit dem Prolog des Johannes der bdquodas Licht das in die Welt kommtrdquo beschreibt das schlieszliglich als bdquoerrdquo (Jesus) verkoumlrpert wird beweist der Christus selbst dass dieses Licht das Licht das er jetzt manifestiert keine vorher existierende Person war [keine Prauml-Existenz hatte] - es war tatsaumlchlich ein Prinzip Jesus sagt

Dies aber ist das Gericht dass das Licht in die Welt gekommen ist und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht denn ihre Werke waren boumlse Denn jeder der Arges tut hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht damit seine Werke nicht blossgestellt werden wer aber die Wahrheit tut kommt zu dem Licht damit seine Werke offenbar wer-den dass sie in Gott gewirkt sind (Johannes 319-21)

Er spricht offensichtlich von sich selbst als dem Licht wie Johannes es von ihm getan hat zeigt aber auch dass das Licht ein Prinzip ist es ist das Gegenteil von Dunkelheit und Boumlsem es ist Gottes Weisheit Diejenigen die bdquozu Jesus kom-menrdquo sind in der Tat bdquozum Licht der Wahrheit gekommenrdquo die er vertritt Man sollte daher nicht glauben dass dieses Licht der Wahrheit die Weisheit Gottes ein vorexistentes Wesen war geschweige denn dass es eine zweite Person einer goumlttlichen Trinitaumlt war Nein der Sohn verkoumlrpert metaphorisch das Prinzip der

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Wahrheit Wie Johannes sagte bdquoDie Wahrheit kam durch Jesus Christusrdquo (Joh 117) das heisst sie kam durch sein Wort und seine Werke

AlternativeUumlbersetzungenDie traditionelle Uumlbersetzung von bdquohellip und das Wort war Gottrdquo kann im Lichte der vorhergehenden Informationen unseres Erachtens einfacher zu verstehen sein Da bdquotheosrdquo im dritten Satz den Artikel bewusst nicht enthaumllt wurden von Sprach-wissenschaftlern mehrere alternative Uumlbersetzungen vorgeschlagen Wir werden diese Optionen untersuchen um festzustellen welche am besten zu den von Jo-hannes vorgestellten Ideen passen

1) bdquoDas Wort war ein Gottrdquo

Diese Uumlbersetzung des artikellosen bdquotheosrdquo als bdquoein Gottrdquo findet sich vor allem in der Neue-Welt-Uumlbersetzung der Zeugen Jehovas (moderner Arianismus)1464 Es findet sich auch in den englischen Uumlbersetzungen von Becker1465 Wilson1466 Y-oung1467 und Jannaris1468 Natuumlrlich meiden trinitarische Kritiker diese Uumlberset-zung da sie so leicht die arianische Ansicht unterstuumltzt dass Christus zuerst als ein anderes goumlttliches Wesen oder ein Engel existierte bevor er ins Fleisch ge-kommen ist Ihre Kritik kommt vor allem in Form des Vorwurfs dass Anhaumlnger das Wort bdquoeinrdquo vor theos bdquohinzufuumlgenrdquo um bdquoeinen Gottrdquo zu machen Aber Dr BeDuhn erklaumlrt ihre Begruumlndung

Griechisch hat nur einen bestimmten Artikel wie [das englische] the es hat keine unbestimmten Artikel wie a oder an (ein oder eine) Wir fuumlgen kein bdquoWort hinzurdquo wenn wir griechische Substantive die den bestimmten Artikel nicht haben als englische Substantive uumlbersetzen und mit dem unbestimmten Artikel versehen Wir be-folgen einfach die Regeln der englischen Grammatik dass wir nicht bdquoSnoopy ist Hundrdquo sagen koumlnnen sondern bdquoSnoopy ist ein Hundrdquo sagen muumlssen1469

1464 Frederick Franz (ed) New World Translation of the Christian and Greek Scriptures Rendered from

the Original Language by the New World Translation Committee (Brooklyn Watchtower Bible amp Tract Society 1950) (Neue-Welt-Uumlbersetzung der christlichen und griechischen Schriften uumlbersetzt aus der Originalsprache)

1465 Johannes Becker Das Evangelium nach Johannes (GuumlterslohWuumlrzburg 1979) 1466 Benjamin Wilson The Emphatic Diaglot (New York Fowler Wells amp Co 1865) 1467 Robert Young Concise Commentary on the Holy Bible (Grand Rapids Baker 1885) p 54 1468 A N Jannaris Zeitschrift fur die Neutestamentliche Wissenschaft (London Macmillan 1897) p 20-21 1469 BeDuhn p 114

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Es gibt gute grammatikalische Gruumlnde diese Uumlbersetzung zu beruumlcksichtigen Im Hinblick auf andere plausible Uumlbersetzungen scheint diese jedoch von den Aria-nern unter der Annahme dass der Logos eine Person ist bevorzugt zu werden Wenn es sich nicht um eine Person handelt scheint es wenig Grund zu geben die Version so uumlber die anderen zu stellen

2) bdquoDas Wort war goumlttlichrdquo

Diese Uumlbersetzung die von Moffatt1470 Schonfield1471 Goodspeed1472 Temple1473 und mehreren anderen praumlsentiert wird scheint die qualitative Natur des Logos zu unterstreichen H Bruns und F Pfaumlfflin umschreiben es so bdquoDas Wort war von goumlttlicher Artrdquo1474 Hier ist das Wort von gleichem Charakter oder von der gleichen Natur wie der eine Gott Diese Uumlbersetzung wuumlrde zu unserer fruumlheren Einschaumltzung von Gottes Wort als etwas voumlllig Ausdrucksstarkem oder zu etwas Reflektierendem passen und einen ausgewogenen Mittelweg bieten Wie Murray J Harris bemerkt

Was die Wortverwendung betrifft so kann es keinen Zweifel daran geben dass das Wort bdquogoumlttlichrdquo [englisch divine] ein viel breiteres Anwendungsspektrum und eine schwaumlchere Bedeutung hat als der Begriff Gott Im modernen Sprachgebrauch kann bdquogoumlttlichrdquo bei-spielsweise auch eine Mahlzeit beschreiben die bdquouumlberaus gutrdquo ist oder bdquoGoumltterspeiserdquo genannt wird oder mit menschlicher Geduld die als bdquoEngelsgeduldrdquo gilt bdquovon erhabenem Charakterrdquo oder ein-fach bdquonicht zu uumlbertreffenrdquo ist1475

Dr BeDuhn unterstuumltzt die Uumlbersetzung nicht stellt aber fest dass bdquodas Grie-chische eine besondere Art hat die Natur oder den Charakter von etwas auszu-druumlcken das Praumldikatswoumlrter vor dem Verb und ohne den Artikel verwendet genau wie in Johannes 11 Die Natur oder der Charakter von ho logos (das Wort) ist theos (goumlttlich)rdquo1476 Nur wenn das Wort bdquogoumlttlichrdquo als Bedeutung verstanden wird dass das Subjekt eine persoumlnliche bdquogoumlttliche Naturrdquo hat die mit Gott iden-tisch ist nimmt der Satz eine orthodoxe Bedeutung an und zwar wiederum nur

1470 James Moffatt Jesus Christ the Same (Abingdon-Cokesbury 1945) p 61 1471 Hugh J Schonfield The Original New Testament (Rockport Element Books Ltd 1985) 1472 Edgar Goodspeed John M P Smith The Bible An American Translation (Chicago 1935) 1473 William Temple Readings in St Johns Gospel (London Macmillan 1933) 1474 Friederch Pfafflin Die Briefe des Neuen Testaments in der Sprache von heute (Heilbronn Salzer

1993) 1475 Murray J Harris Jesus as God The New Testament Use of Theos in Reference to Jesus (Eugene Wipf amp Stock

Publishers 1992) p 68 1476 BeDuhn pp 120-121

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unter der Annahme dass der Logos selbst eine Person ist Alles in allem ist dies eine gute Uumlbersetzung welche die Absicht von Johannes den Logos als etwas anderes als Gott zu praumlsentieren aber qualitativ [ihm] gleich zu verstehen scheint

3) bdquoWas Gott war das war das Wortrdquo

Diese Uumlbersetzung findet sich in der NEB 1477 und der REB1478 und wird von Dodd1479 Fuller1480 J A T Robinson1481 und anderen vorgeschlagen In diese Richtung gehen auch mehrere verwandte Versionen deren Wiedergabe wir hier verdeutschen

TEV bdquoWas Gott war war auch das Wortrdquo1482

Barclay bdquoDie Natur des Wortes war auch die Natur Gottesrdquo1483

Scholarrsquos Version bdquoEs war was Gott warrdquo1484

Hier wird der Logos als bdquowasrdquo Gott war nicht als bdquowerrdquo Gott war repraumlsentiert Wie die vorherige Uumlbersetzung scheint dies die Absicht von Johannes zu vermit-teln eine qualitative Beziehung zwischen Gott und seinem Logos darzustellen Andere Uumlbersetzungen haben auch versucht den Logos selbst als etwas das mehr auf das kreative Wort hinweist darzustellen

Heinfetter bdquoWie ein Gott war der Befehlrdquo1485

Faircloth bdquoUnd was Gott war so war der erklaumlrte Zweckrdquo1486

1477 The New English Bible (OUP 1961) 1478 The Revised English Bible (CUP 1989) 1479 C H Dodd ldquoNew Testament Translation Problems IIrdquo The Bible Translator Vol 28 No 1 (1977)

pp 103-104 (Uumlbersetzungsprobleme mit dem Neuen Testament II)) 1480 R H Fuller bdquoPre-existence Christology Can We Dispense with Itrdquo Word and World 2 (St Paul Luther

Seminary 1982) p 33 (Prauml-Existenz Christologie Wie gehen wir damit um) 1481 J A T Robinson The Human Face of God (Philadelphia Westminster Press 1873) (Das menschliche

Antlitz Gottes) 1482 The Good News Translation (Todayrsquos English Version) (American Bible Society 1966) 1483 William Barclay The Gospel of John Vol 1 (Edinburgh Saint Andrews Press 1956) p 38ff 1484 Robert W Funk The Five Gospels (Scholarrsquos Version) (New York Macmillian 1993) (Die fuumlnf

Evangelien) 1485 Hermann Heinfetter (Frederick Parker) A Literal Translation of the New Testament of our Lord and

Saviour Jesus Christ (London Evan Evans 1863) (Eine woumlrtliche Uumlbersetzung des Evangeliums unse-res Herrn und Retters Jesus Christus)

1486 Raymond C Faircloth The Kingdom of God Version (Lexington CreateSpace 2013)

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bdquoBefehlrdquo oder bdquoerklaumlrter Zweckrdquo scheinen den groumlszligeren Umfang des griechi-schen Begriffs bdquologosrdquo von Johannes zu beruumlcksichtigen

Entweder die zweite oder die dritte alternative Uumlbersetzung scheint der ersten vorzuziehen zu sein vor allem mit der Begruumlndung dass der Logos nicht von Johannes als [eine prauml-existente] Person vor der Geburt des Jesus dargestellt wird sondern grundsaumltzlich das eigene Wort Gottes Auch hier ist es nicht so dass die traditionelle Uumlbersetzung bdquound das Wort war Gottrdquo falsch waumlre aber entweder bdquodas Wort war goumlttlichrdquo oder bdquowas Gott war so war das Wortrdquo scheint die adjektivische Verwendung von Johannes bdquotheosrdquo besser zu vermitteln

Letztendlich finden wir im Prolog des Johannes keinen angeblich trinitarischen Meistertext wir finden nichts was den unitarischen Monotheismus der in der juumldischen Umgebung des Apostels Johannes und seiner Zeit leidenschaftlich praktiziert wurde gestoumlrt haumltte Das johanneische Logos-Konzept stammt defi-nitiv nicht aus platonischen oder gnostischen Quellen sondern kommt aus der inhaumlrenten juumldischen alttestamentlichen Vorstellung von Gottes schoumlpferischem Wort und seiner Weisheit In diesem Schema spielt das juumldische Konzept der Prauml-Existenz eine grundlegende Rolle es ist nichts entstanden was nicht zuerst in Gottes Sinn und Denken existierte einschlieszliglich Jesus Christus Wie der protes-tantische Exegete Paul Billerbeck erinnert bdquoDie Lehre von der ideellen Prauml-Exis-tenz des Messias in der Welt des hebraumlischen Denkens Gottes macht den Messias [den Gesalbten] zu einem wesentlichen Bestandteil der ewigen und damit unver-aumlnderlichen Ratschluumlsse und der weisen Plaumlne Gottes fuumlr die Weltrdquo1487 Wir fin-den daher in Johannes keine neu strukturierte Theologie die einem buchstaumlblich vorexistierenden und ewig gezeugten goumlttlichen Wesen Rechnung truumlge sondern lediglich eine poetische und tief juumldische Lobeshymne die an das Licht und die Wahrheit erinnert die dem urspruumlnglichen Zweck des ewigen Vaters innewoh-nen die Gott nun in der Person und dem Werk des Menschen Jesus Christus zum Ausdruck bringt

1487 Paul Billerbeck quoted in Kuschel p 218

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bdquoWir koumlnnen nicht widerlegen dass unsere Beweise fuumlr die unabhaumlngige Goumlttlichkeit des Heiligen Geistes sehr schwach sindrdquo

ndash C T Bretschneider (Bibliotheca Sacra October 1852 vol IX)

UM SCHLUSS DIESER UNTERSUCHUNG richten wir unsere Auf-merksamkeit auf das wichtige Thema des Heiligen Geistes Es ist fuumlr unser Buch durchaus verstaumlndlich dass die angebliche bdquoDritte Person der Drei-

faltigkeitrdquo beinahe ein nachtraumlglicher Gedanke ist selbst durch die Orthodoxie hat er die gleiche Marginalisierung erfahren Wie unsere fruumlher erwaumlhnte Umfrage im Mainstream-Christentum zeigte in welcher viele Evangelikale die Dreifaltig-keit bestaumltigen glauben mehr als die Haumllfte (51) dass der Heilige Geist eher eine Kraft und kein persoumlnliches Wesen ist1488 Sieben Prozent waren nicht sicher was sie antworten sollten Das bedeutet dass die Haumllfte aller Evangelikalen per definitionem eigentlich keine Trinitarier sind Eine derartige Unsicherheit oder Mei-nungsverschiedenheit kann eigentlich als eine theologische Krise von epischem Ausmaszlig bezeichnet werden

Tatsaumlchlich hat sich die bdquoNatur des Geistesrdquo durch alle christlichen Epochen hindurch als Stein des Anstoszliges erwiesen In der Fruumlhphase des religioumlsen bdquoWer-weiszligensldquo scheint der Geist jahrzehntelang in Ungewissheit vor sich hin ge-schmachtet zu haben und ist praktisch weitgehend umgangen worden Derweilen kaumlmpften die Heiden-Christen offensichtlich eher darum die Natur von Jesus einerseits und andererseits die Natur des Vaters naumlher definieren zu wollen In der Tat hat das beruumlhmt-beruumlchtigte Nicaumlnische Glaubensbekenntnis von 325 n

1488 Kevin P Emmert ldquoNew Poll Finds Evangelicalrsquos Favorite Heresiesrdquo Christianity Today 28 October

2014 Web14 November 2014 (Eine neue Umfrage entdeckt beliebte Evangelikale Haumlresien)

Z

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Chr die Sache bdquoGeistldquo fast voumlllig vernachlaumlssigt bis auf einen vagen Hinweis Offenbar haben selbst die bischoumlflichen Turnierkaumlmpfer des Konzils von Nicaumla es vermieden dogmatisch uumlber den Geist zu diskutieren weil sie eine biblische Ambivalenz zu diesem Thema wahrnahmen Wenn eine [theologische] Unsicher-heit besteht fragen wir uns wie die orthodoxe Kirchenleitung wider Vernunft und Logik die Akzeptanz des Dreierdogmas durchsetzen konnte Wurde das Dogma Kraft des Kirchenbanns und sogar durch die Androhung des Todes er-zwungen Einer der beruumlhmtesten Kirchenvaumlter und bedeutender Entwickler der trinitarischen Lehre der kappadokische Gregor von Nazianz hat 381 n Chr zu-gegeben

Von den Weisen unter uns halten einige den Heiligen Geist fuumlr eine Macht andere fuumlr ein Geschoumlpf wieder andere fuumlr Gott und wie-der andere sind nicht bereit sich aus Ehrfurcht (wie man so schoumln sagt) fuumlr die Schrift zu entscheiden da sie nicht klar daruumlber spricht1489

Wir muumlssen darauf hinweisen dass wenn die orthodoxe Doktrin der Trinitaumlt ja sogar die allgemeine fundamentale Idee der Dreifaltigkeit nach gruumlndlicher Pruuml-fung durch die Kirche seit der Zeit der Apostel bestanden haumltte dieser promi-nente Kirchenvater [Gregor] eine peinliche Unkenntnis ans Licht bringt Wir stel-len auch fest dass erst im Jahre 381 n Chr bdquobeim Konzil von Konstantinopel die Goumlttlichkeit des Geistes bekraumlftigt wurderdquo1490 Es ist interessant dass Gregors Kommentar uumlber die Verwirrung und die Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf den Geist in demselben Jahr gemacht wurde in dem das bdquooumlkumenische Kon-zilrdquo unterstuumltzt durch die Speere des gewalttaumltigen Kaisers Theodosius I fuumlr alle Christen verbindlich entschied dass der Heilige Geist zweifellos eine dritte gleichberechtigte Person [der Gottheit] sei Was ist mit denen die stets der Tra-dition folgten dass der Geist bdquoGottes Machtrdquo oder gar ein bdquoGeschoumlpf geringeren Rangesrdquo sei Obwohl die Gewalt der Zivilregierung die Akzeptanz der dritten Person der Gottheit mit Waffengewalt durchsetzte blieben die theologischen Schwierigkeiten unvermindert groszlig und verstaumlrkten sie sich sogar noch

Die gleich-ewige [co-eternal] Persoumlnlichkeit des Geistes war damals und ist heute noch fuumlr viele ein ernsthaftes Problem Wenn die Person des Heiligen Geistes gleich-ewiger Gott ist gilt sie als unerschaffen Doch der Geist konnte anderer-seits auch nicht als von Gott bdquogezeugtrdquo angesehen werden diese exklusive merk-

1489 F A Loofs ldquoMacedoniusrdquo The New Schaff-Herzog Encyclopedia of Religious Knowledge (Grand Rapids

Baker House 1963) p 112 1490 Howard Marshall Alan Millard JI Packer ldquoTrinityrdquo New Bible Dictionary (Downers Grove IVP

1996)

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wuumlrdige Daseinsform gehoumlrt dem bdquoeinzig gezeugtenrdquo Sohn Aber wenn die Per-son des Heiligen Geistes weder erschaffen noch gezeugt wurde und doch ewiger Gott ist wuumlrde dies ihn dann nicht zu einem zweiten bdquoZeugungsprinziprdquo machen Mit anderen Worten es gaumlbe [in der Gottheit] zwei Vaumlter Doch wenn er [der Geist] tatsaumlchlich von Gott dem Vater hervorgebracht worden ist dann haumltte er [der Vater] zwei Soumlhne1491

Viele moderne Christen selbst im trinitarischen Lager kaumlmpfen offensichtlich noch immer mit der Sache Diese Tradition der Unsicherheit setzt sich fort und wir fragen uns ob die Bibel die eingeschraumlnkte Interpretation der Orthodoxie unterstuumltzt dass bdquoder Geist Gottesrdquo ein anderes Selbst [ein anderes Ich ndash lat alter ego] Gottes ist Koumlnnte die biblische Sichtweise des Geistes viel weiter und kom-plexer sein Koumlnnte der Wunsch nach mehr Verstaumlndnis den Weg fuumlr eine ratio-nalere Theologie ebnen die im Einklang mit den ausdruumlcklichen Lehren Jesu Christi ist

Unsere Praumlmisse ist die folgende der bdquoGeist Gottesrdquo auch genannt bdquoder heilige Geistrdquo ist keine Gottheit Sie ist keine vom Vater oder vom Sohn [Jesus] unter-scheidbare Person Vielmehr ist der Geist meistens einfach die persoumlnliche Kraft und der Einfluss Gottes Er ist bdquoder Geist deines Vatersrdquo (Matt 1020) Der Geist ist Gottes persoumlnliches Wirken in der Welt und der Geist ermoumlglicht die Erfuumll-lung des Werkes Gottes Nach der Erhoumlhung Christi zur rechten Hand Gottes des Vaters kann der heilige Geist nun auch als der persoumlnliche Einfluss des ver-herrlichten Herrn Jesus beschrieben werden Christus Jesus ist bdquoder Fuumlrsprecher der Christen beim Vaterrdquo (1 Joh 21) Mittels des Geistes werden die Glaumlubigen mit der Kraft Gottes getauft (1 Kor 1545 Joh 1418 Matt 311) Sowohl Gott als auch sein Sohn arbeiten nun durch diese geistliche Kraft zum Nutzen und Wohl der Glaumlubigen

EingestaumlndnisdermangelndenbiblischenUnterstuumltzungEs gibt substanzielle Beweise dafuumlr dass der heilige Geist in Tat und Wahrheit keine [Gott] gleichgestellte Person ist Er ist keine Persoumlnlichkeit die sich von Gott dem Vater unterscheidet Ein trinitarischer Gelehrter gibt zu

Aus der ganzen Reihe von Passagen im Alten Testament in denen der heilige Geist erwaumlhnt wird laumlsst sich nicht nachweisen dass es sich um eine Person in der Gottheit handelt und es ist jetzt die fast allgemein akzeptierte Meinung der gelehrten Kommentatoren dass

1491 Siehe G W H Lampe Explorations in Theology Vol 8 (SCM Press 1981) p 30

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der bdquoheilige Geistrdquo in der Sprache der Juden nichts anderes bedeu-tete als die goumlttliche Inspiration ohne Bezug auf eine Person1492

Auch das Neue Testament unterstuumltzt diese sichtbare Abwesenheit einer bdquodritten Personrdquo So wird beispielsweise bdquoder heilige Geistrdquo nicht in der Anbetung einge-schlossen oder im Gebet angesprochen und weder Jesus noch seine Apostel schreiben eine Anerkennung einer weiteren Person auszligerhalb des Vaters und des Sohnes als notwendig vor Trotz der Argumente vieler [trinitarischer] Apologe-ten der Geist im Neuen Testament werde als einzigartiges Individuum klar dar-gestellt vertreten einige Gelehrte aus dem Lager der Dreifaltigkeitsdogmatiker eine gemaumlszligigtere Ansicht wie beispielsweise ein Theologie-Professor der Univer-sitaumlt Halle an einer Vorlesung

Autoren halten zu viel von einer Reihe von Texten und haben wahllos vieles gesammelt das nur einen scheinbaren Bezug zum Thema hat Es ist zweifelhaft in vielen dieser Texte in denen das Praumldikat bdquoGottrdquo angehaumlngt wird ob der Heilige Geist als Person beabsichtigt ist Viele der Texte lassen sich zumindest erklaumlren ohne notwendigerweise ein persoumlnliches Subjekt anzunehmen Einige haben versucht die Goumlttlichkeit des Heiligen Geistes durch einen Vergleich verschiedener Texte zu beweisen aber dabei haben sie oft auf erzwungene und unnatuumlrliche Interpretationen zuruumlck-gegriffen1493

Sogar einige klassische trinitarische Gelehrte haben erkannt dass der Geist als dritte Person eine Angelegenheit ist die bdquovoumlllig fremd von dem vom Apostel ver-folgten Gedankengang ist Es waumlre auch nicht moumlglich gewesen die Idee dort einzufuumlhren ohne Gewalt gegen die Denkgesetze und gegen das Konzept der Assoziation Verbindung anzuwendenrdquo1494 Wir muumlssen der Sache jetzt selbst auf den Grund gehen

DievernachlaumlssigteDrittePersonNoch heute finden wir ein gravierendes Defizit der biblischen Kommunikation uumlber die Identitaumlt und die Funktion dieser namenlosen Gott-Person Sie stellt eine der nachhaltigsten Herausforderungen fuumlr das gesamte trinitarische Raumltsel dar Einige moderne Trinitarier haben den Geist sogar humorvoll als bdquodas schuumlchterne

1492 J D Michaelis Note on John XVI 13-15 as quoted in John Wilson Uni Princ (Boston American

Unitarian Association 1888) p 477 (Notiz zu Joh 1613-15 zitiert von John Wilson) 1493 G C Knapp Lectures on Christian Theology (London Thomas Ward and Co 1831) p 128 1494 J D Knowles Barnas Sears Christian Review for June Vol 2 (Boston Gould Kendall and Lincoln amp

Utica 1837) p 212

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Mitglied der Dreifaltigkeitrdquo bezeichnetrdquo1495 Aber es duumlrfte eigentlich nichts Hu-morvolles geben an der Erfindung eines Gottes auch wenn diese nur angedeutet wird

Die Dreieinigkeitsdoktrin lehrt dass der Heilige Geist voll und ganz Gott ist dem Vater und dem Sohn im Status und in der Herrlichkeit gleichgestellt sowie ihnen in der Anbetung gleich wuumlrdig erachtet wird1496 Sollte diese Gleichwertigkeit oder Ebenbuumlrtigkeit wirklich zutreffen warum begegnen wir dann dieser spezifi-schen Lehre nicht aus dem Munde Jesu oder in den Schriften seiner Apostel Warum steht nichts uumlber eine unerlaumlssliche Hingabe an dieses einzigartige Indi-viduum Warum wussten die Juden nichts uumlber die goumlttliche Identitaumlt [eines Geist-Wesens] Diese haumltte sicherlich eine intensive religioumlse Ausbildung im Ju-dentum erfordert Was koumlnnte in der Tat fundamental kritischer gewesen sein als die Offenbarung der genauen Natur und die Anbetung der dritten Person eines selt-samen mysterioumlsen dreifaltigen Gottes

In den Schriften der Apostel begegnet uns durchwegs ein theologisches Weltbild das praktisch keine Wuumlrdigung des Geistes findet Dieser war keine vermeintlich so entscheidende Persoumlnlichkeit Im Gegenteil wie Johannes schreibt bdquoUnsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christusrdquo (1 Joh 13) Auch bdquoniemand der den Sohn verleugnet hat den Vater wer den Sohn anerkennt hat auch den Vater Wenn das was ihr von Anfang an gehoumlrt habt in euch bleibt werdet ihr auch im Sohn und im Vater bleibenrdquo (1 Joh 224) Aber was war von Anfang an mit der anderen gleichberechtigten mit der dritten Person Wenn nur reale Personen Beziehun-gen zueinander haben koumlnnen ist es dann mangelndes Verstaumlndnis weshalb Jo-hannes den heiligen Geist als einzigartige Person in seiner Darstellung stets aus-laumlsst

Vielleicht ist das beste und umfassendste Beispiel fuumlr die konsequente apostoli-sche Unterlassung die Gruszligformel in fast allen Episteln des Neuen Testaments Waumlhrend die Autoren bdquoGott den Vaterrdquo und bdquoden Herrn Jesus Christusrdquo anerkennen scheinen sie das angeblich wesentliche dritte Mitglied der Gruppe straumlflich zu unterschlagen

bdquoGnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christusrdquo (2 Korinther 12)

1495 Siehe ldquoThankful for the Shy Member of the Trinityrdquo Straight Thinking Reasons to Believe Web 02

November 2015 lthttpwwwreasonsorgpodcastsstraight-thinkingthankful-for-the-shy-member-of-the-trinitygt (Dankbar fuumlr das schaumlchterne Mitglied der Trinitaumlt)

1496 Siehe das Glaubensbekenntnis von Konstantinopel 381 n Chr bdquoWir glauben an den Heiligen Geist den Herrn den Lebensspender der mit dem Vater und dem Sohn verehrt und verherrlicht wirdrdquo

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bdquoPaulus Apostel durch Jesus Christus und Gott den Vater der ihn auferweckt hat von den Totenrdquo (Galater 11)

bdquoGnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christusrdquo (Epheser 12)

bdquoGnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christusrdquo (Philipper 12)

bdquoPaulus Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vaterrdquo (Kolosser 11)

bdquoPaulus und Silvanus und Timotheus an die Gemeinde der Thessalonicher in Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus Gnade sei mit euch und Friederdquo (1 Thessalonicher 11)

bdquoGnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christusrdquo (2 Thessalonians 11)

bdquo Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christusrdquo (2 Timotheus 12)

bdquo Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christusrdquo (Philemon 13)

bdquoAn die Berufenen die geliebt sind in Gott dem Vater und bewahrt fuumlr Jesus Christusrdquo (Judas 11)

Man muss sich schon fragen warum nur der Vater und der Sohn die Kirchen gruumlszligen Koumlnnte das daran liegen dass persoumlnliche Gruumlszlige nur von echten Perso-nen ausgehen koumlnnen und die Apostel den bdquoHeiligen Geistrdquo eben nicht als eine solche [Person] verstanden haben Wenn sie unwissend waren oder wenn die wahre Natur der Dreifaltigkeit der Kirche nur allmaumlhlich offenbart wurde waumlren sie dann nicht armselige Apostel gewesen die nur unzureichend und mit Halb-wahrheiten betraut wurden Andererseits wenn sie den heiligen Geist verstanden haben warum haben sie ihn ausgegrenzt Kritiker dieser Frage moumlgen aus dem Stillschweigen ein Argument ableiten und protestieren aber das apostolische Schweigen zu diesem Thema ist so umfangreich dass die daraus folgenden Im-plikationen geradezu beunruhigend sein sollten Ist es nicht fair sich zu wundern uumlber die andauernde Auslassung der angeblich unverzichtbaren dritten Person die in der fruumlhchristlichen Lehre und Kirchengeschichte den christlichen Gott bdquodreieinigrdquo machte Es stimmt allerdings dass Argumente uumlber Unterlassung al-lein nicht unsere Grundlage bilden sollten aber sie duumlrfen auch nicht vernachlaumls-sigt werden Anzunehmen ist dass die Apostel ganz natuumlrlich bestrebt waren die neuesten spannendsten Informationen der juumldischen Religionsgeschichte zu ver-deutlichen So haumltten sie zB verkuumlnden muumlssen dass der eine Gott [der Hebraumler]

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eigentlich aus drei verschiedenen Persoumlnlichkeiten bestand Waumlre dies der Fall gewesen haumltten die Apostel als Botschafter dieser drei einzigartigen Wesenheiten auftreten muumlssen Wie die Uumlbermittlung von Gruumlszligen von den zwei himmlischen Parteien [Vater und Sohn] jedoch zeigt verpassten sie die Gelegenheit den Kern ihres christlichen Glaubens und die einzigartige Offenbarung davon zu prokla-mieren

Trinitarische Uumlbersetzer haben mitnichten uumlbersehen dass die einzigen Perso-nen welche die Apostel als Ziele der erforderlichen Gemeinschaft identifizieren der Vater und der Sohn sind Trotzdem haben sie manchmal das Beduumlrfnis ver-spuumlrt dem Text die notwendige Gemeinschaft mit der vermissten dritten Person aufzuzwingen In der trinitarisch orientierten Zuumlrcher Bibel (ZB) wird Philipper 21-2 bewusst eine etwas andere Lesart uumlbersetzt naumlmlich dass wir bdquoGemein-schaft mit dem Geistrdquo haben sollen Die meisten anderen deutschsprachigen Uumlbersetzungen lauten richtig bdquoGemeinschaft des Geistesrdquo Die Uumlbersetzer der ZB haben anscheinend versucht bdquoden Geistrdquo als ein Individuum darzustellen mit dem Christen persoumlnliche Gemeinschaft haben sollten Dies widerspricht hinge-gen der ausdruumlcklichen apostolischen Anweisung an anderer Stelle dass bdquounsere Gemeinschaft mit dem Vater und seinem Sohn Jesus Christusrdquo besteht (1 Joh 13) Das Uumlbersetzungskomitee der englischsprachigen New International Version (NIV) hat ebenfalls angestrebt bdquoden Geistrdquo als eine Person darzustellen mit dem Christen eine persoumlnliche Verbindung haben koumlnnen Es ist aber interessant zu sehen dass die Lesung der bdquoGemeinschaft mit dem Geistrdquo in der Revision von 2011 der NIV eine ernsthafte Aumlnderung erfahren hat so dass sie nun lautet bdquoGe-meinsames Teilen im Geistrdquo Ungeachtet des Grundes fuumlr die drastische Veraumln-derung der NIV scheint diese neue Darstellung die apostolische Lehre besser zu vermitteln Die Nachfolger Christi sollten miteinander eines gemeinsamen bdquoGeis-tesrdquo sein dh sie sollten in Harmonie leben und handeln (siehe auch 2 Kor 1314 - die Gemeinschaft zwischen den Juumlngern soll eine Gemeinschaft bdquodes Geistesrdquo sein nicht bdquomitrdquo dem Geist)

Nicht nur in den Briefen begegnen wir der verbluumlffenden Vernachlaumlssigung der hypothetischen dritten Person die Visionen von Johannes in der Offenbarung zeichnen ein aumlhnliches Bild Im Laufe der Erzaumlhlung wird immer wieder ein mar-kanter Unterschied zwischen Jesus und Gott erkannt (Offb 710 513 1115 1210 206 2122) Jedem der beiden Persoumlnlichkeiten wird in Offenbarung 221-3 ein Thron zugesprochen Wo aber ist der Thron des angeblich gleichberechtig-ten Heiligen Geistes Wenn die Offenbarung das dramatische Ende der Zeitalter ausfuumlhrlich beschreibt und darstellt wo Gott und sein Christus nach dem totalen Sieg endlich zur Ruhe kommen bleibt die Frage unbeantwortet warum das ver-meintliche dritte Mitglied der Dreifaltigkeit in dieser glorreichen Schlussszene

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nicht ebenfalls seine ihm rechtmaumlszligig zustehenden Ehrungen erhaumllt Weshalb bleibt diese Einzelheit in der Schrift sogar unerwaumlhnt

Dies koumlnnte folgerichtig den Schluss zulassen die konsequente Unterlassung ei-ner dritten Person bestaumltige die einfache Lehre dass es nur zwei Individuen gibt denen die Christen verpflichtet sind sie anzuerkennen und in Gemeinschaft mit ihnen zu treten Den Vater bdquo den einzig wahren Gott und Jesus Christusrdquo (Joh 173) Doch es gibt noch weitere Argumente zu beruumlcksichtigen

DerbiblischeGebrauchdesWortesbdquoGeistrdquoWeit davon entfernt eine bdquoPersonrdquo zu bedeuten ist die biblische Anwendung des Wortes bdquoGeistrdquo (sowohl hebraumlisch bdquoruach - חור rdquo als auch griechisch bdquopneuma - πνεῦμαrdquo) weitreichend Es bezieht sich auf Wind (Dan 72) Atem (2 Thes 28) Vitalitaumlt (1 Mose 27) rationale Unterscheidung (Hiob 328) den Verstand (Mar-kus 28) Haltung (5 Mose 230) Disposition (Lukas 117) ein Individuum unter goumlttlicher Inspiration (1 Joh 41-6) eine unkoumlrperliche Einheit (Lukas 2439) ein Daumlmon (Matt 816) Kraft (Ps 336-9) goumlttliches Wissen (4 Mose 1129) Anweisung (Neh 920) uumlbernatuumlrlicher Impuls (Apg 166) und mehr

In dieser Auswahl koumlnnen wir mehrere allgemeine Anwendungsbereiche betrach-ten a) Wind oder Atem b) Leben oder Intelligenz c) Haltung oder Sinn und Geist und d) Macht oder Einfluss Professor Dunn beobachtet ebenfalls die weit-gefaumlcherte Bedeutung des Wortes und kommt zum Schluss dass die Juden bdquoden Geist Gottesrdquo oder bdquoden Heiligen Geistrdquo nie als eine einzigartige Person gesehen haben als ein Wesen auszligerhalb von Gott dem Vater

Es kann keinen Zweifel daran geben dass der bdquoGeistrdquo (ruach) von Anfang an die bdquoMachtrdquo bezeichnet hat - die schreckliche geheim-nisvolle Kraft des Windes (ruach) des Atems (ruach) des Lebens der ekstatischen Inspiration (induziert durch den Goumlttlichen Hauch ndash ruach) Mit anderen Worten nach diesem Verstaumlndnis ist der Geist Gottes in keiner Weise von Gott verschieden sondern ist einfach die Kraft Gottes sozusagen Gott selbst der in der Natur und auf die Menschen kraftvoll einwirkt1497

DerGeistalsAtemalsLebenoderalsGeisteshaltungDas Wort bdquoGeistrdquo leitet sich von einem hebraumlischen Verb ab das bdquoausatmenrdquo bedeutet und beschreibt so woumlrtlich den Atem oder Hauch einer Person oder eines Tieres Da der Atem dazu dient die Existenz eines Wesens zu produzieren und zu erhalten funktioniert der bdquoGeistrdquo natuumlrlich als das Lebensprinzip einer

1497 Dunn Christology in the Making p 133

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Seele [hebr nephesh] Erst als Gott Adam den bdquoAtemrdquo [Odem - ruach] des Lebens einhauchte wurde Adam zu einem rationalen Wesen bdquoDer HERR Gott bildete den Menschen aus Staub vom Erdboden und blies Lebensatem in seine Nase So wurde der Mensch ein lebendiges Wesenrdquo (1 Mose 27) Wie ein Lexikon erklaumlrt

Wenn es auf Lebewesen angewendet wird bezieht sich ruach auf die Essenz des Lebens und die Vitalitaumlt in Mensch und Tier die sich durch Bewegung und Atmung manifestiert (1 Mose 27 617 715 4 Mose 1622 Hesekiel 1017) So wie bdquoGeistrdquo als die Essenz des menschlichen Lebens angesehen wurde so analog wurde der Begriff bdquoGeistrdquo auf die Praumlsenz Aktivitaumlt und Kraft Gottes ange-wendet dh Eigenschaften die zeigen dass Gott wirklich ein bdquole-bendiger Gottrdquo ist (5 Mose 526 Josua 310 1 Samuel 726 Jesaja 374 Daniel 620 Matthaumlus 1616 Offenbarung 72)1498

Der [dem Menschen] vermittelte Geist ist daher auch der Intellekt die Vernunft oder der Verstand eines Wesens bdquoAber es gibt einen Geist im Menschen die Inspiration des Allmaumlchtigen gibt ihnen Verstaumlndnisrdquo (Hiob 328) Auf diese Weise bezeichnet bdquoGeistrdquo den Verstand oder die Vernunft einer bestimmten Person Geist ist nicht eine andere unterschiedliche Person Da sich das Wort auf das rationale Prinzip eines bewussten Wesens [sei es Gott oder Mensch] beziehen kann ist sicher

Denn wer unter den Menschen kennt das Wesen des Menschen wenn nicht der Geist des Menschen der in ihm ist So hat auch das Wesen Gottes niemand erkannt auszliger der Geist Gottes (1 Korinther 211)

Der Geist eines Menschen ist dem Geist Gottes aumlhnlich keine unterschiedlichen Intelligenzen an sich sondern einfach bdquoVerstandrdquo ob von Menschen oder von Gott Ausserdem kann der bdquoGeistrdquo mit dem eigenen Herzen oder Willen korrel-lieren

Beachten wir die Parallelitaumlt in den folgenden Versen

Der HERR dein Gott hatte seinen [des Koumlnigs] Sinn hart und sein Herz verstockt gemacht um ihn in deine Hand zu geben wie es heute der Fall ist (5 Mose 230) Das Opfer das Gott gefaumlllt ist ein zerbrochener [zerknirschter] Geist ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du Gott nicht verachten (Psalm 5117)

1498 Jacob Neusner William Scott Green (ed) Dictionary of Judaism in the Biblical Period (Peabody Hendrick-

son Publishers 1996) p 298

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Gottes bdquoGeistrdquo ist mit seinem Herzen verbunden dem Sitz des Willens und der [Geistes-]Haltung Gottes und beim Menschen ist es ebenso Auch hier be-schreibt das Wort nur die persoumlnliche Betaumltigungskraft einer Person bdquoDer HERR erweckte den Geist Serubbabels des Sohnes Schealtieumlls hellip und den Geist des ganzen Restes des Volkesrdquo (Hag 114) bdquoDa erweckte der Gott Israels den Geist Puls des Koumlnigs von Assur den Geist Tilgat-Pilnesersrdquo (1 Chron 526) Der Geist des Menschen hat die gleiche Beziehung zum Menschen wie der Geist Gottes zu Gott sein Geist ist etwas das ihm gehoumlrt nicht einem anderen Individuum

DerGeistalsKraftundalsEinflussnahmeIn der Schrift ist bdquoder Geistrdquo meist ein goumlttlicher Einfluss oder eine Energie Im Alten Testament wird der Geist Gottes als seine eigene Energie oder unterneh-merische Initiative in Aktion dargestellt In vielen Faumlllen ist es seine schoumlpferische Kraft bdquoDurch des HERRN Wort ist der Himmel gemacht und all sein Heer durch den Hauch seines Mundesrdquo (Psalm 336) Im Neuen Testament setzt der Engel bdquoden Heiligen Geistrdquo mit bdquoder Kraft des Houmlchstenrdquo gleich derdie uumlber Maria bdquokom-menrdquo und sie bdquouumlberschattenrdquo sollte um Jesus in ihrem Schoss zu erschaffen [zu zeugen] (Lukas 135) Doch weder der bdquoBefehlrdquo noch die bdquoMachtrdquo Gottes duumlrfen als eigenstaumlndige goumlttliche Person betrachtet werden

Biblisch gesprochen kann sich der bdquoGeistrdquo auszliger auf die schoumlpferische Kraft Gottes oder Energiequelle auch auf jegliche Art der Beeinflussung einer Person beziehen So kann man beispielsweise unter dem Einfluss des bdquoGeistes der Wahr-heitrdquo (Joh 1417) oder des bdquoGeistes des Irrtumsrdquo (1 Joh 46) handeln Offensichtlich sind diese unterschiedlichen bdquoGeisterrdquo keine eigenstaumlndigen Personen sondern Kraumlfte die das Denken und Handeln von Individuen beeinflussen

Daher ist es hilfreich den bdquoGeist Gottesrdquo oder bdquoden heiligen Geistrdquo in erster Linie als den persoumlnlichen Einfluss oder die Praumlsenz Gottes zu betrachten Waumlhrend Gott auf einem Thron im Himmel sitzend beschrieben wird (Dan 79) lesen wir dass der Himmel ihn nicht fassen kann (1 Koumlnige 827) Obwohl sich seine bdquoWohnungrdquo in einem anderen Reich [nicht von dieser Welt] befindet kann Gott durch seinen Geist oder seine Gegenwart die das Universum erfuumlllt und die auch seinen Dienern innewohnt jederzeit woanders [allgegenwaumlrtig] sein Dieser Ein-fluss wird in der Schrift auf verschiedene Weise charakterisiert Er wird als Gottes bdquoHandrdquo (Hes 314) oder sogar als Gottes eigener bdquoAtemrdquo beschrieben (Psalm 10429 Joh 338) In Sacharja 712 lesen wir von bdquoden Worten die der Herr der Heer-scharen durch seinen Geist gesandt hatterdquo Durch die Erweiterung der geistlichen Ener-giesphaumlre reicht Gott aus seinem Thronsaal heraus und beeinflusst die Welt

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In unzaumlhligen biblischen Episoden wird Gottes eigener Geist dargestellt der auf verschiedene Personen trifft damit diese Aufgaben erfuumlllen die Gott fuumlr sie be-stimmt hat Wenn dieser Einfluss eintritt fordert er dass die Aktivitaumlten im Na-men von oder auf die gleiche Weise wie der bdquoInfluencerrdquo durchgefuumlhrt werden um hier ein modernes Wort zu gebrauchen Propheten sprechen die Worte Got-tes bdquo der Geist Gottes kam uumlber ihn dass er in ihrer Mitte weissagterdquo (1 Sam 1010) Koumlnige fuumlhrten den Zorn Gottes aus bdquoDa geriet der Geist Gottes uumlber Saul als er diese Worte houmlrte und sein Zorn entbrannte sehr rdquo (1 Sam 116) Handwerker erfuumlllten die Plaumlne Gottes bdquoIch habe ihn mit dem Geist Gottes er-fuumlllt mit Weisheit Verstand und Koumlnnen und fuumlr jedes Kunsthandwerk Plaumlne zu entwerfen ich habe jedem der ein weises Herz hat Weisheit ins Herz gelegt damit sie alles machen was ich dir geboten haberdquo (2 Mose 3136b) Letztend-lich wie Jesus erklaumlrt besteht die Funktion des Geistes darin Gottes Werk durch den Empfaumlnger zu ermoumlglichen bdquoIhr werdet Kraft empfangen wenn der heilige Geist auf euch gekommen ist und ihr werdet meine Zeugen sein sowohl in Je-rusalem als auch in ganz Judaumla und Samaria und bis an das Ende der Erderdquo (Apg 18)

In den Evangelien lesen wir dass Jesus selbst befaumlhigt wurde unglaubliche Wun-der bdquodurch den Geist Gottesrdquo zu vollbringen (Matt 1228) Im parallelen Lukas-evangelium heiszligt es in den meisten Uumlbersetzungen bdquo durch den Finger Gottesrdquo (Lukas 1120) Gottes bdquoGeistrdquo und Gottes bdquoFingerrdquo sind in diesem Zusammen-hang gleichbedeutend und beschreiben einfach den ausgedehnten Wirkungsbe-reich der Kraft Gottes Tatsaumlchlich uumlbersetzen HFA NLB und andere sogar bdquodurch die Macht Gottesrdquo Es sollte offensichtlich sein dass der Geist lediglich ein persoumlnliches Attribut Gottes ist und es ist weder angezeigt noch besonders geistreich dem hier als bdquoFinger Gottesrdquo umschriebenen Geist Gottes eine Per-soumlnlichkeit zuzuweisen

DerGeistalsdasDenkenGottesWenn das Neue Testament sagt dass der bdquoGeist Gottes weiszlig was Gottes Gedanken sindrdquo (1 Kor 211) koumlnnte man sich aus der Perspektive des Trinitarismus fragen ob dieser Geist tatsaumlchlich eine andere Person ist die sich von Gott dem Vater unterscheidet Die Antwort gibt Jesus der im Widerspruch zu dieser trinitari-schen Idee erklaumlrt dass der Heilige Geist eigentlich bdquoder Geist des Vatersrdquo ist (Matt 1020) In keiner Weise kann daraus eine andere Person als der Vater abgeleitet werden so wenig wie im Buch der Koumlnige bdquoder Geist des Eliardquo eine andere Per-son als Elia war Das Alte Testament berichtet dass bdquoder Geist des Elia auf Elisa ruhtrdquo (2 Koumlnige 215) und im Neuen Testament soll auch Johannes der Taumlufer bdquoim Geist und in der Kraft Eliasrdquo gewirkt haben (Lukas 117) Damit ist natuumlrlich gemeint dass Elisa und Johannes beide mit dem gleichen rationalen Denken und

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Verstand der gleichen Leidenschaft oder dem gleichen Einfluss auftraten wie der groszlige Prophet Elia Wenn Jesus seinen Nachfolgern versichert bdquoDenn nicht ihr seid es die reden sondern der Geist eures Vaters der in euch sprichtrdquo (Matt 1020) meint er nicht dass ein anderes Individuum jemand [der Geist also] der nach der trinita-rischen Doktrin nicht der Vater ist ihnen seinen operativen Verstand verleiht sondern einfach dass der Vater selbst sie befaumlhigen wuumlrde Derselbe bdquoGeistrdquo aus Gottes Mund (Psalm 336) wird nun ihnen in den Mund gelegt Mit anderen Wor-ten zu einem gewissen Grad wird die Mentalitaumlt Gottes fuumlr sie intim verfuumlgbar gemacht

DerGeistalsdasDenkenChristiIn gleicher Weise wenn gesagt wird dass die Juumlnger einen Geist haben der auf gute Dinge ausgerichtet ist einen Geist also der das Boumlse ablehnt und sich dem Gesetz Gottes unterwirft bedeutet dies dass sie bdquoden Geist Christi habenrdquo (Roumlmer 85-9) Den Geist Jesu zu besitzen bedeutet wiederum nicht dass Jesus oder eine andere Person buchstaumlblich in ihrem Koumlrper praumlsent ist sondern dass sie dieselbe Denkweise haben an derselben spirituellen Wirkungsweise teilnehmen wie Jesus selbst Paulus fordert die Glaumlubigen auf bdquohabt diese Gesinnung in euch die auch in Christus Jesus warrdquo (Phil 25) und in der Tat bestaumltigen die Apostel bdquoWir aber haben Christi Sinnrdquo (1 Kor 216) So wie die Praumlsenz des Geistes von Elia darin bestand in Elias charakteristischer geistiger und rationaler Manier zu handeln so bedeutet die Anwesenheit des Geistes Christi auch mit demselben Denken Koumlnnen und Verstand wie Jesus zu handeln (Matt 1820) [Man vergleiche dazu auch Dan 64 bdquoDaniel hellip ein auszligergewoumlhnlicher Geist in war ihmrdquo Anm d Uuml]

Nach der Aufnahme Christi in den Himmel wurde der heilige Geist in der christ-lichen Gemeinschaft sowohl als bdquoGeist Christirdquo als auch als bdquoGeist Gottesrdquo aner-kannt da er sowohl die geistliche Denkweise Jesu als auch die gleiche Kraft und Faumlhigkeit ist durch die Jesus selbst wirkte naumlmlich die Kraft Gottes Paulus sagt bdquowir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen sondern den Geist der aus Gott ist damit wir die Dinge kennen die uns von Gott geschenkt sindrdquo (1 Kor 212) Der Geist der von Gott ist ist derselbe Geist durch den Jesus wirkt Dieser Geist wird jetzt so ausgeteilt dass die Teilnahme an den Dingen Gottes fuumlr alle offen ist bdquoEin natuumlrlicher Mensch [ohne den Geist Christi] aber nimmt nicht an was des Geistes Gottes ist denn es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen weil es geistlich zu beurteilen istrdquo (1 Kor 214)

DerGeistalsGeschenkGottesIn der Bibel wird der Geist Gottes als bdquoeine zu verteilende Sacherdquo eine Kraft an der man teilhaben kann dargestellt Gott sagt bdquoich werde von dem Geist nehmen der auf dir ist und auf sie legenrdquo (4 Mose 1117 ELB) In der GNB steht bdquovon dem Geist

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den ich dir gegeben habe einen Teil nehmenrdquo Und in der EUuml sowie NLB heiszligt es bdquoIch nehme etwas von dem Geist der auf dir ruht und lege ihn auf sierdquo Um die orthodoxe Sichtweise zu verteidigen praumlsentieren einige trinitarische Uumlbersetzungen wie zB die amerikanische NASB den Text bdquound ich werde den Geist der auf dir ist nehmen und ihn auf sie legenrdquo Dies ist insofern problematisch als bdquoeine Personrdquo nicht ge-nommen geteilt oder verteilt werden kann Trotz dieses Aktivismus der NASB stellen die meisten deutschsprachigen Bibelversionen die Natur dieses Geistes richtig dar In Uumlbereinstimmung mit anderen Passagen wie Joel 28 zitiert vom Apostel Petrus in Apg 217 bdquoekcheo apo tou pneumatosrdquo (uumlbersetzt ich werde von mei-nem Geist ausgieszligenausteilen) Es macht wenig Sinn zu sagen dass eine Person ein einzigartiges Individuum in Portionen bdquoaufgeteiltrdquo werden koumlnnte Aber es ist viel einleuchtender den Geist als die Kraft Gottes die eigene Energie Gottes die in seinem Volk innewohnt anzuerkennen Niemand darf von einer Person bewohnt (oder bdquobesessenrdquo) werden 1 Johannes 413 macht dies ganz klar bdquoHieran erkennen wir dass wir in ihm bleiben und er in uns dass er uns von seinem Geist gegeben hatrdquo (ELB)

DieVerwirrungumdenGeistWenn Bibelpassagen uumlber den Geist Gottes herausgenommen und die Be-

griffe durch trinitarische Interpretationen ersetzt werden wird in praktisch jedem Text der sich mit dem Geist beschaumlftigt sofort ein heilloses Durcheinander ver-ursacht Die trinitarische These von bdquoGott der Heilige Geistrdquo oder bdquodie dritte Person der [heiligen] Dreifaltigkeitrdquo wurde zwar mit der Absicht eingefuumlhrt Klar-heit zu schaffen doch nimmt man die Interpretation fuumlr bare Muumlnze wird statt der Wahrheit die Verwirrung komplett

In den Evangelien behauptet Jesus Daumlmonen bdquodurch den Geist Gottesrdquo auszutreiben (Matt 1228) Trinitarier verstehen das so dass er mit dem Geist bdquodie dritte Per-son der Trinitaumltrdquo meint Jesus stellt jedoch fast routinemaumlszligig klar dass es bdquoder Vaterrdquo ist der die Werke [durch ihn] tut (Joh 1410) Ebenso sagte der Engel [Gabriel] zu Maria dass bdquoheiliger Geistrdquo sie uumlberschatten und Jesus in ihrem Schoszlig hervorbringen dh zeugen wuumlrde (Lukas 135) und es wurde spaumlter auch Josef bestaumltigt bdquoDenn das in ihr Gezeugte ist von dem Heiligen Geistrdquo (Matt 120 ELB) [Mit Ausnahme der Menge und der Zuumlrcher Bibel versehen die meisten deutschen Versionen den heiligen Geist mit einem Groszligbuchstaben] Fuumlhrt man nun eine trinitarische Lesung durch muss man sich unweigerlich fragen wer der wahre Va-ter Jesu ist [wenn der Heilige Geist eine Person ist] Nach der Dreieinigkeitslehre sind der Vater und der Heilige Geist zwei voumlllig verschiedene Personen Wenn die bdquodritte Personrdquo [im Triumvirat] diejenige ist die auf Maria kam warum rufen wir dann einen anderen als Vater an der gemaumlszlig der trinitarischen Sichtweise nicht auf Maria kam Nicht-Trinitarier verstehen den Heiligen Geist in erster Linie als

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die Kraft die Energie und den Einfluss Gottes Gott der Vater ist der Vater Jesu und die Sache ist leicht verstaumlndlich Buzzard und Hunting stellen es so dar das

Kaumlmmt man durch die uumlblichen biblischen Woumlrterbuumlcher sind of-fensichtlich 98 Prozent der biblischen Daten erfuumlllt aber nur wenn man den Geist definiert als Gott in wirksamer Aktion als Gott in Kommunikation als Seine Kraft und als seine Persoumlnlichkeit als Gott der seinen Einfluss ausdehnt um die Schoumlpfung auf verschie-dene Weise zu beruumlhren Koumlnnte der Geist Gottes wirklich etwas anderes sein als die Energie Gottes welcher die Menschen zu au-szligergewoumlhnlichen Tapferkeitsleistungen inspiriert indem er sie mit besonderen kuumlnstlerischen Faumlhigkeiten oder wundersamen Kraumlften ausstattet und vor allem die goumlttliche Wahrheit vermittelt1499

PersonifizierungdesGeistesIm Neuen Testament wird in Beschreibungen manchmal die literarische Technik der Personifizierung verwendet Da der heilige Geist also persoumlnlich Einfluss feststellbarer ist wird er oft personifiziert Der Geist spricht (Joh 1613) lehrt (Joh 1426) kann empoumlrt sein (Hebr 1029) kann gelaumlstert werden (Matt 1232)1500 kann belogen werden (Apg 54)1501 und kann eintreten (Roumlmer 826) Leider haben trini-tarische Apologeten diese sprachliche Personifikationen zu ihrem wichtigsten

1499 Buzzard Hunting The Doctrine of the Trinity p 226 Eine weitere Anmerkung Wenn man davon

ausgeht dass der bdquoGeist Gottesrdquo in der Bibel tatsaumlchlich die einzigartige Person der orthodoxen Theol-ogie nach dem Konzil von Konstantinopel ist schafft man sich Probleme mit dem Alten Testament Sacharja 65 zeigt bdquodie vier Geister des Himmelsrdquo und Offenbarung 14 erwaumlhnt bdquodie sieben Geister Gottesrdquo Offenbarung 14 scheint mit Jesaja 112 zu korrelieren der bdquoden Geist des Herrn den Geist der Weisheit den Geist des Verstehens den Geist des Rates den Geist der Macht den Geist der Erkenntnis und den Geist der Angst vor dem Herrnrdquo enthaumllt Ist dies ein Hinweis auf multiple Persoumlnlichkeiten oder einfach nur sieben Kraumlfte und Einfluumlsse

1500 Finnegans Notiz ist hier nuumltzlich bdquoGelegentlich behaupten die Menschen dass die Leugnung der Persoumlnlichkeit des Heiligen Geistes die unverzeihliche Suumlnde ist den Geist zu laumlstern Um der Sache auf den Grund zu gehen muumlssen wir uns an den Kontext der Bemerkungen Jesu uumlber die Laumlsterung des Heiligen Geistes erinnern Ein daumlmonisierter Mensch wurde von Christus geheilt und die Pharisaumler beschuldigten Jesus Daumlmonen durch Beelzebub den Herrscher der Daumlmonen vertrieben zu haben (Vers 24) Christus wies auf die Absurditaumlt des sbquoSatans der den Satan vertriebrsquo hin und gestand dann dass er durch Gottes Geist Daumlmonen vertrieb Dann machte er die Aussage sbquoWer ein Wort gegen den Menschensohn spricht dem wird es vergeben aber wer gegen den heiligen Geist spricht dem wird es nicht vergeben werden weder in diesem noch in dem kommenden Zeitalterrsquo (Matthaumlus 1232) Die Blas-phemie gegen den heiligen Geist hier ist Gottes Handeln durch Seinen menschlichen Messias zu sehen und zu erklaumlren dass seine Macht eher eine daumlmonische als eine goumlttliche Quelle hatte Im Wesentlichen nannten sie Gott den Prinzen der Daumlmonen Diese Art von reueloser hartherziger vorsaumltzlicher Blas-phemie gegen Gott an der Arbeit durch seinem Messias ist unverzeihlichrdquo (Finnegan S 5)

1501 Ein trinitarischer Gelehrter gibt unumwunden zu bdquoDer Begriff sbquoGottrsquo wird nie ausdruumlcklich dem Heili-gen Geist zugeschrieben obwohl es uumlblich ist ihn aus Apostelgeschichte 54 abzuleiten wo Petrus der im 3 Vers Ananias gefragt hatte sbquoWarum hat Satan dein Herz erfuumlllt um den Heiligen Geist zu beluumlgenrsquo sagt er sbquoDu hast nicht die Menschen angelogen sondern Gottrsquo Aber unserer Meinung nach ist diese

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Ansatzpunkt gemacht und folgen mit den meisten Argumenten derselben Argu-mentationslinie

bdquoUnd betruumlbet nicht den Heiligen Geistrdquo ist die Anweisung des Paulus an die Glaumlubigen in Ephesus (Eph 430) Waumlre der Heilige Geist einfach nur eine Macht oder eine Kraft und nicht eine Person koumlnnte er nicht traurig sein1502

Vertreter der Trinitaumltsdoktrin argumentieren dass der Heilige Geist allerdings in der Schrift als eine Person oder ein Etwas praumlsentiert wird das sich sowohl von Gott als auch von Jesus manchmal auch in persoumlnlicher Hinsicht unterscheidet Nach ihrem Dafuumlrhalten muss er [der Heilige Geist] eine separate Person sein die weder der Vater noch Jesus ist Aber in der Bibel wird der Geist gewisser Men-schen mit derselben literarischen Technik der Personifizierung beschrieben wo-raus jedoch keine andere Person impliziert wird Ein Beispiel lesen wir im Alten Testament (2 Sam 1321) Dazu zitieren wir aus dem Kommentar von Adam Clarke seine Uumlbersetzung der griechischen Septuaginta-Version (LXX)

Aber er wollte den Geist [gr pneuma ndash hebr ruach] seines Sohnes Amnon nicht betruumlben denn er liebte ihn weil er sein Erstgeborener war (2 Samuel 1321)1503

War demnach Amnons Geist eine andere Person [in Amnon] Keinesfalls diese Art von Sprache ist einfach nur ein hebraumlisches Idiom Wir finden diesen Hebra-ismus auch in juumldischen Schriften des ersten Jahrhunderts wie beispielsweise im Evangelium der Hebraumler Der katholische Uumlbersetzer Hieronymus (347-420 n Chr) erinnert sich an ein Zitat aus diesem Dokument

Folgerung nicht guumlltig denn durch den sbquoHeiligen Geistrsquo sind die Gaben des Heiligen Geistes zu ver-stehen mit denen die Apostel ausgestattet wurden und im Namen Gottes sprachen Menschen welche die Apostel beluumlgen die durch den Heiligen Geist Gottes sprechen werden daher zu Recht gesagt dass sie den Heiligen Geist beluumlgen wie diejenigen welche die Apostel verachten unmittelbar den Herrn verachten und diejenigen die den Herrn Jesus verachten verachten Den der ihn gesandt hatrdquo (Philip Limborch Theol Christiana lib II Cap 17 amp 23 quoted in Wilson Uni Princ p 477)

1502 ldquoHow Can We Grieve the Holy Spiritrdquo Bible Answers Ranelagh Christian Church 2015 Web 27 December 2015 lthttpwwwbibleanswersieshort-bible-studies62-the-holy-spirit102-how-can-we-grievegt emphasis added

1503 Siehe Adam Clarkes Kommentar bdquo sbquoΚαι ουκ ελυπησε το πνευμα Αμνων του υιου αυτου οτι ηγαπα αυτον οτι πρωτοτοκος αυτου ην sbquoAber er wollte die Seele (dh den Geist - pneuma) seines Sohnes Amnon nicht betruumlben denn er liebte ihn weil er sein Erstgeborener warrsquo Die gleiche Ergaumlnzung findet sich in der Vulgata und bei Josephus und es ist moumlglich dass sie einst Teil des hebraumlischen Textes warrdquo (Adam Clarke ldquoCommentary on 2 Samuel 132rdquo The Adam Clarke Commentary 1832 Web 27 December 2015)

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Im Evangelium an die Hebraumler das die Nazarener zu lesen pfleg-ten wird zu den schwersten Vergehen gezaumlhlt bdquoWer den Geist seines Bruders betruumlbtrdquo1504

Die Juden scheinen sich der trinitarischen Regel nicht bewusst gewesen zu sein dass der Geist von Personen nicht bdquobetruumlbtbdquo werden oder metaphorisch an einer Reihe von persoumlnlichen Aktivitaumlten teilnehmen koumlnne wenn dieser Geist nicht selbst eine bestimmte Person waumlre Demgegenuumlber lesen wir im 2 Samuel 1339 dass bdquoder Geist des Koumlnigs sich danach sehnte zu Absalom hinauszugehenrdquo Trauer Sehn-sucht usw - das sind die gleichen emotionalen Eigenschaften die von den Trini-tariern als eindeutiger Beweis dafuumlr genannt werden dass der Geist Gottes eine eigenstaumlndige Person sein muss Aber der Geist Elias ist keine von Elias separate Person Auch der Geist des Vaters ist kein vom Vater getrenntes oder unter-schiedliches Individuum Es ist schlicht und einfach kein biblisches Argument das der theologischen Uumlberpruumlfung standhaumllt

DererhoumlhteJesusDermitdemGeisttauftEine interessante Passage im Johannesevangelium lautet bdquoDies aber sagte er von dem Geist den die empfangen sollten die an ihn glaubten denn noch war der Geist nicht da weil Jesus noch nicht verherrlicht worden warrdquo (Joh 739) Natuumlrlich wissen wir dass der Geist Gottes bereits im Alten Testament auf unzaumlhlige Menschen gekommen war und Jesus selbst empfing bei seiner Taufe (Joh 132-33) den Geist Johannes kuumlndigte offensichtlich an dass sich einer zukuumlnftigen Kraftausgiessung etwas Auszligergewoumlhnliches ereignen werde

Jesus erklaumlrt in Johannes 13 bis 17 dass diese vorangekuumlndigte Manifestation des Geistes eng mit seiner eignen Verherrlichung verbunden sein wird Er versprach dass dieser Geist die Juumlnger aktiv instruieren und erleuchten werde und insbeson-dere ihnen all das was Jesus gesagt hatte in Erinnerung rufen werde (Joh 1426) Christus beteuerte sogar dass sich diese neue Ordnung fuumlr sie als besser erweisen werde als wenn er selber physisch noch bei ihnen bliebe (Joh 167) und dass dieser Geist seinen Nachfolgern Christus alles offenbaren wuumlrde (Joh 1614-15) Dies zeigt eine bisher nie dagewesene Aktivitaumlt des Geistes Gottes waumlhrend der Geist fruumlher nur den Einfluss des Vaters kommunizierte (wie es der Fall war bevor Jesus zum Himmel auffuhr wie Matthaumlus 1020 beschreibt) wird nun auch der Einfluss Jesu durch den Geist auf die Glaumlubigen uumlbertragen

Im Kapitel 7 kuumlndigt Johannes die Ankunft dieses bdquoneuenrdquo Geistes an Zu diesem Zeitpunkt stand die Erhoumlhung Christi noch bevor waumlhrend Jesus physisch unter

1504 Hieronymus Kommentar zu Hesekiel 187

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den Juumlngern weilte konnte der Geist noch nicht gegeben oder ausgegossen wer-den Der Aufstieg Christi in den Himmel ermoumlglichte jedoch seine Verteilung oder die Ausgiessung Denn der bdquoGeistrdquo der zu ihnen [an Pfingsten] kommen sollte repraumlsentierte in gewisser Weise den in den Himmel aufgenommenen Jesus selbst

Als die Juumlnger wegen seines bevorstehenden Weggangs traurig waren versicherte er ihnen bdquoIch werde euch nicht verwaist zuruumlcklassen ich komme zu euchrdquo (Joh 1418) Als bdquoHelferrdquo [gr παράκλητος ndash paraacuteklētos Fuumlrsprecher Beistand] Vers 26 ist in der Tat Jesus mit oder bei ihnen anwesend der bdquoGeistldquo beeinflusst die Juumlnger Christi und fuumlhrt sie genauso wie Jesus waumlre er physisch praumlsent Der bdquonach-pfingstlicherdquo Geist ist Jesus selbst der seither in der Welt im Auftrag und zur Ehre Gottes wirkt und durch die groszlige Kraft Gottes zu jedem seiner Juumlnger kommt

So wie Gott in den Himmeln wohnend und doch durch den Geist allgegenwaumlrtig sein kann1505 ist der erhabene Jesus der zur Rechten Gottes sitzt derjenige der bdquomit dem heiligen Geist tauftrdquo (Markus 18 Apg 1116) er ist es der den Glaumlubigen die Kraft Gottes vom Himmel sendet So wie Gott in der Antike die Menschen durch diesen Geist beruumlhrt und ermaumlchtigt hatte so kann auch der auferstandene Herr Jesus bdquo denen helfen die versucht werdenrdquo (Hebr 218) waumlhrend er zur Rech-ten der Majestaumlt im Himmel sitzt

Wenn Jesus sagt dass er den Vater bitten wird bdquoeinen anderen Helferrdquo zu schicken (Joh 1416) bezieht sich das Griechische auf bdquoeinen anderenrdquo (gr allos) tatsaumlchlich auf bdquoeinen anderen der gleichen Artrdquo Es ist eine andere Version von Jesus oder wie F F Bruce schreibt sein bdquoalter egordquo [quasi sein anderes Ich]1506 Ein biblisches Woumlrterbuch hilft uns weiter

Der Geist ist nun definitiv der Geist Christi der bdquoandererdquo Ratgeber der die Aufgabe Jesu auf der Erde uumlbernommen hat Das bedeutet dass Jesus jetzt lediglich noch im und durch den Geist fuumlr den

1505 Gott bdquositzt auf seinem Thron im Himmelrdquo (Psalm24) aber sein Geist erlaubt es ihm jederzeit uumlberall zu sein bdquoWohin sollte ich gehen vor deinem Geist wohin fliehen vor deinem Angesicht Stiege ich zum Himmel hinauf so bist du da Bet-tete ich mich in dem Scheol siehe du bist da Erhoumlbe ich die Fluumlgel der Morgen-roumlte liesse ich mich nieder am aumluszligersten Ende des Meeres auch dort wuumlrde deine Hand mich leiten und deine Rechte mich fassen Und spraumlche ich Nur Finsternis moumlge mich verbergen und Nacht sei das Licht um mich herrdquo (Psalm 1397-11) 1506 Bruce The Gospel amp Epistles of John p 302

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Glaumlubigen gegenwaumlrtig ist und dass das Zeichen des Geistes so-wohl die Anerkennung des gegenwaumlrtigen Status Jesu als auch die Reproduktion des Charakters seiner Sohnschaft und seines Aufer-stehungslebens im Glaumlubigen ist1507

Wir sehen im ganzen uumlbrigen Neuen Testament dass der bdquoGeist Christirdquo von der Kirche immer noch oft als bdquoGeist Gottesrdquo bezeichnet wird Das liegt daran dass es derselbe Geist ist der von beiden [Vater und Sohn] gemeinsam genossen und betrieben wird Wie bereits erwaumlhnt ist nun sowohl bdquoder Geist Christirdquo als auch als bdquoder Geist Gottesrdquo zu erkennen der gleicherweise die geistliche Gesinnung Jesu und die gleiche Kraft und Faumlhigkeit ist durch die Jesus selbst wirkte dh die Kraft Gottes Wie ein Theologe es so praumlgnant ausdruumlckte bdquoDer Geist der Jesus waumlhrend seines Dienstes auf Erden inspiriert hat ermoumlglicht es ihm nun in sei-nen Juumlngern auf eine neue vorteilhafte Weise praumlsent zu seinrdquo1508 Er faumlhrt fort

Der Geist Gottes der Geist Christi und Christus selbst sind alle gleichwertige Wege um die gleiche wesentliche Wahrheit zu ver-mitteln Paulus konzentriert sich nicht auf ontologische und meta-physische Unterschiede sondern sieht den Geist vor allem in funk-tionalen Begriffen innerhalb der Erfahrung des Christen Aus die-ser Perspektive ist der Geist Jesus1509

Im ersten Kapitel der Apostelgeschichte weist Jesus seine Nachfolger an bdquo sich nicht von Jerusalem zu entfernen sondern auf die Verheiszligung des Vaters zu war-ten - wie ihr von mir gehoumlrt habt denn Johannes taufte mit Wasser ihr aber werdet mit heiligem Geist getauft werden nach diesen wenigen Tagenrdquo (Apg 14-5) Am Pfingsttag ist der bdquoneue Geistrdquo tatsaumlchlich uumlber die Urkirche gekommen Die Juumlnger erklaumlrten dass es gerade darum ging dass Jesus bdquonachdem er nun zur Rechten Gottes erhoumlht worden ist und die Verheiszligung des heiligen Geistes emp-fangen hat von dem Vater hat er dies ausgegossen was ihr jetzt seht und houmlrtrdquo (Apg 232-33) Weil Jesus der Besitzer des Geistes ist (nachdem er ihn von Gott empfangen hat) und Jesus der Verteiler des Geistes (der bdquoTaumluferrdquo) kann der Geist ihm persoumlnlich zugeschrieben werden Zu Recht kann er bdquoder Geist Jesurdquo ge-nannt werden Jesus erklaumlrt dass sowohl er als auch der Vater durch die Kraft des Geistes fuumlr den Glaumlubigen wirken bdquoWenn jemand mich liebt so wird er mein Wort befolgen und mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen

1507 D G Douglas New Bible Dictionary (Tyndale House Publishers 1962) pp 1140-1141 1508 Sean Finnegan ldquoA Unitarian View of the Holy Spiritrdquo 21st Century Reformation 2006 Web 28

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und Wohnung bei ihm machenrdquo (Joh 1423) Wo bleibt die hypothetische bdquodritte Personrdquo in den Ausfuumlhrungen des Juumlngers [Johannes] Auch hier kann der Geist als ein Einfluss betrachtet werden der sowohl dem Vater als auch dem Sohn gehoumlrt und von ihnen ausgeht Eine angemessene Analogie koumlnnte zu einem Va-ter vorstellen der seinem Sohn erlaubt sein Auto in der Oumlffentlichkeit zu fahren Jeder der es sieht wird es als das Auto des Sohnes bezeichnen weil er es besitzt aber es ist letztlich immer noch das Auto des Vaters Jeder der weiszlig auf wen das Auto zugelassen ist wird es immer noch das Eigentum des Vaters nennen Aber es waumlre nicht falsch es als im Besitz des Sohnes zu bezeichnen So ist es auch mit der Kraft Gottes die Jesus anvertraut wurde um sie nach Belieben zu verteilen

Einige Trinitarier argumentieren gegen die Idee dass ein Vertreter Gottes jemals anderen Individuen den Geist Gottes geben koumlnnte mit der Begruumlndung dass eine solche Aktivitaumlt bdquobeispiellosrdquo sei und dass es fuumlr Gott unmoumlglich waumlre die Sendung Gottes bdquoselbstrdquo zu delegieren1510 Ein Mangel an Praumlzedenzfaumlllen duumlrfte jedoch kein Thema sein der Sohn wird im Neuen Testament deutlich als der erste Mensch dargestellt der diesen Status erreicht hat (siehe Hebr 1-2) Er ist der einzige auf der Ebene der bdquodelegierten Autoritaumltrdquo Was Gottes Delegation von bdquosich selbstrdquo betrifft so muumlssen wir zunaumlchst erkennen dass Gottes bdquoGeistrdquo nicht immer voumlllig gleichbedeutend ist mit der gesamten bdquoPersoumlnlichkeitrdquo Gottes Wie bereits erwaumlhnt hat Gott bei Mose bdquovon dem Geist genommen der auf Mose war und auf sie gelegtrdquo (4 Mose 1117) Der Geist muss nicht unbedingt als die ganze bdquoPersoumln-lichkeitrdquo Gottes identifiziert werden da er wie eine Substanz oder eine Eigen-schaft geteilt verteilt und in unterschiedlichen Portionen oder von verschiedenen Parteien in unterschiedlichem Mass empfangen werden kann Was die Faumlhigkeit die Befugnis eines Handlungsbevollmaumlchtigten betrifft diese Verteilung ebenso durchzufuumlhren so koumlnnen wir die Kanalisierung des Geistes Gottes beobachten die nach Ansicht dieser Apologeten fuumlr menschliche Agenten in der Apostelge-schichte angeblich unmoumlglich sei In Apostelgeschichte 816ff stellen wir fest dass einige Christen den Heiligen Geist nicht empfangen hatten bis die Apostel kamen und ihnen die Haumlnde auflegten bdquoAls aber Simon [Magus] sah dass durch die Handauflegung der Apostel der Heilige Geist gegeben wurde rdquo (Apg 818) Als Simon sah dass die Apostel in der Lage waren den Geist zu delegieren bat er darum auch er diese Macht zu erhalten und sagte bdquoGebt auch mir diese Vollmacht damit jeder dem ich die Haumlnde auflege den Heiligen Geist empfaumlngtrdquo (Vers 19) Aber die Apos-tel beschrieben ihre Autoritaumlt als bdquodie Gabe Gottesrdquo und als ihr bdquoAmtrdquo eine Beru-fung an der Simon nicht teilnehmen konnte weil er nicht anerkannt war (Verse 20-21) Paulus erklaumlrt dass die bdquoGabe Gottesrdquo bdquoin euch durch das Auflegen meiner Haumlnderdquo (2 Tim 16) ist und Apg 818 sagt ausdruumlcklich dass der Geist erst beim Auflegen der Haumlnde der Apostel diesen Menschen bdquogegebenrdquo wurde Dieses Wort

1510 Siieh Bowman Putting Jesus in his Place pp 219-221

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fuumlr bdquogegebenrdquo im Griechischen (bdquodidomirdquo) ist das gleiche Wort das in Joh 334 von Jesus verwendet wird Es beschreibt wie Gott selbst den Geist bdquogibtrdquo Dieses Wort wird von anderen Uumlbersetzern auch als bdquoverliehenrdquo bdquoanbefohlenrdquo bdquoge-waumlhrtrdquo und sogar bdquoausgegossenrdquo uumlbersetzt Es ist deshalb nicht unmoumlglich dass ein menschlicher Agent [mit Befugnis] als bdquoKanalrdquo fuumlr den Geist Gottes fungiert Das vom Neuen Testament vorgestellte Modell ist einfach und vermeidet ge-schickt die Fallstricke der trinitarischen Identitaumltstheorien Gott gab seinem Agenten Jesus das Recht den Geist zu geben zu verleihen auszuteilen oder aus-zugieszligen und Jesus wiederum gibt dieses Recht seinen eigenen bevollmaumlchtigten Aposteln weiter

VerwirrunginderBibelstiftenEin interessantes Problem fuumlr Trinitarier ergibt sich hier wenn sie die neue intime Beziehung des Geistes zum verherrlichten Jesus betrachten die Verwechslung oder Vermischung von bdquoGott-der-Heilige Geistrdquo mit bdquoGott-der-Sohnrdquo Die Lehre der Trinitaumlt besagt dass es [in der Gottheit] drei verschiedene Personen gibt von denen jede ihre eigene Rolle und ihre Funktion hat Dies ist insofern richtig als der Vater und der Sohn sicherlich nicht die gleiche Person sind und mit Bestimmtheit unterschiedliche Rollen spielen - der Vater ist zum Beispiel der bdquoZeugerrdquo und der Sohn ist der bdquoVermittlerrdquo zwischen Gott und den Menschen Aber Trinitarier bestehen darauf dass sich die drei Personen der Trinitaumlt nicht nur in ihrer Identitaumlt sondern auch in ihrer funktionalen Rolle innerhalb dieser Dreifaltigkeit nicht unterscheiden Der populaumlre trinitarische Theologe Charles Stanley schreibt dass der Vater der Sohn und der Geist

alle gleichermaszligen allwissend allmaumlchtig allgegenwaumlrtig ewig und unveraumlnderlich sind waumlhrend jeder seine eigenen Funktionen hat Die Schrift zeigt wie jedes Mitglied der Dreifaltigkeit eine spezifi-sche Rolle erfuumlllt Vater Sohn und Geist sind zwar in ihren goumltt-lichen Attributen gleich doch jeder bezieht sich auf die Menschheit in einer anderen Weise weil er eine bestimmte Rolle spielt Es ist sehr wichtig diesen Unterschied zu verstehen1511

Dieser Ansicht gegenuumlber macht die Bibel keine Unterscheidung zwischen den Rollen und Funktionen des Geistes und des auferstandenen Jesus Auch der hei-lige Geist wird in Johannes 1426 als bdquoder Fuumlrsprecherrdquo [bdquoparakletosrdquo] bezeichnet und als der Vermittler der in unserem Namen bei Gott interveniert (Roumlmer 826-27) Aber Johannes schreibt dass bdquoso haben wir einen Fuumlrsprecher bei dem Vater [und

1511 Charles Stanley ldquoThe Truth About the Trinityrdquo In Touch with Dr Charles Stanley InTouch Minis-

tries 16 February 2010 Web July 21 2015 (Die Wahrheit uumlber die Trinitaumlt)

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zwar] Jesus Christus den Gerechtenrdquo (1 Joh 21) Die Frage ist [trinitarisch] verwir-rend Welche Person ist nun der Fuumlrsprecher zwischen uns und dem Vater Ist es die dritte Person oder die zweite Person [der Gottheit] Sind es beide Keinesfalls beide denn es gibt nur einen Vermittler zwischen Mensch und Gott und es ist ausdruumlcklich der Mensch Jesus Bestimmt ist es keine nicht-menschliche dritte Person die eindeutig nicht Jesus ist bdquoDenn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen der Mensch Christus Jesusrdquo (1 Tim 25) Nach der Auffahrt Jesu in den Himmel wird der Geist im christlichen Denken offensichtlich austauschbar mit Jesus verwendet wie Roumlmer 89-11 zeigt Aber diese Klippe wird von ortho-doxen [trinitarischen] Uumlbersetzern oft umschifft So sah sich Augustinus gezwun-gen zu schreiben um die Unterscheidung der Personen der Dreifaltigkeit zu wah-ren bdquoDer Sohn ist nicht der Heilige Geistrdquo1512 Der Apostel Paulus hingegen hatte geschrieben dass bdquoder Herr [Jesus] der Geist istrdquo (2 Kor 317) Paulus spekulierte nicht uumlber die metaphysische Unterscheidung von Personen er glaubte auch nicht dass mit bdquoder Geistrdquo eine andere Person bezeichnet als Jesus Fuumlr Paulus ist der Geist der Herr Jesus durch den die [geistliche] Kraft Gottes wirkt

Nichts belegt eine konsequente Trennung der Funktionen der Personen durch die Apostel hier zeigt sich eine grundlegende Diskrepanz zwischen der Bibel und der orthodoxen Interpretation Trinitarier sagen dies beweise dass sie alle drei bdquoderselbe Gottrdquo seien Was koumlnnte die Einzigartigkeit ihrer Theorie ausmachen so fragen wir uns was koumlnnte sie zB gegenuumlber dem rivalisierenden Modalismus abheben Diese Theologie besagt naumlmlich dass Vater Sohn und Geist einfach drei Modi [drei Manifestationen von modus] desselben goumlttlichen Wesens seien Doch genau das ist es nicht was die Orthodoxie lehrt sie verlangt eine echte Un-terscheidung zwischen den Personen - drei voumlllig verschiedene Personen mit un-terschiedlichen Rollen die an einer goumlttlichen Essenz teilhaben Es scheint dem orthodoxen Glaumlubigen ein gefaumlhrlicher Weg zu sein das wichtigste Merkmal der Dreifaltigkeit praktisch aufzugeben und die Linien zwischen den Personen zu verwischen Wenn die Lehre im Text verloren geht riskiert man uumlber bdquoder Flamme der Ketzere zu baumelnrdquo Tatsaumlchlich droht das Athanasianische Glau-bensbekenntnis mit der sicheren Verdammnis fuumlr jeden der die [drei] Personen vermischt oder durcheinander bringt1513 Demgegenuumlber scheint die Bibel selbst unablaumlssig die drei hypothetischen Gott-Personen zu bdquovermischenrdquo sollte es sie in Wirklichkeit geben So ist die dritte Person ist mal diejenige die begreift wann sie die erste Person spielen sollte (Lukas 135) dann wieder plaumldiert die dritte Person wann sie die Rolle der zweiten Person uumlbernehmen sollte (Joh 1426)

1512 Augustine On Christian Doctrine 1 5 5 1513 bdquoOhne dabei die Personen zu vermischen und ohne die Wesenheit zu trennen Denn eine Person ist

die des Vaters eine andere die des Sohnes eine andere die des Heiligen Geistes Nur wer dies aufrichtig und fest glaubt wird selig werden koumlnnenrdquo (Athanasianisches Bekenntnis ca 500 n Chr)

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und die dritte Person tut die Werke fuumlr welche eigentlich die erste Person zu-staumlndig sein muumlsste (Joh 1410) usw Waumlre es nicht viel praktischer zu sagen dass der Geist lediglich den Einfluss des Vaters und des Sohnes in ihren verschie-denen Faumlhigkeiten ausuumlbt Damit wird das ganze Durcheinander vermieden

Zusammenfassend laumlsst sich sagen dass wir die Voreingenommenheit vieler mo-derner Bibeluumlbersetzer und ihre Verschleierungsversuche der Natur des Geistes feststellen koumlnnen Waumlhrend das literarische Werkzeug der Personifizierung des Geistes als unwiderlegbarer Beweis fuumlr die selbstaumlndige Persoumlnlichkeit des heili-gen Geistes vorgebracht wird ignoriert man die Beispiele der literarischen Perso-nifikation des Geistes an anderen Stellen in der Bibelliteratur Ohne die Froumlm-migkeit oder die Absichten eines Uumlbersetzers beurteilen zu wollen faumlllt selbst bei einer oberflaumlchlichen Untersuchung der mutmaszliglichen bdquodritten Personrdquo des drei-einigen Gottes ein schwerwiegender theologischer Notstand auf Die orthodoxe [trinitarische] Vorstellung von Gott bewegt sich prekaumlr am Rande der Nachlaumls-sigkeit vielleicht sogar des Missbrauchs der Bibelsprache Eine radikale Neube-trachtung der Theologie des Neuen Testaments des Gottes von Jesus ist drin-gend erforderlich Da bereits mehr als die Haumllfte aller Evangelikalen gemaumlszlig der Umfrage die dritte Person nicht anerkennen1514 stellt sich die Lehre von der Gottheit oder Divinitaumlt des heiligen Geistes als das schwaumlchste Glied des traditi-onellen Systems dar Die uumlberlieferte orthodoxe Trinitaumltstheorie droht zusam-menzubrechen

1514 Kevin P Emmert ldquoNew Poll Finds Evangelicalrsquos Favorite Heresiesrdquo Christianity Today 28 October

2014 Web 14 November 2014

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bdquoZu oft halten wir an Klischees unserer Vorfahren fest Wir unterwerfen alle Fak-ten einem vorgefertigten Auslegungswerk Wir genieszligen die Bequemlichkeit der Mei-nung ohne das Unbehagen des Denkensrdquo

ndash John F Kennedy (Yale June 11 1962)

M LAUFE DIESER UNTERSUCHUNG haben wir versucht zu beantwor-ten ob das trinitarische Dogma die beste Erklaumlrung fuumlr die historische The-ologie Jesu liefere oder nicht und ob es eine praktikablere Alternative gaumlbe

Wir haben unvoreingenommen die wesentlichen Merkmale des Dreifaltigkeits-Dogmas untersucht das Drei-in-Eins-Paradoxon die Prauml-Existenz die Inkarna-tion und die Dualitaumlt Christi die persoumlnliche Gottheit des heiligen Geistes - und wir haben die eigenartigen Ansichten der Metaphysik gefunden die diese Sicht-weisen nicht mit den Worten der biblischen Autoren sondern mit den verschie-denen Philosophien der Geschichte ermoumlglichten

Es ist klargeworden dass das Problem des christlichen Dogmas im subversiven hellenistischen Synkretismus liegt der in den fruumlhen Jahrhunderten stattfand und in der Frage wie diese Verschmelzung von Religionen die urchristlichen Lesarten der [Hebraumlischen] Bibel beeinflusste Wie Anthony Buzzard vermutet bdquoDie fruuml-hen Kirchenvaumlter begeistert vom Gnostizismus haben die Schriften des Johan-nes missverstanden die Untersuchung der Beweise im uumlbrigen Neuen Testament und im gesamten Alten Testaments vernachlaumlssigt sich auf eine Handvoll schwie-riger paulinischer Verse gestuumltzt und einen buchstaumlblich prauml-existenten Jesus prauml-sentiert Aber das war nicht mehr der Jesus der Bibelrdquo1515

1515 Buzzard Jesus Was Not a Trinitarian p 336 (Jesus war kein Trinitarier)

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Die Kirchenvaumlter kaumlmpften Jahrhunderte lang um die duale [Gott-Mensch] Na-tur dieses vorexistenten Jesus in einem nicht-gnostischen Sinne aufrecht zu er-halten Sie arbeiteten unermuumldlich daran den drei-persoumlnlichen Gott in einer Weise auszudruumlcken welche die griechische Philosophie und den Monotheismus gegenseitig schuumltzte Sie versuchten diese Leistungen zu vollbringen um weder der Heiligen Schrift noch der Vernunft Gewalt anzutun Dennoch hallt der ge-waltige Zusammenbruch ihres klaumlglichen Versagens bei jedem dieser Punkte bis in unsere heutige Zeit nach

Wahrlich der wachsende Dissens der ersten christlichen Jahrhunderte ist nie mehr verschwunden er ist nur verinnerlicht und gedaumlmpft worden Viele Glaumlu-bige tragen die groszligen Kontroversen immer noch voumlllig unbewusst mit sich herum waumlhrend diejenigen welche die konziliaren Normen ablehnen verurteilt werden obwohl ihre Richter selber verurteilungswuumlrdige Ansichten vertreten Im Mainstream-Christentum finden wir dass weiterhin starker Druck ausgeuumlbt wird und ein Christus mit einer Weltanschauung gepredigt wird die ihm und seinen Aposteln fremd waumlre Der biblische Gott selbst wird in einem religioumlsen Rahmen betrachtet der nicht von ihm vermittelt wurde So wird festgestellt dass die Bibel nur noch ein praumlchtiges Lippenbekenntnis ist ihre populaumlren und beliebten Leh-ren sind wirklich unzureichend Sie erfordern auch heute noch die Faumlhigkeit von Philosophen die sie fuumlr den richtigen [orthodoxen] rettenden Glauben nuumltzlich und verstaumlndlich machen

Im Ruumlckblick haben sich die Platoniker und Gnostiker die sich in den ersten Jahrhunderten an den christlichen Glauben klammerten von ihren Philosophien nie ganz losgeloumlst Ihre Philosophien uumlberlebten wandelten sich und verbanden sich mit dem Herzen und mit der Seele der katholischen Kirchenfuumlhrung So mutierten die groszligen Mystiker der Antike Sie wurden die geistlichen Fuumlhrer die Helden die vertrauenswuumlrdigen Doktoren des Glaubens welche ndash bildlich gespro-chen - theologische Heilmittel vertrieben fuumlr Beschwerden die der wahre biblische Glaube gar nie hatte An unseren Universitaumlten werden immer noch Vorlesungen gehalten die von ihrem Geist durchdrungen sind Sie sitzen in unseren Kirchen-baumlnken und predigen von unsren Kanzeln die formalen Glaubensbekenntnisse entstammen ihrem Denken und ihrer Feder Doch in jedem bdquochristlichenrdquo Zeit-alter hat sich ihre Fuumlhrung fuumlr die Glaumlubigen als wenig hilfreich ja sogar als ver-wirrend erwiesen Ein evangelischer Professor fuumlr Kirchengeschichte schreibt

Meine Schlussfolgerung uumlber die Lehre von der Dreifaltigkeit ist also dass es sich um ein kuumlnstliches Konstrukt handelt Es er-zeugt eher Verwirrung als Klaumlrung und waumlhrend die Probleme mit denen sich die Doktrin beschaumlftigt real sein moumlgen sind die Louml-

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sungen die sie bietet nicht aufschlussreich Sie hat bei vielen Chris-ten dunkle und mysterioumlse Ansichten hervorgerufen die letztlich bedeutungslos sind1516

Die Trinitaumltslehre mag tatsaumlchlich ein Konstrukt sein aber sind die Probleme die sie anspricht wirklich real Besteht eine groszlige Kluft zwischen dem Alten und Neuen Testament die nur die Dreieinigkeit uumlberbruumlcken kann Unterscheidet sich die Sprache des biblischen Jesus so sehr von seinem zeitgenoumlssischen Juden-tum dass er zwingend als Allmaumlchtiger Gott aufgebaut und seine Lehre als neue Religion akzeptiert werden muss die [mit dem Judentum] letztendlich unverein-bar ist

Das Athanasianische Glaubensbekenntnis das heute noch so oft wiederholt wird sagt uumlber den Glauben an die Lehre der Dreifaltigkeit bdquoWir werden von der christlichen Wahrheit gezwungenrdquo1517 und wenn man christliche Wahrheit sagt gehen wir davon aus dass sie die Heiligen Schriften beinhaltet Aber zwingt uns die Bibel wirklich Jesus Christus und den heiligen Geist als mit Gott dem Vater gleichbe-rechtigte ihm ebenbuumlrtige Mitglieder der Gottheit anzuerkennen als gaumlbe es keine andere Alternative Nein wie wir gesehen haben gibt es einen anderen zufriedenstellenden Ansatz fuumlr die vorliegenden biblischen Beweise der die Re-geln der Sprache und die Vernunft gleichermaszligen beruumlcksichtigt einen Ansatz dessen Quelle und Ratschlaumlge direkt auf den historischen Jesus Christus zuruumlck-gehen

Was wir also hier als abenteuerliche Geschichte der orthodoxen Theologie uumlber-blickt haben ist wirklich nur eine Seite in der bewegten Geschichte der mensch-lichen Religion Der moderne Trinitarismus ist nur ein Strom der in ein riesiges Meer religioumlsen Austauschs flieszligt und in ein Meer muumlndet in dem alle heidni-schen Spekulationen auftauchen die versuchen eine groszlige Leere zu fuumlllen Die-ses Vakuum das auch die Dreifaltigkeitsdoktrin so verzweifelt zu fuumlllen suchte ist der bodenlose Abgrund zwischen Gott und dem Menschen Aber fuumlr diejeni-gen welche die Botschaft der Bibel uumlber alles andere wertschaumltzen ist dies eine Kluft die nur durch die Lehren Christi uumlberbruumlckt werden kann Wie wir gesehen haben gibt es in diesen Lehren Christi nichts anderes als einen ungeteilten und unbestreitbaren Monotheismus In der Trinitaumlt ist nicht der Gott von Jesus

Die feierliche Schlussfolgerung dieses Buches das im Lichte der vorangegange-nen Beweise zu Recht zu betrachten ist lautet dass weder Jesus noch seine fruuml-hesten Anhaumlnger ihn als identisch oder kongruent mit dem einen wahren Gott Israels sondern als den Menschensohn des einen wahren Gottes darstellen Jesus

1516 Richardson The Doctrine of the Trinity pp 148-149 1517 Athanasianisches Bekenntnis ca 500 n Chr

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Christus ist ein einzigartiger uumlbernatuumlrlich gezeugter Mensch der von Gott ge-salbt und ermaumlchtigt wurde als Gottes Vertreter das rettende Werk zu vollenden Jesus war der Mensch den Gott von den Toten auferstehen lieszlig und den er zur Quelle der Erloumlsung fuumlr alle gemacht hat die ihm gehorchen Der Gott der juumldi-schen Schriften ist daher nicht ein seltsames tri-persoumlnliches Wesen der post-apostolischen trinitarischen Theologie Gott ist die monolithische Identitaumlt einer Person beschrieben in den Glaubensbekenntnissen unitarischer Christen und Ju-den die Entitaumlt die Jesus ausschlieszliglich als seinen eigenen Gott und Vater iden-tifizierte Der heilige Geist ist ebenfalls keine selbstaumlndige dritte Person in der Gottheit der bdquoDritte im Bunderdquo Er ist die Kraft und der persoumlnliche geis-tiggeistliche Einfluss des Vaters Nach der Verherrlichung ist der Geist auch die Kraft und der Einfluss Christi Die neutestamentliche Sprache die sich auf diese Informationen bezieht ist eine Sprache die das spaumltere orthodoxe Christentum waumlhrend Jahrhunderten als Hinweis auf trinitarische Prinzipien umfunktioniert hat Diese Sprache reflektiert zwar tief juumldische Traditionen die im Alten Testa-ment und in der juumldischen Literatur der Aumlra des Zweiten Tempels zu finden sind Die Meinungen der neutestamentlichen Autoren wurden jedoch durch die syste-matischen Interpretationen der antiken Philosophen in grober Weise missver-standen oder anderweitig missbraucht Ihre kuumlhnen wenn auch heute kaum ver-standenen oder aufoktroyierten Schlussfolgerungen sind heute noch in den meis-ten christlichen Kreisen in den Textbuumlchern zu finden Aber wenn all diese Dinge wie in diesem vorliegenden Buch so leicht demontriert werden koumlnnen aus welchem Grund muumlssten wir uns weiterhin mit den abstrusen Systemen der sogenannt christlichen Dogmatik herumschlagen Letztendlich sehen wir uns veranlasst mit Professor Kaiser uumlbereinzustimmen dass bdquodie Lehre der Kirche von der Dreifaltigkeit etwa am weitesten vom Denken Jesu und von der Autoren des Neuen Testaments entfernt zu sein scheintrdquo Wir sind ferner gezwungen uns zu fragen bdquoob es uumlberhaupt hilfreich ist auf ein solches Dogma zu verweisen um die Theologie des Neuen Testaments zu erfassenrdquo1518 In Wirklichkeit stellt das Neue Testament kein Chalcedonisches bdquoGeheimnisrdquo dar sondern eine menschliche Christologie die vor dem Hintergrund des juumldischen Monotheismus steht und durch das Objektiv des Hebraumlischen Gesetzes der Handlungsvollmacht projiziert wird Wir sind dann nicht gezwungen das mysterioumlse Trinitaumltsdogma wie es das Athanasianische Credo beinhaltet zu akzeptieren Wir haben eine klare Wahl

Unsere Kritik an der Trinitaumltslehre ist zugegebenermaszligen aufwendig und an-spruchsvoll Sie findet ihre Motivation nicht in der Angst vor einem nur schwer verstaumlndlichen theologischen Rahmen Die von der Orthodoxie vorgeschlagenen

1518 Christopher B Kaiser The Doctrine of God (Eugene Wipf amp Stock 2001) p 27 (Die Doktrin von

Gott)

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Formulierungen der christlichen Bekenntnisse ob sie nun von den Heiden geerbt wurden oder nicht stellen uumlberhaupt keine verstaumlndlichen Ideen dar Im Lichte unserer Abhandlung fragen wir uns nur ob der moderne Christ und die Christin sich bewegen lassen werden sich aus ihrer gegenwaumlrtigen geistlichen Zwangsja-cke zu befreien Werden sie das unverfaumllschte Zeugnis des historischen Jesus Christus uumlber Gott seinen Vater als die unverfaumllschte und notwendige Lehre schaumltzen oder werden sie die aus der Antike stammende Verwirrung mit pseudo-biblischem Anstrich weiterhin als wesentlichen Begleiter der christlichen Bot-schaft halten

Wie bereits gesagt wurde gleicht die Theologie einer Festung Kein Riss in der Mauer einer Festung darf als klein oder zu unbedeutend angesehen werden1519 Der treue Anhaumlnger kann sein Bestes tun um die Schwaumlchen des Dogmas zu uumlbertuumlnchen um seine bdquoLoumlcherrdquo mit peinlichen Argumenten zu fuumlllen die mehr Streitereien um Worte als dauerhafte Loumlsungen hervorrufen Aber letztendlich sollte bdquoneuer Wein nicht in alte Schlaumlucherdquo gefuumlllt werden Ein aufwendiger Ab-bruch der Festung und ein kostspieliger Wiederaufbau sind manchmal noumltig und angebracht Wie W R Inge einmal sagte ist die platonische Philosophie integra-ler Teil der bdquovitalen Strukturrdquo der christlichen Theologie geworden Es wird un-moumlglich sein den Platonismus aus dem Christentum zu verbannen ohne die ge-samte Religion in Stuumlcke zu reiszligen1520 Doch die Dekonstruktion des geliebten Dogmas muss nicht ganz so schmerzhaft sein wie es klingt Uns bleibt der Spiel-raum der Reflexion eine Moumlglichkeit das Beste aus dem christlichen Glauben zu retten und die Dinge zu erhellen die allen Menschen helfen mehr wie Jesus Christus zu sein und die nutzlosen verwirrenden unbiblischen und schaumldlichen Dinge zu verwerfen die ihn und seine Lehre behindern Unabhaumlngig vom sozia-len Wert muss alles was erschuumlttert werden kann erschuumlttert werden Was dann von der landlaumlufigen christlichen Lehre noch uumlbrig bleibt wird nicht weniger als die Wahrheit sein die Gott selbst vorgegeben hat Daruumlber hinaus gibt es keinen groumlszligeren Schatz Wie ein Dichter meinte

Es ist ein Vergnuumlgen am Ufer zu stehen und Schiffe zu sehen die auf das Meer hinausfahren ein Genuss am Fenster einer Burg zu stehen und eine Schlacht und deren Kampfverlauf da unten zu se-hen Aber kein Vergnuumlgen ist vergleichbar mit der Beobachtung vom Aussichtsturm der Wahrheit aus und dem Anblick der Irrun-gen und Wirrungen im Sturm oder im Nebel des Tals darunter1521

1519 Arthur Miller The Crucible 1953 (Der Schmelztiegel die Feuerprobe) 1520 W R Inge The Philosophy of Plotinus (London Longmans 1918) p 12 14 (Die Philosophie des

Plotinus) 1521 Sir Francis Bacon Essays Of Truth 1625

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Doch die Menschen haben im Laufe ihrer Geschichte nichts so sehr geschaumltzt wie die Behaglichkeit des ihnen Vertrauten Wenn Wahrheit und Brauchtum kol-lidieren erweist sich der Brauch fast immer als staumlrker Tradition hat in allen Al-tersgruppen und uumlber alle Grenzen hinweg viele Anhaumlnger die ihr Gewicht ver-leihen Institutionen geben der Uumlberlieferung die Kraft den Vormarsch von neuen und unpopulaumlren Fakten zu stoppen Aber wie viel mehr Wasser von Gott muss durch die vielen Risse im Staudamm des offiziellen Dogmas sickern bevor er bricht Wie groszlig muss die wachsende Flut der Beweise noch werden Egal welche Wichtigkeit dieser Damm auch haben mag ungeachtet der vielen Jahr-hunderte seiner Konstruktion oder wie sehr er auch bewundert wird wenn seine Basis fehlerhaft konstruiert ist wird der Deich den Strom der Wahrheit nicht aufhalten koumlnnen

Letzten Endes sind es die Menschen die sich am meisten um solche Dinge kuumlm-mern muumlssen Es braucht eine direkte Konfrontation versehen mit den Bewei-sen die der Gott von Jesus selber liefern wird

Wie Christus selbst verspricht

Doch es kommt die Zeit ndash ja sie ist schon da ndash in der die Menschen den Vater uumlberall anbeten werden weil sie von sei-nem Geist und seiner Wahrheit erfuumlllt sind Von solchen Men-schen will der Vater angebetet werden Denn Gott ist Geist Und wer Gott anbeten will muss von seinem Geist erfuumlllt sein und in seiner Wahrheit leben

(Johannes 423-24)

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WeitereInformationen

Online

Restoration Fellowship httpwwwrestorationfellowshiporg

Christian Monotheism

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OtherPublicationsofRestorationFellowship

The Amazing Aims and Claims of Jesus (2006) The Coming Kingdom of the Messiah (2002)

Jesus Was Not a Trinitarian (2007) The Law the Sabbath and New Testament Christianity (2005)

The One God the Father One Man Messiah Translation (2015) Our Fathers Who Arenrsquot in Heaven (1999) They Never Told Me This in Church (2010) What Happens When We Die (booklet)

Who is Jesus (booklet) Focus on the Kingdom (free monthly magazine)

Restoration Fellowship wwwrestorationfellowshiporg

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Page 2: DER GOTT VON JESUS · 2020. 9. 23. · – Franz Julius Delitzsch (1813-1890) Mein aufrichtiger Dank gilt meiner Frau Lauren für ihre Liebe und Geduld während meiner vielen späten

Originaltitel THE GOD OF JESUS IN LIGHT OF CHRISTIAN DOGMA - The Recovery of New Testament Teology -

Copyright copy 2016 2020 by Kegan A Chandler Published by Restoration Fellowship German Edition translated by Andreas C Fischer Restoration Fellowship httpwwwrestorationfellowshiporg McDonough Georgia Most Scripture quotations taken from the New American Standard Biblereg Copyright copy 1960 1962 1963 1968 1971 1972 1973 1975 1977 1995 by The Lockman Foundation Used by permission (wwwLockmanorg) Most concordance references taken from Strongrsquos Exhaustive Concordance New American Standard Bible Updated ed La Habra Lockman Foundation 1995 Retrieved from httpwwwblueletterbibleorg Cover Design by Lauren M Chandler The cover displays a detail of the 13th century Christ Pantocrator icon from the Serbian monastery on Mount Athos in Greece It is set against the Great Isaiah Scroll from the Dead Sea Scrolls collection located at the Shrine of the Book in Jerusalem All rights reserved First Published 2016 Printed in the United States of America ISBN 10 0-9673249-3-9 ISBN 13 978-0-9673249-3-7

Deutsche Ausgabe September 2020

Uumlbersetzung Andreas C Fischer BA

Das vorliegende Buch ist nicht

fuumlr den offiziellen Verkauf bestimmt

Es kann zum Selbstkostenpreis bezogen werden bei

wwwmonotheismusch wwwtrinitaetcom

Fuumlr meine Soumlhne meine kleinen Lehrer

bdquoGott ist der Gott der Wahrheit Die Liebe zur Wahrheit die Unter-werfung unter die Kraft der Wahrheit die Aufgabe traditioneller An-sichten die der Pruumlfung der Wahrheit nicht standhalten ist eine heilige Pflicht ein Element der Gottesfurchtrdquo

ndash Franz Julius Delitzsch (1813-1890)

Mein aufrichtiger Dank gilt meiner Frau Lauren fuumlr ihre Liebe und Geduld waumlhrend meiner vielen spaumlten Stunden an Michael und Hildy meine ergebenen Eltern fuumlr ihre dauerhafte Un-terstuumltzung und Anleitung an Sarah fuumlr ihre unschaumltzbare Hilfe beim Durchstoumlbern des Ma-nuskripts Carlos Barbara Jesse Pierre Shaun Tony Talitha Randy Ric Menashe Nathan und vielen anderen fuumlr ihre Ermutigung und Partnerschaft in der Arbeit des Glaubens Ein besonderer Dank gilt auch Sir Anthony Buzzard fuumlr seine persoumlnliche Anleitung und sein Engagement fuumlr das Evangelium ohne das dieses Buch moumlglicherweise niemals entstanden waumlre

Inhaltsverzeichnis Vorwort - 1 -

Vorwort des Uumlbersetzers - 4 - Einfuumlhrung - 7 -

Jesus aus der Kirche geworfen - 10 - Das bdquoAlterdquo muss raus - 17 - Unsere Voraussetzung - 20 - Ein Aufruf zur Einigkeit um Jesus - 23 -

TEIL I - 26 -

Die Dunkelheit - 26 - Die unvollendete Reformation - 27 -

Die christliche Trinitaumlt - 29 - Orthodoxie und Protestantismus - 32 - Die Protestantische Beweissicherung - 37 - Die dunkle Seite der Reformation - 41 - Eine Lehre der fruumlhen Kirche - 46 - Die Autoritaumlt der Tradition - 56 - Eine Warnung - 59 -

Die Wurzeln des Baumes - 62 - Jenseits von Afrika - 65 - Der Same der Seele - 67 - Die persoumlnliche Seele und die Inkarnation Aumlgyptens - 69 - Der Weise von Athen - 72 - Der Demiurg und der Logos - 75 - Weitere platonische Entwicklungen - 78 - Judaismus und Plato - 80 - Der Jude Philon und der Logos-Engel - 82 - Justin der Maumlrtyrer und der Aufstieg des platonischen Christentums - 88 -

Ein anderer Jesus - 95 - Der kosmische Jesus - 97 - Doketismus und der orthodoxe Jesus - 103 - Johannes gegen Kerinthus - 106 -

Der valentinische Christus - 107 - Das gnostische Kreuz und die zwei Personen - 112 - Der gnostische sbquoWesensgleichesbquo (homoousios) - 117 - Die Gnosis uumlbersetzen - 122 - Die gnostischen Hypostasen - 133 -

Kampf und Entwicklung - 142 - Der Uumlbergang zur heidnischen Philosophie - 142 -

Die fruumlhen Judenchristen - 144 - Waren die Kirchenvaumlter des 2 und 3 Jahrhunderts Trinitarier - 152 - Subordinationismus - 153 - Der Subordinationismus kollidiert mit dem Sabellianismus - 157 - Justinus der Maumlrtyrer ein uumlberzeugter Trinitarier - 162 - Irenaumlus von Lyon - 168 - Origenes Adamantius - 171 - Tertullian von Karthago - 175 - Ignatius und das allgemeine Problem der patristischen Faumllschung - 178 - Am Ende des dritten Jahrhunderts - 181 -

Nicaumla und die Daumlmmerung - 183 - Das Christentum des fruumlhen vierten Jahrhunderts - 184 - Alexandrinische proto-orthodoxe Christenheit - 186 - Alexander Athanasius und der Nicaumlnische Jesus - 195 - Weichenstellung fuumlr Nicaumla - 199 - Des Kaisers neue Kleider - 202 - Ein nachtraumlglicher Blick auf Nicaumla - 205 - Die Politik des Glaubens - 212 - Die Nicaumlnische Haumlresie - 221 -

Credo und Chaos - 224 - Nicaumla wird umgestoszligen - 225 - Die Subordination im Reich - 229 - Der Glaube der juumldischen Christen haumllt an - 231 - Der Aufstieg des Orthodoxen Trinitarismus - 238 - Mit Theodosius wendet sich das Blatt - 245 - Durch das Mysterium gefesselt - 251 -

Der unloumlsbare Trinitarische Jesus - 254 - Konsequenzen des Dogmas - 274 -

Konsequenzen fuumlr die Worte Jesu Christi - 276 - Konsequenzen fuumlr die Vernunft - 279 - Konsequenzen fuumlr den Judaismus und den Gott des Judentums - 293 - Die Christenheit heute - 301 -

TEIL II - 305 -

Die Wiederherstellung - 305 - Der Schoumlpfer aus juumldischer Sicht - 306 -

Die Bedeutung des Judentums - 306 - Die Sprache des Biblischen Gottes - 311 - bdquoEinerrdquo oder bdquoMehr als Einerrdquo - 317 - Lasst uns Menschen machen - 324 - War Jesus der Schoumlpfer in der Genesis-Geschichte - 329 - Jesus und das kuumlnftige Zeitalter - 332 -

Gott und sein Messias - 341 - Der Vater von Jesus der Gott der Juden - 342 - Der Messias der Gefaumlhrte des einen Gottes - 345 - Der Mensch der Mittler - 354 - Meshiach ben Joseph wie ist Christi Unterordnung und seine Rolle zu verstehen - 360 - Die neutestamentliche Adam-Christologie - 366 - Der leidende Adam - 368 - Hat der Messias uumlber einen Dreieinigen Gott gelehrt - 379 -

Vor Grundlegung der Welt - 383 - Platonische Prauml-Existenz gegen klassische Juumldische Prauml-Existenz - 384 - Problem Der Geist Christi - 386 - Problem Die Inkarnation des Gottes-Foumltus - 391 - Problem Ewig gezeugt oder geboren von Maria - 400 -

Biblische Prauml-Existenz - 413 - Judaismus versus mystisch-hellenistischen Judaismus - 415 - Die Alternative Klassische juumldische Prauml-Ezistenz in Gottes Plan - 418 -

Prauml-Existenz im Judentum und Christus im Neuen Testament - 424 - Vom bdquoHimmel gekommenrdquo - 429 - Bedeutet bdquovon Gott gesandtrdquo woumlrtlich eine Prauml-Existenz - 432 - Vor Abraham - 436 - Die bdquoIch binrdquo - Aussagen - 439 -

Der Sohn Gottes - 445 - bdquoSohn Gottesrdquo oder bdquoGott der Sohnrdquo - 448 - Jesus als bdquoGottrdquo - 457 - In Jesus Gott bdquosehenldquo - 462 - Christus der Herr - 465 - Ein Gott und ein Herr - 475 - bdquoGoumlttliche Identitaumltrdquo - 479 -

Die bdquoAnbetungrdquo des Herrn - 493 - Anbetung nach dem biblischen Weltbild - 494 - Uumlbersetzungen welche die Anbetung der Gottheit durchsetzen - 497 - Die bdquoErhoumlhungrdquo im Judaismus in der Aumlra des Zweiten Tempels - 503 - Ist die bdquoAnbetungrdquo Jesu Idolatrie - 506 - Ehre und Herrlichkeit - 514 -

Am Anfang war das Wort - 519 - Moumlglicher Einfluss - 522 - Der hebraumlische Logos des Johannes - 525 - bdquoAm Anfang war das Wort rdquo - 533 - Gottes Wort wird schlieszliglich zur Person - 541 - Alternative Uumlbersetzungen - 544 -

Christus und der Geist Gottes - 548 - Eingestaumlndnis der mangelnden biblischen Unterstuumltzung - 550 - Die vernachlaumlssigte Dritte Person - 551 - Der biblische Gebrauch des Wortes bdquoGeistrdquo - 555 - Der Geist als Atem als Leben oder als Geisteshaltung - 555 - Der Geist als Kraft und als Einflussnahme - 557 - Der Geist als das Denken Gottes - 558 - Der Geist als das Denken Christi - 559 - Der Geist als Geschenk Gottes - 559 -

Die Verwirrung um den Geist - 560 - Personifizierung des Geistes - 561 - Der erhoumlhte Jesus Der mit dem Geist tauft - 563 - Verwirrung in der Bibel stiften - 567 -

Die Entflechtung - 570 -

Anhang - 576 -

Literaturverzeichnis - 576 - Weitere Informationen - 587 -

Einfuumlhrung

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Vorwort

ies ist kein Buch fuumlr Leute mit schwachen Nerven Auch eignet es sich nicht fuumlr die welche sich mit dem Status quo zufriedengeben Es ist eine Herausforderung und zwar eine radikale gegenuumlber dem bdquowas wir schon immer geglaubt habenrdquo Da die christliche Definition von

Gott so massiv und so lange schon als garantiert und als unverhandelbar gefoumlr-dert wurde scheint es als Tabu zu gelten sie zum Thema einer Untersuchung zu machen Viele beweinen den erbaumlrmlichen Zustand der Kirche Aber die wenigs-ten scheinen den Mut zu haben die Kernfrage nach der Moumlglichkeit zu stellen ob mit der Quelle unserer Glaubensbekenntnisse etwas grundlegend falsch sein koumlnnte Der sehr einsichtige leider mittlerweile verstorbene F F Bruce schrieb mir vor vielen Jahren diese weisen Worte bdquoEvangelikale Protestanten koumlnnen ebenso sehr Sklaven der Tradition sein wie roumlmisch-katholische oder griechisch-orthodoxe Christen nur ist ihnen nicht bewusst dass es sich genauso um sbquoTradi-tionrsquo handelt Leute welche dem Grundsatz sola scriptura glauben folgen in Tat und Wahrheit der traditionellen Lehre der Sola-Scriptura-Schule (1361981)rdquo Mit genau dieser Tradition setzt sich Kegan A Chandler in seinem Buch auseinander

Wichtig ist zu betonen dass Chandler kein Erneuerer ist Des Autors umfassende Forschung in der Geschichte der Christenheit wie auch in der Bibel zeigt uns dass er bei seiner Suche nach der befreienden Wahrheit nichts unversucht gelas-sen hat Dabei hat er entdeckt dass es andere Definitionsmoumlglichkeiten fuumlr den Messias und seine Beziehung zu Gott gibt die altbekannten Grundsaumltze der bdquoOr-thodoxierdquo jedoch muumlssen von den Fragenden herausgefordert werden Auf fried-fertige Weise und ohne Streit zu suchen deckt Kegan die Quellen auf aus denen die uns vertrauten und lieb gewonnenen Glaubengrundsaumltze stammen Er laumlsst das Unbehagen verschwinden welches unweigerlich entsteht wenn der geneigte Leser oder die Leserin schockierende - jedoch unwiderlegbare - Fakten uumlber den Glauben an Gott den Gott von Jesus und den Gott der Bibel zur Kenntnis neh-men muumlssen Wenige Kirchengaumlnger die woumlchentlich in die Kirche gehen haben je ernsthaft die Kirchengeschichte studiert um herauszufinden ob die ihnen ver-trauten Ideen eine solide biblische Grundlage haben Wer ist Gott Es wird oft

D

Einfuumlhrung

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lautstark verkuumlndet dass wer diesen bdquoGlaubenrdquo nicht hat nicht gerettet werden kann

Kegan ist tief in das uumlberaus wichtige Thema eingedrungen Die groszligen zentralen Grundlagen unseres Glaubens - wie wir das Universum definieren den Sinn den wir dem Leben gemaumlszlig Gottes grossem in Jesus offenbartem Plan zuschreiben - dies alles sind Themen die Chandler mit eindruumlcklicher Intensitaumlt und groszliger Uumlberzeugung anpackt Nochmals er hat nichts Neues erfunden Er ist zweifels-ohne sehr belesen und hat sich weitherum erkundigt Seine Suche fuumlhrte ihn zu der Entdeckung was man als bdquoVerschwoumlrung des Schweigensrdquo bezeichnen moumlchte Dinge welche die bibellesende Gemeinschaft in arge Verlegenheit brin-gen koumlnnten werden einfach verschwiegen Doch es gibt beweisbare Fakten uumlber die Entwicklung der (kirchlichen) Doktrinen in nachbiblischen Zeiten Diese las-sen erkennen dass sie oft nicht mehr mit Jesu ausdruumlcklicher Definition uumlberein-stimmen Fuumlr ihn ist Gott der Gott des juumldischen Glaubens der Gott Israels Ihm zu dienen bezeichnete Jesus als das bdquogroumlszligte das vornehmste Gebotrdquo aber wer houmlrt schon hin obwohl es klar heiszligt bdquoHoumlrerdquo (Shema)

Kegan widmet die erste Haumllfte seines Werkes den historischen Zusammenhaumlngen und den zweiten Teil der Auslegung (Exegese) der biblischen Texte Er fuumlhrt uns durch vier Jahrhunderte wilder nach-biblischer Streitigkeiten daruumlber wer Gott ist und wer Jesus war Die erbitterten Zwistigkeiten und internen Querelen wur-den erst durch Entscheidungen der Kirchenkonzilien beendet die mittels Edik-ten der roumlmischen Kaiser unter Androhung der Todesstrafe durchgesetzt wur-den Aber hat Jesus an den Gott geglaubt den er vermeintlich definierte Sollten die Fakten zeigen dass er es nicht tat dann leiden wir die wir vorgeben ihm zu folgen unbewusst unter dem Makel der Unehrlichkeit der Luumlge Denn kann man wirklich Dinge uumlber Gott und den Sohn Gottes glauben die Jesus nicht glaubte und dies alles bdquoin seinem Namenrdquo

Es gibt kein aktuelleres Thema als dasjenige welches unser Autor anschneidet Eine Milliarde Muslime und eine Milliarde Christen zusammen mit Millionen von glaumlubigen Juden sind von der Frage bdquoWer ist Gottrdquo betroffen Diese Frage der Definition Gottes genuumlgt um unuumlberbruumlckbare Barrieren zwischen den gro-szligen religioumlsen Bloumlcken aufzubauen ganz zu schweigen von der tragischen Zer-splitterung der Denominationen die alle unter dem Sammelbegriff bdquoChristen-heitrdquo einherkommen Paulus sagt bdquoIch wuumlnsche aber dass ihr alle einmuumltig redet und nicht Spaltungen unter euch seien sondern dass ihr in demselben Sinn und in derselben Meinung voumlllig zusammengefuumlgt seietrdquo Dieses Buch zeigt die er-schreckende Moumlglichkeit auf dass diejenigen welche die Bibel als Quelle ihrer Inspiration bezeichnen in Tat und Wahrheit zwischen sich und anderen eine fast unuumlberwindbare Schranke aufgebaut haben Diese ist voumlllig unnoumltig wenn es da-rum geht mit dem Einen Gott eine Beziehung einzugehen Unser Autor stellt die

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grundlegende Frage in welchem Maszlige bekennende Christen in dieser Hinsicht Jesus wirklich nachfolgen

Kegan Chandler schreibt auf einem fuumlr Gelehrte wie fuumlr Laien gleichermassen packenden Niveau Er laumldt auf eine Entdeckungsreise ein die unsere Wahrneh-mung des Universums revolutionieren koumlnnte Er plaumldiert dafuumlr die Heilige Schrift mit groumlszligerer Ehrlichkeit lesen Die Bibel koumlnnte uns helfen die uns laumlh-menden und oft unverstaumlndlichen Dogmen abzuwerfen welche uns die Zeit und die Uumlberlieferung bescherten und die wir unbedacht als Wahrheit aufgenommen und verehrt haben

Sir Anthony F Buzzard MA (Oxon) MA Th Hon PhD

Einfuumlhrung

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VorwortdesUumlbersetzersbdquoSelten habe ich ein Buch gelesen das so genau und eloquent die Vergangenheit vergegenwaumlrtigtldquo schrieb ich im Mai 2019 dem Verfasser des amerikanischen Textbuchs THE GOD OF JESUS Schon waumlhrend meiner ersten Lektuumlre des umfangreichen und intellektuell anspruchsvollen Werkes spielte sich in meinem Kopf eine Art Frage-und-Antwort-Dialog ab bdquoWie wuumlrde ich diesen Satz auf Deutsch uumlbersetzenldquo Kegan A Chandlers Buch ist 2016 erschienen Ein Freund hat vor kurzem mir fast beilaumlufig ein Exemplar geliehen In der Tat gibt es wenige Buuml-cher die mich derart fasziniert haben wie dieses und ich verspuumlrte einen starken Wunsch es einem an geistlichen Dingen interessierten Publikum in Europa in deutscher Sprache zugaumlnglich zu machen Da ich in England Theologie und an der Philosophischen Fakultaumlt der Universitaumlt Zuumlrich studiert hatte und Englisch und Deutsch zu meinen Hauptsprachen gehoumlren bot ich dem Autor und dem Herausgeber von THE GOD OF JESUS meine Dienste an bdquoJedes Talent ist dem Menschen von Gott gegeben benuumltzen muss er es selberrdquo lautet ein Sprich-wort Bietet sich eine Gelegenheit ein Talent umzusetzen liegt es an uns den ersten Schritt zu machen

Mir war klar dass ein Werk von uumlber 500 Seiten und mit mehr als 1500 (kleinge-druckten) Fussnoten eine gigantische Anstrengung sein wuumlrden und rechnete mit einem Zeitaufwand von etwa 1200 Stunden Die Uumlbersetzungsarbeit lief mir von Anfang an mit einer erstaunlichen Leichtigkeit bdquovon der Federldquo obwohl ich na-tuumlrlich jedes einzelne der uumlber 200rsquo000 Woumlrter in den Computer tippen musste Ich war dankbar dass Kegan A Chandler mir das gesamte Werk auf Englisch in einem pdf-Format zugesandt hatte Dies erleichterte das Lesen des Textes und das Studium der Zusammenhaumlnge enorm und sparte Zeit Bei Unklarheiten und Fragen half mir der Autor und lieferte mir jeweils uumlber Nacht die Antworten und wichtige Erklaumlrungen die ich mit seiner Zustimmung im Text einbauen konnte

Schon die Uumlbersetzung des Titels war nicht einfach DER GOTT JESU oder (mit dem Genitiv) JESU GOTT klang mehrdeutig und nicht richtig und HAT JESUS EINEN GOTT vom hinteren Buchdeckel ist irgendwie schwerfaumlllig DER GOTT VON JESUS als Titel ist exakt und wird das Werk im Internet sehr weit vorne platzieren Die am Thema Gott ndash Trinitaumlt ndash Jesus Christus Interessierten werden unmittelbar zu diesem Textbuch geleitet Die fuumlnfzehn Kapitel sind his-torisch und theologisch in chronologischer Sequenz aufgebaut die Zusammen-haumlnge sind fuumlr Studenten der Geisteswissenschaften wie auch fuumlr alle anderen dank der umfangreichen Bibliografie nachpruumlfbar aufgefuumlhrt sodass uns prak-tisch ein Nachschlagewerk vorliegt Zitierte Bibelverse lassen sich dank einem Schriftstellen-Index mit Seitenangaben leicht wiederfinden

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Im Prinzip forscht der Kegan A Chandler in laumlngst vergangenen Zeiten und Voumll-kern die wir nicht mehr kennen Er versucht die Sprache(n) die Geschichte und die Kultur der Vergangenheit zu verstehen um herauszufinden weshalb wir mo-dernen Menschen Dinge der Antike glauben meist ohne sie zu hinterfragen Beim Uumlbersetzen eines philosophischen Buches muumlssen nicht nur die linguisti-schen sondern auch gesellschaftliche kulturelle und wissenschaftliche Belange beruumlcksichtigt werden Unterschiedliche Ideologien und selbst politische Per-spektiven koumlnnen bei der Wahrheitsfindung eine Rolle spielen weshalb manch-mal der Original-Text nicht bdquoeins-zu-einsldquo in die Zielsprache transkribiert werden kann Die letzten zehn oder zwanzig Jahre haben der Wissenschaft viele neue Erkenntnisse gebracht Chandlers Buch beruumlcksichtigt den neuesten Stand der Forschung

Englisch wie Deutsch sind seit der bdquoReformationldquo mehrere Dutzend Bibeluumlber-setzungen entstanden in vielen Versionen spielt sogar der Jahrgang der Ausgabe eine Rolle ob eine gewisse Lehre (wie die der Dreifaltigkeit) tendenzioumls kommu-niziert wird Es war eine echte Herausforderung die vom Autor gefuumlhrte bibli-sche Argumentation zum Thema der Trinitaumlt sinngemaumlss mithilfe der gaumlngigen deutschen Bibeluumlbersetzungen in unserer Sprache zu fuumlhren sagen doch die ame-rikanischenenglischen Bibeln nicht immer genau das Gleiche aus wie die deut-schen Nicht nur die Sprache selbst sondern auch Wortbedeutungen aumlndern sich im Verlaufe der Zeit So ist es in einem solchen Werk unumgaumlnglich den hebrauml-ischen und den griechischen Urtext zu konsultieren Zu unserem Vorteil sind diese Werkzeuge heute uumlbers Internet verfuumlgbar Auch das ist ein Segen Gottes

Um zusaumltzliche Erklaumlrungen - wo sie noumltig erschienen - im deutschen Text zu markieren habe ich eckige Klammern [hellip] gesetzt Zum besseren Verstaumlndnis habe in ein paar wenigen Faumlllen eine Bemerkung in runden Klammern (hellip) zu-gefuumlgt diese aber mit dem Kuumlrzel bdquoAnm d Uumlldquo (Anmerkung des Uumlbersetzers) versehen Dort wo ein englischer Paragraph aus sehr langen Saumltzen bestand und moumlglicherweise missverstanden werden konnte habe ich die Aussagen des Au-tors in einzelne kuumlrzere Saumltze aufgeteilt sorgfaumlltig darauf achtend den Sinn und Geist nicht zu veraumlndern

Das Sprachentalent und die Freude am Uumlbersetzen die Schulung in der theolo-gischen Materie die Bibelkenntnis den Glauben an den Einen Gott sowie an Seinen Sohn der Jude Jeshua haMaschiach der in der Koineacute spaumlter Jesus Chris-tus der Gesalbte genannt wurde all das habe ich von Gott unserem himmlischen Vater empfangen und bin Ihm unendlich dankbar dafuumlr Ich will mit dieser Arbeit dem interessierten Leser und der geneigten Leserin einen Dienst der christlichen Liebe leisten Gott hat das Wollen gewirkt und Er wirkt auch das Vollbringen Die Ehre gebuumlhrt unserem grossen Gott allein

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Ich wuumlnsche Ihnen viel Freude und Segen bei der faszinierenden Lektuumlre dieses auszligerordentlichen Buches

Andreas C Fischer BA

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bdquoFolge mirrdquo ndash Jesus von Nazareth

Johannes 143 1027 1226 1336 2119+22 Lukas 527 959 Markus 214 Matthaumlus 419 822 99

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OR UumlBER ZWEITAUSEND JAHREN wanderte ein junger Rabbiner durch die Gegenden von Galilaumla Sein Geburtsort und der Ort wo er aufwuchs sowie der Aktionskreis seiner Mission sind in der Archaumlologie

wohlbekannt Seine Taten sind ebenfalls geschichtlich gut dokumentiert aufge-zeichnet durch eine Reihe unterschiedlicher Augenzeugen und Forscher Sie wur-den durch die Jahrhunderte mit unvergleichlicher Ehrfurcht uumlberliefert Der Ein-fluss von Jesus Christus auf die Weltkultur ist heute immer noch spuumlrbar Wir schreiben nicht einmal unser aktuelles Datum ohne auf sein Geburtsjahr Bezug zu nehmen Auch reist man kaum durch ein westliches Land ohne auf Gebaumlude zu stossen die ihm gewidmet sind Nach zwei Jahrtausenden erhalten Kinder stets noch Namen die seine Juumlnger trugen werden Festtage zu seinen Ehren be-gangen und ein groszliger Teil der Bevoumllkerung unseres Planeten gibt vor sich nach ihm zu orientieren und seinen Grundsaumltzen zu folgen Zweifelsohne ist Jesus von Nazareth die beruumlhmteste und einflussreichste Persoumlnlichkeit die je gelebt hat Sein Ruf ist unuumlbertroffen Doch ist es vorstellbar dass die eigentlichen Lehren dieses Mannes von damals bis in die heutige Welt weitgehend missverstanden worden sind Koumlnnte der weltweit am besten bekannte Mann auch gleichzeitig der unbekannteste sein

V

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Schon seit jeher waumlhrend Menschen bdquoPapier und Tinterdquo benutzten wurde ver-sucht was nicht einmal Gott gelingt Die Vergangenheit zu aumlndern Die uns be-kannte Geschichte besteht aus Aufzeichnungen einiger auserlesener Individuen die beschlossen etwas niederzuschreiben das ihnen wichtig erschien Es ist die grosse Aufgabe der Historiker neue Ansichten und Perspektiven der Vergangen-heit ans Licht zu bringen in einer Welt die durch Vorurteile und Verschleierun-gen dunkel geworden ist

Studenten der Menschheitsgeschichte werden immer wieder durch die muumlhselige Tatsache enttaumluscht dass es eine Gruppe von Uumlbeltaumltern gibt die es sich zur Aufgabe gemacht hat sogar die heiligsten und bedeutungsvollsten Dinge zu zer-trampeln Auf bdquoReligionrdquo nehmen sie keine Ruumlcksicht Der Beweis muumlsste erst noch erbracht werden dass ausgerechnet das Christentum dieses finstere Durch-einander der Menschheitsgeschichte irgendwie unbeschadet uumlberstanden hat Einwandfrei belegt werden kann die Tatsache dass man dem Jesus der Christen-heit weit und breit auf Schritt und Tritt begegnet Der Nachweis des geschicht-lichen dh historischen Jesus ist bedeutend schwieriger Durch den Anbruch des so genannten Informations-Zeitalters sind laumlngst verschuumlttet geglaubte ver-staubte Schatztruhen der Vergangenheit aufgedeckt worden Ermittlern die sich nicht scheuen die Haumlnde bdquoschmutzigrdquo zu machen erlauben diese Schaumltze durch das Zusammensetzen vieler Bruchstuumlcke das bdquochristliche Puzzlerdquo wieder zusam-menzufuumlgen Wenn man einmal den Entschluss gefasst hat und mit einer gehouml-rigen Portion Skepsis sowie einem Quaumlntchen Vorsehung ans Werk geht gelingt es vielleicht vielfach vernachlaumlssigte Informationen herauszufinden Sie betref-fen den Entwicklungsprozess der uns heilig gewordenen Traditionen Sie bieten einen neuen Blick auf das Urchristentum und auf seinen Gruumlnder Das Ergebnis ist eine unorthodoxe vielleicht nicht in allen Teilen der offiziellen Lehrmeinung entsprechende und eine nicht bdquoaufpolierterdquo Perspektive des Glaubens der Antike

Waumlhrend Jahrhunderten hielt die christliche Uumlberlieferung Jesus von Nazareth nicht unbedingt fuumlr einen Theologen Sie hielt ihn fuumlr das Thema einer Theologie an sich Unzaumlhlige Millionen von ernsthaft Glaumlubigen haben sich religioumlses Wis-sen uumlber Jesus angeeignet aber das religioumlse Wissen von Jesus selber weitgehend ausser Acht gelassen Sind die speziellen theologischen Ansichten von Jesus dem juumldischen Rabbiner des ersten Jahrhunderts unberuumlcksichtigt geblieben oder so-gar straumlflich missachtet worden Ein deutscher Philosoph kommentierte diese Tatsache mit mutigen Worten und stellte die Frage ob sich die breite Masse der Christenheit bdquonicht mit der Imitation Christi sondern mit der Imitation einer Imitation befasst mit Legenden uumlber Christus mit Mythen uumlber Christus mit

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christlichen Dogmen und mit der Idealisierung Christirdquo1 Der Anspruch des vor-liegenden Buches ist es schlicht und einfach diese Besorgnis aufzugreifen Ein Weg soll aufgezeigt werden nicht nur zuruumlck in die unbekannte Vergangenheit sondern auch zu spaumlter datierten christlichen Konventionen oder Abkommen zu finden Die Geschichtsforschung belegt dass die fruumlhchristliche Theologie of-fensichtlich durch solche bdquoKonventionenrdquo verdraumlngt und ersetzt wurde

Die Geschichte offenbart auch dass sich das Schachbrett der urchristlichen The-ologie mit seiner klar umrissenen biblischen Datenbasis schon fruumlh in der nach-biblischen Zeit zu einem Bereich mit eher schwammigen Grenzen verwandelte Heute fragen wir uns allen Ernstes wie und wo wir anfangen sollen diesen Gra-benbruch zwischen den Aussagen Jesu und den philosophischen Lehren der mo-dernen Christenheit zu uumlberbruumlcken Ein Gelehrter namens A E Harvey schrieb einmal uumlber Jesus und die bdquoEinschraumlnkungen der Geschichterdquo2 dass wie es scheint diese Grenzen durch die populaumlren metaphysischen Interpretationen sei-ner sogenannten Juumlnger stets gesprengt worden sind Je laumlnger und oumlfter solche Aus-sagen wiederholt und je weiter man sich vom historischen Jesus wegbewegt desto unheilvoller wird die Situation In der Tat die Anzahl ehrlicher Christen die sich durch einen zunehmend breiter werdenden Abstand zwischen Fakten und Glau-ben quasi abgeschnitten fuumlhlen steigt stetig an Was ist wenn diese historischen Fakten nun ploumltzlich wieder in den Vordergrund des christlichen Denkens ge-ruumlckt werden und so anfangen eine echte Glaubensgrundlage zu bilden Die ge-schichtlichen Tatsachen sind dann nicht mehr nur eine simple Herausforderung einer Doktrin an die Geistlichen Man entdeckt dadurch die zentrale Frage wel-cher die Christologie heute gegenuumlbersteht Ist der geschichtliche Mann Jesus wirklich Gott zu dem ihn das christliche Dogma erklaumlrt und erhoben hat

Ziel dieses Buches ist es zum Kern der Frage vorzustoszligen Was bedeutet es ge-nau ein Christ oder eine Christin zu sein Die Antwort lautet Christus nachfol-gen Und was waumlre wenn sich herausstellte dass Jesus eine Theologie (die Lehre von Gott) vertrat die sich radikal von den Lehren unzaumlhliger Kirchen unterschei-det auch wenn sie seinen Namen tragen Weshalb erscheinen selbst die Worte Christi oft wirkungs- und belanglos Warum sind die wichtigsten Fragen mit Ta-bus belegt Wer war Jesus Wer ist Gott Ja genau Wie wuumlrde Jesus selber diese Fragen beantworten Kein Mensch der beschlieszligt Christus nachzufolgen kann es sich leisten die aufruumlttelnde unmissverstaumlndliche und brillante Meinung Jesu uumlber wer ist Gott in den Wind zu schlagen Diese Meinung Christi wird uns in der Bibel bei genauem Hinschauen klar vor Augen gefuumlhrt Hat sie etwa in einer

1 Peter Slotterdijk Kritik der Zynischen Vernunft II (Frankfurt Suhrkamp 1983) S 518 2 AE Harvey Jesus and the Constraints of History (London Duckworth 1982)

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Ecke des christlichen Denkens ein Schattendasein gefuumlhrt und ist dabei fast im Staub erstickt Sie wartet nur darauf erneut aufgegriffen zu werden

JesusausderKirchegeworfenMan kann nicht umhin sich zu fragen was Jesus selber von der heutigen Durch-schnitts-Christenheit hielte sollte er je in ein Gotteshaus irgendeiner der grossen Denominationen hereinspazieren und auf der Kirchenbank Platz nehmen Waumlre er mit dem was gepredigt wird wohl einverstanden Wuumlrde sich seine Sicht der Dinge mit dem was gesagt wird decken Wir setzen voraus dass die Worte der Hymnen und Lieder die Ausdrucksweise der Predigten die theologischen Argu-mente der Glaubensbekenntnisse ihm vertraut vorkommen Sind es aber seine eigenen Worte ndash wo er doch schlieszliglich der Gruumlnder dieses Glaubens ist Zwei-felsohne wuumlrde jede der heute existierenden christlichen Denominationen (schaumlt-zungsweise uumlber 41rsquo000 an der Zahl)3 darauf beharren Christus in ihrer Ge-meinde willkommen zu heiszligen Doch wuumlrde er sich in ihrer Mitte wirklich so behaglich fuumlhlen wie sie es hoffen Es gibt sicher wenige Christen welche die Worte Jesu ausdruumlcklich ablehnen oder verbieten Noch weniger wahrscheinlich ist dass Christen in ihren Versammlungen dem Christus Hausverbot erteilen Die Kirchengeschichte ist jedoch in dieser Hinsicht voller Berichte - mehr denn an-dere Chroniken der Vergangenheit ndash der tragisch-bizarren Art Im Jahr 529 n Chr gab der bdquochristlicherdquo Kaiser Justinian eine Neufassung des roumlmischen Ge-setzes in Auftrag etwas das im Kaiserreich bis anhin noch nie vorgekommen war Gemaumlszlig spaumlterer juumldischer Aufzeichnungen verfuumlgte Justinian dass die bdquojuuml-dische Spracherdquo nicht mehr gebraucht werden durfte Es betraf im Besonderen das Hauptgebet bekannt als bdquoShemardquo Es durfte im gesamten Roumlmischen Reich nicht mehr rezitiert werden und wurde aus allen religioumlsen Anlaumlssen bdquovollstaumlndig verbanntrdquo4

3 Pew Research Center ldquoMethodology for Estimating Christian Movementsrdquo Appendix B in ldquoGlobal

Christianity A Report on the Size and Distribution of the Worldrsquos Christian Populationrdquo Pew Research Center Religion amp Public Life Project 19 Dezember 2011 (Pew = Kirchenbank))

4 Meir Holder History of the Jewish People From Yavneh to Pumbedisa (Die Geschichte des juumldischen Volkes von Jawne nach Pumbedita eine Stadt in Babylonien am Fluss Euphrat (New York Mesorah Publications 2004) p 254 See also Hyam Maccoby Antisemitism and Mo-dernity Innovation and Continuity (New York Routledge 2006) p 20 Die Berichte stuumltzen sich auf spaumltere juumldische Uumlberlieferungen das Gesetz ist nicht ausdruumlcklich im noch vorhan-denen Codex Justinian enthalten Ein roumlmischer Bann des Shema wird auch in anderen Zeit-abschnitten erwaumlhnt siehe Oppenheimer der aus der Periode Hadrians berichtet bdquoDie Rouml-mischen Behoumlrden haben nicht das Gebet generell verboten nur das Shema Es scheint dass dieser Bann ausgesprochen wurde da das Shema insbesondere die Einheit Gottes betonterdquo (Aharon Oppenheimer ldquoEthical and Halakhic Responsesrdquo Religious Responses to Political Crises in Jewish and Christian Tradition London TampT Clark 2008) p 116) Siehe auch Solomon Grayzel ldquoThe Jews and Roman Lawrdquo The Jewish Quarterly Review Vol 59 No

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Shema bedeutet hebraumlisch bdquoHoumlrerdquo oder bdquoHorcherdquo Die Aufforderung leitet das allgemein bekannte juumldische Glaubensbekenntnis ein bdquoHoumlre Israel Jahwe unser Gott Jahwe ist nur einerrdquo (5 Mose 64 Textbibel 1899) Es ist die Quintessenz des Judaismus Seit Urzeiten rezitieren Juden das Shema als Basis ihres Glaubens wouml-chentlich in ihren Synagogen Tradition ist dass jedes juumldische Kind dieses Be-kenntnis schon in fruumlher Jugend lernt und es sind die letzten Worte die beim Tod eines juumldischen Menschen gesprochen werden Auszliger Frage steht dass die-ses einfache Zeugnis uumlber Gott das juumldische Denken mehr beeinflusst hat als jede andere hebraumlische Schrift Wenn man den Berichten uumlber Justinians Bann trauen kann dann fragt man nach dem Grund weshalb ausgerechnet diese be-ruumlhmte biblische Aussage (aus der Hebraumlischen Bibel) in der christlichen Welt nicht mehr erwaumlhnt werden durfte In welche Auseinandersetzung war da die Christenheit wohl hineingeraten Immerhin gab sie vor aus dem Herz und der Seele der juumldischen Religion hervorgegangen zu sein Zumindest kann man sich fragen wieso der Bruch mit der Vergangenheit in den christlichen Kirchen heut-zutage fortbesteht und das Shema in ihren Gottesdiensten nicht zitiert wird Die radikale Fixation der Juden auf das Shema wirkte sich auf die besondere juumldische Mentalitaumlt aus die auch Jesus hatte dies verbindet uns mit den Fragen die uns beschaumlftigen

Das zwoumllfte Kapitel des Markus-Evangeliums gibt Zeugnis von einer fesselnden Diskussion zwischen einem Torahgelehrten und dem Rabbi Jesus Der neugierige Jude war offenbar von dem was er vom jungen Lehrer in der oumlffentlichen De-batte gehoumlrt hatte sehr angetan Es veranlasste ihn eine aumluszligerst wichtige Frage zu stellen deren Antwort ihm - wie er hoffte ndash helfen wuumlrde Jesu Theologie besser zu verstehen

bdquoUnd einer der Schriftgelehrten der gehoumlrt hatte wie sie miteinander strit-ten trat hinzu und da er wusste dass er ihnen gut geantwortet hatte fragte er ihn Welches Gebot ist das erste von allen Jesus antwortete ihm Das erste ist Houmlre Israel Der Herr unser Gott ist ein Herrrdquo (Markus 1228-29 Elberfelder)

Wie er das vernahm geriet der Jude beinahe in Ekstase Jesu Wiederholung des Shema als der wichtigsten aller heiligen Vorschriften Gottes war genau das was man von einem frommen und glaumlubigen Juden erwartete Vielleicht war dieser Jesus gar nicht so bdquogotteslaumlsterlichrdquo wie seine Ratskollegen immer behaupteten

2 (Okt 1968) p 103 no 33 hier lassen sich Spuren aumlhnlicher Berichte aus anderen Gegen-den des christlichen Kaiserreichs finden Man beachte Marmorstein in der Revue des Etudes Juives Vol 77 pp 166-176 welcher rabbinische Zitate aus dem vierten Jahrhundert er-waumlhnt die bezeugen dass das Shema in juumldischen Gottesdienst verboten war Die Juden mussten sich etwas einfallen lassen es (das Shema) in anderen Gebeten zu verbergen

Einfuumlhrung

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Zugegeben Jesus machte viele tiefgruumlndige und sogar mysterioumlse Aussagen doch hier bewegte sich Jesus offensichtlich in der juumldischen Hauptrichtung Der dar-uumlber gluumlckliche Jude uumlbernimmt den Kommentar dazu gleich selber und inter-pretiert Jesu Aussage persoumlnlich

bdquoUnd der Schriftgelehrte sprach zu ihm Recht Lehrer du hast nach der Wahrheit geredet denn er ist einer und es ist kein anderer auszliger ihmrdquo (Vers 32)

Viele Christen haben gelernt dass die Einheit Gottes die im Shema angesprochen wird eigentlich eine bdquozusammengesetzte Einheit mehrerer Personenrdquo sei naumlm-lich des Vaters des Sohnes und des Heiligen Geistes Dies entspricht der christ-lichen Dreieinigkeitslehre Trinitarier vertreten die Meinung die bdquoEinheitrdquo im Shema beziehe sich wirklich auf bdquoeine Substanzrdquo an welcher alle drei Personen der Dreifaltigkeit gleichermassen teilhaben Ihrer Ansicht nach bedeutet das Shema potenziell einer Versammlung von mehreren Personen5 Aber weist nicht gerade die Reaktion des juumldischen Schriftgelehrten und Jesu eigene Aussage da-rauf hin dass bdquounser Gottrdquo (dh der Gott von Jesus und der Gott der Juden) als bdquoein Herrrdquo bekannt ist (Vers 29) und folglich nicht aus zwei zusaumltzlichen Einhei-ten oder kollektiv aus drei Referenten bestehen kann6 Durch den natuumlrlichen Sprachgebrauch und der der Verwendung vieler persoumlnlicher Fuumlrwoumlrter in der Einzahl haben die Juden ihre Gottheit in den heiligen Schriften klar umschrie-ben offensichtlich da sie ihn als eine singulaumlre Persoumlnlichkeit sahen In der Tat bestaumltigt ein Professor der Oxford Universitaumlt bdquoFuumlr die Juden konnte das Wort Gott nur eine einzelne Person bedeutenrdquo7

5 Die dreieinigkeitsglaumlubige Christenheit hat argumentiert dass es sich beim Juumldischen Gott bdquonicht um eine

einzelne Einheit sondern um einen Einheitsverbundrdquo handelt (D Bloesch God the Almighty (Downers Grove IVP 1995) p 184) Es wurde auch vorgeschlagen dass die Wirklichkeit von Unterschieden in der Gottheit erst noch von den Juden verstanden werden muumlsse Die finale Offenlegung einer multi-persoumlnlichen Gottheit bdquosei in den Tagen Christi nicht ausdruumlcklich oder vorbehaltlos offenbart worden da die Juden anfaumlllig fuumlr Goumltzenkult gewesen seienrdquo (Pietro Galatino De Arcanis Catholicae Veritatis (Ortona Gershom Soncino 1516) p 41) Es wird argumentiert dass in Wirklichkeit die Juden un-bewusst einen dreifaltigen Gott verehrt haumltten Die fortdauernde Unterdruumlckung der Trinitaumltsidee in-nerhalb des (christlichen) Judaismus wurde als blosse Weiterfuumlhrung der Ignoranz und der Unkenntnis ihres eigenen Gottes und der heiligen Schriften erklaumlrt

6 Man muss sich schon fragen ob mehrere Personen (definiert bdquoals Individuumrdquo Websterrsquos) mit einem singulaumlren magistralen Epithet (einem einzelnen Amtstitel) wie bdquoHerrldquo bezeichnet werden koumlnnten Der biblische Ausdruck bdquoHerrrdquo wird durchwegs als passende Beschreibung von solitaumlren Persoumlnlichkeiten wie zB Moses (4 Mose 362) David (1 Chronik 213) und Abraham (1 Mose 2448) verwendet Die Mehrzahl dh bdquoHerrenrdquo schlieszligt immer eine Vielzahl von Persoumlnlichkeiten mit ein (1 Mose 192) Wie sollte sonst der Ausdruck bdquoder Herr Yahwehrdquo (Amos 95) der einer einzelnen Person zugedacht ist gewertet werden Siehe auch Jesaja 2613 bdquoHERR unser Gott uumlber uns haben auszliger dir andere Herren geherrscht allein durch dich haben wir an deinen Namen gedachtldquo

7 D E H Whiteley The Theology of St Paul (Oxford Blackwell 1980) pp 105-106

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Wir fragen uns auch ob es im Juumldischen Denken je Sinn gemacht haumltte dass die im Shema beschriebene Einheit Gottes in Wirklichkeit eine Substanz oder eine Es-senz sein koumlnnte die irgendwie auf eine Gruppe verschiedener Individuen verteilt worden war Pflegten die Juden insgeheim einen philosophischen Monotheismus Auf was weist die exakte Sprache des Schriftgelehrten in Markus 12 genau hin Samuel Clarke (ein englischer Philosoph und Theologe in der fruumlhen Aufklauml-rungszeit 1718 Jh) schrieb dass das Wort bdquoeinrdquo oder bdquoeinerrdquo (gr heis) im Zu-sammenhang mit der Beschreibung Gottes wirklich bdquoeine Person bedeute und mehr noch die Antwort des Schriftgelehrten in Markus 1229 ff nicht auf eine Substanz bezogen werden koumlnne sondern nur auf ein Errdquo8 Dieser Ansicht stim-men Gelehrte Neutestamentler zu bdquoDer unbestimmte Artikel sbquoein(er)rsquo in Galater 320 ist maumlnnlich persoumlnlich und begrenzt sich auf eine Personrdquo9 Interessant ist dass selbst moderne trinitarisch orientierte Bibelversionen welche sich darauf spezialisieren verschiedene Uumlbersetzungsvarianten des Originaltexts auszuloten schreiben bdquoGott ist nur Einerrdquo und bdquoGott ist nur eine Personrdquo (Galater 320)10

Wer also hat Recht Sind es diejenigen die behaupten bdquoein(er)bdquo beziehe sich auf eine Substanz oder jene die sagen bdquoein(er)rdquo begrenze sich auf eine Person Was haben die Juden wirklich geglaubt was die Kernaussage des Shema uumlber Gott sei

Wie ein zeitgenoumlssischer juumldischer Theologe erklaumlrt hatte das Volk Israel die Stelle in 5 Mose 64 als zentrales Bekenntnis ausgewaumlhlt bdquoum die Einheit Gottes vor jeglicher Multiplikation vor Verwaumlsserung vor Vermischung mit den Riten der benachbarten Welt zu beschuumltzenrdquo11 Ein viel beachteter Kommentar fuumlgt hinzu bdquoDas groszlige Gebot wurde nie in Zweifel gezogen das Shema wurde durch die Juden taumlglich wiederholt Es bildete den Grundtext ihres Monotheismus (Ein-Gott-Glaubens) der sich nicht als spekulative Theorie sondern als praktische Uumlberzeugung erwiesrdquo12 Es war undenkbar dass diese Einheit von 5 Mose 64 wie sie von allen Juden des ersten Jahrhunderts verstanden wurde ploumltzlich eine alternative Interpretation zulassen oder eine Ausweitung erfahren sollte Gemaumlszlig

8 Samuel Clarke The Works (London John amp Paul Knapton 1738) p 367 9 Kenneth S Wuest Wuestrsquos Word Studies from the Greek New Testament for the English Reader Vol 1 (Grand Rapids Eerdmans 1973) p 106 10 Der Vermittler aber ist nicht sbquoVermittlerlsquo von einem Einzigen (heis) Gott aber ist ein Einziger (heis)

Neue Genfer Uumlbersetzung 11 Pinchas Lapide Jewish Monotheism and Christian Trinitarian Doctrine (Philadelphia Fortress Press 1981) p

27 (Juumldischer Monotheismus - christliche Trinitaumltslehre) 12 Arthur Samuel Peake schreibt bdquoDarin stimmte Jesus voumlllig und bewusst mit den Pharisaumlern

uumlbereinldquo(Arthur Samuel Peake A Commentary on the Bible (New York Thomas Nelson amp Sons 1920) p 696) Professor Joseph Klausner von der Hebrew University bestaumltigt bdquoWie jeder pharisaumlische Jude glaubte auch Jesus absolut an einen einzigen Gottrdquo (Joseph Klausner Jesus of Nazareth His Life Times and Teachings (New York Bloch 1989) p 377)

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eigenen juumldischen Aussagen bdquowar der Judaismus stets strikt unitarischrdquo13 was be-deutet dass der eine Gott an den sie glaubten eine bestimmte persoumlnliche Ein-heit eine klare Einzelidentitaumlt aufweist Tatsaumlchlich haben Trinitarier selber zu-gegeben dass

bdquoes den Juden hellip nie in den Sinn gekommen waumlre die Dreieinigkeit zu einem Glaubensgrundsatz zu erheben Die Juden versichern auch heute noch dass Gott in Person und Natur nur ein Einziger istrdquo14

Jesus wird als Gruumlnder des Christentums bezeichnet Waumlre er mit den Juden zu seinen Lebzeiten uumlber die Natur Gottes fundamental uneinig gewesen (wie es die modernen Christen tatsaumlchlich sind) oder haumltte er in den Judaismus eine neuar-tige und wichtige Information (vielleicht uumlber sich selbst oder uumlber Gott) einzu-bringen gehabt dann waumlre dies doch fuumlr Jesus der ideale Zeitpunkt gewesen Er haumltte seinem Ruf als bdquoOffenbarer Gottesrdquo gerecht werden koumlnnen (Joh 118)

Gemaumlszlig Vertretern dieser These habe sich Jesus bereits in den (biblischen) Be-richten uumlber ihn als Gottheit ausgegeben15 Dies waumlre der Moment gewesen in einer oumlffentlichen Debatte in Jerusalem die Wirklichkeit ihres Gottes und sich selbst als den wahren Schoumlpfergott zu erklaumlren Angeblich habe er dies getan16 Haumltten jedoch seine Zuhoumlrer ihr Grundverstaumlndnis des Konzepts Gottes (so wie es die Vorvaumlter und auch der Jesus-freundliche Schriftgelehrte kannten) aufgrund der jesuanischen Aussagen aktualisieren muumlssen stuumlnde doch mindestens etwas daruumlber in den Schriften Wie die angesehene Hastingrsquos Encyclopedia of Religion and

13 Kaufmann Kohler Emil G Hirsch ldquoDeismrdquo Jewish Encyclopedia 1906 Jewish Encylcopediacom Web

14 August 2014 (Deismus) 14 William Beveridge Private Thoughts Upon Religion and Upon Christian Life Part II (Literary Licensing LLC

1829) p 66 (Private Uumlberlegungen zur Religion und zum Christlichen Leben) Note Die vielbeachteten Be-merkungen des trinitarischen Gelehrten Emil Brunner verstaumlrken die Tatsache noch zusaumltzlich dass bdquoder Judaismus unitarisch istrdquo (Dogmatics Vol 1 p 205) Der Trinitarier Leonard Hodgson pflichtet dem bei bdquoDer juumldische Monotheismus war damals und ist heute unitarischrdquo (Christian Faith and Practice p 74) Uns wird oft nachdruumlcklich empfohlen zu entdecken dass der biblische Judaismus eine Art Trinitaumltsglauben im Winterschlaf sei aus dem er erst noch aufwachen muumlsse Allerdings sind es Tausende von persoumlnlichen Fuumlrwoumlrtern in der Einzahl mit welcher die Hebraumlische Bibel Gott unmiss-verstaumlndlich als ein Einzelwesen umschreibt Die Juumldischen Schriften legen die staumlrkste Betonung auf die strikte Einheit ihrer Gottheit Es gibt ausdruumlcklich keine Pluralitaumlt in ihr Diese wird auch nie irgend-wie gelehrt und betont oder zu einer Voraussetzung des Glaubens erhoben

15 Siehe Sue Bolin ldquoJesusrsquo Claims to be God ndash Yes Jesus Said He is Godrdquo (Probe Ministries 1992 Web 5 Mai 2014 (Jesus behauptet Gott zu sein ndash Ja Jesus sagte er ist Gott)

16 Oftmals houmlrt man die Behauptung dass zu diesem Zeitpunkt in der Jesus-Geschichte er laumlngst mit seinen beruumlhmten bdquoIch binrdquo-Aussage der Gott Israels zu sein kommuniziert haumltte Dies schlieszligt die Stelle in Johannes 818 ein welche sich beim Tempel zutrug als er mit den Pharisaumlern uumlber den Vorvater Abraham debattierte Wuumlrde dies zutreffen dann koumlnnten wir erwarten dass Jesus dies in seinen na-chfolgenden Argumenten gegenuumlber dem ihm freundlich gesinnten Schriftgelehrten auch bestaumltigt haumltte

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Ethics dagegen berichtet bdquowaren Abraham Moses und Elijah allesamt eifrige Mo-notheisten und bei keinem einzigen ihrer Nachfolger findet man ein Abgleiten der houmlchsten und reinsten Form des unitarischen Glaubensrdquo17 Doch Jesus war weit davon entfernt den Juden eine neue und fuumlr ihren Glauben erforderliche Information uumlber Gott zu geben Was er sagte wird manche in Erstaunen verset-zen

bdquoDa Jesus aber sah dass er vernuumlnftig antwortete sprach er zu ihm Du bist nicht ferne vom Reich Gottes Und es durfte ihn niemand weiter fra-genrdquo (Markus 1234)

Ist es nicht erstaunlich dass sich Jesus oumlffentlich zum tiefgruumlndigen juumldischen Verstaumlndnis des Shema bekannte und daraus sogar eine Frage der Weisheit machte dass die Schrift nicht missbraucht oder missverstanden werden sollte Der Bischof N T Wright beurteilt die Antwort Jesu die er in Markus 1229 gab eindeutig als unumstritten hellip das Shema war damals wie heute fuumlr den Judaismus absolut zentral18 Die Juden und Jesus demonstrieren in dieser Beziehung eine solide Uumlbereinstimmung nicht nur was die korrekte Interpretation des Shema be-trifft sondern auch dessen wesentlicher Vorrangstellung bei der Erfuumlllung religi-oumlser juumldischer Pflichten Der New Century Bible Commentary ein angesehener Bi-belkommentar sieht darin die Bestaumltigung bdquodass Jesus mit beiden Fuumlszligen inner-halb der juumldischen Froumlmmigkeit standrdquo19 Mit anderen Worten gesagt war die Theologie Jesu (die Lehre von Gott) foumlrmlich juumldisch20

Die Frage draumlngt sich auf Weshalb erfreut sich das bdquojuumldischerdquo Shema das Christus selber als Brennpunkt von Gottes Anweisungen an den Menschen identifiziert hatte ausgerechnet in der christlichen Lehre so geringer Bedeutung Wieso wird es durch die Jahrhunderte immer weniger zitiert Schlimmer noch als die Verach-tung war die Verurteilung mit welcher die christlichen Fuumlhrer im Jahre 529 n Chr Jesu Glaubensbekenntnis bestraften sollten die uumlberlieferten Berichte zu-treffen Sie empfanden die Worte anscheinend als derart offensiv bedrohlich und unchristlich dass sie das Shema kurzerhand im ganzen Kaiserreich verboten

17 J Hastings (ed) ldquoJudaismrdquo Hastingrsquos Encyclopedia of Religion and Ethics Vol VII (New York Charles

Scribnerrsquos Sons 1915) p 582 18 N T Wright Jesus and the Victory of God (Minneapolis Fortress Press 1996) p 305 Hinzufuumlgung 19 Hugh Anderson New Century Bible Commentary on Mark (Grand Rapids Eerdmans 1981) p 280 20 Der Word Biblical Commentary (Biblischer Wort-Kommentar) von 2001 zieht erstaunlicher-weise den

Schluss dass Jesu Lehre hier bdquonicht spezifisch christlichrdquo gewesen sei (WBC (Nashville Thomas Nelson 2001) p 261)

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Dieser Bann erfolgte da scheinbar im Shema des 5 Buches Mose die totale Un-vereinbarkeit mit der Trinitaumltsdoktrin erkannt wurde21 Das Shema war zweifels-frei das Bekenntnis von Jesus Christus aus der bdquochristlichenrdquo Welt wurde es bdquover-bannt weil es die Trinitaumlt verleugnetrdquo22 Die orthodoxe Doktrin der Dreifaltig-keit ist das beruumlhmteste und zugleich das eigenartigste Dogma der abendlaumlndi-schen Religion Es hat nicht nur viel zu reden gegeben sondern ist gleichzeitig zum wichtigsten Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Christentum und sei-nen strikt unitarischen juumldischen und muslimischen Cousins geworden Es gilt bei den meisten populaumlren Denominationen immer noch als untruumlglicher Lack-mustest (Fachausdruck aus der Chemie Test zur Bestimmung des Saumluregehalts hier bild-lich angewendet) einer authentisch christlichen Gesinnung Man kann jedoch sagen dass Jesus selber die Pruumlfung seines landlaumlufigen Glaubens diesbezuumlglich gemaumlszlig den Standards der Katholischen Kirche kaum bestanden haumltte

Obwohl Jesus oumlffentlich lehrte dass Gottes ausschlieszliglicher Herrschaftsan-spruch die notwendige Grundlage und die houmlchste Anforderung seiner eigenen Hingabe war schienen Christen der roumlmischen Zeit bestrebt nicht nur seine Worte sondern auch diejenigen Menschen zu verbannen die es wagten die Worte des Shema zu wiederholen Historiker erinnern daran dass staatliche In-spektoren durch das Land zogen um sicherzustellen dass niemand gegen das Verbot verstieszlig bdquoWachleute wurden eingestellt um in den Synagogen die Rezi-tation des Shema zu unterbinden denn selbst stillschweigend proklamierte das Bekenntnis Gottes Einheit und bestritt unmittelbar die christliche Lehre der Trinitaumltrdquo23 Auch nur indirekt ein orthodoxes Dekret herauszufordern selbst ein weniger wichtiges als die offizielle Vorstellung eines dreieinigen Gottes bedeu-tete eine Bedrohung der Kirchenautoritaumlt sowie der kaiserlich-goumlttlichen Gewalt welche die Kirche autorisierte Der roumlmische Kaiser war eine Verbindung mit dem dreieinigen Gott eingegangen Er amtierte als Huumlter der Orthodoxie des rechten Glaubens und zwar als Gottes bevollmaumlchtigter Stellvertreter auf Er-den24 Offensichtlich war in der christlichen Welt kein Platz mehr fuumlr bdquodas Rezi-

21 Standford Rives Did Calvin Murder Servetus (Charleston BookSurge Publishers 2008) p

268 (Hat Calvin Servetus umgebracht)) 22 Hyam Macoby Antisemitism and Modernity (London Routledge 2006) p 20 (Antisemitismus

und Modernitaumlt) 23 W D Davies Louis Finkelstein The Cambridge History of Judaism Vol 4 (Cambridge CUP 1984)

p 17 24 Eine Minderheit pflegte den Kaiser als irdische Emanation der Trinitaumlt zu sehen Siehe Steven Runci-

man The Byzantine Theocracy (Cambridge CUP 2004) p 24 Freeman beobachtete dass in den fruumlheren Jahren bdquoDiocletian den Prozess der Erhoumlhung des Kaisers uumlber seine Untertanen vervollstaumln-digte indem er sich selbst mit seinem heidnischen Lieblingsgott verbandrdquo Fuumlr Konstantin war dieser Gott bereits christlich wie im Werk von Eusebius Das Leben Konstantins bdquoder ideale christliche Mon-arch das Spiegelbild Gottes auf Erdenrdquo beschrieben ist bdquoHierin sind Spuren des Platonismus sichtbarrdquo

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tieren des Shema dessen klare Aussage der Einheit Gottes in flagrantem Wider-spruch zur christlichen Doktrin (der Trinitaumlt) standrdquo25 Wie ist das alles passiert Wie ist das Christentum in diesen Verfassung hineingeraten in welcher es nicht mehr erlaubt war Jesu eigenes Bekenntnis in sbquoseinerrsquo Kirche zu sprechen

DasbdquoAlterdquomussrausOffensichtlich hat im christlichen Erbe ein frappanter Wechsel der Prinzipien stattgefunden Das Shema (Gott ist Einer) wurde scheinbar gegen das Bekenntnis zur Dreifaltigkeit ausgetauscht Dieses galt nun als das fundamentale Dogma der Christus-Nachfolger Der Katechismus der Katholischen Kirche haumllt fest

Das Mysterium der heiligsten Dreifaltigkeit ist das zentrale Ge-heimnis des christlichen Glaubens und Lebens Es ist das Myste-rium des inneren Lebens Gottes der Urgrund aller anderen Glau-bensmysterien und das Licht das diese erhellt Es ist in der bdquoHie-rarchie der Glaubenswahrheitenrdquo (DCG 43) die grundlegendste und wesentlichste26

Tatsaumlchlich genieszligt die Idee eines dreieinigen Gottes eine immense Vorrangstel-lung in der gemeinsamen Gottesverehrung Die Doktrin war waumlhrend Jahrhun-derten ein wesentlicher Bestandteil der konventionellen Christenheit Es uumlber-rascht demgegenuumlber dass der beruumlhmte katholische Gelehrte Hans Kuumlng er-klaumlrt dass bdquodie Doktrin der Trinitaumlt wohl zentral jedoch auch disputabel dh bestreitbar istrdquo27 Erstaunlich viele andere trinitarische Lehrer Apologeten und Kirchenfuumlrsten geben ehrlich zu dass diese fundamentale Doktrin bdquonicht direkt oder unmittelbar aus dem Worte Gottes stammtrdquo28 und bdquokein Teil der urspruumlng-lichen Botschaft istrdquo29 Sie ist in der Tat houmlchst eigenartig Gelinde gesagt ist die-ser Zustand skandaloumls Die Trinitaumltsdoktrin hat in der Vergangenheit mehr Kont-roversen ausgeloumlst und ist kritischer untersucht worden denn jede andere christ-liche Idee der Geschichte Wie soll sich nun ein heutiger Bibelstudent zu solch

(Charles Freeman The Closing of the Western Mind The Rise of Faith and Fall of Reason (Wie sich das westliche Denken verschloss Aufstieg des Glaubens und Abstieg der Vernunft) (New York Vintage Books 2002) p 252) Ambrosiaster von Rom (4 Jh) schrieb bdquoDer Koumlnig (Kaiser) traumlgt das Ebenbild Gottes wie der Bischof das Ebenbild Christi traumlgtrdquo Der Redner Themistius (4 Jh) pflichtet dem bei bdquoDer Kaiser ist die Emanation (Ausstrahlung) der goumlttlichen Natur er ist die Vorsehung auf Erdenrdquo

25 Meir p 195 26 Katechismus der Katholischen Kirche I 2 234 27 Hans Kuumlng ldquoForewordrdquo Born Before All Time (New York Crossroad 1998) p xix 28 The Catholic University of America ldquoTrinityrdquo New Catholic Encyclopedia (New York

McGraw-Hill 1967 Vol XIV) p 304 29 W R Matthews God in Christian Experience (Whitefish Kessinger Pub 2010 [1930]) p 180

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verbluumlffenden Vorwuumlrfen vonseiten respektierter trinitarischer Professoren ver-halten die offen zugeben dass die bdquoBibel die Dreifaltigkeit nicht lehrt denn we-der das Wort Trinitaumlt noch Ausdruumlcke wie sbquoeiner in dreirsquo sbquodrei in einemrsquo sbquoSub-stanzrsquo oder sbquoEssenzrsquo der biblischen Sprache entstammenrdquo30 Der Trinitarier Christopher B Kaiser Professor der historischen und systematischen Theologie des Western Theology Seminars liefert das folgende umwerfende Aussage

Die Trinitaumltslehre der Kirche scheint wohl am entferntesten von Jesus und den Autoren des Neuen Testaments sowie ihrem Den-ken zu sein Der heutige Leser mag sich fragen ob es hilfreich sei ein derartiges Dogma ins Spiel zu bringen wenn es darum geht die Theologie des Neuen Testaments zu erfassen Wenn die Kirche die Trinitaumltslehre diskutiert dann bezieht sie sich auf eine Glau-bensthese dass Gott ewig in drei unterschiedlichen Personen exis-tiert die innerhalb der Gottheit ebenbuumlrtig und in der Substanz eins sind Doch diese Aussage ist nirgendwo im Neuen Testament zu finden bis ins 4 Jahrhundert wurde sie nie und nirgends deut-lich artikuliert31

Wenn nun eine klare biblische Aussage zum Thema der essentiellen christlichen Philosophie eher Mangelware ist oder gar voumlllig fehlt aus welcher Quelle schoumlpfte dann die Kirche ihren Einfluss fuumlr diese gewaltige Doktrin Im Jahr 2014 veroumlffentlichte das Charisma Magazine ein Eingestaumlndnis des beliebten trini-tarischen Professors des Fuller Theologischen Seminars Charles Peter Wagner bdquoHeute glauben wir an die Dreieinigkeit nicht weil diese direkt in der Bibel offen-bart worden waumlre sondern weil an gewissen Konzilen die meisten Teilnehmer dafuumlr gestimmt hatten ndash mit anderen Worten aufgrund auszliger-biblischer Offen-barungrdquo32 Viele evangelische Christen schauen von oben herab auf ihre katholi-schen Cousins weil diese ihre Dogmen durch Uumlberlieferung und auf Konzilsbe-schluumlssen begruumlnden anstatt durch die Heilige Schrift Vielen ist dabei nicht be-wusst dass eine ihrer eigenen und ihrer beliebtesten Doktrinen genau in diese Kategorie passt Die vielen trinitarischen Akademiker die den Makel offen zuge-ben dass eine der wichtigsten Lehren ihres Glaubens nicht mit den Lehren Jesu und der Apostolischen Kirche uumlbereinstimmt machen das Raumltsel nur noch schlimmer Ein protestantischer Theologieprofessor der Universitaumlt Hull hat sich weit vorgewagt

30 Shirley C Guthrie Christian Doctrine (Louisville Westminster John Knox 1994) pp 76-77 31 Christopher B Kaiser The Doctrine of God (Eugene Wipf amp Stock 2001) p 27 32 Peter C Wagner ldquoBut Thatrsquos Not in the Wordrdquo Charisma Magazine 2 June 2014 Web 19 December

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Kein Gelehrter des Neuen Testaments wuumlrde je behaupten die Dreifaltigkeit sei durch Jesus gelehrt oder die Trinitaumlt sei durch die fruumlhen Christen gepredigt geschweige denn durch die Autoren des Neuen Testaments schriftlich festgehalten worden Das Dogma entwickelte sich langsam und schrittweise im Verlaufe der ersten Jahrhunderte33

Tatsache ist dass die Trinitaumltsdoktrin kein Diskussionsthema der fruumlhen christli-chen Gemeinschaft war Es war ein Produkt spaumlterer kirchlicher Entwicklung und war lang umstritten Es ist Gegenstand der Untersuchung in folgenden Ka-piteln dieses Buches Einfach zu belegen ist wie viele renommierte christliche Experten offen eingestehen dass sich der Geist des (wahren) Glaubens aus der judaistischen Welt verabschiedet hat und schon fruumlh in die Welt der griechischen Philosophie verwandelt hat Der anerkannte Bibelgelehrte James Strong Autor der massgeblichen Strongrsquos Concordance schrieb

Gegen Ende des ersten und waumlhrend des zweiten Jahrhunderts ka-men viele Gelehrte aus dem hellenistischen Judentum sowie aus dem Heidentum zum christlichen Glauben Mit ihnen kamen pla-tonische Ideen und die Ausdrucksweise in die christlichen Theolo-gieschulen hinuumlber34

Diese Verschiebung beguumlnstigte offensichtlich die Produktion von Glaubensre-geln und -bekenntnissen die fuumlr Urchristen voumlllig unverstaumlndlich gewesen waumlren Speziell im Hinblick auf die Trinitaumltslehre finden wir trinitarische Theologen die eingestehen dass bdquoSt Paulus diese weder kannte noch in der Lage gewesen waumlre die Bedeutung der Ausdruumlcke der theologischen Formeln zu verstehen mit de-nen sich die Kirche jedoch einverstanden erklaumlrterdquo35 Wenn dies stimmt wie wol-len dann christliche Sekten heutzutage eine direkte theologische Verbindung zur apostolischen Kirche (des 1 Jahrhunderts) ableiten Wie wollen sie mit sprachli-chen und philosophischen Uumlberlegungen argumentieren welche den Aposteln komplett unverstaumlndlich gewesen waumlren Beschreiben die Apostel nicht mit eige-nen Worten den Glauben Dieselbe Frage trifft auch auf die Sprache und Theo-logie Jesu zu War er [Jesus] ein Lehrer der angeblich die Grundbedingungen der christlichen Juumlngerschaft selber nicht richtig formulieren konnte Mussten zu die-sem Zweck die bdquoplatonischen Ideen und ihre Ausdruckweisenrdquo hinzugezogen werden welche in spaumlteren Jahrhunderten in die sich entwickelnde Christenheit

33 A T Hanson The Image of the Invisible God (London SCM Press 1982) p 87 34 James Strong John McClintock ldquoTrinityrdquo Cyclopaedia of Biblical Theological and Ecclesiastical

Literature Vol 10 (New York Harper 1891) p 553 35 Matthews God in Christian Experience p 180

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eingefuumlhrt und zu Dogmen wurden Wenn es wahr ist dass die griechische Phi-losophie auch heute noch die Bedingungen des christlichen Glaubens diktiert dann ist die Folge fuumlr die allgemein anerkannte Froumlmmigkeit zurecht ziemlich alarmierend Die Hauptthemen des Neuen Testaments tanzen auffaumlllig nach der bdquoMusik welche auf ausgesprochen heidnischen Instrumenten gespielt wirdrdquo um hier bildlich zu sprechen

UnsereVoraussetzungWaumlhrend Jahrhunderten hat in der Szene der christlichen Apologetik eine an-scheinend unaufhaltsame Epidemie um sich gegriffen die wir als historischen Ak-tivismus (Durchsetzung bestimmter Absichten) bezeichnen koumlnnten Durch Auslassun-gen und mittels waumlhlerischer Betonungen jener Momente und Zahlen die der Mission der voreingenommenen Evangelisten am zutraumlglichsten sind Man geht sehr subtil ans Werk Der beliebte und bdquooffiziellerdquo Bericht der Kirchengeschichte wird pauschal in eine noble Erzaumlhlung umfunktioniert So geschah es mit der Sage des groszligen trinitarischen Glaubens der sich angeblich aus dem apostoli-schen Zeitalter herausbewegt und unter dem Schutz der katholischen Bischoumlfe uumlberlebt haben soll Dann haumltten gefaumlhrliche Marodeure die wahren und echten Doktrinen uumlberfallen und erneuert Ein fein saumluberliches Bild ist entstanden das in Buumlchern dokumentiert wurde und in den Vorlesungssaumllen der angesehensten Schulen gelehrt wird Doch der Prozess der Umfaumlrbung hatte schon sehr fruumlh eingesetzt Auf weiten Strecken zeigt die Geschichte des so genannten orthodo-xen (rechtglaumlubigen) Dogmas den Einfluss die polemischen Schriften des Atha-nasius (gestorben 373 n Chr) oder die Berichte des Eusebius von Caesarea (ge-storben 339 n Chr) Um hier einen Vergleich zu wagen aumlhnelt die von Forschern entdeckte Kirchengeschichte des Eusebius eher bdquoeinem abstrakten Werk von Picasso als einem gegenstaumlndlichen Gemaumllde von Da Vinci eine Karikatur der Ge-schichte gesehen durch die Augen eines politischen Uumlberlebenskuumlnstlersrdquo36 Wie

36 Historiker aller Zeiten haben die Vorurteile in den Aufzeichnungen des Eusebius herausgefordert und

kamen zum Schluss dass er weitgehend daran interessiert war dem Staat zu gefallen Socrates Scholas-ticus (5 Jh) beschrieb das Werk des Eusebius als bdquorhetorische Veredelungrdquo bestimmt dazu dass sie bdquovom Kaiser gelobtrdquo wuumlrde eher als bdquodie Tatsachen akkurat festzuhaltenrdquo (Socratesrsquo Church History Book I Ch 1) Der groszlige Geschichtsschreiber Edward Gibbon bemerkte dass Eusebius alles unterdruumlckte bdquowas die Religion in Verruf haumltte bringen koumlnnenrdquo (Decline and Fall Vol 2 (New York Collier 1876) p 676) (Verfall und Untergang des roumlmischen Imperiums) Einer der Gelehrten ging sogar so weit und sagte dass bdquoEusebius der erste unehrliche und durchaus voreingenommene Historiker der Antike warldquo (Jakob Burckhardt zitiert bei Robert L Wilken The Myth of Christian Beginnings (Eugene Wipf and Stock 1971) p 57) (Der Mythos der christlichen Anfaumlnge) Andere Gelehrte charakterisierten Eusebius als bdquopolitischen Stimmungsmacherrdquo (Erik Peterson Der Monotheismus (Munich 1951) p 91) und als bdquoden groszligen Pub-lizisten des ersten roumlmischen Kaisersrdquo (Robert A Markus ldquoThe Roman Empire in Early Christian His-toriographyrdquo The Downside Review Vol 81 No 265 (Downside College of St Gregory 1963) p 343 (Das Roumlmische Reich in der fruumlhen christlichen Historiographie) Zu guter Letzt betitelte man ihn als bdquopolitischen Theologenrdquo (Hans Eger bdquoKaiser und Kircherdquo Zeitschrift fuumlr die neutestamentliche Wissenschaft Vol 38 (Berlin Degruyter 1939) p 115)

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moderne Historiker treffend bemerkten sind bdquowenige geschichtliche Interessens-gebiete im Verlaufe der letzten zwanzig Jahre so komplett umgeschrieben wor-denrdquo wie die theologischen Kontroversen des vierten Jahrhunderts im Bestre-ben die christliche Wahrheit zu definieren37 Wir verdanken es zwei Entwicklun-gen der Moderne naumlmlich a) einem kritischeren Geist des akademischen Ermes-sens und groumlszligerem Spielraum sowie b) verschiedenen archaumlologischen Entde-ckungen Die Schriftfunde von Nag Hammadi und die Schriftrollen vom Toten Meer (Qumran) sind zwei herausragende Beispiele davon Sie geben einer neuen Perspektive Aufschwung und lassen die fruumlhe Christenheit ohne die monolithi-sche orthodoxe Struktur und ohne die alles uumlberragende trinitarische Doktrin erscheinen Sie zeigen einen Jesus der fest in der monotheistischen Tradition des Judaismus gegruumlndet war Gerade dieser Aspekt seines Glaubens an einen Gott wurde jedoch vom spaumlteren Christentum verworfen

Wollen wir heute die Theologie Jesu und die der Autoren des Neuen Testaments besser verstehen muumlssen wir zuerst lernen wie die Urchristen Gott sahen Sie waren wirkliche historische Personen in einem realen religioumlsen Umfeld Wie er-warteten sie dass ihre eigene Literatur (das Neue Testament) von der Welt auf-genommen wuumlrde Kann man in den Aufzeichnungen der Apostel einen trinita-rischen Hintergrund entdecken Schwelte in ihrem geschichtlichen Milieu wie ein Brand vielleicht schon ein philosophisches Konzept das ihnen eine dreieinige Gottheit und einen Jesus als multipersonales Wesen oder als eine bdquoPersonrdquo viel-leicht eine Hypostase davon vorgegeben haumltte Doch die Bedingung ihres juumldi-schen Umfeldes welches das hebraumlische Denken zementierte war die Vorstel-lung von einem Gott Sollten wir entdecken dass ein trinitarisches Konzept ihrem Hintergrund tatsaumlchlich voumlllig fremd war und wenn es wahr ist dass sie selber weder eine solche Neuerung einfuumlhren noch verbreiten wollten waumlre dann eine objektive Beurteilung ihres Glaubens ohne Spekulation moumlglich Das konkrete religioumlse Geruumlst des Judentums zur Zeit der Juumlnger Christi in welches auch ihre Vision des Kommens Jesu Christi passte ist bekannt Koumlnnten wir in unserer heutigen Zeit durch die Wiederherstellung derselben Theologie von damals zu einem besseren Verstaumlndnis von Jesus gelangen Koumlnnte die Bibel selber genuuml-gend Informationen bereithalten welche die im vierten Jahrhundert eingebrach-ten und inzwischen im Christentum beliebten Bekenntnisse [das Nicaumlnum zB] als radikal unnoumltig erscheinen lassen Milde ausgedruumlckt sind die aus dem vierten Jahrhunderten stammenden Glaubensbekenntnisse der meisten Denominationen mehr oder weniger verwirrend

Durch das vorliegende Buch werden wir sehen wie viele gelehrte Trinitarier schon offengelegt haben dass das Neue Testament nirgends fuumlr einen dreieinigen

37 Freeman Closing of the Western Mind p 163 (Wie sich das Westliche Denken schloss)

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Gott plaumldiert Die Entwicklung eines trinitarischen Systems war nur durch Inferenz moumlglich38 dh durch die Logik von (meist faumllschlichen) Schlussfolgerungen Die daraus resultierende Theorie entstammt mit Sicherheit nicht der Bibel Sie kann ohne ein paralleles metaphysisches und voumlllig fremdartiges Geruumlst gar nicht existieren Wir gehen davon aus dass sich die Bibelinterpretationen der spaumlteren christlichen Orthodoxie nicht mehr ausschliesslich auf die heiligen hebraumlischen Schriften und die von den Aposteln uumlbernommene juumldische Weltanschauung stuumltzten Eine metaphysische oder transzendentale Auslegung wurde aus einzelnen externen Philosophien uumlberwiegend griechischer Herkunft kuumlnstlich zusammengesetzt und den biblischen Schriften aufgepfropft Das Resultat dieses Vorgangs war die groszlige Transformation des urspruumlnglichen hebraumlischen Glaubens der ersten Ju-den die Jesus nachfolgten Wie beobachtet wurde bdquowar das Christentum wie ein riesiger Ozean in den eine Anzahl geistlicher Stroumlme aus fernen und unterschied-lichen Gegenden muumlndeten ndash aus gewissen Religionen Asiens und Europas groszlige Ideen griechischer Weisheit besonders maszliggeblich die des Platonismusrdquo39 Doch wenn man die tief-juumldischen Dokumente des Neuen Testaments genau be-trachtet fragt man sich unweigerlich weshalb die spaumlteren Christen so ernsthaft nach einer bdquoheidnischenrdquo Brille verlangten Wieso fanden sie es fuumlr noumltig unermuumld-lich zu spekulieren wie vermeintliche Luumlcken der theologischen Zusammen-haumlnge am besten uumlberbruumlckt werden koumlnnten obschon die Apostel selber kein Missbehagen daruumlber ausdruumlckten Fehlte in ihren Manuskripten wirklich etwas Grundsaumltzliches

Unser ultimatives Ziel ist zu zeigen dass das orthodoxe Gottes-Dogma der Trini-taumlt in erster Linie das Konstrukt einer unnoumltigen Problemloumlsung ist Die Philoso-phen des spaumlten Roumlmischen Reiches versuchten zwei Raumltsel zu loumlsen die eigent-lich gar keine Raumltsel waren Zunaumlchst befuumlrchteten sie christliche Auswirkungen auf die griechische Philosophie Sie waren der Ansicht dass die Christus-Bewe-gung die etablierten intellektuellen Systeme ihrer Zeit philosophisch uumlbertreffen und in sie eingreifen koumlnnte Ohne ihre Absicht oder ihre Froumlmmigkeit in Frage zu stellen koumlnnen wir die Vorteile erkennen die eine solche Versoumlhnung der Ideen mit sich bringt Zweitens beabsichtigten sie die vermeintlichen Diskrepan-zen zwischen dem Alten und Neuen Testament zu bereinigen Im Bericht des Jesus-Ereignisses glaubten sie die Fleischwerdung (Inkarnation) eines zweiten goumlttlichen Wesens zu entdecken Darin unterschied sich der Monotheismus (Ein-

38 Trinitarische Akademiker erklaumlrten schon lange dass diese Lehre nirgends in den biblischen Dokumen-

ten belegt ist sondern durch Implikation erreicht wird dh bdquoEs wird zugegeben dass die Lehre der Dreieinigkeit weder im Alten noch im Neuen Testament ausdruumlcklich steht ihr jedoch beide Teile still-schweigend zustimmenrdquo (J Hampton Keathley ldquoThe Trinity (Triunity) of Godrdquo Bibleorg 18 May 2004 Web 23 October 2015)

39 H F Amiel quoted in L L Paine The Ethnic Trinities and Their Relations to the Christian Trinity (New York Houghton Mifflin and Co 1901) p 199

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Gott-Glaube) der juumldisch-biblischen Gemeinschaft stets von den benachbarten Heiden Vielleicht war es nur eine Wunschvorstellung doch das Ereignis der Ge-burt von Jesus verlangte nach einer Erklaumlrung im Licht des Monotheismus Die Loumlsungen die sie konstruierten waren zugegebenermaszligen oft genial Aber die Probleme fuumlr die sie kreiert wurden existierten in Tat und Wahrheit gar nicht Die scheinbaren Unterschiede welche die heidnischen Philosophen zu sehen glaubten waren meist Missverstaumlndnisse die sich aus ihrem Mangel an Vertraut-heit mit der hebraumlischen Weltanschauung ergaben Die Schluumlsse zu denen sie kamen basierten auf ihren platonischen und gnostischen Ideen von denen sie durchdrungen waren Da gab es zwei Stolpersteine a) die allmaumlhliche Scheidung vom Judentum und b) die Verliebtheit mit den uumlberlieferten hellenistischen For-meln und Thesen Sie genuumlgten offenbar um das religioumlse Denken der fruumlhen (Heiden-)Christen in Schieflage zu bringen so dass sie nicht nur den originalen juumldischen Glauben Jesu verdrehten sondern einen voumlllig neuen erfanden

Fuumlr diejenigen die eine Wegbeschreibung dieser Entwicklung wuumlnschen werden die oben erwaumlhnten Ideen in unserem Buch auf zwei Arten demonstriert der erste Teil befasst sich zunaumlchst mit der sich entwickelnden Geschichte der ortho-doxen Theologie und der Wechselwirkung mit den platonischen und gnostischen Gedanken sowie den daraus resultieren fruumlhkirchlichen Herausforderungen Der zweite Teil fokussiert sich auf die biblische Darlegung im Licht der Argumente des Dogmas Es bleibt zu hoffen dass sich durch diese tiefschuumlrfende Hinterfra-gung der Trinitaumlt dem Markenzeichens der christlichen Orthodoxie ein ver-staumlndlicheres Bild von Jesu historischer Theologie entdecken laumlsst

EinAufrufzurEinigkeitumJesusWaumlhrend Jahrhunderten erlebte die Welt eine gespaltene Christenheit Die Zivi-lisation wartete geduldig auf eine Befreiung der Christen von den internen Mei-nungsverschiedenheiten Sie sehnten sich nach der Einigung unter demjenigen dem sie zu folgen vorgaben Doch von dieser Einigkeit sind wir heute wohl noch weiter entfernt als in der Vergangenheit wo der Same der Verwirrung ausgesaumlt worden war Es steht nicht zur Debatte dass der apostolische Frieden schon sehr fruumlh durch teure interne Konflikte betreffend der Prinzipien der Dreifaltigkeit Gottes gestoumlrt worden war Was auch untersucht werden muss ist das Ausmaszlig des angerichteten Schadens Bekannt ist dass bdquodie Trinitaumltsdoktrin im Blut von Abertausenden von Maumlrtyrern geboren und gewachsen warrdquo40 Was genau recht-fertigte einen so hohen Preis H G Wells schrieb in The Outline of History (Uumlber-blick der Geschichte) dass bdquowir jetzt sehen koumlnnen wie im Verlaufe der Zeit die gesamte Christenheit durch die Auseinandersetzungen uumlber die Trinitaumlt zerrissen

40 Thomas Jefferson Letter to theologian James Smith December 8 1822

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wurderdquo Diese Tatsache ist umso schlimmer wenn Wells auch damit Recht hat dass bdquoes nicht bewiesen werden kann die Apostel Christi haumltten je von einer Dreieinigkeit Gottes insbesondere von Jesus gehoumlrtrdquo41

Aufgrund dieser Anspielungen koumlnnen wir mit hoher Gewissheit davon ausge-hen dass der Grund fuumlr die erwaumlhnte Zerrissenheit der Christenheit weder in der politischen Korruption noch in einer zunehmenden Scheidungsrate in der Ge-sellschaft noch in der allgemeinen Habgier liegt sondern in der tragischen Ab-kehr von den Lehren Christi Diese Trennung diesen Bruch haben einige der angesehensten Evangelikalen bereits in ihren Kommentaren zugegeben Ein be-kannter Presbyterianer Dr James Kennedy schrieb bdquoViele glauben heute der Kern des Christentums basiere auf den Lehren Christi aber dem ist nicht so hellip das Christentum fokussiert sich nicht auf Jesu Lehren sondern auf die Person Jesus die als fleischgewordener Gott in die Welt [Inkarnationslehre] gekommen warrdquo42 Dr Harold OJ Brown pflichtet dem bei bdquoChristentum ist nicht der Glaube an Jesu Lehren sondern an das was uumlber ihn gepredigt wird hellip ein Aufruf zu sbquoglauben wie Jesus geglaubt hatrsquo eher denn sbquoJesus zu glaubenrsquo hellip ist eine dramatische Trans-formation der grundlegenden Natur des Christentumsrdquo43

Man kann sich schon fragen warum das traditionelle Christentum dh die Durchschnitts-Christenheit weitgehend uninteressiert ist an dem was der histo-rische Jesus gelehrt hat durch Anweisungen zu bdquoglauben wie Jesus geglaubtrdquo hat weicht man krass von der christlichen Religion ab Indirekt gibt man damit auch zu dass was Jesus lehrte tatsaumlchlich den Lehrmeinungen des uumlberlieferten Sys-tems der Orthodoxie widerspricht Wie weit ist sich die christliche Allgemeinheit dieser Diskrepanzen und Widerspruumlche bewusst Hat die uumlberwiegende Mehrheit der modernen Denominationen unbewusst nach-biblische Ideologien uumlbernom-men welche Jesus von seiner eigenen Theologie getrennt haben Die Folgen da-von sind nicht weniger als weltbewegend gewesen Kein Wunder also dass der Glaube heute in einer tiefen Krise steckt

Schliesslich koumlnnten sich die Fesseln beliebter Gewohnheiten fuumlr viele als zu streng festgeschnuumlrt erweisen Dr Jason BeDuhn bemerkte bdquoGewissen Dingen wird durch Alterung eine Art Unantastbarkeit verleihen angefangen damit dass

41 H G Wells The Outline of History Being a Plain History of Life and Mankind (London The

Waverley Book Company 1920) p 284 42 James Kennedy ldquoHow I Know Jesus is Godrdquo Truths that Transform James Kennedy Ministries 11

November 1998 Web 15 December 2015 Hinzufuumlgung 43 Harold Brown Heresies (Peabody Hendrickson 1984) p 13 Hinzufuumlgung

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Dinge erscheinen als ob sie schon immer da gewesen waumlren und eine Veraumlnde-rung eine gefaumlhrliche Erneuerung waumlre hellip doch eine groszlige Anzahl oder eine lange Zeitdauer der Dinge waren noch nie Kriterien der Wahrheitrdquo44

Koumlnnte das Zeugnis des Jesus von Nazareth das urspruumlnglich als selbstverstaumlnd-lich und unwandelbar galt erneut einen Funken zuumlnden und fuumlr Millionen eine umfassende Neubeurteilung ihres Glaubens ausloumlsen Solange jedoch die Schrift-auslegung von der Leitung kirchlicher Konventionen (lat ex cathedra) abhaumlngig ist ist die Chance dazu wenig wahrscheinlich Es obliegt uns durch einen bdquoMas-senexodus aus den orthodoxen Dogmenrdquo in das bdquoLand der biblischen Wahrhei-tenrdquo den zersplitterten Koumlrper Christi (die Kirche) wieder zu restaurieren

Betreffend die ausgesprochene Betonung die Jesus in Markus 12 auf das Shema legte bietet ein christlicher Gelehrter eine alarmierende Betrachtung an bdquoJesu Be-staumltigung des Shema ist an sich weder besonders bemerkenswert noch spezifisch christlichrdquo45 Doch die Tatsache dass Jesus oumlffentlich eine nicht-christliche Theologie (die juuml-dische) vertrat ist houmlchst bemerkenswert Fuumlr moderne Studenten die ihn (Jesus) nachahmen wollen mag dies zumindest beunruhigend oder gar peinlich sein Die Frage warum Jesus im Neuen Testament nicht bdquoausgesprochen christlichrdquo klingt ist vielleicht nicht massgebend doch im umgekehrten Sinn zu fragen warum die heutigen Christen nicht wie Jesus klingen schon eher Wenn es wirklich zutrifft dass das Christentum bdquodas wahre Christsein weggetan hat ohne es zu merkenrdquo46 dann gilt wie JW Bowman so treffend formulierte bdquoDie Kirche kann nicht un-ablaumlssig etwas uumlber Jesus behaupten das er selber (Jesus) als unzutreffend be-zeichneterdquo47

Den Gott den Jesus predigte entdecken und zu ihm stehen bedingt die feierliche Verpflichtung ihm zu folgen Diesem Gott hat Jesus seine Zeit seine Energie und seine ganze Liebe gewidmet Ein Juumlnger des Mannes von Nazareth muss denselben Gott mit der gleichen feurigen Hingabe wie Jesus selber suchen und ihm dienen ohne Ruumlcksicht auf die Kosten

44 Jason David BeDuhn Truth in Translation Accuracy and Bias in English Versions of the New Testa-

ment (Lanham University Press of America 2003) p xiv xv 45 Craig Evans Word Biblical Commentary Mark 34b (Nashville Thomas Nelson 2001) p 261 46 Soslashren Kierkegaard Time Magazine Dec 16 1946 p 64 47 John Wick Bowman The Intention of Jesus (London SCM Press 1945) p 108

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TEILI

DieDunkelheit

Die Geschichte der Orthodoxen Theologie und

deren fruumlhe Herausforderungen

bdquoDie wahre Kritik des Dogmas ist in sei-ner Geschichte zu findenrdquo

David Friederich Strauss

bdquoWir glauben die Doktrin eines dreifaltigen Gottes da wir sie durch Uumlberlieferung emp-fangen haben obwohl sie nirgends in der Schrift erwaumlhnt wirdrdquo

Cardinal Stanislaus Hosius

1

DieunvollendeteReformation

bdquoDer Reformer hat immer Recht uumlber das was falsch ist Nur liegt er manchmal falsch uumlber das was Recht istrdquo

G K Chesterton

IE ERSTEN SECHSHUNDERT JAHRE der Kirche Jesu Christi wa-ren eine unglaublich gefahrvolle Zeit Die vielen konkurrierenden Dokt-rinen uumlber die Identitaumlt Christi warfen die Kirche wie ein Schifflein auf

einem tobenden Meer hin und her Woge um Woge uumlberrollten die Debatten die Glaubenden die Wellen brachen sich an ihnen und zersplitterten sie Viele sbquoer-trankenlsquo in der Brandung auf tragische Weise Gegner wurden ins Exil geschickt Buumlcher verbrannt Haumlretiker umgebracht und die Theologie (Gotteslehre) Jesu geriet tiefer und tiefer in Verwirrung Schreckliche Berichte uumlber christliche Grau-samkeiten begegnen uns durch die gesamte Kirchengeschichte wie die der Kreuzzuumlge und der Inquisition doch der wuumltende Sturm der Gewalttaumltigkeiten von Christen gegen Christen des 5 und des 6 Jahrhunderts ist schwerlich zu uumlbertreffen48

Als sich der Staub der ersten sechshundert Jahre etwas gelegt hatte glich die Re-ligion der Christenheit einer grundlegend anderen als derjenigen der bescheide-nen Anfaumlnge des ersten Jahrhunderts Diese einst schwer verfolgte juumldische Sekte war eine ausgesprochene Randerscheinung in der Gesellschaft geworden Sie wirkte in Hauskreisen und oumlrtlichen Synagogen Doch sobald sie eine vom Staat zugelassene Religion wurde verwandelte sich das Christentum allmaumlhlich in eines der maumlchtigsten Regierungssysteme der Menschheitsgeschichte Angefangen mit

48 John Philip Jenkins Jesus Wars How Four Patriarchs Three Queens and Two Emperors Decided

What Christians Would Believe For the Next 1500 Years (New York HarperOne 2011) p xxi

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Die unvollendete Reformation

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seinen Leitprinzipien uumlber die Rituale bis hin zur operationellen Organisation - kein Aspekt der urspruumlnglichen christlichen Religion blieb unberuumlhrt Durch die Aumlra der kirchlichen Gemeinschaftsarbeit aus welcher oft nach heftigen Ausei-nandersetzungen Glaubensgrundsaumltze und ndashverdikte hervorgingen erlebte die Christenheit einen dramatischen Wandel nicht nur in Bezug auf ihre Theologie sondern auch auf ihre Lebenseinstellung und Ethik Infolge einer tragischen Wende wurde aus den bewundernswerten Christen die einst Opfer brutaler re-ligioumlser Intoleranz waren selber verabscheuungswuumlrdige Unterdruumlcker die ihre theologischen Gegner auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen pflegten Im Ent-wicklungsprozess der christlichen Religion von ihren schlichten Anfaumlngen bis zur vollen Einflussnahme auf die Gesellschaft finden wir die ironischsten und tragischsten Berichte der Menschheitsgeschichte Der Grundsatz scheint sich zu bewahrheiten Ein vormals verfolgtes Volk wenn es ploumltzlich an die Macht ge-langt verliert ndash in schockierender Weise ndash die Erinnerung an das eigene erlebte Unheil und das menschliche Mitgefuumlhl In der Tat kaum waren die Striemen auf dem Ruumlcken der nun eingesetzten Kirchenfuumlrsten verheilt als sie schon ihre ei-genen Peitschen knallen liessen und uumlber die Schultern unzaumlhliger theologischer Dissidenten zogen Das Urchristentum hatte sich zuerst dank seiner verbluumlffen-den Botschaft der Liebe und der Barmherzigkeit der Christen unter den Heiden-voumllkern ausserordentlich erfolgreich ausgebreitet Umso bestuumlrzender waren dann der Hass und die religioumlse Intoleranz die von spaumlteren Kirchensynoden ausgingen welch unermesslichen Schaden haben sie der christlichen Religion zu-gefuumlgt

Wie ein gewaltiges Gewitter brach in den fruumlhen Jahrhunderten das innerkirchli-che Blutvergiessen uumlber die Christenheit herein In erster Linie waren es Mei-nungsverschiedenheiten betreffend eine Vielzahl von eigenartigen Doktrinen in Bezug auf die Identitaumlt der Person Jesus von Nazareth um die es ging Wie kam es nur dass sich dieser Jesus nachdem er groszlige Kuumlhnheit und Kraft ausstrahlte sowie Christen einigte so verheerend veraumlnderte Durch die fruumlhen Zeiten der roumlmischen Verfolgung hindurch scheint die christliche Theologie noch einiger-massen positiv wirksam und fuumlr viele Bekehrungswillige eine mutige Wahl gewe-sen zu sein Doch dann wurde sie unvermittelt zum politischen sbquoBlitzableitersbquo der die dunkelsten menschlichen Verhaltensweisen hervorrief Eigenartige doktrinaumlre Entwicklungen uumlber die Person Jesu (christologische) Formeln von einer Viel-zahl von Gelehrten waumlhrend Jahrhunderten ins Feld gefuumlhrt zeitigten schlieszliglich ihren zerstoumlrerischen Erfolg Die Religion christlicher Theologie die einst Men-schen freiwillig zur Reue und Bekehrung bewegte mutierte zum Zwangsmodell einer Partei die mithilfe der Speere von Imperatoren ruumlcksichtslos durchgesetzt wurde Viele der auszligerordentlichen dogmatischen Spekulationen der christlichen Religion haben sich bis in unsere heutige Zeit erhalten Die tiefgreifendste theo-logische Auswirkung des turbulenten Wandels der fruumlhen Christenheit von ihren

Die unvollendete Reformation

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bescheidenen Anfaumlngen bis zur offiziellen Staatsreligion ist jedoch mit Abstand die Lehre der Dreieinigkeit

DiechristlicheTrinitaumltUngefaumlhr dreihundert Jahre nach Christi Auferstehung und seiner Auffahrt in den Himmel war der roumlmische Kaiser Konstantin (circa 272 ndash 337 n Chr) der Initiator einer Reihe von Konzilen Sein Ziel war die verschiedenen uneinigen christlichen Fraktionen des Roumlmischen Reiches zusammenzubringen Jahrzehnte nach seinem Tod sowie nach vielen boumlsartigen Diskussionen und politischen Auseinandersetzungen wurde im Jahre 381 n Chr beschlossen dass Kraft des staatlichen Gesetzes jeder wahre Christ folgendes glauben muumlsse

Gott bdquoexistiert ewig als drei sbquoHypostasenrsquo (Personen) und einer sbquoou-siarsquo (Substanz)rdquo Gott der Vater Gott der Sohn und Gott der Hei-lige Geist49

Jesus Christus hellip (ist) bdquoder einziggeborene Sohn Gottes ewig (vor aller Zeit) gezeugt vom Vater Licht vom Licht wahrer Gott vom wahren Gott gezeugt nicht erschaffen eines Wesens mit dem Va-ter hellip der hellip vom Himmel herabgestiegen und Fleisch geworden ist durch den Heiligen Geist und von der Jungfrau Maria Mensch geworden ist rdquo 50

Im Jahre 451 n Chr wurde folgendes zum Bekenntnis hinzugefuumlgt

Jesus Christus der einziggeborene Sohn und Herr der in zwei Na-turen unvermischt unveraumlnderlich ungetrennt und unteilbar er-kannt wird wobei nirgends wegen der Einung der Unterschied der Naturen aufgehoben ist vielmehr die Eigentuumlmlichkeit jeder der beiden Naturen gewahrt bleibt und sich in einer Person und einer Hypostase vereinigt51

Um das Jahre 500 n Chr

Wer gerettet werden will muss Gott in der Trinitaumlt anbeten und die Trinitaumlt in der Einheit die Personen sind nicht zu verwechseln die Substanz darf nicht geteilt werden Denn eine Person ist der Vater eine der Sohn und eine der Heilige Geist hellip So ist der Vater Gott der Sohn ist Gott und der Heilige Geist ist Gott Und doch

49 The Cappadocian Trinitarian formula circa 381 CE 50 An excerpt from the updated Niceno-Constantinopolitan Creed 381 CE 51 Auszug aus dem Chalcedonischen Bekenntnis am Konzil von Chalcedon 451 nChr

Die unvollendete Reformation

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sind nicht drei Gott sondern ein Gott hellip Wer gerettet werden will soll so uumlber die Trinitaumlt denken52

Heutige Christen machen oft den Fehler zu glauben es gaumlbe nur eine Trinitaumlts-lehre und dass alle legitimen Christen diese eine Formel benutzen und schon im-mer benutzt haben In Wahrheit hat man sich obwohl es offiziell eine Reihe von Floskeln gibt die anscheinend alle dieselbe Doktrin ausdruumlcken bis auf den heu-tigen Tag nicht auf einen allgemein guumlltigen Wortlaut einigen koumlnnen Die trini-tarische Christenheit ist diesbezuumlglich tatsaumlchlich gespaltener als es die Welt glau-ben soll Orthodoxe Theologen haben sich waumlhrend Jahrhunderten gestritten nicht daruumlber ob die Bibel uumlberhaupt die Trinitaumlt lehrt sondern uumlber was die unterschiedlichen Credi (= Bekenntnisse) uumlber die Trinitaumlt eigentlich aussagen Die simple Anweisung in einer der Versionen man bdquosoll so uumlber die Trinitaumlt denkenrdquo hat sich fuumlr die Mehrheit der Christen als zu schwierig erwiesen Es stellt wirklich ein ernstes Problem dar vor allem wenn in den Bekenntnissen erklaumlrt wird dass bdquodie Errettung vom richtigen Denken uumlber diese Dinge abhaumlngig istrdquo

Heute versichern viele Apologeten und behaupten die Trinitaumltsdoktrin oder de-ren Interpretation sei in den heiligen Schriften augenfaumlllig impliziert Die Ge-schichte legt die Illusion offen Sollten biblische Dokumente tatsaumlchlich die Drei-faltigkeitslehre beweisen weshalb hat sich dann die Kirche so leidenschaftlich und uumlber so lange Zeit um einen unumstoumlszliglichen Beweis bemuumlht Warum hat die Debatte uumlber den Wortlaut und den Sinn der Bekenntnisse die angeblich die of-fensichtliche Dreieinigkeit verteidigen sollen bis in unsere Tage nie aufgehoumlrt Im Hinblick auf diese Mannigfaltigkeit der Ideen fokussieren wir uns auf den Rahmen der Bekenntnisse selbst Wie entstand die These und was haben die ers-ten Vertreter damit beabsichtigt Wie wollten sie begruumlnden und beweisen dass die Trinitaumlt der Theologie und der Religion des historischen Jesus entsprach

Ungeachtet der Interpretationsprobleme hat die Katholische Kirche unbeirrt an den oben erwaumlhnten Bekenntnissen festgehalten und die unterschiedlichen Aus-sagen der Credi seit dem 5 Jahrhundert zum Rahmenwerk der Orthodoxie dh der Rechtglaumlubigkeit erklaumlrt Eine interessante Tatsache ist dass eine uumlberwie-gende Mehrheit der protestantischen Christenheit ebenfalls entschieden daran fest-haumllt

Dies ist insbesondere im Hinblick auf einen bekannten und einflussreichen pro-testantischen Schweizer Theologen des 20 Jahrhunderts Emil Brunner erwaumlh-nenswert Er gab unumwunden zu bdquoMit Sicherheit erscheint weder der Ausdruck sbquoTrinitaumltrsquo (Dreieinigkeit) in der Bibel noch bezieht sich das (biblische) Glaubens-bekenntnis der Apostel irgendwo ausdruumlcklich auf die Dreifaltigkeitrdquo Brunner

52 Auszug aus dem Athanasischen Bekenntnis c 500 n Chr

Die unvollendete Reformation

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verlangt deshalb von seinen theologischen Kollegen bdquoWir muumlssen ehrlich zuge-ben dass die Trinitaumltslehre kein Teil der Botschaft der fruumlhen Christenheit und des Neuen Testaments warrdquo53 Dieses Eingestaumlndnis ist beinahe unglaublich denn wie konnten so viele fromme christliche Theologen uumlber die Gotteslehre Jesu hinweg gehen und sie zugunsten einer Botschaft aufgeben zu der sich Jesus selber weder bekannt noch ihr beigepflichtet haumltte

Zweifelsohne hat der durchschnittliche Kirchenbesucher wenig von oder uumlber Christen gehoumlrt die nicht an die Trinitaumlt glauben und was sie zu diesem Thema zu sagen haben Viele koumlnnen sich jedoch auszligerhalb des katholischen Glaubenssys-tems nicht einmal eine Christologie vorstellen die aufgrund der Schrift zu bele-gen waumlre Zudem ist ihnen nicht bewusst dass fruumlhe trinitarische Sekten welche drei Personen in einer Gottheit befuumlrworteten waumlhrend langen Zeitabschnitten in der Vergangenheit im religioumlsen Lager eine Minderheit waren Das Nachschla-gewerk Encyclopedia Britannnica bestaumltigt dass geschichtlich die bdquoTrinitarier mit den Unitariern stets im Streit lagen die Letzteren jedoch bei Beginn des 3 Jahrhun-derts klar die Mehrheit bildetenrdquo54 Offensichtlich brauchte die Trinitaumltsdoktrin Jahrzehnte bis sie den von ihr begehrten Platz in der Orthodoxie erringen konnte

Von denen die das Ergebnis der Auseinandersetzungen unterstuumltzen werden die erbitterten dogmatischen Streitigkeiten oft als sbquoFunkenflugsbquo erklaumlrt der sich aus den unzaumlhligen kursierenden Irrlehren ergab Diese Haumlresien zirkulierten als Her-ausforderung des von den Fruumlhchristen geerbten Dogmas Ihrer Meinung nach war das Herzstuumlck des Glaubens naumlmlich die Trinitaumlt laumlngst bewiesen Als Folge der modernen Forschung und durch Funde der Archaumlologie ist diese bdquooffizielle Versionrdquo der Kirchengeschichte jedoch arg zerbroumlckelt Der Prozess des Auf-stiegs bis zur Dominanz im bdquoorthodoxen Glaubenrdquo war verworrener und schmerzlicher als es die volkstuumlmlichen Berichte wahrhaben wollen Wenn wir die sich entwickelnde Trinitaumltsdoktrin und ihren langwierigen Anspruch auf Ak-zeptanz ihrer Grundsaumltze durch die Kirche untersuchen stellen wir zudem fest dass ein bischoumlfliches Wetteifern stattfand Historiker und Apologeten haben gleichermaszligen erkannt dass bdquovielfach ins Feld gefuumlhrt wird die Trinitaumlt sei eine offenbarte Doktrin die jedoch hellip alle gegen sie vorgebrachten Argumente einfach umgehtrdquo55 Im Lichte der juumlngsten Forschung und infolge eines fruumlher noch nie dagewesenen verbesserten Zugangs zu religioumlsem Wissensstoff stellen viele

53 Emil Brunner Dogmatics Vol 1 (London Lutterworth Press 1949) p 205 (Dogmatik I Die christ-

liche Lehre von Gott 1946) 54 Encyclopedia Britannica Inc ldquoTrinityrdquo Encyclopedia Britannica Vol 27 (Chicago Encyclopedia Britan-

nica Inc 1956) p 2941 55 Cyril C Richardson The Doctrine of the Trinity A Clarification of What it Attempts to Express (Nashville TN

Abingdon Press 1958) p 16

Die unvollendete Reformation

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christliche Studenten die Bedeutung des Trinitaumltsdogmas und seines Platzes in der Orthodoxie mutig in Frage

OrthodoxieundProtestantismusOrthodox ist ein zusammengesetztes griechisches Wort Orthos bedeutet bdquorichtigrdquo und doxa bdquodie Meinungrdquo Essentiell umschreibt der Ausdruck den Zustand des Glaubens an das was von der Gesellschaft allgemein als wahr akzeptiert wird Der Glaube an irgendetwas das von der Gesellschaft nicht genehmigt wird be-zeichnet man als Heterodoxie oder als bdquounterschiedliche Meinungrdquo Von diesem Wort ist der Begriff Haumlresie (Irrlehre) abgeleitet Durch die gesamte Kirchenge-schichte hindurch war der Ausdruck ein beliebtes Schlagwort wenn es darum ging mit Argumenten (den Gegner) zu uumlberzeugen56

Auch heute noch werden Christen uumlblicherweise als Haumlretiker [Ketzer] gebrand-markt wie vor tausend Jahren obwohl diese Betitelung heutzutage koumlrperlich weit weniger spuumlrbare Folgen haben mag als damals Manche Christen die es nicht dulden dass man dem uumlberlieferten Bekenntnis zuwiderlaufende Argu-mente entgegenwirft bringen ihrerseits vor bdquodie Konzile seien von Gott geleitet wordenrdquo57 Damit wollen sie sagen dass die doktrinaumlren Schluumlsse die die Konzile der fruumlhen Katholischen Kirche zogen wohl durch den Heiligen Geist inspiriert wurden Demgegenuumlber steht die verbluumlffende Erkenntnis der Geschichte dass heute allgemein guumlltige Grundsaumltze der christlichen Orthodoxie in Bezug auf Gott und Jesus uumlber lange Zeitraumlume hinweg vom gleichen Konzilsystem als unorthodox verurteilt worden waren Vielleicht ist sich mancher Student der ge-lernt hat das Konzil von Nicaumla (325 n Chr) sei ein einheitlicher und entschei-dender Schritt der Kirche gewesen christliche Wahrheiten ein fuumlr alle Mal zu klaumlren und zu bereinigen der Realitaumlt uumlber Nicaumla nicht bewusst Wir werden in folgenden Kapiteln noch naumlher auf dieses Thema eingehen

Manche Christen messen den Doktrinen wie derjenigen der Trinitaumlt in ihrem Glaubensleben grosse Bedeutung bei da in der Kirche die orthodoxen Konzile in Bezug auf doktrinaumlre Fragen eindeutig Vorrang genieszligen Protestanten oder Christen mit evangelikaler Tradition hingegen sehen sich dadurch mehr als An-dersglaumlubige in einem Dilemma Fuumlr sie gelten die Entscheidungen der alten rouml-mischen Synoden ebenfalls als massgeblich doch nur bis zu einem gewissen Punkt Der durchschnittliche Protestant pflichtet den fruumlhen katholischen Ent-

56 Im Christentum wurde der Ausdruck bdquofalsche Lehrerdquo oder Haumlresie immer oumlfter gebraucht nachdem

Irenaumlus im 2 Jahrhundert sein Werk bdquoGegen die Haumlresienrdquo veroumlffentlichte On the Detection and Overthrow of the So-Called Gnosis popularly known as Against Heresies See n 91 on p 37

57 Willis C Newman You Can Believe the Bible (Willis Newman 2010) p 97

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scheidungen zwar bei besinnt sich jedoch ploumltzlich auf die Irrtuumlmer der katholi-schen Erlasse insbesondere in der Aumlra vor Martin Luthers Herausforderung der Reformation Wie haumltten konziliarische Fehlbeschluumlsse in der vor-reformatori-schen Zeit verhindert oder aufgedeckt werden sollen Es faumlllt auf wie wenige Protestanten und Evangelikale sich heutzutage trotz ihrer stolzen Ablehnung bi-schoumlflicher (katholischer) Autoritaumlt in doktrinaumlren Fragen bereitwillig den offizi-ellen Verkuumlndigungen der Bischoumlfe von vor 1600 Jahren unterstellen Dieses Thema wird selten wenn uumlberhaupt oumlffentlich aufgenommen und diskutiert

Tatsaumlchlich gleicht es einem freien und beliebigen Auswahlverfahren welche Konzile als wichtig und welche Entschluumlsse dieser Konzile von der Geistlichkeit als maszliggebend eingestuft wurden Einige Protestanten sind bereit lediglich die sieben bdquooumlkumenischen Konzilienrdquo als autoritativ zu akzeptieren andere wiede-rum gehen weiter Am meisten beunruhigend ist die Tatsache dass manche heu-tige Evangelikale die zwar eine orthodoxe Theologie befuumlrworten und deren Ein-haltung fordern sich je nach ihrer Uumlberzeugung im direkten Widerspruch zu vie-len orthodoxen Konzilsbeschluumlssen befinden Als Beispiel Ein Konzil bestaumltigte die goumlttliche Natur Christi und verkuumlndete gleichzeitig dass Maria bdquoTheotokosrdquo die bdquoMutter Gottesrdquo war nicht nur die Mutter des Jesus mit menschlicher Natur58 Ein anderes Beispiel ist der Beschluss eines Konzils dass am Kreuz faktisch Gott gelitten habe nicht ein Mensch59 Des Weiteren wurde durch ein Konzil dekre-tiert jegliche Art des Militaumlrdienstes sogar derjenige eines Feldgeistlichen60 ei-nem wahren Christen verboten sei61 Gegen die meisten dieser Beschluumlsse gehen

58 Katholiken wissen dass Protestanten manchmal erschrecken wenn Maria als bdquoMutter Gottesrdquo benannt

wird Um Verwirrung zu verhindern versichern Fundamentale dass Maria nur den menschlichen Christus getragen habe Diese Behauptung erneuert eine Haumlresie des 5 Jahrhunderts genannt Nestorianismus hellip Aber Frauen gebaumlren nicht humane Naturen sondern Personen Maria hat demzufolge die Person Jesus zur Welt gebracht und die Person die sie ausgetragen und geboren hat war Gott (aus ldquoMary Mother of Godrdquo Catholic Answers Web 28 Dezember 2014) (Maria Mutter Gottes Katholische Antworten)

59 Konzil von Ephesus (431 n Chr) Nestorius glaubte dass die goumlttliche Natur (Gott das Wort) nicht gelitten hat aber Cyril erklaumlrte in einer seiner zwoumllf Verfluchungen gegen ihn bdquoWenn jemand nicht bekennt dass das Wort Gottes im Fleisch gelitten hat und gekreuzigt wurde im Fleisch und den Tod schmeckte im Fleisch und der Erstgeborene von den Toten wurde obwohl er als Gott Leben und Le-bensgeber ist der sei verfluchtrdquo (Dritter Brief an Nestorius) Unsere Uumlbersetzung

60 Das Konzil von Chalcedon erklaumlrt in seinem 7 Kanon dass der Klerus bdquokeinen Militaumlrdienst akzeptieren soll und auch keine weltliche Wuumlrde auf sich nehmenrdquo und falls sie bdquodies nicht bereuen hellip sie verflucht seienrdquo

61 Das Konzil von Nicaumla 325 n Chr wurde wegen seiner Erklaumlrung der Wesensgleichheit Christi mit dem Vater beruumlhmt Es wurde auch bestaumltigt dass es den Christen verboten ist Militaumlrdienst zu leisten im Kanon 12 Will sich ein Soldat bekehren dann soll er waumlhrend zehn Jahren Buszlige tun was sogar noch mehr ist als die sieben Jahre Buszlige die einem Christusverleugner unter Verfolgung auferlegt wurden Der Kaiser Konstantin der dem Konzil von Nicaumla vorstand wusste dass Christen keinen Militaumlrdienst leisten durften Er wusste auch dass Kaiser da sie Militaumlroffiziere waren nicht Christen sein konnten Dies mag der Grund gewesen sein weshalb er sich erst auf seinem Sterbebett taufen liess Spaumlter

Die unvollendete Reformation

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die Meinungen der evangelikalen und protestantischen Gemeinschaften inzwi-schen weit auseinander Mehrere Konzile bekraumlftigten ihre verbindliche Zustaumln-digkeit indem sie einfach festlegten bdquoWer in irgendeiner Weise versucht die Be-fehle dieser heiligen Synode zu uumlbergehen hellip der soll ausgeschlossen werdenrdquo62 Waumlhrend oumlfter die Argumente der Evangelikalen mit Vorwuumlrfen der Haumlresie ge-gen Christen uumlbersaumlt sind die nicht mit ihrer konfessionellen Theologie uumlberein-stimmen stellt sich die Frage wie viele von ihnen erkennen dass sie auch als Ketzer selbst gebrandmarkt werden koumlnnten Wie Stefan Zweig in seinem Buch uumlber die Ketzerei in der Reformation zu Recht feststellte bdquoFuumlr eine protestanti-sche Kirche ist der Begriff des Ketzers an sich schon absurd denn die Protestan-ten fordern dass jeder das Recht auf [eigene] Auslegung hatrdquo63

Im Oktober des Jahres 2014 fuumlhrten zwei groszlige trinitarische Organisationen (LifeWay Ministries and Ligonier Ministries) in den Vereinigten Staaten unter evangelikalen Christen eine Meinungsumfrage durch Fuumlr sie war das Resultat der Umfrage bdquoenttaumluschendldquo denn es zeigte dass bdquodie meisten amerikanischen Evangelikalen Ansichten vertraten welche durch eines oder mehrere der Konzile der fruumlhen Kirche als haumlretisch (von der Wahrheit abweichend) erklaumlrt worden wa-renldquo64 Die Erhebung zeigte auch dass die Mehrheit der Evangelikalen (96) sagt sie glaube an die Dreieinigkeit und Jesus sei ganz Gott und ganz Mensch gewesen (88) Fast ein Viertel von ihnen (22) ist der Ansicht dass Gott der Vater goumlttlicher ist als Jesus und nur 9 hatten keine sicheren Ansichten uumlber diese Fragen 16 sagten Jesus sei die erste Kreatur das erste erschaffene Wesen von Gottes Schoumlpfung und hier waren nur 11 nicht so sicher Wie die Meinungs-forscher erklaumlrten bdquohaben Verse wie Joh 316 sbquoseinen eingeborenen Sohnrsquo und Kol 115 sbquoder Erstgeborene der ganzen Schoumlpfungrsquo schon andere Glaumlubige in der Religions-geschichte zu dieser Meinung gefuumlhrt hellip Ihre Ansicht ist unter dem Begriff Ari-anismus bekanntrdquo Die erwaumlhnte Meinungsumfrage zeigte uumlberdies dass ndash waumlh-rend die meisten Evangelikalen an die Dreifaltigkeit glauben ndash mehr als die Haumllfte (51) sagt dass der Heilige Geist eine Kraft sei kein persoumlnliches Wesen Nur 7 waren da nicht so sicher

schrieb Ambrosius seine Kritik des Kaisers Theodosius I (gestorben 395 n Chr) Sein Werk lieferte Augustinus den Stoff fuumlr seine systematische Theorie uumlber den gerechten Krieg Im Hochmittelalter verfeinerte Thomas Aquinas (gestorben 1274 n Chr) das christliche Denken uumlber den sbquoMilitaumlrdienst unter gewissen Voraussetzungenlsquo Eine kurze Geschichte dieser Entwicklung findet sich bei Wim Smit Just War and Terrorism (Leuven Peeters 2005) pp 108-122 (Gerechter Krieg und Terrorismus)

62 Siehe den 6 Kanon des Konzils von Ephesus von 431 n Chr 63 Stefan Zweig Eden Paul The Right to Heresy Castellio Against Calvin Boston The Beacon Press 1951

Web 9 May 2014 httpwwwgospeltruthnetheresyheresy_chap6htm 64 Kevin P Emmert ldquoNew Poll Finds Evangelicalrsquos Favorite Heresiesrdquo Christianity Today 28 October

2014 Web 14 November 2014

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Fast unglaublich aber wahr ist dass die Mehrheit der Evangelikalen in die Rich-tung Arianismus tendiert eine klar nicht-trinitarische christliche Uumlberzeugung Ob-wohl viele sich nach aussen also zur Dreieinigkeit bekennen glauben die meisten nicht wirklich daran oder koumlnnen sie zumindest nicht erklaumlren Da sie bdquodie dritte Person in der Dreieinigkeitrdquo ablehnen zaumlhlt mehr als die Haumllfte aller evangelika-len Amerikaner per definitionem nicht zu den Trinitariern Man schaumltzt die Zahl der evangelikalen Christen in den USA statistisch auf etwa 60 Millionen dies ist ein ungeheures Potenzial an Zweifel Ablehnung und Verwirrung in einer Gesell-schaft die als gluumlcklich vereint gilt aufgrund ihres bewaumlhrten und wahren christ-lichen Glaubens Die Vorspiegelung der christlichen Einheit in diesem Thema ist demzufolge nur Fassade Trotzdem sich viele sicher sind die These der Dreiei-nigkeit werde von allen bekennenden Christen vorbehaltlos unterstuumltzt kommt ein baptistischer Geistlicher zum Schluss dass sie

eine vielfach umstrittene Doktrin ist die uumlber Jahrhunderte hinweg Diskussionen innerhalb der Kirche ausloumlste hellip und die viele uumlber ihren eigenen Glauben verunsichert da sie noch immer als eine der am meisten missverstandenen und bestrittenen Doktrinen gilt65

Ein katholischer Gelehrter machte folgende zutreffende Wahrnehmung dass die Theorie (der Dreieinigkeit) noch lange nicht bereinigt ist

da bis heute eine grundlegende Krise uumlber die Plausibilitaumlt und die Akzeptanz der kirchlichen Christologie weiterbesteht Unverstaumlnd-lichkeit Komplexitaumlt Lebensfremdheit und Entfernung von der Bibel sind die Gruumlnde fuumlr die Glaubenskrise66

Die erwaumlhnte Studie unter den Evangelikalen deckt ohne Frage ein gewisses Durcheinander auch unter Christen auf die nicht wirklich an die Trinitaumltsdoktrin glauben Die These jedoch herauszufordern oumlffentlich einzugestehen dass sie diesbezuumlglich formell vom bdquorechten Glaubenrdquo abweicht wuumlrde vielen Angst ma-chen und sie sogar erschrecken Denn selbst in diesen Kreisen stammen viele dogmatische Uumlberzeugungen aus beliebten Traditionen aus der Uumlberlieferung es besteht gesellschaftlicher Druck oder ganz einfach infolge von Missverstaumlnd-nissen die wenigsten Glaumlubigen sind durch persoumlnliches und direktes Studium der Schriften zu ihrer religioumlsen Uumlberzeugung gelangt

65 Millard J Erickson God in Three Persons A Contemporary Interpretation of the Trinity (Grand Rapids Baker

Publishing Group 1995) pp 11-12 66 Karl Josef Kuschel Born Before All Time (New York Crossroad 1998) p 59 (Geboren vor aller

Zeit Piper 1990)

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Ein weiterer im Jahr 2014 veroumlffentlichter Forschungsbericht sagt aus dass sieb-zig Prozent der Christen die historischen christlichen Bekenntnisse weder woumlrt-lich wiedergeben koumlnnen noch sich in ihrer Christus-Nachfolge danach richten dreiszligig Prozent sehen keinen Wert darin die Bekenntnisse oder den Katechismus zu studieren67 Beinahe unvorstellbar aber wahr ist die Tatsache dass die Be-kenntnisse welche die Bedeutung der Trinitaumlt beinhalten und die Aussagen die angeblich jemandes wahre christliche Gesinnung ausweisen kaum je diskutiert werden Das Credo mag sich in offiziellen Regeln und Bestimmungen der jewei-ligen Denomination befinden doch gehoumlrt es offenbar nicht zu den Pflichten der uumlberwiegenden Mehrheit der Glaumlubigen es zu beachten oder zu praktizieren Diese Fakten sind von ausschlaggebender Wichtigkeit denn sie beweisen dass eine groszlige Anzahl bekennender Christen auf schlechtem Fuszlig mit dem bdquooffiziel-lenrdquo Dogma uumlber Gott steht Sie lehnen diesbezuumlglich die Zustaumlndigkeit der or-thodoxen Konzile ab entweder weil sie wesentliche doktrinaumlre Aspekte anzwei-feln oder einfach die Vorrangstellung der Konzile verneinen Das etablierte Christentum mag dies vielleicht nur bdquoenttaumluschendrdquo finden doch diejenigen Christen die den von der katholischen Kirche festgelegten Glauben ablehnen sehen darin vielleicht eine Chance ihre eigenen Ansichten zu bilden und im gros-sen Stil eine neue Reformation zu beginnen

In der beruumlhmten bdquoGlaubenskonfession der Baptistenldquosbquo von 1689 ist zu lesen dass die bdquoSchrift die houmlchste Richterin aller religioumlsen Kontroversen ist und alle Dekrete von Konzilien die Meinungen von Schreibern der Antike von Menschen verfassten Doktrinen und unreine Geister durch sie (die Schrift) gepruumlft und be-urteilt werden sollenrdquo68 Manch ein protestantischer Fuumlhrer wurde (im 16 Jahr-hundert) zur Reformation inspiriert als er in der Bibel die vielen Zeugnisse las und erkannte dass diese den offiziellen Edikten Roms in flagranter Weise wider-sprechen The Westminster Confession of Faith (Westminster Glaubenskonfession) die beruumlhmte Richtlinie des Protestantischen Glaubens urteilt wie folgt uumlber die Au-toritaumlt der Konzile

IV Alle Synoden oder Konzilien seit der apostolischen Zeit sei es im allgemeinen oder teilweise moumlgen irren und viele haben sich geirrt deshalb sind sie nicht zu einer Regel des Glaubens zu ma-chen oder der Ausuumlbung aber sie koumlnnen fuumlr beide als Hilfe her-beigezogen werden69

mdash Chapter XXXI Of Synods and Councils

67 Ligonier Ministries ldquoThe State of Theologyrdquo Ligonier Ministries 2014 Web 20 Dec 2014 68 Siehe httpwwwreformedorgdocumentsindexhtml Hinzufuumlgung 69 ldquoWestminster Confession of Faith 31 4rdquo Center for Reformed Theology and Apologetics Web 23

September 2014

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Westminster Confession of Faith 1646

Wieviele reformierte Christen sind sich der Tatsache bewusst viele Konzile haumlt-ten sich bei der Uumlberlieferung der Glaubensgrundsaumltze geirrt so wie es eines ihrer angesehensten Gruumlndungsdokumente erklaumlrt Dieses gesteht naumlmlich ein dass sich Konzile und Synoden irren koumlnnen und so draumlngt sich die Frage auf Wie umfassend war der Irrtum Sollten die Urheber der reformierten Tradition Recht ha-ben und die orthodoxen Konzile nicht frei von doktrinaumlren Fehlern sein und daher houmlchstens als eine Art Richtlinie benutzt werden welches Mass an Verlaumlss-lichkeit kann man ihnen uumlberhaupt beimessen Wie wollen moderne reformierte Christen wissen welche Edikte anzunehmen und welche zu verwerfen sind Sollte eine derartige mangelnde Linientreue gegenuumlber orthodoxen Dekreten tat-saumlchlich ein verdammungswertes Vergehen sein dann bewegen sich Nicht-Katholiken staumlndig auf einem rutschigen Abhang70

DieProtestantischeBeweissicherungEine triftige Frage die sich ein heutiger Protestant stellen kann ist diese bdquoGegen was protestiere ich eigentlichrdquo Martin Luthers urspruumlnglicher Feuersturm begann als Funke in seiner Ablehnung dessen was damals allgemein als christliche Ortho-doxie galt Jene die dem untypischen deutschen Revolutionaumlr nacheiferten such-ten ebenfalls sich zu befreien vom orthodoxen roumlmischen System Sie wollten die Glaubensrichtlinien der Schrift wiedererlangen die wie sie es damals sahen weit-gehend ausgemustert und entsorgt worden waren Eine weitere vernuumlnftige Frage fuumlr den modernen Protestanten ist die folgende bdquoGing die Reformation je zu Ende oder gibt es noch Unerledigtes zu reformierenrdquo

Heutige Protestanten bruumlsten sich manchmal groszligartig mit ihrem Erbe Sie sehen sich als die Gruppe die erfolgreich die bdquounbiblischenrdquo Dogmen Roms verwarf Die urspruumlnglichen Protestanten haben zwar lautstark Luthers beruumlhmten Aus-spruch bdquoSola Scripturardquo (lat allein durch die Schrift) als Kampfesruf wiederholt doch die spaumlteren Nachfolger Luthers konnten oder wollten sich wie es scheint nicht vollstaumlndig von den roumlmischen Glaubenskonstrukten loumlsen

70 Die reformierte Westminster Glaubenskonfession wird auch heute noch von vielen Zweigen der Pres-

byter-Denomination bestaumltigt Was das Bekenntnis selbst anbetrifft verlangt die Kirche der Presbyter in Amerika von ihren bdquogeistlichen Leitern einen Eid abzulegen dass sie die Glaubensdokumente erns-thaft sbquoannehmen und adoptierenrsquo rdquo Aber machen sie sich dieses Mantra wirklich zu Eigen obschon die Konzile voll von Irrtuumlmern waren und als Glaubensregeln nicht vertrauenswuumlrdig sind Oder verbannen und verachten sie weiterhin andere Christen welche entscheiden den orthodoxen Konzilen und deren Haumlresien nicht zu folgen Siehe ldquoWestminster Confession of Faithrdquo Administrative Committee PCA 2015 Web 14 Januar 2015

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Es wurde oft gesagt dass bdquoalle nach der Wahrheit schreien doch danach leben wol-len sie nichtrdquo71 Die Aufsehen erregendsten Machenschaften Roms bleiben in den Herzen von beiden Katholiken und Protestanten fest verankert Der bekannte katholische Gelehrte Graham Greene druumlckte seine Beobachtungen von heutigen Protestanten wie folgt aus

Unsere Gegner sagen manchmal dass kein Glaube der nicht aus-druumlcklich in der Schrift gefunden wird dogmatisiert werden duumlrfe Doch die Protestantischen Kirchen selber haben Dogmen wie die Dreifaltigkeit akzeptiert obschon es dafuumlr keine praumlzise Be-rechtigung in den Evangelien gibt72

Die Reformatoren des 16 Jahrhunderts forderten die Autoritaumlt manch eines ka-tholischen Dekrets heraus welchem die Berechtigung der Schrift mangelte doch ausgerechnet das Dogma der Dreieinigkeit lieszligen die bekannten protestantischen Fuumlhrer weitgehend unangetastet Diese Tatsache wurde erkannt und von einem Nachschlagewerk kommentiert bdquohellip dass obwohl die Doktrin in der Schrift nicht voll entwickelt ist hellip die Protestantische Kirche zur Zeit der Reformation die Trinitaumltsdoktrin - ohne sie ernsthaft zu hinterfragen - uumlbernahmrdquo73 bdquoLuther Cal-vin Melanchthon und andere scheinen an diesem Dogma achtlos vorbeigegan-gen zu sein ohne es zum Thema ihrer eigenen theologischen Uumlberlegungen zu machenrdquo74 Doch wieso wurde dieses Dogma nicht derselben Uumlberpruumlfung un-terzogen wie zum Beispiel die Doktrinen der Transsubstantiation (dh der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu) oder die Vorrangstellung (das Primat) des Papstes War die Dreifaltigkeit bereits so beliebt oder so grund-legend dass man es nicht fuumlr noumltig erachtete dieselben textkritischen Standards anzuwenden Wir fragen uns natuumlrlich warum protestantische Traditionen heute immer noch einer unerlaumlsslichen Konfrontation dieses Dogmas mit den bibli-schen Fakten aus dem Weg gehen In diesem Zusammenhang machte ein mo-derner Gelehrter folgende einleuchtende Bemerkung

Die protestantische Ausrichtung des Christentums beharrt unter dem Motto bdquoSola Scripturardquo darauf dass alle legitimen christlichen Glaubensgrundsaumltze (und -praktiken) in der Bibel gefunden oder zumindest dort verankert sein muumlssen ein sehr klares und lobens-wertes Prinzip Das Problem liegt aber darin dass die protestanti-sche Christenheit damals nicht in ein historisches Vakuum hinein

71 George Berkeley Siris 1744 72 Graham Greene ldquoAssumption of Maryrdquo Life Magazine 30 October 1950 p 51 73 Frank Moore Colby Talcott Williams (ed) New International Encyclopedia Vol XXII (New York Dodd

Mead and Company 1916) p 477 74 Emil Brunner Dogmatik I

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geboren wurde und schon gar nicht direkt auf die Aumlra zuruumlckgeht in der die Bibel geschrieben wurde Der Protestantismus war und ist die Reformation eines bereits voll entwickelten katholischen Christentums So als sich die protestantische Reformation vor etwa 500 Jahren ereignete wurde das Christentum nicht von Grund auf neu erfunden Viele Doktrinen wurden uumlbernommen die vom Katholizismus waumlhrend mehr als tausend Jahren entwi-ckelt worden waren In diesem Sinn kann man mit Recht argumen-tieren dass die protestantische Reformation keineswegs abge-schlossen ist und die hehren Ziele die sie sich setzte nicht voumlllig erreicht worden sind

Um das Erbe von als wahr geltenden Doktrinen anzutreten ver-langte der Protestantismus dass sie in der Bibel gefunden werden muumlssen Und genau weil viele Dogmen bereits als wahr galten gerie-ten die Protestanten unter enormen Druck diese Wahrheiten in die Bibel zuruumlckzulesen ob sie nun da geschrieben stehen oder nicht Protestantische Christen sehen sich nicht gerne als solche die etwas ausbauen das nicht (ausdruumlcklich) in der Bibel steht Folglich lassen sich die meisten wenn nicht alle Ideen oder Konzepte der protestantischen Christen in der Bibel finden oder zumindest sind sie dort irgendwie angetoumlnt (impliziert) Bewusst oder unbewusst besteht der Druck die Ideen und Konzepte im biblischen Text auf-zubauen die Worte zu paraphrasieren (= umschreiben) oder was in der Bibel steht auszudehnen Ziel ist zu erreichen dass in der Schrift steht was der moderne Leser wuumlnscht beziehungsweise braucht75

Den uumlberlieferten Glauben zu verteidigen ist ein loumlbliches und ehrenwertes Un-terfangen Waumlhrend der Glaube dem Sanftmuumltigen in dieser chaotischen Welt einen festen Anker zu geben vermag koumlnnte er fuumlr den Radikalen leicht zu einem Vorwand werden Bei einem einseitig Interessierten besteht durchaus die Ten-denz das unnachgiebige Bewahren seines Glaubens zunehmend als eine Frage der Ehre zu sehen Je mehr die innere Uumlberzeugung durch Argumente von auszligen unter Druck geraumlt desto eher wird der Versuchung nachgegeben Fakten zu be-schoumlnigen um dem Guten etwas nachzuhelfen Selbstverstaumlndlich ist es nie ehr-lich Unwahrheiten zu beguumlnstigen Aber die Wahrheit zu sprechen auch wenn dadurch eine bdquoLieblingstheorierdquo kaputt gemacht wird ist nicht nur ehrenwert sondern wird vom Gott des Christentums so verlangt

75 BeDuhn pp 163-164

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Historisch gesehen haben sich die Protestanten anscheinend immer davor ge-druumlckt biblische Dokumente mit einem allzu kritischen Auge zu pruumlfen Im De-zember 2015 erschien ein Artikel in der angesehenen christlichen Zeitschrift Christianity Today in welchem folgendes zugegeben wird bdquoDas akademische Stu-dium der Bibel hat den Ruf Studenten und Lehrer uumlber die Schutzmauer zu sto-szligen die den orthodoxen Glauben umgibtrdquo76 Aus dieser Feststellung folgerte der Gelehrte James F McGrath bdquodass viele Evangelikale sich genau aus diesem Grunde davor scheuen ein (theologisches) Studium anzufangen Denn ein sol-ches koumlnnte sie ndash wenn ernsthaft betrieben ndash zu Schluumlssen fuumlhren die sie eigent-lich lieber haumltten vermeiden wollenrdquo77 Der durchschnittliche Christ mag es ein-fach nicht einheitliche Strukturen der Orthodoxie gegen biblische oder ge-schichtliche Informationen auszuspielen da sich dies als zu sbquoteuersbquo erweisen koumlnnte Es ist klar ein Versagen auf pastoralem Niveau dass den Glaumlubigen nicht mehr Vertrauen in das christliche Dogma eingefloumlszligt wurde Die Tatsache dass uumlber die Haumllfte der Evangelikalen zwar vorgeben an die Dreifaltigkeit zu glau-ben aber genau genommen keine Trinitarier sind legt offen dass sie (von ihren Geistlichen) nicht genuumlgend uumlber die angeblichen Glaubensgrundlagen belehrt worden sind Wir moumlgen verstehen weshalb sich ein Laie vor akademischen Un-tersuchungen der Bibel scheut Die Trinitaumltsdoktrin macht fuumlr einen religioumlsen Laien schon an sich keinen Sinn noch tiefer zu schuumlrfen koumlnnte seine Zweifel verstaumlrken und ihn schlieszliglich in eine Zwangslage bringen Doch aus welchem Grund hat es die evangelikale Geistlichkeit versaumlumt ihre Gemeinschaften dar-uumlber aufzuklaumlren was landlaumlufig als Echtheitszeichen des christlichen Denkens gilt Reicht die Mehrdeutigkeit des Dogmas etwa bis ins houmlchste Kader der Geist-lichkeit Einige trinitarische Kirchen weisen ihren Klerus an jaumlhrlich mindestens an einem Sonntag uumlber die Trinitaumltsdoktrin zu predigen78 Ein fruumlherer Seelsorger und Professor am Pittsburgh Seminar der Theologie gesteht dass

vielen Pfarrern vor dem Trinitaumltssonntag graut Sie hoffen dass dieser auf irgendeinen Gedenktag auf den Sonntag der Abschluss-feier oder auf den Muttertag faumlllt ndash alle sind genehm solange nicht

76 Andrew Byers ldquoDispatches from the Wondrous Terrifying World of Biblical Scholarshiprdquo Christianity

Today 28 Dezember 2015 Web 12- Januar 2016 77 James F McGrath ldquoMore on Markrsquos Christologyrdquo Exploring Our Matrix 18 January 2016 Web 28

January 2016 (Mehr uumlber die Christologie von Markus) 78 bdquoDer Trinitaumltssonntagrdquo wird normalerweise in liturgischen westlichen Kirchen nach dem Pfingstsonntag

begangen und in oumlstlichen Kirchen am Pfingsttag selbst bdquoEr istrdquo wie ihn ein Pfarrer der Episkopal-kirche nannte bdquoder Schrecken aller Prediger und der Unsegen aller Seminaristenldquo (Susan Sloan ldquoTrinity Sundayrdquo 26 Mai 2013 St Stephenrsquos Episcopal Church Huntsville AL) Ein evangelischer Professor an der Biola Universitaumlt fuumlgte dem hinzu bdquoWenn sich schon Prediger vor dem Trinitaumltssonntag fuumlrchten und dem ist so wer weiszlig was die Glaumlubigen davon haltenrdquo (Fred Sanders ldquoThe Trinity Yes A Doc-trine About Godrdquo The Scriptorium Daily 3 Juni 2012 Web 28 Januar 2016)

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uumlber das Trinitaumltsprinzip gesprochen werden muss Was ist die Trinitaumlt uumlberhaupt Zu was ist sie nuumltze79

Das offizielle Dogma uumlber Gott hat seit jeher bei Laien und beim Klerus gleich-ermaszligen Unschluumlssigkeit ausgeloumlst Weit davon entfernt eine brillante Offenba-rung zu sein die man tiefer erforschen und dann verkuumlnden koumlnnte ist sie fuumlr die Mehrheit der Glaumlubigen zu einem Relikt geworden das aus weiter Ferne ver-ehrt wird Dem Altar zu nahe zu kommen wuumlrde bedeuten darin zu viele Unge-reimtheiten zu erkennen was den Glanz verblassen lieszlige Ist aber wirklich Gott der Schuldige an dieser Entfremdung der christlichen Gottheit aus dem christli-chen Leben Haben nicht gerade die Protestanten am Anfang versucht den Dog-matismus zu uumlberwinden der das Selbstbestimmungsrecht unterbunden hatte Sicherlich sollte ein fragender Geist der staumlndige Begleiter des Protestantismus sein Aber die Widerstandskraft des verankerten Dogmas ndash von der Geistlichkeit gehandhabt ndash bringt alles zum Schweigen und uumlberbruumlckt selbst Grenzen zwi-schen Denominationen Im Verlaufe der gesamten Kirchengeschichte war die Erhaltung der Doktrinen von beiden Katholiken und Protestanten wichtiger als Bedenken der Vagheit des Dogmas Es aufrechtzuerhalten stand uumlber der Ge-dankenfreiheit und sogar weit uumlber dem Wert des menschlichen Lebens

DiedunkleSeitederReformationViele wissen nicht dass es in der Aumlra der Reformation eine groszlige Anzahl von mutigen Herausforderern gegeben hat welche mutig ihre Stimme erhoben und die katholische Trinitaumltsdoktrin in Frage stellten Diese christlichen Denker wauml-ren heute wohl bekannter haumltten ihre Buumlcher und sie selber den unglaublichen Eifer ihrer reformatorischen Weggenossen uumlberlebt So tragisch es ist stand die-ser Eifer demjenigen der katholischen Vorfahren in nichts nach Aber die Ge-schichte verdunkelt allgemein gerne jene Ereignisse die dem Ruf einer bestimm-ten Gruppe abtraumlglich sein koumlnnten Wie John Quincy Adams so treffend er-klaumlrte ist bdquodie offizielle Geschichtsschreibung in allen Laumlndern und durch alle Zeiten hindurch hellip stets eine Art reichlich bunte Gesichtsmaske gewesen Die Machenschaften hinter ihr waren garstig und verdorbenrdquo80 Es ist beinahe uumlber-fluumlssig zu erwaumlhnen dass die heutigen religioumlsen Systeme von der Ausklamme-rung skandaloumlser Vorkommnisse vielfach profitieren Doch ist es nicht nur die Exklusion (das Verschweigen) der Skandale sondern auch die bestimmte The-menwahl und der uumlberhoumlhten Berichte welche unser Vergangenheitsverstaumlndnis vernebeln Sicherlich gibt es generell in allen Gruppen von Menschen Helden

79 Teresa Stricklen as quoted by Ronald J Allen Preaching is Believing The Sermon as Theological Reflection

(London Westminster John Knox Press 2002) p 91 80 John Quincy Adams November 9 1832 quoted in Robert Nowlan The American Presidents Washington

to Tyler (Jefferson McFarland 2012) p 251

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und Uumlbeltaumlter Die Faumlhigkeit selber eine Linie zwischen Heldentum und Gemein-heit zu ziehen sowie eigenstaumlndig und uneingeschraumlnkt daruumlber entscheiden zu koumlnnen wird jedoch drastisch behindert wenn der Uumlberblick uumlber das Ganze staumlndig verschleiert wird Um es konkret auszudruumlcken koumlnnte ein moderner Christ seine eigene Autoritaumlt als frei handelnder Mensch in der Geschichte besser ausuumlben wenn er eine breitere Perspektive uumlber die Antike der Kirche haumltte sozusagen einen klaren Blick zuruumlck in die Vergangenheit machen duumlrfte Um ein eigenes Urteil zu bilden sind die Beispiele von Christen welche von der Ortho-doxie abgelehnt und verfolgt wurden ebenso wertvoll wie die Berichte derjeni-gen die Buumlcher schrieben und uumlberlebten

Es genuumlgt zu erwaumlhnen dass viele Protestanten unserer Zeit wenig oder nichts uumlber die dunkle Seite der Reformation des 16 Jahrhunderts erfahren Allgemein kann davon ausgegangen werden dass sogar diejenigen die sich einst mit der edelsten Gesinnung auflehnten zu leidenschaftlichen Despoten werden wenn sie erst einmal an die Macht gelangen Sie legen ploumltzlich dieselbe Intoleranz an den Tag die sie einst durch ihren Aufstand bekaumlmpften Die Brandfackel des Revolutionaumlrs war schon immer ein schwer zu handhabendes Ding auf der einen Seite legte sie Feuer an die Irrtuumlmer der Tyrannei auf der anderen entflammt sie leicht die eigenen Ideen des Revolutionaumlrs Oder noch schlimmer sie loumlst beim Aufstaumlndischen einen Verfolgungswahn aus der sich gegen seine eigenen Weg-genossen richtet und diese womoumlglich auf den Scheiterhaufen liefert Wie wider-waumlrtig auch immer die eigenen Geschichtsannalen heutigen Reformierten er-scheinen moumlgen die ersten Protestanten waren genauso blutruumlnstig wie die Ka-tholiken wenn es um die Verteidigung der aktuellen Orthodoxie ihrer Epoche ging Wie es Edward Gibbon bildhaft ausdruumlckte

Die Reformatoren hatten das ehrgeizige Ziel die Tyrannen zu er-setzen die sie entthront hatten Sie setzten dann mit gleicher Haumlrte ihre Dogmen und die Bekenntnisse in Kraft und sie erklaumlrten als Magistraten das Recht zu besitzen an Haumlretikern die Todesstrafe zu vollziehen Die Natur des Tigers blieb also die gleiche81

Die Gewalt begann in der Schweiz Felix Manz (1498 ndash 1527 n Chr) ein brillan-ter junger Theologe und Mitbegruumlnder der Versammlung der Anabaptisten (Taumlu-ferbewegung) in diesem Land war der erste Maumlrtyrer der Reformation der durch seine protestantischen Glaubensgenossen getoumltet wurde Manz war ein Student des beruumlhmten Reformators Ulrich Zwingli gewesen Als er aber dessen Art der Eucharistie herausforderte und spaumlter sogar noch die Kindestaufe ablehnte be-

81 Edward Gibbon The Decline and Fall of the Roman Empire Vol 6 (London Metheun amp Co 1902 [1776-

1789]) p 127

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fand er sich ploumltzlich auf der falschen Seite des Protestantismus Der protestan-tische Rat von Zuumlrich hatte die Wiedertaufe von Erwachsenen verboten doch Manz hielt daran fest dass es keine biblische Vollmacht fuumlr die Kleinkindertaufe gab Er weigerte sich zu widerrufen Da er offensichtlich so auf einer Wiedertaufe erpicht war fuumlhrten ihn die Zuumlrcher Protestanten zum Fluss Limmat und er-traumlnkten ihn82 Der Mord an Manz stellte die Weichen fuumlr eine elende und er-baumlrmliche Wegstrecke der christlichen Geschichte auf der unzaumlhlige treue Pro-testanten die das biblische Zeugnis den orthodoxen Dekreten vorzogen dafuumlr mit ihrem Leben bezahlten

Waumlhrend die Zahl der bibeltreuen Christen in die Dutzende ja in die Hunderte geht die durch die Hand ihrer Landsleute den Tod fanden ist das Martyrium von Michael Servetus 1553 wohl die infamste Kroumlnung der Episoden uumlber Gewalt von Reformator gegen Reformator Servetus war ein spanischer Theologe ein angesehener Kartograph ein brillanter Mathematiker sowie der Physiologe der die kleine Blutzirkulation in der Lunge entdeckte und beschrieb Trotz seiner wis-senschaftlichen Seriositaumlt erwies sich seine unorthodoxe Theologie fuumlr die Geist-lichkeit als nicht tolerierbar Die fruumlhen Reformatoren allen voran Johannes Cal-vin (1509 ndash 1564 n Chr) behandelten ihn auf eine Art und Weise die den Ent-scheidungen der roumlmischen Konzile an Haumlrte in nichts nachstand Ihr Dogma-tismus hatte nichts an Feuer und Glut eingebuumlsst Da Calvin die Orthodoxie ver-teidigen wollte lieszlig er seinen ehemaligen Freund als Haumlretiker festnehmen vom Rat verurteilen und auf dem Scheiterhaufen verbrennen83 Servetus der es gewagt hatte die orthodoxe Doktrin der Dreieinigkeit abzulehnen84 wurde durch Calvin in eine Falle gelockt und den katholischen Kirchenbehoumlrden in Genf uumlberant-wortet Calvin reagierte so bitter auf die Ideen von Servetus dass er waumlhrend der Gerichtsverhandlung den Wunsch aumluszligerte bdquoServetus moumlge mit dem Tod be-straft werdenrdquo85 Obwohl er sich einer aumluszligerst schmerzhaften Exekution gegen-uumlber sah hat Servetus seine Uumlberzeugung nicht widerrufen Schlieszliglich hat

der Rat der Zweihundert angeordnet bdquoman fuumlhre Servetus nach Champel ab wo er am naumlchsten Tag lebendigen Leibes zusammen mit seinen Buumlchern verbrannt werden sollerdquo Nur zwei Punkte

82 Alister E McGrath Christianityrsquos Dangerous Idea The Protestant Revolution A History from the

Sixteenth Century to the Twenty-First (New York HarperOne 2007) p 71 83 Elgin Sylvester Moyer The Wycliffe Biographical Dictionary of the Church (Illinois Moody Press

1982) p 366 84 Merrick Whitcomb (ed) ldquoThe Complaint of Nicholas de la Fontaine Against Servetus 14 August

1553rdquo in Period of the later reformation in Translations and Reprints from the Original Sources of Euro-pean History Vol 3 (Philadelphia University of Pennsylvania History Department 1898-1912) no 3

85 Walter Nigg The Heretics (New York Alfred A Knopf Inc 1962) p 328

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wurden in der Anklage erwaumlhnt die Trinitaumltslehre und die Kinder-taufe Das Urteil stuumltzte sich auf den Codex Justinianus der die Todesstrafe fuumlr die Leugnung der Trinitaumlt vorschrieb86

Als Servetus sein Todesurteil vernahm plaumldierte er Calvin solle Milde walten und ihn durch Koumlpfen sterben zu lassen weil er befuumlrchtete wegen der Folterqualen nicht standhaft zu bleiben Statt der Bitte nachzugeben wurde befohlen gruumlnes Holz fuumlr den Scheiterhaufen zu nehmen um das Leiden zu verlaumlngern Zudem solle Schwefel auf das Haupt von Servetus gelegt werden damit ndash wenn die Flam-men endlich hoch genug reichten ndash der Schwefel sich entzuumlnde und sein Haupt mit noch groumlszligerer Intensitaumlt brenne87 Doch waumlhrend Servetus lebendig ver-brannt wurde hat er nicht widerrufen Calvin zeigte (auch nach der Hinrichtung) keine Reue sondern wies andere an seinen blutigen Fuszligspuren zu folgen bdquoUn-terlasst nichts eure Laumlnder von Schurken zu saumlubern welche das Volk zur Re-volte gegen uns aufhetzen Diese Monster muumlssen ausgerottet werden so wie ich Michael Servetus den Spanier ausgerottet haberdquo88 Calvin und andere haben die unruumlhmliche Sitte der Roumlmischen Kirche weitergepflegt Gegenbeweise nicht mit stichhaltigen Argumenten zu gewinnen sondern durch die Hinrichtung der Geg-ner Ein Historiker schreibt dazu

Aus dem gleichen Grunde aus dem Paumlpste und Kardinaumlle Haumlreti-ker attackierten weil sie fuumlrchteten die Irrlehre koumlnnte die Kirche zerstoumlren haben die neuen protestantischen Fuumlhrer ihre bdquoHaumlreti-kerrdquo (Katholiken und Protestanten die haumlretische Ansichten ver-traten) mit aumlhnlicher Grausamkeit angegriffen Genau wie die ka-tholische Inquisition zu Missbraumluchen fuumlhrte so erfolgten auch die protestantischen Saumluberungen im Namen Gottes Fuumlr die Leiter der Protestanten war die Leugnung der Trinitaumlt die groumlszligte Irrlehre Genau wie in der katholischen Inquisition waren die Herausforde-rung der Dreieinigkeit Gottes des Papstes und der Inquisition die groumlszligten Haumlresien89

86 Ken Westby ldquoMichael Servetus Murdered by John Calvinrdquo Kingdom Ready 9 July 2012 Web 19

November 2014 This was the same law introduced in 529 CE which also forbade the utterance of the ldquoShemardquo creed preached by Jesus (Mark 1229) (Michael Servetus von Calvin ermordet Das Urteil stuumltzte sich auf dasselbe Gesetz welches auch die Rezitierung des Shema im Jahre 529 verbot dem Credo das von Jesus in Markus 1229 bestaumltigt wurde)

87 Ebenso 88 Merrick Whitcomb (ed) ldquoCalvin to the Marquis Paet high chamberlain to the King of Navarre 1561rdquo

Period of the later reformation in Translations and Reprints from the Original Sources of European History Vol 3 (Philadelphia University of Pennsylvania History Department 1898-1912) no 3

89 Michael Thomsett The Inquisition A History (Jefferson McFarland 2010) p 205

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Der franzoumlsische Reformator Sebastian Castellio (1515 ndash 1563) verurteilte Jean Calvins uumlbermaumlszligig harte Behandlung des Servetus90 Seine Aussage trifft zu bdquoei-nen Menschen zu toumlten bedeutet nicht eine Doktrin zu verteidigen sondern ei-nen Menschen zu toumltenrdquo91 Das groszlige Raumltsel der Reformation ist und bleibt die Frage warum es die protestantische Geistlichkeit fuumlr noumltig befand solch einen gewalttaumltigen Eifer an den Tag zu legen um die Trinitaumltsdoktrin zu verteidigen In der Tat was rechtfertigte die Anrufung der Staatsgewalt um eine Ansicht durchzusetzen die doch selbstverstaumlndlich und gemaumlszlig der Schrift als eine gesunde Lehre galt Die Frage koumlnnte den christlichen Parteien immer wieder gestellt wer-den und zwar in jeder Aumlra der christlichen Geschichte Jedes Mal koumlnnte man sich an den Grundsatz erinnern bdquodass nur Irrtum Unterstuumltzung von der Staats-regierung braucht Die Wahrheit steht fuumlr sich selbstrdquo92

Heutige Christen sollten damit einverstanden sein dass kein Eifer ob er sich ge-walttaumltig oder friedlich aumluszligert der Verteidigung von unbiblischen Thesen ange-messen oder zutraumlglich ist Sind nun moderne Protestanten bereit ihr doktrinaumlres Erbe durch die Wiederaufnahme des alten Rufes bdquoSola Scripturardquo erneut zu uumlber-pruumlfen sollte sich die Gelegenheit dazu bieten Katholiken haben traditionsge-maumlszlig keine Skrupel Doktrinen von ausserhalb der Schrift zu akzeptieren Die Sprachrohre des katholischen Klerus insbesondere der Papst galten uumlber lange

90 Castellio war einst - vor der Hinrichtung von Servetus - ein enger Freund Calvins Er war

einer der ersten Reformatoren welcher religioumlse Toleranz forderte sowie Gewissensfreiheit Er war ein Mensch von unglaublich groszligem Intellekt und hatte viele Talente sodass Voltaire uumlber Castellios Beziehung zu Calvin folgendes bemerkte bdquoWir koumlnnen die Boumlsartigkeit der Tyrannei am Ausmaszlig der Verfolgung Calvins messen die Castellio erlebt hat und der er durch Calvin ausgesetzt war ndash und obwohl er ein weit groumlszligerer Gelehrter als Calvin war ihn dessen Eifersucht aus Genf vertrieben hatrdquo (Zweig The Right to Heresy p 89 Das Recht auf die Haumlresie)

91 Earl Morse Wilbur A History of Unitarianism Socinianism and its Antecedents (Boston Beacon Press 1946 1972) p 203 (Eine Geschichte des Unitarianismus des Socianismus und deren Vorlaumlufer) Castellio fuumlgt hinzu bdquoWas meinen wir eigentlich mit dem Ausdruck Haumlretiker Wen duumlrfen wir Haumlretiker nennen ohne ungerecht zu sein Ich glaube nicht dass alle die Haumlretiker ge-nannt werden auch wirklich Haumlretiker sind hellip Dass die Benennung Haumlretiker in unseren Tage so missbraumluchlich verwendet und so erschreckend geworden ist beweist die Atmo-sphaumlre der Schande die sie ausstrahlt Wenn immer jemand einen seiner privaten persoumlnli-chen Feinde ausmerzen moumlchte findet er sicherlich einen passenden Vorwand diesen Feind der Haumlresie anzuklagen Sobald andere diesen furchteinfloumlszligenden Ausdruck houmlren bekom-men sie solch laumlhmende Angst dass sie ihre Ohren verstopfen und blindwuumltig nicht nur den vermeintlichen Haumlretiker angreifen sondern auch alle diejenigen die es wagen sollten ir-gendein Wort zu seiner Verteidigung zu aumluszligernrdquo (Zweig The Right to Heresy p 89)

92 Thomas Jefferson Notes on Virginia

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Zeit als Quellen der Glaubensgrundsaumltze und ihre Autoritaumlt ist die der Bibel eben-buumlrtig93 Ungeachtet der Haltung die man gegenuumlber diesen Fragen einnimmt ist es bemerkenswert wie anti-katholische Kreise die historisch gesprochen den Entscheidungsprozessen gegenuumlber eher kritisch sind unbewusst auffallend aumlhn-liche Standards anwenden

EineLehrederfruumlhenKircheSeit langem wurden schon viele biblische Verse von Trinitariern herbeigezogen um das Dogma der Dreifaltigkeit als apostolisches Erbe darzulegen und zu un-termauern Allerdings liefert keine der angefuumlhrten Stellen einen Beleg fuumlr die entwickelte Trinitaumltsdoktrin und der Prolog des Evangeliums von Johannes macht da keine Ausnahme Die so genannten Beweistexte koumlnnen deshalb nur als Bedingungen gewisser doktrinaumlrer Prinzipien anerkannt werden waumlhrend das Hauptdogma selber nur durch Inferenz (dh Schlussfolgerung) formuliert wer-den kann Oft houmlrt man dass das Alte Testament bdquogewisse Referenzen zu enthalten scheint welche diese Doktrin im Voraus angedeutet haumlttenrdquo94 und dass bdquosie dann im Neuen Testament vollumfaumlnglich impliziertrdquo sei95 Einige gehen sogar so weit dass sie sagen bdquodie Trinitaumlt ist eine unergruumlndliche jedoch unfehlbare Doktrin in der Schriftrdquo96 Wie ein baptistischer Gelehrter jedoch sagte bdquosind bei naumlherem Hin-schauen viele Schriftstellen nur mit der groumlszligten Muumlhe zu diesem Zwecke an-wendbarldquo97

Beinahe alle der beliebten bdquoBeweiserdquo stammen aus dem Evangelium des Johan-nes Apologeten (Erklaumlrer) versuchen in den wenigsten Faumlllen die Doktrin unter Zuhilfenahme eines oder aller der synoptischen Evangelien zu untermauern Ein Heer von Gelehrten bestaumltigt dass Matthaumlus Markus und Lukas weder die Prauml-Exis-tenz noch die Goumlttlichkeit Jesu lehren98 bdquoLiberalererdquo Gelehrte kommen oft zum

93 ldquoWhen in the exercise of his office as shepherd and teacher of all Christians in virtue of his supreme

apostolic authority [the Pope] defines a doctrine concerning faith or morals to be held by the whole Churchrdquo (First Vatican Council First Dogmatic Constitution of the Church Ch 4 9)

94 Jack Cottrell What the Bible Says About God the Redeemer (Eugene Wipf and Stock Publishers 1987) p 133 emphasis added

95 John Richardson Illingworth quoted in Alister McGrath Christian Theology An Introduction (Oxford Blackwell Publishing 2011) p 236 emphasis added

96 John F MacArthur New Testament Commentary on 1-3 John (Chicago Moody Publishers 2007) p 162 97 Erickson God in Three Persons pp 108-109 98 See AT Hanson ldquoTwo Consciousnesses The Modern Version of Chalcedonrdquo Scottish Journal of Theology

37 (1984) p 478 (Zwei Bewusstsein die moderne Version des Konzils von Chalcedon) Siehe auch Dale Moody The Word of Truth (Grand Rapids Eerdmans 1981) p 393 (Das Wort der Wahrheit) James Dunn Christology in the Making (Grand Rapids Eerdmans 1980) p 89 (Christologie im Entstehen) James F McGrath ldquoMore on Markrsquos Christologyrdquo Exploring Our Matrix 18 January 2016 Web 28 January 2016 (Mehr zur Chris-tologie des Markus Untersuchung unserer Matrix) Adela Yarbro Collins John Joseph Collins King and Messiah

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Schluss dass Johannes einfach vom Portraumlt Jesu in den synoptischen Evangelien abweicht da Jesus weder als Gott gedacht noch dargestellt wurde bis zum spaumlte-ren Zeitpunkt der Niederschrift des johanneischen Evangeliums99 bdquoKonservati-vererdquo Gelehrte vertreten dagegen die Ansicht dass auch die synoptischen Evan-gelien irgendwo Hinweise und Feinheiten enthalten muumlssen die ihre Uumlberein-stimmung mit Johannes erlauben Doch stellen wir die Frage der dritten Art Koumlnnte es sein dass weder Johannes noch die Synoptiker trinitarische Prinzipien lehren Sind die wahrgenommenen Unvereinbarkeiten zwischen den Evangelien nicht einfach das Resultat des Versuchs alle vier zu harmonisieren indem wis-senschaftliche Ideen des vierten Jahrhundert (auf die Synoptiker) bdquozuruumlckproji-ziertldquo werden Obwohl er das Johannes Evangelium sehr fuumlr seine Zwecke ver-wendet hat schreibt der herausragende Trinitarier JAT Robinson

Wie alle anderen im Neuen Testament weicht Johannes keinesfalls vom Grundprinzip des Judentums dem unitarischen Monotheismus ab (Vgl Roumlmer 330 Jakobus 219) Es gibt nur einen den wahren und einzigen Gott (Johanes 544 173) alle anderen sind Abgoumltter (1 Joh 521) In der Tat ist der Judaismus des Johannes nirgendwo klarer ersichtlich (als hier) wie aus allen Studien der juumlngsten Zeit hervorgeht100

Trifft diese Aussage zu dann fragen wir uns zu Recht wieviele der johanneischen Texte welche anscheinend die Goumlttlichkeit Jesu implizieren in diesem Licht noch als sbquoehrliches Missverstaumlndnislsquo aufrecht stehen bleiben Es ist interessant dass ein Hauptthema des Johannes-Evangeliums tatsaumlchlich der sbquomissverstandene Jesuslsquo ist In mindestens 15 der 21 Kapitel finden sich Gegebenheiten die beschreiben wie die Zuhoumlrerschaft Jesus missverstanden hat101 Koumlnnte es sein dass das breite Publikum heutzutage die Absichten und Ziele Jesu ebenso missversteht wie das Volk von damals in seiner eigenen Zeit

Im Zeitalter der grenzenlosen Kommunikation sind wir uns der Folgen bewusst wenn die Uumlbermittlung von Nachrichten und die Verstaumlndigung zwischen ver-schiedenen Kulturen versagen Zum Beispiel wenn ein Englaumlnder sagt etwas war

as Son of God Divine Human and Angelic Messianic Figures in Biblical and Related Literature (Grand Rapids Eerdmans 2008) p 209

99Bart Ehrman How Jesus Became God The Exaltation of a Jewish Preacher from Galilee (New York HarperOne 2014) p 44

100 J A T Robinson ldquoThe Fourth Gospel and the Churchrsquos Doctrine of the Trinityrdquo Twelve More New Testament Studies p 175

101 Siehe Johannes 219-22 34-13 431-34 651-6171 733-36 818-1921-222733-3438-4451-5256-58 939-41 101-626-36 1111-14 1123-25 121632-3440 136-1227-2933-37 142-57-11 1616-18 1625-29 209 2122-23 Siehe auch Matthaumlus 1310-17 1334-36 1511-20 165-12 2746-47 Markus 410-1333-34 Lukas 250 945 1834 Siehe auch Spruumlche 285 Jesaja 69

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eine bdquototale Bomberdquo (engl total bomb) dann meint er es war erfolgreich Ein Ame-rikaner hingegen wuumlrde genau das Gegenteil verstehen Sagt der Englaumlnder er bdquowill etwas auf den Tisch bringenrdquo (engl table an issue) weil bdquoes sich um einen Streitpunkt handeltrdquo (engl moot point) dann will er daruumlber aktiv diskutieren der Amerikaner houmlrt und versteht dass der Punkt nicht relevant sei Wenn nun selbst zwischen zeitgleichen Kulturen die sogar noch dieselbe Sprache sprechen die Bedeutung so leicht verloren gehen kann wie einfach war es dann dass der Sinn von Redewendungen von Persoumlnlichkeiten des Neuen Testaments ein anderer war seither abhandenkam In folgenden Kapiteln dieses Buches werden wir im Einzelnen untersuchen wie stark Kulturunterschiede Traditionen und Vorein-genommenheit bei der Uumlbersetzung moderne Christen in ihrem Urteil uumlber au-thentische biblische Ansichten beeinflusst haben Es kommt vielleicht als Schock fuumlr viele Trinitarier zu vernehmen dass manche Christen vor ihnen bestaumltigten Jesus habe sich nie als der Gott Israels gesehen Eine eingehende Untersuchung der Sprache der Kirchengeschichte und mittels methodischer Erklaumlrungen wird sich eine Begruumlndung fuumlr ihre Skepsis finden lassen die vielleicht beunruhigend ist Die Meinung einer Vielzahl von Trinitariern aller Zeitperioden in Bezug auf die unsichere Basis der Doktrin in der Schrift mag das Zuumlnglein an der Waage sein

Wie Martin Luther selber richtig feststellte bdquoist es in der Tat wahr dass sich das Wort sbquoTrinitaumltlsquo nirgends in der Heiligen Schrift finden laumlsst sondern von Men-schen ausgedacht und erfunden worden istldquo102 Die trinitarische Tradition beharrt unablaumlssig auf der Versicherung dass die besondere und wichtige bdquoEinheitrdquo de-rer sich die Mitglieder der goumlttlichen Triade erfreut diese einzigartige Einheit das ausschlieszligliche Unterscheidungsmerkmal des christlichen Glaubens vom heidni-schen Vielgoumltterglauben ist So ist es doch frappant dass sich bdquoin der Schrift keine einzige Beschreibung finden laumlsst welche die drei goumlttlichen Personen zusammen erwaumlhnenldquo103 Es ist allgemein bekannt dass der Ausdruck bdquoTrinitaumltldquo im Zusam-menhang mit dem Christentum bis ins 2 oder 3 Jahrhundert nie aufgekommen ist In den Schriften des Theophilus von Antiochien (gestorben 183 AD) finden wir dass er das Wort als erster Christ verwendete (lat trinitas gr trias) doch nicht mit derselben Bedeutung wie die spaumltere Orthodoxie Theophilus benuumltzte den Ausdruck in der Mehrzahlform als Referenzwort und schrieb dass bdquodie drei Tage vor der Erschaffung der Lichter die Trinitaumlt versinnbildlichen Gott sein Wort und seine Weisheitldquo104 Gelehrte wie Dr Dale Tuggy haben erklaumlrt bdquoTheophilus hat den Ausdruck [Trinitaumlt] nicht mit der Bedeutung von sbquoDrei-in-Einemsbquo gebraucht

102 Martin Luther Complete Sermons of Martin Luther Vol 2 (Grand Rapids Baker Books 2000) pp 406-

407 103 George Joyce ldquoThe Blessed Trinityrdquo The Catholic Encyclopedia Vol 15 (New York Robert Appleton

Company 1912) p 47 104 Theophilus Apology to Autolycus 2

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sondern eher um einfach zu sagen dass drei Dinge VOR dem Menschen da wa-ren Gott Sein Wort und Seine Weisheit hellip [und damit den Bezug machten] zu einer Trinitaumlt einer Triade oder Dreiheit doch keinesfalls zu einer dreifaltigen Gottheit die als drei Personen [in einem Wesen] existierterdquo105 Nach dieser Er-waumlhnung findet sich das Wort bdquoTrinitaumltrdquo im theologischen Kommentar des latei-nischen Theologen Tertullian des 3 Jahrhunderts (106 ndash 225 n Chr)106 Wie wir in folgenden Kapiteln sehen werden weichen auch die Vorstellungen Tertullians wesentlich von der spaumlterentwickelten Trinitarischen Doktrin ab diese festigte sich erst nach Jahrhunderten erbitterter Debatten im roumlmischen synodalen Sys-tem

Des Oumlfteren wird von Apologeten vorgebracht es haumltte seit der apostolischen Aumlra einen unaufhoumlrlichen trinitarischen Fluss gegeben der sich ins zweite und dritte Jahrhundert ergoss nur behindert durch Haumlretiker die aufstanden ihn zu hemmen Ein Gelehrter jedoch beobachtete eine Verschiebung in unserer heuti-gen Betrachtungsweise der Kirchengeschichte und schreibt

Das klassische Verstaumlndnis der Beziehung zwischen Orthodoxie und Haumlresie blieb groumlszligtenteils bis in die moderne Aumlra ohne (the-matische) Herausforderung hellip Lehrte Jesus und lehrten seine Apostel einen Glauben welcher der Kirche im 2 und 3 Jahrhun-dert unveraumlndert uumlbermittelt wurde Die Antwort darauf lautet wie wir jetzt wissen wahrscheinlich nein Wissenschaftler die diese These zuerst vorlegten wagten sich in ein risikoreiches historisches Gelaumlnde vor Doch inzwischen sind ihre Erkenntnisse auf so brei-ter Basis akzeptiert dass man fast von Allgemeinplaumltzen reden kann107

In unserer eigenen Darstellung vertreten wir eine gemaumlszligigte Ansicht der For-schungsfortschritte uumlber den Glauben der vor-nicaumlnischen Periode Mit einem sorgfaumlltigen Uumlberblick der Schriften von Tertullian Irenaumlus Justinus der Maumlrty-rer Origenes und vielen anderen werden wir enthuumlllen dass sie mitnichten uumlber-zeugte Trinitarier waren108 Wir sollten uns in der Tat daran erinnern dass bdquodas

105 Dale Tuggy ldquoHistory of Trinitarian Doctrinesrdquo Stanford Encyclopedia of Philosophy 2013 106 See Tertullian Against Praxeas 2 107 Bart D Ehrman Lost Christianities The Battles for Scripture and the Faiths We Never Knew (New

York OUP 2003) pp 168-169 (Verloren Christenheiten Die Kaumlmpfe um Schrift und Glauben die wir nie kannten)

108 Unsere hier folgende Uumlbersicht uumlber die Kirchenvaumlter wird zeigen dass obschon deren Sprache trini-tarisch geklungen haben mag sie nie die fuumlr eine Trinitaumlt notwendigen Qualitaumlten beinhaltete dh sie enthielt weder die ewige Ko-Existenz noch die Gleichheit der drei Personen untereinander Die Theol-ogie vertrat jedoch was wir als Unterordnung (Subordination) und als Unitarismus bezeichnen koumlnnen

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Wort Trinitaumlt in der Bibel gar nicht zu finden ist hellip [weil] es formal in der Kir-chentheologie bis ins vierte Jahrhundert dafuumlr keinen Platz gabrdquo109 Jahrhunderte nachdem Jesus auf dieser Erde wandelte wurden die ersten Grundkomponenten dieser bdquochristlichenrdquo Philosophie anlaumlsslich des Konzils von Nicaumla (325 n Chr) durch die roumlmische Regierung autorisiert Nochmals Jahrzehnte danach wurde eine erweiterte Doktrin allgemein festgelegt (381 n Chr) noch weiter ausgebaut (451 n Chr) und schlieszliglich ums Jahr 500 n Chrsbquo als zur Errettung notwendig dekretiert wie das Athanasische Glaubensbekenntnis demonstriert

Welche fortschrittliche Ausgestaltung und Einfuumlhrung sind dem orthodoxen Mo-dell vorausgegangen Die Geschichte offenbart eine Reihe von Debatten uumlber rivalisierende Christologien welche die vor-nicaumlnischen Christen beschaumlftigten Die Mehrheit der Glaumlubigen schien jedoch trotz der eskalierenden platonischen Synthese im 2 und 3 Jahrhundert durchwegs im traditionellen unitarischen Mo-notheismus der Juden verankert geblieben zu sein Wie eine beachtenswerte Mei-nung lautet

Es gibt keine Tatsache die historisch besser belegt ist als die Dokt-rin des Glaubens an einen Gott einfach und rein waumlhrend der ers-ten Zeit des Christentums Diese Lehre war eines der wirkungs-vollsten Instrumente gegen den Polytheismus der Antike uumlber den sie triumphierte hellip Kein Argument der Vernunft konnte die Ein-heit des houmlchsten Wesens aus dem christlichen Denken verdraumlngen hellip dies wurde erst durch das Schwert der weltlichen Staatsgewalt moumlglich110

Aus historischer Sicht hat das etablierte Christentum stets groszligen Wert auf die Evangelisation der Welt gelegt Es ist eine Tatsache dass bdquodas Evangelium seinen ersten und wichtigsten Triumph ohne die Formel der trinitarischen Doktrin er-rungen hatrdquo und diese Feststellung trifft sicher zu111

Wenn wir die geschichtliche Entwicklung dieser Doktrin betrachten ist die Frage sicher zulaumlssig Wer war dann der erste Trinitarier War es Johannes der Taumlufer Oder vielleicht Paulus von Tarsus Oder trifft es wirklich zu wie die Geschichte beweist dass die ersten Trinitarier sich aus verschiedenen griechisch-roumlmischen Philosophen der spaumlteren Periode der Fruumlhkirche erhoben Haumltten die Apostel des ersten Jahrhunderts an die Dreifaltigkeit geglaubt dann scheint es dass ihnen

109 R A Finlayson ldquoTrinityrdquo Illustrated Bible Dictionary Vol 3 (Westmont IVP Tyndale House Publishers

1980) p 1597 unsere Hervorhebung 110 Thomas Jefferson Letter to Theologian James Smith December 8 1822 (Vergleiche auch James Car-

roll und sein Buch Constantinersquos Sword The Church and the Jews A History ndash Das Schwert Konstan-tines Die Kirche und die Juden eine Geschichte)

111 Matthews God in Christian Experience p 180

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nicht viel an einer Erklaumlrung der Prinzipien gelegen war ganz zu schweigen von einer Erwaumlhnung derselben Nirgendwo erklaumlren sie etwas uumlber einen bdquodrei-per-sonalen Gottldquo oder die bdquoGoumlttlichkeit Christildquo wie es die Christen der folgenden Jahrhunderte taten Im Gegensatz zur lauten und umfangreichen Fixiertheit der Katholiken (Hohe Christologie) auf das Thema der Trinitaumlt scheinen sich die Apostel in ein bdquoohrenbetaumlubendes Schweigenrdquo gehuumlllt zu haben Waumlre die Drei-einigkeitslehre so zentral und wichtig fuumlr die Christenheit und waumlre gemaumlss dem Athanasischen Bekenntnis jeder verflucht der nicht daran glaubt weshalb finden wir dann keine klare Darlegung in der Bibel Tatsaumlchlich scheint es sogar auf-grund katholischer Quellen bdquodass in den Schriften der apostolischen Vaumlter nichts dieser Mentalitaumlt oder Perspektive auch nicht in der entferntesten Form nahe-kamrdquo112 Das Bibel-Lexikon von John L McKenzie welches das offizielle Impri-matur-Siegel der Katholischen Kirche113 traumlgt enthaumllt folgenden Passus zum Thema der Trinitaumltsdoktrin

Die Trinitaumlt Gottes wird durch die Kirche definiert als der Glaube dass in Gott drei Personen in einer Natur existieren Zu dieser Uumlberzeugung ist man erst im 4 und 5 Jahrhundert gelangt und sie stammt daher nicht ausdruumlcklich und formal aus dem biblischen Glauben114

McKenzie war ein erstklassiger Bibelgelehrter des 20 Jahrhunderts und er machte hier eine erstaunlich offene Feststellung Sind sich die modernen Apolo-geten die auf dem apostolischen Ursprung der Trinitaumlt beharren solcher Aussagen aus den houmlchsten Raumlngen der christlichen Forschung bewusst Die neue katholi-sche Enzyklopaumldie legt doppelt nach und offenbart dass die Diskussionen uumlber die Trinitaumlt im Kontext des ersten Jahrhunderts als anachronistisch zu betrachten sind

Es ist schwierig in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts einen einfachen klaren und objektiven Bericht zu liefern uumlber die Offen-barung die doktrinaumlre Entwicklung und die theologische Ausarbei-tung des Mysteriums der Trinitaumlt hellip Historische Dogmatiker und systematische Theologen erkennen dass wenn die Rede von einer uneingeschraumlnkten Dreifaltigkeit ist man sich von der Periode des Fruumlhchristentums ins letzte Viertel des 4 Jahrhunderts bewegt

112 ldquoTrinityrdquo The New Catholic Encyclopedia p 299 113 Die Akkreditierung auf den ersten Seiten des Buches lautet sbquoNihil Obstatrsquo und ist durch John B Amber

unterzeichnet Jesuit Erzdioumlzesan Zensor und sbquoImprimatursbquo (= Es werde gedruckt) ist gezeichnet von Cletus F OrsquoDonnell J C D Generalvikar Archdioumlcese von Chicago am 18 Februar 1965 Das Im-primatur und Nihil Obstat sind offizielle Bestaumltigungen dass ein Buch oder ein Pamphlet frei von dokt-rinaumlren oder moralischen Irrtuumlmern ist

114 John L McKenzie Dictionary of the Bible (New York Touchstone 1995) p 899

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Erst in dieser Zeit begann man von einem so genannten Trinitaumlts-dogma zu sprechen bdquoein Gott in drei Personenrdquo ein Gedanke der sich dann durch und durch im christlichen Denken und Leben ein-nistete es war das Produkt einer dreihundertjaumlhrigen Entwick-lung115

Natuumlrlich sind es nicht nur katholische Gelehrte die bestaumltigen das Drei-in-Ei-nem-Konstrukt von Gott bewege sich ausserhalb der Grenzen der Heiligen Schrift die Meinungen von Experten aus allen Ecken der Christenheit pflichten ihnen uumlberaus deutlich bei Bruce Metzger ein ausserordentlich respektierter und einflussreicher Neutestamentler des 20 Jahrhunderts kommt zu folgendem klu-gen Schluss

Da die Trinitaumlt ein so wichtiger Teil der spaumlteren christlichen Lehre ist faumlllt auf dass der Ausdruck nicht im Neuen Testament er-scheint Desgleichen ist das in spaumlteren Bekenntnissen erschei-nende Konzept einer Gottheit die aus drei gleichberechtigten gleichartigen Partnern besteht im Kanon nirgends klar zu entde-cken Waumlhrend die Autoren des Neuen Testaments wohl viel uumlber Gott Jesus und den Geist der beiden aussagen legt keiner in Ein-zelheiten die Beziehung zwischen den dreien dar so wie es spaumltere christliche Schreiber taten116

Der beruumlhmte trinitarische Professor Charles Ryrie schreibt in seinem vielbe-achteten Buch Basic Theology dass in der Bibel die Doktrin nirgendwo gefunden werden kann Aus den Kreisen seiner evangelikalen Glaubensbruumlder houmlrt man oft die Kritik an katholischen Dogmen denen die Berechtigung durch die Schrift fehlt Doch ausgerechnet bei der Trinitaumlt macht Ryrie eine Ausnahme Er sieht im Fehlen der primaumlren biblischen Autoritaumlt keineswegs eine Unguumlltigkeitserklauml-rung Sein Argument

hellip viele Doktrinen werden durch die Evangelikalen akzeptiert wie wenn sie durch die Schrift gelehrt wuumlrden obwohl es keine Beweis-texte dafuumlr gibt Das beste Beispiel liefert die Trinitaumltslehre Man kann mit Fug und Recht sagen dass dieses Dogma nicht klar durch die Bibel gelehrt wird117

115 Thomas Carson The New Catholic Encyclopedia Vol XIV (Farmington Hills Gale 2003) p 295 116 Bruce Metzger Michael Coogan The Oxford Companion to the Bible (Oxford OUP 1993) p 782 117 Charles C Ryrie Basic Theology A Popular Systematic Guide to Understanding Biblical Truth (Chicago Moody

Publishers 1999) p 89

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Ryrie geht noch weiter und beleuchtet die Tatsache dass Evangelikale viele Dokt-rinen ohne biblischen Beleg akzeptieren Sie lehren das Dogma ohne einen Nach-weis in der Schrift was bdquodie Fehlannahme beweist man koumlnne etwas das nicht in der Bibel belegt ist nicht trotzdem schluumlssig lehren waumlre dem naumlmlich so dann koumlnnte ich weder die Trinitaumlt noch die Goumlttlichkeit Jesu noch diejenige des Heiligen Geistes lehrenrdquo118 Waumlhrend einige Theologen bereit sind den Mangel an biblischer Praumlzedenz leichtfertig hinzunehmen stellt der renommierte trinita-rische Theologe Millard J Erickson in seinem Werk God in Three Persons (Gott in Drei Personen) fest

Es wird behauptet die Trinitaumltsdoktrin sei sehr wichtig zentral und grundlegend Ist das nun wirklich so muumlsste sie dann nicht ir-gendwo in der Bibel klarer direkter und ausdruumlcklicher dargelegt werden Waumlre diese Trinitaumltslehre in der Tat das was die Einzigar-tigkeit des Christentums ausmacht und einerseits entgegen dem unitarischen Monotheismus und andererseits dem Vielgoumltterglauben steht wie kommt es dann dass sie nur als durch biblische Offen-barung impliziert wahrgenommen wird Man houmlrt oft allgemein den Vorwurf dass gewisse Teile der Heiligen Schrift zweideutig oder unklar seien damit gehen Erklaumlrungen einher dass diese Stel-len lediglich periphere Dinge betreffen die verschwommen sind oder mit biblischen Texten im Konflikt stehen der Kern des Glau-bens jedoch klar und unmissverstaumlndlich offenbart sei Diese Aus-fluumlchte erweisen sich insbesondere im Falle der Trinitaumltsdoktrin al-lerdings als haltlos denn hier geht es offensichtlich um eine sehr zentrale Angelegenheit und doch macht die Heilige Schrift genau daruumlber keine klare und unmissverstaumlndliche Aussage Es ist houmlchst unwahrscheinlich dass sich uumlber die Trinitaumltsdoktrin ein klarer un-mittelbarer und unmissverstaumlndlicher Beweistext (in der Schrift) finden laumlsst119

Alle diese Bemerkungen bringen uns zu unserer eingangs gestellten Frage zuruumlck Wer war der erste Trinitarier Moderne Gelehrte zwingen uns zu folgenden Uumlber-legungen Ist die beruumlhmteste kontroverseste und gleichzeitig die fundamentalste aller christlichen Doktrinen ein deplatziertes Artefakt das von wohlmeinenden und engagierten Glaumlubigen absichtlich in die Welt der neutestamentlichen Auto-ren hineingeschmuggelt wurde Trifft es zu dass bdquodie fragliche Doktrin in keinem Dokument oder Relikt der Kirche der ersten drei Jahrhunderte gefunden werden kann Greift man mit jedem Brief mit Kunstwerken bei jedem Brauch in der

118 Ebenso p 90 119 Erickson God in Three Persons pp 108-109

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Theologie dem Gottesdienst in den Bekenntnissen jeder Hymne jedem Lied in der Doxologie mit der Zuschreibung den Erinnerungsriten und allen Feier-lichkeiten (die man untersucht was die Doktrin anbetrifft) hellip uumlberall vollkom-men ins Leererdquo120 Wie sollte dann ein frommer Christ auf die mannigfachen und beliebten Behauptungen reagieren die Doktrin sei apostolisch und die Lehre der neutestamentlichen Kirche gewesen Emil Brunner legt das Dilemma offen in-dem er schreibt

Wenn wir uns dem Problem der Trinitaumltsdoktrin zuwenden sehen wir uns mit einer eigenartigen widerspruumlchlichen Situation kon-frontiert Einerseits lehrt uns die Geschichte der Dogmatik und der christlichen Theologie in Bezug auf die Dreifaltigkeit dass diese Doktrin ein Element und das besondere Unterscheidungsmerkmal der christlichen Gottes-vorstellung ist durch diese hebt sich das Christentum von der Gottesidee anderer Religionen wie dem Ju-dentum und dem Islam ab In der Tat sind gerade diese beiden mitsamt allen Formen des vernuumlnftigen Theismus strikt unitarisch Auf der anderen Seite muumlssen wir ehrlich zugeben dass die Dokt-rin der Dreifaltigkeit kein Teil der fruumlhen christlichen Botschaft des Neuen Testaments war121

Hat man Respekt vor der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung dann muumlsste ihr auch eine gewisse Dominanz in dieser Untersuchung beigemessen werden Es gibt Hinweise darauf dass die christliche Trinitaumlt bdquoein Konzept war fuumlr welches die Zeit noch nicht gekommen warrdquo122 Solche Aussagen wurden schon laumlngst von Historikern vorgebracht In den folgenden Kapiteln dieses Buches werden wir darlegen dass das Trinitaumltskonzept in der Tat ein deplatziertes Artefakt war und zwar nicht nur was die fruumlheste Aumlra der Kirche anbetrifft noch Generatio-nen darnach kaumlmpften monotheistische Hebraumler dagegen deren Geschichte uumlber viele einzelne Begegnungen mit Gott berichtet Wir wuumlrden erwarten dass diese die Basis fuumlr das christliche Verstaumlndnis bildeten Doch oft werden gelaumlufige Verse wie 1 Mose 126 ins Feld gefuumlhrt (Lasset uns Menschen machen ) um zu beweisen dass die Dreifaltigkeit schon in den Hebraumlischen Schriften belegt sei obwohl solche Vorstellungen (theologisch) problematisch sind Christliche Ge-

120 Alvan Lamson Ezra Abbot The Church of the First Three Centuries (Toronto University of Tornoto Li-

braries 1875) pp 466-467 121 Emil Brunner p 205 122 Ebenso p 467

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lehrte auf der ganzen Welt sind sich einig dass die bdquoDoktrin der Heiligen Dreiei-nigkeit im Alten Testament nicht gelehrt wirdrdquo123 Auch waumlhrend und nach der Zeit der juumldisch-christlichen Debatten uumlber Passah (Ostern) hat sich das Alte Testament nicht als williger Unterstuumltzer der grundlegenden Prinzipien dieser Doktrin benuumltzen lassen Die Absenz eines Katalogs von Argumenten der neu-testamentlichen Kirche uumlber die Natur Gottes ist ebenfalls houmlchst beunruhigend Die apostolische Gemeinschaft erlebte eine Reihe von erbitterten Auseinander-setzungen uumlber eine Vielzahl von wichtigen Angelegenheiten wie Essensvor-schriften die Beschneidung die Taufe und mehr Wo aber sind die Debatten uumlber die Grundprinzipien der Dreifaltigkeit Die Juden waren doch stets uumlberzeugte Monotheisten dh sie glaubten an einen Gott

Manch ein Trinitarier wird beteuern dass er oder sie ebenfalls am Ein-Gott-Glau-ben festhalten doch wir werden anerkannte trinitarische Theologen wie Leonard Hodgson zu Wort kommen lassen die darlegen dass bdquoder [juumldische] Monotheis-mus damals wie heute streng unitarisch istrdquo124 Die Geschichtsschreibung zeigt auf dass die Juden die orthodoxe Christenheit stets kritisiert haben die Hebraumli-schen Schriften mit der Behauptung zu verletzen der Gott Israels sei nun eine Vielfaumlltigkeit von Personen Untersucht man die grosse Anzahl der vorhandenen geschichtlichen Dokumentationen zwischen Juden und Christen aus der nach-apostolischen Zeit (1 bis 3 Jh) fragt man sich weshalb im Neuen Testament keine Spur eines Konflikts uumlber das offenbar wichtigste aller Themen die Iden-titaumlt Gottes zu finden ist Koumlnnte es sein dass die Christen die Jesus nachfolgten sowie die Apostel in ihrer Zeit nie etwas von einer Dreifaltigkeit Gottes gehoumlrt hatten Haumltten sie an die Trinitaumlt geglaubt waumlre es doch einleuchtend wenn sie uumlber den Kern ihrer Uumlberzeugung wenigstens gesprochen haumltten Wie ein Autor betont wurden fuumlnfzehn Kapitel des Neuen Testaments geschrieben um die Ju-den von einer aktualisierten Sicht auf das mosaische Gesetz zu uumlberzeugen

hellip muumlssten dann nicht ein oder zwei Kapitel zu finden sein die erklaumlren wie Gott von da an gesehen werden sollte Doch nicht einmal ein Vers schlaumlgt vor die juumldische Gottesvorstellung zu aumln-dern Die Bibel enthaumllt viele Verse welche die Rechtfertigung bdquolehrenrdquo die Taufe bdquolehrenrdquo die Auferstehung bdquolehrenrdquo aber nicht einen einzigen Vers der die Trinitaumltsdoktrin bdquolehrtrdquo Kein einziger

123 ldquoTrinityrdquo New Catholic Encyclopedia p 306 Trinitarische Gelehrte aller Zeiten haben zuge-

geben bdquoEs ist offensichtlich dass aufgrund der Autoritaumlt des Alten Testaments kein genuuml-gender oder klarer Beweis weder fuumlr die Trinitaumlt noch fuumlr die Pluralitaumlt der goumlttlichen Per-sonen herbeigezogen werden kannrdquo (unsere Uumlbersetzung) (Bishop Tostat De Sanct Trin p 14 zitiert von Wilson Uni Princ (1888) p 344) Siehe auch Gordon J Wenham Word Biblical Commentary on Genesis (Nashville Word Books 1987) pp 27-28

124 Leonard Hodgson Christian Faith and Practice Seven Lectures (Oxford Blackwell 1952) p 74

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Vers beschreibt erklaumlrt oder definiert sie Und kein Vers sagt uns dass wir diese Lehre glauben sollen125

Millard J Erickson hat sich ebenfalls gefragt wo die historische Diskussion der trinitarischen Theologie geblieben ist welche angeblich die fruumlhen Christen von ihren unitarischen juumldischen Glaubensbruumldern auf der einen Seite und den poly-theistischen heidnischen Nachbarn auf der anderen trennte Die auffallende Ab-wesenheit einer solchen kritischen Darlegung sollte doch jeden ernsthaften Bi-belstudenten zu einer tieferen Untersuchung reizen Ein Gelehrter (Dr Bart Ehr-man) beobachtete die sich entwickelnde Geschichtsaufzeichnung der Orthodo-xie wie sie sich von den biblischen Daten abhebt Er meint

hellip wir sollten von der klassischen Meinung wegkommen die Or-thodoxie habe ihre Wurzeln in den Lehren der Apostel und sei in den Evangelien des Neuen Testaments akkurat erhalten geblieben In Wirklichkeit haben sich die Doktrinen des orthodoxen Chris-tentums in einer viel spaumlteren Periode und nicht zur Zeit des histo-rischen Jesus und seiner Apostel entwickelt126

DieAutoritaumltderTraditionWas haben das Ptolemaumlische Weltbild die Bewegung von Koumlrpern des Aristote-les und die Humoralpathologie von Hippokrates und Galenus miteinander ge-meinsam127 Sie alle waren in der antiken Gesellschaft allgemein akzeptierte klas-sische Dogmen die einst durch beruumlhmte griechische Philosophen erdacht und verbreitet wurden Jedes Dogma konnte sich dank des Ruhmes seines Gruumlnders auch noch Jahrtausende nach seinem Tod aufrecht halten Sie sind Doktrinen aus dunkler Vergangenheit welche die moderne Forschung in neuerer Zeit als falsch bewiesen hat In dieser Studie ist das Erbe der Humoralpathologie ist von beson-derer Bedeutung

Der Einfluss von Galenus (129 ndash 199 n Chr) war derart groszlig und weitreichend dass noch im 13 Jahrhundert nachdem sich im west-lichen Europa laumlngst die Kunst der Sezierung eingefuumlhrt worden

125 Robert A Wagoner The Great Debate Regarding the Father Son amp Holy Spirit (Santa Ana 1997) p

12 (Die groszlige Debatte uumlber den Vater Sohn und Heiligen Geist) 126 Ehrman Lost Christianities p 170 127 Geozentrismus ist der Glaube der Planet Erde sei der Mittelpunkt unserer Galaxie Das Gesetz der

Bewegung des Aristoteles (384 - 322) besagt dass bdquoAlles was sich bewegt bewegt sich entweder von Natur oder durch eine aumluszligere Kraft oder vermoumlge seines eigenen Willensrdquo HumoralismusHumorismus glaubt die vier Koumlrpersaumlfte halten den gesunden Koumlrper im Gleichgewicht schwarze Galle gelbe Galle Schleim und Blut

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war Gelehrte oftmals Neuentdeckungen (ruumlckwirkend) dem Gale-nus zuschrieben nur um zu vermeiden dass seine veralteten Mo-delle (des 2 Jh) in Zweifel gezogen wuumlrden Im Verlaufe der Zeit wurde jedoch vermehrtes Gewicht auf die wissenschaftlichen Ex-perimentalmethoden gelegt aber die klassischen medizinischen Theorien galten erst im 16 und 17 Jahrhundert als uumlberholt Nichtsdestotrotz wurde der hippokratisch-galenische Aderlass noch bis ins 19 Jahrhundert weiter praktiziert obwohl die Erfah-rung gezeigt hatte dass diese Methode sowohl unwirksam wie auch houmlchst riskant war128

Aumlhnliche geschichtliche Entwicklungen koumlnnen auch in Bezug auf die geozentri-sche Kosmologie des Ptolemaumlus sowie dem Bewegungsgesetz des Aristoteles be-obachtet werden sie wurden erst 1543 beziehungsweise 1687 widerlegt129 In all diesen Faumlllen finden wir dass die Bedeutung und die Autoritaumlt die den Philoso-phen des Altertums zugeschrieben wurden den wissenschaftlichen Entwick-lungsprozess auf den Gebieten der Astronomie Physik und Medizin tatsaumlchlich uumlber die Maszligen verlangsamten Koumlnnte es sein dass auf dem Gebiet der christli-chen Theologie ein aumlhnliches Phaumlnomen stattfand Wir muumlssen die Frage stellen ob das eigenartige trinitarische Rahmenwerk der griechischen und lateinischen Kirchenvaumlter irgendwie dazu angetan war eine vernuumlnftige und beweisbare Got-tesidee zu vermitteln Oder hielt es vielmehr ein Traditionssystem aufrecht das geistlich von Geheimnissen und dem blinden Glauben ans Dogma abhaumlngig war Das Erbe des Humoralismus und das Schroumlpfen moumlgen hier als faszinierende Parallele dienen Waumlhrend Jahrhunderten wurde unermesslich viel Schaden ange-richtet nur weil man die bdquoorthodoxerdquo Medizin weiterpraktizierte obwohl es be-reits moumlglich gewesen waumlre dank neuen Perspektiven andere Heilpraktiken an-zuwenden Waumlhrend unzaumlhlige Christen unter der Fuchtel der Katholischen Kir-che gehalten wurden verhinderte die Geistlichkeit mit Erfolg dass die Glaumlubigen selber die Schrift in ihrer eigenen Sprache lesen und verstehen konnten Christen heutzutage haben das Privileg in Freiheit einen ungehinderten Zugang zu genie-szligen nicht nur zu den Heiligen Schriften sondern auch zu historischen Quellen zu kulturellen und linguistischen Informationen weit uumlber die Moumlglichkeiten ih-rer Ahnen hinaus Ohne Zweifel wurde wegen der Trinitaumltsdoktrin buchstaumlblich

128 World Public Library ldquoAncient Greek Medicinerdquo World Heritage Encyclopedia 26 July 2014 Web

12 September 2014 129 See Nicholas Copernicusrsquo ldquoOn the Revolutions of the Celestial Spheresrdquo and Sir Isaac Newtonrsquos ldquoLaws

of Motionrdquo

Die unvollendete Reformation

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viel Blut vergossen angefangen mit der Antike und spaumlter bis ins 17 Jahrhun-dert130 doch der bdquoAderlassrdquo am Christentum scheint trotz moderner Wissen-schaft und besserer Manuskripte noch nicht beendet Wann wird der aus der Antike stammenden Vorrangstellung der kirchlichen Obrigkeit ein Ende gesetzt denn dieser Zustand ist dem modernen Christen und der Christin laumlngst nicht mehr zuzumuten Es stehen uns heute Werkzeuge fuumlrs Bibelstudium zur Verfuuml-gung von denen die Philosophen der Antike nicht einmal zu traumlumen wagten

Sicher ist dass es sich moderne Studierende nicht leisten koumlnnen in Anbetracht der verfuumlgbaren und noch zu erwartenden zukuumlnftigen Beweislage die Bibel wei-terhin durch das Prismenglas des vierten Jahrhunderts zu lesen Doch gerade das ist es was viele Autoritaumlten nicht nur stolz zugeben sondern sich auch noch da-mit bruumlsten Der Anglikanische Priester und Professor Peter Toon zum Beispiel macht fast selig vor Gluumlck folgendes Eingestaumlndnis bdquoIch bin Theologe und ich fuumlhle mich dem Glauben verpflichtet so wie er im 4 Jahrhundert durch das Kon-zil von Nicaumla formuliert wurde Ich naumlhere mich der Schrift und erlaumlutere sie innerhalb dieses Bekenntnisses und dem doktrinaumlren Rahmenwerkrdquo131 Waumlhrend man die Loyalitaumlt von Professor Toon schaumltzt hofft man dass die hellsten und begabtesten christlichen Koumlpfe sich nur der exakten Erlaumluterung von biblischen Texten sowie einer echt biblischen Weltanschauung verpflichtet fuumlhlen ungeachtet der Auswirkungen auf den bdquoGlaubenrdquo Schlieszliglich sollte doch die Bibel die Quelle der christlichen Glaubengrundsaumltze sein oder etwa nicht Ist dies nicht was viele Kirchen heute fast routinemaumlszligig beteuern Zu behaupten die Bibel sei ein bdquoMu-nitionslagerldquo fuumlr die Verteidigung von gewissen bereits existierenden Dogmen und des von Professor Toon und anderen ausdruumlcklich erwaumlhnten Rahmenwerks legt den bedauernswerten Zustand der heutigen katholischen und protestanti-schen Exegese (= Auslegung) offen In der Tat wenn historische Dokumente wie die Schriften des Neuen Testaments des ersten Jahrhunderts vorsaumltzlich und ausschlieszliglich im Licht der Bekenntnisse und der Doktrinen bdquodes vierten Jahr-hundertsbdquo ruumlckblickend betrachtet werden dann ist das Schlimmste fuumlr das christliche Denken zu befuumlrchten Man kann sich zu Recht fragen in welche Richtung sich der Glaube durch die historische und philologische Genauigkeit entwickelt haumltte waumlre diesen (grundlegenden) Punkten auch nur die Haumllfte der

130 Das letzte Jahr in dem jemand wegen der Ablehnung der Trinitaumltsdoktrin offiziell vom englischen Staat

verfolgt und hingerichtet wurde war 1697 Die letzte Gefaumlngnisstrafe wegen Blasphemie in Groszligbritan-nien erfolgte 1922 Siehe T B Howell ldquoProceedings Against Thomas Aikenhead for Blasphemyrdquo A complete collection of state trials and proceedings for high treason and other crimes and misdemeanors from the earliest period to 1783 Vol 13 (London Longman Hurst Rees Orme and Brown 1816) (Eine vollstaumlndige Sammlung von Staatsprozessen und Verfahren wegen Hochverrats und anderer Verbrechen und Vergehen von der fruumlhesten Zeit bis 1783)

131 Peter Toon Our Triune God A Biblical Portrait of the Trinity (Vancouver Regent College Publishing 1996) p 10 (Unser dreieiniger Gott Ein biblisches Bild der Trinitaumlt)

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Liebe und Aufmerksamkeit gewidmet worden die man den Glaubensbekennt-nissen der Konzile zukommen lieszlig Gegenwaumlrtig scheint eine Leidenschaft fuumlr das bdquoalterdquo System aufzukommen welche die Energie fuumlr fundierte Erklaumlrungen in der christlichen Theologie lahm legt Man houmlrt unter den zuverlaumlssigsten der Bibelinterpreten oft das Eingestaumlndnis bdquoWir stellen uns einschraumlnkungslos hinter die Chalcedonische Formulierungrdquo132 Wie waumlre es dagegen mit einer uneinge-schraumlnkten Akzeptanz der Weltanschauung des historischen Jesus sowie des bib-lischen Glaubens und der Formulierungen der Schrift Die diesbezuumlgliche Frage sollte immer lauten Chalcedonisch oder nicht Doch die Tugend (der Aufrichtigkeit) scheint den Theologen staumlndig zu entgleiten weil sich das bdquoorthodoxerdquo Dogma auftuumlrmt und sein beaumlngstigendes Erbe einen Schatten uumlber das christliche Den-ken wirft

EineWarnungIm Licht der weitverbreiteten akademischen Akzeptanz der orthodoxen Tradi-tion muumlssen sich alle christlichen Studierenden immer wieder die Frage stellen Ist die Reformation je abgeschlossen worden oder gibt es da noch mehr zu reformieren Auf-grund des von ihren reformatorischen Vorkaumlmpfern erreichten fuumlhlen sich viele Protestanten einigermaszligen sicher sich heute nicht mehr aktiv gegen unbiblische Dogmen verteidigen und oder schuumltzen zu muumlssen Die seinerzeitige Ermahnung von Judas 13 bdquofuumlr den ein fuumlr alle Mal den Heiligen uumlberlieferten Glauben zu kaumlmpfenrdquo muss jedoch (auch heutzutage) von Gelehrten wie Laien als Vollzeit-Engagement aufgefasst werden Paulus warnte fast am Ende seiner Laufbahn die jungen christlichen Glaumlubigen

Ich weiszlig dass nach meinem Abschied grausame Woumllfe zu euch hereinkom-men werden die die Herde nicht verschonen Und aus eurer eigenen Mitte werden Maumlnner aufstehen die verkehrte Dinge reden um die Juumlnger abzu-ziehen hinter sich her Darum wacht und denkt daran dass ich drei Jahre lang Nacht und Tag nicht aufgehoumlrt habe einen jeden unter Traumlnen zu ermahnen (Apostelgeschichte 2029-31)

Die Apostel warnten dass kaum sei die Tinte ihrer Aufzeichnungen trocken schaumldliche Lehren auftauchen wuumlrden Sie waren der Ansicht dass diese Irrlehren aus der Kirche selber kommen und auch die Glaumlubigen davor nicht verschont blieben Paulus offenbart dass ihn Gott ausdruumlcklich gegen Mitglieder der christ-lichen Bewegung warnte die Irrlehren ausdenken und schaumldliche Ideen verbrei-ten bdquoDer Geist aber sagt ausdruumlcklich dass in spaumlteren Zeiten manche vom Glauben abfallen

132 R Douglas Geivett Timothy R Phillips Dennis L Okholm Alister E McGrath Clark H Pinnock

John Hick W Gary Phillips Four Views on Salvation in a Pluralistic World (Grand Rapids Zondervan 1996) p 74 unsere Hinzufuumlgung

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werden indem sie auf betruumlgerische Geister und Lehren von Daumlmonen achtenrdquo (1 Tim 41) Die Bestimmtheit mit der Paulus die Kirche ermahnte noch bevor die apostoli-sche Aumlra zu Ende ging ist sowohl tragisch als auch erschreckend

Denn es wird eine Zeit sein da sie die gesunde Lehre nicht ertragen sondern nach ihren eigenen Begierden sich selbst Lehrer aufhaumlufen werden weil es ihnen in den Ohren kitzelt und sie werden die Ohren von der Wahrheit abkehren und sich zu den Fabeln hinwenden (2 Timotheus 43-4)

Wie uumlberzeugend mussten Mythen und Lehren beschaffen sein um die apostoli-schen Zeugnisse herausfordern zu koumlnnen Offensichtlich ortete Paulus den Ur-sprung in den populaumlren philosophischen Ansichten seiner eigenen Zeit

Seht zu dass niemand euch einfange durch die Philosophie und leeren Be-trug nach der Uumlberlieferung der Menschen nach den Elementen der Welt und nicht Christus gemaumlszlig (Kolosser 28)

Rufen wir uns in Erinnerung dass als Paulus den Brief an die Kolosser schrieb bdquodie griechische Philosophie groszligen Einfluss in den Regionen um Kolossauml geltend machterdquo133 und damit hat sich der wahre Schuldige schon entpuppt Die hellenis-tischen Einwirkungen waren so subtil und doch so unwiderstehlich dass ihnen sogar viele Fruumlhchristen zum Opfer fielen die kaum eine oder zwei Generationen von der apostolischen Zeit entfernt waren Der Apostel Johannes der am Ende des ersten Jahrhunderts schrieb scheint noch zu seinen Lebzeiten Zeuge der Ge-burtswehen dieses Ungemachs gewesen zu sein bdquoVon uns sind sie ausgegangen aber sie waren nicht von uns denn wenn sie von uns gewesen waumlren wuumlrden sie wohl bei uns geblieben sein aber sie blieben nicht damit sie offenbar wuumlrden dass sie alle nicht von uns sindldquo (1 Joh 219) Die aumluszligeren Einfluumlsse gegen die Paulus warnte waren stark genug um so-gar fromme Anhaumlnger der fruumlhen Kirche zu uumlberzeugen Um wieviel staumlrker ist ihre Uumlberzeugungskraft unter heutigen Menschen die sprachlich kulturell und zeitlich weit von der Juumlngerschaft entfernt sind Professor Anthony Buzzard er-innert an den urspruumlnglichen Auftrag in Judas 13 wonach wir den apostolischen Glauben verteidigen sollten und schreibt bdquoWenn es damals ernsthafte Anstren-gungen brauchte um den Glauben zu schuumltzen wieviel mehr heute zweitausend Jahre spaumlterrdquo134

Unsere Aufgabe im ersten Teil dieses Buches ist es zu entscheiden ob die Integ-ritaumlt der Theologie Jesu trotz aller Warnungen wirklich so umfassend und ver-heerend kompromittiert wurde wie es den Anschein macht Sollte ein solcher

133 Albert Barnes Notes on the Bible Baker Books 1834 Web 5 January 2015 lthttpwwwsacred-

textscombibcmtbarnescol002htmgt Hinzufuumlgung 134 Anthony F Buzzard Our Fathers Who Arenrsquot In Heaven The Forgotten Christianity of Jesus the Jew

(McDonough Restoration Fellowship 1995) p 202

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Wandel tatsaumlchlich stattgefunden haben wie ist er passiert Wie wir unschwer feststellen koumlnnen hat unter den Aposteln der orthodoxe Dreifaltigkeitsglaube voumlllig gefehlt Wann genau ist dann der Glaube entstanden Jesus sei ein Gott ebenbuumlrtiges ewiges und gleich wichtiges Wesen und er sei als Person ein Mit-glied einer goumlttlichen Vielfaumlltigkeit Wer entschied dass diese Idee nicht nur als orthodox (= des rechten Glaubens) bezeichnet sondern fuumlr die Errettung notwendig sei Hat Jesus etwas Derartiges selber geglaubt und gelehrt

Wir werden in Kuumlrze in diesem Buch entdecken wie Menschen des Altertums fleiszligig raffinierte Ideen bdquoaus dem philosophischen Jargon des Platons des Aris-toteles und anderen Mystikern und elegant in das sich entwickelnde junge Chris-tentum einbrachtenrdquo135 Die gegenwaumlrtige Glaubensdogmatik wie wir sie kennen hat gar nichts mehr mit der puren Froumlmmigkeit des herrlichen Lehrers Jesus zu tun Duumlrfen wir gehen davon ausgehen dass sich was den (wahren) christlichen Glauben anbetrifft der ansteckende Optimismus von Thomas Jefferson erfuumlllen wird

Eines Tages wird die einfache und echte Religion Jesu so wie er sie predigte und lehrte wiederhergestellt Sie wurde leider sehr bald nach seinem Tod in Mysterien verstrickt worden und ist seither vor den Augen des gemeinen Volkes verborgen geblieben Um diese dunklen Wolken zu durchdringen und zu verscheuchen muss zu-erst das allgemeine Denken gestaumlrkt und (aus)gebildet werden136

Unser erklaumlrtes Ziel ist es genau diese Art von Ausbildung zu bewerkstelligen und beide die Orthodoxie und die Methodologie der Schrift einander gegenuumlber-zustellen Dies ist notwendig um den Gott von Jesus wiederzuentdecken Waumlh-rend wir uns nun auf den Weg begeben die antike Entwicklung des christlichen Dogmas zu untersuchen moumlgen uns die Worte eines groszligen deutschen Histori-kers auf die bevorstehende Geschichtspruumlfung vorbereiten bdquoWir muumlssen lernen uns von den Formen unseres christlichen Glaubens abzuloumlsen von Dingen wel-che die Leute durch das Brauchtum und die Tradition angenommen haben sie gehoumlrten zu seinem innersten Wesenrdquo137

135 Thomas Jefferson Letter to Dr Waterhouse 1815 136 Thomas Jefferson Letter to Van der Kemp 1820 137 Adolf von Harnack zitiert von Agnes Zahn-Harnack Adolf von Harnack (Berlin Tempelhof amp Bott

1936) p 80

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2

DieWurzelndesBaumes

Dazu wird er den Obelisken von Beth-She-mensh die im Land Aumlgypten sind zerbre-chen und die Tempel der Goumltter Aumlgyptens mit Feuer verbrennen

mdash Jeremia 4313

EWISSE STIMMEN AUS DEM TRINITARISCHEN LAGER be-schreiben das Konzept des Drei-in-Einem Gottes oftmals als eine rein himmlische Offenbarung und einige bestehen darauf dies sei die einzige

Begruumlndung fuumlr deren Eigenartigkeit Der bekannte Trinitarier AW Tozer ver-sichert bdquoDie Tatsache dass das Konzept keine befriedigende Erklaumlrung findet ist eher eine Bestaumltigung als ein Gegenbeweis Eine derartige Wahrheit bedingte eine Offenbarung kein Mensch haumltte sie sich je ausdenken koumlnnenrdquo138 Der bap-tistische Gelehrte Millard Erickson stimmt dem zu

Die Trinitaumlt muss goumlttlich offenbart sein sie ist kein menschliches Konstrukt Aus menschlicher Sicht ist sie so absurd dass keiner sie haumltte erfinden koumlnnen Wir halten die Trinitaumltslehre nicht weil sie selbsterklaumlrend ist oder logisch uumlberzeugend waumlre139

Gemaumlszlig diesen Aussagen sind Absurditaumlt Unlogik und Undurchsichtigkeit die ty-pischen Merkmale goumlttlich beglaubigter Wahrheiten Auch wenn die Kritik der Doktrin mangele es an einer vernuumlnftigen Erklaumlrung natuumlrlich mehr Zweifel als Vertrauen einfloumlszligt gilt sie als sicherer Beweis dass ihr Ursprung bei Gott liege

138 A W Tozer The Knowledge of the Holy (New York HarperOne 1961) p 23 139 Millard J Erickson Christian Theology (Grand Rapids Baker Book House 1998) p 367

G

Die Wurzeln des Baumes

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Die orthodoxe Christenheit scheint mehr Fragen als Antworten zu haben Nor-malerweise denkt man Unklarheit einer Theorie sei eher ein Zeichen ihrer Schwaumlche Doch normales Denken ist noch nie die Hauptsorge der Trinitarier gewesen wie sie offen zugeben140

Tozer und Erickson argumentieren dass das Wissen um einen dreieinigen Gott weder das Produkt aus dem Einfluss historisch eingebrachter Philosophien sei noch weil Theologen waumlhrend Jahrhunderten daruumlber gebruumltet haumltten Doch den Studenten der Geschichte und der Religion faumlllt sogleich auf dass verschiedene Weltreligionen frappierend aumlhnliche Glaubensprinzipien beinhalten Viele der wichtigen Konstrukte der katholischen Thesenentwickler und sogar viele der prauml-zisen Redewendungen ihrer Beschreibungen lassen sich woumlrtlich in anderen Re-ligionen der Geschichte nachweisen Die Kulturen Mesopotamiens der Hindus der alten Iren der Griechen und der Aumlgypter sie alle haben ihre eigene bemer-kenswerte trinitarische Theologie die obschon sie systematisch voneinander ab-weichen moumlgen hingebungsvoll einen singulaumlren Gott beschreiben der myste-rioumls aus drei einzelnen Persoumlnlichkeiten existiert141 Wir zitieren hier einen weite-ren Historiker

Die Tatsache wird nicht angezweifelt dass mehr oder weniger auf der ganzen Welt Gottheiten in Triaden auftreten und dass diese Triaden auf eine mystische Art und Weise ein Wesen sind dass

140 Lord Francis Bacon ein Trinitarier schrieb bdquoEin Christ ist jemand der Dinge glaubt die seine Vernunft

nicht verstehen kannrdquo (Works Vol 2 (London D Midwinter 1753) p 372) Ein anderer Trinitarier schreibt bdquoDies sind Kenntnisse welche unserer Vernunft wohl Raumltsel aufgeben moumlgen wie passen wohl zusammen Aber sie sollten unseren Glauben nicht verwirren weshalb wir sie als wahr akzeptieren wir sollten uumlber sie meditieren nicht in der falschen Hoffnung dass wir sie je verstehen sondern mit der Bereitschaft sie zu bewundern in ihrer Gegenwart aus Ehrfurcht unser Gesicht zu verhuumlllen und unsere Vernunft vor sie hinzuwerfen zu Fuumlssen einer Weisheit welche die unsere so hoch uumlbersteigtrdquo (Isaac Barrow Defense of the Blessed Trinity in Works Vol 2 (New York John C Riker 1845) p 150)

141 Die alten Babylonier bdquoanerkannten eine Trinitaumltsdoktrin beziehungsweise drei Personen in einer Gottheit hellip eine Gottheit verbunden mit drei Koumlpfen erscheint in ihrer Mythologie und im Gebrauch eines gleichschenkligen Dreiecks als Emblem der Dreiheit in der Einheitrdquo (Thomas Dennis Rock The Mystical Woman and the Cities of the Nations (Whitefish Kessinger Publishing 1867) pp 22-23) Ein 3000 Jahre alter Hindu Text beschreibt einen Anbeter der in einem Hindu Tempel zu einer Hindu Trinitaumlt betet bdquoOh ihr drei Herren Wisset dass ich nur einen Gott anbete Lehrt mich deshalb welcher von euch die wahre Gottheit ist dass ich ihm allein meine grenzenlose Verehrung darbringen kannrdquo Brahma Vishnu und Shiva antworten ihm bdquoLerne oh Verehrer dass drei keine wirkliche Unterscheidung unter uns ist hellip das einzelne Wesen erscheint in drei Formen und er ist doch einsrdquo (Marie Sinclair Old Truths in a New Light (London Chapman and Hall 1876) p 383)

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sie eins sind im gleichen individuellen Wesen Die christliche trini-tarische Formel von Athanasius142 der in Aumlgypten lebte ist die-selbe wie fuumlr die Trinitaumlten aller heidnischen Religionen143

Im Licht der von Erickson aufgestellten Behauptung dass bdquoniemand diese These haumltte ausdenken koumlnnenrdquo ist die Frage fast zwingend ob all diese anderen Reli-gionen ebenfalls von Gott offenbart worden seien Ist die Antwort nein da ihre Formen sich nicht uumlberall exakt decken dann fragen wir wie nahe die Heiden an die orthodoxe Definition des vierten Jahrhunderts haumltten kommen muumlssen um eine Beziehung oder einen Einfluss zumindest vermuten zu lassen Trotz aller trinitarischen Behauptungen einer neuen und exklusiven Offenbarung eines Dog-mas vom Himmel das unberuumlhrt von der Welt ist duumlrfen wir eines nicht verges-sen

Das Gesetz der historischen Entwicklung ist universal und kennt keine Unterbrechungen der Kontinuitaumlt Dies ist ein erstes Prinzip der historischen Methode Es ist auf die Religions-geschichte in der Natur- und Menschheitsgeschichte mit ihren praktischen so-zialen und intellektuellen Bewegungen anwendbar Waumlre dem nicht so dann gaumlbe es keine Religionsgeschichte Die Verbindun-gen der ethnischen Trinitaumlten zum christlichen Dogma weisen ei-nen klaren historischen Untergrund auf Es gibt keinen Bruch [zur christlichen Dreifaltigkeitslehre] Viel eher bewegt sich die alte Ent-wicklung durch die uumlblichen historischen Kanaumlle144

Nichtsdestoweniger bleibt der unvermeidliche Protest der modernen Trinitarier nicht aus wie immer wenn das Thema der historischen Praumlzedenz aufkommt Die Einsprache lautet meistens Die heidnischen Religionen der antiken Welt waren groumlszlig-tenteils tri-theistisch und somit nicht auf der Linie des christlichen Trinitarianismus welcher nur einen Gott mit drei Personen sieht mitnichten beweisen diese Aumlhnlichkeiten dieselbe Sub-stanz (der Gottheit) Wir beabsichtigen nicht zu beweisen die Orthodoxie habe die Doktrin einfach direkt aus fruumlheren Theologien uumlbernommen Es ist weder unser Ziel noch unsere Uumlberzeugung Viel eher wollen wir darlegen wie verschiedene weltliche Theologien ihre Prinzipien der christlichen Nachwelt ausgeliehen haben

142 Athanasius wird oft als der Held der proto-trinitarischen Partei waumlhrend des Konzils von Nicaumla im Jahr

325 n Chr angesehen Seine lebhaften (und manchmal auch handgreiflichen) Anstrengungen ebneten der Katholischen Kirche den Weg zunaumlchst eine Doktrin der bdquoWesensgleichheitrdquo zwischen dem Vater und dem Sohn zu akzeptieren und spaumlter die die bdquotrinitarische Definition von Gottrdquo zu formulieren Diese Information werden wir in den folgenden Kapiteln dieses Buches erlaumlutern

143 James Bonwick Egyptian Belief and Modern Thought (London C Kegan Paul amp Co 1878) p 396 144 L L Paine The Ethnic Trinities and Their Relations to the Christian Trinity (New York Houghton Mifflin

and Co 1901) pp 191-192

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Die neue Religion war schon kompromittiert denn waumlhrend Jahrhunderten wur-den naumlmlich die besten traditionellen Philosophien aus ihren Kreisen ausgewaumlhlt und dem sich entwickelnden christlichen Glauben eingepflanzt Das Ergebnis war ein geschmeidiges Christentum das begann Bibelthemen durch eine Brille einer Weltanschauung zu interpretieren die der Schrift voumlllig fremd waren Dies ist sehr viel anders als nur zu sagen die bdquoTrinitaumltsdoktrin (wie sie die Katholischen Kirche lehrt) ist heidnischrdquo Nein die Sache ist keinesfalls so einfach Die Doktrin kann sicher als christlich bezeichnet werden insofern sie von historischen Christen formuliert wurde nachdem diese die Heilige Schrift gelesen hatten Unsere Auf-merksamkeit muss sich daher auf die Art und Weise fokussieren wie sie die Schrif-ten gelesen haben Welche historischen und damit zusammenhaumlngenden religiouml-sen Elemente haben ihre Interpretationen ermaumlchtigt

Zu diesem Zweck werden wir nicht nur die Reihe der Weltreligionen und ihren Einfluss auf spaumltere christliche Gelehrte darlegen sondern auch deren genaue Formeln die in der Kirchendogmatik vorhanden sind Uumlberdies werden wir die katholische Geistlichkeit zitieren und ihre oumlffentlichen Verlautbarungen mit wel-chen sie die von aussen kommenden Philosophien zur Begruumlndung der (christli-chen) Glaubensregeln rechtfertigen

JenseitsvonAfrikaDie (heidnische) bdquoDrei-in-Einem Gottheitrdquo zwingt den Trinitarianismus histo-risch gesehen in einen erstaunlich engen Rahmen mit verschiedenen unangeneh-men Quellen insbesondere aus der Welt der griechischen Philosophie Die Idee war fuumlr die orthodoxe Christenheit keineswegs eine groszligartige Neuigkeit Wie Erickson aufzeigt bdquostammte das spezifische metaphysische Mittel um die klassi-sche Trinitaumltsdoktrin auszudruumlcken aus der damals gaumlngigen griechischen Meta-physik die heutzutage jedoch meist niemandem mehr Sinn macht oder gar ver-staumlndlich waumlrerdquo145 Wir sollten deshalb nicht den voreiligen Schluss ziehen dass die griechischen und lateinischen Kirchenvaumlter welche die mutmaszliglichen Glau-bensformeln zusammenstellten Spezialisten gewesen seien die ndash ungeachtet ih-rer Tugenden ndash eine Vorliebe fuumlr die Philosophien gehabt haumltten die ihre Zivili-sationen ausmachten Die griechische Philosophie namentlich der Platonis-mus146 beherrschte schon laumlngst die Welt als die (christliche) Kirche gegruumlndet

145 Erickson God in Three Persons p 211 (Gott in Drei Personen) 146 Platonismus bezieht sich in erster Linie auf die von Platon (gestorben 347 v Chr) entworfenen philos-

ophischen Systeme sowie in einem modernen Sinn auf das System das die Wirklichkeit von abstrakten Objekten bestaumltigt Der Platonismus erlebte eine Reihe verschiedener sbquofarbigerrsquo Entwicklungsstufen Arcesilaus fuumlhrte im 3 Jh v Chr den Skeptizismus ein Antiochus den Stoizismus ca 90 v Chr der auch als Mittel-Platonismus bekannt ist Erst viel spaumlter im 3 Jh n Chr brachte Plotinus den Mystizis-mus ein auch als Neoplatonismus bezeichnet Der Neoplatonismus gekoppelt mit dem Gnostizismus werden von den Gelehrten allgemein als die Kraumlfte betrachtet die den bedeutendsten und direktesten

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wurde Viele der Prinzipien waren selbst fuumlr die Griechen nicht umwerfend neu und einzigartig Die erfinderischsten und schillerndsten Koumlpfe unter ihnen ver-danken viel dem religioumlsen Denken der alten Aumlgypter In der Tat haben Historiker laumlngst erkannt dass viele der von den Heiden uumlbernommenen Glaubensgrund-saumltze urspruumlnglich von den Aumlgyptern erdacht und von Platon idealisiert worden waren nur um spaumlter von den christlichen Synthetikern als bdquofuumlr den Glauben wertvollrdquo bezeichnet zu werden147

Es stimmt dass in der alten aumlgyptischen Theologie eine Fixierung auf die Idee einer goumlttlichen Dreifaltigkeit festgestellt werden kann Dazu kommentiert ein Forscher

Der Hymnus des Amun-Re dekretiert dass bdquokein Gott vor Amun-Re geworden warrdquo und dass bdquoalle drei Goumltter sind Amun Re und Ptahrdquo und dass ihnen kein Zweiter gleich ist Verborgen ist sein Name in Amun sein Gesicht ist in Re und sein Koumlrper ist Ptah Das ist das Statement der Trinitaumlt drei aumlgyptische Hauptgoumltter subsummiert in einem von ihnen Amun Es leuchtet ein dass das Konzept der organischen sbquoEinheit in der Vielfaltsbquo durch diese Formulierung einen enormen Schub bekam Theologisch gesprochen die etwas schwerfaumlllige alte Formel kam der spaumlteren christlichen Ausdrucksweise des pluralen trinitarischen Monotheis-mus sehr nahe148

- Der deutsche Aumlgyptologe und Religionshistoriker Siegfried Mo-renz erkannte ebenfalls

dass die Trinitaumlt die aumlgyptischen Theologen am meisten beschaumlf-tigte Drei Goumltter waren zusammengefasst wurden in einem singu-laumlren Wesen verehrt und als Einzelperson angesprochen In dieser Hinsicht ist die geistliche und religioumlse Kraft Aumlgyptens direkt mit der christlichen Theologie verbunden149

Dieser Punkt wurde manchmal mehr manchmal weniger erfolgreich von einer Vielzahl von christlichen Trinitaumltskritikern benutzt Es ist indessen sehr schwierig zu beweisen das Christentum habe einfach ein intaktes Trinitaumltsmodell von den

Einfluss auf die christlichen Philosophen der katholischen Kirche ausgeuumlbt haben Siehe W R Inge ldquoThe Permanent Influence of Neoplatonism upon Christianityrdquo The American Journal of Theology Vol 4 No 2 (Chicago The University of Chicago Press 1900) pp 238-244)

147 Edward Gibbon History of Christianity (New York Peter Eckler 1891) p xvi 148 Simson Najovits Egypt Trunk of the Tree Vol 2 (New York Algora Publishing 2004) pp 83-84 149 Siegfried Morenz Egyptian Religion (New York Cornell 1992 [1973]) p 255 (Deutsche Ausgabe Aumlgyptische

Religion Kohlhammer 2 Aufl Stuttgart 1960) Andere Merkmale der aumlgyptischen Religion sind in dieser Hinsicht bemerkenswert wie zum Beispiel der Halb-Gott Status der dem aumlgyptischen Pharao zuge-schrieben wurde der bdquovom Moment seiner Thronbesteigung an den Titel sbquoSohn Gottesrsquo tragen durfte In der Tat hatte der Pharao eine zweifache Natur wahrer Gott und wahrer Mensch neben weiteren Attributen wie sbquoSohn einer jungfraumlulichen Mutter und eines goumlttlichen Vatersrsquo rdquo (Kuschel p 236)

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alten Aumlgyptern ausgeborgt Was die Drei-Einheit anbetrifft scheint der aumlgypti-sche Einfluss auf die Orthodoxie eher entfernter Natur gewesen zu sein Waumlh-rend der Vergleich als frappierend erscheinen mag werden wir nicht viel Zeit vergeuden um aufgrund dieser augenfaumllligen Aumlhnlichkeit einen unumstoumlszliglichen Beweis zwischen der aumlgyptischen und der orthodoxen Trinitaumlt zu etablieren Wir werden es bei diesen Gemeinsamkeiten belassen Es gibt einen viel grundlegen-deren und greifbareren philosophischen Einfluss der aus Aumlgypten hervorging und uumlber die Zeit in die hellenische Welt hineingetragen wurde Die Untersu-chung dieser Einwirkung ermoumlglicht einen viel kritischeren Blick auf die (aumlgypti-schen) Komponenten der orthodoxen Christologie Es ist die Doktrin der Un-sterblichkeit und der Transmigration der Seele

DerSamederSeeleDie antike Vorstellung der Seelenwanderung ist zweifelsohne das metaphysische Ruumlckgrat der heutigen trinitarischen Christologie Sie ist der philosophische Rah-men von dem die anderen Doktrinen abhaumlngen wie diejenige der zwei Naturen (Jesu) der Prauml-Existenz und der Fleischwerdung Gemaumlszlig den griechischen His-torikern des Altertums entstand diese Vorstellung die so umfassend die griechi-sche Weltanschauung praumlgte in der aumlgyptischen Theologie150 Ein anderer deut-scher Aumlgyptologe bestaumltigt

Die Doktrin [der unsterblichen Seele] beeinflusste die Systeme der griechischen Philosophen sie machte sich in den Lehren der Gnos-tiker bemerkbar wir finden ihre Spuren in den Schriften der christ-lichen Apologeten sowie der fruumlheren Kirchenvaumlter und durch ihre Vermittlung wurden das Denken und die Uumlberzeugungen unserer eigenen Zeit beeinflusst151

Dies ist wohl der rote Faden der sich nachhaltig durch das ganze Spektrum der Weltreligionen zieht Man kann sagen dass die altaumlgyptische Idee einer unsterb-lichen wandernden Seele ein Same war der gepflanzt wurde sie war ein geistli-cher Keim der uumlber Jahrhunderte in zahllosen umtriebigen Koumlpfen gehegt und gepflegt wurde dort ausgeschlagen hat und zu einem groszligen Baum geworden ist

150 Herodotus ( 490480 v Chr dagger um 430420 v Chr) berichtet dass die Aumlgypter die ersten waren

welche die Idee der Seelenwanderung entwickelten Er schrieb bdquoDie Aumlgypter unterhielten auch als erste die folgende Idee dass die menschliche Seele unsterblich ist und dass sie beim Tod des Koumlrpers in ein anderes lebendes Wesen eintritt das geboren wird und nachdem sie durch alle Kreaturen der Erde des Meeres und der Luft gewandert ist tritt sie bei der Geburt wieder in einen menschlichen Koumlrper ein der Zyklus der sich in dreitausend Jahren erfuumlllt Verschiedene Griechen haben diese Doktrin schon ver-wendet einige fruumlher die anderen spaumlter wie wenn sie ihre eigene gewesen waumlre ich kenne ihre Namen will sie aber nicht nennenrdquo(Histories 2 123)

151 Alfred Wiedemann The Ancient Egyptian Doctrine of the Immortality of the Soul (London H Grevel amp Co 1895) p viii (Die alt-aumlgyptische Doktrin der Unsterblichkeit der Seele)

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Er zeigte lebhafte Auswuumlchse in hunderten von Richtungen die Aumlgypter die Pla-toniker die Gnostiker und die Christen sie alle haben sich in seinen Aumlsten ein-genistet Dieser doktrinaumlre Same einer (unsterblichen) Seele weicht allerdings akut von der Weltanschauung der juumldischen Bibel ab und wirkt ihr entgegen wir fra-gen uns was passiert wenn die begleitende religioumlse Infrastruktur dieser Doktrin eines Tages einfach einstuumlrzt

Die weitverbreitete Doktrin der unsterblichen Seele ist in erster Linie durch fol-gende Unterschiede zwischen der Seele dh der Person und dem Fleisch bezie-hungsweise der koumlrperlichen Natur (des Menschen) charakterisiert Beide die Aumlgypter und die Griechen betrachteten die Seele als unzerstoumlrbare Substanz wel-che aus dem Zustand der Prauml-Existenz in den Himmeln herniederkam (= trans-migrierte) und menschliche Natur auf Erden annahm152 Es ist einfach zu sehen wie wichtig diese Weltanschauung fuumlr die orthodoxe Christologie ist Die Frage jedoch stellt sich ob sie fuumlr die Bibel von Wichtigkeit ist

Die International Standard Bible Encyclopedia legt dar bdquodass die griechische platoni-sche Idee waumlhrend der Koumlrper sterbe die Seele unsterblich sei dem israeliti-schen Bewusstsein diametral entgegengesetzt ist und nirgendwo im Alten Testa-ment gefunden werden kannrdquo153 Die Jewish Encyclopedia schreibt in aumlhnlicher Weise

Der Glaube dass die Seele weiterexistiert nachdem der Koumlrper zer-faumlllt ist Spekulation und wird nirgends in den Heiligen Schrif-ten gelehrt So lange wie gelehrt wird dass die Seele (nefesh שפנ ) einfach Odem und unzertrennlich mit dem Koumlrper verbunden ist um nicht zu sagen fleischlich (= materiell) ist kann ihr keine wirk-liche Substanz zugeschrieben werden154

Die Hebraumlische Bibel gibt keine Beschreibung daruumlber als ob Gott in den leeren Koumlrper Adams eine bereits existierende Seele eingefuumlllt haumltte Hier ist was in 1 Mose 27 geschrieben steht bdquoUnd Gott der HERR bildete den Menschen Staub vom Erdboden und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens und der Mensch wurde eine lebendige Seeleldquo Adam wurde eine lebendige Seele bdquoAus diesem Grunderdquo wie selbst

152 Gerald Massey Ancient Egypt the Light of the World (London T Fisher Unwin 1907) p 137 (Alt-Aumlgypten das Licht der Welt)

153 Geoffery W Bromley (ed) ldquoDeathrdquo International Standard Bible Encyclopedia Vol I (Grand Rapids Eerdmans 1960) p 812

154 Kaufmann Kohler ldquoImmortality of the Soulrdquo Jewish Encyclopedia 1941 pp 564 566

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evangelikale Geistliche anerkennen bdquowerden Geist und Seele zusammen mit dem menschlichen Koumlrper austauschbar und allgemein fuumlr die menschliche Natur ge-braucht nicht um drei separate Einheiten zu beschreiben sondern um mit diesem Parallelismus die volle Persoumlnlichkeit des Menschen auszudruumlckenrdquo155 In Kuumlrze werden wir feststellen wie die widerspruumlchliche Doktrin einer deutlich abge-grenzten transmigrierenden Seele sich in Verbindung mit anderen aumlgyptischen und griechischen Glaubensvorstellungen

DiepersoumlnlicheSeeleunddieInkarnationAumlgyptensZunaumlchst muumlssen wir uns einen Moment mit der detaillierten Analyse des aumlgyp-tischen Konzepts der unsterblichen Seele beschaumlftigen Das erste Merkmal das in dieser Doktrin auffaumlllt ist der Unterschied zwischen der Humanitaumlt (die phy-sischen Eigenschaften) und des bdquoBardquo der Seele (die geistlichen Eigenschaften)156 Fuumlr den aumlgyptischen Theologen war der Koumlrper ein Knochengeruumlst welches von einem prauml-existenten Geist-Menschen bewohnt war157 Beim Tod starb nur das ir-dische Wesen das heisst die koumlrperliche Natur Sie starb aber der Geist-Mensch

155 James Orr John L Nuelsen Edgar Y Mullins (ed) The International Standard Bible Encyclopedia Vol IV

(Chicago The Howard-Severance Company 1915) p 2497 Der Abschnitt faumlhrt fort bdquoSeele und Koumlrper sind beide von der Zerstoumlrung bedroht (Mat 1028) der Koumlrper ohne den Geist ist ein Leichnam (Jak 226) Seele und Geist sind austauschbar miteinander verbunden sbquo dass ihr fest steht in einem Geist und mit einer Seele zusammen rsquo (Phil 127)rdquo Dies beseitigt den volkstuumlmlichen Glauben vieler Chris-ten an ein Leben einer sbquoentkoumlrperten Seelesbquo in vollem Bewusstsein entweder im Himmel oder in der Houmllle nach dem Tod In der biblischen Weltanschauung wird viel eher dargelegt dass Verstorbene entweder auferweckt werden beim Letzten Gericht wenn ihnen neuer Geist eingehaucht wird oder sie werden auf ewig im feurigen Pfuhl (im Feuersee) ausgeloumlscht (Dan 122-3 Joh 528ff Ezekiel 3712ff) Um eine Einfuumlhrung in diese Materie zu erhalten verweisen wir auf das Buch von Anthony Buzzard Our Fathers Who Arenrsquot in Heaven (Restoration Fellowship 2001) Es mag wichtig sein zu erwaumlhnen dass die Ausdruumlcke Seele und Geist manchmal austauschbar verwendet werden um die Menschheit als solche im NT zu beschreiben Siehe die English Standard Version Biblersquos Fuszlignote von 1 Thessalonicher 523 bdquo Geist und Seele und Leib stellen die Ganzheit der Person dar Es scheint unwahrscheinlich dass damit eine dreiteilige Unterteilung der menschlichen Natur als Koumlrper Seele und Geist gemeint ist wobei sbquoSeelelsquo und sbquoGeistlsquo zwei separate unterschiedliche Teile waumlren Paulus braucht hier viel eher die drei Ausdruumlcke um eine Betonung zu erreichen [1 Thess 523] Aumlhnliche Ausdrucksweisen uumlber die Ganzheit einer Person sehen wir in Matthaumlus 1028 Markus 1230 1 Kor 734rdquo

156 bdquoEs gibt eine philosophische Erklaumlrung fuumlr den Unterschied zwischen Persoumlnlichkeit (Seele) und Per-son wenn wir auf Platon und seine Ideen zuruumlckgehen Die Aumlgypter scheinen das abstrakte Denken nicht gekannt oder praktiziert und daher ein rein gegenstaumlndliches Konzept fuumlr die Individualitaumlt geformt zu haben sie gaben ihr eine materielle Form die vollstaumlndig dem physischen Menschen entsprach ihm glich ein zweites Ich sein Doppelgaumlnger hellip (und sagten) die Persoumlnlichkeit (Seele) begleite die Personrdquo (Wiedemann S 11 13)

157 bdquoDie Seele wurde Ba genannt die Bedeutung dieses Wortes kann mit sbquoerhabenrsquo sbquonobelrsquo sbquomaumlchtigrsquo wiedergegeben werden Ba wohnte im Ka und scheint die Faumlhigkeit gehabt zu haben je nach Wunsch koumlrperlich oder nicht-koumlrperlich aufzutreten Sie hatte beides Substanz und Form Ba war mit dem Koumlrper in bemerkenswerter Weise verbunden und koumlnnte als abstraktes Individuum oder Persoumlnlichkeit definiert werden die ihre charakterlichen Eigenschaften besassenrdquo (Wallis Budge Of the Future Life Egyptian Religion (New York Kensington Publishing Corp 1997) pp 189-190) Zur Zeit von Amenophis III um ca 1500 v Chr bdquotrugen die Aumlgypter die Idee noch weiter --- Ka konnte ohne Koumlrper Leben

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lebte weiter158 Die koumlrperlose Seele begab sich nun im Augenblick des Aushau-chens auf eine unglaubliche Reise ausserhalb des Koumlrpers die Ruumlckkehr zum Goumlttlichen von dem sie stammte159 Wie wir demnaumlchst sehen werden korreliert diese Sicht mit Platon und den Gnostikern uumlber das Leben nach dem Tod und das Schicksal des Menschen Natuumlrlich haumlngen diese Erklaumlrungen auch mit der heutigen populaumlren christlichen Ansicht zusammen dass die Seele beim Tod un-mittelbar in den Himmel gehe eine Theorie die der Transmigration der Seele entspricht

Ein anderes Merkmal des aumlgyptischen Glaubens ist fuumlr unsere Studie von Bedeu-tung Die Goumltter selber auch der houmlchste Gott glaubte man haumltten jeder eine eigene goumlttliche Seele die wir als substantielle goumlttliche Natur bezeichnen koumlnnten Zu gewissen Zeiten galten Goumltter und Pharaonen als die einzigen die unsterbli-che Seelen besaszligen160 Houmlchst unglaublich ist das voll entwickelte und funktio-nierende Modell wonach sich eine unsterbliche Gott-Seele mit einem Mensch-Wesen vereinigen konnte ein Vorbild sozusagen der goumlttlichen Inkarnation (= Fleischwerdung)

Wir finden auch das die bdquoAumlgypter ein System der goumlttlichen Koumlnigsschaft erfun-den hatten der menschliche Pharao wurde ein Gott zusaumltzlich zu seinen Rollen als Repraumlsentant und Mediator (Vermittler) zwischen Gott und dem Men-schenrdquo161 Allerdings weit entfernt von einer bloszligen Vergoumlttlichung oder einer einseitigen Veraumlnderung seiner Natur glaubte man bdquoder Pharao sei die Inkarna-tion des Sonnengottes Amun-Rerdquo162 Die alten Aumlgypter waren hier wie uumlberall sehr betriebsam ihr mystisches Denken lieferte eine ziemlich systematische Er-klaumlrung der Doktrin bdquoDas Ka von Amun-Re musste zuerst in den Koumlrper des Pharaos wandern Amun-Re verflocht sich dann mit dem neuen Pharao Und

aber der Koumlrper nicht ohne Ka Nach dem Tode eines Menschen wurde Ka zu seiner eigentlichen Persoumlnlichkeitrdquo (Wiedemann p 13 15-16 19)

158 Siehe Ernst Von Bergmann Der Sarkophag des Panchemisis Vol I (Vienna 1883) p 22 Vol II p 74 et seq

159 Die spirituellen Eigenschaften eines Menschen hatten bdquoeinst ihren Sitz im lebenden Koumlrper doch beim Tod verlieszligen sie diesen um allein den Weg hin zu den Goumlttern zu finden auf diese Art wurden sie wieder mit ihnen vereint und traten in die Gemeinschaft der Seligen ein oder sogar mit den Goumlttern (Wiedemann p 10)

160 bdquoIn vor-dynastischen und auch fruumlh-dynastischen Zeiten war die Goumlttlichkeit des Pharaos auch dadurch beglaubigt dass nur die Goumltter und der Pharao Seelen hatten und nur der Pharao hatte das Anrecht auf Unsterblichkeit im Leben nach dem Tod In der gesamten aumlgyptischen Geschichte war der Pharao der Gouverneur der maat dem Prinzip der kosmischen Ordnungrdquo (Najovits p 153) Hier fragen wir uns nach der Beziehung dieses (aumlgyptischen) Prinzips zu dem spaumlter durch die griechischen Philosophen aufkommenden goumlttlichen sbquologosrsquo von dem sie sagten er sei die beherrschende Idee gewesen die Ord-nung ins chaotische Universum gebracht habe

161 Ebenso p 152 162 Paul Flux Ancient Egypt (Oxford Reed Educational and Professional Publishing 2001) p 17 Hin-

zufuumlgung

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die goumlttlichen Ka-Seelen die in seinem Koumlrper flossen wurden dem Pha-raoSohn uumlbertragenldquo163 Moderne Forscher interpretieren dies als die bdquoZwei Na-turenrdquo-Sicht auf den Pharao164 Uumlberdies wird der Gott Amun-Re als bdquoder Vaterrdquo und seine Inkarnation im Pharao als bdquoder Sohnrdquo gesehen165 Beim Tod des menschlichen Sohnes sagen sie kehrt dessen goumlttliche Seele in den Himmel zu-ruumlck wo sie sich wieder mit dem Vater vereinigt166 Die Gelehrten bestaumltigen uns auch

dass kein Zweifel daruumlber besteht der Pharao habe Anrecht auf die Goumlttlichkeit erhoben und dieses sei im alten Aumlgypten ernst genom-men worden dahingehend dass er nicht als gemeiner Sterblicher angesehen wurde Waumlhrend die meisten Aussagen uumlber die goumlttli-che Geburt aus der Periode des Neuen Reichs datieren (Das Neue Reich ca 1550 bis 1070 v Chr 18 - 20 Dyn) erfolgt die Bestaumlti-gung dass der Koumlnig bdquoSohn des Rerdquo ist durchaus bis in die ptole-maumlische Periode Der Titel bdquoSohn des Rerdquo laumlsst eine spezielle Ver-wandtschaft mit dem Goumlttlichen erkennen und zwar in der Her-kunft wie auch im endlichen Bestimmungsort nach dem Tod167

Im zweiten Teil dieses Buches werden wir die Idee der traditionellen Inkarnation (Fleischwerdung) des Christentums derjenigen des goumlttlichen Koumlnigtums wie sie in der israelitischen Religion gefunden wird gegenuumlberstellen Beim gegenwaumlrti-gen Stand unserer Untersuchung koumlnnen wir bereits erkennen dass die Inkarna-tion des houmlchsten aumlgyptischen Gottes in ihrer ontologischen Vereinigung der menschlichen und goumlttlichen Eigenschaften und der daraus resultierenden Aner-kennung als der bdquoSohn Gottesrdquo eine frappierende Aumlhnlichkeit mit den Ausge-staltungen (der Doktrinen) des spaumlteren Christentums traumlgt Aber weshalb kam im alten Aumlgypten uumlberhaupt eine solche Lehre der Inkarnation auf Hier ist die

163 Najovits pp 154-155 164 Adela Yarbro Collins John Joseph Collins King and Messiah as Son of God Divine Human and

Angelic Messianic Figures in Biblical and Related Literature (Grand Rapids Eerdmans 2008) p 9 165 Siehe Kuschel p 236 bdquoIn der Tat von Pharao Radjedefrsquos (Djedefra) (ca 2566-2558 v Chr) an war

der Pharao nicht nur Horus sondern hatte keinen menschlichen Vater Sein Vater war der Gott Amun-Re der auf magische Weise seine koumlnigliche Gattin schwaumlngerterdquo (Najovits pp 154-155)

166 bdquoDie Regenten Aumlgyptens zuerst die Koumlnige und spaumlter die Pharaonen waren Goumltter und Menschen zugleich die mit goumlttlichem Recht regierten Jeder Koumlnig war ein sbquoSohn Gottesrsquo der zum Zeitpunkt seines Todes mit seinem Vater wieder vereinigt und zu einem Gott im kosmischen Himmel wurde wurderdquo (Christopher Knight Robert Lomas The Hiram Key Pharaohs Freemasons and the Discovery of the Secret Scrolls of Jesus (Vancouver Fairwinds Press 2001) p 100) (Der Hiram-Schluumlssel Pharaonen Freimaurer und die Entdeckung der geheimen Jesus-Rollen)

167 Collins King and Messiah as Son of God p 7

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Spekulation eines Gelehrten zu dieser Frage bdquoEs kann sein dass (die alten Aumlgyp-ter) bewusst die Sehnsucht der Menschen nach dem Goumlttlichen ausgenutzt ha-ben den Wunsch die Goumltter moumlgen in die menschliche Domaumlne kommen und eine uumlbermenschliche Praumlsenz unter Menschen markieren ein immanenter Gott-Mensch der sie regiert versichert und troumlstetrdquo168 Wie wir auch etwas spaumlter ler-nen werden hat die Idee Alt-Aumlgyptens einer goumlttlichen Koumlnigsschaft bis in den Kaiserkult der antiken Griechen und der Roumlmer mitgeschwungen169 Nichtsdes-totrotz ungeachtet der Parallelen des entwickelten christlichen Glaubens zwei-feln wir daran ob moderne Trinitarier die aumlgyptische Theologie als von Gott of-fenbart betrachten wuumlrden Mit oder ohne Aumlhnlichkeiten wollen wir an unserem vorgegebenen Ziel festhalten Wir fokussieren unser Hauptaugenmerk auf den goldenen Faden dh die Uumlbermittlung des Wissens um eine prauml-existente Seele in die griechische Welt hinein und von dort zu den Gnostikern und schlieszliglich zu den orthodoxen Christen Die Litanei der Philosophen die wir zu dieser Studie herbeiziehen ist lang und vielschichtig doch wir werden laufend den Einfluss verschiedener wichtiger Theoretiker welche mehr oder weniger spekulativ den Motor der Entwicklung der christlichen Dogmatik anfeuerten untersuchen Diese Persoumlnlichkeiten und ihre Methoden wollen wir zuumlgig und ausgewogen Re-vue passieren lassen

DerWeisevonAthenDer griechische Philosoph Platon (427-347 v Chr) ist zweifelsohne die einfluss-reichste Persoumlnlichkeit der westlichen Geschichte Die Erhabenheit des Denkens dieses Atheners stellt einen edlen Schatz fuumlr unzaumlhlige Verehrer und Nachahmer dar Die christlichen Kirchenvaumlter der ersten Jahrhunderte legten eine wahre Ma-nie fuumlr die Religion des Platons an den Tag Bis heute pflegt die Mehrheit der Christen eine grundlegende Weltanschauung die ndash ohne dass sie sich Rechen-schaft daruumlber geben ndash das geistig-philosophische Eigentum des Atheners ist

Mit Sicherheit koumlnnen wir sagen dass die nachhaltigste und markanteste Doktrin die der Immortalitaumlt und der Transmigration der Seele ist (die Unsterblichkeit und die Seelenwanderung) Der genaue Zeitpunkt zu welchem der Begriff der unsterblichen Seele in das Denken des griechischen Volkes eindrang ist schwer zu sagen Waumlhrend die Berichte des kultischen Uumlbergangs zwischen Aumlgypten und

168 Najovits p 153 169 bdquoAlexander war der erste Grieche der behauptete er stamme von einem Gott ab er sei ein Sohn

Gottes Die Griechen haben ihm das nicht abgenommen doch bei den Ptolemaumlern in Aumlgypten hatte er mehr Erfolg mit seiner angeblichen Goumlttlichkeit Dort machte er Gebrauch der Tradition dass der Pharao als Sohn des Gottes Amun bezeichnet wurderdquo (Freeman p 40) Nach seinem Tod wurde Alex-ander der Mittelpunkt eines Kults und der Anbetung so wie die roumlmischen Kaiser die nach ihm kamen See L Cerfaux J Tondriau Le culte des souverains (Tournai Desclee 1957) p 202

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Griechenland als Ursprungsland klar Aumlgypten identifizieren170 ist die Zeitbestim-mung darin etwas verschwommener Je weiter wir uns vom Zusammentreffen antiker Kulturen entfernen desto mehr scheinen sich die verschiedenen Glau-bensfluumlsse miteinander zu vermischen und zu einem Strom zu werden der sich durch die Zeitalter bewegt Martin Bernal Professor nahoumlstlicher Studien an der Cornell Universitaumlt ist sicher dass die Uumlbermittlung des religioumlsen Denkens ganz klar von Afrika aus in Richtung antikes Griechenland stattfand

Wir finden dass die aumlgyptische Religion innerhalb wie auch auszliger-halb des Christentums uumlberlebte in Sekten wie die der Gnostiker und der Hermetiker auch Tradition des Hermetismus genannt die offen gesagt einfach heidnisch waren Griechische Zivilisation und Philosophie stammen aus Aumlgypten und die hauptsaumlchlichs-ten Wege auf denen sie uumlbermittelt wurden war die aumlgyptische Ko-lonisation von Hellas und spaumlter die Griechen die in Aumlgypten stu-dierten171

Tatsaumlchlich begann die hermetische Tradition in der christlichen Entwicklung des vierten Jahrhunderts eine Rolle zu spielen Sie fokussierte sich speziell auf die Beziehung zwischen aumlgyptischer Religion und Platonismus172 Allerdings waren die Hermetiker nicht die einzigen die in ihrem Kult diese Verbindung betonten Einige alte Historiker berichteten dass Platon selber Aumlgypten besuchte um die eigenartige mystische Theologie zu studieren Spaumlter schrieb Clemens von Ale-xandria (150 - 215) wie sich bdquoPlaton nach der Hinrichtung seines Meisters Sok-rates nach Aumlgypten davongemacht habe wo er dreizehn Jahre unter dem horiti-schen Priester Sechnuphis (in Heliopolis) studierterdquo173 Obwohl verschiedene an-tike Quellen eine direkte Begegnung Platons mit aumlgyptischen Doktrinen erwaumlh-nen sind moderne Wissenschaftler uumlber diese Aufzeichnungen geteilter Mei-nung Die Gruumlnde fuumlr ihre Zweifel an der Authentizitaumlt der Berichte uumlber des

170 Miguel Jauregui Orphism and Christianity in Late Antiquity (Berlin Walter de Gruyter 2010) p 51 171 Martin Bernal Black Athena Writes Back (London Duke University Press 2001) p 121 unsere Beto-

nung (Schwarze Athene schreibt zuruumlck) Es ist interessant dass ein weiterer Gelehrter diesen Fortschritt erkannt hat naumlmlich denselben historisch-religioumlsen Pfad den wir hier verfolgen wollen ndash von den Aumlgyptern zu den Griechen zu den nachchristlichen Gnostikern und schlieszliglich zur orthodoxen Chris-tenheit (Siehe auch Schwarze Athene Die afroasiatischen Wurzeln der griechischen Antike Wie das klassische Griechenland bdquoerfundenldquo wurde Verlag List Muumlnchen 1992 Anm d Uumlbersetzers)

172 Fuumlr eine Analyse der Hermetischen Lesungen Platons des vierten Jahrhunderts siehe Pier Franco Be-atrice ldquoThe Word lsquoHomoousiosrsquo From Hellenism to Christianityrdquo Church History Vol 71 No 2 (Cam-bridge Cambridge University Press 2002) pp 243-272

173 bdquoUnd es ist allgemein bekannt dass Platon die Aumlgypter staumlndig lobt und sich daran erinnert dass er und Pythagoras die meisten und edelsten ihrer Dogmen von den Barbaren gelernt haben Deshalb hat er die Rasse der Aumlgypter als die Rasse der barbarischen Philosophen bezeichnet von der man sagt sie habe die Seele unsterblich gemachtrdquo (Clement of Alexandria Stromata 115)

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Atheners Ferien in Afrika sind verschieden174 Trotzdem ob direkt oder indirekt Platon hatte offenbar eine Beruumlhrung mit dem aumlgyptischen Denken Was die Doktrin der unsterblichen Seele anbetrifft hatte Aumlgypten noch einen anderen Zugang zur hellenistischen Welt und damit zu Platon und zwar uumlber die Durch-dringung mit dem orphischen Kult

Irgendwann zwischen 700 und 600 vor unserer Zeitrechnung kam von Aumlgypten ein mystischer Kult im alten Griechenland an Orphismus genannt175 Der Kult behauptet vom Saumlnger und Propheten Orpheus bekannt aus der griechischen Sage gegruumlndet worden zu sein176 Ein grundlegendes Wissen der Orphiker be-traf die Faumlhigkeit die Seele in und aus dem Koumlrper bewegen zu koumlnnen insbe-sondere beim Tod Die Orphiker beschaumlftigten sich sehr mit den Leben nach dem Tod und waren davon so besessen wie ihre aumlgyptischen Vorgaumlnger177 Der Unterscheidung zwischen Seele und Leib kam daher eine maszliggebende Bedeutung zu An dieser Stelle trat die dualistische Ansicht der Koumlrper ist schlecht und boumlse die Seele ist gut und goumlttlich zum ersten Mal ins griechische Denken ein Auf-grund dieser Uumlberzeugung wurde die Beherrschung des Fleisches zum Hauptzeck der westlichen Philosophie und die Befreiung der Seele aus ihrer materiellen Knechtschaft zur Notwendigkeit178

174 Einige denken dass weil Platon selber seine Zeit in Aumlgypten nicht erwaumlhnte er gar nicht dort gewesen

sei Siehe Eduard Zeller Plato and the Older Academy (London Longmans Green and Co 1888) p 23 Jedoch hat der Historiker des ersten Jahrhundert v Chr Strabon gesagt man habe ihm in Heliopolis ein Haus gezeigt in welchem Platon bei Eudoxus waumlhren dreizehn Jahre gelebt habe Platon wird na-chgesagt er sei in Heliopolis geblieben bis er die Priester uumlberreden konnte ihm etwas von ihrem as-tronomischen Wissen mitzuteilen Wie auch immer sie haben den groumlszligten Teil ihrer Mysterien fuumlr sich selber behalten (Strabo Geography 17 1 29) Diogenes Laertius reiste im 3 Jh n Chr nach Aumlgypten und auch er berichtet uumlber den Besuch von Platon in Aumlgypten wo er bei den aumlgyptischen Theologen studierte Trotzdem ist der genaue akademische Wissensaustausch zwischen den Lehrern von Griechenland und den Lehrern von Aumlgypten bis auf den heutigen Tag umstritten Siehe Martin Bernal Black Athena (Brunswick Rutger University Press 1987) und der follow up Black Athena Writes Back (Durham Duke University Press 2001) in contrast to Mary R Lefkowitz Not Out of Africa (New York Basic Books 1997) (Schwarze Athene schreibt zuruumlck siehe Fuszlignote 171 oben)

175 Will Durant The Story of Civilization Vol 2 The Life of Greece (New York Simon amp Schuster 1966) pp 188-192

176 Clemens von Alexandria im dritten Jahrhundert schrieb spaumlter dass Jesus Christus der neue und houmlhere Orpheus war (Lamson p 179) Darstellungen von Jesus als Orpheus erschienen vielfach in der Spaumltantike der christlichen Kunst insbesondere als christliche Wandmalereien in den Katakomben

177 bdquoIn den orphischen Mysterien des antiken Griechenlands finden sich dieselben [aumlgyptischen] Lehren wieder den Verstorbenen wurden metallische Platten mit Inschriften mitgegeben auf denen In-struktionen fuumlr den Abstieg in den Hades standen Diese Anweisungen gleichen aufs Haar denen aus dem [aumlgyptischen] Totenbuchldquo (Katherine Tingley (ed) The Theosophical Path Vol XXI (Point Loma New Century Corporation 1921) p 436)

178 Ebenso Die orphische Religion wies verschiedene andere Weiterentwicklungen vertrauter Art auf Nach dem Tod wuumlrde die Seele gerichtetverurteilt und in den Hades hinunter verbannt wo sie die ewige Strafe erleiden muumlsste wenn sie als schuldig befunden wuumlrde oder zu besserem Leben aufstiege wenn sie rein waumlre Eine Abart des orphischen Kults sah sogar die Moumlglichkeit vor dass die ewige Strafe

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Es ist gut dokumentiert dass Platon viele seiner Doktrinen aus dem Orphismus erhielt Eine Enzyklopaumldie stellt fest dass bdquoPlaton dank der orphischen und eleusinischen Mysterien zur Doktrin der unsterblichen Seele gelangte in denen babylonische und aumlgyptische Ansichten in befremdlicher Weise vermischt wa-renrdquo Bertrand Russell bestaumltigt dass bdquoorphische Elemente in die Philosophie Pla-tons hereindrangenrdquo179 bdquound von Platon aus in die meisten folgenden Philoso-phien die einen Anflug von Religion aufwiesenrdquo180 Platons Zielpublikum war breit gestreut Juden Christen Gnostiker ndash viele Zweige der Weltreligionen ha-ben bewusst oder unbewusst seine Ansichten energisch weiter gefuumlhrt Doch Platons Lehre uumlber die Seele ist nicht das einzige System das in der spaumlteren Orthodoxie nach einer biblischen Interpretation suchte Seine ausgefallenen An-sichten uumlber Gott und die Schoumlpfung sollten unbestreitbare Schluumlsselrollen uumlber-nehmen

DerDemiurgundderLogosDer Schub der von Platons einschlaumlgigsten Lektionen ausging kann wie folgt beschrieben werden Er lehrte dass alle Materie von Natur aus imperfekt unvoll-kommen war Die Materie war unvollkommen da sie der Veraumlnderung unterwor-fen war denn alles das nicht imperfekt war muumlsste nicht modifiziert oder ver-aumlndert werden Eine Veraumlnderung der Perfektion wuumlrde unwillkuumlrlich eine Ver-schlechterung mit sich bringen Das All war daher in Stufen angeordnet mit der tiefsten Stufe oder den fuumlr Veraumlnderung anfaumllligsten Prinzipien zuunterst ndash wie unsere Welt ndash und den houmlchsten den unveraumlnderlichsten zuoberst an der Spitze Des Weiteren lehrte Platon dass alle menschlichen Seelen einst in einer houmlheren perfekteren Lebenssphaumlre existiert hatten wo sie alles Wissen besassen Bei der Fleischwerdung (Inkarnation) in menschliche Formen auf dieser Erde verblieb nur noch ein Restwissen als angeboren alles andere war verschwunden und die Menschheit war gezwungen von Grund auf alles neu zu erlernen

Fuumlr Platon gab es immer noch eine unterschwellige Ordnung unter der nach au-szligen chaotischen Welt (eine Ordnung die von den Philosophen logos genannt wurde) Dies bedeutete dass die Welt aufgrund eines vernuumlnftigen ordnungsge-maumlszligen Prinzip erbaut worden war In seinem Werk Der Staat (gr politeiacutea lat res publica) nennt Platon dieses houmlchste Prinzip bdquoDas Guterdquo (welches von einigen

nach dem Tod durch Verwandte abgewendet werden koumlnnte dies war vielleicht ein Vorlaumlufer der katholischen Doktrin des Fegefeuers (Purgatorium)

179 Jewish Encyclopedia pp 564 566 180 Bertrand Russell History of Western Philosophy (New York Simon amp Schuster 2008 [1946]) p 19 (Ge-

schichte der Westlichen Philosophie)

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sbquoGottlsquo) genannt wurde181 In einem anderen Werk Timaios stellt Platon noch eine andere ebenfalls goumlttliche Figur den Demiurgen vor dessen Name bdquoHandwer-kerrdquo bdquoErbauerrdquo bdquoSchoumlpferrdquo bedeuten kann Dieser Demiurg war ein hochrangi-ger aber offenbar begrenzter Gott (wahrscheinlich sbquoDem Gutensbquo untergeordnet) der unseren Kosmos als Modell mit einer perfekten mathematischen Ordnung in den Himmeln erschuf182 Fuumlr Platon selber scheint nicht ganz klar gewesen zu sein ob bdquoDer oder das Guteldquo und der bdquoDemiurgldquo ein und dasselbe oder aber von einander unterschiedliche Einheiten gewesen seien Es blieb spaumlteren Plato-nikern uumlberlassen in dieser Materie Klarheit zu schaffen So erfuhr Platons aus-gefallene Demiurg-Figur eine wichtige Veraumlnderung und zwar in der Periode der Hellenistischen Juden die ihn in einen bdquoEngelldquo umdeuteten Dieser Engel wurde in der Folge von den platonisch beeinflussten Christen als bdquoSohn Gottesldquo inter-pretiert

Die Idee des goumlttlichen logos wurde fuumlr das spaumltere Christentum zu einem wichti-gen Konzept Dieser (griechische) Terminus dem in der deutschen Sprache kein Begriff direkt entspricht wird uumlblicherweise als bdquoWortrdquo oder bdquoVernunftrdquo uumlber-setzt aber koumlnnte auch mit bdquoauf Verstehen angelegte Rederdquo bdquologisches Urteilrdquo bdquoumfassender Sinnrdquo bdquoPlanldquo oder bdquoFormelrdquo wiedergegeben werden183 Der erste Philosoph der den Begriff des logos gebrauchte war Heraklit (ca 535 ndash 475 v Chr) und er beschreibt damit das Prinzip des Kosmos das unser Universum or-ganisiert eine ewige Blaupause die hinter den Kulissen die hektische staumlndig sich aumlndernde Schoumlpfung zusammenhaumllt184 Die Stoiker spaumltere Philosophen emp-fanden den logos als das animierende Prinzip das allen Wesen Leben gab und das in der Welt und in jeder menschlichen Seele wohnt In der Zeit von Sokrates (der 399 v Chr starb) und von Platon war logos bereits zum etablierten Begriff fuumlr die Faumlhigkeit der menschlichen Vernunft geworden Platons Student Aristoteles (384ndash322 v Chr) definierte logos noch weiter in dieser Richtung

Ob Platon oder seine griechischen Kollegen je der Ansicht waren der logos habe eine wirkliche und unabhaumlngige Substanz bleibe dahingestellt Einige seiner Ver-ehrer besonders die von der Alexandrinischen Schule sahen im logos sicher eine

181 Platons bdquoGottldquo wird unter den Gelehrten immer noch als kontrovers diskutiert Platon selber verbindet

die Idee bdquoDes Gutenldquo nicht ausdruumlcklich mit bdquoeinem Gottldquo per se und einige wuumlrden wohl seine bdquoideasldquo (nous) in eine solche Verbindung der Erkenntnis bringen Nichtsdestoweniger unterhielt Platon einen Ort fuumlr personale Gottheiten insbesondere fuumlr den Demiurgen oder bdquoHandwerkerldquo der unser Univer-sum erschuf

182 Platon Timaeus 40c 183 Siehe Calvert Watkins ldquoAppendix I Indo-European Rootsrdquo The American Heritage Dictionary

of the English Language (Boston Houghton Mifflin 2000) 184 Siehe Robert Audi ldquoHeraclitusrdquo Cambridge Dictionary of Philosophy (New York CUP 1999)

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eigenstaumlndige und vernuumlnftige Einheit also eine wirkliche Person185 Etwas spaumlter fing man an diese persoumlnliche Logos-Einheit mit der Figur von Platons Demiurg zu identifizieren und schlieszliglich als die christliche Aumlra anbrach haben die Kir-chenvaumlter den Demiurgos-Logos-Schoumlpfer als Jesus von Nazareth kenntlich ge-macht

Aus all dieser Entwicklung kann nicht gesagt werden Platon sei der Prototyp eines Christen gewesen Es trifft viel eher zu dass die fruumlhen Kirchenvaumlter die oumlffentlich zugaben sich in Platon sbquoverliebtrsquo zu haben186 auch ein Geschick fuumlr die Synthese bewiesen In den Alexandrinischen Schulen hatte es eine Neuuumlber-pruumlfung des Platonismus im Licht der Bibel gegeben aus der ein aktiver Aussoumlh-nungsprozess erfolgte Platons Uumlberlegungen oumlffneten den christlichen Philoso-phen ein aktives Jagdrevier

Darin fanden sie verborgene Bedeutungen und Verbindungen zu den juumldischen und christlichen Schriften und entlockten diesen Doktrinen die sich sehr vom Geist Platons abhoben Da sie glaub-ten Platon sei vom Heiligen Geist inspiriert gewesen oder er habe seine Weisheit von Moses bekommen schienen sie in seinen Schriften die christliche Trinitaumlt das Wort die Kirche die Schoumlp-fung der Welt im juumldischen Sinn wie auch Gott selber oder sein Denken oder die Unsterblichkeit der Seele zu finden In den Ale-xandrinischen Schulen begegneten und vermischten sich Religio-nen und Philosophien Die Neo-Platoniker hatten eine Interpreta-tionsmethode mit der sie irgendwelchen Worten beliebige Bedeu-tungen entlocken konnten187

Ob der urspruumlngliche Geist von Platons Reden noch bei den Kirchenvaumltern vor-handen war oder nicht ist eigentlich nicht von Belang fuumlr die Tatsache dass die

185 Siehe Lamson Abbot The Church of the First Three Centuries p 66 (Die Kirche der ersten drei

Jahrhunderte) 186 Zum Beispiel nannte Eusebius von Caumlsarea Platon bdquoden einzigen Griechen der zum Portal der christ-

lichen Wahrheit gelangt warrdquo (Praep Evang 13 14) und Augustinus beschreibt die bdquoAussagen Platons als die reinste und weiseste Philosophie welche die Wolken des Irrtums verscheuchen koumlnnerdquo (Contra Acad 3 18)

187 Benjamin Jowett The Dialogues of Plato (New York Charles Scribnerrsquos Sons 1911) pp 455-456 (Die Dialoge Platons) W R Inge schreibt bdquoEs gibt einen feinsinnigen Spruch von Clemens von Alexandria dass die Wahrheit einem Strom gleiche welcher von allen Seiten Zufluumlsse erhalte Doch der Strom der alexandrinischen spekulativen Theologie gleiche dem Nil-Delta in welchem alles bluumlhe hellip und es waumlre einer ein sehr gelehrter oder ein selbstsicherer Mann der die Verpflichtungen eines alexandrinischen Juden eines Christen und eines Griechen genau definieren koumlnnte hellip in Alexandria gab es einen derart groszligen Gedankenaustausch dass es kaum moumlglich gewesen waumlre jede Doktrin mit einem Namen der Nationalitaumlt oder dem Bekenntnis zu versehenrdquo (Inge p 328)

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bdquoVaumlterldquo sich in ihrer platonischen Weltanschauung durch die Ankunft des Chris-tentums nicht beeintraumlchtigt fuumlhlten188 Platon hatte den notwendigen metaphy-sischen Rahmen geliefert innerhalb welchem die brillanten christlichen Konver-titen ein Bild einer herrlichen neuen Religion malen konnten in dem sich die transzendente moralische Philosophie des Neuen Testaments mit den beliebten akademischen Sitten ihrer Zeit verbinden liessen

WeitereplatonischeEntwicklungenWaumlhrend der Aumlra des Mittelplatonismus (90 v Chr - 200 n Chr) gestatteten sich die spaumlteren Studenten Platons seine Schriften einer bedeutenden Ausarbeitung zu unterziehen Der Philosoph Plutarch (ca 45 ndash 120 n Chr) zieht unsere Auf-merksamkeit besonders auf sich wegen seiner synkretistischen Anstrengungen Plutarch glaubte dass bdquoalle Religionen eins im Geist sind und dasselbe Ziel haben und dass eine gemeinsame Wahrheit allen unterschiedlichen Formen des religiouml-sen Glaubens zugrunde liegenrdquo189 Sein interessantestes Werk entstammt seinen Betrachtungen von Platons Figur des Demiurgs und seiner eigenen Fixation auf die Religion Aumlgyptens Plutarch erklaumlrte dass Platon bereits bdquouumlberwiegend das religioumlse Wissen der Aumlgypter in sein System uumlbernommen haberdquo190 So sah Plutarch seine Anstrengungen lediglich als Fortsetzung des Meisters (Platons) Werk In seiner Schrift bdquoDe Iside et Osiriderdquo interpretiert Plutarch den antiken aumlgyp-tischen Mythos von Isis und Osiris als Bericht uumlber den Demiurg und verbindet ihn direkt mit der Demiurg-Erzaumlhlung von Platon in Timaios (dem dann die Sage der Sophie der spaumlteren valentinischen Gnostiker traditionsgemaumlss folgte191 Bis zu diesem Punkt hatte Plutarch bereits Platons Demiurg mit bdquoDem Gutenrdquo oder dem bdquoHoumlchsten Gottrdquo identifiziert192 aber es gab da noch ein Problem Wenn dieser Gott nun perfekt und daher unwandelbar ist wie konnte er vom Zustand des Nicht-Erschaffens ploumltzlich in denjenigen des Erschaffens uumlbergehen was bedingt haumltte sich zu aumlndern Wenn er wahrlich gut ist wie haumltte er dann eine Welt er-schaffen koumlnnen die voll von Imperfektionen und Boumlsem ist Uumlberdies haumltte der Demiurg wirklich unsere unvollkommene Welt nach dem Vorbild der per-fekten Welt im Himmel erschaffen wer hat dann die perfekte Welt erschaffen

188 Siehe Clement von Alexandrias Anerkennung der Trinitaumlt bei Platon in Strom 1031 189 Paine The Ethnic Trinities p 138 190 Ebenso p 140 191 Siehe Carl Sean OrsquoBrien The Demiurge in Ancient Thought Secondary Gods and Divine Mediators

(Cambridge CUP 2015) pp 83-116 (Der Demiurg im Antiken Denken Halbgoumltter und goumlttliche Mit-tler)

192 Israel Gallarte Lautaro Lanzillotta Plutarch in the Religious and Philosophical Discourse of Late Antiquity (Lei-den Koninklije Brill 2012) p 80

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Gibt es da nicht noch einen anderen einen houmlheren Gott Auf diese Fragen hat-ten andere Platoniker die Antwort parat Der Demiurg der die Welt erschuf ist in der Tat ein zweiter Gott193

Numenius (2 Jh n Chr) lehrte dass um das Universum zu verwalten und da Gott aus seiner Natur heraus das All nicht selber erschaffen haben kann Gott aus seiner Essenz (seinem Wesen) heraus ein geringeres Prinzip generiert hat Der Demiurg hat folglich als Puffer zwischen Gott und der Schoumlpfung gehandelt als Mediator oder Vermittler Numenius postulierte des Weiteren wenn es zwei Goumlt-ter gebe ein drittes Prinzip notwendig sei Das Universum welches der zweite (Gott) erschaffen hat Es sind daher drei Prinzipien der Realitaumlt die Trinitaumlt des bdquoErsten Gottes des Demiurgs und der Welt-Seelerdquo194 Der erste Gott ist charak-terisiert durch seinen Geist seine Guumlte seine selbstaumlndige Existenz Er hat nicht selber erschaffen sondern die gesamte Kreation dem Demiurg delegiert der in einer ihm untergeordneten Position existiert gleich der Welt-Seele welche die geistige Substanz zur erschaffenen Welt ist Diese drei Prinzipien sagte Nu-menius sind voneinander verschieden und doch bdquoeinsrdquo195

Dieses Denken hatte monumentale Auswirkungen auf die platonische Philoso-phie der naumlchsten Generation insbesondere auf Plotinus (204 ndash 270 n Chr) den so genannten Gruumlnder des Neoplatonismus196 Wie wir spaumlter sehen werden uumlbersetzte Plotinus die goumlttlichen Prinzipien und nannte sie Hypostasen (Exis-tenzen Realitaumlten) und es ist diese goumlttliche Triade der Platoniker die ndash kombi-niert mit dem griechischen Modell der Seelenwanderung [Transmigration] ndash be-reitwillig und direkt den Weg zur Produktion der spaumlter aufkommenden christli-chen Trinitaumlt ebnete mehr denn einzelne aumlgyptische Erkenntnisse Doch es ist interessant dass dem Transfer des griechischen Gedankengutes direkt ins christ-liche Denken tatsaumlchlich eine fruumlhere Uumlbertragung der griechischen Philosophie in die Welt des Judentums vorausgegangen war

193 Svetla Griffin Pauliina Remes The Routledge Handbook of Neoplatonism (London Routledge 2014) p 49 194 OrsquoBrien p 154 195 Robbert M van den Berg ldquoGod the Creator God the Creation Numeniusrsquo Interpretation of Genesis

12 (frg 30)rdquo The Creation of Heaven and Earth Re-interpreations of Genesis 1 in the Context of Judaism Ancient Philosophy Christianity and Modern Physics (Leiden Brill 2005) pp 109-123

196 Plotinus wurde in Aumlgypten geboren und siedelte nach Rom um (244 n Chr) wo er zehn Jahre lang lehrte Zu seinen Nachfolgern zaumlhlen der beruumlhmte Porphyrios (234-305 n Chr) und Proclus (412 ndash 485 n Chr) Die foumlrmliche Tradition des Neoplatonismus setzte sich fort bis nach dem Kaiser Justinian I als die Platonische Akademie in Athen um 529 n Chr geschlossen wurde Die Prinzipien lebten jedoch weiter und zwar in der spekulativen Philosophie des orthodoxen Christentums

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JudaismusundPlatoDer vorherrschende Judaismus sogar bis in die Zeit Christi wich sehr deutlich von den Ansichten der Griechen in Bezug auf die Natur der Menschheit ab Fuumlr die Hebraumler war die Seele kein unsterblicher Funke der in einem Koumlrper verbor-gen war und nur darauf wartete beim Tod mit Freuden zum Goumlttlichen zuruumlck-zukehren Gemaumlszlig ihren Schriften war die lebendige Seele der ganze Mensch (1 Mose 27) Der Tod wurde schon immer als die Stille als das Schweigen als das Ende der Gedanken und der Werke des Menschen und als ein Abstieg in die Welt des Nichts gesehen197 Fuumlr sie war der Tod ein langer Schlaf ohne Bewusst-sein198 Die Hoffnung eines glaumlubigen Juden des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung warsbquo nicht das Leben einer entkoumlrperten Seele im Jenseits im Him-mel sondern das Warten auf eine kuumlnftige Auferstehung des ganzen Menschen Gott wird in der Zukunft eine Ruumlckkehr vom Tod ins Leben zuruumlck zu einer materiellen Existenz bewerkstelligen Der Prophet Daniel erklaumlrte es ihnen so bdquoUnd viele die im Staub der Erde schlafen werden aufwachen die einen zum ewigen Leben die andern zu ewiger Schmach und Schanderdquo (Daniel 122) Bis unmittelbar vor der Wiederbelebung sbquoschlafensbquo die Toten bdquoim Staub der Erderdquo sie befinden sich nicht in einem houmlheren geistlichen Reich Die den frommen Juden versprochene Zukunft war keine transmaterielle Angelegenheit Im 2 Mak-kabaumler steht die Geschichte eines Juden der von einem griechischen Tyrannen zum Tode durch Folterung verurteilt worden war bdquoEr hielt unerschrocken die Haumlnde hin und sagte tapfer Diese Glieder sind mir vom Himmel gegeben darum will ich sie gern gering achten um seiner Gesetze willen denn ich hoffe er wird sie mir wiedergebenldquo (711)199 Es ist naheliegend dass der juumldische Rabbi (Leh-rer) Jesus fortwaumlhrend eine leibliche Auferstehung von den Toten betonte und

197 Viele Verse in den Hebraumlischen Schriften geben Klarheit uumlber den Zustand in welchem sich Ver-

storbene befinden bdquoDenn im Tode gedenkt man deiner nicht wer wird dir bei den Toten dankenrdquo (Ps 63-5) bdquoNicht die Toten loben den HERRN keiner der hinunterfaumlhrt in die Stille (Psalm 11517) bdquoDenn des Menschen Geist muss davon und er muss wieder zu Erde werden dann sind verloren alle seine Plaumlnerdquo (Ps 1464) bdquoDenn die Lebenden wissen dass sie sterben werden die Toten aber wissen nichts sie haben auch keinen Lohn mehr denn ihr Andenken ist vergessen Ihr Lieben und ihr Hassen und ihr Eifern ist laumlngst dahin fuumlr immer haben sie keinen Teil mehr an allem was unter der Sonne geschiehtrdquo (Pred 95-6) Siehe auch Apg 22934 bdquoErzvater David er ist gestorben und begraben und sein Grab ist bei uns bis auf diesen Tag hellip Denn David ist nicht gen Himmel gefahren helliprdquo

198 Der Tod wird stets im Alten wie im Neuen Testament als ein Schlaf beschrieben mit anderen Worten handelt es sich um einen Zustand der Bewusstlosigkeit was sich doch sehr unterscheidet von der un-mittelbaren und bewussten Transmigration (Wanderung) der Seele [nach dem Tod] eine Lehre der Aumlgypter und der Platoniker bdquo im Tode entschlafenrdquo (Ps 134) bdquo so ist ein Mensch wenn er sich niederlegt wird nicht wieder aufstehen er wird nicht aufwachen hellip noch von seinem Schlaf erweckt werdenrdquo (Hiob 1412) bdquoDies sprach er und danach sagt er zu ihnen Lazarus unser Freund ist eingeschlafen aber ich gehe hin damit ich ihn aufwecke Dann sagte ihnen Jesus geradeheraus Lazarus ist gestorbenrdquo (Joh 1111-14) bdquoNun aber ist Christus aus den Toten auferweckt der Erstling der Entschlafenenrdquo (1 Kor 1520)

199 Die Ereignisse die in 2 Makkabaumler beschrieben sind fanden zwischen 180 und 161 vuZ statt Der Autor berichtet in abgekuumlrzter Fassung die Geschichte des Jason von Kyrene der um das Jahr 100 v Chr fuumlnf Buumlcher uumlber den Makkabaumleraufstand schrieb Siehe 2 Makk 224

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diese als ploumltzliche Rekonstruktion des Lebens aus einem unbewussten Schlafzu-stand beschrieb bdquoWundert euch daruumlber nicht denn es kommt die Stunde in der alle die in den Graumlbern sind seine Stimme houmlren und hervorkommen werden die das Gute getan haben zur Auferstehung des Lebens die aber das Boumlse veruumlbt haben zur Auferstehung des Gerichtsldquo (Joh 528-29) Dies entspricht daher exakt der Hoffnung der Juden-Christen der ersten Stunde denn bdquowenn aber der Geist dessen der Jesus aus den Toten aufer-weckt hat in euch wohnt so wird er der Christus Jesus aus den Toten auferweckt hat auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen seines in euch wohnen-den Geistesrdquo (Roumlmer 811) NT Wright schlieszligt daraus dass bdquodie fruumlhchristliche Hoffnung auf eine koumlrperliche Auferstehung klar juumldischen Ursprungs ist ohne dass dafuumlr ein moumlgliches heidnisches Bezugsmodell ausgemacht werden koumlnnterdquo200

Waumlhrend die Juden und auch die fruumlhen Christen glaumlubig auf die Wiederherstel-lung ihres Koumlrpers aus dem Grab hofften wurde die Doktrin der wandernden bedingungslos unsterblichen Seele von den Griechen in das Judentum einge-bracht sie wurde gebuumlhrend als ein Abweichen vom Glauben gebrandmarkt Eine juumldische Quelle bestaumltigt dass bdquoPropheten und Gesetzgeber vom Glauben an eine Weiterleben der Seele hellip abrieten und ihn weil er dem Glauben an JHWH dem Gott des Lebens entgegengesetzt war zu unterdruumlcken versuch-tenrdquo201 Wir koumlnnen nicht umhin uns mit der Fuumllle der wissenschaftlichen Argu-mente einverstanden zu erklaumlren die zum Schluss kommen

Der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele kam zu den Juden uumlber den Kontakt mit dem griechischen Denken und hauptsaumlchlich durch die Philosophie Platons den Hauptexponenten der durch die orphischen und aumlgyptischen Ansichten dazu geleitet wurde202

In der Tat finden wir in einigen juumldischen Exponaten spaumlteren Datums wie zum Beispiel im Gebet Josephs (ca 1 bis 3 Jh unserer Zeitrechnung) und im Slawischen Henochbuch203 (1 Jh unserer Zeitrechnung) die Vor-Existenz und die Fleischwer-dung (Inkarnation) angedeutet Es faumlllt auf dass sich nur dank dem vorherrschen-den griechischen Einfluss dieses Wissen im Verlaufe der Zeit und lediglich als Randerscheinung im Judaismus einnisten konnte204

200 NT Wright ldquoThe Resurrection of Resurrectionrdquo Bible Review Vol 16 No 4 (Biblical Archaeology

Society 2000) 201 ldquoImmortality of the Soulrdquo Jewish Encyclopedia pp 564-566 202 Ibid 203 Slawischer Henoch 235 (Die Buumlcher der Geheimnisse Henochs G Nathanael Bonwetsch Leipzig

1922) 204 Kuschel p 184

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Als Nachwirkung der Eroberungen Alexander des Groszligen (4 Jh vor Chr) erwies sich der Platonismus der die Religionen des oumlstlichen Mittelmeers durchdrungen hatte bereits als unumkehrbar Im spaumlteren 4 Jahrhundert der christlichen Zeit-rechnung als die hellenisierenden Kraumlfte Palaumlstina erreichten und als die in der Diaspora lebenden Juden begannen sich in den grossen Zentren wie Alexandria und Antiochia zu assimilieren kamen die griechischen Metaphysiker nicht nur in direkten Kontakt sondern gerieten in Konflikt mit dem Judaismus Um diese Zeit entzuumlndete sich ein neuer aber lang anhaltender Streit unter dem juumldischen Volk wie sich ihr Glaube unter dem immer staumlrker werdenden griechisch-roumlmi-schen Einfluss anpassen sollte Schon im Verlaufe des ganzen 2 Jahrhunderts sahen sich die Juden in zunehmendem Maszlige entzweit die hellenisierenden Juden waren bereit den religioumlsen Synkretismus zu akzeptieren waumlhrend die Traditio-nalisten jede Vermischung zuruumlckwiesen und die ersteren als bdquoehebrecherische Kompromisslerrdquo sahen Es darf nochmals gesagt werden dass es erst nach der Begegnung des juumldischen Segments mit dem Hellenismus und seiner Zusammen-arbeit mit der griechischen Philosophie im Judentum zur Uumlbernahme platoni-scher Modelle wie Prauml-Existenz Transmigration und Inkarnation kam die dann auf biblische Geschichten angewendet wurden und einer juumldischen Mythologie neues Leben einhauchten Tatsaumlchlich haben Gelehrte bemerkt dass schon in der Periode des 2 Tempels hellenistisch-juumldische Schreiber die griechisch-roumlmischen Ideen als Metamorphose aufgenommen hatten205 Die Juden in der Diaspora zeigten sich als besonders eifrig in der Annahme bdquofremder Elementerdquo und mit der bdquoEin-fuumlhrung heidnischer Gedanken im Dienste des juumldischen Glaubensrdquo206 Eine wichtige Frage in unserem umfassenden Studium ist diese Waren die Apostel des Neuen Testaments ebenfalls Hellenisten Sahen sie die Welt und das Kommen des Messias in diese Welt durch die philosophische platonische Brille War Jesus selber ein Synkretist oder ein Traditionalist In Kuumlrze werden wir auf diese Fra-gen Antworten geben Im Moment mag es genuumlgen dass lange vor der Zeit Jesu zwischen der griechischen und der juumldischen Welt bereits ein sozio-kultureller Streit und ein religioumlser Kampf tobten Diese alten Auseinandersetzungen haben die christliche Religion von ihrem Beginn an bis in die heutige Zeit begleitet und entscheidend mitgepraumlgt

DerJudePhilonundderLogos-EngelEin juumldischer Denker des ersten nachchristlichen Jahrhunderts zeigte eine beson-dere Vorliebe fuumlr den Platonismus Er war etwa fuumlnfzig Jahre alt als weit weg in

205 Simon S Lee Jesusrsquo Transfiguration and the Believerrsquos Transformation (Tubingen Mohr Siebeck 2009) p 28

emphasis added 206 Gerald van Groningen zitiert Wilson First Century Gnosticism Its Origin and Motifs (Leiden Brill 1967)

pp 62-63

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Judaumla Jesus Christus von den Roumlmern ans Kreuz geschlagen wurde Der beharr-liche und synkretistische Geist dieses alexandrinischen Juden bluumlhte in einem ak-tiven Randgebiet (der juumldischen Diaspora) auf und strahlte in das beginnende Christentum hinein Es ist kaum anzuzweifeln dass dieser Mann mehr denn alle anderen Theologen dank seiner betriebsamen synkretistischen Aktivitaumlten waumlh-rend der Periode des Mittelplatonismus die theologische Spur vorpfadete sodass sich Platon mit Christus anhaltend verschmelzen konnte Die Rede ist von Philon von Alexandria der von ca 15 v Chr bis 50 n Chr lebte

Als Knabe wurde er von seiner wohlhabenden Familie an einer griechischen Schule immatrikuliert wo er Kunst Mathematik und Philosophie studierte Er begeisterte sich zunehmend fuumlr das griechische Drama und Athletismus im Be-sonderen fuumlrs Boxen Spaumlter im Leben so wird uns berichtet fuumlhlte sich Philon zum Asketentum hingezogen Er beschrieb wohlwollend die Genuumlgsamkeit der Essener eine juumldische monastische Gemeinschaft die oft mit den Schriftrollen von Toten Meer in Verbindung gebracht wird207 Mit zunehmendem Alter sah sich Philon zwischen dem tugendhaften Leben eines Philosophen und den Pflich-ten eines roumlmischen Aristokraten hin- und hergerissen208 Einmal trifft man ihn an wie er unterschiedliche Interpretationen von Platon diskutiert und ein anderes Mal wie er die Noumlte von Juden im Kaiserreich vor Caligula repraumlsentiert209 Alles deutet darauf hin dass das Leben Philons viele Schnittstellen zwischen der juumldi-schen und der heidnischen Welt aufwies wobei sein religioumlses Denken keine Aus-nahme machte

Als Philosoph (und Jude) lag ihm offenbar viel daran die griechische Philosophie mit dem Judentum zu harmonisieren Vielleicht war er der groumlszligte aller hellenisie-renden Juden auf jeden Fall hat er staumlrker fuumlr den Zusammenfluss des biblischen

207 Siehe Philon Every Good Man is Free XII 75-87 XIII 88-91 Bis in die 1990er Jahre glaubte fast jeder

Gelehrte dass die Sekte der Essener (vom 2 Jh Vor bis 1 Jh nach Chr) die Schriftrollen vom Toten Meer verfasst haumltten die im Wadi Qumran entdeckt worden waren um 1946 Dann wurden diese langge-hegten Thesen herausgefordert und es stellte sich heraus dass die Rollen in Jerusalem geschrieben worden waren um dann in die Houmlhlen von Qumran transportiert zu werden Dies war noumltig um sie vor der Zerstoumlrung durch die Roumlmer zu bewahren welche im Jahre 79 n Chr die Stadt belagerten Siehe Norman Golb Who Wrote the Dead Sea Scrolls (New York Charles Scribnerrsquos Sons 1995)

208 Philon wird von einigen nachgesagt er haumltte eine Art Identitaumltskrise gehabt Er sei mit den weltlichen Dingen von Alexandria unzufrieden gewesen und vielleicht sei er sogar einer aumlgyptisch-juumldischen Sekte die bdquoTherapeutaeldquo genannt beigetreten bevor er dem Ruf gefolgt sei sich um seine Landsleute und ihre Noumlte zu kuumlmmern Siehe Matt Stefon (ed) Judaism History Belief and Practice (New York Rosen Pub-lishing 2012) p 312

209 Dank seiner Ausbildung nominierten sie Philon als Anfuumlhrer einer Gruppe von juumldischen Gesandten die um ca 40 n Chr nach Rom delegiert wurden Dort plaumldierte Philon mit dem Kaiser und kaumlmpfte fuumlr Rechte der leidenden Juden von Alexandria Er verurteilte Caligulas Plan fuumlr sich selber eine Statue erstellen zu lassen und zwar im juumldischen Tempel Sie sahen darin eine Kriegserklaumlrung Nachdem die diplomatischen Demarchen nichts gefruchtet hatten sagt man habe Philon seine Landsleute ermutigt mit den Worten dass Gott Caligula nicht ungestraft davonkommen lasse Einige Monate spaumlter wurde der Kaiser von seinen eigenen Soldaten umgebracht

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Inhaltsstoffs mit dem umfassenden platonischen Rahmenwerk gesorgt als die meisten hellenistisch-juumldischen Autoren Philons Heimatstadt Alexandria war schliesslich der lebhafteste aller intellektuellen Orte des Planeten Erde und ndash wie schon erwaumlhnt ndash bdquotrafen und vermischten sich alle Religionen und Philosophien an den Schulen von Alexandriardquo210 In diesem vielfaumlltigen akademisch kompeti-tiven Schmelztiegel produzierte Philon unermuumldlich ein System biblischer Be-gruumlndung fuumlr die philosophische Weltanschauung und bdquointerpretierte die Hebrauml-ischen Schriften entlang platonischer Richtlinien um damit schlieszliglich einen im-mensen Einfluss auf das sich entwickelnde Christentum auszuuumlbenrdquo211

Aufgrund seiner nicht traditionellen Ansichten sowie dem Beharren auf seinen eigenen brillanten platonischen und stoischen Reinterpretationen der Bibel lehnte ihn die Gemeinschaft der Mainstream-Juden ab Tatsaumlchlich duumlrften seine schriftlichen Werke nicht uumlberlebt haben haumltten sich nicht die heidenchristlichen Kirchenvaumlter so dafuumlr begeistert Die Jewish Encyclopedia erinnert daran

Philon schlieszligt in seiner Philosophie beide die griechische Weis-heit und die hebraumlische Religion mit ein die er zu verschmelzen und zu harmonisieren suchte Er verwendete die Kunst der Allego-rie die er von den Stoikern gelernt hatte Seine Arbeit wurde vom zeitgenoumlssischen Judentum jedoch nicht akzeptiert Er nennt die Juden bdquobuchstabengetreue Sophisten die ihre Augenbrauen uumlberheblich hoch-zogenrdquo (De Sommiis 16-17) wenn immer er ihnen die Wunder seiner eigenen Exegese erklaumlren wollte umso mehr wurde Philon mit Enthusiasmus von den Fruumlhchristen empfangen die in ihm sogar einen bdquowahren Christenrdquo sahen Die sogenannten Kirchenvaumlter wa-ren diejenigen welche die Werke Philons die wir heute verfuumlgbar haben bewahrten212

Um welche platonischen Lehren ging es genau welche die Juden kategorisch als mit dem biblischen Glauben unvereinbar zuruumlckwiesen die jedoch von den christlichen Philosophen mit Begeisterung aufgegriffen wurden Natuumlrlich hatte Philon in seinem Denken schon laumlngst die Theorie Platons der bdquounsterblichen Seelerdquo adoptiert naumlmlich dass beim Tod die Seele - bdquounerschaffen und unsterb-lichrdquo wie sie ist - zu einer bdquohoumlheren Existenzrdquo aufsteige213 Doch Philons wich-tigste und am meisten bearbeitete Doktrin war seine eigene Ansicht des Logos Er elaborierte die Berichte der fruumlheren Platoniker uumlber den Logos und den De-

210 Jowett p 456 211 Edward Moore ldquoMiddle Platonismrdquo Internet Encyclopedia of Philosophy Web 16 May 2014 212 C H Toy C Siegfried J Z Lauterbach ldquoPhilo Judaeusrdquo Jewish Encyclopedia 1906 213 Philo On the Giants 14 (De Gigantibus - Uumlber die Riesen)

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miurg mit dem Schoumlpfungsbericht der Hebraumlischen Bibel Diese Synchronisie-rung beschleunigte die direkte Einfuumlhrung Platons in den Blutkreislauf des jun-gen unerfahrenen Christenglaubens

Wie wir schon etwas fruumlher in diesem Buch gesehen haben war der Terminus logos seit langem in der griechischen Konversation gebraumluchlich mindestens schon seit dem 5 Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung Im Verlaufe der Jahrzehnte erfuhr der logos eine Veraumlnderung seiner Bedeutung und zwar zu-naumlchst bei Heraklit der in ihm das Prinzip oder die Ordnung oder das goumlttliche Wissen im Universum sah Weiter bei den Stoikern die den logos als das die ge-samte erschaffene Welt belebende Prinzip auslegten und wiederum als den inne-ren vernuumlnftigen Diskurs des Menschen bei Aristoteles Das griechische Wort logos koumlnnte auch als bdquoBitterdquo oder bdquoEinspracherdquo mit bdquoMeinungrdquo bdquoErwartungrdquo als bdquoRederdquo bdquoBerichtrdquo und bdquoVernunftrdquo oder einfach als bdquoWortrdquo neben vielen an-deren Ausdruumlcken uumlbersetzt werden In der Septuaginta der Uumlbersetzung der Heb-raumlischen Bibel ins Griechische zwischen dem 3 und dem 1 Jahrhundert vor Christi Geburt wurde der griechische Terminus bdquologosrdquo verwendet um das heb-raumlische bdquodavarrdquo zu uumlbersetzen das ebenfalls Wort bedeutet und eine adaumlquate Uumlbersetzung zu sein scheint Beispiele sind die ersten Ausspruumlche Gottes (in 1 Mose 1369) wie auch Gottes Handlungen (Zephanja 51-4) sowie die Botschaften die er durch seine Propheten kommunizierte (Jeremia 14 -19) Aber es liegt in der Natur der Sache dass die juumldischen Uumlbersetzer (von Hebraumlisch ins Griechi-sche) das Wort mit einem anderen Sinn gebrauchten als die Platoniker214 Hier muumlssen wir betonen dass die Juden in der Septuaginta das Wort logos als Beschrei-bung von Gottes Aktivitaumlt benutzten215 Doch der Hellenistische Philon scheint darin etwas ganz anderes gesehen zu haben

In griechischen und juumldischen Sprachgebrauch des logos hat Philo eine brilliante Verbindung zwischen zwei parallelen Anschauungen erkannt Philon pruumlfte ob der logos aus dem Platonismus und das Wort durch dass der Gott Israels die Welt in Existenz brachte ein und dasselbe ist216 Er uumlberzeugte sich schlieszliglich selber

214 Gelehrte haben berichtet dass bdquodie [juumldischen] Autoren der Septuaginta und die Platoniker denselben

Terminus (Logos) verwendeten um total unterschiedliche Ansichten auszudruumlcken Die ersteren einfach fuumlr einen Handlungsmodus der Gottheit die letzteren um ein reales Wesen seinen Agenten und seinen Diener der seinen Willen ausfuumlhrt zu beschreibenrdquo (Lamson Abbot p 68)

215 Marian Hillar ldquoPhilo of Alexandriardquo Internet Encyclopedia of Philosophy Web 10 August 2015 216 OrsquoBrien stellt eine Parallele zwischen dem fruumlhen Mittelplatoniler Plutarch fest der sich

anstrengte um den Platonismus im Isis und Osiris Mythos der Aumlgypter zu lokalisieren und dem spaumlteren Mittelplatoniker Philon der sich bemuumlhte um Platon in der Juumldischen Bibel zu finden bdquoBeim Wiedererzaumlhlen des Isis und Osiris Mythos werden philosophische Dok-trinen dargelegt manchmal in einer etwas verwirrenden Art da verschiedene Einzelheiten in den Mythos eingeschoben werden Man koumlnnte die Situation Plutarchs mit derjenigen von Philon vergleichen der ebenfalls mit einem schoumlpfungsbezogenen Mythos zu tun hatte (des

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von der Richtigkeit seiner Beobachtungen und bearbeitete sie noch weiter Fuumlr Philon war der logos komplex einmal war er die Summe von Gottes Vernunft dann jedoch vordergruumlndig eine Person217 Einige Gelehrte sind sogar der Ansicht dass bdquoPhilon der erste gewesen sei der ndash wie sie annehmen ndash dem Logos eine permanente persoumlnliche Subsistenz zugewiesen hat Durch diese Erkenntnis ging er einen Schritt weiter als Platonrdquo218 Offensichtlich war sein logos nicht allein Gottes vernuumlnftige Ordnung sondern eine machtvolle goumlttliche Einheit ein Mittler zwischen Gott und der Menschheit219 OrsquoBrien schreibt dass Philons Lo-gos bdquobei der Schoumlpfung mehr als nur ein Werkzeug oder ein Messer in der Hand Gottes gewesen sei Er ist eine vermittelnde Einheit die als Ko-Kreator quasi als Mit-Schoumlpfer funktioniert und der nach der Genese eine aktive Rolle im Univer-sum ausuumlbtrdquo220 Philon identifiziert ihn sogar als bdquoeinen Engelrdquo221 Er behauptete diese Figur entspreche genau dem bdquoEngel des Herrnrdquo der Hebraumlischen Bibel (1 Mose 167-14 2 Mose 32-4 Richter 21-3) und dem bdquoobersten der Botenrdquo222 dem bdquoerstgeborenen Sohn Gottesldquo dem aumlltesten aller engelhaften Wesenrdquo223 Doch Philon glaubte auch dieser Engel sei eine bdquoHypostasierungrdquo (Individuali-sierung) der Vernunft Gottes224 Wenn man den ausladenden mystischen Schreibstil Philons analysiert ist es moumlglich dass er selber nie wirklich festlegte ob der logos ein vollstaumlndiges und unterscheidbares persoumlnliches Wesen oder ob

Pentateuchs) Doch da gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen den beiden Faumlllen Plu-tarch sah sich nicht gezwungen seinen Mythos zur Darlegung seiner Philosophie zu ver-wenden Er tat es weil es ihn offenbar interessierte und er scheinbar uumlberzeugt war dass darin (bis zu einem gewissen Grad) eine philosophische Wahrheit steckte Philon hingegen versuchte einen anderen schoumlpferischen Bericht den Pentateuch in philosophischer Spra-che wiederzugeben fuumlr einen frommen Juden ist dies jedoch das Herzstuumlck seines Glaubens das er nicht leichtfertig auszliger Acht lassen durfte wie Plutarch den Isis-Mythos ignorieren konnteldquo (OrsquoBrien pp 83-116)

217 Auch heute noch gibt es eine groszlige Debatte uumlber die Frage bdquoIst Philons Logos eine Person oder eine Abstraktionrdquo (Stewart Salmond Critic Review of Theo amp Phil Lit Vol 13 (Edin-burgh T ampT Clark 1903) p 2)

218 Lamson Abbot p 68 219 OrsquoBrien p 43 220 Ebenso p 45 221 Philo De Somniis 1 228-239 De Cherubim 1-3 Cher 3 and 35 Mut 87 Deus 182 222 Philo Her 205 223 Hillar IEP Das hermetische Werk Poimandres stellt gleicherweise einen demiurgischen Logos vor eine

Einheit in dem es der bdquoSohn Gottesrdquo genannt wird Der Hermetismus und seine Verbindung zum al-exandrinischen Judentum hat eine Affinitaumlt mit dem Werk von Philon Siehe Dragos Giulea Prauml-Nicaumlnische Christologie im paschalen (oumlsterlichen) Kontext (Leiden Brill 2014) pp 68-72

224 Ebenso

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er nur die personifizierte Ausdrucksweise des einen Gottes war225 Dessen unge-achtet bdquoPhilons Idee der logos sei von Gott gezeugt und sei sein Erstgeborener hellip ob unmittelbar oder nicht diese Idee bahnte sich ihren Weg ins christliche Denkenrdquo226 Eine Enzyklopaumldie erkennt die Verbindungslinie zwischen Platon und Philon die sich schlieszliglich in der persoumlnlichen Logos-Christologie und (der Doktrin) der Trinitaumlt der spaumlteren christlichen Philosophen fortsetzte

Durch Platons Timaios inspiriert fing Philon an die juumldische Bibel so zu lesen dass Gott den Kosmos durch sein Wort (logos) den Erstgeborenen Sohn Gottes kreierte Gott erschuf (die Dinge) ent-weder durch eine weitere Ausstroumlmung von diesem Wort oder mit-tels beider seiner Kraumlfte der Schoumlpferkraft und der Koumlnigskraft beide sind seine eigenen Kraumlfte aber dennoch Agenten die sich von ihm unterscheiden Einen weiteren Einfluss [auf die spaumltere Christenheit] uumlbte moumlglicherweise der neopythagoreische Mittel-platoniker Numenius aus der eine Triade von Goumlttern postulierte die er alternierend den Vater den Schoumlpfer und die Schoumlpfung nannte227

Die Philosophien von Philon und Numenius bdquovergleichen den Logos [in der Be-ziehung zur houmlchsten Gottheit] mit dem Licht der Sonne gleichzeitig identisch und doch verschiedenrdquo228 Wie wir in Baumllde sehen werden haben einflussreiche christliche Figuren wie Justin der Maumlrtyrer (gestorben 165 n Chr) die Beziehung zwischen Gott und dem Logos mit ihren Worten beschrieben Justin sah den Logos als den prauml-existenten Jesus und beschrieb ihn als Licht von der Sonne als Feuer vom Feuer als den Redner und seine Rederdquo229 Es ist einfach zu sehen wie durch Philon fuumlr spaumltere platonisierende Christen ein perfekter Kanal einer neuen pluralistischen Exegese geoumlffnet wurde durch welchen die Bibel gewandt und brillant auf den Stand der damaligen Akademiker gebracht wurde Zweifelsohne

225 Der logos von Philon war verworren Die Gelehrten streiten immer noch daruumlber ob der Logos eine

Person war oder nicht Wie Heuser sagt bdquoEs ist sehr problematisch zu erkennen was der Logos tatsaumlchlich ist Zu viele Philosophien waren am Werk in Alexandria um eine definitive Ansicht zu erhalten Die dominante Erkenntnis Philons war aber schon dass er sich auf die Stoiker verlieszlig die eine halb abstrakte halb konkrete Einheit zwischen Kreator und Kreation einschoben zwischen den Un-gezeugten und den Gezeugten doch zu sagen welcher Art das Wesen der Logos ist scheint fuumlr uns unmoumlglichrdquo (Herman Joseph Heuser The American Ecclesiastical Review Vol 54 (Philadelphia The Dol-phin Press 1916) p 229)

226 Richardson p 34 227 Dale Tuggy ldquoHistory of Trinitarian Doctrinesrdquo Stanford Encyclopedia of Philosophy Stanford University

Web 8 Aug 2014 228 Eduard Zeller Outlines of the History of Greek Philosophy (New York Henry Holt and Company 1889) p

815 229 Tuggy Stanford Encyclopedia of Philosophy

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war Philons Vorreiterrolle die Grundlage der Entwicklungsmodelle der bevorste-henden hellenistischen Interpretationen des hebraumlischen Denkens besonders durch Clemens von Alexandria Justin Tertullian und Origenes230 Justin der Maumlr-tyrer war es in der Tat der im Logos ein geringeres untergeordnetes Wesen sah und es als einen Engel beschrieb welcher Fleisch wurde als Mensch Jesus Christus Gemeinhin wird in der Kirchengeschichte verkannt dass im 2 und 3 Jahrhun-dert die meisten der beruumlhmten Kirchenvaumlter glaubten dass Jesus prauml-existent gewesen sei und zwar keinesfalls ewig als der eine wahre Gott selber sondern als ein untergeordnetes engelhaftes Wesen das erste von Gottes Schoumlpfung Diese Theo-logen predigten nicht etwa eine Doktrin von drei ewigen einander gleichgestell-ten Personen in einer Gottheit diese Doktrin kam erst im vierten Jahrhundert auf wie wir im ersten Kapitel sahen Damals wurde sie durch trinitarische Ge-lehrte zum (christlichen) Glaubengrundsatz erklaumlrt Wie A von Harnack in seinen Studien der Patristik erklaumlrte wird bdquodie Subordination Christi als himmlisches Wesen unter die Gottheit selten oder gar nie sonderlich betont obwohl sie oft augenfaumlllig in Erscheinung trittrdquo231 In den folgenden Kapiteln werden wir den weitverbreiteten bdquoSubordinationismusrdquo unter den beruumlhmtesten Kirchenvaumltern vor dem Nicaumlnischen Konzil (325 n Chr) ausfuumlhrlich analysieren und darlegen dass gerade sie nicht uumlberzeugte Trinitarier waren die an einen dreifaltigen Gott glaubten

JustinderMaumlrtyrerundderAufstiegdesplatonischenChristen-tumsZum Zweck der chronologischen Uumlbersicht ist es noumltig einen Bericht uumlber den beruumlhmten Justin der Maumlrtyrer (100 ndash 165 n Chr) zu geben und wie er sich die zu jener Zeit entwickelnde platonische Philosophie und ihren Anteil am Chris-tentum zu eigen machte Wie er selber berichtete war er ein Heide der in Judaumla geboren wurde232 Als heidnisches Kind das in einer vorwiegend juumldisch gepraumlg-ten Gesellschaft aufwuchs studierte Justin eifrig und wurde so zu einem idealen Bindeglied fuumlr verschiedene Glaubensstroumlmungen des zweiten Jahrhunderts In seinem beruumlhmten Buch Dialog mit dem Juden Tryphon beschreibt Justin seine Un-zufriedenheit mit den eigenen fruumlheren Studien die ihn mal hierhin mal dahin gefuumlhrt hatten durch die er jedoch die griechischen Philosophien kennengelernt

230 Marian Hillar ldquoPhilo of Alexandria (c 20 BCEmdash40 CE)rdquo Internet Encyclopedia of Philosophy Web 16

May 2014 231 Harnack History of Dogma Vol 1 (1894) p 193 (Dogmengeschichte) 232 Dawid Roqueah Justin Martyr and the Jews (Leiden Brill 2001) p 128

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hatte Die meisten davon fand er wenig inspirierend mit Ausnahme des Platonis-mus233 Etwas spaumlter um 132 n Chr machte Justin die schicksalshafte Bekannt-schaft mit einem Christen moumlglicherweise einem Syrer der die Ansicht vertrat die juumldischen Propheten seien verlaumlsslicher denn die griechischen Philoso-phen234 Justin wollte diese Behauptung genauer untersuchen und dieses Studium fuumlhrte ihn schlieszliglich zum christlichen Glauben Er gab aber selber zu dass er nach wie vor die Religion Platons nicht weniger liebte

Anstatt den Platonismus ganz aufzugeben waumlhlte Justin einen Mittelweg er sah wie die beiden Religionen das Christentum und der Platonismus sich gegenseitig ergaumlnzten ja sogar rechtfertigten Mehr als nur eine Angelegenheit der Vorliebe schien diese Art von Synkretismus in der Gesellschaft eine Sache des Uumlberlebens gewesen zu sein Ein Geschichtsschreiber ist der Ansicht dass Justins Situation die Bedraumlngnis der gesamten aufbluumlhenden Christenheit widerspiegelte

Es war uumlblich fuumlr Studenten in der griechischen Welt von einer Philosophenschule zur andern zu wandern den Debatten zuzuhouml-ren und Fragen zu stellen Solange Christen nicht faumlhig waren an solchen Streitgespraumlchen teilzunehmen wuumlrde das Christentum nie zu intellektueller Reife gelangen In der heran wachsenden Kirche waren die Mitglieder meist Konvertiten dh sie hatten fruumlher eine traditionelle philosophische Ausbildung erhalten entweder bevor sie zum christlichen Glauben uumlbertraten oder auch noch waumlhrend sie auf die Taufe warteten Es war unumgaumlnglich dass irgendein Arrangement mit der Griechischen Philosophie getroffen wurde Auch der Christ Justin Martyr (100 - 165 n Chr) ein ausgebildeter Platoniker war da einer der ersten die argumentierten das Chris-tentum koumlnne sowohl von den Heiligen Schriften wie auch von der griechischen Philosophie profitieren mehr noch es koumlnne die Phi-losophie zu seinem eigenen Zweck und Ziel einsetzen bdquoWas immer (die Philosophen) Gutes gelehrt haben gehoumlrt uns Christenrdquo Cle-mens von Alexandria (150 - ca 215) pflichtete dem bei und be-hauptete dass Gott den Griechen die Philosophie als bdquoSchulmeis-terrdquo gegeben habe bdquoals Vorbereitung die den Weg ebnete zur Ver-vollkommnung in Christus bis zur Wiederkunft des Herrnrdquo235

Justins Methoden erinnerten an diejenigen des fruumlheren Philons der ja auch eine Kompatibilitaumlt zwischen Platon und den juumldischen Schriften beobachtet hatte Obwohl es Justin vermied je den Namen Philons zu erwaumlhnen (Philons Tod war

233 Justin Martyr Dialogue with Trypho the Jew 2 8 234 Ebenso 235 Freeman Closing of the Western Mind pp 142-143

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mindestens 80 Jahre vor der Bekehrung Justins) koumlnnen wir unschwer den Ein-fluss seiner Exegese feststellen236 Die Gelehrten haben die Auswirkungen Phi-lons auf die Fuumlhrerschaft der Heidenchristen ebenfalls bemerkt

Wir wissen dass Justin und die nachfolgenden (Kirchen-)Vaumlter Philo gelesen haben Ihre Gedanken und Ausdruumlcke zeigen oft eine bemerkenswerte Uumlbereinstimmung mit denen Philos In der Tat sind ihre Schriften so tief von seinen Gefuumlhlen und seinem Geist durchdrungen dass sie ohne ihn wie Mosheim feststellt oft bdquovoumlllig unverstaumlndlichrdquo waumlren Daher bezweifeln wir nicht dass sie aus ei-ner gemeinsamen Quelle stammen und diese konnte keine andere sein als die Lehren von Platon wie seine spaumlteren Anhaumlnger der alexandrinischen Schule erklaumlrten237

Dementsprechend entdecken wir bei Justin Martyr dieselbe Identifikation wie bei Philon der den logos als engelhaftes Wesen sah als eine Art dienstbare beim Akt der Schoumlpfung Gott voumlllig untergeordnete goumlttliche Einheit238 Dieses Wesen wird von ihm im Alten Testament ebenfalls als bdquoder Engel des Herrnrdquo identifiziert (1 Mose 1613 2117)239 und es ist nur natuumlrlich dass Justin diesen Logos-Engel schwerpunktmaumlszligig durch eine platonische Lesung des Prologs im Evangelium Johannes auf Jesus Christus bezog240 Dieser alttestamentliche Engel wird von Justin eine bdquoChristophanierdquo also eine Christus-Erscheinung genannt oder eine fruumlhe Manifestation von Jesus bevor er ins Fleisch kam Aber war dieser vor-menschliche Christus fuumlr Justin der ewige und houmlchste Gott War Justin ein Trini-tarier Offenbar war er es nicht Justin betitelte den Sohn als einen bdquoanderen Gottrdquo der bdquounter dem Schoumlpfer aller Dingerdquo ist und der auch bdquoEngelrdquo genannt

236 Willis Shotwell The Biblical Exegesis of Justin Martyr (London SPCK 1965) p 115 For more on Philorsquos

influence on the thought of Justin Martyr see Demetrius Traketellis Pre-Existence of Christ in the Writings of Justin Martyr (Scholars PR 1976) p 47 pp 53-92 Alan Segal Two Powers in Heaven Early Rabbinic Reports About Christianity and Gnosticism (Leiden Brill 2002) p 224 Compare also Justinrsquos Dialogue 56 1 with Philorsquos De Mutatione Nominum 15 and Dialogue 56410 and Moses I 66

237 Lamson Abbot p 69 238 Justin Martyr Dialogue with Trypho the Jew Ch 2 8 239 Ebenso 56 240 Dieser auch heute noch heiszlig diskutierte Abschnitt wird uumlblicherweise von trinitarischen Christen so

uumlbersetzt bdquoAm Anfang war das Wort (logos) und das Wort (logos) war bei Gott und das Wort (logos) war Gottrdquo (Joh 11) In spaumlteren Sektionen dieses Buches werden wir die juumldische Sicht der Schoumlpfung sehen wie sie in der Bibel ausgedruumlckt wird und die uns dann eine angemessenere Interpretation von Joh 11-14 gibt Das heiszligt wir werden lernen dass der logos von Gott durch die Juden (zu denen Johan-nes gehoumlrte) nicht als unterscheidbare Person aufgefasst wurde wie Philon und Justinus es taten Am Ende dieser Untersuchung duumlrfte es klar sein dass das gesamte System Philons (und auch der Trinitar-ier) einer personalen Logos-Christologie von Johannes ernsthaft abgeschwaumlcht wird wenn man einmal die griechische Sichtweise aufgibt und die juumldische Sicht annimmt deren Schriften wenn es um die Grundlage des christlichen Glaubens geht einfach houmlher eingestuft werden sollten als die heidnischen Spekulationen

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wird Uumlberdies bdquoist er von Gott dem Schoumlpfer zu unterscheiden und zwar an-zahlmaumlszligig nicht jedoch in Sinn und Geist (englisch in mind soviel wie Psyche und Verstand)rdquo241 Mithilfe von diesem vor-existenten geringeren Gott hat JHWH die gegenwaumlrtige materielle Welt geschaffen er war Gottes Vizekoumlnig der bdquoMi-nister oder Diener des Willens seines Vaters (auch) da er durch einen Willens-akt des Vaters gezeugt wurderdquo242 Dieses letztere Zitat ist besonders interessant Justin war der Ansicht dass der Sohn gezeugt (empfangen) wurde nicht ewig exis-tiert habe wie die Trinitarier dann spaumlter sagten Ein Willensakt des Vaters das heiszligt der Entscheid einer anderen Person war (zur Zeugung) notwendig Daraus folgt dass bevor der Vater entschied den Sohn zu zeugen es keinen Sohn gab Gemaumlszlig Justins Ansicht wurde der Sohn erst ins Leben gerufen als ihn der Vater brauchte vielleicht zum Zweck der Schoumlpfung Umgekehrt existierte der Vater nicht aufgrund oder infolge von jemandes Entscheid sondern er ist der einzige und ewige Gott

Auf jeden Fall ist es an diesem Punkt wichtig zu betonen dass die platonische Christenheit des zweiten Jahrhunderts wenn wir Justin Martyr als Beispiel neh-men weder glaubte Jesus sei Gott dem Vater oder dem Heiligen Geist ebenbuumlr-tig und ebenso ewig Zur dieser Ansicht kam man erst viel spaumlter Justin blieb bei seiner Lehre fuumlr Christen dass der Sohn stets bdquoden zweiten Rangrdquo unter bdquodem wahren Gottrdquo innehatte243 In dieser Beziehung ist Justinus klar ein Repraumlsentant der weitverbreiteten Exegese des zweiten Jahrhunderts244 Doch welches Ge-wicht hatten die christologischen Ansichten Justins in seiner Zeit Glaubten alle Christen des 2 Jahrhunderts der (juumldische) Mensch Jesus habe eine fruumlhere Prauml-Existenz in den Himmeln gehabt In den folgenden Kapiteln werden wir mehr erfahren uumlber den Glauben Justins und den der uumlbrigen Kirchenvaumlter Wir wer-den sehen dass die beruumlhmtesten Theologen des 2 und 3 Jahrhunderts (noch) keine Trinitarier waren sondern Hellenisten die immer noch glaubten der Vater sei der einzig wahre Gott und Jesus sei eine von ihm unterscheidbare ihm un-tergeordnete Figur

Noch immer nicht geloumlst ist jedoch die Frage wie denn die Vision von Justin dem Maumlrtyrer Jesus sei ein goumlttliches vor-existentes Wesen im christlichen Glauben uumlberhaupt Fuszlig fassen konnte Haben vielleicht die fruumlhesten juumldischen Juumlnger Christi je an eine solche Auslegung gedacht Ist es sicher dass die Apostel keine Platoniker waren Genau was diese ersten juumldischen Christen glaubten

241 Justin Martyr Dialogue 56 242 Ebenso 61 243 Justin Martyr First Apology Ch 13 1 244 A Lukyn Williams Justin Martyr The Dialouge with Trypho (London 1930) p xiv William Horbury Jews

and Christians (Edinburgh Bloomsbury 1998) p 129 T D Barnes Tertullian (Oxford 1971) pp 106-108

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werden wir zu untersuchen haben Wie wir jedoch jetzt schon feststellen koumlnnen gab es eine dramatische Verschiebung in der christlichen Theologie in Richtung Platonismus im zweiten Jahrhundert Geschichtsforscher anerkennen dass

vom 2 Jahrhundert an also nach Abschluss der neutestamentli-chen Aumlra in der Zeit der apostolischen Vaumlter und der christlichen Apologeten [zu denen auch Justin gehoumlrt] als sich das geistliche Klima komplett veraumlnderte eine Fixation auf den Hellenismus und eine schrittweise Veraumlnderung der Doktrinen des Christentums einsetzte von diesem 2 Jahrhundert an das Christentum an die philosophischen kosmologischen und spekulativen Gedankensys-teme praktisch ausgeliefert wurde245

Ein Historiker zieht daraus den folgenden Schluss bdquoWenn es in der Geschichte der christlichen Theologie eine historische Tatsache gibt die sicherer ist als alle anderen dann ist es die des Dogmas der christlichen Trinitaumlt mit seiner kardina-len Logos-Doktrin die faktisch vom platonischen dualistischen Idealismus her-geleitet werden kannrdquo246 In der Tat haben die Philosophen dieser Aumlra welche den Grundstock fuumlr die spaumltere Lehre der Dreifaltigkeit legten die Christologie des Neuen Testaments mit der griechischen Kosmologie verwechselt Der histo-rische juumldische Mann Jesus wurde zu einem ganzheitlichen und jenseitigen Dienstleister umgebaut um der platonischen Welt zu entsprechen Diese intel-lektuelle Spekulation war der Versuch den messianisch-juumldischen Rahmen des Neuen Testaments zu entfernen und die Folgen dieser eigenartigen Aktivitaumlt muumlssen erst noch auf breiter Basis wahrgenommen werden William Sanday ein Theologe von Oxford hat versucht den riskanten Synkretismus fuumlr die platoni-schen Christen etwas auszuebnen

Fruumlher oder spaumlter war es unausweichlich die Christenheit in eine Beziehung zur zeitgenoumlssischen Philosophie zu bringen War es denn nicht eine edle Eingebung die Justin leitete den bdquoSamenldquo des goumlttlichen Logos zu sehen der in den heidnischen Denkern des Altertums am Werk war in Maumlnnern wie Heraklit und Sokrates oder Platon und Pythagoras dass die goumlttliche Welt als Ganzes einst in Christus Fleisch werden wuumlrde247

Doch Friedrich Loofs (1858 - 1928) Professor der Kirchengeschichte an der Universitaumlt Halle war der Ansicht dass es die Christen des 2 Jahrhunderts durch

245 Kuschel zitiert A von Harnack pp 43-51 unsere Hervorhebung 246 Paine The Ethnic Trinities p 202 247 William Sanday Christologies Ancient and Modern (Oxford OUP 1910) p 17

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diese Spekulation in der Hand hatten den urspruumlnglich juumldisch-christlichen Glau-ben grundlegend in eine hellenistische Mysterienreligion umzuwandeln Dies war eine gefaumlhrliche Pioniertat die schlieszliglich einen von Ewigkeit her existierenden Jesus fuumlr spaumlter folgende Bekenntnisse ermoumlglichte Professor Loofs sah es ganz klar

Ihre Christologie wirkte sich auf die spaumltere Entwicklung desastroumls aus Indem sie das Konzept des Sohnes Gottes auf einen prauml-exis-tenten Christus transferierten verursachten sie ein ernstes christo-logisches Problem fuumlr das vierte Jahrhundert Sie loumlsten eine Ver-schiebung des Ausgangspunktes des christologischen Denkens aus ndash weg vom geschichtlichen Leben Jesu das in den Schatten gestellt wurde um an dessen Statt die Idee der Inkarnation (oder der Fleischwerdung) zu foumlrdern248

Ein Vergleich zwischen einem Text aus dem Neuen Testament und einer christ-lichen Predigt des zweiten Jahrhunderts moumlge den grundlegenden Wandel veran-schaulichen den die Christenheit in dieser Periode durchmachte In 1 Petrus 120 lesen wir dass bdquoer zwar im Voraus vor Grundlegung der Welt erkannt ist aber am Ende der Zeiten offenbart worden ist um euretwillenrdquo In einem anonymen Text der als 2 Clemensbrief bekannt ist und zwischen 95-145 n Chr datiert wird liest man bdquoChristus war zuerst Geist und wurde dann Fleischrdquo249 Wir koumlnnen hier selber be-obachten wie aus Christus welchen Gott im Voraus erkannte ein Christus wurde der vorgaumlngig ein reales Geistwesen war Die geschichtliche Erscheinung Christi wurde in die Annahme einer menschlichen Gestalt umfunktioniert A von Harnack schrieb dass die Vision von 2 Clemens 95 das bdquogrundlegende theolo-gische und philosophische Bekenntnis darstellt auf dem die gesamten trinitari-schen und christologischen Spekulationen der Kirche der kommenden Jahrhun-derte aufgebaut worden sind und darin wurzelt das orthodoxe dogmatische Sys-temrdquo Die Veraumlnderung des neutestamentlichen Wortlauts in diesem Text spaumlte-ren Datums zeigt bdquoden Ersatz des historischen Jesus durch einen prauml-existenten Christusrdquo auf250

Der goumlttliche Logos der Apologeten des 2 Jahrhunderts wie zB von Justin dem Maumlrtyrer hat weiterhin die Bedeutung des menschlichen Jesus entleert bis er fast verschwunden ist Allerdings finden wir dass in einigen fruumlhchristlichen Kreisen

248 Friedrich Loofs Guide to Studying the History of Dogma (Niemeyer Verlag 1951 [1890]) p 97 249 bdquoDas Dokument das unter dem irrefuumlhrenden Namen zirkulierte ist weder ein Brief noch ein echtes

Werk von Clemens von Rom Es handelt sich um eine anonyme christliche Predigt geschrieben etwa um die Mitte des 2 Jh und waumlhrend sich Forscher uumlber seine Herkunft voumlllig uneins sind gibt es eine Anzahl Indikatoren die auf den Ursprungsort Aumlgypten hinweisenrdquo (Cyril Richardson Early Christian Fathers (New York Simon amp Schuster 1995) p 183)

250 Harnack History of Dogma Vol 1 (1894) p 328

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das Verschwinden bereits stattgefunden hatte Gehen wir einige Jahrzehnte vor Justins Geburt zuruumlck dann begegnen wir einer anderen dynamischen religioumlsen Bewegung welche das Christentum und den Platonismus schon aktiv miteinan-der verschmolzen hatte und zwar beginnend mit den letzten Tagen der Apostel des Neuen Testaments Diese Bewegung forderte den Gott des Judentums in aggressiver Weise heraus und drohte den gerade entstandenen christlichen Glau-ben von innen heraus zu zerstoumlren

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bdquoDenn wenn einer kommt und einen ande-ren Jesus predigt als den wir gepredigt ha-ben so ertragt ihr das recht gutrdquo

mdash Paulus in (2Kor 114)

IE GRIECHEN WAREN DIE GROSSEN MEISTER der Doktrin der unsterblichen Seele Ihr Einfluss war allgegenwaumlrtig und diese Lehre zu-sammen mit dem Konzept des Demiurgs wurde innert kurzer Zeit weit

uumlber die Grenzen Griechenlands hinaus von verschiedenen religioumlsen Gruppen angenommen Eine der Gruppierungen in deren Denken diese Doktrinen spezi-ell stark eingeschlagen haben war die Bewegung der fruumlhen christlichen Gnosti-ker bdquoGnostizismusrdquo ist eine moderne Bezeichnung fuumlr eine Kategorie alter Reli-gionen welche die Errettung der Seele aus dieser materiellen Welt durch die Er-leuchtung mit geheimem Wissen predigten Uumlber die Urspruumlnge des Gnostizis-mus wird unter den Gelehrten noch immer debattiert Einige spekulieren der Anfang datiere weit vor dem Christentum zuruumlck und andere sind sogar der An-sicht alles habe in einem Sektor des unzufriedenen Judaismus begonnen251 Aber die Entdeckung eines geheimen Verstecks von gnostischer Literatur in Nag Ham-madi im Jahre 1945 hat die Wiederaufnahme der Uumlberpruumlfung von vor-christli-chen Hypothesen seither nicht verstummen lassen252 Gewisse Forscher plaumldie-ren sogar dafuumlr dass die Kategorie des bdquoGnostizismusrdquo ganz aufgegeben werde

251 Siehe Carl Smith No Longer Jews The Search for Gnostic Origins (Hendrickson Publishers 2004)

(Nicht laumlnger Juden Die Suche nach den gnostischen Urspruumlngen) 252 Hengel schlieszligt daraus dass bdquoes in den Quellen keinen Gnostischen-Erloumlser-Mythos gab der chronol-

ogisch als vor-christlich dargelegt werden koumlnnte Dieser Stand der Dinge sollte nicht mit einem wirkli-chen Problem des spaumlteren Gnostizismus vermischt werden das abseits des Christentums entstand und das wir im Hermetismus und in einigen der Schriften von Nag Hammadi erkennen Gnostizismus selber

D

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da sie eine Reihe von Sekten unter einem Begriff schwerfaumlllig zusammenzufassen versuche253 Wieder andere Gelehrte finden die Kategorisierung als hilfreich um alle bdquodemiurgischenrdquo und die grundsaumltzlich bdquodualistischen Formenrdquo der christli-chen sowie auch nicht-christlicher Bewegungen zu beschreiben254 In vollem Wis-sen also uumlber die Verfaumlnglichkeit der Terminologie werden wir die Bezeichnung bdquognostischrdquo in dieser Untersuchung weiterhin zu Vergleichszwecken gebrau-chen255

Warum denn ist die Beachtung des gnostischen Christentums speziell wichtig fuumlr unsere Analyse der trinitarischen Entwicklung Die griechischen und lateinischen Kirchenvaumlter selber gaben ja zu dass sie Platoniker waren diese Tatsache ist weit herum bekannt und das moderne Christentum hat sich nicht darum gekuumlmmert Doch alle hochangesehenen bdquoVaumlterldquo die von den Trinitariern stets sehr geschaumltzt wurden verurteilten die gnostische Christologie gleich wie der Apostel Johannes im Neuen Testament Dies ist bedeutsam wie wir in Kuumlrze wenn wir mit unserer Uumlbersicht fertig sind feststellen werden Gewisse Christen des zweiten Jahrhun-derts benutzten in der Kirche houmlchst eigenartige metaphysische Glaubensgrund-saumltze und diese Christen in Wirklichkeit Gnostiker waren Trotz der historischen Verurteilung des Gnostizismus durch die bdquoproto-orthodoxerdquo Tradition kann

wird fruumlhestens am Ende des 1 Jh als geistliche Bewegung sichtbar und entwickelt sich erst richtig im 2 Jhrdquo (Martin Hengel The Son of God (Eugene Wipf amp Stock 1976) p 34) (Der Sohn Gottes) Siehe auch J M Robinson in ldquoSethians and Johannine Thoughtrdquo The Rediscovery of Gnosticism Vol 2 (Leiden EJ Brill 1981) p 662 Die Wiederentdeckung des Gnostizismus) Die Nag Hammadi Bibliothek eine Sammlung von zwoumllf Papyri die 52 Codices von gnostischen Werken in koptischer Schrift enthalten wurde 1945 gefunden diese Papyri waren in Tonkruumlgen im Sand Ober-Aumlgyptens vergraben Die Codices sind wahr-scheinlich dort versteckt worden nachdem Athanasius nicht-kanonische Literatur im Jahre 367 mit dem Bann belegt hatte Diese Werke haben einen bedeutenden Einblick in die unterschiedliche Natur der Christenheit von damals erlaubt doch gleichzeitig auch Zweifel an der gelaumlufigen These verstaumlrkt die Orthodoxie habe sich wie ein Block in den ersten zwei Jahrhunderten entwickelt Vorgaumlngig zu ihrer Veroumlffentlichung waren die Kenntnisse der Gelehrten uumlber den Gnostizismus auf die ablehnenden Schriften von Figuren wie Irenaumlus und Hippolytus beschraumlnkt welche den Gnostizismus als Haumlresie verurteilten

253 Siehe Michael Williams Rethinking Gnosticism (Princeton University Press 1999) 254 Dualismus wird uumlblicherweise als ein Grundprinzip des bdquoGnostizismusrdquo gesehen Jedoch ist der bdquoVal-

entinianismusrdquo die einflussreichste Form des gnostischen Christentums Es handelt sich eigentlich um Monismus [philosophisch-religioumlse Lehre von der Existenz nur eines einheitlichen Grundprinzips des Seins und der Wirklichkeit] und ist ein Ausnahmebeispiel dafuumlr wie schwierig es ist die Bewegungen klar zu kategorisieren

255 bdquo[Williams] anerkennt die gnostischen Unterschiedlichkeiten als Parallelen zu den Unterschieden wel-che die Gelehrten bereits beim Judaismus und dem Christentum erkannt haben Diese Unterschiedlich-keiten lieszlig Jacob Neusner sbquoJudaismenrsquo und Jonathan Z Smith sbquoChristenheitenrsquo vorschlagen als angemes-sene Termini fuumlr diese vielschichtigen religioumlsen Bewegungen Vielleicht sollten wir hier sinngemaumlszlig fuumlr sbquoGnostizismenrsquo oder sbquognostische Religionenrsquo [in der Mehrzahl] plaumldieren als aumlhnliche Anerkennung der Unterschiede der verschiedenen gnostischen Glaubensrichtungenrdquo (Willis Barnstone Marvin Meyer The Gnostic Bible (Boston Shambhala 2006) S 14) Unser Gebrauch des Wortes sbquognostischrsquo scheint durch den Umstand gerechtfertigt gemaumlszlig Irenaumlus von Lyon dass bdquosich die Sether selber als Gnostiker bez-eichnetenrdquo Dies ist die bdquohistorische Basis des Gebrauchs von sbquognostischrsquo zur Selbstbeschreibungrdquo (Ebenso S 15)

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nicht abgestritten werden dass diese gnostische Lehrmeinung einen bdquoweitrei-chenden Effektrdquo auf die bdquonachfolgende Ausbildung der christlichen Doktrin ge-habt hatrdquo256 So betrachtet ist ein Groszligteil der spaumlteren orthodoxen Dogmatik das Ergebnis der vielen Begegnungen zwischen der so genannten Proto-Ortho-doxie (woumlrtliche Uumlbersetzung die Urform der rechten Lehre) mit der Gnosis War es der christlichen Religion im vierten Jahrhundert vielleicht moumlglich die gnostische Theologie in ihrem (fundamental christlichen) Denken aufzuspuumlren einfach weil sie im 2 und 3 Jahrhundert bereits zur Genuumlge mit gnostischem Verstaumlndnis und deren Belangen gesaumlttigt worden war Wie wir sehen werden geschah diese Saumlt-tigung der Kirche in erster Linie durch den Einfluss der alexandrinischen und roumlmischen Schulen Allerdings muumlssen wir in unserer Untersuchung stets vor Au-gen halten wie genau die Gnosis die spaumltere Orthodoxie beeinflusste oder auch wie und weshalb nicht denn dies ist nicht immer offensichtlich Wie der Experte fuumlr Gnostizismus Kurt Rudolph erklaumlrte bdquoDie Verbindungslinien sind oft unterir-dische Kanaumllerdquo257 Waumlhrend in der bdquochristlichen Theologie mit Bestimmtheit gnostische Standpunkterdquo zuruumlckblieben konnten diese nur verewigt werden in-dem bdquodiese gnostischen Ideen und Uumlberlieferungen eine Transformation durch-machtenrdquo258 Viele der am meisten geschaumltzten christlogischen Ideen der heuti-gen Christenheit gehen in Wirklichkeit auf den Druck der Gnostiker zuruumlck wel-che schon fruumlh damit angefangen hatten den geschichtlichen Jesus durch einen vorgefertigten platonischen Rahmen zu pressen Obschon viele Christen gelernt haben dass Gnostisches Gedankengut haumlretisch und gefaumlhrlich ist erscheint der Jesus des orthodoxen Trinitarianismus mit dem mystischen Christus des Gnosti-zismus sehr viel naumlher verwandt zu sein als mit dem apokalyptischen Messias-Koumlnig der Juden Um die Dinge noch verfaumlnglicher zu machen sind fuumlr uns (Christen) im Neuen Testament Beweismittel aufbewahrt gemaumlszlig welchen die Ur-Kirche die Gnostische Christologie aufs Heftigste ablehnte und mit unheilvollen Warnungen zum Widerstand gegen den Antichrist aufrief

DerkosmischeJesusDer direkte apostolische Konflikt mit der gnostischen Bewegung ist in den Auf-zeichnungen des Apostels Johannes die aus dem spaumlten 1 Jahrhundert datieren

256 Rudolph Gnosis p 369 257 Ebenso S 368 258 Ebenso

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leicht zu finden259 Einige sind der Ansicht dass Johannes sein Evangelium zwi-schen 80 und 90 n Chr260 zu Papier brachte um die immer beliebter werdenden gnostischen Theorien zu bekaumlmpfen261 aber die meisten Forscher sind sich einig dass sich seine drei komplementaumlren Epistel [1 2 und 3 Johannes] in ausgespro-chener Weise mit der Widerlegung der Gnosis befassen262

Doch woran glaubten christliche Gnostiker Was machte sie so gefaumlhlich Im Wesentlichen haben die verschiedenen christlich-gnostischen Stroumlmungen aktiv mystische platonische aumlgyptische und oumlstliche Philosophien mit juumldischen und christlichen Lehren vermischt263 So viel wir wissen scheinen die Gnostiker zwar den [primitiven] Glauben von Platon uumlbernommen zu haben unsere materielle

259 Verschiedene gnostische Gruppen fuumlr die uns die Zeit fehlt sie hier zu untersuchen erhoben sich

unter den Juden gegen Ende des 1 Jahrhunderts Diese Faktionen waren die die Eleksaiten die Symma-chianer die gnostischen Ebioniter und andere Fuumlr eine Analyse dieser Bewegungen konsultiere man Kurt Rudolph Gnosis The Nature and History of Gnosticism (Edinburgh T amp T Clark 1983) p 307 (Gnosis Natur und Geschichte) Harnack History of Dogma Vol 1 Ch VI pp 245-246 301-317 (Die Geschichte des Dogmas) Die Kirchenvaumlter zogen die Aufmerksamkeit auf diese Gruppen die sie lauthals verdammten aber Klijn und Reinink legten dar dass die Berichte dieser gnostisch-juumldischen-christlichen Faktionen bdquowenig zu tun hatten mit der juumldischen Christenheitrdquo (A F J Klijn G J Reinink Patristic Evidence for Jewish Christian Sects (Leiden Brill 1973) pp 3-19 52-67) (Patristische Belege der juumldisch-christlichen Sekten) Der Unterschied zwischen diesen Gruppen und der bdquojuumldischen Christenheitrdquo ist unbestreitbar die zen-trale Frage Siehe Ray Pritz Nazarene Christianity (Jerusalem Hebrew University of Jerusalem Press 1988) (Die Nazarener Gemeinschaft) Wie Harnack bemerkte haben die bdquoJuden-Christen keinen nennen-swerten Teil an der Gnostischen Kontroverse gehabt diesem epochemachenden Konflikt der sich in-nerhalb des Zaunes eines breiteren Christentums abspielterdquo (Harnack History of Dogma Vol 1 S 290)

260 For the early date see D A Carson The Gospel According to John (Grand Rapids Eerdmans 1991) p 86 (Fuumlr eine Fruumlhdatierung siehe DA Carson Das Johannesevangelium)

261 bdquoSelbst wenn Irenaumlus nicht versichert haumltte dass Johannes sein Evangelium gegen die Gnostiker schrieb im Besonderen gegen Cerinthus wuumlrde der Inhalt des Evangeliums allein schon zu diesem Schluss fuumlhren Die Reden Christi die Johannes aufzeichnete wurden aus einer ganz anderen Sicht aus-gewaumlhlt als die der uumlbrigen drei Evangelisten Mit der spezifischen Wahl seiner Ausdruumlcke wie sbquoLichtrsquo sbquoLebenrsquo usw zielte Johannes auf die Philosophie der Gnostiker die diese Woumlrter auch brauchten oder besser gesagt missbrauchten Nur wenn Johannes einen Gegner bekaumlmpfen wollte der diese Ausdruumlcke verwendete ist die Wahl dieser Worte zu begruumlndenrdquo (J D Michaelis zitiert in Thomas Horne An Introduction to the Critical Study and Knowledge Vol 2 (New York Robert Carter 1847) p 316)

262 Gelehrte haben laumlngst bestaumltigt dass bdquoJohannes beabsichtigte gewisse gnostische Doktrinen hinsicht-lich Jesus Christus zu verurteilenrdquo (Ben David The Monthly Repository of Theology and General Literature Vol 21 (Hackney Sherwood Gilbert and Piper 1826) p 469)

263 Einige der Sekten lehnten sich sehr an die ost-asiatische Tradition an waumlhrend andere scheinbar die Darlegungen und das religioumlse Denken der alexandrinischen Schulen sprich den Platonismus bevorzugten Die oumlstlich orientierten Sekten gaben dem Zoroastrismus bzw Zarathustrismus den Vorzug eine Persische Religion die noch heute von Millionen von Anhaumlngern praktiziert wird Im Zoroastrismus sind zwei sich gegenuumlberstehende goumltt-liche Kraumlfte im Universum am Werk die bdquoProgressivenrdquo und die bdquoDestruktivenrdquo Die Kraumlfte sind einem einzigen Houmlchsten Gott unterworfen dem Ahura-Mazda der goumlttlichen Verkoumlr-perung der Weisheit Die Dichotomie (= Zweiteilung) zwischen Gut (Geist) und Boumlse (Ma-terie) war ein Dauerthema des gnostischen Denkens Natuumlrlich ist die Frage welche religiouml-sen Stroumlmungen genau das bdquognostische Denkenrdquo befruchteten und welche nicht und sie bleibt eines der groumlszligten Raumltsel der Religionsgeschichte

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physische Welt sei von Natur aus eine minderwertige Oberflaumlche die von einem Demiurg kreiert worden sei doch die meisten Gnostiker gingen noch einen Schritt weiter Waumlhrend Platon vom Demiurg urspruumlnglich eine positive Meinung hatte glaubten die Gnostiker dieser geringere Schoumlpfer sei entweder unfaumlhig oder boumlse gewesen oder sogar beides zusammen264 Das war ein ernst zu neh-mender Bruch mit der herkoumlmmlichen und uumlberlieferten platonischen Sicht Die Neuplatoniker kritisierten denn auch die Gnostiker mit aller Schaumlrfe weil sie so stark von Platon abwichen und den Demiurg sowie seine Schoumlpfung so sehr hass-ten Aus diesen (wenn gleich unterschiedlichen) Gruumlnden hielten die Platoniker und die christlichen Gemeinschaften die Gnostiker fuumlr Haumlretiker265

Die Gnostiker sagten dass der arge Demiurg-Schoumlpfer kein anderer sei als JHWH der Gott des Alten Testaments Des Weiteren sagten sie da die Welt vom boumlsen Gott des Alten Testaments erschaffen worden sei die gesamte Materie inhaumlrent boumlse sei und von der unsterblichen Seele verabscheut werden sollte da sie sich vom Koumlrper mittels der Erleuchtung durch geistliches Wissen (die Gno-sis) befreien koumlnne Das ultimative Schicksal des erleuchteten Gnostikers war die platonische Befreiung von aller Materie und eine Existenz als koumlrperloses Wesen in einem houmlheren goumlttlichen Bereich266

Die gnostische Vision von Jesus war wohl ihre wichtigste und beruumlchtigtste In-novation Die fundamentale gnostische These war dass Christus von Natur aus ein Geistwesen ja ein Gott gewesen sei267 Die meisten Platoniker wie Justin der Maumlrtyrer zogen eine scharfe Trennlinie zwischen der unveraumlnderbaren goumlttlichen Welt und der sich stets aumlndernden niedrigeren Welt sie konnten sich nicht vor-

264 Dieser Schoumlpfer-Gott war boumlse unwissend und sogar unfaumlhig Gutes zu tun Exakt aufgrund dieser

Inkompetenz landete die gnostische Seele in der Knechtschaft des Physischen Dieser Gott wurde auch schlieszliglich fuumlr die Katastrophe im Garten Eden verantwortlich gemacht In bestimmten gnostischen Werken wie im Zeugnis der Wahrheit werden Eva und die Schlange dargestellt als ob sie den Schoumlpfer haumltten uumlberlisten wollen Siehe Elaine Pagels The Gnostic Gospels (New York Vintage Books 1979) pp xiii-xxiii (Die gnostischen Evangelien) Die Valentinianer bilden hier eine Ausnahme wie in mehreren gnos-tischen Belangen denn sie sehen den Demiurg zwar als eine geringere jedoch immer noch positive Figur

265 Siehe Plotinus ldquoAgainst the Gnosticsrdquo in The Enneads (Gegen die Gnostiker in den Enneaden 29) Plotin zieht die Unsinnigkeit der Wirklichkeitsflucht der Gnostiker wie er sie sieht ins Laumlcherliche bdquoAber aus Nichtachtung dieser Weltschoumlpfung und dieser Erde sagen sie fuumlr sie gebe es eine neue Erde in die sie naumlmlich von hier aus gelangen wuumlrden und dies sei der Begriff der Welt (logos) Und doch was liegt ihnen daran in das Vorbild der Welt zu gelangen die sie hassenrdquo (Enneaden 295) Plotin fordert sie schlieszliglich heraus dass wenn sie schon so darauf erpicht seien diese Welt zu verlassen sie sich auch gleich selbst umbringen koumlnnten Siehe Williams Rethinking Gnosticism pp 134-135

266 Die volkstuumlmliche Christenheit verbreitet in ihren Lehren auch heute immer noch die Idee dass der Mensch beim Tod diese physische Welt verlasse und in einen houmlheren geistlichen Bereich aufsteige sprich bdquoin den Himmel geherdquo Siehe Buzzard Our Fathers Who Arenrsquot in Heaven 1999

267 Harnack History of Dogma Vol 1 (1894) p 193

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stellen dass der houmlchste Gott herunterkaumlme und sich mit der Menschheit verei-nige268 So war Christus fuumlr Justin der demiurgische Vermittler zwischen den Wel-ten Die Gnostiker hingegen kannten keine solchen Restriktionen Fuumlr sie war Christus eine eigentliche Ausstroumlmung [Emanation] des houmlchsten Gottes Dieser gute Gott war das genaue Gegenteil des boumlsen Schoumlpfer-Demiurgen und er war es der Christus auf die Reise zur Erde hernieder sandte um die menschliche Rasse aus den Faumlngen des Gottes des Alten Testaments zu retten Doch dieser goumlttliche Christus der nicht vom Demiurg erschaffen worden war konnte nicht im Fleisch zu den Menschen kommen (ansonsten waumlre er ja auch boumlse gewesen) Die offene Frage fuumlr die Gnostiker war natuumlrlich wie sie mit dem in den Evan-gelien beschriebenen sichtbaren Dienst Jesu [auf Erden] umgingen Es gab meh-rere Wege uumlber welche die verschiedenen Schulen versuchen konnten das Prob-lem zu loumlsen Dies sind die drei hauptsaumlchlichen gnostischen Christologien die vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts in Erscheinung traten

1) Doketismus Gemaumlszlig dieser Sichtweise die von Markion (85 ndash 160 n Chr) verbreitet wurde war Christus vollkommen geistlich Der Retter schien eine physische Gestalt zu haben seine Erscheinung jedoch war ein Phantasma ein Trugbild Der doketische Jesus hat nur den Eindruck erweckt Nahrung benoumltigt zu haben gelitten zu haben und gekreuzigt worden zu sein da er nicht wirklich ein Mensch war sondern ein goumlttliches Wesen hat er Menschgestalt nur angezogen Dies ist das vorherrschende Bild das in der gnos-tischen Christologie heraufbeschworen wurde

2) Kerinthischer Possessionismus Gemaumlszlig der Ansicht von Kerinthus (vom 1 - 2 Jh n Chr) waren der menschliche Jesus und der goumltt-liche Christus zwei verschiedene Einheiten Jesus wurde nicht von einer Jungfrau geboren sondern war der leibliche Sohn von Maria und Joseph Christus kam bei seiner Taufe auf den Mann Jesus hernieder und blieb waumlhrend seines Dienstes auf ihm Bei der Kreuzigung verlieszlig der Christus den Jesus sodass nur das mensch-liche Wesen allein den Tod erlitt

3) Valentinianismus Valentinus (100 ndash 160 n Chr) hatte zwei Schulen gegruumlndet Diese lehrten dass Jesus aus dem Himmel in einem be-sonderen vergaumlnglichen menschlichen Koumlrper hernieder gekom-men sei Dieser Jesus sei durch die Jungfrau Maria geboren wor-den und der Christus haumltte sich mit ihm entweder bei der Geburt oder bei seiner Taufe verbunden Die menschliche Natur habe

268 See Broek p 197 Justin Martyr Dialouge with Trypho 60

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Schmerzen und den Tod erlitten waumlhrend die goumlttliche Natur uumlberlebte269

Entgegen diesen gnostischen Lehren legte der Apostel Johannes dar dass der Schoumlpfergott des Alten Testaments und Jesus in perfekter Harmonie waren und dass Jesus infolge seines wirklichen Mensch-Seins in die von Gott geschaffene materielle Welt eingebunden war Um die Gnostiker zu bekaumlmpfen sah sich Jo-hannes veranlasst an den Anfang zuruumlckzugehen und zu bezeugen dass bereits vor der Schoumlpfung Gott fuumlr die Welt eine goumlttliche Idee oder einen weisen Plan hatte eine Absicht die voumlllig im Einklang mit seiner eigenen Guumlte war Im Ge-gensatz zum gnostischen Christus der angeblich kam um des alten Schoumlpfers Lauf der Welt zu aumlndern und sein Programm umzuschreiben zeichnete Johannes in sei-nen Schriften Jesus als den eigentlichen geistlichen Mittelpunkt von Gottes Ziel und Zweck dieser Welt Es entsprach der Weisheit und der Absicht des Schoumlp-fers dass sich schlieszliglich alles in der Person und im Werk von Jesus manifestierte und dies ist die Erklaumlrung im beruumlhmten Prolog von Johannes 11-15270

In seine Episteln schrieb Johannes gegen die doketische gnostische Christologie und sagte bdquoHieran erkennt ihr den Geist Gottes Jeder Geist der Jesus Christus im Fleisch gekommen bekennt ist aus Gott und jeder Geist der nicht Jesus bekennt ist nicht aus Gott und dies ist der Geist des Antichrists von dem ihr gehoumlrt habt dass er komme und jetzt ist er schon in der Weltrdquo (1 Johannes 42-3) Johannes argumentierte dass Jesus wirklich bdquoen sarxrdquo zu ihnen gekommen sei dh in den bdquoMenschheitsbereichrdquo als ein bdquomenschliches Wesenrdquo271

Mit anderen Worten sagte Johannes dass der wirkliche Jesus eine materielle Exis-tenz als eine echt menschliche Einheit genoss und er deshalb keinesfalls nur eine doketische Emanation war wie die Gnostiker behaupteten Fuumlr Johannes gehoumlrte die Person Jesus vollkommen und unzweideutig in den Menschheitsbereich272

269 Dies repraumlsentiert die bdquowestlicherdquo Schule des Valentinianismus wie er von Ptolemaumlus und Herakleon

dargelegt wurde Die valentinische Christologie war ungebunden und vielschichtig die Ansicht der bdquooumlstlichenrdquo Schule koumlnnte vielleicht sogar als bdquodoketischerdquo bezeichnet werden im Sinne von scheinbar nur einem goumlttlichen Christus der einen rein geistlichen Koumlrper annahm und durch eine Jungfrau ge-boren wurde

270 Der Gebrauch der Logos-Terminologie wird spaumlter in diesem Buch behandelt 271 bdquoSarxrdquo kann als bdquoKoumlrperrdquo uumlbersetzt werden oder auch als bdquoMenschrdquo Andere Definitionen geben dieses

Wort wieder als bdquoein lebendes Wesenrdquo bdquoein Menschrdquo hellip bdquoeine menschliche Natur einschlieszliglich die Seelerdquo Bei Johannes ist Christus einfach bdquoim Fleischrdquo dh Jesus benutzt nicht einen unpersoumlnlichen Koumlrper als Vehikel oder als eine Abstraktion die einer goumlttlichen Person angehaumlngt ist Viel eher ist der Zustand des historischen Jesus umschrieben wie er lebte und wirkte bdquoim Fleischrdquo das bedeutet als ein wirkliches menschliches Wesen Reale Humanitaumlt setzt nicht ein abstraktes Fleisch oder eine bloszlige [mentale] Erfahrung voraus sondern eine wirkliche menschliche Psyche und Persoumlnlichkeit

272 Hier muumlssen wir betonen dass Johannes den Terminus bdquosarxrdquo nicht als eine Verkapselung einer anach-ronistischen Trinitaumltsdoktrin verwendet hat Wir sollten aus seiner Polemik keinen anderen Schluss ziehen als dass er Jesus voll und ganz als Menschwesen bestaumltigt In den Notizen des klassischen Trin-itariers Albert Barnes zu 1 Johannes 42 finden wir eine interessante Auseinandersetzung Barnes

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Trotz der Anstrengungen der Apostel scheinen sich Elemente des gnostischen Jesus ab dem 3 Jahrhundert nach Christi Geburt in der weiteren christlichen Welt vor allem in Alexandria festgesetzt zu haben Wie wir heute wissen gedieh schon im 2 Jahrhundert eine bdquophilosophische Interpretationrdquo der christlichen Religion praumlchtig in Alexandria und in den Aumluszligerungen der einflussreichsten Stimmen dieses synkretistischen Milieus koumlnnen wir die gnostischen Artefakte entdecken Clemens von Alexandria (150-215 n Chr) und Origenes (184-254 n Chr) die zwar beide die Koumlrperlichkeit Christi anerkannten scheinen sich zu-ruumlckgehalten zu haben was die volle und normative menschliche Erfahrung Jesu anbetrifft Origenes lehrte dass die sterbliche Eigenschaft des Koumlrpers Jesu aumlthe-risch und goumlttlich gewesen sei bdquound dass sich die Materie seines Koumlrpers foumlrmlich veraumlndert habe je nachdem wer ihn angeschaut haberdquo273 Der Gnostiker Valen-tinus sagte ebenfalls dass bdquoChristi Fleisch geistlichldquo gewesen seirdquo274 und dass Jesus zwar bdquoaszlig und trankldquo aber dass er nicht bdquo[Kot] ausscheidenrdquo musste275 Der christliche Clemens schrieb

Es ist laumlcherlich dass der Koumlrper eben da er ein Koumlrper war die noumltigen Mittel zu seinem Unterhalt brauchte Er aszlig nicht um des Koumlrpers willen der seinen Unterhalt [eben] von einer heiligen Macht erhielt sondern um derentwillen in seiner Gesellschaft da-mit diese Leute nicht ploumltzlich anfingen anders uumlber ihn zu denken

schlieszligt zunaumlchst dass Johannes einfach vorbrachte bdquodass der Sohn Gottes in der Tat Mensch warrdquo Dieser kurzen und zutreffenden Bewertung widerspricht Barnes jedoch sogleich durch seine eigene sekundaumlre Spekulation dass Johannes gesagt habe ein goumlttliches Wesen bdquohabe eigentlich menschliche Natur in permanenter Verbindung mit dem Goumlttlichen angenommenrdquo Dies ist doch einfach nur Spekulation Spaumlter fasst Barnes zusammen bdquoDer Punkt dieser Bemerkung des Apostels ist das Christus wohl menschliche Natur angenommen hatte und dass er wirklich der Mensch war als der er erschienrdquo Das ist wiederum korrekt Doch Barnes fuumlhlt sich veranlasst etwas zuzufuumlgen hellip oder war da eine wirkliche Fleischwerdung [eines goumlttlichen Wesens] Trini-tarische Kommentatoren fuumlhlen sich genoumltigt zu den streitbaren doktrinaumlren Aussagen von Johannes eine weitere Polemik hinzuzufuumlgen obschon Johannes nichts anderes sagte als dass man sich Jesus als wirkliches menschliches Wesen vorstellen sollte Nichts hier weist unmissverstaumlndlich auf des Apostels Darlegung einer Inkarnation hin das heisst dass da eine zusaumltzliche goumlttliche Natur neben der menschli-chen anwesend waumlre

273 Origen Against Celsus 3 41 Origenes sagte dass der materielle Koumlrper Jesu eine Eigenschaft hatte von der man sagte bdquoEr hatte keine Gestalt und keine Prachtrdquo Und ein anderes Mal hatte er die Eigen-schaft so herrlich und auffallend und wunderbar zu sein dass die Apostel auf ihr Angesicht fielen (Contra Celsum 6 77) Chadwick schreibt bdquoDies ist eine Tradition gnostischen Ursprungs (Acts of John 93) wo Johannes sagt sbquoManchmal wenn ich ihn anfasste beruumlhrte ich einen materiellen und soliden Koumlrper und zu anderen Malen wenn ich ihn fuumlhlte da war die Substanz nicht materiell so wie wenn sie uumlberhaupt nicht existiertelsquo ldquo (Henry Chadwick Origen Contra Celsum (Cambridge CUP 1980 [1953]) p 390)

274 Tertullian De Carne Christi 15 1 275 Douglas Biow The Culture of Cleanliness (London Cornell University Press 2006) p 146

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Er war grundsaumltzlich emotionslos und keine Gefuumlhlsbewegung konnte Ihn durchdringen weder Freude noch Schmerz276

Es faumlllt sogleich auf dass sich diese Ideen schwierig mit den Lehren des Neuen Testaments vereinbaren lassen insbesondere mit der biblischen Tatsache dass Jesus bdquoin allem den Bruumldern gleichrdquo war (Hebr 217) und bdquoin jeder Beziehung ganz Menschrdquo und bdquoein Hohepriester der mitfuumlhlen konnte mit unserer Schwaumlcherdquo (Hebr 415) Aumlhnlich dem gnostisch-doketischen Christus und der quasi menschlichen Figur vieler alexandriner Christen so verhaumllt es sich auch mit dem spaumlteren trini-tarischen Jesus des vierten Jahrhunderts der Orthodoxie In der Beschreibung des Neuen Testaments erscheinen sie alle fragwuumlrdig Jesus wird von diesen Lehren mal eine unverstaumlndliche Existenz als houmlchstes Wesen zugeschrieben mit mul-tiplen Naturen Denken und Willen ndash oder er wird als eine Intelligenz aus einer anderen Welt ohne Anfang und ohne Ende dargestellt jemand der nicht der echten Vergaumlnglichkeit der Menschen unterworfen ist sondern der gleich ist dem allmaumlchtigen Gott In diesem Kapitel und den folgenden wie seit den ersten Jahr-hunderten der Christenheit und durch die Reformation hindurch bis hin in unsere moderne Aumlra es der Christenheit nie gelungen ist den Widerspruch von Christi unterschiedlichen Naturen zu loumlsen und zwar in einer Weise die sowohl oumlkume-nisch nachhaltig und als auch gegen die Fehler der gnostischen Christologie wi-derstandsfaumlhig waumlre

DoketismusundderorthodoxeJesusZunaumlchst untersuchen wir den latenten Doketismus in der orthodoxen Darle-gung von Jesus und seiner Menschlichkeit Gemaumlszlig der Orthodoxie ist die zweite Person der Trinitaumlt ein von Ewigkeit her existierender Gott der Sohn der aus dem Himmel herniederkam um sich mit der bdquomenschlichen Natur zu verbin-denrdquo277 Es wurde behauptet dass die menschliche Natur ihre Persoumlnlichkeit nicht uumlbertragen habe es waren daher nicht zwei Personen in Christus Genau um dieses Thema zu debattieren wurde das Konzil von Ephesus (431) einberu-fen und es wurde bestaumltigt dass Christus nur eine Person war ndash allerdings eine Person mit zwei Naturen Daraus ergab sich die Anerkennung dass der Sohn bei der Fleischwerdung (Inkarnation) einfach die unpersoumlnliche menschliche Natur angenommen habe278 Ein moderner Trinitarier muss zugeben dass bdquodie Menschlichkeit die in die Person des Logos aufgenommen wurde nicht ein per-

276 William A Jugens The Faith of the Early Fathers Vol 1 (Collegeville The Liturgical Press 1970) p 184 277 Thomas Ridgley A Body of Divinity Vol I (Philadelphia William W Woodward 1814) pp 288-289

(Ein Koumlrper der Goumlttlichkeit) 278 A E Whatham ldquoThe Psychology of the Incarnationrdquo The Church Eclectic Vol 26 (Chicago University

of Chicago 1898) pp 822-824 (Eklektizismus der Kurche)

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soumlnlicher Mensch ist sondern menschliche Natur ohne persoumlnliche Subsis-tenzrdquo279 Christus sollte man deshalb nicht als Mensch denken sondern als eine persoumlnlichkeitslose Abstraktion vereint mit Gott

Der Heilige Thomas von Aquin (1225 - 1274 n Chr) einer der einflussreichsten trinitarischen Theologen aller Zeiten schrieb in seiner Entgegnung auf Einspra-chen gegen die Inkarnation dass der Logos bdquoseine Persoumlnlichkeit nicht aus der menschlichen Natur hat sondern eher diese menschliche Natur zu seiner eigenen Subsistenz oder Persoumlnlichkeit zieht Ja Christus ist eine Person aber keine andere Person als die Person des Logosrdquo280 Thomas von Aquin legt dieses Ver-staumlndnis auch unter den Entwicklern der Trinitaumlt offen bdquoUnd damit sind einige der alten Gelehrten einverstanden die darlegten dass die menschliche Natur in Christus ein Instrument seiner Goumlttlichkeit sei wie der Koumlrper ein Instrument der Seele seirdquo281 Die wichtige Fuszlignote eines Gelehrten zu diesem Kommentar offenbart dass dieses trinitarische Verstaumlndnis bdquoeher auf einer platonischen An-sicht der Beziehung zwischen Seele und Koumlrper gegruumlndet ist und dies uumlber-rascht nicht wenn man die Verehrung der alten Vaumlter kennt allen voran der Ale-xandriner mit der sie Platon begegnetenrdquo282 Aber die Trinitarier der Antike und die Trinitarier des Mittelalters wie Thomas Aquin sind nicht die einzigen die dieses Verstaumlndnis hegten Moderne Apologeten wie jener der populaumlren Desiring God Ministries deren Leiter der Theologe John Piper ist erklaumlren sich von ganzem Herzen damit einverstanden

Die Art der Humanitaumlt (der Menschheit) die Jesus in seiner Fleischwerdung (Inkarnation) annahm war unpersoumlnlich Er hat nicht eine menschliche Person zu sich hinzugefuumlgt Seine Humani-taumlt ist nicht nur unpersoumlnlich (= anhypostasis) sie ist auch in-persoumln-lich (das ist was enhypostasis woumlrtlich transkribiert bedeutet) Ihre Persoumlnlichkeit liegt in der Persoumlnlichkeit der ewigen zweiten Person der Trinitaumlt Der vollkommen goumlttliche Sohn (Gott Sohn) ist die Person welche die volle Menschheit angenommen hat283

279 Heinrich Heppe Reformed Dogmatics (Eugene Wipf amp Stock Publishers 2007) p 416 280 Thomas Aquinas Summa Contra Gentiles 4 281 Ebenso 282 Joseph Rickaby Saint Thomas Aquinasrsquo Of God and His Creatures An Annotated Translation (Lon-

don Burns amp Oates 1905) p 373 283 David Mathis ldquoEnhypostasis What Kind of Flesh Did the Word Becomerdquo Desiring God 25 Dezem-

ber 2010 Web 27 July 2015 (Enhypostasis Was fuumlr eine Art Fleisch ist das Wort geworden) Enhypostatisch bezeichnet etwas was seine Hypostase in einem anderen durch ein anderes oder dank einem anderen Sein hat Die Enhypostasie-Lehre wurde von Leontius von Byzanz entwickelt Amn d Uuml

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Ganz klar wenn wir uns an die strenge Orthodoxie halten dann muumlssen wir zu-geben dass die menschliche Person Jesus nicht einmal existiert - die bdquoMensch-heitrdquo (Humanitaumlt Jesu) ist nur eine Abstraktion mit der sich die bereits existie-rende Substanz Gottes verstrickt Ein kluger Professor der Theologie in Cambridge sieht auf dem Weg auf den die orthodoxe Christologie immer wieder fuumlhrt eine groszlige Gefahr lauern naumlmlich die subtile Umarmung des doketischen (= gnostischen) Jesus

Das christologische Konzept des prauml-existierenden goumlttlichen Soh-nes reduziert die wirkliche sozial und kulturell bedingte Persoumln-lichkeit Jesu auf eine metaphysische Abstraktion die bdquomenschliche Naturrdquo Diese menschliche Natur nach der klassischen Alexand-rinischen Tradition wurde in der goumlttlichen Person des Sohnes en-hypostatisiert (siehe Fuszlignote 283) sie wurde zur menschlichen Natur eines goumlttlichen persoumlnlichen Subjekts Nach dieser Christologie nimmt der ewige Sohn eine zeitlose menschliche Natur an oder macht sie zeitlos indem er sie sich zu eigen macht es ist die menschliche Natur die den geografischen Gegebenheiten nichts Wesentliches schuldet es entspricht der konkreten Welt in nichts Jesus [in dieser Sichtweise] ist schlieszliglich nicht wirklich bdquoim Fleisch gekommenrdquo284

Buzzards Notiz zu Lampes Schlussfolgerung ist wichtig bdquoIch brauche kaum da-rauf hinzuweisen was die scharfe Kritik des gelehrten Professors bedeutet Die traditionelle Ansicht dass Jesus ein goumlttliches persoumlnliches Zentrum oder ein Ego hatte das mit einer unpersoumlnlichen menschlichen Natur vereint ist gilt als die von Johannes verurteilte antichristliche Sichtrdquo285

Tatsaumlchlich lehrte Johannes dass die Person namens Jesus Christus wirklich ein Mensch war286 und die Bibel beschreibt Jesus viele Male deutlich als bdquoeinen Men-schenrdquo (Apg 222 Joh 840)287 Aber beachten wir den sorgfaumlltigen Wortlaut der

284 Geoffery Lampe God as Spirit (Norwich SCM Press 1977) p 144 285 Anthony Buzzard ldquoWhatrsquos in a Wordrdquo Focus on the Kingdom Web 27 February 2015

lthttpfocusonthekingdomorgarticleswordhtmgt 286 Jesus wird im ganzen NT als bdquoanerrdquo (ein maumlnnlicher Mensch ein Mensch) und bdquoanthroposrdquo (ein

Mensch ein Mensch der Menschheit) beschrieben Erinnern wir uns nochmals an die primaumlre Zusam-menfassung von Barnes von 1 Johannes 42 mit der Absicht zu zeigen bdquodass der Sohn Gottes wirklich ein Mensch warrdquo Wir muumlssen darauf achten nur das zu akzeptieren was Johannes sagt dh nur die Anerkennung Christi als einen echten Menschen und wir muumlssen noch mehr darauf achten dass wir nicht die dualistische Inkarnations-Christologie der valentinischen Gnostiker in den Mund des Apostels legen der geschrieben hat um die gnostische Sichtweise zu besiegen

287 Biblische Aussagen in denen Jesus ausdruumlcklich bdquoein Menschrdquo ist beinhalten Lukas 2419 Joh 130 Joh 327 Joh 840 Apg 222 Apg 1731 Roumlm 515 1 Kor 1521 1 Kor 1547 1 Tim 25

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heutigen trinitarischen Apologeten bdquoJesus Christus ist Gott und Menschrdquo288 das heiszligt im Klartext er ist kein Mensch JI Packer bestaumltigt dass wir im orthodoxen Jesus bdquodie Vereinigung von Gottheit und Menschhkeitrdquo haben 289 Wir erlauben es dem Trinitarier weiter zu praumlzisieren

Jesus war nicht immer Mensch Das fantastische Wunder ist dass dieser ewige Gott vor etwa 2000 Jahren bei der Inkarnation Mensch wurde Das ist es was die Inkarnation war - Gott der Sohn wurde Mensch Aber was genau meinen wir wenn wir sagen dass Gott der Sohn Mensch geworden ist Wir meinen doch sicherlich nicht dass Er sich in einen Menschen verwandelt hat Jesus hat bei der Inkarnation keines seiner goumlttlichen Attribute aufgegeben [die Inkarnation bedeutet] Gott hat die Menschheit [die Humanitaumlt] zu sich genommen290

Das Wesen der doketischen Christologie der Gnostiker war auch dass der Chris-tus bdquonicht irgendein Menschrdquo war sondern Gott der die Form eines Menschen fuumlr sich selbst angenommen hat Auch in den kerinthischen und valentinischen Christologien ist Christus kein bdquoMenschrdquo sondern Gott der einen Menschen uumlberschattet und seine Eigenschaften seinem goumlttlichen persoumlnlichen Zentrum unterworfen hat ohne die vollstaumlndige und funktionale menschliche Natur zu beeintraumlchtigen Alle diese gnostischen Christologien stimmen in diesem Punkt mit der spaumlteren christlichen Orthodoxie uumlberein Der goumlttliche Erloumlser warist nicht bdquoein Menschrdquo sondern Gott vereint mit menschlichen Qualitaumlten (entwe-der spirituell oder real)

JohannesgegenKerinthusDie christologische Polemik des Apostels Johannes kann durchaus als direkte Widerlegung der doketischen Sichtweise verstanden werden Er kann aber auch darauf abgezielt haben den bdquoPossessionismusrdquo von Kerinthus zu widerlegen den Kerinthus wahrscheinlich nicht selbst erfunden sondern sich selber zu seinem Champion gemacht hat291 Eine weitere (Irr-)Lehre von Kerinthus war dass der Christus bei seiner Taufe auf Jesus herabgestiegen war bdquoJesus Christusrdquo war nicht eine Person sondern zwei bdquoJesusrdquo war im Fleisch gekommen aber bdquoChristusrdquo

288 Matt Perman ldquoHow Can Jesus Be God and Manrdquo Desiring God 5 October 2006 Web 25 July 2015

unsere Hervorhebung (Wie kann Jesus Gott und Mensch sein) 289 JI Packer Knowing God (Downers Grove IVP 1993) p 53 290 Perman unsere Hervorhebung 291 Hippolytus sagt dass Kerinthus zuerst in aumlgyptischer Weisheit erzogen wurde Laut Irenaumlus scheint er

jedoch seinen Ursprung in Asien zu haben und Irenaumlus Geschichte uumlber den Konflikt zwischen Ker-inthus und Johannes spielt sich in Ephesus ab Siehe C Wilfred Griggs Early Egyptian Christianity From Its Origins to 451 CE (Leiden Brill 2000) p 47 (Fruumlhes aumlgyptisches Christentum Von den Anfaumlngen bis 451)

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war nicht im Fleisch gekommen Johannes scheint diese Unterscheidung aufs Vi-sier zu nehmen indem er sagt bdquoViele Verfuumlhrer sind in die Welt hinausgegangen dieje-nigen die Jesus Christus nicht als im Fleisch kommend anerkennen Das ist der Betruumlger und der Antichristrdquo (2 Joh 17) Dass die kerinthische Christologie das Ziel dieser War-nung hier von Johannes war oder eine zusaumltzliche Zielidee wird durch den His-toriker Irenaumlus verstaumlrkt der einen persoumlnlichen Konflikt zwischen Johannes und Kerinthus erwaumlhnt292 Die Schriften des Johannes einschlieszliglich seines Evange-liums wurden von den Kirchenvaumltern tatsaumlchlich als bdquoein Gegenmittel gegen diese Ketzereirdquo293 angesehen und es gibt Gruumlnde diese Ansicht zu respektieren Wir denken an den ausdruumlcklichen Grund weshalb Johannes das vierte Evange-lium verfasste bdquoDiese aber sind geschrieben damit ihr glaubt dass Jesus der Christus ist der Sohn Gottes und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namenrdquo (Joh 2031) Diese Aussage stimmt mit den Gefuumlhlen in seinem anti-gnostischen Brief uumlberein (1 Joh 513) Fuumlr Johannes sind Jesus und der Christus ein und dieselbe Person und diese Einheit ist wirklich menschlich

Wenn nun moderne Christen die gnostische Christologie und das Argument des Johannes dagegen houmlren denken sie oft an einen reinen Doketismus der das Mensch-Sein Christi voumlllig verleugnet hat Aber die uumlbergeordnete Sorge des Jo-hannes ist einfach dass die Person der Mensch namens bdquoJesus Christusrdquo durch eine [weithergeholte] Verbindung mit einem goumlttlichen Wesen kompromittiert wird und diese Bloszligstellung wird von allen gnostischen Christologien erreicht Besonders bemerkenswert fuumlr unsere Studie ist die Tatsache dass weder Kerin-thus noch Valentinus die Humanitaumlt (das Mensch-Sein) des Erloumlsers verleugnet haben die Humanitaumlt wohnte [angeblich] neben der Goumlttlichkeit und spielte eine wichtige Rolle zum Erlangen des Heils Das Schreiben von Johannes gegen die kerinthische Vision und damit gegen eine Christologie die zwischen dem wahr-haft Menschlichen und dem wahrhaft Goumlttlichen im Erloumlser unterscheidet hatte ernsthafte Auswirkungen auf das orthodoxe Christentum

DervalentinischeChristusIm valentinischen Gnostizismus finden wir die alarmierendsten Verbindungen zur orthodoxen Christologie Der Valentinismus die populaumlrste und am weites-ten verbreitete der christlich-gnostischen Schulen wurde in der ersten Haumllfte des

292 Siehe Irenaumlus Gegen Ketzerei 3 11 1-2 Laut Irenaumlus erzaumlhlte Polykarp eine Geschichte die ihm der

Apostel Johannes uumlberliefert hatte Johannes war einmal in ein Badehaus in Ephesus eingetreten und als er sah dass Kerinthus im Inneren war stand er auf und eilte aus dem Gebaumlude und sagte bdquoLasst uns fliehen damit nicht sogar das Badehaus einstuumlrzt denn Kerinthus der Feind der Wahrheit ist im In-nerenrdquo (Ebenso 3 3 4)

293 J B Lightfoot The Apostolic Fathers Part II S Ignatius S Polycarp (London Macmillan and Co 1889) pp 379-383

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zweiten Jahrhunderts von dem brillanten und eloquenten gnostischen Lehrer Va-lentinus (gest 160 n Chr) gegruumlndet Valentinus studierte zuerst in Aumlgypten und ging um 136 n Chr nach Rom294 um dort zu lehren Der Einfluss der groszligen und vielfaumlltigen Sekte die von ihm gelernt hat (und die oft weit uumlber seine ur-spruumlngliche Vision hinaus ausgearbeitet wurde) ist noch nicht ausreichend und umfassend gewuumlrdigt worden Wie moderne Gelehrte zeigen bdquowaren die valenti-nischen Anhaumlnger weit davon entfernt nur eine lokale Sekte von begrenztem Interesse zu sein denn ihre Ideen durchdrangen das ganze Christentumrdquo295 Sie waren zweifellos einer der gefaumlhrlichsten Feinde der proto-orthodoxen Christen und Justin Irenaumlus Hippolytus und Tertullian schrieben alle temperamentvolle fast verzweifelte Bitten an die christliche Welt sich ihrer Theologie zu widerset-zen Hippolytus berichtet dass es tatsaumlchlich eine Spaltung unter den Valentinia-nern gab sie waren offensichtlich in ausgedehnte Regionen von Ost und West unterteilt und Hippolytus informiert uns dass diese Spaltung der Schulen uumlber die Einzelheiten der erstaunlichen valentinischen Christologie erfolgte296 Valen-tinus selbst dessen Sichtweise offenkundig der bdquooumlstlichenrdquo aumlhnelt hatte einen anderen gnostischen Jesus dargestellt Auch in dem bisher beschriebenen Doke-tismus hatte der Christus keinen wirklichen (menschlichen) Koumlrper sondern schien nur einen fuumlr die begrenzten Gemuumlter in seiner Umgebung zu haben Nach kerinthischer Auffassung war Jesus der wahre menschliche Sohn von Josef und Maria bei seiner Taufe zeitweilig von Gott besessen Im System von Valentinus hingegen hatte der goumlttliche Christus einen Koumlrper und dieser Koumlrper war durch die Jungfrau Maria geboren worden Ein Lexikon dokumentiert das wie folgt

Es scheint dass Valentinus nur teilweise doketisch war Er gab zu dass Jesus einen echten Koumlrper besaszlig der in der Lage war die Sinne wirklich zu beeinflussen Er argumentierte dass wenn un-ser Herr nicht die Substanz des Fleisches im Schoszlig der Jungfrau

294 ldquoValentius (Gnostic)rdquo Encyclopedia Britannica 1911 Web 29 September 2014 295 Griggs p 55 unsere Hervorhebung 296 Hippolytus Refutation of All Heresies - Widerlegung aller Ketzereien 6 35 Moderne Gelehrte unter-

scheiden ebenfalls oft zwischen dem bdquooumlstlichenldquo oder bdquoasiatischenldquo Valentinianismus und dem bdquoitalien-ischenldquo oder bdquowestlichenldquo Valentinianismus Kalvesmaki stellte in seinem Artikel von 2008 diese geo-grafische Einteilung auf der Grundlage unzuverlaumlssiger historischer Zeugnisse in Frage (Joel Kalvesmaki bdquoItalienischer versus oumlstlicher Valentinianismusldquo) Vigilae Christianae Band 62 (Leiden Brill 2008) S 79-89) Unabhaumlngig davon hatte Christus in dieser angeblich bdquooumlstlichenldquo Version (anscheinend die aumlltere Sichtweise) nur einen geistlichen pneumatischen Koumlrper Im Westen hatte Christus sowohl einen geist-lichen als auch einen psychischen Koumlrper Die Gruumlnde fuumlr diese Unterscheidung waren soteriologischer Natur Die Gnostiker behaupteten pneumatische Naturen zu haben waumlhrend die nicht-gnostischen Christen psychische Naturen hatten - die nicht-gnostischen Christen benoumltigten einen psychischen Jesus um sie am Kreuz zu retten Der westliche Zweig glaubte also dass die Christen auch ohne Gnosis ger-ettet werden koumlnnten aber die hylic (materiellen) Voumllker die Nicht-Christen waren ohne Erloumlsung Siehe R van den Broek Gnostic Religion in Antiquity (Cambridge CUP 2013) pp 193ff (Gnostische Religion in der Antike)

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angenommen haumltte er nicht der wahre Mensch haumltte sein koumlnnen der Hunger Durst und Muumldigkeit litt der am Grab des Lazarus weinte der Blutstropfen schwitzte aus dessen verwundeter Seite Blut und Wasser hervorgingen297

Gemaumlszlig dieser Gruppe gnostischen Denkens war bdquodie Menschwerdung und der Kontakt mit dem physischen Koumlrper real sie betonten die Verbindung zwi-schen den goumlttlichen und menschlichen Elementen in Christusrdquo298

In der oumlstlichen valentinischen Sichtweise begann die Vereinigung dieser Ele-mente im houmlchsten Himmel Die Engelsaumlonen (Kraumlfte Gottes) hatten gemeinsam eine neue goumlttliche Einheit Jesus hervorgebracht und ihn durch den Himmel hinabgeschickt Als er in unsere Welt herabstieg gab ihm der Aumlon namens Aca-moth (die Untergottheit Sophia = Weisheit) einen unverdorbenen menschlichen Koumlrper der bdquoso gemacht wurde dass er sichtbar und fuumlhlbar war und leiden konnterdquo299

Nach Angaben der westlichen Valentinianer war es jedoch eigentlich der Demi-urg (eine etwas positivere Figur in diesem System) der seinen menschlichen Koumlr-per konstruierte Schlieszliglich ging dieser Jesus in und durch den Schoszlig der Jung-frau bdquowie Wasser durch ein Rohrrdquo300 Im westlichen System war es die Taufe die-ses speziell gefertigten menschlichen Jesus die den Demiurg mit dem goumlttlichen Christus bekleidet hat Waumlhrend der menschliche Jesus und der goumlttliche Christus zwei verschiedene Persoumlnlichkeiten waren war es bei der Inkarnation das himm-lische Ich eine goumlttliche Person Christi die zum operativen Zentrum der beiden

297 William C Piercy Henry Wace (ed) ldquoDocetismrdquo A Dictionary of Christian Biography and Literature

to the End of the Sixth Century AD with an Account of the Principal Sects and Heresies (Peabody Hendrickson Publishers 1999) p 272 (Ein Woumlrterbuch der christlichen Biographie und Literatur bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts n Chr mit einem Bericht uumlber die wichtigsten Sekten und Haumlre-sien) Siehe auch Valentinus Letter to Agathopus ap Clem Alex Strom III 7 451 (Brief an Aga-thopus) Es gibt hier eine offensichtliche und erschreckende Aumlhnlichkeit mit der orthodoxen Darstellung Jesu eine koumlrperliche menschliche Natur die leiden kann verbunden mit einem houmlchsten und transzen-denten (= jenseitigen) Gott

298 Piotr Ashwin-Siejkowski Clement of Alexandria on Trial (Leiden Brill 2010) p 108 Ein mysterioumlses gnostisches Werk mit dem Titel Melchisedek enthuumlllt dass einige Gnostiker das Essen und Leiden Jesu als Beweis gegen eine rein doketische Sichtweise verwendeten Dies zeigt ihr bdquoBewusstsein fuumlr die alter-nativen (doketischen) Modelle und Lehrenrdquo das im Gegensatz zu ihrer Zwei-Naturen-Ansicht steht

299 Broek Gnostische Religion in der Antike S 194 Der Koumlrper den der Sohn annahm obwohl er speziell angefertigt war war immer noch voumlllig menschlich und in der Lage die Fuumllle der menschlichen Erfahrung zu erleben Ebenso S 193

300 Irenaeus Against Heresies 1 7 2

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Wesen wurde301 Die Natur dieser beiden Wesenheiten sollte waumlhrend des irdi-schen Lebens des Erloumlsers vielfaumlltige und kritische Aufgaben erfuumlllen Moderne gnostische Historiker anerkennen

Das Verstaumlndnis seiner Inkarnation legt groszligen Wert auf seine menschliche und seine goumlttliche Natur Allein der menschliche Je-sus starb am Kreuz denn das Goumlttliche uumlbersteigt Schmerz und Tod Das unterscheidet sich deutlich vom bdquoDoketismusrdquo Die Va-lentinier behaupteten nie dass Jesus nur zu leiden schien oder dass sein Koumlrper eine [bloszlige] Erscheinung war302

Tatsaumlchlich beschreiben die valentinischen Theologen Jesus ausdruumlcklich als bdquoge-kommen um in den kosmischen Bereich einzudringen und die sbquoSchwaumlchersquo des menschlichen Zustandes zu teilenrdquo303 Die Parallelen zwischen der valentinischen Christologie und dem was sich zwei Jahrhunderte spaumlter schlieszliglich als Ortho-doxie manifestierte sind auffallend Wie in der spaumlteren Orthodoxie hatten die Valentinianer das Leiden und den Tod Jesu nur in seiner Menschlichkeit verstan-den304 und trotz des Uumlberlebens der goumlttlichen Person war es nur die goumlttliche Person die sich qualifizierte die Erloumlsung fuumlr Suumlnden zu vollziehen305 Das Goumltt-liche erlebte so die Trauer des Todes aber nicht den Tod selbst306 Erstaunlicher-weise aumlhnelt der Grundgeruumlst der valentinischen Christologie sehr stark der Grundhaltung der modernen Trinitarier von heute Christus war eine goumlttliche Einheit eine Hypostase des houmlchsten Gottes der buchstaumlblich vom Himmel her-unterkam und zwei vollstaumlndige Naturen genoss eine durch die er alle wunder-samen und heilbringenden Vorrechte des houmlchsten Gottes ausuumlben konnte und die andere die eine wahre menschliche Erfahrung und einen Koumlrper ergab der zu Hunger Schmerz und Tod faumlhig war

Was bedeutet das alles Im Wesentlichen hatte eine weithin einflussreiche ketze-rische Sekte eine hochentwickelte (Irr-)Lehre von der zweifachen Natur Jesu ge-foumlrdert lange bevor sich die oumlkumenischen Konzile der katholischen Kirche je-

301 J L Mosheim Historical Commentaries on the State of Christianity During the First Three Hundred

and Twenty-Five Years Vol 1 (New York Converse 1851) p 467 302 David Brons ldquoThe Role of Jesus in Valentinianismrdquo The Gnostic Society Library Web 25 July 2015 303 Elaine Pagels The Gnostic Paul Gnostic Exegesis of the Pauline Letters (New York Bloomsbury

1992) p 147 304 Siehe Irenaeus Against Heresies 1 7 2 (Gegen die Haumlresien) 305 Siehe Interpretation of Knowledge 1229-31 (Auslegung des Wissens) 306 In der wahrscheinlich vom valentinischen Leukio herausgegebenen Apostelgeschichte des Johannes (2

Jahrhundert n Chr) offenbart Christus bdquoWas [die nicht-gnostischen Christen] uumlber mich sagen das habe ich nicht ertragen aber was sie nicht sagen das habe ich erlittenldquo (Johannes-Apostelgeschichte 101)

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mals trafen Bei jedem weiteren Schritt wird der Vergleich jedoch beunruhigen-der Ein valentinisches Dokument erklaumlrt dass Christus bdquodie Menschheit und die Goumlttlichkeit besaszlig urspruumlnglich von oben bevor die Struktur des Kosmos entstandrdquo307 waumlhrend spaumlter auch orthodoxe trinitarische Aussagen zu lesen sind dass Chris-tus bdquoGoumlttlichkeit und Menschlichkeit gemeinsamrdquo308 besaszlig und bdquovom Vater vor allen Wel-ten (dem Kosmos) geboren wurderdquo309 Sollte uns diese bdquoHarmonierdquo beunruhigen Der Apostel Johannes verurteilte diejenigen die fuumlr die Gottheit Christi (in irgendei-ner Form) eintraten als Antichrist310 Natuumlrlich bekraumlftigt der moderne Trinita-rier dass Johannes die Gottheit Jesu im gnostischen Sinne ablehnt behauptet aber dass Johannes ihr im trinitarischen Sinne zugestimmt haben musste Trotz dieser Spekulation bleibt jedoch die Tatsache bestehen dass Johannes der gnos-tischen Lehre uumlber die Gottheit Jesu ausschlieszliglich eine feste und schlichte Be-hauptung seiner Humanitaumlt (= Menschlichkeit) entgegengesetzt hat311

Aber wie kann es sein dass gnostische Ansichten in der spaumlteren Kirche jemals als orthodox aufgegriffen wurden Wurden die Gnostiker nicht oumlffentlich und wieder-holt von den wahren Christen verurteilt Heute haben Wissenschaftler begonnen Licht in die fragwuumlrdige (gnostische) Vergangenheit der Hafenstadt Alexandria zu bringen dem groumlszligten akademischen Zentrum des Roumlmischen Reiches Wir erkennen nun dass das aumlgyptische Christentum im zweiten und dritten Jahrhun-

307 Treatise on the Resurrection (Letter to Rheginus) 44 (Zur Auferstehung) 308 Second Epistle of St Cyril to Nestorius Council of Ephesus 431 CE 309 Niceno-Constantinopolitanisches Credo 381 CE 310 Siehe J A T Robinson Twelve More New Testament Studies (London SCM Press 1984) p 142 (12 weitere

NT-Studien) 311 Siehe die erweiterte Argumentation eines Gelehrten zu diesem Punkt bdquoDie Lehre von der Goumlttlichkeit

Christi entstand bei den schlimmsten Feinden des Evangeliums als eine fadenscheinige Bitte das Evan-gelium selbst zu zerstoumlren Einige der Gnostiker erlaubten dass Jesus der Christus sei aber dass er ein Gott in der leeren Form oder dem Aussehen eines Menschen sei Diese wurden Docetae (dem Doketis-mus folgend) genannt Die andere Klasse von der die fuumlhrenden Maumlnner Kerinthus und Simon waren lehrte dass Jesus nicht der Christus war sondern dass der Christus Gott war der bei seiner Taufe auf Jesus herabgestiegen war waumlhrend seines Dienstes auf ihm wohnte und dann vor seiner Kreuzigung entfloh [die Gruppe] lehrte dass dieser Gott den Christus konstituierte und lehnte den Menschen Jesus ab Die Kerinthier (und die Valentinier) behaupteten also dass Christus Gott sei Johannes dass er der Sohn Gottes sei Mit dieser Ansicht schrieb er seinen Brief um zu beweisen dass Jesus der Sohn Gottes ist im Gegensatz zu den Gnostikern die lehrten dass Christus Gott war Johannes schrieb dann um zu beweisen dass Christus ein echter Mensch war und er schrieb gegen diejenigen die seine Goumlttlichkeit lehrten Wie kann es dann sein dass er nicht alle Lehren was auch immer von der Goumlttlichkeit Christi ist verurteilt wenn er diejenigen die seine Goumlttlichkeit lehrten Luumlgner falsche Propheten und Antichristen nennt [Trinitarier] bekraumlftigen dass Johannes obwohl er die Goumlttlichkeit Christi im gnostischen Sinne leugnet sie im orthodoxen Sinne behauptet Meine Position hingegen ist dass der Apostel wenn er die wahre Menschheit (Humanitaumlt) Christi bejaht seine einfache Menschheit bekraumlftigt und wenn er seine Goumlttlichkeit in einem Sinne leugnet ihr jeden Sinn verweigertrdquo (Ben David The Monthly Repository of Theology and General Literature p 469 unsere Hervorhebung)

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dert bdquosehr offen war und durch eine Vielzahl von Stroumlmungen innerhalb der ei-nen Kirche gekennzeichnet warrdquo312 Es ist interessant dass es keinerlei Beweise dafuumlr gibt dass gnostische Meister wie Valentinus und Basilides waumlhrend ihrer Karriere jemals aus der aumlgyptischen Kirche ausgeschlossen wurden313 In der Tat sollte uns das uumlberraschen denn sowohl Basilides als auch Valentinus lehrten offen die gnostische Lehre vom geringeren Demiurg dass der Gott der juumldischen Bibel nicht der houmlchste Gott sei Diese Lehre haumltten die Christen dieser Region sofort zuruumlckgewiesen waumlren sie nicht bereits weitgehend bdquognostifiziertrdquo (dh vom Gnostizismus unterwandert) worden Wenn wir uns daran erinnern wie wichtig der Beitrag der Alexandriner bei der Festlegung der Christologie in Nicaumla (325 n Chr) war fragen wir uns allen Ernstes ob wir in Alexandria vielleicht eine Vermittlungspartei zwischen dem verurteilten Gnostizismus und dem orthodo-xen Christentum entdecken diese Vermittlungspartei fuumlhrte spaumlter den gnostischen Jesus - neu formuliert - in die weitverstreute christliche Welt wieder ein

DasgnostischeKreuzunddiezweiPersonenWir koumlnnen die gnostische Christologie die im Christentum unterschwellig vor-handen ist weiter entdecken wenn wir die Sichtweise vieler moderner Trinitarier auf die Kreuzigung betrachten Gerade in evangelischen Kreisen houmlren wir oft die Behauptung dass nur der bdquomenschliche Teil Christirdquo am Kreuz gestorben sei Der populaumlre reformierte Theologe R C Sproul bestaumltigt dass der zweiten Per-son der Dreifaltigkeit der wirkliche Tod erspart geblieben sei Er empfiehlt dass wir vor der Vorstellung das goumlttliche Wesen sei am Kreuz gestorben314 bdquovor Entsetzen zuruumlckschreckenrdquo sollten Andere evangelische Quellen stimmen dem zu bdquoDer Tod ist etwas das nur von der menschlichen Natur erfahren wird Der Sohn die Zweite Person der Dreifaltigkeit hat den Koumlrper verlassen den er auf der Erde voruumlbergehend bewohnt hat aber seine goumlttliche Natur ist nicht gestor-ben und das konnte er [Gott-Sohn] auch nichtrdquo315 Tatsaumlchlich ist diese Meinung unter den evangelischen Gelehrten auch heute noch weit verbreitet bdquoAm Kreuz verlieszlig die goumlttliche spirituelle Natur den Koumlrper den er besessen hatterdquo316 Die Trinitarier verschreiben sich damit ausdruumlcklich der gnostischen Sichtweise denn sowohl nach Ansicht der kerinthischen als auch der valentinischen Gnostiker gilt

312 Gilles Quispel ldquoOrigen and Valentinian Gnosisrdquo Gnostica Judaica Catholica (Leiden Brill 2008) p 291

293 313 Ebenso 314 R C Sproul ldquoDid God Die on the Crossrdquo Ligonier Ministries 14 April 2014 Web 27 October 2014

(Ist Gott am Kreuz gestorben) 315 ldquoDid God Dierdquo Got Questions Ministries Web 16 December 2014 (Ist Gott gestorben) 316 Frederic Dan Huntington (ed) The Monthly Religious Magazine Vol 15 (Boston Leonard C Bowles

1856) p 198

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bdquoBevor Jesus starb (da das Goumlttliche nicht sterben kann) verlieszlig ihn der Chris-tusrdquo317 Deshalb rief der gekreuzigte Jesus nach ihrer Exegese bdquoMein Gott mein Gott warum hast du mich verlassenrdquo (Mat 2746)

Sowohl die Gnostiker als auch die Trinitarier mit ihrer Unterscheidung von Menschlichkeit (Humanitaumlt) und Goumlttlichkeit (Divinitaumlt) im Erloumlser setzen sich einer gefaumlhrlichen Frage aus wenn es um das Kreuz geht Wer ist gestorben War es die menschliche Natur Jesu die zerstoumlrt wurde oder die Person Jesu Wie wir gesehen haben ist die menschliche Natur des Christus der Orthodoxie eine Abs-traktion die der diesseitigen Welt nichts zu verdanken hat Kann so ein Konstrukt fuumlr Suumlnden bezahlen Kann es uumlberhaupt sterben Das Neue Testament sagt klar dass es bdquoder Sohn Gottesrdquo war der gestorben ist (Roumlmer 510 832 Joh 316) De facto ist es der Selbstaufopferungstod der Person Jesu der die Voraussetzung zur Versoumlhnung schafft Aber sowohl in der doketischen als auch in der valenti-nischen Christologie erlischt die goumlttliche Person nicht wirklich entweder ein Menschenbild [Imago] oder eine unterscheidbare menschliche Person scheidet da-hin Ebenso aus trinitarischer Sicht entkommt die Person des Sohnes letztlich der Zerstoumlrung Wenn der trinitarische Gottessohn das Kreuz nicht endguumlltig uumlber-lebt dann ist der Sohn von Natur aus nicht unsterblich mit-ewig (co-eternal) und fuumlr die Gottheit essentiell die orthodoxe Trinitaumlt selbst erlischt mit seinem letzten Atemzug Wie Sproul zustimmt bdquoWenn Gott stirbt stirbt alles mit ihm Offen-sichtlich konnte Gott dann nicht am Kreuz untergehenrdquo318 Aber als Aquinas be-staumltigte dass die einzige Person im trinitarischen Jesus die Person Gottes ist wurde uns klar dass uumlberhaupt niemand am Kreuz gestorben sein kann

Dies verursacht der Versoumlhnung offensichtliche und ernsthafte Schwierigkeiten und die Orthodoxie wird noch mehr in eine gefaumlhrliche Uumlbereinstimmung mit den Gnostikern gebracht die sie eigentlich verurteilen So wie der valentinische Christus die Trauer des Todes erlebt hat aber nicht wirklich gestorben ist so stimmt Grudem zu dass der orthodoxe Christus bdquoirgendwie etwas von dem ge-kostet hat wie es war durch den Tod zu gehen Die Person Christi hat den Tod erlebtrdquo319 So wie die gnostische Kreuzigung kein wirklicher oder bedeutungsvol-ler Tod fuumlr die goumlttliche Person war sondern eine Illusion so ist auch die trinita-rische Vision nur ein Taschenspielertrick ein Ersatz des historischen Sohnes Gottes fuumlr eine leere menschliche Natur - eine Reflexion

Apologetisch gesehen waren die modernen Trinitarier in diesem Punkt nicht so erfolgreich wie die Kerinthier und Valentinier Evangelische Argumente fuumlr die

317 Ehrman Lost Christianities p 15 318 Sproul ldquoDid God Die on the Crossrdquo 319 Wayne Grudem Systematic Theology An Introduction to Biblical Doctrine (Downerrsquos Grove InterVarsity

Press 1994) p 556

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Gottheit Christi beinhalten oft die Behauptung dass wenn Jesus nicht Gott waumlre sein Tod fuumlr die Suumlnden nicht haumltte bezahlen koumlnnen320 Aber nach dem Neuen Testament ist Gott bdquounsterblichrdquo (1 Tim 616) und das bedeutet einfach dass das was bdquoSterbenrdquo ist Gott nicht tun kann Sowohl die Gnostiker als auch die Trinitarier wissen das aber erstere erweisen sich als vernuumlnftiger indem sie bdquoChristusrdquo zu einer anderen Person machen als bdquoJesusrdquo Fuumlr die Gnostiker ist es gerade weil sie an die Gottheit Christi glauben notwendig den Christus vor dem Tod zu bewahren und diese Zerstoumlrung auf ein anderes Wesen zu beschraumlnken Die Rechtfertigung des Evangeliums wird hier endguumlltig verdorben Es haumllt die Person Gottes ebenfalls vom Untergang ab behauptet aber gleichzeitig seinen Untergang als notwendig fuumlr die Erloumlsung der Menschheit So findet sich der letzte Ausweg aus der Orthodoxie in dieser beruumlhmten Hymne Geheimnis groszlig Gott selber stirbt321 Aber nicht nur die Suumlhne wird hier in den Schatten gestellt sondern das ganze christliche Leben Die historische Tatsache dass bdquoChristus gestorben istrdquo (Roumlmer 149) ist sowohl die Motivation des neutestamentlichen Glaumlubigen fuumlr heute als auch seine Hoffnung auf morgen bdquoDenn wenn wir glau-ben dass Jesus gestorben ist und wieder auferstanden ist dann wird Gott dieje-nigen die eingeschlafen sind mit sich bringenrdquo (1 Thes 414) Aber der heil-bringende Akt Jesu wird unverstaumlndlich und unglaubhaft gemacht solange die Person Jesu unsterblich gemacht wird Gerade damit gelingt das Kerinthische wie auch das Valentinianische Modell das orthodoxe Konzept der Inkarnation hat keine praktische religioumlse Bedeutung mehr

In der spaumlteren Geschichte der Kirche houmlrte die Bekraumlftigung der Gottheit Christi nicht auf um eine bdquovalentinischerdquo Unterscheidung der Personen innerhalb des Erloumlsers zu erflehen Dies ist die Schlussfolgerung die die gnostische These dass Christus von Natur aus Gott ist unweigerlich nach sich zieht und die der oumlku-menische Trinitarismus bis heute noch nicht ausreichend umschifft hat Wie wir spaumlter ausfuumlhrlich darlegen werden haben orthodoxe Urteile in den Konzilen von Konstantinopel (381 und 680 n Chr) tatsaumlchlich angeordnet dass in Jesus nicht nur die goumlttliche Person des Logos sondern auch eine andere bdquorationale menschliche Seelerdquo wohnt Das bedeutete dass die menschliche Natur des Erlouml-sers neben seinem goumlttlichen Verstand und goumlttlichen Willen auch einen mensch-lichen Verstand und einen menschlichen Willen bewahrt hatte Dennoch so sag-ten sie gab es in Jesus nur noch eine Person - eine goumlttliche Person Natuumlrlich ist es immer noch sehr schwer zu erkennen wie eine volle menschliche Natur ein

320 bdquoDer wichtigste Grund warum Jesus Gott sein muss ist dass wenn er nicht Gott ist sein Tod nicht

ausreichen wuumlrde um die Strafe fuumlr die Suumlnden der Welt zu zahlen Nur Gott koumlnnte eine so unend-liche Strafe zahlen Nur Gott kann die Suumlnden der Welt auf sich nehmen sterben und auferstehenrdquo (S Michael Houdmann Got Questions Bible Questions Answered (Bloomington Westbow Press 2014) p 41)

321 Charles Wesley ldquoAnd Can it Berdquo Psalms and Hymns (1738) (Kann es denn sein daszlig Gott mir gibt Ch Wesley 2 Strophe Geheimnis groszlig Gott selber stirbt)

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menschlicher Geist und ein menschlicher Wille in Jesus keine andere menschliche Person darstellen Aus diesem Grund trat man in den fruumlhen Phasen der Ent-wicklung der Vorstellung entgegen dass Christus eine menschliche Seele habe Als Origenes im dritten Jahrhundert lehrte dass Christus auch eine menschliche Seele habe wurde er von seinen Zeitgenossen beschuldigt zwei Christusse zu predigen Dies war nach Ansicht seiner Kritiker bdquodas logische Ergebnis seiner These dass der Gott-Mensch eine menschliche Seele besaszligrdquo322 Dieses grosse Spannungsfeld mit der Moumlglichkeit dass zwei Personen im Erloumlser sein koumlnnen loumlste sich nie auf auch wenn die menschliche Seele Christi schlieszliglich den Weg in die Orthodoxie fand Daraufhin war der bdquoketzerischerdquo Theologe Apollinaris aus dem vierten Jahrhundert gezwungen zu lehren dass Christus keine mensch-liche rationale Seele (Geist und Wille) sondern nur eine goumlttliche hatte323 Er er-kannte die Auswirkungen des orthodoxen Systems Die beiden Verstande (engl minds) die zwei Willen und die zwei Naturen im Erloumlser waren trotz aller So-phisterei wirklich zwei Personen Einige evangelische Autoritaumlten haben dies heute ebenfalls erkannt324 Aber Apollinaris mit seiner Behauptung nur einen goumlttlichen Geist in Jesus zu sehen wurde von den Orthodoxen verurteilt - die rationale menschliche Seele sollte neben dem Goumlttlichen in Christus bleiben So wuumlrde der valentinische Retter der sich aus rationalen menschlichen und goumlttli-chen Wesen zusammensetzt ebenfalls uumlberleben wenn auch in orthodoxer Ge-stalt

Natuumlrlich werden die Trinitarier protestieren dass sie nicht wie die Valentinianer zwei Personen in Christus einsetzen Zum Beispiel haben Evangelikale darauf hingewiesen dass der orthodoxe Jesus bdquonie von sich selbst als Wir spricht son-dern immer als Ichrdquo325 Aber der valentinianische Christus auch mit seinen bei-

322 J N D Kelly Early Christian Doctrines (Peabody Prince Press 2007 [1960]) p 160 323 bdquoApollinaris glaubte dass die Inkarnation Gottes in Jesus Christus leicht erklaumlrt werden koumlnnte indem

man sagte dass er ein menschlicher Koumlrper und eine menschliche Seele (belebende Lebenskraft) ohne eine menschliche rationale Seele (Geist Seele) sei in Jesus Christus argumentierte Apollinaris wuumlrde der Platz einer menschlichen rationalen Seele oder eines menschlichen Geistes durch den goumlttlichen LogosWort den ewigen Sohn Gottes die zweite Person der Dreifaltigkeit erfuumllltrdquo (Roger E Olson Der mosaische Glaube Zwanzig Jahrhunderte der Einheit und Vielfalt (Downers Grove InterVarsity Press 2002) p 239)

324 Siehe William Lane Craig ldquoMonotheletismrdquo Reasonable Faith 21 September 2008 Web 20 Juli 2015 (Der Monotheletismus (von griechisch μόνος moacutenos bdquoeinzigrdquo bdquoalleinrdquo und θελῶ thelotilde bdquowollenrdquo) ist eine christologische Lehre der zufolge Christus zwei Naturen ndash eine goumlttliche und eine menschliche ndash aber nur einen Willen (Ziel Zielausrichtung) besitzt bdquoChristus hat seine eigene menschliche Natur aber sein Wille wird vollstaumlndig von der einen goumlttlichen Person bestimmtrdquo Anm d Uuml)

325 Perman argumentiert bdquoAufgrund der Vereinigung der Naturen in einer Person gelten die Dinge die nur von einer der Naturen Christi wahr und getan sind dennoch fuumlr die Person Christi und werden von ihr getanrdquo Mit anderen Worten Dinge die nur eine einzige Natur (in ihm) tut koumlnnen als von Christus selbst getan angesehen werden Ebenso gelten Dinge die fuumlr die eine Natur gelten aber nicht fuumlr die andere fuumlr die Person Christi als Ganzes Das bedeutet einfach ausgedruumlckt dass wenn es etwas gibt

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den Personen spricht auch als bdquoIchldquo Die Trennung von gnostischem und ortho-doxem Christus ist unterschwellig Wie Irenaumlus uumlber die Valentinier sagte bdquoSi-cherlich bekennen sie mit ihren Zungen den einen Jesus Christus aber in ihren Gedanken (zer-)teilen sie ihnrdquo326 Sowohl bei den orthodoxen als auch bei den valentinianischen Rettern gibt es zwei Seelen aber nur ein sbquoIchrsquo dominiert die goumlttliche Person327 Wie Mosheim erklaumlrt haben die Gnostiker offensichtlich die Psychologie des Erloumlsers an das Goumlttliche [in ihm] delegiert aus Angst dass die Dominanz des menschlichen Geistes Christus in Versuchung und Suumlnde gefuumlhrt haben koumlnnte328 Dieser gleiche Prozess das himmlische Ich das den Menschen in den Hintergrund stellt um die Erloumlsungsmission zu erfuumlllen findet auch im orthodoxen Jesus statt Waumlre dies nicht der Fall dann musste Jesus nicht wirklich goumlttlich sein um suumlndlos zu sein dieses gemeinsame trinitarische Argument fuumlr die Notwendigkeit der Inkarnation wird dadurch nutzlos gemacht dass Jesus ein Mensch ohne goumlttliche Faumlhigkeiten haumltte sein koumlnnen und das rettende Werk vollendet hat329 In Wirklichkeit besteht der einzige praktische Unterschied zwi-schen dem valentinianischen Gnostizismus und der Orthodoxie in diesem Punkt der beiden Naturen und zweier rationaler Seelen darin dass die Praumlsentation von zwei verschiedenen Personen zulaumlssig und unbestreitbar ist waumlhrend die von letzteren verdaumlchtig und fragwuumlrdig vorkommt330

Sollten wir uns angesichts des gnostischen Erloumlsers letztlich um die verschwom-mene Anerkennung dieser mystischen Gestalt die auf dem Sockel des populaumlren Christentums steht nicht mehr Gedanken machen Rudolph macht eine wichtige Beobachtung uumlber den Eingriff des gnostischen Jesus in den christlichen Geist des zweiten und dritten Jahrhunderts und die gefaumlhrliche Zugehoumlrigkeit die Gnostizismus und Orthodoxie durch die spaumltere synodische Verankerung des Dogmas erworben haben

was nur eine der Naturen Christi getan hat er immer noch sagen kann bdquoIch habe es getanrdquo (Perman ldquoHow Can Jesus Be God and Manrdquo)

326 Irenaeus Against Heresies 3 16 327 J L Mosheim Historical Commentaries on the State of Christianity During the First Three Hundred

and Twenty-Five Years Vol 1 (New York Converse 1851) p 467 328 Ebenso pp 465-471 329 See John Hick The Metaphor of God Incarnate (London Westminster John Knox Press 2005 [1993]) pp

58-60 330 bdquoWenn die menschliche Natur Christi ihren eigenen angemessenen Willen haumltte so dass Christus

buchstaumlblich zwei Willen haumltte wie das Konzil bestaumltigte dann gaumlbe es zwei Personen eine menschliche und eine goumlttliche Ich kann nicht verstehen wie die menschliche Natur Christi einen eigenen Willen haben koumlnnte der sich vom Willen der zweiten Person der Dreifaltigkeit unterscheidet und damit nicht eine Person waumlrerdquo (William Lane Craig ldquoMonotheletismrdquo)

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Die fruumlhchristlichen Vaumlter allen voran Irenaumlus und Tertullian wa-ren bemuumlht Formen zu finden welche die vorherrschende Zwei-teilung des einen Jesus Christus in einem nicht-gnostischen Sinne verstaumlndlich machen Eigentlich ist es ihnen nicht gelungen Schon von Harnack war gezwungen zu sagen bdquoWer kann behaupten dass die Kirche jemals die gnostische Lehre der beiden Naturen oder den valentiniani-schen Doketismus uumlberwunden hatrdquo Selbst die spaumlteren Kirchenkon-zile welche die christologischen Probleme in komplizierten heute kaum noch verstaumlndlichen Definitionen diskutierten schafften dies nicht die Einheit der Kirche scheiterte genau daran Es wurde oft vergessen dass gnostische Theologen Christus als bdquowesengleichrdquo (ho-moousios) mit dem Vater sahen bevor die kirchliche Theologie dies als Prinzip etablierte um seine volle Goumlttlichkeit zu erhalten331

DergnostischesbquoWesensgleichesbquo(homoousios)Da die Gnostiker behauptet hatten dass Jesus eine Manifestation des houmlchsten Gottes sei der die Menschheit aus den Faumlngen des boumlsen Schoumlpfers retten sollte bedeutete dies dass Jesus und der Gott des Alten Testaments effektiv gegenei-nander arbeiteten Als Antwort wuumlrde Johannes offenbar schreiben um der Welt die Lehren Jesu zu vermitteln die nicht nur seine wahre Humanitaumlt sein Mensch-Sein zeigen sondern auch hervorheben dass er mit dem alten Gott des Juden-tums eine gemeinsame Absicht und das gleiche Ziel hat (Joh 84054 1030) Nachdem die apostolische Aumlra zu verblassen begann fuumlllten die Philosophen schnell die Kirche schon wenige Jahre nach dem Schreiben des Johannes Sie fingen an sein Evangelium auf eine grundlegend andere Weise zu betrachten naumlmlich dass Johannes einen Christus praumlsentierte der nicht nur mit dem Schoumlp-fer in goumlttlicher Absicht sondern auch in goumlttlicher Substanz (im Wesen) vereint war Tatsaumlchlich wuumlrden sich die spaumlteren christlichen Theologen am Konzil von Nicaumla (325 n Chr) auf ein bestimmtes metaphysisches Wort einigen um die Be-ziehung zwischen Gott und seinem Sohn zu definieren bdquohomoousiosrdquo oder bdquodie-selbe Substanzrdquo oder auch bdquoWesensgleichheitrdquo Aber dieser Begriff der Kirche kam nicht aus der Lehre Christi oder irgendeines seiner Apostel Der Ursprung dieser praumlzisen philosophischen Beschreibung scheint nach allen Berichten die gefuumlrchteten Gnostiker selbst gewesen zu sein Johannes hatte gegen die gnosti-schen Parteien gekaumlmpft um den Glauben zu bewahren Die Gnostiker lieferten schlieszliglich doch die lehrmaumlszligige Sprache die beweisen wuumlrde dass der Glaube

331 Kurt Rudolph Gnosis The Nature and History of Gnosticism (New York Harper amp Row 1983) p 372

unsere Hervorhebung

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zunichte gemacht wurde und benutzten dazu sein eigenes Evangelium als Kata-lysator332 Es ist eine weitgehend vergessene Tatsache dass die bdquohomoousiani-scherdquo Definition als erstes verwendet wurde nicht von der fruumlhesten christlichen Gemeinschaft sondern von verschiedenen gnostischen Sekten zumindest vom zweiten Jahrhundert n Chr an333 Die Gelehrten sind sich voumlllig einig dass vor den Gnostikern kein konkreter Gebrauch nachgewiesen werden kann334

Die Christen die sich am Konzil von Nicaumla auf das Wort bdquohomoousiosldquo einigten haben es weder aus dem Neuen Testament gelernt noch von einem bdquoorthodo-xenrdquo christlichen Theologen Wie Professor Pier Franco Beatrice erklaumlrt ist die uumlberholte These dass das Wort bdquohomoousiosrdquo nur das griechische Aumlquivalent des lateinischen bdquouna substantiardquo sei und dass die Einfuumlhrung der Definition in Nicaumla nur die Uumlbernahme der westlichen Tradition von Tertullian sei bdquodefinitiv

332 Uumlberraschenderweise wurde genau das Evangelium das moumlglicherweise geschrieben wurde um die

Behauptungen der Gnostiker im Keim zu ersticken weitgehend von ihren spaumlteren Apologeten uumlber-nommen Groningen sagt dass bdquodie Gnostiker das Johannesevangelium sehr haumlufig genutzt habenrdquo (Gerard Groningen Gnostizismus des ersten Jahrhunderts Seine Herkunft und Motive (Leiden Brill 1967) S 103) Und E F Harrison verraumlt auch dass bdquoim zweiten Jahrhundert Bewegungen zweifelhafter Orthodoxie entstanden sind sie tendierten dazu dasjenige der Evangelien zu bevorzugen das fuumlr ihren Standpunkt am besten geeignet war So wurde Matthaumlus mit den Ebioniten verbunden Lukas mit den Anhaumlngern Markions und Johannes mit den meisten gnostischen Gruppenrdquo (E F Harrison Introduction to the New Testament (Grand Rapids Eerdmans 1964) p 303) J A T Robinson erklaumlrt dass bdquodie Beto-nung in den Briefen des Johannes uumlber Jesus der im Fleisch gekommen ist als Reaktion auf den do-ketischen Eindruck gesehen werden muss den seine Lehre offensichtlich hervorgerufen hat Aber schon die Tatsache dass die Reaktion so heftig war deutet darauf hin dass seine Absicht wirklich falsch dargestellt wurde fuumlr ihn ist die Irrlehre in der Tat sbquoantichristlichrsquordquo (JAT Robinson Twelve More New Testament Studies (London SCM Press 1984) p 142)

333 Philip Schaff History of the Christian Church (Grand Rapids Eerdmans 1985) p 628 See also Victor I Ezigbo Introducing Christian Theologies Vol 1 (Eugene Wipf amp Stock 2013) pp 154-155 (Geschichte der Christlichen Kirche)

334 ldquoIt is conceded today that homoousios had the first phase of its theological history in Gnos-ticismrdquo (Es wird heute eingeraumlumt dass der Homoousios die erste Phase seiner theologischen Geschichte im Gnostizismus hatte) (Aloys Grillmeier Christ in Christian Tradition Vol 1 (Atlanta John Knox Press 1975) p 269) Siehe auch Adolf von Harnack History of Dogma Vol 1 (Freiburg 1893) pp 284-285 n 3 Vol 2 pp 232-234 n 4 George Leonard Prestige God in Patristic Thought (London SPCK 1952 [1936]) pp 197-218 J N D Kelly Early Christian Creeds (London Longman 1972) pp 240-262 Frauke Dinsen Homoousios Die Geschichte des Begriffs bis zum Konzil von Konstantinopel (Kiel 1976) pp 4-11 Robert W Jensen ldquoThe Triune Godrdquo Christian Dogmatics Vol 1 (Philadelphia Fortress Press 1984) p 128 Beatrice also includes Ignacio Ortiz de Urbina Luis M Mendizabal Emphrem Boularand Frauke Dinsen Christopher Stead and Aloys Grillmeier in his analysis of the consensus (Pier Franco Beatrice ldquoThe Word lsquoHomoousiosrsquo from Hellenism to Christianityrdquo (PF Beatrice bezieht auch Ignacio Ortiz de Urbina Luis M Mendizabal Emphrem Boularand Frauke Dinsen Christopher Stead und Alois Grillmeier in seine Analyse des Konsenses mit ein (Pier Franco Beatrice bdquoDas Wort Homoousios vom Hellenismus zum Christentumldquo))The Free Library 2002 American Society of Church History 12 Jun 2016)

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abzulehnenrdquo sei 335 Tatsaumlchlich hatte Tertullian in seinen eigenen Lehren das La-teinische bdquouna substantiabdquo verwendet Er benutzte aber bdquoconsubstantialisrdquo oder bdquoconsubstantivusrdquo wenn er das gnostische Wort bdquohomoousiosrdquo in seinen Schrif-ten gegen die Valentinianer uumlbersetzte336 Daruumlber hinaus hatte Tertullian die Idee der goumlttlichen Substanz in einem materiellen Sinne genutzt aber bei Nicaumla wurde die Konsistenz speziell in einem immateriellen Sinne interpretiert337 Letztendlich bdquogibt es uumlberhaupt keine Beweise fuumlr eine sbquoorthodoxersquo oder sbquoroumlmischersquo Interpre-tation von bdquohomoousiosrdquo welche die in Nicaumla gewaumlhlte Formel vorweggenom-men haumltterdquo338 Wie Wissenschaftler feststellen bdquozeigt uns die Fruumlhgeschichte der nicaumlnischen sbquohomoousioslsquo (Wesensgleichheit) dass die Theologen der Kirche wahrscheinlich von den Gnostikern auf dieses Konzept und damit auf die Lehre der Emanation aufmerksam gemacht wurdenrdquo339

Die nicaumlnische Umsetzung dieses gnostischen Begriffs war wohl die kritischste und umstrittenste Anwendung eines theologischen Wortes in der Geschichte des Christentums und ist bis heute der fundamentale Grundsatz der Orthodoxie340 Wie wir spaumlter feststellen werden wurde die Empfehlung dieser Definition je-doch zuerst beim Konzil von Nicaumla ausgesprochen nicht von einem etablierten christlichen Theologen sondern von Konstantin dem Groszligen (er starb 337 n Chr) einem (bis kurz vor seinem Tod) ungetauften roumlmischen Kaiser341

Aber wie haben die vor-nicaumlnischen Gnostiker den Begriff bdquohomoousiosrdquo zum ersten Mal verwendet Wo haben sie gelernt Wie die Wissenschaftler erklaumlren bdquohaben die Gnostiker dieses Wort offensichtlich aus ihren aumlgyptischen und her-metischen Quellen entnommen und es zum ersten Mal in das christliche Lexikon

335 Ebenso 336 Siehe Tertullian Against the Valentinians 18 which describes the Aeons or hypostases in God as ldquocon-

substantial beingsrdquo 337 Siehe Eusebius Life of Constantine 35 338 Beatrice ldquoHomoousiosrdquo 339 Alois Grillmeier ldquoChrist in Christian Traditionrdquo From the Apostolic Age to Chalcedon Vol 1 (London

Mowbrays 1975) p 109 emphasis added 340 Heute bestaumltigen Trinitarier dass dieses notwendige Wort und sein Ursprung immer noch ihren Glau-

ben in eine unangenehme Lage bringen Ein Trinitarier raumlumt ein dass es bdquoseltsam ist zu sagen dass wir einen nicht-biblischen Begriff benennen muumlssen um die Lehre der Bibel zusammenzuhalten aber wir bekennen dass wir es tunrdquo (Jason Byassee Trinity The God We Donrsquot Know (Nashville Abingdon Press) Ch 1) Quelle Carlos Xavier (httpthehumanjesusorg)

341 bdquoDas Wort homoousious (Substanz) wurde im Nicaumlnischen Glaubensbekenntnis ausschlieszliglich durch den persoumlnlichen Auftrag von Konstantinrdquo (Beatrice bdquoHomoousiosldquo) eingefuumlhrt Nach Nicaumla schrieb Eusebius von Caumlsarea an seine Kirche bdquo[Konstantin] befahl allen der Lehre zuzustimmen und in Harmonie mit ihnen zu sein obwohl nur ein Wort sbquohomoousiosrsquo hinzugefuumlgt wurde das er selbst interpretierte Und unser Kaiser ein sehr weiser und frommer Mann dachte philosophisch auf diese Weiserdquo Eusebius letter quoted in Socrates Church History 1 8 (Der Brief von Eusebius zitiert in der Kirchengeschichte des Sokrates)

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aufgenommenrdquo342 Mit anderen Worten sein Ursprung ist eindeutig heidnisch Forscher glauben dass es verwendet wurde um bdquodie Identitaumlt der Substanz zwi-schen Erzeugung und Erzeugnisrdquo anzugeben und bdquodie Beziehung zwischen We-sen zu beschreiben die sich aus einer verwandten Substanz zusammensetzenrdquo Es wurde bdquoin Verbindung mit Begriffen der Emanation verwendetrdquo343 Wir fin-den den fruumlhesten gnostischen Gebrauch von bdquohomoousiosrdquo bei Basilides (117-138 n Chr) einem beliebten Lehrer aus Alexandria344 Andere Gnostiker wie der Valentinianer Claudius Ptolemaumlus (90-168 n Chr) haben diesen Begriff ebenfalls verwendet Lange bevor irgendwelche orthodoxen Konzile das Wort (homoousios) annahmen schrieb Ptolemaumlus dass es bdquodie Natur sbquodes Gutensbquo [= Gott] ist zu zeugen und das hervorzubringen was ihm aumlhnlich und homoousios (wesensgleich) istrdquo345 Dies war jedoch nicht die einzige vor-nicaumlnische Beruumlh-rung welche die Christenheit mit diesem Begriff haben sollte Eine weitgehend unbekannte Tatsache der Kirchengeschichte ist dass bdquohomoousiosrdquo von vorgaumln-gigen christlichen Konzilen verboten worden war bevor der Terminus 325 n Chr in Nicaumla dann doch akzeptiert wurde

Die Synode von Antiochia im Jahre 268 n Chr hatte sich mit dem Bischof von Antiochia Paulus von Samosata getroffen der behauptet hatte dass der mensch-liche Jesus den goumlttlichen Logos bei seiner Taufe in sich aufnahm Paulus von Samosata hatte das Wort bdquohomoousiosrdquo verwendet um die Beziehung zwischen dem Logos die er als unpersoumlnliche Eigenschaft betrachtete und Gott zu be-schreiben346 Dieser Begriff wurde im Christentum als fremd eingestuft Eine En-zyklopaumldie berichtet bdquoEs muss als sicher angesehen werden dass das Konzil den Begriff homoousios abgelehnt hatrdquo347 Ironischerweise verwendete das Konzil von Nicaumla etwa fuumlnfzig Jahre spaumlter aber trotzdem in seinem Glaubensbekenntnis

342 Beatirce ldquoHomoousiosrdquo For an analysis of the interchange between pre-Christian Egypt and Gnosti-

cism see Garth Fowden The Egyptian Hermes A Historical Approach to the Late Pagan Mind (Princeton Princeton University Press 1993) p 113ff

343 Victor I Ezigbo zitierte zuerst J N D Kelly (Early Christian Doctrines p 232) dann Lewis Ayres (Nicaea and Its Legacy p 93) in Introducing Christian Theologies Vol 1 p 155

344 Miroslav Marcovich Patristic Texts amp Studies 25 (Berlin Gruyter 1986) p 290f (Patristische Texte amp Studien) Der christliche Hippolytus von Rom (235 n Chr) bemerkte spaumlter in einer umfangreichen Kritik an Basilides dass er bdquovon den Lehren der Platoniker beeindruckt warrdquo und in seinem Verhaumlltnis zur Lehre von Basilides entdecken wir tatsaumlchlich bemerkenswerte Ideen die dem spaumlteren christlichen Denken aumlhneln Basilides sprach von einem Samen der Sohnschaft der von Gott hervorgebracht wurde das heiszligt bdquoin jeder Hinsicht von der gleichen Substanz (homoousios)rdquo wie Gott Zu dieser konsubstantiven Sohnschaft erfand Basilides auch eine Seele (Hippolytus zitiert Platons Phaedrus als Rechtfertigung dafuumlr) und er nannte die zugeordnete Seele bdquoden Heiligen Geistrdquo Siehe Hippolytus von Rom The Refutation of All Heresies Book VII

345 Siehe Ptolemyrsquos Letter to Flora as recalled by Epiphanius in Panarion 33 78 346 Charles Joseph Hefele A History of the Christian Councils From the Original Documents Book II (Edinburgh

T amp T Clark 1894) p 9 347 John Chapman ldquoPaul of Samosatardquo Catholic Encyclopedia

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ausgerechnet denselben Ausdruck uumlber die Beziehung zwischen Sohn und Va-ter348 Dies erwies sich fuumlr die Anhaumlnger von Nicaumla als eine peinliche Situation die Tatsache dass der Begriff bereits vom angesehenen Konzil in Antiochia ver-boten worden war wurde von den Arianern und anderen Gegnern des Nicaumlni-schen Glaubensbekenntnisses wiederholt in Erinnerung gerufen um die Unzu-laumlnglichkeit des Begriffs zu beweisen Trotz des bestehenden Verbots des Wortes wurde es aber schlieszliglich in den Dienst der Orthodoxie gestellt349 Aber wie ha-ben die spaumlteren Christen in Nicaumla den Begriff bdquohomoousiosrdquo dann verwendet Wie sah es Kaiser Konstantin der das Wort persoumlnlich auferweckt und in christ-liches und roumlmisches Recht umgesetzt hat Nachdem er jede Beziehung zwischen dem nicaumlnischen bdquohomoousiosrdquo und der vorangegangenen christlichen Tradition ausgeschlossen hat schreibt ein Gelehrter dass der Begriff

direkt aus Konstantins eigenem hermetischen [gnostischen] Hin-tergrund kam In der theologischen Sprache des aumlgyptischen Hei-dentums bedeutete das Wort homoousios dass der Nous-Vater und der Logos-Sohn zwei verschiedene Wesen sind welche die gleiche Perfektion der goumlttlichen Natur teilen350

Der Hermetismus eine von mehreren heidnischen Religionen die mit dem Kai-ser Konstantin in Verbindung gebracht wurden war eine mystische gnostische Tradition welche die Lehren und Mythen Griechenlands und des alten Aumlgyptens miteinander verband351 Letztendlich bdquobeweist die Verwendung von sbquohomoou-siosrsquo im hermetischen Traktat Poimandres fuumlr die gemeinsame Natur von Nous und seinem Sohn dem Logos [und] Konstantins Wissen uumlber den Hermetismusrdquo die

348 William G Rusch Ecumenical Reception Its Challenge and Opportunity (Grand Rapids Eerdmans 2007) p

18 349 Chapman ldquoPaul of Samosatardquo Catholic Encyclopedia 350 Pier Franco Beatrice ldquoThe Word lsquoHomoousiosrsquo from Hellenism to Christianityrdquo Church History Vol

71 No 2 (Cambridge CUP 2002) p 243 351 Zu den wichtigsten Texten der hermetischen Tradition gehoumlren The Corpus Hermeticum (2 bis 3 Jahrhun-

dert n Chr) the Emerald Tablet of Hermes (Manuskripte aus dem 6 Jahrhundert n Chr) und The Asclepius (2 bis 3 Jahrhundert n Chr) Fuumlr eine Einfuumlhrung in diese Literatur siehe Brian P Copenhaver Her-metica Der griechische Corpus Hermeticum und der lateinische Asklepios in einer neuen englischen Uumlbersetzung mit Notizen und Einfuumlhrung (Cambridge 1992) Der mythische Gruumlnder des Ketzertums Hermes Trismegistus (bdquoDreimal Groszligrdquo) soll ein aumlgyptischer Priesterkoumlnig gewesen sein der aufgrund seiner eigenen Lehren einer goumlttlichen Trinitaumlt so genannt wurde Eine Quelle aus dem 10 Jahrhundert besagt dass er bdquowegen seines Lobes fuumlr die Dreifaltigkeit Trismegistus genannt wurde weil er sagt dass es in der Dreifaltigkeit eine goumlttliche Natur gibtrdquo (Suda Copenhaver Hermetica p xli) In der hermet-ischen gnostischen Tradition entdecken wir andere bekannte Prinzipien der Corpus Hermeticum sagt dass Atum der Sonnengott bdquounvergessen war und durch spontane Selbsterzeugung entstanden istrdquo (F Daumas ldquoAtumrdquo Dictionary of Dottons and Demons in the Bible (Leiden Brill 1999) S 119) Ein Dank fuumlr die Mitteilung uumlber die obige Woumlrterbuchquelle geht an Carlos Xavier unter httpthehuman-jesusorg

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anhaltende Praumlsenz gnostischer Gedankenformen in Nicaumla352 Wie wir im fuumlnften Kapitel sehen werden war das urspruumlngliche nicaumlnische Verstaumlndnis des Begriffs hermetisch-gnostisch da Konstantin dem Konzil nicht nur das Wort sondern eine philosophische Erklaumlrung des Wortes lieferte353 Dabei begegnen wir erneut den bdquoGeisternldquo der aumlgyptischen Religion und den endlosen [griechischen] Myste-rienkulten die sie in den heiligen Hallen der christlichen Orthodoxie hereinge-bracht haben

DieGnosisuumlbersetzenAn dieser Stelle fragen wir uns noch wie konnte irgendeine der Ideen von verur-teilten bdquoHaumlretikernrdquo wie den Gnostikern jemals in der Kirche als bdquoorthodoxrdquo an-gesehen werden Hatten proto-orthodoxe Autoritaumlten wie Irenaumlus und Hippoly-tus die Gnostiker ihrer Zeit nicht geaumlchtet Die Bemuumlhungen orthodoxer Histo-riker (die gnostischen Ideen auszumerzen) haben eben die Tatsache verdunkelt dass das Christentum im zweiten Jahrhundert vielfaumlltiger und weitaus gnostischer war als allgemein angenommen

Mitte des Jahrhunderts hatte sich die gnostische Lehre in den akademischen Zen-tren des Roumlmischen Reiches insbesondere in Rom und Alexandria enorm ver-breitet Seine fesselnde Theologie des inneren Wissens und des Eskapismus stellte eine bedeutende Herausforderung fuumlr die proto-orthodoxen Bischoumlfe dar die da-rum kaumlmpften Einfluss auf die Kirche zu gewinnen und zu erhalten Die Kont-roverse um Markion von Sinope (ca 85-160 n Chr)354 ein faszinierender und maumlchtiger gnostischer Fuumlhrer ist ein Beispiel fuumlr die Schwierigkeiten welchen sich die katholischen Kirchenvaumlter gegenuumlber sahen Wie viele anderen Gnosti-kern lehrte Markion einen doketischen Christus lehnte den Gott der Juden als boumlsen Demiurg entschieden ab und argumentierte aggressiv fuumlr die Beseitigung des Alten Testaments durch die Christen355 Seine Lehren waren so einflussreich

352 Everett Ferguson ldquoCreeds Councils and Canonsrdquo The Oxford Handbook of Early Christian Studies (Ox-

ford OUP 2008) p 432 353 Beatrice ldquoHomoousiosrdquo 354 Philip Schaff bezeichnete Marcion bdquoals den ernstesten praktischsten und gefaumlhrlichsten unter den

Gnostikern voller Energie und Eifer fuumlr Reformen aber unruhig rau und exzentrischrdquo (Philip Schaff History of the Christian Church Vol 2 (New York Scribnerrsquos) p 483) Einige Gelehrte haben Marcions Gedanken vom Gnostizismus unterschieden was normalerweise darauf zuruumlckzufuumlhren ist dass er nicht mit der gnostischen Standardauffassung uumlbereinstimmt dass der Mensch einen bdquogoumlttlichen Funkenrdquo enthaumllt eine Scherbe der eigenen Seele Gottes die in ihrer fremden Materie gefangen ist (Siehe Adolf von Harnack Marcion (Darmstadt WB 1996 [1921]) p 196) Andere haben eine offensichtliche Paral-lele zur gnostischen Lehre erkannt (Sebastian Moll The Arch-heretic Marcion (Tubingen Mohr Siebeck 2010) pp 72-75) bdquoDie alten Heresiologen haben Marcion zusammen mit den Gnostikern zusam-mengelegt und es ist nicht schwer zu verstehen warumrdquo (Ebenso p 74)

355 Markion lehnte die alttestamentlichen Buumlcher weitgehend ab indem er die Briefe des Paulus und die Schriften des Lukas zu dem zusammenfasste was als der erste bdquoKanonrdquo der Schrift beschrieben wurde Fuumlr eine moderne Rekonstruktion seiner Sammlung siehe Jason BeDuhn Das Erste Neue Testament

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dass Wissenschaftler die markionitischen Kirchen zwischen 160-170 n Chr als weitaus zahlreicher schaumltzen als die proto-orthodoxen Kirchen356 Es ist sogar nicht auszuschliessen dass viele Christen in dieser Zeit die Hebraumlische Bibel wenn nicht vollstaumlndig so doch teilweise abgelehnt haben357 Noch mehr Ein-sicht in die Macht der Gnosis auf das Christentum gewinnen wir aus der Tatsache dass Valentinus selbst gemaumlszlig Tertullian ein chancenreicher Kandidat fuumlr das Amt des Bischofs von Rom war Mit anderen Worten ein Gnostiker wurde fast zum Papst358

Als Reaktion auf dieses Phaumlnomen waren prominente proto-orthodoxe Bischoumlfe und Lehrer gezwungen sich oumlffentlich mit den gnostischen Argumenten ausei-nanderzusetzen Theologen wie Irenaumlus von Lyon und Clemens von Alexandria haben viele temperamentvolle polemische Diskurse gegen die Gnostiker ge-schrieben Um 180 n Chr argumentierte Irenaumlus fuumlr die Unzulaumlssigkeit des gnos-tischen Christentums insbesondere des Valentinianismus indem er seine histo-rische Entwicklung durch lange Genealogien nachvollzog die verschiedene un-schoumlne Geschichten enthielten359

Clemens (gestorben 215 n Chr) ein Konvertit heidnischer Herkunft wurde ein einflussreicher Theologe und Vorsitzender der beruumlhmten Katechetischen Schule von Alexandria Clemens als ausgebildeter Platoniker (und derjenige der argu-mentiert hatte dass die griechische Philosophie ihren Ursprung in Aumlgypten hatte) schulte auch den beruumlhmten Gelehrten Origenes (184-253 n Chr) (oder hat ihn zumindest beeinflusst) Clemens teilte weder die negative gnostische Sicht

Markions schriftlicher Kanon (Salem Polebridge Press 2013) Markion wird von Gelehrten oft als bdquoder Hauptfaktorrdquo bei der Etablierung eines rivalisierenden bdquoorthodoxenrdquo Kanons angesehen Siehe Hans von Campenhausen bdquoDie Entstehung der christlichen Bibelrdquo Beitraumlge zur Historischen Theologie Band 39 (Tuumlbingen Mohr Siebeck 1968) Fuumlr eine detaillierte Analyse dieser Geschichte siehe Bruce M Metzger Der Kanon des Neuen Testaments Seine Herkunft Entwicklung und Bedeutung (Oxford OUP 1987)356 See John J Clabeaux ldquoMarcionrdquo Anchor Bible Dictionary Vol 4 (New York Doubleday 1992) p 515

356 See John J Clabeaux ldquoMarcionrdquo Anchor Bible Dictionary Vol 4 (New York Doubleday 1992) p 515 357 Tertullians Feststellung dass es bdquoheuterdquo (in seiner Zeit) mehr Christen gab die das Alte Testament

annahmen als diejenigen die es ablehnten zeugt von einer Zeit in der dies nicht der Fall war und einer zuvor bedeutenden markionitischen Bevoumllkerung Siehe Tertullian Gegen Markion 5 20

358 Siehe Tertullian Against the Valentinians 4 siehe auch Bentley Layton The Gnostic Scriptures (New York 1987) S 220 Rom in dieser Zeit scheint wie Alexandria viel toleranter gegenuumlber der gnostischen Lehre gewesen zu sein bdquoAbgesehen von [zwei] individuellen literarischen Anklagen von Justin und Irenaumlus gibt es keine zuverlaumlssigen Beweise dafuumlr dass Valentinus oder die Valentinianer jemals durch etwas verurteilt wurden das einem Amt kirchlicher Autoritaumlt in Rom aumlhneltrdquo (Einar Thomassen bdquoOr-thodoxie und Haumlresie im Rom des zweiten Jahrhundertsrdquo Die Harvard Theologische Revue Vol 97 Nr 3 (Cambridge CUP 2004) S 241)

359 Siehe Irenaumlus Gegen Haumlresien (auch bekannt als Uumlber die Erkennung und den Sturz der so genannten Gnosis) Waumlhrend gnostische Fuumlhrer die Quelle ihrer Lehre oft bis zum Apostel Paulus zuruumlckverfol-gten verfolgte Irenaumlus sie bis zu Simon Magus einem antagonistischen bdquoZaubererrdquo aus dem NT (Apg 89-24)

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auf die erschaffene Welt noch auf die Hebraumlischen Schriften Hierin war er ande-ren proto-orthodoxen Theologen nicht gleich Bei Clemens koumlnnen wir aber den-noch Hinweise auf einen fragwuumlrdigen Austausch zwischen Gnostizismus und Proto-Orthodoxie erkennen Wie Wissenschaftler festgestellt haben

hinterlieszlig der philosophische und theologische Kampf mit alterna-tiven hetero-gnostischen Lehren sichtbare Spuren in seinem eige-nen Denken Sein Verstaumlndnis von Hetero-Gnostizismus ist je-doch komplex genauso wie seine Einstellung zum Judentum Diese war keineswegs voumlllig negativ360

Aber wie konnte ein so angesehener christlicher Fuumlhrer eine positive Ansicht der gnostischen Lehre vertreten Mehr noch wie konnte Clemens vom Gedanken sei-ner gnostischen Gegner so bdquotief durchdrungenrdquo sein wie die Wissenschaft in juumlngster Zeit erkannt hat361 Clemens Umgebung ist der Schluumlssel zum Verstaumlnd-nis wie es zu seiner subtilen Uumlbernahme gnostischer Ideen kam Wie im vorhe-rigen Kapitel unseres Buches erwaumlhnt war die Stadt Alexandria in Aumlgypten die philosophische Hauptstadt der Antike und in dieser Welt war religioumlser Synkre-tismus in Mode Clemens selbst sagte einmal dass bdquodie Wahrheit wie ein Fluss ist der Nebenfluumlsse von allen Seiten empfaumlngtrdquo Aber wie W R Inge schreibt dass

der Fluss der spekulativen Theologie in Alexandria war wie das Nil-delta so dass einer ein sehr gelehriger oder selbstbewusster Mann sein muumlsste der versuchen sollte die Verpflichtungen von [einem alexandrinischen] Juden Christen und Griechen zueinander genau zu definieren In Alexandria gab es einen derart regen Gedanken-austausch als dass es unmoumlglich war jede Lehre mit einem Namen einer Nationalitaumlt oder einem Glaubensbekenntnis zu versehen362

Dies war die nebulose Atmosphaumlre in der Clemens den Gnostizismus [gegenuumlber der Schrift] in Frage stellen wollte Es uumlberrascht nicht dass moderne Wissen-schaftler aufgrund der ausgedehnten oumlffentlichen Auseinandersetzungen mit den Gnostikern feststellen wie Clemens tatsaumlchlich Aumlhnlichkeiten zur Gnosis hatte363 Einige erkennen sogar direkte Parallelen zwischen der Exegese der Schrift durch Clemens und den Valentiniern ganz zu schweigen von Clemens

360 Piotr Ashwin-Siejkowski Clement of Alexandria (New York T amp T Clark 2008) p 9 361 W Barnstone M Meyer (ed) The Gnostic Bible (London Shambala 2003) p 307 362 Inge p 328 unsere Hervorhebung 363 See S R C Lilla Clement of Alexandria A Study in Christian Platonism and Gnosticism (Oxford

OUP 1971) pp 162-163

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bdquoAnpassungrdquo der gnostischen Interpretationen an seine eigene Theologie364 Wie Chadwick bemerkt bdquoFuumlr die Lehren des Basilides und insbesondere von Valen-tinus empfand Clemens sogar eine gewisse Sympathierdquo365

Clemens verkoumlrperte eine Stroumlmung des alexandrinischen Christentums welche die meisten gnostischen Ansichten ablehnte aber ihre mystische Christologie und spekulative Exegese nicht voumlllig nutzlos fand Es gab offensichtlich einige vor-teilhafte Eigenschaften um sie als bdquoorthodoxrdquo zu entwickeln anzupassen und umzubenennen So verstrickten sich die alexandrinischen Apologeten in einen bdquoKrypto-Gnostizismusrdquo oumlffentlich prangerten sie das gnostische Denken an waumlhrend sie es klammheimlich durch die Hintertuumlr wieder einlieszligen366 Getarnt sowohl durch den genialen Synkretismus der Philosophen als auch durch die oumlf-fentlichen Zusicherungen der Haumlretiker wurde die Infiltration gnostischer Sensi-bilitaumlten in die bedeutendsten proto-orthodoxen Schulen erreicht

Clemens verbarg seine Absichten recht gut Er beschrieb seine wahre Lehre sogar als bdquoverdeckt und verborgenrdquo und bdquofuumlr Glaubenshuumlter und sonst niemandenrdquo ausgesondert367 Die Idee des geheimen Wissens war bei Clemens stark Die Wissen-schaftler haben ihn so bdquoinmitten des gnostischen Milieus ausgemacht wo er die Tradition der geheimen Gnosis akzeptiert hatrdquo368 Er propagierte sogar eine neue Vision dessen was er bdquochristlichen Gnostizismusrdquo nannte fuumlr ihn die reine wahre und orthodoxe Form der Gnosis die nur fuumlr die Auserwaumlhlten bestimmt war369 Fuumlr Clemens ist der bdquowahre Gnostikerrdquo ein Christ der jede Leidenschaft zuguns-ten des goumlttlichen Wissens das in Christus war ablehnt bis seine eigene Seele schlieszliglich vom materiellen Bereich abgekoppelt und bdquoGott gleichgestellt wirk-lich engelhaft gewordenrdquo ist370 Fuumlr Clemens konnte diese gnostische Ruumlckkehr zum Goumlttlichen nur erlangt werden wenn er die Reinheit des Geistes erreichte Voumlllige Unerschuumltterlichkeit war das Ziel der Gnostiker Der prauml-existierende Je-sus selbst so behauptete er bdquowar unempfindlichrdquo und nachdem er Fleisch ge-worden war bdquouumlbte [kasteite] er [das Fleisch] bis zum Zustand der Unempfind-lichkeitrdquo371 So wie die Gnostiker Kerinthus und Ptolemaumlus das platonische Ideal

364 See J L Kovacs ldquoEchoes of Valentinian Exegesis in Clement of Alexandria and Origenrdquo Origeniana

Octava Bib Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium (Leuven Peeters 2004) pp 317-329 365 Henry Chadwick zitiert in C Wilfred Griggs Early Egyptian Christianity From Its Origins to 451 CE

(Leiden Brill 1991) p 60 (Fruumlhaumlgyptische Christenheit Von den Anfaumlngen bis 451)) 366 Valentinus selbst mag der erste orthodoxe bdquoKrypto-Gnostikerrdquo gewesen sein er war bdquoder Erste der

die Prinzipien der so genannten gnostischen Ketzerei umgesetzt hatrdquo (Irenaumlus zitiert von Griggs S 54) 367 Clement of Alexandria Stromata 1 368 Griggs p 59 This tradition would continue with Origen 369 Ebenso 6 7 494 370 Clement of Alexandria Stromata 7 14 547 371 Ebenso 7 2 525

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der Gefuumlhllosigkeit auf Jesus anwandten indem sie lehrten dass Christus frei von den Leidenschaften des Lebens und nicht in der Lage war zu leiden oder Schmer-zen zu empfinden372 sagte Clemens ebenfalls dass Christus bdquoim Allgemeinen lei-denschaftslos war und keine Bewegung des Gefuumlhls durchdrang ihn weder Lust noch Schmerzrdquo373 Und so wie Valentinus lehrte dass der Koumlrper Jesu himmli-sche Nahrung erhielt sagte Clemens auch dass Christus nur scheinbar [physi-sche] Nahrung brauchte374 Aber erneut hatte Clemens seine Neigungen sorgfaumll-tig verschleiert Wie ein Historiker erklaumlrt verhinderte jedoch die bdquoUnklarheit sei-nes Stils dass Clemens in spaumlteren Jahrhunderten eine Verurteilung wie Origenes erlittrdquo375 Ein anderer Gelehrter schlaumlgt vor bdquoEs ist nicht unmoumlglich dass Cle-mens die Ablehnung durch die Kirche als Gnostiker vermieden hat vor allem weil Irenaumlus seine Polemik gegen die Gnostiker vor Clemens Zeit geschrieben hatrdquo376

Interessanterweise scheinen gewisse Christen die haumlretischen Verbindungen von Clemens zu den Gnostikern in spaumlteren Jahrhunderten wiederentdeckt zu haben Photios von Konstantinopel (820-893 n Chr) aber der bekannteste Patriarch des neunten Jahrhunderts verurteilte schlieszliglich den alten Alexandriner unver-hohlen als Ketzer377 Aber Clemens hatte bereits den groszligen Origenes gepraumlgt und Origenes seinerseits scheint eine ganze Generation von alexandrinischen Philosophen des vierten Jahrhunderts beeinflusst zu haben darunter Athanasius den Meister der nicaumlnischen Orthodoxie War der Schaden bereits angerichtet Eine Stimme unterstreicht unsere Besorgnis uumlber diesen Punkt bdquoWie unterschei-det man zwischen dem christlichen Gnostizismus der bei Clemens von Alexand-ria und Origenes sbquoorthodoxrsquo oder sbquovergleichsweise orthodoxrsquo zu sein scheint und dem christlichen Gnostizismus der in Basilides oder in Valentinus [eindeutig]

372 For Ptolemy see Irenaeus Against Heresies 1 12 2 4 for notice of Cerinthus see 1 26 373 Clement of Alexandria Stromata 6 9 71 1 374 See n 294 on p 94 375 Chadwick zitiert in Griggs Early Egyptian Christianity S 58 Bei der Konstruktion seines theolo-

gischen Systems hat Origenes bdquoden gnostischen (insbesondere valentinischen) Seelenmythos mit seinem Abstieg und Aufstieg in ein christliches Schema so umgesetzt dass er weitgehend sbquoentmythologisiertrsquo wurde trotzdem wurde er selbst in dieser Form bald als ketzerisch erkanntrdquo (Rudolph Gnosis S 369)

376 Griggs p 58 377 Fuumlr einen Bericht uumlber die Anschuldigungen von Photios siehe Piotr Ashwin-Siejkowski

Clemens von Alexandria Ein Projekt von christlicher Perfektion (New York T amp T Clark 2008) bdquoClemens hat die Humanitaumlt [das Mensch-Sein] des Logos oft unterbewertet be-sonders wenn er die Inkarnation (die Mensch-Werdung) mit einem Traum verglich oder ihn als das Anziehen des Leinengewandes beschrieb Hier wird der Koumlrper Christi mit einem Leinentuch verglichen das spaumlter fuumlr das orthodoxe Dafuumlrhalten wie dasjenige von Photios gefaumlhrlich vage klangrdquo (Ebenso S 100)

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ketzerisch istrdquo378 Wie es eine Enzyklopaumldie so zutreffend formuliert bdquoWir koumln-nen die Beobachtung nicht unerwaumlhnt lassen dass die christliche Kirche in spauml-teren Jahrhunderten in ihren sakramentalen Theorien und in voll entwickelten christologischen Ansichten bis zu einem gewissen Grad wieder gnostischen Bo-den betratrdquo379

Wir muumlssen betonen dass diese unterschwellige Gnostfiizierung jedoch keines-wegs ausschlieszliglich auf Clemens oder seine Zeit beschraumlnkt war So stand bei-spielsweise der spaumltere Lucius Lactantius (250 - 325 n Chr) ein hochgebildeter Theologe der zum leitenden religioumlsen Berater Kaiser Konstantins wurde eben-falls bdquoin der Tradition der sbquophilosophischen Gnosisrsquo von Alexandriardquo380 Wie Wis-senschaftler zeigen konstruierte Lactantius seine Lehren bdquoin offensichtlicher Ab-haumlngigkeit von der Gnostik insbesondere der Hermetik legte ihr aber nach Cle-mens Vorbild gleichzeitig das Kleid der offiziellen Theologie anrdquo381 Wie wir in Kapitel 5 dieses Buches sehen werden mag Lactantius in Nicaumla sogar persoumlnlich eine entscheidende Rolle bei der Etablierung des christlichen Dogmas gespielt haben

In der westlichen Haumllfte des Reiches erwies sich Rom als ebenso einladend ge-genuumlber gnostischen Einfluumlssen wie Alexandria Der roumlmische Bischof Marius Victorinus der irgendwann nach 355 n Chr starb ist nicht nur fuumlr seine Dar-stellung des christlichen Gottes im Sinne des Neoplatonismus und seines groszligen Einflusses auf Augustinus von Hippo (dagger 430 n Chr) von Bedeutung382 sondern auch aus einem anderen Grund der von einer fruumlheren historischen Analyse weit-gehend unbeachtet blieb Die moderne Wissenschaft erkennt nun dass Victori-nus gnostische Texte verwendete um seine eigene trinitarische Vision leichter durchzusetzen Erst seit den 1990er Jahren koumlnnen Wissenschaftler zeigen wie sehr das Werk des bdquoorthodoxenrdquo Victorinus die bei Nag Hammadi entdeckte gnostische Literatur manchmal Wort fuumlr Wort widerspiegelt383 Aber wie konnte ein so angesehenes Mitglied der [christlichen] Kirche das tun Es wird vermutet

378 Griggs p 60 379 ldquoValentinus and the Valentiniansrdquo Encyclopedia Britannica Vol 27 1911 380 Rudolph Gnosis p 370 381 Ebenso 382 Alice E Guinther ldquoAugustine and Victorinus An Analysis of a Trinitarian Argumentrdquo (2015) Under-

graduate Honors Theses Paper 974 See also F F Bruce ldquoMarius Victorinus and His Worksrdquo The Evangelical Quarterly Vol 18 (1946) p 140

383 Teile der Rechtfertigung von Victorinus entsprechen dem gnostischen Text der als Zostrianos bekannt ist einem Dokument aus dem 3 Jahrhundert das in der Nag Hammadi Bibliothek entdeckt wurde Dieses Buch beschreibt einen Bericht uumlber Zostrianos eine Figur die als aumllterer Verwandter des per-sischen religioumlsen Fuumlhrers Zoroaster dem Begruumlnder des Zoroastrismus gilt Siehe bdquoDie Predigt von Zostrianosrdquo in der Gnostischen Bibel

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dass Victorinus bdquoeinen explizit gnostischen Text las den Gnostizismus zwar ab-lehnte aber handkehrum verschiedene seiner Ideen in die eigenen Theorien um-setzte und die gnostischen Ausdruumlcke uumlbernahmrdquo384 Wissenschaftler haben nun bdquoauffaumlllige Aumlhnlichkeitenrdquo zwischen Victorinus und der Triade der Gnostiker festgestellt385 Ein Beispiel findet sich in einem wichtigen gnostischen Werk na-mens Griechisches Aumlgypterevangelium Es beschreibt Gott wie folgt bdquoAus ihm sind drei Kraumlfte hervorgegangen sie sind der Vater die Mutter und der Sohnrdquo386 Vic-torinus identifiziert den Heiligen Geist ebenfalls klar als bdquodie Mutterrdquo Christi387 und schreibt weiter bdquoGott ist dreifach maumlchtig er hat drei Kraumlfterdquo388 Das gnos-tische Schluumlsselwort hier ist bdquotridunamosrdquo (dreifache Kraft)389 So finden wir in Victorinus noch ein weiteres bdquokrypto-gnostischesrdquo Element er stellt seine bdquoganz eigene spezifische Theorie der Trinitaumlt vor die auch gnostische Vorstellungen beinhaltetrdquo390 Moderne Gelehrte wie Rasimus haben dem bdquoorthodoxenrdquo Victo-rinus neuerdings einen gnostischen Hintergrund gegeben391 Ebenso betont Ab-ramowski in seinem Schreiben sowohl neoplatonisches als auch gnostisches Den-ken (insbesondere sethianisch-barbelograve-gnostisch) und Tommasi erkennt darin sogar sein bdquodirektes Wissenrdquo uumlber den Valentinianismus392 Wir duumlrfen nicht ver-gessen dass die Gnostiker in Rom bdquosehr assimilierterdquo Mitglieder der Kirche wa-ren (wir erinnern uns dass Valentinus dort fast zum Bischof ernannt wurde) All dies laumlsst den Schluss zu dass Marius Victorinus selbst entweder zu dem gehoumlrte

384 Volker Henning Drecoll ldquoThe Greek Text Behind the Parallel Sections in Zostrianos and Marius Vic-

torinusrdquo Platorsquos Parmenides and Its Heritage Vol 1 (Atlanta Society of Biblical Literature 2010) p 210 385 Gerald P Boersma Augustinersquos Early Theology of Image (Oxford OUP 2016) p 63 See also Luise

Abramowski ldquoMarius Victorinus Porphyrius und die roumlmischen Gnostikerrdquo Zeitschrift fur die neutesta-mentliche Wissenschaft Vol 74 (1983) pp 108-128

386 Gospel of the Egyptians 1 2 Der moderne gnostische Prediger Steven Marshall offenbart dass die bdquoMutterrdquo bekannt war als die Person des bdquoHeiligen Geistesrdquo Siehe Steven Marshall ldquoEine Predigt fuumlr den Dreifaltigkeitssonntag Hingabe an die Dreieinige Gottheitrdquo Meditationen Web 19 September 2014 lthttpgnosisorgecclesiahomily_Trinityhtm_Trinityhtmgt

387 Victorinus Against the Arians 1 56-58 388 Ebenso 4 21 389 Zusaumltzlich zu seiner Verwendung in der gnostischen Religion wurde der Begriff auch in spaumlt-neopla-

tonischen Kreisen sporadisch verwendet Majercik betont die Umsetzung der Idee sowohl im syrischen Porphyry als auch in der koptischen gnostischen Literatur Siehe Ruth Majercik ldquoThe Existence-Life-Intellect Triad in Gnosticism and Neoplatonismrdquo The Classical Quarterly Vol 42 (1992) S 475-488 Auf Schritt und Tritt ist man beeindruckt von einer Verbindung zwischen Gnostizismus Neoplatonis-mus und der Entwicklung des orthodoxen Christentums

390 Ebenso Siehe Victorinus Against the Arians 1 49-50 391 Tuomas Rasimus ldquoStoic Ingredients in the Neoplatonic Being-Life-Mind Triad An Original Second-

Century Gnostic Innovationrdquo in Stoicism in Early Christianity (Grand Rapids 2010) pp 257-273 392 Chiara O Tommasi ldquoLrsquoandroginia di Cristo-Logos Mario Vittorino tra platonismo e gnosirdquo Cassiodo-

rus Vol 4 (1998) pp 11-46

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oder stark von dem beeinflusst wurde was Abramowski bdquoeinen krypto-gnosti-schen und nicaumlnischen Kreis in Romrdquo nennt393 Koumlnnten Beweise fuumlr diesen Kreis eine Kompatibilitaumlt oder eine Verbindung des gnostischen Denkens mit dem nicaumlnischen Christentum bestaumltigen Koumlnnte dieser Kreis und aumlhnliche Kreise in Alexandria394 nach Nicaumla den Weg fuumlr die spaumltere Konstruktion der orthodoxen Dreifaltigkeit geebnet haben

Dass einige der maumlchtigsten Anhaumlnger der nicaumlnischen Theologie im vierten Jahr-hundert mit gnostischen Gesinnungen buchstaumlblich uumlberflutet wurden kann nicht geleugnet werden Augustinus von Hippo ist dafuumlr das beste Beispiel und in der Tat ist er der groumlszligte aller bdquoKrypto-Gnostikerrdquo des vierten Jahrhunderts Augustins voluminoumlse und beliebte Schriften gaben der aufkommenden Lehre von der Dreifaltigkeit zweifellos Form und Gestalt und seine einzigartigen Mo-delle wurden schliesslich im Westen als orthodox dh der rechten Lehre entspre-chend aufgenommen395 Meistens ist jedoch das Leben Augustins vor der Bekehrung als er ein Schuumller des gnostischen Propheten Mani war aus dem oumlffentlichen Ge-daumlchtnis fast gaumlnzlich verschwunden

Mani (216-274 n Chr) war ein einflussreicher persischer Mystiker aus Babylon Geboren als Sohn eines gnostischen Vaters hatte Mani im Alter von zwoumllf Jahren Visionen von einer Gestalt erlebt die sich selbst als Manis bdquohimmlischer Zwil-lingrdquo bezeichnete Dieser forderte Mani auf die bdquowahre Botschaftrdquo Jesu Christi zu predigen Mani reiste ins moderne Afghanistan wo er Hinduismus und Bud-dhismus studierte und als er nach Persien zuruumlckkehrte behauptete er der letzte Bote der bdquoTroumlsterrdquo zu sein der von Jesus in Joh 1426 der Welt versprochen wurde Mani gewann am koumlniglichen Hof - vor seinem schrecklichen Maumlrtyrertod

393 Siehe Luise Abramowski bdquoNicanismus und Gnosis im Rom des Bischofs Liberius der Fall des Marius

Victorinusrdquo Zeitschrift fur Antikes Christentum Vol 8 No 3 (SN SL 2005) pp 513-566 394 For notice of established bdquoChristian Gnostics in Alexandriardquo see Birger A Pearson Gnosticism Judaism

and Egyptian Christianity (Fortress Press 2006) p 200 395 Augustinus war maszliggeblich an der Entwicklung eines zusaumltzlichen Punktes der trinitarischen Lehre

beteiligt der durch einen Satz bekannt als bdquofilioquerdquo repraumlsentiert wird der im sechsten Jahrhundert einigen spaumlteren Formen des nicaumlnisch-konstantinopolitischen Glaubensbekenntnisses von 381 n Chr [ruumlckwirkend] hinzugefuumlgt wurde Im Wesentlichen hielt die Lehre fest dass der Heilige Geist sowohl vom Vater als auch vom Sohn ausgeht Die Hinzufuumlgung von bdquound dem Sohnrdquo war ein Punkt groszliger Kontroversen insbesondere zwischen der Ost- und der Westkirche da sie negative Auswirkungen auf die Funktion des Vaters in der Dreifaltigkeitswirtschaft haben sollte Der Zusatz wurde schlieszliglich 1014 n Chr vom Papst angenommen aber von der orientalisch-orthodoxen und der ostorthodoxen Kirche abgelehnt Weil Augustinus bei der Bildung der bdquoZweierprozessionrdquo so einflussreich war wurde er in den Ostkirchen immer als eine eigenstaumlndige Vermutung des Augustins angesehen und nie akzeptiert

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- an Bedeutung396 und die populaumlre Sekte [die Manichaumler] die in seine Fussstap-fen trat erstreckte sich bald uumlber die gesamte antike Welt397

Augustinus studierte zehn Jahre lang als bdquoHoumlrerrdquo in dieser manichaumlischen Sekte398 Die komplexen Lehren dieser Gnostiker erwiesen sich fuumlr Augustinus sehr attraktiv denn wie er selbst zugibt sehnte er sich danach bdquoin uumlbermaumlszligiger Eitelkeit als elegant und urban angesehen zu werdenrdquo399 Wie andere gnostische Gruppen lehrte auch der Manichaumlismus eine hochentwickelte dualistische Welt-anschauung die den staumlndigen Kampf zwischen geistig Gutem und materiell Bouml-sem in den Vordergrund stellte Nach manichaumlischer Auffassung wurden Sex und Fortpflanzung als negative Aktivitaumlten angesehen welche unsterbliche Seelen in der Knechtschaft der ererbten Korruption gefangen nahmen Sie hielten fest dass die Menschheit von Geburt an mit Boumlsem verseucht war Diese Lehre hatte einen erheblichen Einfluss auf das Denken des Augustinus der selbst bekanntlich mit der sexuellen Begierde zu kaumlmpfen hatte400 Wir koumlnnen leicht verstehen wie befreiend die manichaumlische Lehre fuumlr Augustinus gewesen sein muss Seine Situ-ation so hatten sie [ihm] erklaumlrt war schuld an seinem materiellen Zustand

Irgendwann bekehrte sich der neoplatonische (und krypto-gnostische) Marius Victorinus und Augustinus lieszlig sich von dessen Konversion inspirieren Er selber wurde 386 n Chr getauft und begann bald groszligen Einfluss auf die westliche Kirche auszuuumlben401 Es ist jedoch offensichtlich dass Augustinus als er sich

396 Mani war dem Hof von Schapur I beigetreten einem toleranten zoroastrischen Koumlnig Aber einer der

eifrigen Nachfolger des Koumlnigs Bahram I verfolgte den Manichaumlismus hart und soll Mani gefoltert und hingerichtet haben indem er seine Leiche als Warnung an seine Anhaumlnger in der Stadt aufhaumlngte Die Manichaumler sahen Manis Tod natuumlrlich als Spiegel des Opfertodes Christi der sein Leben fuumlr seine Freunde hingab Spaumlter wurde Mani zum Objekt des Gebets und zu einem Gott sogar zu einem bdquoBud-dhardquo Siehe Majella Franzmann Jesus in den manichaumlischen Schriften (London T amp T Clark 2003) S 25-26

397 Der Manichaumlismus gedieh nicht nur im gesamten Nahen Osten sondern auch in Rom und sogar in China Als der italienische Handelsreisende Marco Polo zwischen 1271 und 1288 n Chr nach China reiste traf er auf eine Gruppe von chinesischen Manichaumlern in der Provinz Fujian und erkannte sie als bdquoweder buddhistisch noch zoroastrisch weder christlich noch muslimischldquo Siehe Ronald Latham The Travels of Marco Polo (London Penguin Books 1958) S 235-236

398 Die Juumlnger wurden in eine Hierarchie von bdquoAuserwaumlhltenrdquo und bdquoZuhoumlrernrdquo aufgeteilt wobei die letztgenannte Gruppe wahrscheinlich auf der buddhistischen bdquoSangardquo oder der monastischen Versa-mmlung der geweihten Moumlnche basiert

399 Augustine Confessions 3 1 400 In Augustins gefeierten Werk Confessiones (Bekenntnisse) finden wir dass bdquodas sexuelle Verlangen eine

zentrale Rolle im Leben Augustins gespielt hatldquo Er bezeichnete sich vor seiner Bekehrung zum katholischen Christentum als bdquoSklave der Lustrdquo (libidinis servus) Er vertrat seine Bekehrung als Verpflichtung zur bdquoKontinenzrdquo (Continentia) der weiblichen Personifizierung der sexuellen Entsagung Dennoch erlebte er auch noch lange nach seiner Bekehrung einen anhaltenden Kampf mit seinen sex-uellen Leidenschaftenrdquo (Mathew Kuefler ldquoHomosexuality Augustine and the Christian Closetrdquo Why the Middle Ages matter ndash Warum das Mittelalter wichtig ist (London Routledge 2012) S 78

401 Waumlhrend seines Lebens als Gnostiker hatte Augustinus wenig Achtung vor der Bibel Ihm fehlte in der Schrift die Schoumlnheit und Komplexitaumlt der griechischen Philosophie sie war bdquoniedrig im Houmlrenrdquo und

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bekehrte seine gnostischen Gedanken mitbrachte Zum Beispiel wurden die ma-nichaumlischen Ansichten von Sex Fortpflanzung Suumlnde und die Elite der bdquoAuser-waumlhltenrdquo (lat electi) seiner orthodoxen Lehre angepasst und weitgehend beibehal-ten402 Wissenschaftler bestaumltigen dass Augustins Menschenbild bdquoein Erbe der Gnosis war das nicht vollstaumlndig uumlberwunden sondern nur uumlbersetzt wurderdquo403 Waumlhrend er einerseits den radikalen gnostischen Dualismus seiner ehemaligen manichaumlischen Bruumlder oumlffentlich verurteilte war dieses Denken [in Augustins Lehren] bdquoweiterhin lebendig in der Menschheit und ihrer Geschichte als absolute Trennung von Berufenen und Verworfenenrdquo404 Trotz seiner oumlffentlichen Feind-seligkeit gegenuumlber den Manichaumlern war deren Weltanschauung immer noch die Energiequelle fuumlr einen Groszligteil von Augustins charakteristischstem Denken und Experten fuumlr Gnostizismus haben dies laumlngst erkannt405 Was war Augusti-nus dann wenn nicht ebenfalls ein bdquoKrypto-Gnostikerrdquo im Sinne des Clemens

bdquowuumlrdelosrdquo und war nur eine bdquoArt Hilfe fuumlr das Wachstum der Kleinenrdquo (Augustinus Bekenntnisse 3 5) Aber als Augustinus 384 n Chr nach Mailand zog houmlrte er Ambrosius die neoplatonischen Ideen von Plotinus auf die Interpretation der christlichen Schriften anwenden Fasziniert studierte Augustinus den Neoplatonismus selbst und war uumlberzeugt dass er eine uumlberlegene Philosophie gegenuumlber dem Manichaumlismus war Augustinus houmlrte dann die bewegende Geschichte des Neoplatonikers Marius Vic-torinus der sich schlieszliglich bekehrt hatte und als Christ getauft wurde Augustinus war inspiriert Zwei Jahre nach seinem Umzug nach Mailand und nach einer Reihe von Dramen mit seiner Konkubine wurde er schlieszliglich von Ambrosius getauft

402 Der zum Christentum uumlbergetretene Augustinus definierte nun den menschlichen Wunsch nach Sex als Ergebnis und Bestrafung des urspruumlnglichen Ungehorsams von Adam und Eva und hielt fest dass ihre Schuld ihre Nachkommen verschmutzt und die Menschheit von Geburt an mit Boumlsem kontaminiert habe In Anlehnung an seine gnostische Vergangenheit argumentierte Augustinus dass die menschliche Fortpflanzung die Art und Weise sei wie diese Uumlbertragung der Knechtschaft erfolgt sei Siehe Kelly S 363 So finden wir in den christlichen Schriften des Augustinus noch immer nicht nur einen negativen Blick auf die Fortpflanzung sondern bdquo[eine] Note der Melancholie des Ekels und sogar der Brutalitaumlt gegenuumlber der [Menschheit]rdquo (John Mahoney ldquoThe Legacy of Augustinerdquo The Making of Moral Theology A Study about the Roman Catholic Tradition (OUP 1987) S 46) Die Wissenschaftlerin des Gnostizismus Elaine Pagels zeigt dass bdquoAugustins Theorie der Erbsuumlnde sich nicht nur als politisch zweckmaumlszligig er-wiesen hat da die Theorie viele seiner Zeitgenossen davon uumlberzeugt hat dass der Mensch allgemein eine externe Regierung braucht sondern auch eine Analyse der menschlichen Natur angeboten hat die zum Erbe aller nachfolgenden Generationen westlicher Christen und zum Haupteinfluss auf ihr psychologisches und politisches Denken wurde Waumlhrend Augustins Leben erhoben verschiedene Christen die gegen seine radikale Theorie Einspruch und andere haben sie heftig bestritten aber in den naumlchsten Generationen wurden Christen die sich an traditionellere Ansichten von menschlicher Freiheit hielten selbst als Ketzer verurteiltrdquo (Elaine Pagels Adam Eve and the Serpent Sex and Politics in Early Christianity (New York Vintage 1989) p xxvi)

403 Rudolph Gnosis p 371 404 Ebenso p 370 405 Augustinus bdquovereinnahmte dieses Erbe am deutlichsten in der beeindruckenden histor-

ischen Betrachtung der beiden sbquoReichersquo (civitates) des Teufels oder des Boumlsen (civitas diaboli oder civitates impiorum) und des Gottes (civitas Dei) und praumlgte so die christlich-historische Metaphysik des Mittelalters Auch andere Aspekte seiner Lehre sind ohne dieses Erbe das eng mit der verwandten spaumltplatonischen Tradition verbunden ist nicht zu verstehen wie der beruumlhmte Glaube an die Praumldestination (Gnade und Erwaumlhlung) die Rolle der Seele als Abbild Gottes und damit ein unsterbliches Element und vor allem der Begriff der Erbsuumlnde

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und des Victorinus vor ihm Durch Augustinus kam schlieszliglich eine transfor-mierte manichaumlische Weltsicht dazu und begann das spaumltere christliche Denken gruumlndlich zu dominieren406 Der zu Beginn des dritten Jahrhunderts eingeleitete Prozess der katholisierenden Gnosis erreichte in Augustinus deutlich seinen Houml-hepunkt Wie Rudolph bestaumltigt war Augustinus bdquoder letzte in der Entwicklungs-ketterdquo407

Letztendlich so das Fazit der modernen Wissenschaft bdquomuss es in Rom genauso moumlglich gewesen sein gnostische Ideen waumlhrend des vierten Jahrhunderts zu ver-breiten wie bereits im dritten Jahrhundertrdquo408 Es war die fruumlhe Akzeptanz dieser Wahrnehmungen der gnostischen These uumlber die Gottheit Christi die den fruchtbaren Boden bildete auf dem der ewige (prauml-existente) Jesus nach den Ausle-gungen von Nicaumla gedeihen konnte Professor Werner verraumlt bdquoEine gnostische Theorie wurde zuerst abgelehnt aber fruumlher oder spaumlter wurde sie von der Kirche an ihre eigenen Grundbegriffe angebundenrdquo Vor diesem Hintergrund und mit diesen Formeln trat bdquodie nicaumlnische Partei zunaumlchst in die Debatte mit den Aria-nern einrdquo409 Die gesamte Trinitaumltstheorie rund um den nicaumlnischen Jesus kann sich in der Tat als das katholische Ausarbeiten der urspruumlnglich gnostischen These erweisen und wie wir sehen werden hat die Trinitaumlt - dank der zeitlich

Letzteres ist das Ergebnis des Falls des Menschen aus dem goumlttlichen Ursprungszustand der durch seine eigene Schuld verursacht wurde Seine Position in der Lehre des Augustinus ist ein Echo der manichaumlischen Vorstellung von der schicksalhaften sbquoMischungrsquo aus Licht und Dunkelheit Geist und Materie die zwangslaumlufig die menschliche Existenz bestimmtrdquo (Ebenso)

406 Die protestantische Reformation von Luther und Calvin war eine Wiederbelebung des Augustinismus und heute verewigen Millionen von Christen das sbquoniedrigersquo Menschenbild Augustins Innerhalb der prot-estantischen Reformation bdquobesetzte eine erneute Betrachtung des Augustinus alle abendlaumlndischen christ-lichen Konfessionen Luthers augustinische Auffassung von einem von der Erbsuumlnde versklavten Wil-len hatte innerhalb des Protestantismus seit zwei Jahrhunderten die groumlszligte Bedeutungrdquo (Anthony Kruppo Reasons Children (Kinder der Vernunft) (Cranbury Associated University Press 2009) S 110) Wissenschaftler bestaumltigen dass bdquonoch heute in der wichtigen theologischen Erweckung unserer Zeit der Einfluss des Augustinus offensichtlich einer der staumlrksten und produktivsten Impulse am Wirken istrdquo (Albert Cook Outler (trans) The Confessions of St Augustine (Bekenntnisse) (Mineola Dover Pub-lications 2002[1955]) p vi)

407 Ebenso Augustins sbquoniedrigesrsquo Menschenbild (inferior intellectus) muss in seiner Christologie eine Rolle gespielt haben Weil der Mensch von Natur aus schmutzig und unzureichend ist muss Christus im Grunde genommen Gott gewesen sein Fuumlr Augustinus ist es die goumlttliche Person die der bdquoBesitzerrdquo und das bdquowahre Lebenrdquo der menschlichen Natur ist die goumlttliche Person bdquotraumlgtrdquo oder bdquohandelt durchrdquo eine menschliche Person oder wie die menschliche Natur wie ein Kleidungsstuumlck bdquoangezogenrdquo hat (Al-lan Fitzgerald John C Cavadini (Hrsg) Augustinus durch die Zeitalter Eine Enzyklopaumldie (Grand Rapids Eerdmans 1999) S 167) Fuumlr Augustinus bdquowaumlhrend die menschliche Natur [Jesu] real war bewahrte die Tatsache dass sie aus einer reinen Jungfrau geboren wurde sie vor der Erbsuumlnde noch war sie anfaumlllig fuumlr die menschliche Unwissenheit trotz der Aussagen des Evangeliums die das Gegenteil nahezulegen scheinenrdquo (Kelly S 336)

408 Drecoll ldquoZostrianos and Marius Victorinusrdquo p 210 409 Martin Werner zitiert bei Buzzard Jesus Was Not A Trinitarian p 320 (Jesus war kein Trinitarier)

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passenden Reaktivierung im vierten Jahrhundert akut gnostischer Definitionen - eine Niederlage vermieden

DiegnostischenHypostasenEs mag nicht verwundern dass nach alten Quellen die grundlegendste orthodoxe Abgrenzung der triadischen [dreieinigen] Natur Gottes die bdquodrei Hypostasen (Personen)rdquo bereits von den gnostischen Haumlretikern ausgedacht und verwendet wurde lange bevor sich jemals eines der katholischen Konzile versammelt hatte Dies wurde waumlhrend der arianischen Kontroverse durch den Theologen Marcel-lus von Ancyra (gest 374 n Chr) hervorgehoben der argumentierte dass dieses Modell direkt aus den Lehren von Valentinus stammt So protestierte Marcellus

Diese [Gnostiker] lehren dann drei Hypostasen genau wie Valen-tinus der Erzketzer der den Begriff zuerst in dem Buch mit dem Titel Uumlber die drei Naturen praumlgte Denn er war der erste der drei Hypostasen oder drei Personen des Vaters des Sohnes und des Heiligen Geistes erfunden hat und man ertappt ihn dass er diese Idee von Hermes und Platon uumlbernommen hat410

Marcellus der waumlhrend dem arianischen Streit weder mit den unitarischen Aria-nern noch mit den Proto-Trinitariern verbuumlndet war wurde selber spaumlter wegen seiner Ablehnung des bdquoDrei-Hypostasen-Modellsrdquo verdammt Obwohl Marcellus zustimmte dass Christus bdquoGottldquo sei (offensichtlich in einem sabellianischen Sinne)411 lehnte er die sbquoVervielfaumlltigungsbquo von Hypostasen durch die Theologen als gnostisch-heidnisch ab412 Dennoch wie es in einer Enzyklopaumldie heisst bdquowurde diese einzige valentinianische Lehre als orthodox angesehen da sie einen

410 Marcellus Uumlber die Heilige Kirche 9 Siehe Logan S 393 Marcellus Zitat von Valentinus und seine

sekundaumlre Notiz von Platon und Hermes ist insofern interessant als diese Lehrer die bdquoHypostasisrdquo nicht in gleicher Weise betrachteten Zum Beispiel sind Valentinus Hypostasen persoumlnlich und die des Plato-nismus unpersoumlnlich Marcellus zielt mit seinem primaumlren Zitat von Valentinus eindeutig auf persoumlnliche Hypostasen Aber in den Augen von Marcellus einem Sabellianer der nur an eine Hypostase glaubte waumlren sowohl die Arianer wie sein Gegner Eusebius als auch die Anti-Arianer schuldig Hypostasen zu multiplizieren und die platonische Sprache auf verschiedene Wesen des Vaters und des Sohnes an-zuwenden Er erkennt in Eusebius insbesondere was er als hermetische Tendenz bezeichnet zwei goumlt-tliche Wesen durch das Teilhaben an der Natur zu verbinden (Hypostasen - Personifizierung goumlttlicher Eigenschaften oder religioumlser Vorstellungen zu einem eigenstaumlndigen goumlttlichen Wesen (z B in der christlichen Theologie die drei Personen der Trinitaumlt) Anm d Uuml

411 Der Sabellianismus (auch Modalismus genannt) war die Lehre dass Gott eine Person ist die in den verschiedenen Formen oder Aspekten von Vater Sohn und Heiligem Geist existiert Diese Theologie die jede unterschiedliche Persoumlnlichkeit zwischen den Hypostasen verneinte wurde vom Konzil von Antiochia im Jahre 269 n Chr verurteilt Dennoch blieb seine Praumlsenz in der gesamten Kirchenges-chichte stark Heute hat die Einheitspfingstbewegung eine modalistische christliche Bewegung [Jesus Only] Millionen von Anhaumlngern

412 John Arendzen ldquoMarcellus of Ancyrardquo The Catholic Encyclopedia Vol 9 (New York Robert Apple-ton Company 1910) Web 29 Sep 2014

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nuumltzlichen Mittelweg zwischen der arianischen und der sabellianischen Position botrdquo413 Aber was genau waren diese bdquoHypostasenrdquo im valentinischen System War die gnostische Lehre wirklich der spaumlteren Orthodoxie aumlhnlich

Die Bedeutung des Wortes bdquoHypostaserdquo aumlnderte sich im Laufe der philosophi-schen Geschichte Unter den alten Griechen war der Begriff zunaumlchst gleichbe-deutend mit bdquoousiardquo (Sein Substanz Wesen) Der groszlige Sokrates hatte bdquohypostasisrdquo nie verwendet sondern bdquoousiardquo bevorzugt und auch Platon verwendete nie bdquohy-postasisrdquo Die Stoiker waren wirklich die ersten die das Wort benutzten und fuumlr sie bedeutete es bdquoSubstanzrdquo oder bdquoobjektive Realitaumltrdquo Die lateinischen Stoiker benutzten synonym bdquohypostasisrdquo und den lateinischen Begriff bdquouna substantiardquo was darauf hinweist dass die urspruumlngliche griechische Bedeutung tatsaumlchlich gleichbedeutend war mit bdquoousiardquo (Substanz) Im dritten Jahrhundert n Chr wurde das Wort schlieszliglich von Plotinus verwendet um die drei Prinzipien der Realitaumlt zu beschreiben

Wir finden die fruumlheste christliche Verwendung des Wortes tatsaumlchlich im grie-chischen Neuen Testament Der Begriff wird mehrfach verwendet um bdquoSicher-heitrdquo [oder Zuversicht] bdquoSubstanzrdquo (im nicht-technischen Sinne) oder bdquoRealitaumltrdquo zu bezeichnen414 Zum Beispiel lesen wir in Hebraumler 111 bdquoNun ist der Glaube eine fundierte Gewissheit (hypostasis) dessen worauf wir hoffen und eine Uumlber-zeugung von der Realitaumlt der Dinge die wir nicht sehenrdquo Einmal in Hebraumler 13 wird das Wort sogar auf Gott angewendet und dient der Beschreibung des einen bdquoWesensrdquo oder der bdquoSubstanzrdquo Gottes415 Wie Pelikan erklaumlrt scheint dieser neu-testamentliche Gebrauch von bdquoHypostasenrdquo tatsaumlchlich ein bdquobiblischer Beweis gegen die Formulierung einer Ousia und drei Hypostasen zu seinrdquo416 Offensicht-lich war der fruumlhe juumldisch-christliche Gebrauch weiterhin ein Synonym fuumlr bdquoou-siardquo genau wie bei den Griechen Aber wenn sowohl die fruumlhesten Juden-Chris-ten als auch die griechischen Philosophen mit bdquoHypostaserdquo die bdquoSubstanzrdquo oder

413 ldquoValentinusrdquo New World Encyclopedia 2008 Web 29 Sep 2014 414 bdquoIm vierten Jahrhundert war Hypostase nicht mehr gleichbedeutend mit Ousia In Hebr 111 der

diesen Entwicklungen vorausgeht kann Hypostase als sbquoSubstanzrsquo (im nicht-technischen Sinne) oder sbquoRe-alitaumltrsquo uumlbersetzt werdenrdquo (James W Thompson Paideia Kommentare zum Neuen Testament Hebraumler (Grand Rapids Baker 2008) S 230)

415 Hebr 13 erhaumllt eine Vielzahl von Abhandlungen in englischer Uumlbersetzung bezieht sich aber ganz offensichtlich auf die urspruumlngliche Bedeutung von bdquoHypostaserdquo als Synonym fuumlr bdquoOusiardquo Die NASB uumlbersetzt das Wort in Hebr 13 mit bdquoNaturrdquo andere hingegen verwenden bdquoSeinrdquo (ISV CEB NAB) bdquoSubstanzrdquo (ASV DARBY DRA) und bdquoEssenzrdquo (AMP LEB) Die spaumltere kappadokische Verwendung ist nirgendwo im NT dargestellt Interessanterweise scheint Hebr 13 zu sagen dass bdquoGottrdquo eine bdquoHy-postaserdquo hat Wenn dieses Wort bdquoMenschrdquo bedeutete wie es bei den Kappadokiern des vierten Jahrhun-derts der Fall war dann waumlre Gott nur eine Person Aber die (KJV) englischen Uumlbersetzer muumlssen auf die klassische Bedeutung von bdquoHypostaserdquo als bdquoSeinrdquo oder bdquoSubstanzrdquo zuruumlckgreifen und zwar fuumlr die-sen Vers Andernfalls wird die Lehre dass Gott drei bdquoHypostasenrdquo sind durch diesen NT-Verweis auf die eine bdquoHypostaserdquo von bdquoGottrdquo in Hebr 13 beschaumldigt

416 Jaroslav Pelikan The Christian Tradition Vol 1 (Chicago CUP 1975) p 129

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die bdquoRealitaumltrdquo meinten wie kamen dann die spaumlteren Heiden-Christen uumlberhaupt dazu mit bdquoHypostaserdquo eine bdquoPersonrdquo zu bezeichnen wie Valentinus und schlieszlig-lich wie der orthodoxe Trinitarismus

Die Orthodoxie obwohl offensichtlich vom Neoplatonismus beeinflusst lernte ihre Sicht der bdquoHypostaserdquo nicht von Plotinus Trotz der Personifizierungsspra-che ist klar dass fuumlr Plotinus das Wort noch nicht bdquoPersonrdquo bedeutete Er be-trachtete die platonischen Hypostasen weiterhin nur als die fundamentalen Prin-zipien unter allem was wir erleben417 Tatsaumlchlich bedeutete Hypostase fuumlr Plo-tinus wie auch fuumlr Platon und Aristoteles die unterschwellige Essenz oder das Prinzip der Dinge Dem bdquoEinen oder Gutenrdquo sprach er nicht einmal einen hy-postatischen Charakter zu Im plotinischen Vokabular bedeutete Hypostase nicht ein Individuum oder eine Person sbquoDer Einelsquo sbquoGeistlsquo sbquoSeelelsquo waren in keiner Weise Personen rdquo418

Daher kommen wir fast zwangslaumlufig zum Schluss dass die Definition von bdquoHy-postaserdquo als bdquoPersonrdquo von den Gnostikern formuliert wurde419 Tatsaumlchlich ist es der ausdruumlcklich gnostische Begriff der bdquoHypostaserdquo und der damit verbundene Begriff der Emanation [Ausstroumlmung oder Ausstrahlung] welche sich im spaumlte-ren orthodoxen Trinitarismus widerspiegeln Wie Wissenschaftler heute aufzei-gen

Der Begriff der Hypostase hat im Gnostizismus eine besondere Bedeutung gemaumlszlig den Gnostikern aus bereits existierenden Prinzipien sprudelt eine Vielzahl von Existenzen oder Hyposta-sen hervor Was die gnostischen Hypostasen definiert ist dass sie sich in irgendeiner Weise in eine persoumlnliche Einheit inkarnieren [Fleisch werden]420

Fuumlr die Gnostiker waren aber die Hypostasen nicht einfach nur fundamentale Prinzipien oder Substanzen sie waren tatsaumlchlich unterschiedliche Intellekte oder Personen Wie Tertullian in seinen Schriften gegen die Valentinianer erklaumlrt bdquoob-wohl sie [die Gottheit] allein gewesen waumlre weisen sie ihr eine zweite Person in sich

417 Siehe Kevin Corrigan Reading Plotinus A Practical Introduction to Neoplatonism (West Lafayette

Purdue University Press 2005) pp 23-26 (Plotinus Eine praktische Einfuumlhrung in den Neuplatonis-mus) Siehe auch Paine The Ethnic Trinities pp 145-146

418 Paine The Ethnic Trinities p 176 184 419 Zu den fruumlhesten Verwendungen des Wortes bdquoHypostaserdquo in der heidnischen christlichen Welt gehoumlrte

der syrische Theologe (und spaumlter zum Valentianismus konvertiert) Tatian (ca 120-180 n Chr) aber zu diesem Zeitpunkt bedeutete es noch bdquoSubstanzrdquo wie es im Platonismus und im Neuen Testament der Fall war

420 Giorgio Agamben The Use of Bodies (Stanford Stanford University Press 2015) p 140

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selbst und mit sich selbst zurdquo421 Plotinus war besonders veraumlrgert uumlber den gnosti-schen Gebrauch von bdquoHypostasenrdquo Ihm zufolge lehrten die Gnostiker zu Un-recht dass die verschiedenen Hypostasen unterschiedliche Intellekte in Gott seien422 Er wirft den Gnostikern vor Platons Schrift zu missbrauchen bdquoum ihren Begriff von den Hypostasen im Text zu beweisen und gleichzeitig die klare Be-deutung der Passage zu verfehlenrdquo423 und er kritisiert regelmaumlszligig ihren Miss-brauch der platonischen Sprache424 Plotinus argumentiert letztlich auf diese Weise gegen ihre Ansicht der Pluralitaumlt [Mehrzahl] von Personen in Gott bdquoWir sind nicht berechtigt eine Vielzahl von intellektuellen Prinzipien zu bestaumlti-gen[das] wuumlrde zwei Wesen ergebenrdquo425

Aber die Gnostiker sahen die Dinge anders Nach valentinianischer Auffassung war das Pleroma (die Fuumllle) Gottes bdquoeinheitlichrdquo es war das eine goumlttliche Wesen Aber in dieser Fuumllle der Gottheit wohnten verschiedene Personen oder Intellekte Wie Tertullian erklaumlrt bdquoValentinus hatte diese in das Wesen der Gottheit aufgenom-menrdquo426 Die Gnostiker waren auch mit Plotins Kritik an ihrer Lehre nicht ein-verstanden in ihren bdquoHypostasenrdquo sahen sie keine unterschiedlichen bdquoWesenrdquo obwohl sich der Begriff bdquoHypostaserdquo immer noch auf den einen Gott bezog Es ist kaum zu glauben aber es ist derselbe eigenartige Sinn in welchem diese Spra-che vom spaumlteren orthodoxen Trinitarismus verwendet wird Wie ein Gelehrter erklaumlrte hatte bdquoHypostaserdquo zwar fuumlr fruumlhere Christen etwas ganz anderes bedeu-tet bdquoEs setzte sich aber erst in der Zeit Athanasius endguumlltig durch [wirklich von der Zeit der Kappadokier an] um die ontologische Beziehung auszudruumlcken die

421 Tertullian Against the Valentinians 7 422 Plotinus argumentiert bdquoUnd die Herstellung einer Pluralitaumlt in der verstaumlndlichen Welt das Wesen und

der Intellekt und der Schoumlpfer der sich von Intellekt und Seele unterscheidet wird den Worten im Timaios aus entnommen Denn Platon sagt sbquoDer Schoumlpfer dieses Universums dachte dass es alle For-men enthalten sollte die die Intelligenz im lebendigen Wesen erkennt das wirklich istrsquo Aber sie verstanden es nicht und verstehen es so dass es einen Geist gibt der in ihm alle Realitaumlten im Ruhezustand enthaumllt und einen anderen Geist der sich von ihm unterscheidet der sie betrachtet und einen anderen der plant und sie denken dass dies gemaumlszlig Platon der Erschaffer ist dabei sind sie weit davon entfernt zu wissen wer der Erschaffer [wirklich] istrdquo (Plotinus Enneaden II 9 6 14-24)

423 Scott T Carroll ldquoGnosticism and the Classical Traditionrdquo Hellenization Revisited Shaping a Christian Response Within the Greco-Roman World (Lanham University Press of America 1994) p 298

(ldquoGnostizismus und die klassische Traditionldquo erneute Hellenisierung Entwicklung einer christlichen Ant-wort innerhalb der griechisch-roumlmischen Welt)

424 bdquoZum Beispiel benutzten Gnostiker Bilder von der individuellen menschlichen Seele [einer individuellen Intelligenz oder Person] die ihre Fluumlgel zerfetzt und faumlllt von Platons Phaedrus um den Fall der Weltseele zu beschreiben [die dritten Hypostasen des Neoplatonismus] Unter Missachtung der urspruumln-glichen Absicht nahmen die Gnostiker dreist einen bekannten Begriff auf und transformierten seine Bedeutung radikalrdquo (Ebenso Hervorhebung hinuzgefuumlgt)

425 Plotinus Enneaden II 9 Interessanterweise aumlhnelt dies dem Argument der Kritiker der christlichen Dreifaltigkeit dass drei persoumlnliche Hypostasen uns letztendlich drei Wesen geben

426 Tertullian Against the Valentinians 4

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in der Lehre der Dreifaltigkeit impliziert ist sbquoEin Gott in drei Hypostasenrsquo die drei Hypostasen oder Existenzen beziehen sich auf eine einzige Substanzrdquo427

Beobachten wir nun wie genau die gnostischen Hypostasen dem spaumlteren Trinita-rismus haargenau entsprechen Laut Tertullian wurde das gnostische Gottesple-roma (die Fuumllle) als eine einzige Substanz oder Essenz betrachtet428 In dieser Substanz Gottes existierten verschiedene Prinzipien oder Attribute besondere Merkmale wie bdquoGluumlckrdquo bdquoder einzig Gezeugterdquo bdquoder Selbstexistierenderdquo und bdquoGlauberdquo die letztlich in persoumlnliche Hypostasen uumlbersetzt wurden Diese Hypostasen wur-den als bdquohomoousiosrdquo (konsubstanziell) miteinander betrachtet429 Sie alle waren Manifestationen der Fuumllle oder der Ganzheit Gottes430 und wie Professor OB-rien erklaumlrt stellen die Hypostasen letztlich bdquoModi Gottesrdquo dar431

Ebenso finden wir das aus der Sicht der orthodoxen Kappadokier welche die Trinitaumltsformel endguumlltig entwickelt haben bdquoJede der goumlttlichen Hypostasen ist die Substanz oder Essenz der Gottheit die durch ihr entsprechendes kennzeich-nendes Merkmal oder ihre identifizierende Besonderheit bestimmt wird diese kennzeichnenden Merkmale sind jeweils bdquoVaterschaftrdquo bdquoSohnschaftrdquo und bdquoHei-ligungrdquo432 Diese Hypostasen wurden als bdquohomoousiosrdquo (konsubstanziell das gleiche Wesen miteinander teilend) betrachtet Jede traumlgt auch die ganze Essenz oder Fuumllle Gottes433 Fuumlr die Trinitarier des vierten Jahrhunderts bdquoist die Kern-aussage ihrer Lehre dass die eine Gottheit gleichzeitig in drei Seins-Modi oder Hypostasen existiert Sie werden als bdquoModi des Kommens zum Seinrdquo bezeich-net bdquoModi der Existenzrdquo434

427 Agamben p 140 von mir in Klammern gesetzt 428 Tertullian Against the Valentinians 4 13 429 Siehe Tertullian Gegen die Valentinier 12 13 besonders 18 der die Aumlonen oder Hypostasen in Gott

als bdquokonsubstanziellrdquo beschreibt Siehe auch Rudolphs Beobachtung dass gnostische Theologen die Hy-postasen Christi und Gottes als bdquokonsubstanziellrdquo vor den Katholiken sahen (Rudolph p 372)

430 bdquoAlle Emanationen (Ausstroumlmungen oder Ausstrahlungen) des Vaters sind also Fuumllle (Pleroma) und alle seine Emanationen haben ihre Wurzeln in demjenigen der sie alle aus sich heraus wachsen lieszligrdquo (Evangelium der Wahrheit trans Barnstone Meyer S 255)

431 OrsquoBrien p 216 432 Kelly p 267 433 Im orthodoxen System ist jede Hypostase Traumlger der gesamten Essenz Basilius einer der kappa-

dokischen Vaumlter schreibt bdquoWas auch immer der Vater ist findet sich auch im Sohn Und was auch immer der Sohn ist findet sich auch im Vater Der Sohn findet sich in seiner Gesamtheit im Vater und er hat den Vater in seiner Gesamtheit in sich Die Hypostase des Sohnes ist also das Bild und die Aumlhnlichkeit an welcher der Vater erkannt wird Und die Hypostase des Vaters wird im Bild des Sohnes erkanntrdquo (Basilius von Caesarea 38 Brief)

434 Kelly pp 265-266

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Sowohl in der gnostischen als auch in der orthodoxen Sicht ist es also die Unter-scheidungskraft der Attribute innerhalb der goumlttlichen Substanz die Gottes Ma-nifestation in persoumlnlichen Hypostasen hervorbringt ohne eine Spaltung des Seins herbeizufuumlhren und diese Hypostasen sind bdquohomoousiosrdquo miteinander sind in sich die Fuumllle Gottes und sind bdquoModirdquo des Seins Gottes

Ein weiteres gnostisches Merkmal das in der Orthodoxie eruiert werden kann ist das Konzept der Emanation oder Prozession der Hypostasen Emanation unter-scheidet sich von der Idee der Schoumlpfung oder Formation In diesem Modell strahlt Gott Manifestationen von sich selbst aus wird aber in keiner Weise durch diese Ausstroumlmungen an Qualitaumlt oder Quantitaumlt geschmaumllert [oder reduziert] Die Gnostiker benutzten hier das Bild der Sonne und ihrer Strahlen Die Sonne wird durch die Aussendung ihrer Strahlen nicht geschwaumlcht und obwohl die Strahlen die gleiche Bedeutung wie die Sonne selbst haben sind sie [begrifflich] von ihr verschieden

Es wird oft angenommen dass das orthodoxe Christentum die Idee der Emana-tion vom Neoplatoniker Plotinus gelernt hat Moderne Gelehrte erkennen je-doch dass schon vor den Neoplatonikern bdquoeine Reihe gnostischer Denker Sche-mata entwickelt hatten mit denen eine Hierarchie transzendenter Wesen aus ei-ner einzigen Quelle durch einen Prozess der dynamischen Emanation hervor-gingrdquo435 Wie John D Turner verraumlt bdquoObwohl Plotinus oft zugeschrieben wird dass er der erste groszlige Philosoph war der ein solches Schema entwickelt hat ist es klar dass sich im gnostischen Denken aumlhnliche Modelle dynamischer Emana-tion zu entwickeln begannen von denen einige chronologisch vor Plotinus lie-genrdquo436

Tatsaumlchlich hat Irenaumlus dieses [bereits bestehende] Konzept Jahrzehnte zuvor als eindeutig gnostisch verurteilt437 Wir stellen zudem fest dass der spaumltere Christ Tertullian im dritten Jahrhundert kein Problem damit hatte diese gnostische The-orie fuumlr seine eigenen Zwecke zu bdquouumlberarbeitenrdquo und sie sogar mit dem valenti-nianischen Lehnwort bdquoprobolardquo (Prozession oder Emanation) zu beschreiben438 Seiner Ansicht nach als der Sohn und der Geist vom Vater ausgegangen sind die wohl weniger von der goumlttlichen Substanz enthielten und Gott untergeordnet waren blieben sie von ihrer Quelle her voumlllig ungetrennt439 In Bezug auf seinen

435 John D Turner ldquoPlotinus and the Gnostics Opposed Heirs of Platordquo The Routledge Handbook of Neo-

platonism (London Routledge 2014) p 58 Hervorhebung hinzugefuumlgt 436 Ebenso p 53 437 George Balderston Kidd Christophany Doctrine of the Manifestations of the Son of God Under the

Economy of the Old Testament (London Ward and Co 1852) p 689 438 ldquoEmanationrdquo IEP 439 Frances Schussler Fiorenza Systematic Theology Roman Catholic Perspectives (Minneapolis Fortress 2011)

p 159 Tertullianrsquos emanations remained connected in opposition to the Gnostics in mind to the Father

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sorglosen Gebrauch der gnostischen Sprache und Ideen raumlt Tertullian seinen Le-sern bdquonicht zu erschreckenrdquo und bdquosich keine groszligen Sorgen wegen der Haumlresie zu machenrdquo Er argumentiert bdquoDie Wahrheit darf daher nicht von der Verwen-dung eines solchen Begriffs und seiner Realitaumlt und Bedeutung absehen nur weil die Ketzerei ihn auch benutztrdquo440 Letztendlich fuumlhrte diese Anpassung den gnos-tischen Emanationismus in die Gespraumlche des vierten Jahrhunderts ein Wie eine Enzyklopaumldie zeigt bdquospielte die Idee der Emanation bei der endguumlltigen Verwirk-lichung der trinitarischen Lehre zweifellos eine Rolle ebenso wie die Betonung des sbquogezeugten nicht geschaffenenrsquo Sohnes (Nicaumlnisches Glaubensbekenntnis) und der sbquoProzessionrsquo des Heiligen Geistesrdquo441

In Wirklichkeit sollte vieles von dem was spaumlter zum bdquooffenbartenrdquo Dogma des Christentums wurde das heute noch weithin als vom Himmel auf die Kirche herabsteigend angesehen wird wirklich als eine Runderneuerung gnostischer Stroumlmungen angesehen werden als ein Ruumlckfall in die unvermeidlichen Neben-wirkungen der alte gnostische These dass Christus von Natur aus Gott ist Wie wir in Kapitel 5 sehen werden waren es Origenes Athanasius und die aus Ale-xandria stammende gnostizierte protoorthodoxe Tradition die sich zunaumlchst be-muumlhten diese Nebenwirkungen zu einem theologischen Uumlberbau der Orthodo-xie zusammenzufuumlgen

Trauma

Wie wir bereits festgestellt haben und weiterhin beobachten werden wurde die philosophische Transformation des christlichen Glaubens durch die gemeinsame Kraft des Zustroms konvertierter Platoniker den langen und qualvollen Aus-tausch mit den Gnostikern sowie den groszligen Druck den juumldischen Glauben des Neuen Testaments an eine breitere religioumlse Welt anzupassen erreicht Im Ruumlck-blick zahlte die spaumltere Orthodoxie fuumlr diesen Triumph einen sehr hohen Preis Die Tatsache dass die Antwort des Christentums auf die gnostische Ketzerei zahlreiche Kompromisse enthielt zeigt uns wie verzweifelt man um diesen Sieg rang Wie der deutsche Historiker Hans Blumenberg so deutlich erkannte bdquoDas gnostische Trauma der ersten nachchristlichen Jahrhunderte geht tiefer als das der blutigen Verfolgungen durch die Roumlmerrdquo442

Letztendlich wurde der Niedergang der Gnosis als einzigartige religioumlse Kraft im Reich durch einen doppelten Prozess beschleunigt erstens hatte sich die christli-che Kirche angemessen bdquoan ihre Umgebung angepasstrdquo und bdquognostische Anlie-

440 Tertullian Against Praxeas 8 441 ldquoEmanationrdquo IEP 442 H Blumenberg quoted in Rudolph Gnosis p 368

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genrdquo sowie bdquodas kulturelle Erbe der Antikerdquo in ihre theologische Botschaft auf-genommen443 Zweitens nutzte die orthodoxe Partei schlieszliglich die Macht des Staates gegen gnostische Anhaumlnger die sich der Assimilation widersetzten Aber jeder Bericht uumlber eine scheinbare bdquoNiederlagerdquo der Gnosis durch die Orthodo-xen muumlsste eigentlich bdquoeine Besetzung des gnostischen Territoriums eine Pluumlnde-rung seiner Vorraumlte und schlieszliglich eine siegreiche Ruumlckkehr mit einem Zug gnos-tischer Beute in die Grenzen des Katholizismusrdquo beinhalten In unserer Untersu-chung koumlnnen wir schon jetzt sehen dass als nach Nicaumla die groszligen gnostischen Schulen in der Zeit ihr Ende fanden ihre Christologie keineswegs erloschen ist Die unverbluumlmte Trennung von Mensch und Gott in Jesus wurde nur gedaumlmpft und verinnerlicht die bdquoradikale Form der fruumlhen [gnostischen] Vorstellungen von Christus wurde stillschweigend beiseitegelegt nicht aber die Folgen die an der Wurzel liegenrdquo444 Unsere ausgedehntere Studie wird zeigen dass der gnostische Jesus nicht eliminiert sondern seine Praumlsentation nur in eine sbquoschmackhafterersquo Sprache uumlbersetzt und in der Kirche in einer Epoche die weit von der ersten Kontroverse entfernt war weiter gepflegt wurde Dies war das Zeitalter in dem das Gedaumlchtnis an ihn [Jesus] schwaumlcher geworden war Die Einheit der Kirche war zerbrechlich geworden Ein gnostischer Jesus wurde nun wieder vorgestellt als eine scheinbar vernuumlnftigere und angemessenere Loumlsung gegenuumlber fruumlher Tat-saumlchlich hatten die Umstaumlnde den gnostischen Jesus eine Zeitlang unerkennbar ge-macht aus den gleichen Gruumlnden wird er auch heute noch [im Christentum] nicht wirklich wahrgenommen und identifiziert

Abschlieszligend um an Harnack zu erinnern fragen wir wer jetzt noch behaupten kann dass das Christentum die valentinianische Lehre der beiden Naturen jemals wirklich uumlberwunden hat445 Dies war nur eine Facette der uumlbergreifenden philo-sophischen platonischen Metamorphose und der Entwicklung der Kirche Die heidnischen Lehren der unsterblichen Seele die Transmigration [Seelenwande-rung] und Inkarnation der Seele die Unterwerfung der unpersoumlnlichen mensch-lichen Natur die goumlttlichen Hypostasen - ohne diese Dogmata was bliebe von der christlichen Orthodoxie noch uumlbrig Wie ein Reformator des 16 Jahrhun-derts zutreffend erkannte wurde das fruumlhe Christentum bdquodurch die platonische Philosophie geschwaumlchtrdquo und bdquoes nahm Aristoteles anstelle von Christus anrdquo446 Aber die Reformation erscheint immer noch erschreckend unvollstaumlndig Wenn wir uns die beliebtesten Formen des Christentums heute ansehen stellen wir praktisch keinen Unterschied zwischen den Lobgesaumlngen (den Hymnen) der

443 Rudolph Gnosis p 367 444 Ebenso p 372 unsere Hinzufuumlgung 445 Ebenso 446 Melanchthon zitiert in Wilhelm Pauck Melanchthon and Bucer (London The Westminster Press 1969)

p 23

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Durchschnittskirchen und der numinosen Liturgie (Gottesverehrung) der Gnos-tiker fest In beiden wird die geheimnisvolle Dreifaltigkeit gefeiert Wie Rudolph vermutet bdquoMan kann fast sagen dass die Gnosis der Kirche wie ein Schatten folgte die Kirche konnte sie nie uumlberwinden geschweige denn besiegen ihr Ein-fluss war bereits zu tief eingedrungen Aufgrund ihrer gemeinsamen Geschichte bleiben sie zwei wenn auch einander feindlich gesinnte Schwesternrdquo447

In den folgenden Kapiteln werden wir weiter untersuchen wie die Annahme der gnostischen Theologie in der Gesamtkirche erreicht wurde welche sogenannten Christen fuumlr die Akzeptanz verantwortlich waren und wie dieser Prozess in Nicaumla die Grundlage fuumlr die Etablierung des Dogmas legte Aber als naumlchstes muumlssen wir das Rad der Zeit noch einmal zuruumlckdrehen und die fruumlheste Periode des christlichen Ursprungs im Geist wieder heraufholen um eine breitere Optik auf den Zustand [und die Entwicklung] des christlichen Glaubens zu erlangen In welcher Beziehung stand der urspruumlngliche [christliche] Glaube zum Trinitaris-mus und was fuumlhrte zum Drama des vierten Jahrhunderts

447 Rudolph Gnosis p 368

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4

KampfundEntwicklungDerUumlbergangzurheidnischenPhiloso-

phie

bdquoDie meisten Menschen haben eine schier unendliche Faumlhigkeit Dinge als selbstver-staumlndlich hinzunehmen Dass die Men-schen nicht viel aus den Lehren der Ge-schichte lernen ist die wichtigste aller Leh-ren der Geschichterdquo

mdash Aldous Huxley

A WIR IN DEN VORANGEHENDEN KAPITELN die Entwicklung des neoplatonischen und gnostischen Denkens im Detail untersucht ha-ben wenden wir uns nun einer ausfuumlhrlichen Schilderung der Kirchen-

geschichte zu In diesem Kapitel gebe wir einen Bericht uumlber das fruumlhe Christen-tum vom Abscheiden der Apostel bis ins vierte Jahrhundert wir weisen auf einige der beruumlhmtesten und einflussreichsten Kirchenvaumlter und ihren Glauben an die sich etablierende trinitarische Lehre hin Den modernen Studenten liefert diese unschaumltzbare Ruumlckschau auf diese Saga nicht nur die dringend benoumltigte Klarheit uumlber die genauen Mittel zur Verbreitung und Uumlbernahme griechisch-philosophi-scher Elemente in der christlichen Theologie sondern stellt viele der Erklaumlrungen der modernen trinitarischen Autoritaumlten zur historischen Lehre der Kirche kri-tisch in Frage

Es wird derzeit allgemein festgestellt dass das maszliggebliche bdquokatholischerdquo Chris-tentum des ersten bis zum dritten Jahrhundert keine bdquoorthodoxenrdquo trinitarischen

D

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Ansichten hatte Tatsaumlchlich war Jesus fuumlr die meisten der platonisierenden Kir-chenvaumlter eine Art Engelswesen ein rangmaumlszligig geringerer Gott aber eine bereits existierende goumlttliche Einheit die sich von dem einen Gott unterschied und ihm statusmaumlszligig untergeordnet war Erst im vierten Jahrhundert wuumlrde die langjaumlhrige Sicht eines dem houmlchsten Gott untergeordneten Christus aufgegeben aber auch dies erst nach vielen Auseinandersetzungen Trotz der Behauptungen moderner Apologeten dass der Glaube an die Einigkeit dreier gleichwertiger ebenbuumlrtiger Wesen schon immer die christliche Orthodoxie gepraumlgt habe wird die Ge-schichte zeigen dass dies nicht der Fall war Von den christlichen Anfaumlngen bis zum vierten Jahrhundert gab es eine Reihe von rivalisierenden theologischen Op-tionen welche den Glaumlubigen zur Verfuumlgung standen Professor Bart Ehrman schreibt dazu

Die bdquoOrthodoxierdquo im Sinne einer einheitlichen Gruppe die sich fuumlr eine von der Mehrheit der Christen allgemein akzeptierte apostoli-sche Lehre einsetzt existierte im zweiten und dritten Jahrhundert einfach nicht Unterschiedliche Uumlberzeugungen die spaumlter als or-thodox oder ketzerisch bezeichnet wurden konkurrierten mit an-deren Auslegungen des christlichen Glaubens Schlieszliglich etab-lierte sich eine dieser Gruppen als dominant gewann mehr Be-kehrte als alle anderen uumlbertrumpfte ihre Gegner und erklaumlrte sich selbst als sbquodie Rechtglaumlubigen Nach ihrem Sieg nannte sie sich bdquoor-thodoxrdquo brandmarkte die Oppositionsparteien und marginalisierte die Ketzer Dann wurde die Geschichte des Konflikts neugeschrie-ben indem sie behaupteten ihre Ansichten und die Menschen die sie vertraten seien seit den apostolischen Zeiten in der Mehrheit gewesen Es wird heute allgemein angenommen dass die Pro-toorthodoxie einfach eine von vielen konkurrierenden Auslegun-gen des Christentums in der fruumlhen Kirche war Doch es war weder eine selbstverstaumlndliche Interpretation noch die urspruumlngliche apostolische Sichtweise Die Apostel zum Beispiel lehrten das Nicaumlnische Glaubensbekenntnis oder aumlhnliche Glaubensgrund-saumltze [ganz sicher] nicht448

In der Absicht den Geist der aumlltesten christlichen Ideen wiederzuerlangen wer-den wir zunaumlchst den Vorhang fuumlr die Zeit unmittelbar nach dem Tod der Apos-tel etwas anheben In dieser weitzuruumlckliegenden Zeit entdecken wir eine der groumlssten und am wenigsten beschriebenen christlichen Auseinandersetzungen

448 Ehrman Lost Christianities p 173 (Verlorene Christenheiten) (Zusammenfassung der Schlussfolgerungen

von Walter Bauer)

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und zwar die mit den schlimmsten tiefgreifendsten und nachhaltigsten Auswir-kungen fuumlr die urspruumlngliche Religion Jesu Der direkte Konflikt zwischen der Kultur und dem Geist der konvertierten Heiden mit den christlichen Juden des ersten Jahrhunderts

DiefruumlhenJudenchristenDie Entdeckung der Schriftrollen von Qumran am Toten Meer beginnend im Jahr 1946 hat weithin zu ernsthaftem Nachdenken uumlber das Verhaumlltnis zwischen dem bdquoJudentum des ersten Jahrhundertsrdquo und dem bdquoChristentum des ersten Jahr-hundertsrdquo gefuumlhrt Aber wie ein Wissenschaftler richtig festgestellt hat haben die neuen Erkenntnisse die traditionellen vorgefassten Meinungen uumlber die Unter-schiede [zwischen Juden-Christen und Heiden-Christen] noch bei Weitem nicht beseitigt

Wissenschaftler sprechen im ersten Jahrhundert gemeinhin vom bdquoChristentumrdquo - und stellen das Christentum und das Judentum [fast feindselig] einander gegenuumlber - als waumlren es verschiedenartige und unterschiedliche soziale Phaumlnomene Eine solche Praxis wird immer schwieriger da unsere Skizze der groumlszligeren juumldischen Ge-meinde durch das was wir aus den Schriftrollen vom Toten Meer (DSS) bisher gelernt haben laufend uumlberarbeitet wird Was als Un-terscheidungsmerkmal des Neuen Testaments angesehen wurde - im Sinne dass es eine bdquochristlicherdquo Perspektive manifestiert die das Judentum uumlberlagert - taucht wohl in den Qumran-Rollen auf Doch die groumlszligte Veraumlnderung der Ansichten ist die Verlagerung der Literatur der palaumlstinischen Jesusbewegung direkt in die domi-nante juumldische Gemeinschaft hinein449

Mit anderen Worten die Schriftrollen vom Toten Meer haben uns veranlasst daruumlber nachzudenken was es bedeutete im ersten Jahrhundert sowohl juumldisch als auch christlich zu sein Jesus und seine fruumlhesten Anhaumlnger verwendeten offensicht-lich sowohl die Sprache(n) als auch Konzepte die explizit in juumldischen Doku-menten der Aumlra des Zweiten Tempels zu finden waren eine Sprache die das Christentum nach dem vierten Jahrhundert niemals als Beweis fuumlr einen notwen-digen Wandel zum Trinitarismus praumlsentiert hat450 Aber es gibt jetzt in den Au-gen der Gelehrten eine ununterbrochene theologische Erbfolge zwischen den

449 Donald H Juel ldquoThe Future of a Religious Pastrdquo The Bible and the Dead Sea Scrolls Vol 1 (Waco Baylor

University Press 2006) p 64 450 Eine eingehende Analyse der Aussagen Christi in den Evangelien und ihres Vergleichs mit etablierten

Konzepten im spaumlten Zweiten Tempeljudentum wird in der zweiten Haumllfte dieses Buches vorge-nommen

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Ur-Christen und dem geistig-geistlichen Erblasser dem Judentum451 Wenn wir also die Theologie des Neuen Testaments besser verstehen wollen muumlssen wir uns nicht nur intensiver mit dem Judentum des ersten Jahrhunderts auseinander-setzen sondern auch mit den Sekten des bdquojuumldischen Christentumsrdquo befassen die nach Abschluss der Apostelgeschichte im Heiligen Land aufbluumlhten Die Analyse der Uumlberzeugungen dieser beiden eindeutig juumldischen bdquoBuchdeckelrdquo zeitlich und kulturell vor und nach dem Neuen Testament sollte uns helfen zu erkennen welche theologischen Ideen wirklich dazwischen liegen

Unbekannt fuumlr die meisten Christen sind viele nuumltzliche Informationen uumlber die historischen Splittergruppen des bdquojuumldischen Christentumsrdquo erhalten geblieben die im spaumlteren ersten Jahrhundert gediehen Eine besondere Gruppe laumldt unsere Studie zu einer genaueren Betrachtung ein vor allem deshalb weil sie sich dem Zustrom griechischer philosophischer Konzepte in ihre Gemeinschaft entschie-den widersetzt zu haben scheint die Nazarener Sie waren nach allen historischen Berichten die unmittelbare Fortsetzung der apostolischen Bewegung in der Stadt Jerusalem452 Sowohl gemaumlszlig neutestamentlichen als auch nach spaumlteren christli-chen Quellen waren Christusnachfolger zunaumlchst unter dem Namen bdquoNazarenerbdquo bekannt bevor sie erstmals in Antiochia als bdquoChristenrdquo bezeichnet wurden (Apg 1126)453 Was die Gemeinde in Jerusalem anbetrifft wo sie ihren Hauptsitz hatte so finden wir dass

die ersten fuumlnfzehn Bischoumlfe von Jerusalem beschnittene Juden wa-ren und die Gemeinde der sie vorstanden das Gesetz des Mose mit der Lehre Christi verband Es war natuumlrlich dass die anfaumlngli-che Tradition einer Kirche die nur vierzig Tage nach dem Tod Christi gegruumlndet worden war und fast ebenso viele Jahre der un-mittelbaren Aufsicht seines Apostels unterstand als Standardmo-dell der Orthodoxie gelten sollte Die Kirchen in der Zerstreuung [Diaspora] wandten sich sehr haumlufig an sie angesichts der Autoritaumlt der ehrwuumlrdigen Mutterkirche und unterstuumltzten sie in der Not durch groszligzuumlgige Spenden und Almosen454

451 Fuumlr eine aktuelle und umfassende Analyse dieser Beziehung siehe James Dunn Weder Jude noch Grieche

Eine umstrittene Identitaumlt (Grand Rapids Eerdmans 2015) 452 Siehe B Pixner ldquoChurch of the Apostles Found on Mt Zionrdquo Biblical Archaeology Review

MayJune 1990 (Die Kirche der Apostel auf dem Berg Zion) Siehe Epiphanius Panarion 29 77 For a detailed textual analysis of the historical sources (Eine detaillierte Textanalyse der Historischen Quellen) siehe Ray Pritz Nazarene Christianity (Jerusalem Hebrew University of Jerusalem Press 1988)

453 Epiphanius Panarion 29 13 Im Qurrsquoan [Koran] wurden die Christen auch bdquoAl-Naṣarardquo genannt 454 Gibbon Decline and Fall of the Roman Empire p 453

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Von allen Gruppen welche die klerikale und theologische Nachfolge der Apostel geltend machten stellte die Gemeinde in Jerusalem den direktesten und offen-sichtlichsten Zusammenhang dar Spezialisten haben bestaumltigt dass die fruumlheste Form des neutestamentlichen Christentums tatsaumlchlich viele bdquogrundlegenderdquo Merkmale mit den Nazarenern teilte455 und Wissenschaftler haben daher bdquoeine ausreichende Kontinuitaumlt zwischen ihnen anerkannt so dass es legitim ist sie un-ter dem einzigen Titel sbquoJuumldisches Christentumrsquo zusammenzufassenrdquo456

Was war dann die sbquonazarenische Christologiersquo Welche andere Sichtweise koumlnnte Jesus in vollkommener Harmonie mit dem traditionellen Monotheismus (Ein-Gott-Glauben) der Juden besser darstellen Wir finden indem sie Jesus offen als den Messias [den Gesalbten ndash gr Christos] anerkennen seine wundersame Geburt durch die Jungfrau Maria457 bestaumltigen und weit davon entfernt sind Christus als den wahren Gott selbst zu betrachten die Nazarener bdquoerklaumlrten dass Gott Einer ist und dass Jesus Christus Sein Sohn istrdquo458 Offensichtlich bdquoakzeptierten sie die-sen Titel [Sohn Gottes] verstanden ihn aber nicht so wie es spaumlter die nicaumlnische und die chalcedonische Orthodoxie tatenrdquo459 Der Messias war fuumlr sie ein einzig-artig gezeugtergeborener und [von Gott] bevollmaumlchtigter Mensch der Nach-komme [Same] Davids aus der Prophezeiung460

Es ist wichtig darauf hinzuweisen dass Wissenschaftler der Antike und der Mo-derne die Nazarener von anderen verwandten juumldischen christlichen Gruppen wie

455 Siehe James Dunn Unity and Diversity in the New Testament An Inquiry into the Character of Earliest

Christianity (London SCM Press 1990) pp 240-243 456 James F McGrath bdquoJohannine Christianity ndash Jewish Christianityrdquo Koinonia 81 (Butler University Li-

braries 1996) p 3 See also Carsten Colpe ldquoThe Oldest Jewish-Christian Communityrdquo Christian Begin-nings (Louisville Westminster 1993) p 75 Gilles Quispel bdquoQumran John and Jewish Christianityrdquo John and Qumran (London Geoffery Chapman 1972) pp 137-140 Hans-Joachim Schoeps Theologie und Ges-chichte (Tubingen JCB Mohr 1949) p 257 (Credit to McGrath for these sources)

457 Hieronymus an Augustinus Brief 112 wo er betreffend die Nazarener schreibt bdquosie glauben dass der Messias der Sohn Gottes von der Jungfrau Maria geboren wurdeldquo

458 Epiphanius Panarion 29 7 2 459 McGrath ldquoJohannine Christianityrdquo p 4 (Johanneisches Christentum) 460 Diese juumldische Erwartung eines menschlichen Messias aus der Linie Davids die sich von dem einen

Gott unterscheidet wurde aus der weit verbreiteten messianischen Exegese alttestamentlicher Buumlcher wie Jeremia und Sacharja (mit ihrem Motiv der Davidischen bdquoZweigrdquo-Figur - dh Jer 308-9 Sach 612) und Hesekiel (mit ihrem Motiv des untergeordneten von Gott bevollmaumlchtigten Davidischen Hirten der die Nation regieren kann ndash vgl Hes 3423-24) abgeleitet Das DSS-Dokument 4QFlorilegium (4Q174) zeigt wie die bdquoSohn Davidsrdquo Prophezeiung von 2 Sam 714 mit den oben genannten Passagen kombiniert wurde um eine juumldische Erwartung an einen Messias zu erwecken der sowohl bdquoder Sohn Davidsrdquo als auch bdquoder Sohn Gottesrdquo genannt wurde Ein weiteres DSS-Dokument 4Q246 spricht ausdruumlcklich vom bdquoSohn Gottes Sohn des Houmlchstenrdquo Die Parallele zu Lukas 135 ist offensichtlich Eine weitere Analyse dieser messianischen Titel und der juumldischen Erwartungen wird in der zweiten Haumllfte dieses Buches vorgenommen

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den Ebioniten - moumlglicherweise einem Ableger - unterschieden haben461 Einige dieser Ebioniten zweifelten offensichtlich an der Jungfrauengeburt aber der Mangel an Informationen unter vielen Gelehrten der ersten Jahrhunderte scheint es schwierig zu machen die Differenzen zwischen den Gruppen der juumldischen Christen formal zu unterscheiden Sicher ist jedoch dass die Nazarener im Ge-gensatz zur wahrscheinlich der Haumllfte der Ebioniten die jungfraumluliche Geburt ak-zeptierten462 doch bdquoJesu Prauml-Existenz und seine Goumlttlichkeit ablehnenrdquo463

Im Allgemeinen finden wir dass die fruumlhen juumldischen Christen den um sich grei-fenden hellenistischen Einfluss der Platoniker und der sich entfaltenden Gnosti-ker ernsthaft zuruumlckwiesen und die klassische unitarische Einheit des juumldischen Monotheismus aufrechterhielten Sie akzeptierten einen wahrhaftig menschlichen Messias (den Gesalbten) Dieser war nicht Gott selbst sondern der zum houmlchsten Status erhobene Diener Gottes Anders ausgedruumlckt die Erscheinung Jesu scheint keinerlei Veraumlnderung an ihrer bereits existierenden juumldischen Theologie ausgeloumlst zu haben Fuumlr sie war Jesus ein Mann der bei seiner Taufe von Gott gesalbt wurde Obwohl er vor aller Zeit im Geist des Schoumlpfers oder im Plan Gottes erdacht worden sein mag hatte Jesus buchstaumlblich seinen physischen An-fang nicht in einem fernen himmlischen Kosmos sondern im Schoszlig einer Frau erlebt

Sie verehrten Jesus als den groumlszligten der Propheten der mit uumlberna-tuumlrlicher Tugend und Macht ausgestattet war Sie schrieben seiner Person und seiner zukuumlnftigen Herrschaft alle Vorhersagen der hebraumlischen Orakel zu die sich auf das geistige und ewige Koumlnig-reich des verheiszligenen Messias beziehen Einige von ihnen moumlgen eingestehen dass er von einer Jungfrau geboren wurde aber sie lehnen die vorhergehende Existenz hartnaumlckig ab464

Die Gnostiker hatten das Mensch-Sein Christi zweifelsohne durcheinander ge-bracht Wie wir gesehen haben sagten einige sogar dass seine Menschlichkeit nur eine Illusion sei waumlhrend andere behaupteten dass sein Koumlrper zwar real sei der

461 Siehe Richard Bauckham The Image of the Judeo-Christians in Ancient Jewish and Christian Literature

(Leiden Brill 2003) pp 162-181 Pritz erklaumlrt dass bdquodie Schriften einiger Kirchenvaumlter aus dem dritten und vierten Jahrhundert und spaumlter zu Verwirrung und zur Verwechslung verschiedener Sekten unter dem Namen sbquoEbionitenrsquo gefuumlhrt habenrdquo (Pritz S 9) Der Historiker Epiphanius (d 403 n Chr) der bdquodie Nazarener mit anderen Sekten falsch gruppiert hatrdquo kann das beste Beispiel fuumlr diesen Fehler liefern (Pritz p 9) (Das Bild der Judaumlo-Christen in der altjuumldischen und christlichen Literatur) (Ebenso p 43)

462 Samuel Krauss ldquoNazarenesrdquo Jewish Encyclopedia 1906 Web 09 September 2014 463 John Arendzen ldquoEbionitesrdquo The Catholic Encyclopedia Vol 5 464 Edward Gibbon The History of the Decline and Fall of the Roman Empire Vol 1 (London Penguin Books

2005 [1890]) p 774

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Erloumlser aber wirklich die goumlttliche Person Gottes sei die Menschengestalt ange-nommen habe Im Gegensatz zu diesen Ansichten hielten die Nazarener-Chris-ten energisch an dem wahren und unverfaumllschten menschlichen Leben Jesu fest fuumlr sie war er der Mensch den ihre hebraumlischen Vorfahren als den lang ersehnten Agenten Gottes schon immer erwartet hatten Letztendlich so bemerkte James Dunn bdquoscheint sich das ketzerisch-juumldische Christentum [damit meint er die Na-zarener und die Ebioniten] nicht so sehr vom Glauben der ersten juumldischen Glaumlu-bigen zu unterscheidenrdquo465

Aber was ist mit den Ur-Christen in Jerusalem wirklich passiert Warum hat ge-rade ihre Christologie so stark an Popularitaumlt eingebuumlszligt Viele Jahre lang hatte die [juumldisch-christliche] Kirche in Jerusalem die Vorrangstellung als Sitz der kirchli-chen Autoritaumlt innegehabt Mehrere Faktoren moumlgen zum geschichtlichen Ruumlck-gang ihrer Prominenz beigetragen haben aber die Hauptursache ist zweifellos die unbestreitbar rasche Transformation sowohl demographisch als auch im religiouml-sen Denken dh von einer juumldischen zu einer heidnischen Kirche

Allerdings als sich in den groszligen Staumldten des Reiches in Antiochia Alexandria Ephesus Korinth und Rom zahlreiche und maumlchtige Gemeinschaften etablierten schwand die Verehrung die Jerusalem von allen christlichen Kolonien anfaumlnglich entgegengebracht wurde unaufhaltsam dahin Die Nazarener wie sie genannt wur-den hatten zwar den Grundstein fuumlr die Kirche gelegt aber diese juumldischen [zum Glauben an Jesus Christus] Bekehrten wurden bald von einer wachsenden Menge uumlberschwemmt die von allen ver-schiedenen Religionen des Polytheismus unter Christi Banner auf-genommen wurde466

Wir sehen nicht nur dass die heidnische Weisheit [sophia] einen tiefgreifenden Effekt auf das Schwinden des juumldischen Einflusses in der Kirche hatte sondern auch die Reichhaltigkeit der heidnischen Welt erwies sich mehr als faumlhig die Auf-merksamkeit der Christenheit in fremde Richtungen zu lenken Die urspruumlngliche christliche Bewegung die von der juumldischen Landbevoumllkerung gegruumlndet und verwaltet und von den mutigen Freunden eines gemarterten Rabbiners geleitet wurde hatte eine weise Bescheidenheit gezeigt die sicherlich zu ihrem gluumlckli-chen Wachstum beigetragen hat Doch der monetaumlre und philosophische Reich-tum der heidnischen Konvertiten scheint innerhalb ihrer oumlffentlich auffaumllligsten Mitglieder einen anhaltenden Saumlkularismus aktiviert zu haben der sie von der Sanftmut der juumldischen Pioniere abstieszlig und sie rasch in die groszligen Staumldte des

465 Dunn Unity and Diversity p 242 466 Gibbon Decline and Fall p 453

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Reiches zog Die Uumlbertragung des Einflusses von Judaumla auf Rom war jedoch kei-neswegs passiv es erfolgte eine aktive und systematische Uumlbernahme der politi-schen Operationen des Glaubens

Die christliche Gemeinschaft in Rom war vergleichsweise groszlig und wohlhabend Daruumlber hinaus hatte sie in der Hauptstadt des Rei-ches eine Tradition der administrativen Faumlhigkeiten vom Staatsap-parat durch eine Art bdquoTrickle-Down-Effektldquo geerbt was bedeutet dass der Wohlstand der Reichen allmaumlhlich zu den weniger Bemit-telten durchsickerte Mit den administrativen Faumlhigkeiten ihrer Lei-ter und ihren enormen materiellen Ressourcen gelang es der Kirche in Rom Einfluss auf die anderen christlichen Gemeinschaften des Reiches auszuuumlben Unter anderem foumlrderten die roumlmischen Chris-ten eine hierarchische Struktur und bestanden darauf dass jede Kirche einen einzigen Bischof haben sollte Mit dem richtigen Auf-seher konnten dann natuumlrlich bestimmte theologische Ansichten gepredigt und durchgesetzt werden467

So nahm die Vorherrschaft der juumldischen Christen in Bezug auf theologische und politische Fragen allmaumlhlich ab Natuumlrlich half es nicht dass sie uumlberdies von der roumlmischen Armee verfolgt und fast gaumlnzlich aufgerieben wurden

Nach dem Ruumlckgang der Popularitaumlt Jerusalems unter den neuen Christen Mitte des ersten Jahrhunderts begegnen wir einer erschuumltternden Geschichte Juumldische Aufstaumlnde hatten die beruumlhmte roumlmische Belagerung und die anschlieszligende Pluumln-derung Jerusalems ausgeloumlst Die Nazarener-Juden scheinen der Vergewaltigung der heiligen Stadt und ihrer Bevoumllkerung knapp entgangen zu sein denn nur we-nige Monate vor dem roumlmischen Holocaust waren sie gemeinsam gefluumlchtet Die Christen von Jerusalem zogen sich am Pfingstfest 69 n Chr aus der Stadt zuruumlck Sie erreichten damit offensichtlich dass sie uumlberlebten Sie hatten geflissentlich die prophetische Warnung Christi befolgt Judaumla zu verlassen sobald sich Anzei-chen einer Invasion zeigten (Mt 2416) Der Historiker Epiphanius stimmt dem sicherlich zu bdquoChristus hatte ihnen gesagt sie sollen sich wegen der kommenden Belagerung aus der Stadt zuruumlckziehen und Jerusalem verlassen Und sie lieszligen sich aus diesem Grund in Peraumla niederrdquo468 Bevor die Horden von Titus ihre Landsleute gnadenlos vernichteten und schlieszliglich 70 n Chr die Stadt einnah-men bdquowar die christliche Gemeinschaft vor Beginn der Belagerung nach Pella in Peraumla oumlstlich des Jordans (in die Naumlhe von Gadara) geflohenrdquo469 Der juumldische

467 Ehrman Lost Christianities p 175 468 Epiphanius Panarion 29 78 469 Siehe Adrian Fortescue The Catholic Encyclopedia Vol VIII (New York Robert Appleton Com-

pany 1910) pp 355-361

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Historiker Josephus hat dieses Ereignis in seinem Juumldischen Krieg aufgezeichnet470 Selbst nach der Zerstoumlrung des kulturellen und religioumlsen Zentrums ihrer Zivili-sation haben sich die Nazarener an die nationalen Braumluche ihrer Vaumlter gehalten und siedelten sich in den Kirchen des Ostens an471

Die Stadt Pella blieb fuumlr weitere sechzig Jahre ihr Hauptquartier von wo aus sie haumlufig nach Jerusalem pilgerten und hofften es eines Tages dauerhaft wiederher-zustellen Unter Hadrian zerstoumlrten die Roumlmer jedoch ihre Hoffnungen indem sie die Juden mit militaumlrischen Blockaden daran hinderten sich der Stadt auch nur zu naumlhern Nach einer ploumltzlichen politischen Wende wurde schlieszliglich ein Mann namens Marcus zu ihrem Bischof ernannt ein heidnischer Geistlicher der wahrscheinlich aus einer der lateinischen Provinzen stammte Marcus nutzte ihre verzweifelte Lage und uumlberredete viele von ihnen auf die Praxis des mosaischen Rechts zu verzichten und mit den Roumlmern um den Zugang nach Jerusalem zu feilschen Er integrierte sie weiter in das katholische Establishment der Heiden-christen deren Erfolg und wachsender Reichtum die Notlage der Mangel leiden-den Nazarener noch ernster erscheinen lieszlig Doch nicht alle Nazarener folgten Marcus Bald nach dieser Stoumlrung des Laufs der Dinge begannen die Katholiken den Dissidenten wuumltend Vorwuumlrfe der Haumlresie zu machen eine Praxis in der sich die Kirche in der Folge kontinuierlich steigern wuumlrde Historiker anerkennen dass

die Kirche [allgemein] betreffend Disziplin und Dogma immer wei-ter von ihrer Urform abwich Im zweiten Jahrhundert wurden die Christen von Judaumla die den Braumluchen und Lehren der zwoumllf Apos-tel treu gefolgt waren daruumlber informiert dass sie Ketzer waren In diesem Zeitraum war eine neue Religion entstanden Das Christen-tum hatte zwar das Heidentum besiegt aber das Heidentum hatte das Christentum verdorben Der einzige (singulaumlre) Gott der Juden war gegen die Dreifaltigkeit ausgetauscht worden welche eine Er-findung der Aumlgypter war die Platon zu einem philosophischen Sys-tem idealisiert hatte Der Mann der gesagt hatte bdquoWarum nennst du mich gut Es gibt nichts Gutes ausser dem Einen der ist Gottrdquo war nun selbst zum Gott geworden oder besser gesagt der dritte Teil von Einem472

470 Josephus Wars of the Jews Book VI Chapter V Section 3 (Whiston 1957) p 825 (Juumldischer Krieg) 471 Siehe Hieronymus From Jerome to Augustine (AD 404) Letter 75 (Augustine) or 112 (Jerome) 472 William Winwood Reade The Martyrdom of Man (New York Peter Eckler 1890) p 235 (Das Mar-

tyrium des Menschen) [Bibelzitat Mt 1917 uumlbersetzt aus der KJV deutsche Uumlbersetzungen lauten etwas anders ZB LUT1545 Was heiszligest du mich gut Niemand ist gut denn der einige Gott

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Man koumlnnte erwarten dass ein solcher Druck die Entschlossenheit der Nazarener schnell aufloumlsen und sich die Uumlbriggebliebenen ins roumlmische System integrieren oder sich wieder in die Synagogen zuruumlckziehen wuumlrden Die wenig bekannten Annalen dieser dramatischen christlichen Geschichte bringen jedoch eine er-staunliche Entdeckung ans Licht Trotz der zunehmend feindseligen Umwelt ge-diehen die Nazarener auch im vierten Jahrhundert - selbst waumlhrend des proble-matischen Konzils von Nicaumla (325 n Chr) Epiphanius verraumlt dass diese spaumlte-ren Nazarener tatsaumlchlich Nachfolger der juumldischen Bekehrten waren die in Je-rusalem im ersten Jahrhundert ihre Kirche direkt von den Aposteln geerbt hat-ten473

Als die Christenheit durch den Sumpf der griechischen Philosophie zu dem mu-tierte was letztlich zum orthodoxen Trinitarismus werden sollte stellen wir fest dass nicht nur die kirchliche Praumlsenz der Nazarener bis ins vierte Jahrhundert andauerte sondern auch der Geist ihrer menschlichen Christologie [Jesus war ein Mensch] Sogar viele der heidnischen Kirchenvaumlter kaumlmpften um die gewaltige Flut der mystischen platonischen und gnostischen Philosophien aufzuhalten In den spaumlteren Streitigkeiten der verschiedenen Konzile wurden die Namen bdquoJuderdquo und bdquoEbionitrdquo abwertend bdquoauf diejenigen Christen geschleudert die sich der fort-schreitenden Hellenisierung des Christentums widersetzten zum Beispiel in Be-zug auf die Lehre von Gott die Eschatologie die Christologie uswrdquo474 Diese Personen werden sowohl in diesem als auch im folgenden Kapitel behandelt

Letztendlich ist klar dass das juumldische Christentum kurz vor dem zweiten Jahr-hundert noch in bdquoder komfortablen Mehrheit war wie in der ersten Generation der Juumlnger und am Ende der neutestamentlichen Perioderdquo475 Wenn diese neutes-tamentliche Gemeinschaft mit dem juumldischen Christentum nach dem ersten Jahr-hundert verglichen wird kommen die Wissenschaftler zum Schluss dass bdquoes nicht viele Beweise dafuumlr gibt das juumldische Christentum habe sich radikal veraumln-dertrdquo Was sich veraumlndert hatte war der Glaube der fruumlhesten Jesusbewegung in Palaumlstina der durch eine herablassende inkompatible heidnische Kirche ersetzt worden war In der Tat bdquowas sich geaumlndert hatte waren offensichtlich die sozialen Merkmale und das Umfeld des Christentumsrdquo476 Im vierten Jahrhundert hatte diese Verschiebung einen unverruumlckbaren Keil zwischen bdquoJudentumrdquo und bdquoChristentumrdquo als zwei voneinander getrennte Religionen getrieben Moderne

SLT2000 Was nennst du mich gut Niemand ist gut als Gott allein HFA Wieso fragst du mich nach dem Guten Es gibt nur einen der gut ist und das ist Gott Anm d Uuml]

473 Epiphanius Panarion 29 5 4 and 5 6 and 7 7 474 Harnack History of Dogma Vol 1 1894 Ch VI p 292 475 Alan F Segal ldquoJewish Christianityrdquo Eusebius Christianity and Judaism (Detroit Wayne State University

Press 1992) p 340 476 Ebenso

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trinitarische Gelehrte haben oft versucht die Orthodoxie mit dieser harten Tat-sache zu versoumlhnen sie haben das bdquokatholischerdquo Christentum das aus dem vier-ten Jahrhundert hervorging als mit dem Denken und der Organisation der ersten juumldischen Gemeinde vereinbar dargestellt Aber dieser Vorschlag beruumlcksichtigt die Geschichte nicht korrekt Wie Harnack schreibt bdquo die historische Beobachtung rechnet nur mit konkreten Mengen im Katholizismus laumlsst sich kein Element entdecken das als judaumlo-christlich bezeichnet werden koumlnnte Beobachtet wird nur eine progressive Hellenisierungrdquo477 Zweifellos fuumlhrte diese Hellenisierung den urspruumlnglich juumldisch-christlichen Glauben weit uumlber die Grenzen der juumldi-schen Welt hinaus so gesehen war es das sprichwoumlrtliche Vierkantholz das nicht in ein rundes Loch passen will

WarendieKirchenvaumlterdes2und3JahrhundertsTrinitarierObwohl Historiker die orthodoxe Dreifaltigkeitsdoktrin bis ins vierte Jahrhun-dert nicht nachweisen koumlnnen wird von Apologeten immer noch weit und breit behauptet dass es einen ununterbrochenen Strom des Trinitarismus gegeben habe der von der Apostolischen Kirche ausgegangen sei und dass sich innerhalb der Christenheit nur die Terminologie verschiedenartig entwickelt habe Man habe sich eben bemuumlht sprachlich genau auszudruumlcken was schon immer ge-glaubt wurde Aus dieser Sicht war es erst moumlglich als die griechischen und latei-nischen proto-orthodoxen Kirchenvaumlter mit ihrem philosophischen Hintergrund die juumldisch-christliche Religion annahmen ihre wahren Lehren zu erklaumlren Aber gesetzt den Fall man entdeckt die bekanntesten Heiden-Christen des zweiten und dritten Jahrhunderts die ausdruumlcklich nicht-trinitarische Ansichten zum Aus-druck brachten waumlre das nicht ein triftiger Grund sie als Nicht-Trinitarier einzu-schaumltzen

Justinus der Maumlrtyrer Irenaumlus Tertullian und andere werden von Mainstream-Apologeten als Beispiele fuumlr bedeutende Kirchenvaumlter angefuumlhrt die zumindest einen primitiven mangelhaft entwickelten oder bdquonaivenrdquo Trinitarismus zeigten478 Wir koumlnnten davon ausgehen dies bedeute dass sie einfach nicht die Feinheiten geloumlst haben wie zB das Verhaumlltnis zwischen den zwei Naturen Christi oder den goumlttlichen bzw den menschlichen Verstand und zwei Willen Christi (dh der Du-alismus der von den Orthodoxen erst im vierten und fuumlnften Jahrhundert aktiv diskutiert werden sollte) Vielleicht waren aber doch zumindest die Fundamente dieser Dreieinigkeits-Christologie vorhanden Die grundlegendsten Komponen-

477 Harnack History of Dogma Vol 1 pp 292-293 478 J N D Kelly Early Christian Doctrines (London AampC Black 1977) p 90 (Fruumlhchristliche

Doktrinen)

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ten des Trinitarismus einschlieszliglich der ewigen Wesensgleichheit von drei ver-schiedenen Persoumlnlichkeiten in einer Gottheit oder wenigstens des gleichwerti-gen identischen Status von Vater und Sohn und ihrer Ebenbuumlrtigkeit sollten in diesem Fall in einer rudimentaumlren Form vorhanden sein Waren die Apostel die angeblich den Kirchenvaumltern den Trinitarismus vermittelt haben nicht in der Lage solche wesentlichen Punkte zu formulieren Man duumlrfte doch sagen dass wenn solche Grundvoraussetzungen nicht nachweisbar sind kein fairer Beweis fuumlr den Trinitarismus [im Christentum des 2 und 3 Jh] vorhanden ist

Die beruumlhmtesten Kirchenfiguren der ersten drei Jahrhunderte sollten daher nicht als Beweis fuumlr die oumlkumenische Akzeptanz des trinitarischen Dogmas an-gefuumlhrt werden Sie stellen nicht einmal ansatzweise die grundlegendsten trinita-rischen Voraussetzungen Mehr noch sie vertreten tatsaumlchlich gegenteilige und oft unitarische Meinungen Sie repraumlsentieren tatsaumlchlich ein proto-orthodoxes heidnisches Christentum Der Glaube wurde von ihnen aktiv hellenisiert aber nicht bis zu dem Punkt an dem er den Trinitarismus hervorgebracht haumltte nicht einmal bis zu dem Punkt an dem er aufhoumlrte die im Wesentlichen bdquounitaumlreldquo Sichtweise (Ein-Gott-Glaube) zu vertreten von der er sich allmaumlhlich abwandte Es gab Meinungsunterschiede Einige wie die Sabellianer (Modalisten) sagten dass Gott zwar eine Person sei aber er existiere in verschiedenen Formen von Vater Sohn und Geist Andere die Subordinationisten die wir gleich untersu-chen werden sagten dass der Sohn eine andere separate Person war und der Person des Vaters unterworfen (subordiniert) war Genau analysiert kombinier-ten und betrachteten diese rivalisierenden Fraktionen die Schriften wie der juumldi-sche Philosoph Philon vor ihnen durch eine platonische Weltanschauung Doch keiner der bdquoKatholikenrdquo hatte bisher Gottes Existenz als drei verschiedene gleich-berechtigte gleichgeschlechtliche und goumlttliche Individuen erklaumlrt Wie eine En-zyklopaumldie treffend zusammenfasst bdquoKein Theologe in den ersten drei christli-chen Jahrhunderten war ein Trinitarier im Sinne des Glaubens dass der eine Gott tri-persoumlnlich ist und [drei] goumlttliche sbquoPersonenrsquo Vater Sohn und Heiliger Geist enthaumlltrdquo479

Subordinationismus Unterordnung oder lateinisch Subordinationismus ist die Lehre die besagt dass der Sohn Gott dem Vater in Natur und Wesen untergeordnet ist und dass der Sohn seine Befehle von Gott annimmt und seine Existenz Gott verdankt Es ist leicht zu verstehen warum diese Ansicht in der Urkirche so populaumlr war Beweise fuumlr Unterordnung in den biblischen Dokumenten sind zur Genuumlge zu finden

479 Dale Tuggy ldquoHistory of Trinitarian Doctrinesrdquo Stanford Encyclopedia of Philosophy 2013 Web 22 De-

cember 2014

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bdquohellip der Vater ist groumlszliger als ichrdquo (Johannes 1428)

bdquoMein Vater der sie mir gegeben hat ist groumlszliger als allerdquo (Johannes 1029)

bdquoWahrlich wahrlich ich sage euch Ein Sklave ist nicht groumlszliger als sein Herr auch ein Gesandter nicht groumlszliger als der der ihn gesandt hatrdquo (Jo-hannes 1316)

bdquoDenn wie der Vater Leben in sich selbst hat so hat er auch dem Sohne verliehen Leben in sich selbst zu habenrdquo (Johannes 526)

bdquoIch will aber dass ihr wisst dass der Christus das Haupt eines jeden Mannes ist das Haupt der Frau aber der Mann des Christus Haupt aber Gottrdquo (1 Korinther 113)

bdquo ihr aber seid Christi Christus aber ist Gottesrdquo(1 Korinther 323)

bdquoDenn alles hat er [Gott] seinen [Jesu] Fuumlszligen unterworfen Wenn es aber heiszligt dass alles unterworfen sei so ist klar dass der [Gott] ausgenommen ist der ihm [Jesus] alles unterworfen hat Wenn ihm [Gott] aber alles un-terworfen ist dann wird auch der Sohn [Jesus] selbst dem [Gott] unterwor-fen sein der ihm [Jesus] alles unterworfen hat damit Gott alles in allem seirdquo (1 Korinther 1527-28)

bdquoDa sprach ich Siehe ich komme - in der Buchrolle steht von mir geschrie-ben um deinen Willen Gott zu tunrdquo (Hebraumler 107)

bdquo und sprach Vater wenn du willst nimm diesen Kelch von mir weg - doch nicht mein Wille sondern der deine gescheherdquo (Lukas 2242)

bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Wohlgefallen gefunden hat ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird den Nationen Recht verkuumlndenrdquo (Matthaumlus 1218 Jesaja 421-4)

Einige der fruumlhesten Aufzeichnungen der Kirche zeugen von keinem Bruch mit diesen Ansichten Zum Beispiel wird Clemens I von Rom (45-101 n Chr) nicht zu verwechseln mit dem spaumlteren Clemens von Alexandria oft als der erste Papst betrachtet (der zweite oder dritte nach Petrus wenn man die Katholiken konsul-tiert) Der Uumlberlieferung zufolge ist er von Petrus selbst geweiht worden480 Cle-mens praumlsentiert sich als engagierter Subordinationist und sogar als Unitarier Er schreibt bdquoLasst alle Heiden wissen dass du (der Vater) Gott allein bist und dass Jesus Christus dein Diener istrdquo (1 Clemens 594) Fuumlr Clemens ist der einzige Gott derje-nige welcher der Vater Jesu genannt wird waumlhrend der Christus eindeutig einen

480 Siehe John Chapman ldquoPope St Clement Irdquo The Catholic Encyclopedia 1908

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Platz der Unterwerfung (Subordination Gehorsam) einnimmt Clemens unter-scheidet Christus in uumlblicher Weise von Gott bdquoHaben wir nicht einen einzigen Gott und einen einzigen Christus und einen Geist der Gnade (oder der Liebe) uumlber uns ausgegossenrdquo (466) Clemens Unterordnung Jesu unter den einen Gott ist unbeirrbar bdquoJesus Christus wurde von Gott gesandt So ist Christus von Gott und die Apostel sind von Christus so sind beide durch den Willen Gottes in der richtigen Reihenfolge gekommenrdquo (421-2)

Interessanterweise fehlt in diesem fruumlhen Stadium jede Erwaumlhnung der von Gott in der Schoumlpfung verwendete philonische Logos-Engel den spaumltere proto-ortho-doxe Christen wie Justin Martyr so liebten Am auffaumllligsten fehlt die trinitarische Vorstellung der Wesensgleichheit von Vater und Sohn Weit davon entfernt den Blick auf die Platoniker und deren demiurgischen Logos zu richten schreibt Cle-mens bdquoDurch seine allmaumlchtige Kraft hat er den Himmel geschaffen er hat ihn auf seinen Befehl hin ins Leben gerufen Mit seinen heiligen und reinen Haumlnden hat er auch den Men-schen geformtrdquo (1 Clemens 33) Hier ist Gott selbst der einzige alleinige Schoumlpfer er hat keinen persoumlnlichen Logos keinen Engel und keinen bdquoJesusldquo verwendet um seine Schoumlpfung zu vollenden es geschieht durch seine eigene Hand Ein Gelehrter schreibt bdquoAbschliessend sucht man bei [Clemens] vergeblich nach der Ansicht der Logos sei ein personifiziertes Attribut des Vaters wie es so promi-nent in den Schriften der philosophischen Konvertiten zum Christentum zum Ausdruck gebracht wirdrdquo481 Folglich gibt es auch nirgends eine Erklaumlrung des Clemens uumlber eine Wesensgleichheit [der einzelnen Personen] in der dreieinigen Gottheit

Doch zur Zeit von Justin dem Maumlrtyrer im zweiten Jahrhundert wurde der Logos-Engel von Philon bei den platonisierenden christlichen Philosophen je laumlnger desto beliebter obwohl die meisten angeblich Subordinationisten geblieben wa-ren Als Unterordner lehrten sie dass der Sohn zwar bereits als Logos Gottes existiert hatte und in gewissem Sinne zwar bdquogoumlttlichrdquo aber nicht mit dem einen wahren Gott identisch sein konnte Auch der Heilige Geist wurde von diesen Lehrern nicht als dritte und gleichberechtigte Person des einen Gottes identifi-ziert sondern galt als geringeres Geschoumlpf ja war sogar dem Sohn untergeordnet Dieser sehr bdquoarianischrdquo anmutende Glaube von dem so oft faumllschlicherweise be-hauptet wurde er sei nur entstanden um im vierten Jahrhundert eine lang etab-lierte und bekannte trinitarische Orthodoxie in Frage zu stellen ist jedoch viel aumllter als im Groszligen und Ganzen angenommen wird Uumlber diese Beschoumlnigung der Geschichte schreibt der bekannte anglikanische Bischof R P C Hanson

Die Berichte uumlber das Geschehene die uns uumlberliefert wurden ha-ben groumlszligtenteils diejenigen geschrieben die zur Denkschule gehoumlr-ten welche sich letztendlich durchsetzte und die von dieser Idee

481 Lamson Abbot p 9

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tief gepraumlgt war Die Anhaumlnger dieser Ansicht wollten dass ihre Leser denken es habe schon immer eine Orthodoxie zu dem dis-kutierten Thema gegeben und dass die Periode einfach nur eine Geschichte der Verteidigung dieser Orthodoxie gegen Ketzerei und Irrtuumlmer sei Aber es sollte jedermann einleuchten dass dies nicht der Fall gewesen sein kann482

Schon in den Debatten des vierten Jahrhunderts konnte die Lehre des Arius dass Jesus ein untergeordnetes Wesen sei als bdquotraditionellrdquo verteidigt werden Von vielen wurde Arius als engagierter theologischer Konservativer angesehen483 So-gar Konstantin bemerkte in einem Brief an Arius und seinen Bischof Alexander dass der Streit zwischen ihnen nicht uumlber eine bdquoneuerdquo Theologie ausgebrochen sei484 In der Tat genau diesen Sachverhalt erkennen heutige Historiker

Viele der fruumlheren Kirchenvaumlter darunter Justin Clemens und O-rigenes - die letzten beiden waren selber Alexandriner - behandel-ten Jesus den Sohn als eine Art Ableitung des Vaters Als Arius behauptete er folge bdquodem Glauben unserer Vorfahren den wir von euch gelernt habenrdquo meinte er damit die ehrwuumlrdigen Theologen auf deren Arbeit er sich stuumltzen konnte485

Trotz der Behauptung von Polemikern wie Athanasius und Eusebius von Caumlsarea scheint es dass die Ansicht der proto-trinitarischen Partei revolutionaumlr war Wie Wissenschaftler zeigen ist die Vorstellung dass Arius der Innovator war eine bdquoLegenderdquo486 Dies bedeutet jedoch nicht dass die traditionelle bdquoarianischerdquo Sichtweise (der Glaube an ein untergeordnetes prauml-existentes Logos-Wesen) not-wendigerweise die beste Interpretation der biblischen Daten ist Es ging lediglich darum das Fehlen eines angeblichen Trinitarismus und die anhaltende weit ver-breitete Praumlsenz der Auffassung zu demonstrieren dass der Vater dem Sohn bis Mitte des vierten Jahrhunderts nach Christus uumlbergeordnet ist Bischof Hanson bestaumltigt dies und schreibt

Mit Ausnahme von Athanasius akzeptierte praktisch jeder Theo-loge in Ost und West zumindest bis zum Jahr 355 n Chr eine

482 R P C Hanson The Search for the Christian Doctrine of God The Arian Controversy 318-381

(Edinburgh T amp T Clark 1988) pp xviii-xix 483 Rowan Williams ldquoArius Heresy and Traditionrdquo The Journal of Roman Studies Vol 79 (London Society

for the Promotion of Roman Studies 1989) pp 256-257 See Griggs p 145 (Arius Haumlresie und Tradition) 484 Konstantin schrieb bdquoDie Ursache eurer Meinungsverschiedenheit war weder eine der Fuumlhrungslehren

oder Gebote des goumlttlichen Gesetzes noch ist eine neue Ketzerei die die Anbetung Gottes respektiert unter euch entstandenldquo (zitiert von Freeman in The Closing of the Western Mind p 166)

485 Freeman Closing of the Western Mind p 165 486 Griggs p 245

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Form des Subordinationismus der Subordinationismus koumlnnte tat-saumlchlich bis zur Beendigung der Kontroverse als offiziell akzep-tierte Orthodoxie bezeichnet werden487

Erst als die Bewegung des Athanasius die Gleichberechtigung [Gleichwertigkeit] von Vater und Sohn immer mehr hervorhob und diese Ansicht durch das Mandat des roumlmischen Staates unterstuumltzt wurde begann die Mehrheit welche noch die Tradition des Subordinationismus pflegte politische Macht einzubuumlssen Aber schon vorher zu Beginn des dritten Jahrhunderts war der Kampf um den Sub-ordinationismus durch eine andere rivalisierende Sichtweise in Frage gestellt wor-den Der Sabellianismus auch Modalismus genannt war eine Bewegung die nicht nur die platonischen Subordinationisten sondern auch die Unitarier bekaumlmpfte die offensichtlich unbeirrbar die urspruumlngliche Christologie der Nazarener und Ebioniten [beide waren Juden-Christen] aufrechterhielten

DerSubordinationismuskollidiertmitdemSabellianismusIm spaumlten zweiten Jahrhundert erfreute sich ein respektierter Handwerker na-mens Theodotus (von Byzanz auch der Gerber genannt ca 190 n Chr) einer grossen Anhaumlngerschaft Er uumlberzeugte die Glaumlubigen mit einer beeindruckenden Lehre welche der Christologie der juumldischen Christen von Jerusalem aumlhnelte Er hatte das Thema des Bloszlig-Mensch-Seins Jesu aufgenommen Theodotus sagte dass der Vater der wahre Gott sei und dass Jesus [lediglich] ein Mensch sei der aus der Jungfrau Maria geboren wurde Bei seiner Taufe sei er als Messias gesalbt und mit der Kraft Gottes ausgestattet worden488 Viele heidnische Intellektuelle in der Kirche fanden in seiner Lehre eine attraktive Rationalitaumlt489 und eine grosse Anzahl der christlichen Bischoumlfe soll diesem oder einem aumlhnlichen Den-ken gefolgt sein490 Doch es gab auch einige Bischoumlfe die argumentierten dass Christus kein bdquogewoumlhnlicher Menschrdquo gewesen sein konnte

487 Hanson p xix 488 Siehe Hippolytus The Refutation of All Heresies Ch VII 23 Einige Gelehrte haben Hippolytus Bericht

uumlber den Glauben von Theodotus in Bezug auf die jungfraumluliche Geburt in Frage gestellt und ihn eher als Adoptionisten angesehen (dass Gott Jesus bei seiner Taufe als seinen Sohn adoptiert habe) Hippol-ytus hingegen sah in Theodotus zweifellos ein Festhalten an der jungfraumlulichen Geburt Dennoch war Theodotus Sichtweise auf Gott unbestreitbar unitarisch und seine Sicht auf Christus dass er ein Mensch war und Gott eindeutig untergeordnet

489 Epiphanius berichtet dass Theodotus und die von ihm gegruumlndete bdquotheodotianische Sekterdquo staumlndig an die Schrift appellierten ihre Sicht auf den Menschen Jesus zu unterstuumltzen Zu den Lieblingstexten von Theodotus gehoumlrten Johannes 840 bdquoJetzt aber sucht ihr mich zu toumlten einen Menschen der ich euch die Wahrheit gesagt habe die ich von Gott gehoumlrt haberdquo und 5 Mose 1815 bdquoEinen Propheten wie mich wird dir der HERR dein Gott aus deiner Mitte aus deinen Bruumldern erstehen lassen Auf ihn sollt ihr houmlrenrdquo Siehe Epiphanius Panarion 1 9 3 1

490 Ehrman Lost Christianities pp 152-155

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Eine solche feindselige Person war auch Papst Victor I (gest 199 n Chr) Victor ein scheinbar vorschneller Richter der alle Ostkirchen exkommuniziert hatte weil sie Ostern nicht gleichzeitig mit den Westkirchen feierten491 scheint den Einfluss eines anderen Mannes namens Praxeas (ca 190 n Chr) uumlbernommen zu haben492 Dieser Praxeas hatte die strenge Einheit Gottes gelehrt (dass Gott eine Person war und der Sohn ein Modus [= Art und Weise des Seins eine Er-scheinungsform] dieses einen Gottes war) Er vertrat die Ansicht dass der Vater selbst auf die Erde heruntergekommen war und es zugelassen habe dass er ge-kreuzigt wurde493 Letztendlich haben Praxeas Lehren den spaumlteren Sabellius be-einflusst der die Auslegung im dritten Jahrhundert weiterfuumlhrte und seinen Na-men [Sabellianismus] damit identifizierte494 Es wird angenommen dass Papst Victor I bdquoversucht hat die Sichtweise des Praxeas in Rom zu festigenrdquo So geriet er mit den Ansichten des menschlichen Christus von Theodotus dem Gerber in Konflikt495 Der Streit zwischen Victor I und den Nachfolgern von Theodotus war ein Kampf zwischen zwei im Wesentlichen bdquounitarischenrdquo Ansichten Theo-dotus predigte Gott als eine Person waumlhrend Praxeas in Gott eine Person in drei Modi sah Schlieszliglich exkommunizierte Papst Victor I Theodotus um 190 n Chr wobei nicht genau bekannt ist aus welchen Gruumlnden Heute moumlgen einige behaupten dass es wegen der unitarischen Lehre von Theodotus war aber wie Dr Priestley bemerkte

Theodotus der als Unitarier exkommuniziert wurde steht kaum im Einklang mit der allgemeinen Praumlvalenz der unitarischen Lehre in der Zeit von Tertullian (die auch die von Victor I war) Es wird uumlber die Unitarier gesagt dass sie von Victor zunaumlchst gut aufge-nommen wurden So ist es durchaus moumlglich dass letzterer zu dem was er getan hat zu einem Streit zwischen ihnen angestiftet wurde uumlber den wir nichts zu berichten haben Es gibt keinen Fall glaube ich in dem eine Person vor Theodotus exkommuniziert wurde [nur] weil sie Unitarier war Waumlre die universelle [katholi-sche] Kirche hingegen von Anfang an trinitarisch gewesen haumltte man dann die Unitarier aus allen christlichen Gesellschaften nicht grausam vertrieben496

491 Joseph Priestley The Theological Works of Joseph Priestley Vol 6 (London G Smallfield 1786) p 505 492 John Chapman ldquoPraxeasrdquo The Catholic Encyclopedia Vol 12 (New York The Encyclopedia Press 1911)

p 344 493 Tertullian Against Praxeas 1 494 Kenneth Latourette A History of Christianity Vol 1 (New York HarperCollins 1875) pp 144-146 495 Tertullian De Praescriptione Appendix 496 Priestley Works pp 504-506

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Nach Theodotus Exkommunikation uumlberdauerte die theodotianische Sekte un-abhaumlngig in betraumlchtlicher Zahl bis ins spaumlte 3 Jahrhundert497 Aber bei der Kon-frontation mit den Theodotianern und anderen die seine Ansichten teilten498 haben Anhaumlnger von Papst Victors Partei in Rom moumlglicherweise uumlbertrieben Nach Victors Tod tolerierte und unterstuumltzte sein Nachfolger Papst Zephyrinus die praxeanisch-modalistische Haumlresie499 Obwohl die praxeanische Auffassung dass Jesus mit Gott dem Vater identisch sei sich in Rom inzwischen stark ver-breitet hatte geriet sie in heftige Kritik vor allem von Tertullian in seinem gefei-erten Werk Gegen Praxeas (um 213 n Chr) Tertullian verbuumlndete sich mit dem einflussreichen Hippolytus von Rom (170-235 n Chr) und die zwei argumen-tierten fuumlr die Unterscheidung und Unterordnung des Sohnes unter den Vater wie folgt

Warum sagt die Schrift dass Gott seinen Sohn gesandt hat anstatt dass er sich selbst gesandt hat Wie kann man sein eigener Vater sein Zu wem spricht Jesus wenn er betet Wie kann Jesus davon sprechen dass er zum Vater geht (Johannes 2017) wenn er der Vater ist Und ist es wirklich vorstellbar dass Gott der Vater getouml-tet wurde500

Papst Zephyrinus wurde von Hippolytus scharf kritisiert der ihn des Modalismus beschuldigte Die Fehde fuumlhrte dazu dass Hippolytus und seine Juumlnger aus der Gemeinschaft mit dem Papst flohen und sich zur wahren Kirche in Rom ernann-ten501 Letztendlich verteidigten Tertullian und Hippolytus die Christologie des

497 Nach dem Abgang von Theodotus und Victor machten die Theodotianer weiter unter der Fuumlhrung

eines Mannes der ebenfalls Theodotus hiess auch bekannt als der Geldwechsler Ihm zur Seite stand Asclepiodotus Diese zwei Aumlltesten und der Nachfolger Victors namens Zephyrinus gerieten in Streit miteinander welcher den Papst offensichtlich sehr belastete Er starb nicht den Maumlrtyrertod doch die psychische Belastung war so groszlig dass ihm der Ehrentitel Maumlrtyrer gegeben wurde

498 Siehe Epiphanius Heresies 54 Eusebius Church History l 5 499 C Wordsworth St Hippolytus and the Church of Rome (Oxford Rivingtons 1880) p 192 500 Ehrman Lost Christianities p 153 See also Tertullian Against Praxeas and Hippolytus Against Noetus 501 Burton Easton The Apostolic Tradition of Hippolytus (Cambridge CUP 1934) pp 21-22

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untergeordneten Logos502 bis die praxeanischsabellianische Sichtweise schlieszlig-lich in Ungnade fiel und wiederholt als Ketzerei verurteilt wurde503 So wurden der Vater und der Sohn im dritten Jahrhundert von der Mehrheit der Christen als unterschiedliche Wesen [Modi] angesehen In der Tat hat sich in diesem Stadium der Subordinationismus durchgesetzt Und nicht nur der Subordinationismus sondern auch die Christologie des Theodotus hielt sich gegen die zunehmende Logos-Christologie weiterhin hartnaumlckig aufrecht kann man sie doch oumlffentlich bis in die Zeit der fruumlhesten juumldischen Christen zuruumlckverfolgen

Die Geschichte von Artemon (ca 230 n Chr) ist in dieser Hinsicht nuumltzlich Artemon war ein prominenter und beliebter Lehrer in Rom der sich an die Mensch-Christologie seine Geburt durch eine Jungfrau und die unitarische Ein-Gott-These hielt504 Artemon ist vor allem bemerkenswert weil er oumlffentlich die Autoritaumlt der Antike fuumlr seine Ansichten beanspruchte welche auf die erste christliche Gemeinschaft in Judaumla zuruumlckgeht Nicht nur das Artemon und seine Verbuumlndeten behaupteten auch dass der Glaube an einen goumlttlichen Christus erst um die Zeit von Papst Victor I und Zephyrinus (Ende des zweiten Jahrhunderts) einen nennenswerten Einfluss auf die Christenheit ausgeuumlbt habe Dieses Datum scheint mit unserer fruumlheren Information uumlber den Erfolg des markionitischen und valentinianischen Christentums im spaumlten zweiten Jahrhundert uumlbereinzu-stimmen Zwischen den maumlchtigen gnostischen krypto-gnostischen und sabelli-anischen Einfluumlssen die in dieser Zeit aus Rom und Alexandria ausgingen er-scheint es sinnvoll mit den Artemoniten uumlbereinzustimmen dass diese Periode das weit verbreitete Verschwinden des nur-menschlichen Jesus markierte Euse-bius erinnert sich

502 Hippolytus zeigt aumlhnliche Ansichten wie Tertullian in dem Sinne dass der Logos Gottes ewig goumlttlich

war aber noch nicht zur Person des Sohnes mutierte bis dies spaumlter von Gott gewollt wurde so gab es keine ewige Generation eines gleichberechtigten Sohnes Berichte aus einer Hand bdquoBei Hippolytus wird der Logos erst bei der Schoumlpfung persoumlnlich und bleibt so fortan bis in alle Ewigkeit aber Er wird erst bei der Inkarnation als Sohn Gottes vollkommen ldquo Auszligerdem nimmt Hippolytus eine Beziehung strik-ter Unterordnung an (John Dollinger Hippolytus und Callistus (Edinburgh T amp T Clark 1876) S 202 unsere Betonung) Eine andere Erklaumlrung lautet bdquo[Hippolytus] glaubt dass der Logos erst dann voll-staumlndig zum Sohn wird wenn er zum Menschen wirdrdquo Zum Beispiel schreibt der Polemiker bdquoWelchen eigenen Sohn hat Gott nun durch das Fleisch herabgesandt wenn nicht das Wort Er hat ihn als Sohn angesprochen angesichts der Tatsache dass er in Zukunft so werden wuumlrderdquo (Edgar G Foster Ange-lomorphic Christology and the Exegesis of Psalm 85 in Tertullianrsquos Adversus Praxean (Lanham Uni-versity Press of America 2005) S 24)

503 Sabellius ein libyscher Priester gab der praxeanisch-modalistischen Sicht zu Beginn des dritten Jahrhunderts neuen Auftrieb so dass sein Name bis heute so eng mit der jetzigen Darlegung verbunden ist Nachdem er zuerst die Akzeptanz von Bischof Callistus genossen hatte wurde er um 220 n Chr von Callistus exkommuniziert nachdem Hippolytus die Gunst des Bischofs erlangt hatte Sabellius wurde von Dionysius um 260 n Chr jedoch erneut angeprangert Und noch einmal verurteilte Bischof Damasus 380 n Chr Sabellius

504 See Theodoretus Compendium of Heretical Accounts 2 6 See also Lamson Abbot p 225

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[Die Artemoniten] bekraumlftigen dass alle Aumlltesten und die Apostel die gleichen Dinge empfangen und gelehrt haben wie sie jetzt ver-sichern die Predigt der Wahrheit sei bis zu den Zeiten von Victor I der nach Petrus der dreizehnte Bischof von Rom war erhalten geblieben aber seit den Zeiten seines Nachfolgers Zephyrinus sei die Wahrheit verfaumllscht worden505

Der orthodoxe Eusebius versucht die artemonitischen Behauptungen zu wider-legen indem er sich auf die Antike derer beruft welche die Doktrin aufstellten der Logos sei eine Person Er geht jedoch nur bis zu Clemens von Alexandria (Ende des 2 Jahrhunderts) und Justin der Maumlrtyrer (ca 150 n Chr) zuruumlck und wagt nicht weiter oder kann es nicht Doch wie wir bald feststellen werden hatte sich die Logos-Doktrin auch zu Justins Zeiten nicht uumlber das gesamte Christen-tum ausgebreitet und viele hielten immer noch an der menschlichen Christologie fest Im Licht der Geschichte der Nazarener und gemaumlszlig anderen Christen schei-nen Artemons Behauptungen gut fundiert gewesen zu sein Wie zwei Historiker feststellen bdquohat Artemons Anspruch die alte Lehre zu bewahren die Befuumlrworter der sbquoLogos-Doktrinrsquo etwas ratlos gemacht Fuumlr sie ist dies eine haumlssliche Tatsache die schwer zu beseitigen istrdquo506

Unabhaumlngig davon fasst ein anderer Wissenschaftler treffend zusammen bdquoWaumlh-rend der Subordinationismus unterschiedliche Darlegungsformen aufwies be-schaumlftigten sich praktisch alle Theologen vor Nicaumla mit irgendeinem der Aspekte davonrdquo507 Doch wie gesagt waren diese Ansichten erst im vierten Jahrhundert ernsthaft gefaumlhrdet als die proto-orthodoxe Partei bdquoihre Kategorien verfeinerte und jede Vorstellung von einer Subordination Christi unter Gott ablehnterdquo508

Nachdem wir das allgemeine theologische Klima des spaumlten zweiten und dritten Jahrhunderts beschrieben haben unterziehen wir nun einige der prominentesten Persoumlnlichkeiten dieser Epochen die von Apologeten am haumlufigsten als uumlber-zeugte Trinitarier herangezogen werden einer sorgfaumlltigen Analyse Wir werden untersuchen ob sie noch die [seinerzeitige] traditionelle Subordination des Soh-nes bezeugen oder nicht Wir wollen wissen ob sie die notwendige Ko-Eternitaumlt (gleich-ewig) und Ko-Gleichheit (gleich-wertig) erklaumlren die erforderlich ist um Trinitarier zu sein Wir werden ihre Meinungen genau analysieren Enthalten ihre Darlegungen die unverwechselbaren Vorstellungen Platons uumlber den Demiurg sowie die Ansichten Philons uumlber den Logos

505 Eusebius Church History 5 28 506 Lamson Abbot p 225 507 Thomas C Pfizenmaier The Trinitarian Theology of Dr Samuel Clarke (Leiden Brill 1997) p 91 508 Ehrman Lost Christianites p 155

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JustinusderMaumlrtyrereinuumlberzeugterTrinitarierWas den beruumlhmten Justin Martyr (100-165 n Chr) betrifft so wird manchmal von Apologeten behauptet bdquoJustin glaubte an einen Vater Sohn und Geist als drei verschiedene Personen Alle drei dieser Personen waren ein [und derselbe] Gottrdquo509 Doch schreibt Justin selbst dem einen Gott jemals eine solche tri-per-soumlnliche Natur zu Sieht er Jesus den Vater und den Heiligen Geist als die gleiche einzelne Gottheit Die Antwort lautet Wir finden in Justin keinen engagierten Trinitarier sondern nur einen hellenisierenden christlichen Philosophen der ent-schlossen war seinen Glauben mit demjenigen Platons zu verbinden Im Plato-nismus sah er die wertvollste aller griechischen philosophischen Schulen mit de-nen er sich beschaumlftigte

Es ist wahr dass Justin wie viele der Kirchenvaumlter in seinen Schriften manchmal den Begriff bdquoGottrdquo benutzt um [auch] Christus zu beschreiben Wir werden je-doch bald feststellen dass die klassische Anwendung des Wortes allgemein viel breiter war als heute Waumlhrend Justins Verwendung von bdquoGottrdquo (oder sbquogoumlttlichlsquo) zur Beschreibung Jesu bei einigen heutigen Lesern Verwirrung stiften mag geben seine anderen Aussagen uumlber Christus und den Vater Aufschluss uumlber seinen tat-saumlchlichen Glauben In seinem beruumlhmten Dialog mit Tryphon dem Juden schreibt er bdquoWir behaupten nicht dass unser Gott anders ist als deiner der Gott Abrahams Isaaks und Jakobsrdquo510 Das ist natuumlrlich ein Anspruch den auch moderne Trinitarier stellen Doch in seiner Ersten Apologie erklaumlrt Justin

Wir verehren den Erschaffer dieses Universums Unser Lehrer fuumlr diese Dinge ist Jesus Christus wir verehren ihn vernuumlnftiger-weise nachdem wir gelernt haben dass er der Sohn des wahren Gottes selbst ist und halten ihn an zweiter Stelle und den prophe-tischen Geist an dritter Stelle wie wir beweisen werden wir geben einem gekreuzigten Menschen einen Platz an zweiter Stelle nach dem unveraumlnderlichen und ewigen Gott dem Schoumlpfer von al-len511

Bisher haben wir gesehen dass Justins Gott eindeutig der Gott der Juden und dass er auch der Vater Jesu ist Justins Erwaumlhnung den Sohn und den Geist ne-ben bdquodem wahren Gottrdquo anzubeten oder zu (ver-)ehren macht ihn nicht auto-matisch zu einem Trinitarier Die Tatsache dass er sie nach Rang ein- oder un-terordnet zeigt dass er diese Subjekte [im Sinne von Untergebenen] nicht fuumlr

509 Robert Alan King Justin Martyr on the Trinity God as Father Son and Spirit (Casa Grande King amp Asso-

ciates 2011) p 1 510 Justin Martyr Dialogue 11 1 511 Justin Martyr First Apology 13 1

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gleichwertig mit Gott haumllt ohne das Dogma der Gleichwertigkeit aber gibt es keinen Trinitarismus Justin ist also ein Unterordner der Vater hat Vorrang vor dem Sohn Es ist allerdings auch klar dass Justin im Gegensatz zu vielen anderen heutigen evangelischen Trinitariern nicht die Haltung einnimmt religioumlse Ehre gebuumlhre allein Gott Fuumlr Justin ist Gott

bdquo hellip der wahrhaftige Gott der Vater der Gerechtigkeit und Maumlszligi-gung der nicht mit dem Boumlsen vermischt ist aber wir verehren und lieben sowohl ihn als auch den Sohn der von ihm kam und uns diese Dinge und die Heere der uumlbrigen guten Engel zeigte die ihm folgen und die wie er gemacht sind und den prophetischen Geist der Ehre und Vernunft und Wahrheit gibtldquo 512

Hier demonstriert Justin fuumlr Christen die Breite der Anbetung Er erklaumlrt dass er neben Gott welcher der Vater ist auch den Sohn die Engel [die himmlischen Heerscharen] und den prophetischen Geist anbetet wenn auch offensichtlich nicht in genau der gleichen Weise oder in demselben Maszlige wie er den einen Gott den Vater Jesu verehrt er hat sie bereits nach Rang und Grad eingeordnet Au-szligerdem sagt Justin nachdem er den Sohn erwaumlhnt hat direkt bdquodie uumlbrigen guten Engel die wie er gemacht sindrdquo Fuumlr Justin war der Sohn ein goumlttlicher Geist der nicht der eine Gott war sondern der Logos Gottes ein engelhaftes Wesen das durch die Geburt Mensch wurde

bdquoEs gibt in der Schrift und wird darin oft erwaumlhnt einen anderen Gott einen Herrn unter dem Schoumlpfer aller Dinge er wird auch Engel genannt [der auch] Abraham Jakob und Mose erschienen ist und Gott genannt wird [und der] sich von Gott dem Schoumlpfer unterscheidet verschieden das heiszligt in der Anzahl aber nicht im Sinnldquo 513

Dieser Logos gilt als bdquoein anderer Gottrdquo der bdquounter dem Schoumlpferrdquo ist er ist mit dem einen Gott in Sinn und Zweck vereint doch diese Engelsinkarnation ist nicht der Schoumlpfergott Justin scheint sogar die Idee zu verabscheuen dass der Schoumlpfer als Mensch haumltte Fleisch werden sollen

Niemand auch der nicht welcher nur ein bisschen Verstand be-sitzt zu erklaumlren wagen der Schoumlpfer und Vater des Weltalls habe alles was uumlber dem Himmel ist verlassen und sei in einem kleinen Winkel der Erde erschienen514

512 Ebenso 6 513 Justin Martyr Dialogue 56 514 Ebenso 60

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Obwohl Justin Jesus manchmal bdquoGottrdquo (theos) nannte wissen wir dass er kein Trinitarier war denn fuumlr ihn existierte der Sohn ausserhalb der einen wahren Gottheit als sekundaumlrer rangmaumlszligig geringerer bdquoGottrdquo - eine Person die sicherlich nicht mit dem Vater gleichwertig ist sondern ein eigenes goumlttliches Wesen von geringeren Eigenschaften und Ehre Ein Gelehrter fasst zusammen

Die moderne populaumlre Lehre der Dreifaltigkeit bezieht keine Un-terstuumltzung aus der Sprache Justins und diese Beobachtung kann auf alle [Kirchen-]Vaumlter vor Nicaumla ausgedehnt werden dh auf alle christlichen Verfasser von Schriften waumlhrend drei Jahrhunderten nach der Geburt Christi Es trifft zwar zu sie sprechen alle vom Vater vom Sohn und vom heiligen Geist aber nicht als gleich-wertig nicht als eine numerische Essenz nicht als drei in einem im dem Sinne in welchem er heute von den Trinitariern aufgefasst wird Fakt ist das genaue Gegenteil ist der Fall515

Aber wir fragen uns immer noch ob Justins Ansicht der Prauml-Existenz Christi als ein zweites goumlttliches Wesen die akzeptierte Ansicht aller (nicht-gnostischen) Christen seiner Zeit war Wenn wir ein wenig tiefer in Justins Gespraumlch mit Try-phon dem Juden eintauchen entdecken wir interessante Informationen Im Dia-log Kapitel 48 stellt Tryphon Justins Sichtweise der nicht-menschlichen Prauml-Existenz Christi in Zweifel Er fragt sich wie es moumlglich ist dass Justins Christus wirklich bdquobloszlig Menschldquo und vom Menschen geboren sein koumlnnte und doch zu-erst als etwas anderes existiert habe und daher nicht bdquovon Menschenldquo war bdquoEs scheint so zu seinrdquo protestiert Tryphon bdquovoumlllig absurd und voumlllig unmoumlglich zu beweisenrdquo516 Wir muumlssen uns hier daran erinnern dass die Juden eine ganz an-dere Vorstellung von der Seele hatten als die Griechen Dem traditionellen Juden fehlte das metaphysische System Platons welches es einer goumlttlichen Natur oder einer prauml-existenten Person ermoumlglichte sich mit einer anderen abstrakten Natur zu verbinden So nennt Tryphon Justins Glauben an Jesu Prauml-Existenz bdquonicht nur paradox sondern geradezu unvernuumlnftigrdquo517 Uumlberraschenderweise gibt Justin je-doch anstatt einfach nur die Schrift zur Verfuumlgung zu stellen um unmissver-staumlndlich zu beweisen dass Christus tatsaumlchlich - bevor er Mensch wurde ndash eben doch bereits existierte eine bemerkenswerte Reihe von Aussagen ab die helfen koumlnnen den Zustand des Christentums in seiner Zeit zu beleuchten Er beginnt mit den Worten

Ich weiszlig dass die Aussage paradox erscheint besonders fuumlr dieje-nigen deiner Rasse die immer nicht bereit sind die Anforderungen

515 Lamson Abbot pp 56-57 516 Justin Martyr Dialogue with Trypho 48 517 Ebenso 48 1

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Gottes zu verstehen oder zu erfuumlllen aber bereit sind die deiner Lehrer zu erfuumlllen518

Daraus laumlsst sich erkennen dass es in der Tat unter den Juden keinen weit ver-breiteten Glauben an eine buchstaumlbliche Prauml-Existenz des Messias gab Da war kein religioumlser oder philosophischer Bezugsrahmen durch den die Inkarnation eines himmlischen Wesens und der Einklang mit der menschlichen Natur als et-was anderes als Unsinn wahrgenommen werden konnte Das scheint historisch korrekt zu sein Die traditionellen juumldischen und platonischen Weltanschauungen waren stets unvereinbar trotz der in Mode gekommenen progressiven alexandri-nischen Auslegungen Die Juden konnten sicherlich damals nicht - und sie koumln-nen sich bis heute nicht ndash einerseits von ihren Schriften leiten lassen und ande-rerseits den Messias als ein buchstaumlblich bereits existierendes goumlttliches Wesen zu betrachten fuumlr sie war er einfach ein Mensch519 Selbst Tryphon sagt bdquoWir Juden erwarten alle dass Christus [der Gesalbte der Messias] ein Mensch rein mensch-lichen Ursprungs sein wird dieser Mann der Christus zu sein scheint muss als ein Mann von ausschlieszliglich menschlicher Geburt betrachtet werdenrdquo520 Den-noch behauptet Justin weiterhin eine himmlische Prauml-Existenz fuumlr den Messias aber er scheint dies nur zaghaft zu tun

Nun Tryphon der Beweis dafuumlr dass dieser Mann der Christus Gottes ist scheitert nicht obwohl ich nicht beweisen kann dass er fruumlher als Sohn des Schoumlpfers aller Dinge naumlmlich als Gott [oder als bdquogoumlttlichldquo] existierte und von der Jungfrau als Mensch geboren wurde Aber da ich sicherlich bewiesen habe dass dieser Mensch der Christus Gottes ist wer auch immer er ist auch wenn ich nicht beweise dass er vorher existiert hat und als ein Mensch gleicher Leiden-schaften mit uns geboren wurde der einen Leib hat nach dem Wil-len des Vaters allein in dieser letzten Angelegenheit ist es nur zu sagen dass ich mich geirrt habe und nicht zu leugnen dass er der Christus ist obwohl es den Anschein haben sollte dass er als Mensch von Menschen geboren wurde und [nicht mehr] bewiesen ist dass er durch Erwaumlhlung Christus geworden ist Denn es gibt einige meine Freunde unserer Rasse die zugeben dass er Christus ist waumlhrend sie ihn als

518 Ebenso 48 2 519 Der Reformator Melanchthon schreibt bdquoDie Juden erwarteten einen Messias der nur ein Mensch

wie die anderen Propheten sein wuumlrde obwohl er sie in Weisheit Tugend und Faumlhigkeit uumlbertrifft um die ganze Welt zu empfangen und zu beherrschenrdquo (F A Cox Life of Melancthon (London Forgotten Books 2013 [1815]) p 120) Ein trinitarischer Bischof stimmt dem zu bdquo dass die [Juden] erwartet haben sollen dass ihr Messias eigentlich und vollkommen Gott waumlre von einer Substanz mit dem Vater ist glaube ich mehr als uns erlaubt ist zu bestaumltigenrdquo (Charles J Blomfield Dissertation upon the Tradi-tional Knowledge of a Promised Redeemer (Cambridge J Smith 1819) p 98)

520 Justin Martyr Dialogue with Trypho 49 1

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Mensch von Menschen halten mit denen ich nicht einverstanden bin auch nicht wenn die meisten von denen welche der gleichen Mei-nung sind wie ich das sagen sollten521

Justins Taktik hier ist aufschlussreich Er argumentiert dass das Hauptbeweis-mittel in der Tatsache liegt dass der Mann Jesus von Nazareth wirklich der pro-phezeite Messias ist Daruumlber hinaus sind die einzigen Dinge die er bisher bewei-sen konnte und moumlglicherweise auch die einzigen die er beweisen kann dass Jesus von einem Menschen geboren wurde und dass er der Christus ist nachdem er durch Gottes eigene Wahl zum Christus gemacht wurde522 Wenn Justin nach-weisen koumlnnte dass Jesus die Anforderungen des Christus-Seins erfuumlllte ohne seine Prauml-Existenz beweisen zu muumlssen oder etwas anderes als eine menschliche Natur hatte dann stellen eine vorausgehende Existenz oder eine goumlttliche Natur keine spezifischen messianischen Anforderungen an Justins Christentum dar Mit anderen Worten Jesus musste nicht mit Gott identisch sein um authentisch der Christus zu sein und wenn es darum geht einen schluumlssigen Beweis fuumlr eine Prauml-Existenz zu liefern scheint Justin gewisse Zweifel zu haben

Noch interessanter ist vielleicht dass Justin diejenigen unter seinen eigenen Bruuml-dern und Freunden erwaumlhnt die nicht an die Prauml-Existenz Christi als goumlttliches Wesen glaubten sondern die uumlberzeugt waren dass Jesus ausschlieszliglich und ur-spruumlnglich menschlich sei So zeigt er dass im fruumlhen nicht-gnostischen heidni-schen Christentum nicht alle die aufkeimende Logos-Christologie akzeptiert hat-ten die Justin und seine philosophische Bewegung von Philon uumlbernommen hat-ten Justin betrachtet diejenigen mit der menschlichen Christologie sicherlich auch als Mitchristen die Jesus als den Christus ohne Vorexistenz richtig ange-nommen haben und er bittet Tryphon instaumlndig sich ihnen in diesem Bekenntnis anzuschlieszligen Natuumlrlich glaubt Justin selber fest an die Prauml-Existenz und be-hauptet er wuumlrde sich daran halten auch wenn die Mitglieder seines Glaubens die derzeit ihre eigenen Ansichten vertreten davon uumlberzeugt waumlren anders zu glauben Hier scheint Justin zumindest die Moumlglichkeit eines begruumlndeten christ-lichen Zweifels an der Prauml-Existenzidee zu bieten Aber waumlre die Prauml-Existenz Christi als ewiger Gott nicht ein Eckpfeiler des ihnen von den Aposteln uumlberlie-ferten christlichen Glaubens gewesen waumlren die Apostel tatsaumlchlich Trinitarier gewesen wie einige moderne Apologeten behaupten Zumindest scheint Justin

521 Ebenso 48 2-4 unsere Hervorhebung 522 Biblisch gesprochen war Jesus nicht der Christus infolge der Inkarnation der Gottheit in das menschli-

che Fleisch er war nicht der Christus aufgrund der Natur Vielmehr war es ausdruumlcklich durch Gottes Gebot Der Apostel Petrus erklaumlrte zu Pfingsten bdquoJesus von Nazareth war ein Mensch nachdem er zur rechten Hand Gottes erhoben worden war lasst das ganze Haus Israel sicher wissen dass Gott ihn zum Herrn und zu Christus gemacht hat - diesen Jesus den ihr gekreuzigt habtrdquo (Apg 222 ff)

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den Geist von Athanasius und der spaumlteren orthodoxen Partei des vierten Jahr-hunderts nicht zu teilen welche diejenigen die nicht zustimmten sofort dem flammenden Anathema [= Kirchenbann] uumlberlieferte

Wir werden die scharfsinnige Zusammenfassung eines Gelehrten uumlber die moumlg-lichen Schlussfolgerungen betrachten die wir aus Justins enthuumlllenden Aussagen ziehen koumlnnen

Die Lehre von der Goumlttlichkeit [Divinitaumlt] und der Prauml-Existenz Christi hatte in dieser Zeit unter den Christen noch wenig Fuszlig ge-fasst Vielleicht war sie sogar die Erfindung von Justin selbst Denn wir finden ihn nicht an fruumlhere Schreiber zu diesem Thema oder gar an die allgemeine Meinung der Christen in seiner Zeit appellie-rend sondern nur an seinen eigenen Sinn oder seine Interpretation der Schriften Auszligerdem aumluszligert er Vorbehalte wenn er seine ei-gene Meinung vertritt und er zweifelt ausdruumlcklich daran ob er je in der Lage sein sollte zu beweisen dass Christus bereits existierte Diese Zweifel und seine Uumlberzeugung dass im Falle des Scheiterns eines Beweises das Messias-Amt Jesu trotz allem fest bleiben wuumlrde sind alles Anzeichen dafuumlr dass die Lehre von der Goumlttlich-keit und der Prauml-Existenz des Messias damals eine neuartige und houmlchst fragwuumlrdige Meinung war523

In Erinnerung an den Einfluss von Philon und im Wissen dass viele moderne Gelehrte den Aufstieg des christlichen Gnostizismus auf Alexandria zuruumlckfuumlh-ren scheint es [trotzdem] wahrscheinlich dass sowohl die Gnostiker als auch Justin sich auf die fruumlheren mystischen hellenistisch-juumldischen Ideen uumlber die Prauml-Existenz bezogen haben diese kamen aus Alexandria Sicherlich stand das was wir zu Justins Zeiten als bdquokatholischesrdquo Christentum bezeichnen koumlnnen noch immer im starken Gegensatz zum bdquognostischenrdquo Christentum524 Die Schule von Valentinus (er wurde im selben Jahr wie Justin geboren) war durch eine vollstaumln-dige Anerkennung der Prauml-Existenz und Gottheit Christi als Grundlage des Glau-bens gekennzeichnet aber dies war offensichtlich noch keine unverzichtbare Vo-raussetzung fuumlr alle nicht-gnostischen Glaumlubigen Es ist klar dass in Justins Aumlra die Meinungen nicht-gnostischer Christen (sie sind bis zu einem gewissen Grad historisch fassbar) uumlber die Prauml-Existenz gespalten waren Einige sagten dass der

523 William Christie Dissertations on the Unity of God in the Person of the Father (Philadelphia R H Small 1828)

pp 210-211 524 Justin selbst schrieb gegen Markion und andere Gnostiker und enthuumlllte dass obwohl sie im Roumlm

Reich bdquoChristenrdquo genannt wurden ihre (gnostischen) Ansichten stark mit ihren (christlichen) kon-trastierten (Erste Apologie 15) Nach Justins Tod verursachte Tatian (gest 180 n Chr) einer von Justins besten Schuumllern einen groszligen Skandal indem er spaumlter der valentinianischen Theologie beitrat

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Christus einfach ein Mann gewesen sei und waren darin mit den Juden einver-standen Andere sagten er sei in gewisser Weise ein himmlisches Wesen und stimmten Justin zu In Justins Zwielicht etwa von der Mitte des zweiten Jahrhun-derts an oder kurz nach seinem Tod mit der wachsenden Zahl gnostischer Chris-ten scheint der Glaube an den bdquohimmlischenrdquo Christus betraumlchtlich an Einfluss gewonnen zu haben Wahrscheinlich ist der exakte Prozentsatz der Christen die zu Justins Zeiten in das eine oder andere Lager liefen nicht genau zu beziffern Deutlich erkennbar sein duumlrfte dass die alte Debatte uumlber die Prauml-Existenz Christi als Gott oder als ein im Status geringerer Gott oder als ein anderes bdquogoumltt-liches Wesenldquo auch heute noch lebendig ist

In unserer heutigen Zeit gibt es noch immer einen pulsierenden Grundstrom in der Christenheit der auf die Skepsis sowohl der Juden als auch vieler Urchristen zuruumlckgeht Sie nehmen eine kritische und vorsichtige Haltung an und entdecken dass gewisse Richtlinien zu viel vom platonischen Geist aufgesaugt und zu wenig von den unwiderlegbaren biblischen Beweisen aufgenommen haben bdquoEs scheint mirldquo schloss Tryphon bdquodass diejenigen die behaupten dass er [Jesus] bloszlig menschlicher Herkunft sei und erst durch [Gottes] Wahl als Christus [Messias] gesalbt wurde eine Doktrin vorschlagen die viel glaubwuumlrdiger ist als deinerdquo525 In der zweiten Haumllfte dieses Buches werden wir nicht weniger als zwei Kapitel der Aufklaumlrung der biblischen Sicht der Prauml-Existenz widmen Darin stoszligen wir auf Beweise die es schwierig machen werden nicht mit Tryphons Schlussfolge-rung einverstanden zu sein

IrenaumlusvonLyonIrenaumlus (130-202 n Chr) beruumlhmt fuumlr seine Polemik gegen die Gnostiker war ein Schuumller von Polykarp der ein Schuumller von Papias war der seinerseits ein Schuumller von Johannes dem Apostel Jesu Christi war Wie Justin Martyr wird er manchmal von modernen Apologeten als ein bdquofruumlher prominenter trinitarischer Lehrer und Theologerdquo bezeichnet526 In einem evangelischen Leitartikel begeg-nen wir der Behauptung bdquoIrenaumlus bezeugte das trinitarische Verstaumlndnis der Kir-che von Gottes Natur lange bevor die Konzile von Nicaumla (325 n Chr) und Kon-stantinopel (381 n Chr) ihre traditionellen Bekenntnisse hervorbrachtenrdquo527 Aber hat Irenaumlus wirklich die trinitarische Theologie vertreten Hat er je von der Einheit dreier verschiedener Wesen mit gleichwertiger Goumlttlichkeit gesprochen

525 Justin Martyr Dialogue with Trypho 49 1 526 ldquoThe God Revealed in Jesus Christ A Brief Introduction to Trinitarian Theologyrdquo Grace Communion

International Web 04 November 2014 lthttpwwwgciorggodrevealedgt (Der in Jesus Christus of-fenbarte Gott Eine kurze Einfuumlhrung in die Trinitarische Theologie)

527 Paul Kroll Christian Odyssey AprilMay 2008 Grace Communion International (Zeitschrift Christliche Odysee)

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wie es von manchen behauptet wird528 Irenaumlus in seinem beruumlhmten Buch Gegen die Haumlresien schreibt

Auch ich also rufe Dich an Herr Gott Abrahams Gott Isaaks und Gott Jakobs und Israels der Du der Vater unseres Herrn Jesu Christi bist mdash o Gott der Du durch die Groumlszlige Deiner Barmherzigkeit so freundlich Dich uns geoffenbart hast der Du die Erde und den Himmel gemacht hast Du allerhoumlchster Herr Du einziger und wahrer Gott uumlber dem es keinen andern Gott gibt lass doch durch unsern Herrn Jesus Christus den Heiligen Geist in uns herrschen lasse doch jeden der dieses Buch liest Dich erkennen dass Du allein Gott bist in Dir stark werden und abstehen von aller haumlretischen gott-losen und frevelhaften Gesinnung529

Wie bei Justin sehen wir dass Gott fuumlr Irenaumlus eine individuelle Identitaumlt ist der Vater Jesu der als der Einzige anerkannt wird der wahre Gott Irenaumlus faumlhrt fort

Weder die Propheten noch die Apostel noch Christus der Herr als Gott und Herrn bekannt haben So nennen die Propheten und Apostel den Vater und den Sohn keinen anderen aber nennen sie Gott [Vater] oder bekennen ihn als Herrn [Jesus] Und der Herr selber nennt nur den Vater Gott und Herrn den der allein Gott ist und Herrscher uumlber alles und da er so es seinen Juumlngern uumlberliefert hat und da ihre Zeugnisse [Johannes der Taumlufers] dies bekunden so muumlssen wir ihnen folgen wenn anders wir ihre Schuumller sein wollen Es ist also ein und derselbe Gott der Vater unseres Herrn [Jesus] der durch die Propheten verhieszlig dass er den Vorlaumlufer senden werde und sein Heil sein Wort allem Fleische sichtbar machte und selbst Fleisch wurde um sich in allem als ihr Koumlnig zu offenba-ren530

Fuumlr Irenaumlus hatte der Herr Jesus die Lehre uumlberliefert dass bdquoEr der Vaterrdquo der Einzige der Gott uumlber alles ist Es ist klar dass bdquoder Vater unseres Herrnrdquo der houmlchste Gott ist auch im Hinblick auf jede Offenbarung die von Johannes dem Taumlufer oder von Jesus Christus gebracht wird Sicherlich erinnert Irenaumlus in die-ser Hinsicht an Christus der im Johannesevangelium seinen Vater als bdquoden einzigen

528 J J Lashier The Trinitarian Theology of Irenaeus of Lyons Marquette University 2009 Web 04 November

2014 Siehe auch Steven D Cone An Ocean Vast of Blessing A Theology of Grace (Eugene Wipf amp Stock 2014) p 45 (Ein Ozean voll Segnungen Eine Theologie der Gnade)

529 Irenaeus Gegen die Haumlresien 3 6 4 530 Ebenso 3 9 1

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wahren Gottrdquo beschreibt (Johannes 171-3) In Bezug auf Christus fasst Irenaumlus wie Justin das Wort (Logos) als eine sekundaumlre fleischgewordene Einheit auf diese wird aber nicht mit dem einen wahren Gott identifiziert

Wir wissen dass Irenaumlus sich ausfuumlhrlich gegen die Gnostiker ausgesprochen hat Seine groumlssten Gegner waren dabei sicherlich die Schuumller von Valentinus531 Irenaumlus argumentiert gegen diese Schule und schreibt

Sogar der Herr der Sohn Gottes gestand ein dass der Vater allein den Tag und die Stunde des Gerichts kennt indem er deutlich er-klaumlrt bdquoAber diesen Tag und diese Stunde kennt niemand auch der Sohn nicht nur der Vater allein hellip rdquo der Sohn schaumlmte sich nicht das Wis-sen dieses Tages nur dem Vater zuzuschreiben Denn wenn je-mand nach dem Grund fragt warum der Vater der in allen Dingen Gemeinschaft mit dem Sohn hat vom Herrn bezeichnet wurde allein die Stunde und den Tag zu kennen wird er derzeit keinen passenderen oder geeigneteren oder sicheren Grund als diesen fin-den (denn in der Tat ist der Herr der einzige wahre Meister) damit wir durch ihn lernen dass der Vater uumlber allen Dingen steht Denn bdquoder Vater ist groumlszliger als ichrdquo sagt er Wir sollten nicht in die Gefahr gera-ten die Frage zu stellen ob es einen Gott uumlber Gott gibt532

Irenaumlus beweist erneut seinen Glauben dass der Sohn eine andere geringere Ein-heit ist als der Vater von dem er glaubt dass er allein der Allerhoumlchste ist und behaumllt Dinge sich vor die er nicht mit [vermeintlich] gleichberechtigten Partnern teilen will Irenaumlus sieht in Christus keine Inkarnation oder Emanation des bdquoguten Gottesrdquo wie es die Gnostiker predigten Trotz des hohen Status des Sohnes und seiner staumlndigen Gemeinschaft und Verbindung mit dem Gott von allem fehlen ihm dennoch gewisse Dinge die dem Vater allein vorbehalten sind nicht nur hinsichtlich einer wirtschaftlichen hierarchischen Autoritaumlt oder der Vorrangstel-lung sondern auch in Bezug auf die Privilegien und das Eigentum Gottes Seine Ansicht steht in voumllligem Widerspruch zu den modernen Apologeten die be-haupten dass Irenaumlus ein Trinitarier war der uumlberzeugt drei Wesen lehrte die alle im gleichen Maszlige goumlttlich und allmaumlchtig seien

Auch heute noch wird viel aus Justin Irenaumlus und der Verwendung des Wortes bdquoGottrdquo (Theos) durch andere fruumlhe Kirchenvaumlter zur Beschreibung Jesu gemacht aber es kann zweifelsfrei bewiesen werden dass das Wort bdquoGottrdquo klassisch in einem viel breiteren Sinne verwendet wurde Zum Beispiel werden Christen von Irenaumlus neben dem Vater und dem Sohn auch bdquoGottrdquo (Theos) genannt

531 Ebenso 532 Ebenso 2 28 6-8

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Es gibt keinen anderen der in der Heiligen Schrift Gott genannt wird auszliger dem Vater von allem und dem Sohn und denen die die Adoption besitzen533

Selbst wenn Irenaumlus Christen als Soumlhne Gottes (Joh 112) ebenfalls mit bdquoGottrdquo bezeichnet koumlnnen wir doch nicht davon ausgehen dass seine Verwendung des Wortes zur Beschreibung des Christus bedeutet dass er glaubt Jesus sei ein und derselbe Gott mit dem Vater Christus ist auch nicht als bdquovollwertiger Gottrdquo in irgendeinem trinitarischen Sinne zu betrachten Ebenso ist die auffaumlllige Abwe-senheit des Heiligen Geistes der vermeintlichen dritten Person der Dreifaltigkeit die Irenaumlus als angeblicher Trinitarier auch hier ohne weiteres als bdquoGottrdquo haumltte anerkennen muumlssen zu bemerken

Letztendlich finden wir fuumlr zumindest diese beiden oft zitierten Kirchenvaumlter eine klare Anerkennung des Vaters Jesu als des einzigen houmlchsten Gottes und seines Sohnes als Wesen das sicherlich nicht dem Vater gleichgestellt sondern ihm un-tergeordnet ist (denn der Vater ist der einzige Gott bdquouumlber allemrdquo) Jesus ist sogar geringer in den Dingen die Gott betreffen (wie zB das Wissen Gottes) Irenaumlus und Justins Sichtweise von Christus als dem Logos einer hohen und geistlichen Einheit die vor der Schoumlpfung bei Gott existierte beweist nicht nur ihren An-spruch auf die Subordination sondern auch auf den bdquoArianismusrdquo Die bdquoArianerrdquo hielten eine unitarische nicht eine trinitarische Sichtweise der Gottheit Auch dies soll nicht heiszligen dass ihre arianisch-christologischen Ansichten korrekt sind aber wir hoffen im Lichte eines vermeintlichen Trinitarismus das Erbe der uni-tarischen Theologie schluumlssig aufzuzeigen Der Glaube an eine Dreifaltigkeit oder Dreieinigkeit wurde historisch gesehen erst im vierten Jahrhundert als orthodox etabliert

OrigenesAdamantiusOrigenes (184-254 n Chr) war der groumlszligte der alexandrinischen Theologen sowie einer der fleiszligigsten und einflussreichsten christlichen Denker aller Zeiten534 Er war ein meisterhafter Philosoph der Platons und Philons Unsterblichkeit und Prauml-Existenz der Seele lehrte (wieder zeigt sich der goldene Faden der aumlgyptisch-griechischen Seelenlehre) Origenes unterhielt eine Reihe mystischer Theorien

533 Irenaeus Against Heresies 4 Preface 4 (Edited by Alexander Roberts amp James Donaldson American

Edition 1885) 534 Boer bemerkt dass bdquoOrigenes Verstand so produktiv war dass er in der Lage war sechs Sekretaumlrinnen

damit zu beschaumlftigen die Gedanken die er lehrte und diktierte aufzuschreibenrdquo (Harry R Boer A Short History of the Early Church Grand Rapids Eerdmans 1976) p 92) (Eine kurze Geschichte der fruumlhen Kirche)

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uumlber die Inkarnation von Engelswesen535 Er spekulierte sogar dass Johannes der Taumlufer ein verkoumlrperter Engel war der Jesus in einem fruumlheren Leben gekannt habe536 Origenes war mit den unterschiedlichsten Disziplinen vertraut selbst die groszligen Neoplatoniker gaben wenn auch widerwillig seine philosophischen Fauml-higkeiten zu Aber es war Origenes bahnbrechende bdquochristlicherdquo Theologie ins-besondere seine bdquoewige Schoumlpfungrdquo des Sohnes (die wir im naumlchsten Kapitel nauml-her behandeln werden) die im Jahrhundert nach seinem Tod unmittelbar die Weichen fuumlr die Verfestigung der Orthodoxie stellte

Laut Eusebius war Origenes ein Schuumller des beruumlhmten Clemens von Alexandria gewesen537 Eusebius berichtet dass Origenes nach der groszligen roumlmischen Ver-folgung von 202 n Chr im Alter von achtzehn Jahren die Katechetische Schule von Clemens uumlbernommen habe538 Die Schule war sehr einflussreich in Alexand-ria Ihre haumlufigen Auseinandersetzungen mit den Gnostikern die in dieser Stadt lebten gingen an Origenes nicht spurlos voruumlber Er selbst folgte der Tradition von Clemens und lehnte die Gnostiker oumlffentlich ab Aber wir fragen uns ob er nicht auch der Tendenz Clemens folgte indem er gewisse gnostische Modelle vereinnahmte und sie adaptierte

Origenes war sicherlich offen gegen die [gnostischen] Valentinianer in Alexand-ria Allerdings erkannte er in ihrer Theologie etwas das in seinem eigenen proto-orthodoxen Kreis ernsthaft fehlte die Organisation Tatsaumlchlich waren bdquodie aumll-testen christlichen theologischen Lehrsysteme die der christlichen Gnostikerrdquo539 Diese Verfeinerung der Lehre hatte die Zahl ihrer Anhaumlnger massiv wachsen las-sen die Lehrsysteme waren ihre Macht Aber zu Origenessbquo Zeiten gab es keine technisch vergleichbare christliche Organisationsform die nicht-gnostisch philo-sophisch war540 So machte sich Origenes in seinem Werk De principiis [Uumlber die

535 Da Origenes derart auf der platonischen unsterblichen Seele beharrte wird angenommen dass die

proto-orthodoxe Partei die nach ihm folgte den Glauben an eine koumlrperliche Auferstehung vollstaumlndig aufgegeben hat Siehe Outi Lehtipuu Debates Over the Resurrection of the Dead Constructing Early Christian Identity (Oxford OUP 2015) p 130 (Debatten uumlber die Auferstehung der Toten Rekonstruktion der fruumlhen christlichen Identitaumlt)

536 Mark J Edwards ldquoOrigenrdquo Standford Encyclopedia of Philosophy 2014 Web 03 December 2014 Siehe auch Origenes Comm John 2 31 186

537 Eusebius Church History 5 3 3 Wir koumlnnen nicht mit Sicherheit wissen dass der junge Origens an Clemens Kursen teilgenommen hatte Eusebius stellt diese Verbindung offensichtlich her obwohl Clemens erhaltene Werke anscheinend auf fortgeschrittenere Schuumller gerichtet sind Trotzdem ist der Einfluss von Clemens auf die Katechetenschule sicher

538 Roelof van den Broek Studies in Gnosticism and Alexandrian Christianity (Leiden Brill 1996) p 198 (Studien des Gnostizismus und der Alexandrinischen Christenheit

539 Rudolph Gnosis p 369 540 Edward Moore ldquoOrigenrdquo Internet Encyclopedia of Philosophy Web 13 March 2015

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Grundlehren der Glaubenswissenschaft] an die Systematisierung des Christen-tums

Origenes legte seine bdquogoumlttliche Triaderdquo in Anlehnung an die Lehre der Platoniker dar Er verwendete sogar die bdquodrei Hypostasenrdquo die in Plotinus zu finden sind nannte aber die Glieder bdquoVaterrdquo bdquoChristusrdquo und bdquoHeiliger Geistrdquo Aber Origenes ist [damit noch] kein Trinitarier Im Gegensatz zur spaumlteren kappadokischen Or-thodoxie verwendete er offensichtlich das Wort bdquoHypostaserdquo um bdquoSubstanzrdquo bdquoWesenrdquo oder bdquoSeinrdquo anzudeuten So sind fuumlr ihn die drei Mitglieder der Triade nicht alle dasselbe Wesen oder [allesamt] Gott fuumlr ihn sind Vater Sohn und Geist drei verschiedene Substanzen541 Die Moumlglichkeit des orthodoxen Trinitarismus fuumlr Origenes wird durch seine Ausstellung klarer subordinationistischer Ansich-ten in weite Ferne geruumlckt Origenes schreibt ausdruumlcklich bdquoWir glauben dass nichts unerschaffen ist auszliger dem Vaterrdquo542 So strukturiert er die Beziehung zwischen Vater und Christus in Anlehnung an den Platoniker Numenius des zweiten Jahrhunderts Christus ist ein bdquozweiter Gottrdquo der aus dem ersten hervor-ging543 obwohl Origenes immer wieder darauf bestand dass der Sohn in seiner Substanz anders war als der Vater544 Fuumlr Origenes bdquogehtrdquo der Heilige Geist dann vom Sohn aus aumlhnlich der Weltseele bei Plotinus Die Triade ist bei Origenes wie bei Plotinus hierarchisch aufgebaut das erste Prinzip ist groumlszliger als das zweite und das zweite ist groumlszliger als das dritte Origenes weist daher die gleiche subordi-nationistische Hierarchie wie Justin und andere Kirchenvaumlter auf Er schreibt

Der Gott und Vater der alle Dinge zusammenhaumllt erreicht durch seinen Einfluss jedes dieser Dinge die da sind und schenkt jedem das Sein aus dem was sein Eigentum ist Eines dieser Dinge ist der Sohn der geringer ist als der Vater und dessen Einfluss nur ratio-

541 Ayres erklaumlrt seine Verwendung weiter bdquoOrigenes Verwendung des Begriffs Hypostase eroumlffnet eine

Debatte die sich uumlber das gesamte vierte Jahrhundert erstreckte Er benutzte den Begriff um die sbquoreale Existenzrsquo anzudeuten - im Gegensatz zur Existenz nur im Denken - aber auch als sbquoindividuelle um-schriebene Existenzrsquo In seinem sbquoGegen Celsussbquo spricht Origen auch von Vater und Sohn als zwei sbquoDingen in Hypostase aber eines in Gleichgesinnung Harmonie und Willensidentitaumltrsquo Anderswo beim Kommentar zu Johannes 275 schreibt Origenes dass sbquowir uumlberzeugt sind dass es drei Hypostasen gibt den Vater den Sohn und den Heiligen Geistrsquo Dies ist das einzige Mal dass Origen direkt von sbquodrei Hypostasenrsquo spricht Origenes Absicht ist es hier nicht die drei Hypostasen als ontologisch in jeder Hinsicht gleich zu beschreiben Er ist in erster Linie daran interessiert festzustellen dass die drei gleichwertig sind wenn es darum geht sich als Individuen voneinander zu unterscheiden Die Sprache der drei Hypostasen entwickelt sich als Teil eines fortwaumlhrenden Versuchs die Beteiligung und Hierar-chie zu beschreiben die unter den drei besteht die definitiv drei sindrdquo (Lewis Ayres Nicaea and Its Legacy An Approach to Fourth-Century Trinitarian Theology (Oxford OUP 2004) p 25) (Nicaumla und sein Erbe Eine Annaumlherung an die Trinitarische Theologie des vierten Jahrhunderts)

542 Origen Commentary on the Gospel of John 2 6 543 Origen Against Celsus 539 561 544 Ebenso 8 12

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nale Wesen erreicht denn Er ist der zweite vom Vater Noch nied-riger ist der Heilige Geist der nur in die Heiligen eindringt so dass auf diese Weise die Kraft des Vaters groumlszliger ist als die des Sohnes aber die des Sohnes ist mehr als die des Heiligen Geistes545

Es ist auch erwaumlhnenswert dass Wissenschaftler bdquointeressanterdquo und bdquobemerkens-werterdquo Parallelen zwischen dem haumlretischen gnostischen Denken und Origenessbquo Lehre vom Sohn in seinen Werk De principiis festgestellt haben546 Wie die Ge-lehrten uns daran erinnern bdquoduumlrfen wir nicht vergessen wie weit verbreitet die gnostischen Haumlresien in der christlichen Kirche in dieser Zeit waren Origenes und seine alexandrinische Schule bildeten eine Art Vermittlungsposition zwi-schen der Kirche und den gnostischen Parteien Origenes selbst neigte zu einer freien und toleranten Spekulationrdquo547 In dieser Spekulation koumlnnen wir die wahre Natur seines Denkens entdecken Wissenschaftler wie Danielou Butterworth deFaye und Griggs kommen zum Schluss dass Origenes Lehrsystem bdquoin der glei-chen Klasse war wie die gnostischen Spekulationen seiner Zeitrdquo548 Daruumlber hin-aus sprach Origenes so wie sein Vorgaumlnger Clemens der die Tradition der gehei-men Gnosis uumlbernommen hatte bdquovon Geheimnissen die nicht einmal dem Papier anvertraut werden duumlrfen einschlieszliglich der Geheimnisse des ewigen Evangeli-ums der Lehren von Engeln und Daumlmonen und der Geschichte der Seele nach dem Todrdquo Wie Griggs verraumlt bdquosind diese Themen zufaumlllig die Schwerpunkte der kuumlrzlich gefundenen gnostischen Texte die behaupten Geheimlehren oder Ge-heimnisse zu enthaltenrdquo549 War Origenes ein Gnostiker Griggs erinnert uns da-ran dass bdquonicht alle Gnostiker oder gnostischen Systeme jedes Element verwen-den das mit dem Gnostizismus verbunden istrdquo550 Bald werden wir diesen Zu-sammenhang im Detail untersuchen und seine Auswirkungen auf die unzaumlhligen nicaumlnischen Theologen die von Origenes beeinflusst wurden Vorerst koumlnnen wir zum Schluss kommen dass Origenes obwohl ein studierter Platoniker und ein brillanter und innovativer Denker von bdquoorthodoxrdquo weit entfernt war Trotz aller Fortschritte in Richtung trinitarisches Denken wuumlrde die katholische Kirche Origenes letztendlich wegen seiner offensichtlich subordinatorischen Ansichten und anderer nicht tolerierbarer Dinge die Heiligsprechung verweigern551 Be-stimmte Elemente in seinen Schriften gelten als Vorwegnahme dessen was spaumlter

545 Origen On First Principles I 8 (Die Grundlehren der Glaubenswissenschaft) 546 Broek p 129 547 Paine Ethnic Trinities p 88 548 Griggs p 66 549 Ebenso 550 Ebenso p 59 551 Origenes kastrierte sich selbst auf infame Weise unter der Vorgabe Frauen ohne Verlangen lehren zu

koumlnnen Dies hinterlieszlig bei vielen Katholiken einen sauren Beigeschmack Daruumlber hinaus trugen seine

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zu einer orthodoxen Politik werden sollte doch eine Enzyklopaumldie schlieszligt diese Uumlberlegung mit den Worten ab

Wie auch immer man diese Obskuritaumlten begruumlndet es scheint un-wahrscheinlich dass Origenes das Nicaumlnische Glaubens-bekennt-nis von 325 (n Chr) haumltte unterzeichnen koumlnnen in welchem der Sohn aus der Ousia des Vaters und damit homoousios (von einer Es-senz Substanz oder Natur) mit ihm [dem Vater] erklaumlrt wird (c Comm John 2018157)552

Im naumlchsten Kapitel werden wir jedoch feststellen wie Origenessbquo anhaltender Einfluss auf die alexandrinische Schule der Theologie dennoch als Anstosszlig fuumlr die charakteristischsten Formulierungen der entstehenden proto-orthodoxen Partei diente Insbesondere werden wir das Erbe von Originessbquo Lehre von der bdquoewigen Zeugungrdquo der bdquoewigen Zeugungldquo des Sohnes in Nicaumla untersuchen

TertullianvonKarthagoDie Ideen des lateinischen Theologen Tertullian (160-225 n Chr) und Origenes legten tatsaumlchlich den Grundstein fuumlr den spaumlteren christlichen Trinitarismus der von Athanasius und den beruumlhmten kappadokischen Vaumltern gefoumlrdert werden sollte Interessanterweise obwohl wir sehen werden dass diese spaumlteren Trinita-rier angeblich valentinianische Vorstellungen in ihren Formeln verwenden bdquowurde das valentinianische [gnostische] Christentum von proto-orthodoxen Au-toren wie Irenaumlus und Tertullian als einer der Hauptfeinde angesehenrdquo553

Wie Origenes wurde spaumlter auch Tertullian selbst vom Konzilsystem das ver-suchte einige seiner erfolgreichsten Beitraumlge zu erlaumlutern als ketzerisch verurteilt Dennoch ist der Einfluss seiner Spekulationen auf die Entwicklung der tri-per-soumlnlichen Gottheit der Orthodoxie erheblich Dies will nicht heiszligen dass Tertul-lians Verwendung des lateinischen Wortes trinitas (eine Uumlbersetzung der griechi-schen trias) ein Beweis fuumlr eine voll entwickelte orthodoxe trinitarische Lehre vor dem dritten Jahrhundert waumlre Wie eine trinitarisch orientierte Enzyklopaumldie empfiehlt bdquoAus seinem Gebrauch duumlrfen keine voreiligen Schluumlsse gezogen wer-den denn [Tertullian] wendet die Worte nicht auf die trinitarische Theologie anrdquo554

Lehren uumlber die Prauml-Existenz der menschlichen Seelen und sein Vorschlag des Universalismus dh die Allversoumlhnung aller Wesen mit Gott einschlieszliglich des Teufels zu seinem Ausschluss vom Kanon bei

552 Edwards ldquoOrigenrdquo Stanford Encyclopedia of Philosophy 553 Ehrman Lost Christianities p 127 554 Michael OrsquoCarroll Trinitas A Theological Encyclopedia of the Holy Trinity (Collegeville Liturgical

Press 1987) p 208 (Trinitaumlt in Theologische Enzyclopaumldie der Hl Trinitaumlt)

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Tertullian unterscheidet sich von den anderen christlichen Theoretikern dadurch dass er eine Abneigung gegen die Engel-Christologie [Engel = Bote] zu zeigen scheint Obwohl Tertullian bekraumlftigte dass Christus als bdquoEngel des Groszligen Ra-tesrdquo bezeichnet werden koumlnnte indem er das Amt des Botschafters innehatte verneinte er dass Christus ein Engel wie Michael oder Gabriel sei

(De Carne Christi 14 ndash Das Fleisch Christi)555 Stattdessen sagte Tertullian dass der Sohn aus einem Teil des gleichen goumlttlichen Materials wie der Vater gemacht sei Tertullian nahm damit die Philosophie der Stoiker auf und glaubte dass alle rea-len Dinge materiell seien sogar Gott Der Sohn wurde aus der ewigen und goumltt-lichen Materie Gottes gemacht Das bedeutete nicht dass der Sohn und der Vater zahlenmaumlszligig identisch oder dass sie gleichwertig waren Tertullian schreibt

der Vater ist die vollumfaumlngliche [goumlttliche] Substanz aber der Sohn ist eine Ableitung und ein Teil des Ganzen wie er selbst zu-gibt bdquoMein Vater ist groumlszliger als ichrdquo Wer zeugt ist einer und wer gezeugt wird ist ein anderer Auch derjenige der sendet ist einer und derjenige der gesendet wird ist ein anderer556

Wie Wissenschaftler festgestellt haben bdquoist es fast sicher dass Tertullian nicht glaubte der Sohn oder der Heilige Geist besaumlszligen die Goumlttlichkeit in ihrer Fuumllle Der Vater ist nicht nur die ganze goumlttliche Substanz er ist die Fuumllle der Gottheit waumlhrend der Sohn nur ein Teil istrdquo557 Tatsaumlchlich glaubte Tertullian bdquonicht dass der Sohn ganz Gott ist [er] besitzt eine Art relativer [verwandter] Goumlttlichkeit wodurch er von der absoluten und uneingeschraumlnkten sbquoousiarsquo (Substanz) des Va-ters abhaumlngig wirdrdquo558

Mit anderen Worten Tertullian glaubte dass Gott ein Stuumlck seiner ewigen Mate-rie genommen und spaumlter den Sohn geformt hat Dies steht im krassen Gegensatz zum trinitarischen Grundsatz der Ewigkeit der Person des Sohnes Diese Zeu-gung (Erzeugung) des Sohnes fuumlr Tertullian geschah ausdruumlcklich bdquoin der Zeitrdquo Tertullian schreibt

Dann sobald Gott gewillt war sich in seiner eigenen Sache und Form zu entfalten hat er zuerst das Wort selbst hervorgebracht damit alles durch das Wort gemacht werden kann mit dem alles

555 Peter R Carrell Jesus and the Angels Angelology and the Christology of the Apocalypse of John

(Cambridge CUP 1997) p 101 (Jesus und die Engel Angelologie und Christologie der Offenbarung durch Johannes)

556 Tertullian Against Praxeas 9 557 Edgar G Foster Angelomorphic Christology and the Exegesis of Psalm 85 in Tertullianrsquos Adversus

Praxean (Lanham University Press of America 2005) p 72 (Engelhafte Christologie und Exegese des Psalms 85 in Tertullian Gegen Praxeas)

558 Ebenso p 73

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geplant und arrangiert oder besser gesagt bereits gemacht worden war was Gottes Gedanken betrifft559

Der persoumlnliche Logos wurde erst zu dem Zeitpunkt wirklich geschaffen als der Vater seinen Plan zur Entstehung des Kosmos verwirklichen wollte bdquoDas ist die vollstaumlndige Geburt des Wortes denn es geht von Gott aus Nachdem er zuerst von ihm erschaffen wurde was die Gedanken betrifftrdquo560 Vor dieser Zeit konnte der Logos nicht bdquoSohnrdquo genannt werden da die Vater-Sohn-Beziehung nicht existierte Alles was existiert hatte war Gottes Beziehung zu dem Aspekt seiner eigenen Substanz den er als Logos vorhergesagt hatte Wie wir bei vielen anderen prominenten Theologen sehen zB spaumlter bei Arius hat Tertullian ausdruumlcklich erklaumlrt bdquoEs gab eine Zeit in der es keinen Sohn und keine Suumlnde gab in der Gott weder Vater noch Richter warrdquo561 Weil der Sohn fuumlr seine Existenz und seine Substanz vom Vater abhaumlngt ist er ihm also untergeordnet

Am Ende passt Tertullian trotz der trinitarisch klingenden Sprache eindeutig nicht in das Bild eines Trinitariers Im Wesentlichen ordnet er den Sohn unter [die Essenz Gottes] und sagt nichts uumlber die bdquoewige Zeugung des Sohnesrdquo Wie die Neue Katholische Enzyklopaumldie sagt

In nicht wenigen Bereichen der Theologie sind die Ansichten Ter-tullians natuumlrlich voumlllig inakzeptabel So offenbart beispielsweise seine Lehre uumlber die Dreifaltigkeit eine Unterordnung des Sohnes unter den Vater welche die Kirche in der spaumlteren krassen Form des Arianismus als ketzerisch abgelehnt hat562

559 Tertullian Against Praxeas 6 6 560 Ebenso 6 7 561 Tertullian Against Hermogenes 3 18 Die spaumlteren Arianer wiederholten einen Satz der Be-

ruumlhmtheit erlangte bdquoEs gab eine Zeit da war der Sohn nicht dardquo Siehe Sokrates ldquoDer Streit des Arius mit Alexander seinem Bischofrdquo Kirchengeschichte Dieses Gefuumlhl wurde vom bdquokrypto-gnostischenrdquo Origenes (On First Principles 4 4 4 1) und von seinen alexandrini-schen Nachfolgern in Nicaumla im Jahre 325 n Chr abgelehnt Wie Webb bemerkt bdquoTertullian ist eine Art Anti-Origenesrdquo (Stephen H Webb Jesus Christus Ewiger Gott (Oxford OUP 2012) S 38)

562 W Le Saint ldquoTertullianrdquo The New Catholic Encyclopedia Vol 13 (Farmington Hills Thompson Gale 2003) p 837 Waumlhrend die modernen Trinitarier den Bemuumlhungen Tertullians die Kluft zwischen dem Christentum und dem Neoplatonismus der seine Zeit dominierte zu uumlberbruumlcken einen gewissen Dank schuldig sind entwickelte er nach der Bekehrung zum Montanismus seine proto-trinitarische Formel fuumlr die ihm neben seinen anderen offensichtlich bdquoketzerischenrdquo theologischen Argumenten die Kanon-isierung durch die katholische Kirche verweigert wurde Obwohl er fuumlr seine fruumlhen triadischen Formu-lierungen verehrt wird zeigt er sich nicht trinitarisch sondern etwas das den halb-arianischen Ansichten naumlher kommt

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Tatsaumlchlich waren noch viel mehr turbulente Jahrzehnte erforderlich um endlich zu dem zu gelangen was heute als Trinitarismus gilt

IgnatiusunddasallgemeineProblemderpatristischenFaumllschungWir sollten uns die Zeit nehmen um einen weiteren wichtigen Aspekt dieser An-gelegenheit genauer zu untersuchen das Problem der Faumllschung Manuskripte haben gezeigt dass einige Schriften von vor-nicaumlnischen Christen durch spaumltere Sektierer beschaumldigt wurden in der Hoffnung ihre Ansichten historisch zu un-termauern Wir werden eine fruumlhe Person betrachten die diese bedauerliche Ak-tivitaumlt erlitten hat

Ignatius von Antiochia (gest 107 n Chr) war ein fruumlher Christ der angeblich ein Juumlnger des Apostels Johannes war und der im Kolosseum von Rom oumlffentlich hingerichtet wurde Waumlhrend seiner schicksalshaften Reise zu seinem Martyrium schrieb er ermutigende Briefe an die Kirchen In bestimmten Versionen der Briefe von Ignatius findet man Hinweise auf die Gottheit Christi seine Verkoumlr-perung Gottes im Fleisch [Inkarnation] und so weiter Dies hat einige moderne Apologeten veranlasst ihn als Beweis dafuumlr zu fuumlhren dass das trinitarische Dogma auf die Zeit unmittelbar nach dem Tod der Apostel zuruumlckgeht563 Aller-dings haben Experten einheitlich festgestellt dass mit den Briefen von Ignatius nicht alles in Ordnung sein kann

Das fruumlhe Datum der Schriften von Ignatius machte ihn offensichtlich zu einem der vielversprechendsten Kandidaten fuumlr die Aneignung [dieser These] Durch den Vergleich verschiedener Manuskripte haben Wissenschaftler jedoch festge-stellt dass viele einheitlich klingende Saumltze gegen mehr trinitarisch klingende Phrasen ausgetauscht worden sein koumlnnten Ein Historiker und Ignatius-Experte berichtet dass seine Originalbriefe bdquozweifellos vom Faumllscher als [nicht-trinita-risch] angesehen wurden der sie ordnungsgemaumlszlig geaumlndert und ihnen eine or-dentliche trinitarische Form verpasst hatrdquo564 Zum Beispiel lesen wir in einem Brief bdquodurch das Blut Christirdquo565 waumlhrend eine andere Version bdquodurch das Blut Gottesrdquo lautet (Man beachte die Fuszlignote) Anderswo waumlhrend man bdquo hellip nach

563 Siehe Mark Hanson ldquoTracing the Thread of Trinitarian Thought From Ignatius to Origenrdquo Maranatha

Baptist Seminary 30 Dezember 2011 Web 15 Dezember 2014 Siehe Edmund J Fortman The Triune God A Historical Study of the Doctrine of the Trinity (Eugene Wipf amp Stock 1999) pp 38-40 (Spurensuche nach dem Trinitarischen Gedanken beginnend mit Ignatius bis Origenes) (Eugene Wipf amp Stock 1999) pp 38-40 (Der dreieinige Gott Eine geschichtliche Studie der Trinitaumltsdoktrin)

564 Allen Brent Ignatius of Antioch (New York T amp T Clark International 2009) p 87 135 565 Ignatius Epistle to the Ephesians 1 (Short Recension vs Long Recension) Der Ausdruck bdquoBlut Christirdquo

ist sicherlich biblische Sprache die in 1 Kor 1016 Eph 213 Hebr 914 und 1 Petrus 119 erscheint waumlhrend der Begriff bdquoBlut Gottesrdquo in der Bibel voumlllig fehlt Wir sind gezwungen zu sagen dass diese Sprache eine spaumltere Tradition widerspiegelt

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dem Willen Gottes des Vaters und unseres Herrn Jesus Christus unseres Erlouml-sersrdquo liest sagt ein anderer bdquoDer Vater und Jesus Christus unser Gottrdquo566 Na-tuumlrlich beweisen auch diese mutmaszliglichen Korruptionen des Textes der Christus als bdquoGottrdquo bezeichnet nicht unbedingt den Trinitarismus Niemand bestreitet dass Jesus in den ersten Jahrhunderten des Christentums nicht bdquoGottrdquo genannt wurde Nichtsdestoweniger war das Wort bdquoGottrdquo wie wir gesehen haben im All-gemeinen ein Begriff der ebenso in einem sekundaumlren oder abgeleiteten Sinn verwendet werden konnte nicht unbedingt immer im Sinne von bdquoder eine der Houmlchste Gottrdquo

Unabhaumlngig davon warnt die Katholische Enzyklopaumldie dass von allen Briefen die Ignatius zugeschrieben werden es bdquosieben echte und sechs falsche Brieferdquo geben soll Doch bdquoselbst die echten Briefe wurden stark interpoliert [dh spaumltere in einem Text von fremder Hand vorgenommene Einfuumlgungen oder Aumlnderun-gen die nicht als solche kenntlich gemacht ist Anm d Uuml] um den persoumlnlichen Ansichten ihres [Revisors] Gewicht zu verleihen Aus diesem Grund sind sie nicht in der Lage Zeugnis von der urspruumlnglichen Form abzulegenrdquo567 Das be-staumltigt auch der protestantische Historiker Phillip Schaff bdquoAuch die sieben echten sind der Faumllscherhand nicht ganz entkommenrdquo568 Wir koumlnnen nicht umhin den Historikern und der folgenden Meinung zuzustimmen

Wir naumlhern uns mit einer gewissen Vorsicht den Episteln die Ig-natius zugeschrieben werden Ihre Autorenschaft betrachten wir als zu unsicher und derart hoffnungslos korrupt um ihre Verwendung im Zusammenhang mit unserer vorliegenden Untersuchung zu rechtfertigen Was die Ausrichtung der Briefe anbetrifft zur Frage des Glaubens der Ur-Christen an die Dreifaltigkeit hellip wer-den wir nicht versuchen die Frage nach der Echtheit der Briefe von Ignatius zu erlaumlutern Was allgemein als positives bdquoZeugnis der Antikerdquo bezeichnet wird ist zu duumlrftig zu locker und nicht fruumlh genug zudem ist es eines der aufgefuumlhrten Stuumlcke auf die man sich

566 Ebenso 567 John Bonaventure OrsquoConnor ldquoSt Ignatius of Antiochrdquo The Catholic Encyclopedia Vol 7 (New York

Robert Appleton Company 1910) p 645 568 Phillip Schaff History of the Christian Church Vol 2 (New York Charles Scribnerrsquos Sons 1910) p 663

Da in den ignatianischen Briefen die Organisation der Kirche eroumlrtert wird haben Katholiken und Anglikaner darauf hingewiesen um die Einrichtung des Bischofsamtes zu rechtfertigen Der anglikanische Bischof James Ussher (beruumlhmt fuumlr seine einflussreiche Arbeit in der biblischen Chronol-ogie) argumentierte dies sei ein Beweis dafuumlr dass die Autoritaumlt der Bischoumlfe bis ins erste Jahrhundert zuruumlckverfolgt werden koumlnne John Milton der beruumlhmte Autor von Das verlorene Paradies selbst ein Unitarier argumentierte dass die Briefe Faumllschungen seien die genau zur Durchsetzung der Autoritaumlt des Establishments entwickelt worden seien Nach langen Diskussionen bestaumltigte Ussher selbst dass es sich bei sechs der Briefe tatsaumlchlich um Faumllschungen handelte und dass selbst die legitimen Briefe in unbestimmtem Grad korrumpiert waren Siehe Ehrman Lost Christianities pp 137-141

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gerne bezieht aber es ist in seiner Art zu verdaumlchtig um etwas zu beweisenhellip 569

Das Streben nach doktrinaumlrer Bestaumltigung und Beweismitteln kirchlicher Glaub-wuumlrdigkeit scheint Extremisten in der Antike zu unverantwortlichen und skru-pellosen Taten gefuumlhrt zu haben570 Das sind Symptome eines groumlszligeren histori-schen Unwohlseins welches das christliche Dogma uumlber Gott belastet Das muumls-sen wir erkennen Wir fragen uns aber wie viele der erhaltenen Werke der Kir-chenvaumlter von der luumlgnerischen Feder des Revisors voumlllig unberuumlhrt geblieben sind Hier muumlssen wir uns auf die Wissenschaft abstuumltzen Wie in Kapitel 1 be-reits festgestellt koumlnnen wir die unzaumlhligen historischen und theologischen Au-toritaumlten nicht einfach uumlbergehen die anerkennen dass das trinitarische System erst im vierten Jahrhundert und die damit verbundenen christologischen Beson-derheiten erst im spaumlten fuumlnften Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung ent-standen sind Sicherlich dienten die Uumlberlegungen einiger dieser Christen des zweiten und dritten Jahrhunderts dazu die endguumlltigen trinitarischen Uumlberlegun-gen einzuleiten Sie wurden unterstuumltzt durch die Bemuumlhungen der Gnostiker und Neoplatoniker Aber die Tatsache dass diese beruumlhmten Theologen [noch] keine uumlberzeugten Trinitarier waren kann nicht verleugnet werden Auch nicht dass sie Trinitarier waren die einfach Schwierigkeiten hatten auszudruumlcken was sie glaubten Vielmehr waren sie das was wir als Subordinationisten bezeichnen koumln-nen Die Oxford Encyclopedia of the Early Church rundet unseren Uumlberblick uumlber den Glauben dieser Persoumlnlichkeiten mit der richtigen Bemerkung ab

SubordinationismusUnterordnung So rufen wir die in der Theo-logie des 2 und 3 Jahrhunderts ausgepraumlgte Tendenz in Erinne-rung Christus als Sohn Gottes zu betrachten der dem Vater unter-geordnet ist Hinter dieser Tendenz standen Evangeliumsaussagen in denen Christus selbst seinen niedrigeren Status betonte (Joh 1428 Mk 1018 1332 usw) was speziell von der Logos-Christo-logie weiterentwickelt wurden Diese Theologie teilweise unter dem Einfluss des mittleren Platonismus [dh Philon] betrachtete Christus Logos und die goumlttliche Weisheit als Zweck der Verbin-dung und als Bindeglied zwischen der Stellung des Vaters und des Christus Als die Konzeption der Dreifaltigkeit um den Heiligen Geist erweitert wurde insbesondere bei Origenes galt der Geist wie-derum als untergeordnet gegenuumlber dem Sohn Subordinationisti-

569 Lamson Abbot p 13 570 Fuumlr weitere Details siehe Bart D Ehrmans The Orthodox Corruption of Scripture The Effect of Early

Christological Controversies on the Text of the New Testament (Oxford OUP 1993)

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sche Tendenzen sind vor allem bei Theologen wie Justin Tertul-lian Origenes und Novatian auszumachen aber selbst Irenaumlus dem trinitarische Spekulationen eigentlich fremd waren kommen-tierte Johannes 1428 und hatte keine Schwierigkeiten Christus als dem Vater untergeordnet anzusehen571

Wie Hanson verraumlt war es diese Theologie der Apologeten des zweiten und drit-ten Jahrhunderts wie Irenaumlus Tertullian und Hippolytus die am Ende des vierten Jahrhunderts schlieszliglich bdquoabgelehntrdquo wurde Die bdquoEvolutionrdquo der Orthodoxie hat einen klaren und tiefgreifenden bdquoBruch mit der Vergangenheitrdquo vollzogen572

AmEndedesdrittenJahrhundertsDie aktivste Arbeit der kirchlichen Akademiker kurz vor dem Uumlbergang ins vierte Jahrhundert bestand darin sich der Probleme anzunehmen die sich aus der Her-ausbildung von mehreren goumlttlichen Einheiten und der Beziehungen zwischen ihnen ergeben hatten diese mehrfachen goumlttlichen Wesen fuumlhrten naumlmlich zu einem Konflikt mit dem Geist des biblischen Monotheismus (des Ein-Gott-Glaubens) Wie Gibbon feststellt

Die Spannungen und die Schwankungen die im Denken der Chris-ten durch diese widerspruumlchlichen Tendenzen hervorgerufen wer-den [Pluralitaumlt versus Einheit bzw Mehrzahl gegen Einzahl] las-sen sich in den Schriften der Theologen beobachten die nach dem Ende der apostolischen Aumlra und vor dem Beginn der arianischen Kontroverse entstanden sind Sie haben ihre Vorstellungen in lo-ser ungenauer und manchmal widerspruumlchlicher Sprache abgege-ben573

So wie der hebraumlische Gott vor dem Hintergrund hellenistischer Prinzipien ge-waltsam gedehnt wurde so wurde auch das Denken in den Koumlpfen der selbst der rigorosesten Gebildeten uumlbermaumlszligig ausgeweitet Die Umwandlung des heiligen religioumlsen Denkens von einer Kultur in eine andere erwies sich als keine leichte Aufgabe Es war die Befuumlrchtung die durch eine moumlgliche Unvereinbarkeit mit dem Gott Israels hervorgerufen wurde welche die Christen des dritten Jahrhun-derts in ihrem energischen Streben nach einer Loumlsung vorwaumlrts trieb Wuumlrde es

571 M Simmonetti ldquoSubordinationismrdquo Oxford Encyclopedia of the Early Church Vol 2 (OUP 1992) p 797 572 Hanson p 872 573 Ebenso p 778

Kampf und Entwicklung

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den Theologen des vierten Jahrhunderts gelingen diese beaumlngstigenden Prob-leme zu loumlsen Welche Art von Glauben wuumlrden sie fuumlr die nachfolgenden christ-lichen Generationen festlegen

Unzaumlhlige Konfessionen bekennen sich nach wie vor zu den Glaubensgrundsaumlt-zen der katholischen Kirchenkonzilien des vierten und fuumlnften Jahrhunderts Aber sind sich die modernen Christen die Woche fuumlr Woche das Credo wieder-holen des Einflusses der einstigen Mysterienschulen und ihrer [gnostisch]-ortho-doxen Kollaborateure bewusst die diese auf die heutigen christlichen Weltan-schauungen ausuumlbten

Es waren vorwiegend Heiden die sich in den Ratssaumllen und Konzilien des Roumlmi-schen Kaiserreiches trafen sie beabsichtigten Religion und Reich miteinander zu vereinen Bei dieser Aktivitaumlt entstand bildlich gesprochen ein Aroma welches offenbar den Glaumlubigen so sehr passte dass selbst praktizierende Christen den Geschmack des juumldischen Glaubens Jesu und seiner Apostel kaum mehr erkann-ten selbst wenn er ihnen noch so deutlich vorgefuumlhrt worden waumlre Dies war damals und ist es auch heute noch der Fall Die Theologie Jesu wieder erstehen zu lassen wird sich indes als schwierig erweisen wenn nicht die eingetruumlbte At-mosphaumlre der etablierten Religionsgeschichte auseinander getrieben wird Dafuumlr muumlssen notgedrungen nicht nur die theologischen Traditionen sondern auch das seinerzeitige gesellschaftspolitische kulturelle Umfeld welches die Entwicklung des Dogmas umgab konfrontiert werden

5

NicaumlaunddieDaumlmmerungeinesneuenGlaubens

bdquoAlle Dinge unterliegen der Interpretation welche Interpretation auch immer zu einem bestimmten Zeitpunkt vorherrscht ist eine Funktion der Macht und nicht der Wahr-heitrdquo

mdash Friedrich Nietzsche

EDEN SONNTAG REZITIEREN CHRISTEN das Nicaumlnische das Atha-nasianische oder andere Glaubensbekenntnisse die sie lieb gewonnen haben Wir koumlnnen davon ausgehen dass die alten Synoden und Konzile die diese

Texte hervorgebracht haben auch heute noch ein hohes Ansehen genieszligen In der Tat wenn Lehren wie die Trinitaumlt heute in Frage gestellt werden houmlren wir oft einen Hinweis auf den Vorrang der Bestimmungen der Konzile Aber wie viele der treuen Glaumlubigen welche die Bekenntnisse rezitieren sind in der Lage auch nur einen einzigen Namen der Mitwirkenden an diesen Prozessen zu nen-nen Zweifellos sind sie alle mit dem heiligen Jakobus dem heiligen Johannes und dem heiligen Paulus vertraut Aber die Apologeten berufen sich nicht unbe-dingt auf die Autoritaumlt der Apostel wenn es darum geht orthodoxe Lehren zu definieren und zu verteidigen Wie der Reformator Johannes Calvin in seinem Glaubensbekenntnis [in franzoumlsischer Sprache] im Jahre 1559 feststellt bdquoWir be-kennen was von den alten Konzilen festgelegt wurde und wir verabscheuen alle Sekten und Ketzereien die von den heiligen Doktoren abgelehnt wurden solche

J

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wie St Hilarius St Athanasius St Ambrosius und St Kyrillrdquo574 Damit rechtfer-tigte Calvin die boumlswillige Ermordung von Michael Servetus der die Dreifaltig-keitslehre geleugnet hatte es war auch die Grundlage fuumlr alle aumlhnlichen Verfol-gungen Ketzerei ist das am meisten gefuumlrchtete Wort das von den kaiserlichen Synoden vergangener Zeiten ausging Bis heute noch werden damit hingebungs-volle Menschen verurteilt sowie viele biblisch begruumlndete theologische Uumlberle-gungen vom Markt der christlichen Ideen ausgeschlossen Das Feuer unter den Fuumlszligen der Maumlrtyrer hingerichtet seit der Aumlra der Roumlmer und bis hin zur Zeit der Reformatoren in physischer sozialer und spiritueller Hinsicht brennt weiter

Aber wie wurden die Richtlinien umgesetzt die solche Verfolgungen uumlberhaupt zulieszligen Wer war fuumlr sie geistig verantwortlich Wir koumlnnen nicht anfangen die orthodoxen Glaubensbekenntnisse und ihre Anathemas zu verstehen ge-schweige denn ein Werturteil uumlber ihren Inhalt abzugeben es sei denn wir kom-men zuerst mit der historischen Realitaumlt zurecht die sie hervorgebracht hat Haumlt-ten Martin Luther und die anderen Reformatoren ihren historischen Bruch mit dem akzeptierten Pietismus bei der Anerkennung des politischen und unbibli-schen Einflusses im orthodoxen System vollzogen was sollte dann die Reaktion moderner Christen sein wenn sie ruumlckblickend die gleichen Einfluumlsse entdecken die in den alten Konzilen gediehen welche ihre heiligsten Uumlberzeugungen defi-nierten Waumlre dies nicht Grund genug fuumlr eine erneute Pruumlfung Es gibt keinen besseren Beginn fuumlr unsere Untersuchung der orthodoxen Glaubensbekennt-nisse als die Periode unmittelbar vor dem beruumlhmt-beruumlchtigten Konzil von Nicaumla

DasChristentumdesfruumlhenviertenJahrhundertsWie wir gesehen haben war die Welt der christlichen Theologie vor dem Konzil von 325 zutiefst gespalten Interessanterweise haben sich nach Nicaumla die Spaltun-gen verzehnfacht Moderne Verteidiger der Autoritaumlt der Konzile malen Nicaumla oft als den entscheidenden Moment in der christlichen Geschichte als die Ketzer fuumlr immer durch einen uumlberwaumlltigenden Konsens der authentischen Juumlnger zur Ruhe gebracht wurden Die bdquoKetzereirdquo dass Jesus nicht Gott sei haumltte fuumlr immer beigelegt werden koumlnnen Die Dreifaltigkeitslehre haumltte gesiegt Doch weit davon entfernt zu Beginn des vierten Jahrhunderts die akzeptierte Theologie der Kirche zu sein finden wir dass der bluumlhende Proto-Trinitarismus nur eine von vielen konkurrierenden Ideologien dieser Zeit war Offensichtlich herrschte bei den meisten Christen im Roumlmischen Reich immer noch die Ansicht vor dass Gott ein einziges monolithisches Individuum sei Es galt die Auffassung Gott bestehe

574 John Calvin Henry Beveridge (trans) Calvinrsquos Tracts (Translation Society Edinburgh Calvin

Translation Society 1849)

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nicht aus drei gleichwertigen und ewigen Personen Christus ist in einem be-stimmten Sinne zu unterscheiden und dem einen wahren Gott untergeordnet575

Allerdings stellen wir fest dass das christliche Reich zu Beginn des vierten Jahr-hunderts bereits tief in den Geburtswehen einer neuen evolutionaumlren Phase lag eine langsame aber lebhafte philosophische Revolution die in den Hallen der alexandrinischen Mysterienschulen eingeleitet wurde Diese Institutionen mit ho-hem gesellschaftlichem Ruf machten den Konflikt zwangslaumlufig der Oumlffentlich-keit zugaumlnglich Die Natur der Gottheit wurde nun in den Kultstaumltten und auf den Marktplaumltzen lebhaft debattiert Um 325 n Chr hatten fast drei Jahrhunderte philosophischen Nachdenkens effektiv eine Vielzahl von konkurrierenden Chris-tologien bis in die entlegensten Gegenden der Christenheit gesaumlt um die sich schnell groszlige Fraktionen bildeten die von prominenten Bischoumlfen gefoumlrdert wur-den576 Die Einheitlichkeit des Glaubens die bereits in den vorangegangenen Jahrhunderten durch die groszligen Kontroversen mit den gnostischen Sekten ver-wuumlstet worden war lag erneut in Truumlmmern

Zu Beginn des vierten Jahrhunderts bildeten sich zwei ausgedehnte theologische Lager (obwohl sie bei weitem nicht die einzigen Gruppierungen waren) im Rouml-mischen Imperium Diese Parteien die scheinbar endlose Ableger und Spaltun-gen in sich trugen zerrissen die roumlmische Welt effektiv in zwei Teile die unitari-schen Arianer und die trinitarischen Anti-Arianer (von dieser Stelle an nennen wir die gegnerischen Gruppen auch proto-orthodox oder Athanasianer Diese Termini sind austauschbar) Der epische Konflikt zwischen ihnen hatte in Alexandria sei-nen Anfang Was als lokaler theologischer Streit zwischen bischoumlflichen Rivalen in dieser groszligen und wichtigen Stadt begann eskalierte innert kurzer Zeit zu ei-nem reichsweiten Konflikt der die Welt fuumlr immer veraumlndern sollte

575 Encyclopedia Britannica Inc ldquoTrinityrdquo Encyclopedia Britannica Vol 27 p 2941 576 Viele zum christlichen Glauben Bekehrte hatten offensichtlich in den Argumenten der alexandrinischen

Philosophen nicht viel gefunden das praktische Hilfe fuumlr die Haumlrte des Lebens im spaumlten Roumlmischen Reich bot In dieser Hinsicht war ein menschlicher Christus der unabhaumlngig von seiner fruumlheren Ex-istenz klar begrenzt war und dennoch erfolgreich aufstieg fuumlr den allgemeinen Christen vielleicht at-traktiver Doch viele kultivierte Roumlmer (die Philosophen die Aristokratie und die Reichen) schienen den aufkommenden Gott-Christus uumlberzeugender zu finden ein allmaumlchtiges Wesen das von oben her-niederstieg um sich mit dem niederen Poumlbel zu verbinden Der Konflikt verschaumlrfte sich zwischen die-sen allgemeinen konkurrierenden Versionen des Jesus einer der selber der geheimnisvolle und allmaumlchtige Jahwe war und einer der keinen Zugang zu uumlbernatuumlrlicher Macht hatte auszliger dem was Gott gewaumlhren konnte einer der wirklich verzweifelte Zustaumlnde besiegen und sich einen Namen ma-chen konnte

Nicaumla und die Daumlmmerung eines neuen Glaubens

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Alexandrinischeproto-orthodoxeChristenheitIn praktisch jedem Stadium unserer evolutionaumlren Reise in Richtung orthodoxes Dogma begegnen wir dem Synkretismus [= Vermischung verschiedener Religio-nen philosophischer Lehren] der Alexandriner Wir erinnern uns wie schwierig es war rivalisierende Philosophien in dieser Stadt einigermaszligen auseinander zu halten577 Es verwundert also nicht dass eine der beliebtesten Stroumlmungen des Christentums eben aus diesem akademischen Schmelztiegel hervorging und die theologische Form die letztlich das uumlbrige Christentum dominieren sollte nach-weisbare Einfluumlsse von Gnostizismus und Neoplatonismus aufwies

In den Jahren vor Nicaumla scheint es im Allgemeinen zwei Arten von Christen ge-geben zu haben die in Alexandria aufbluumlhten die Gnostiker die wir die bdquoextre-men Progressivenldquosbquo nennen koumlnnten und die proto-orthodoxen Christen selbst voll von gnostischen Anpassungen die ihre Version des Glaubens als bdquowahre Philosophieldquo betrachteten Sie druumlckten die christliche Religion in der Sprache der Platoniker aus578 Dieser Gruppe entsprang eine lebendige Bewegung die da-rauf bedacht war Alexandria in eine engherzig fromme biblisch fundierte kirch-liche Ausrichtung zu fuumlhren Diese Christen verlangten energisch dass die geg-nerischen Sekten ihre eigenen Ansichten als bdquoorthodoxrdquo akzeptierten Trotz aller Neigung zum Konservatismus blieb fuumlr sie jedoch bdquodie philosophische (platoni-sche) Interpretation des Christentums im Vordergrundrdquo579 Der rasante Aufstieg dieser Bewegung koumlnnte auch teilweise durch die Art und Weise erreicht worden sein wie sie ihren Konkurrenten begegneten Ein Gelehrter schreibt dass diese Partei bdquoihre Opposition mundtot machte indem sie behauptete dass ihre An-sichten schon immer die Mehrheitsposition gewesen sei Sie schimpfte ihre Riva-len notorische sbquoKetzerrsquo die sich bewusst entschieden haben den sbquowahren Glau-benrsquo abzulehnenrdquo580

Was lehrten diese proto-orthodoxen Christen in Alexandria Ihr Glaube scheint das Ergebnis einer massiven Verschmelzung von plotinischen und gnostischen Ansichten gewesen zu sein oder noch direkter gesagt sie betrachteten den meis-terhaften Origenes als ihre Grundlage

Der groszlige Origenes war um 254 n Chr gestorben und hinterlieszlig in diesem leb-haften philosophischen Milieu einen unuumlbertroffenen Reichtum an spekulativer Exegese die das alexandrinische Christentum fuumlr Jahrzehnte beschaumlftigen und

577 Inge p 328 578 R van den Broek Studies in Gnosticism and Alexandrian Christianity (Leiden Brill 1996) p 233

(Studien des Gnostizismus und der Alexandrinischen Christologie) 579 Ebenso 580 Bart D Ehrman The New Testament A Historical Introduction (Oxford OUP 2011) p 7 (Das

Neue Testament Eine Historische Einfuumlhrung)

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motivieren sollte Die beiden bedeutendsten Alexandriner des vierten Jahrhun-derts Bischof Alexander I (gest 326 n Chr) und sein Schuumller Athanasius (296-373 n Chr) waren uumlberzeugte Origenisten581 Natuumlrlich hatten die Ansichten von Origenes in den Jahren nach seinem Tod einige Veraumlnderungen erfahren aber im Kern der Sache so Schaff bdquoblieb die Theologie Alexandrias origenis-tischrdquo582 Konzentrieren wir uns auf Origenes eigentuumlmlichste Neuerung naumlm-lich die bdquoewige Zeugungldquo des Sohnes denn sie sollte bei den Auslegungen von Alexander I und Athanasius in Nicaumla eine enorm wichtige Rolle spielen

Obwohl Origenes im Grunde ein Subordinationist war (De Principiis 1 2 23) war er auch einer der ersten der proto-orthodoxen wenn nicht sogar der allererste von denen die spekulierten dass die Zeugung des Sohnes in gewisser Weise ewig war583 Wie ein reformierter Gelehrter bestaumltigt bdquoDie bekannte Lehre von der ewigen Zeugung des Sohnes hatte ihren Anfang bei Origenesrdquo584 Natuumlrlich muss betont werden dass Origenes zwar begonnen hatte von der Zeugung des Sohnes als bdquoewigrdquo zu sprechen fuumlr ihn aber offensichtlich bdquoewigldquo in dem Sinne war dass es sich um eine kontinuierliche GenerationEntstehung handelte585 In der Tat fuumlr Origenes wurden alle Dinge staumlndig erzeugt es gab keine Zeit in der Gott nicht schuf In der Tat bdquobei Origenes ist jede Schoumlpfung sbquoewiglsquo dh die schoumlpferische Taumltigkeit hat weder Anfang noch Enderdquo586

Aber warum hatte Origenes das Beduumlrfnis so zu sprechen Hier draumlngt der pla-tonische Geist einmal mehr in den Vordergrund Origenes wie wir uns erinnern

581 Siehe Philip Schaff Henry Wace A Select Library of Nicene and Post-Nicene Fathers of the Christian

Church Vol IV (New York The Christian Literature Company 1892) pp lxvii-lxix (Eine ausgewaumlhlte Bibliothek von nicaumlnischen und nachnicaumlnischen Vaumltern der christlichen Kirche)

582 Ebenso p lxviii 583 Der schismatische Novatian (200-258) zwei Jahrzehnte nach Origenes geboren verursachte im dritten

Jahrhundert groszlige Not in der Kirche Er stellte sich als bdquoAntipapstldquo auf und wurde von den proto-orthodoxen Laumlufern als Ketzer angesehen Seine Anhaumlnger gehoumlrten zu den Gruppen die von Konstan-tin nach Nicaumla verboten wurden Einige glauben dass Novatian auch den Weg fuumlr ein fruumlhes bdquoewiges Zeugungldquo-Schema bereitet hat Er stellte sich eine unbeschreibliche Prozession des Sohnes vor der dennoch auf mysterioumlse Weise bdquodie zweite Person nach dem Vater sein sollte weniger als der Vater da er vom Vater stammtldquo Siehe John Chapman ldquoNovation und Novationismusldquo The Catholic Encyclopedia Vol 11 (New York Robert Appleton Company 1911) Fuumlr eine Ansicht die eine Doktrin der ewigen Zeugung fuumlr Novation bevorzugt siehe James L Papandrea Novation of Rome and the Culmination of Pre-Nicene Orthodoxy (Eugene Wipf amp Stock 2011) S 85-90 (Novation von Rom und die Kulmination der vor-nicaumlnischen Orthodoxie) Fuumlr die Meinung dass Novatian keine solche Doktrin vertrat siehe Ayres Nicaea and Its Legacy S 71-75 (Nicaumla und sein Erbe)

584 Boer p 92 585 Kevin Giles The Eternal Generation of the Son Maintaining Orthodoxy in Trinitarian Theology

(Downerrsquos Grove IVP 2012) p 101 (Die ewige Zeugung des Sohnes Die Aufrechterhaltung der trini-tarischen Theologie)

586 Ernest Belfort Bax A Handbook of the History of Philosophy for the Use of Students (London George Bell and Sons 1888) p 105 (Handbuch der Geschichte der Philosophie fuumlr den Gebrauch durch Studenten)

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war ein engagierter Platoniker Er hatte Schwierigkeiten die Gedanken zu ver-soumlhnen wie ein guter Gott der im platonischen Sinne ewig unveraumlnderlich war ploumltzlich von der Inaktivitaumlt zur aktiven Schoumlpfung gelangen konnte Origenes kam daher zum Schluss dass die Schoumlpfung selbst keinen Anfang hatte Diese Sichtweise hatte er eindeutig von den Platonikern uumlbernommen

Die plotinische Dreieinigkeit existiert nicht nur durch die ewige Zeu-gung sondern die Welt ist gleichermaszligen ewig Das Prinzip der Pro-gression das die Begriffe Erzeugung oder Evolution zu beinhalten scheinen ist mit Plotinus wie er direkt versichert logisch und nicht chronologisch587

Fuumlr Origenes war die schoumlpferische Taumltigkeit die sowohl den Sohn als auch die erschaffene Welt hervorbrachte auszligerhalb der Zeit588 Ein Historiker bestaumltigt das

[Origenes] der keinen Anfang der Schoumlpfung festsetzte sondern annahm dass sie ewig sei wuumlrde noch weit weniger einen Anfang [der Zeugung des Sohnes] festlegen Er strebte danach alles Zeit-empfinden aus der Vorstellung von der (Er-) Zeugung des Logos zu verbannen Hier war es notwendig wie er dachte sich eine zeit-lose Gegenwart vorzustellen ein ewiges Jetzt Origenes kam wohl zu dieser Ansicht durch seine philosophische Ausbildung in der platonischen Schule589

Wie im vorangehenden Kapitel angedeutet scheint das System des Origenes ne-ben platonischen Begruumlndungen fuumlr die ewige Zeugung des Sohnes ebenfalls vom Gnostizismus durchdrungen gewesen zu sein590 Sicherlich bedarf es in die-sem Bereich weiterer Studien aber schon jetzt koumlnnen wir einen Blick auf ein

587 Paine The Ethnic Trinities p 175 (Die Ethnischen Trinitaumlten) 588 bdquoEs ist leicht zu sehen dass neben solchen Spekulationen uumlber die Kosmogonie [Origenes] Generation

des Sohnes von der Idee der Zeit losgeloumlst sein koumlnnte Wir sind bereit dass die Lehre der ewigen Generation auf dem Boden steht auf den Origenes sie praktisch gestellt hat das heiszligt die Ewigkeit kann dem Sohn in demselben Sinne zugeschrieben werden in dem sie der materiellen Schoumlpfung zugeschrieben werden kann und nur in diesem Sinne Dies ist nicht das was moderne Trinitarier meinenrdquo (Lamson Abbot p 224)

589 August Neander History of the Christian Religion and Church (London Wiley amp Putnam 1854) p 588 590 Es uumlberrascht jedoch nicht dass wir auch die Idee einer ewigen Sohnschaft erkennen koumlnnen die

bereits unter den Gnostikern funktioniert und interessanterweise im gleichen dreiseitigen Traktat in dem andere beliebte Vorstellungen von Origenes und Athanasius entdeckt werden Obwohl auf diesem Gebiet noch viel zu studieren ist haben mehrere Wissenschaftler argumentiert dass das gnostische drei-seitige Traktat tatsaumlchlich bereits eine Form der Ko-Eternitaumlt von Vater und Sohn vor Origen oder Athanasius gelehrt hat Siehe H Puech Gilles Quispel ldquoLe quatriegraveme eacutecrit gnostique du Codex Jungldquo Vig Chr 9 1955 S 77-81 wie in Broek S 252 zitiert

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groszliges Zusammenflieszligen von platonischem und gnostischem Denken in Orige-nes bdquoewiger Zeugungldquo des Sohnes werfen

Fruumlhere Gnostiker wie Valentinus und der Schreiber von Eugnostus hatten fest-gehalten dass viele bdquoKraumlfterdquo in Gott wohnen Wie bereits erwaumlhnt war ein wich-tiges Merkmal der gnostischen Lehre die Idee dass der houmlchste Gott ein goumlttli-ches Reich oder eine Substanz voll dieser Kraumlfte erzeugt das bdquoPleromardquo genannt wird Jede dieser Kraumlfte (goumlttliche Hypostasen genannt Aumlonen) produzierte an-dere Kraumlfte wie sie selbst innerhalb des Pleromas und die Summe dieser Aumlonen bildete die Fuumllle der Gottheit selbst (Pleroma bedeutet bdquoFuumllleldquo)591 Einige der houmlchsten Maumlchte wurden Sophia (Weisheit) Aletheia (Wahrheit) Logos (Wort) und Zoe (Leben) genannt Besonders fuumlr die Valentinianer war Jesus nicht einfach ein weiterer Aumlon der von einer dieser Maumlchte innerhalb des Pleromas hervorge-bracht wurde592 sondern er war eine besondere Emanation (Ausstrahlung) er verkoumlrperte jeden von den Aumlonen und die [Fuumllle der] Macht Gottes Jesus war selbst Pleroma593 Tatsaumlchlich war das bdquoganze Pleroma der Aumlonenrdquo im Sohn ver-treten594 Interessanterweise scheint Origenes eine aumlhnliche Ansicht gepflegt zu haben Fuumlr ihn war Jesus eine Verkoumlrperung aller Kraumlfte des Pleromas Gottes Wie Professor Broek erklaumlrt bdquokann es keinen Zweifel geben dass der Sohn fuumlr Origenes im Grunde Weisheit [Sophia] und Wahrheit [Aletheia] Wort [Logos] und Leben [Zoe] istrdquo595 Offensichtlich hatte Origenes die johanneische Sprache im Sinn aber Origenes versteht diese Namen nicht nur als Prinzipien die Jesus

591 Das Wort bdquoPleromaldquo bedeutet woumlrtlich bdquoSumme Fuumllle Erfuumlllung Uumlberflussldquo und wird im NT 18-mal

verwendet Am bekanntesten ist dass es in Kol 29 zu finden ist bdquoDenn in [Jesus] wohnt die ganze Fuumllle der Gottheit in koumlrperlicher Formldquo (NASB) oder bdquodie Fuumllle der Gottheitldquo (KJV) oder bdquodie Fuumllle der Natur Gottesldquo (HCSB) Obwohl dieser Text oft von Trinitariern verwendet wird um zu beweisen dass Jesus einzigartig ganz Gott und ganz Mensch war wird der apostolische Gebrauch des bdquoPleromasldquo deutlicher wenn wir an Johannes 116 denken bdquoAus seiner Fuumllle haben wir alle empfangenldquo und Eph 319 bdquodamit ihr mit der ganzen Fuumllle Gottes erfuumlllt werdetldquo Dieses Pleroma sollte alle Christen fuumlllen Tatsaumlchlich sollten die Juumlnger Jesu auch Teilhaber an dem werden was bdquoGoumlttlichkeitldquo in Christus war Siehe auch 2 Petr 14 bdquoDamit ihr an der goumlttlichen Natur teilhaben koumlnntldquo

592 Irenaeus Against Heresies 1 11 1 593 bdquoDer Erloumlser war in der Tat ein koumlrperliches Bild von etwas Einheitlichem naumlmlich dem Pleromardquo

(Tripartite Tractate 116-117) Siehe auch das Evangelium der Wahrheit bdquoAlle Emanationen des Vaters sind also Fuumllle [Pleromas] und alle seine Emanationen haben ihre Wurzeln in dem der sie alle aus sich selbst heraus wachsen lieszligrdquo (trans Barnstone Meyer S 255)

594 Irenaeus Against Heresies 1 2 6 Irenaumlus erklaumlrt die gnostische Argumentation aus der Schrift bdquoSie bestaumltigen auszligerdem dass sich gezeigt hat dass der Erloumlser von allen Aumlonen abstammt und durch den folgenden Abschnitt alles in sich selbst ist sbquoAlles Maumlnnliche das den Mutterschoss oumlffnetrsquo Denn er der alles ist hat den Schoss der Enthymesis des leidenden Aumlons geoumlffnet Und sie sagen dass Paulus in diesem Zusammenhang klar gesagt hat sbquoUnd er selbst ist allesrsquo und immer wieder sbquoAlle Dinge sind fuumlr ihn und von ihm sind alle Dingersquo und weiter sbquoIn ihm wohnt die ganze Fuumllle der Gottheitrsquo und immer wieder sbquoAlle Dinge sind von Gott in Christus versammeltrsquo So interpretieren sie diese und aumlhnliche Pas-sagen die in der Schrift zu finden sindrdquo (ebenso 1 3 4)

595 Broek p 129

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repraumlsentiert sondern als Kraumlfte die er wirklich verkoumlrperte Das sind die goumlttli-chen Attribute die untrennbar von Gott sind und immer von ihm produziert werden die Kraumlfte in Jesus sind die Substanz des einen Pleromas Origenes schreibt bdquoObwohl sie in unserem Kopf als viele angesehen werden aber in Wirk-lichkeit und Substanz sind sie eins und in ihnen wohnt die sbquoFuumllle [Pleroma] der Gottheitrsquo (Kol 29)rdquo596 Laut Origenes sind bdquoSophia Aletheia und Logos die Hauptbestandteile des Pleromasrdquo597 Interessanterweise sind nach Ansicht der Valentinianer diese bdquodrei Kraumlfte auch Teil der ersten Stufe des Pleromasrdquo598 So wie Origenes schreibt dass jede dieser Maumlchte durch bdquoVorherwissenrdquo arrangiert wurde schreiben die Gnostiker auch die gesamte Klasse dieser Maumlchte dem bdquoVorherwissenrdquo des Ungeborenen zu599 Letztendlich war Jesus sowohl fuumlr Ori-genes als auch fuumlr die Valentinianer die Manifestation der goumlttlichen Kraumlfte des Pleromas Gottes und so toumlricht es auch war zu denken dass Aletheia und Zoe nicht schon immer existiert haumltten so muss auch der Sohn der diese wesentli-chen Attribute enthielt ewig sein Origenes schreibt

Wer es wagt zu sagen dass bdquoes eine Zeit gab in der der Sohn nicht existierterdquo sollte verstehen dass er auch sagen wird dass bdquoals die Weisheit nicht existierte und Logos nicht existierte und das Leben nicht existierterdquo waumlhrend wir glauben muumlssen dass in all diesen die Substanz Gottes in Vollkommenheit existiert in ihnen ist das Ple-roma der Goumlttlichkeit600

Die Wissenschaft ist daher zum Schluss gekommen dass bdquodie valentinianischen Lehren uumlber die ewige Zeugung des Sohnes denen aumlhnlich waren die Origenes befuumlrworteterdquo601 Und nicht nur Valentinus Lehre sondern -vielleicht noch wich-tiger - das gnostische Modell seines Schuumllers Heraklion mit einer ewigen Dreifaltig-keit zeigt eine verdaumlchtige Aumlhnlichkeit mit Origenessbquo Ansichten602 Ist das alles

596 Ebenso p 130 597 Ebenso 598 Valentinus stuumltzte sich fuumlr sein Modell wahrscheinlich auf fruumlhere platonische undoder gnostisch al-

exandrinische Spekulationen Wie Broek schon sagt bdquo[Valentinus] war nicht der erste und auch nicht der letzte der auf diese Weise uumlber Gott dachte wie Eugnostus und Origenes zeigen Dies erklaumlrt warum die Lehre von[Valentinus] von so vielen Christen in Alexandria und im Ausland so gut ange-nommen wurderdquo (Broek S 130)

599 Broek p 129 600 Origen On First Principles 4 4 1 Interestingly this statement which Origen argues against was the very

standard of Tertullian (Hermogenes 3 18) and the Arians in the following century 601 Philip F Esler The Early Christian World Vol I-II (London Routledge 2000) p 1016 See also Alan B

Scott Origen and the Life of the Stars (Oxford Clarendon Press 1992) 602 Quispel stellt fest dass Origens ewige Zeugung obwohl sie heute als bdquowesentlichrdquo fuumlr die Orthodoxie

angesehen wird den Lehren von Heraklion und Valentinus sehr bdquonaherdquo kommt Er schreibt bdquoHerakles und Origenes haben gemeinsam dass ihr Gottesbild streng persoumlnlich bleibt auch wenn sie die pla-tonischen Kategorien nutzen um seine Transzendenz auszudruumlcken Weil Gott Vater im wahrsten Sinne

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nur Zufall In der modernen Wissenschaft hat bdquobereits eine neue Phase einge-setzt die Origenes die volle Aufmerksamkeit schenkt soweit er ein Gnostiker istrdquo603 Obwohl Quispel ein ernsthafter Schuumller des Platonismus und ein vehe-menter Gegner der Gnostiker ist bestaumltigt er dass bdquoOrigenes auch in seiner Exe-gese viel eher ein Gnostiker als ein Platoniker warrdquo604 Tatsaumlchlich hat die Entde-ckung von Nag Hammadi dazu beigetragen die Kluft zwischen Origenes und Valentinianismus zu bdquoverringernrdquo605 Aber es darf nicht unerwaumlhnt bleiben dass die Unterschiede zwischen ihnen in Bezug auf die Existenz des Sohnes betraumlcht-lich sind Zum Beispiel ordnet Origenes den Namen Sophia (Weisheit) einem houmlheren Rang im Pleroma zu als die Valentinianer Dies bedeutet nicht dass O-rigenes direkt von Valentinus abhaumlngig war es gibt genuumlgend Beweise dafuumlr dass bdquobeide von fruumlheren alexandrinischen Spekulationen uumlber die Natur Gottes Ge-brauch machtenrdquo606 Dieser Kreis alexandrinischen Denkens stellte sich eindeutig einen transzendenten aber dennoch persoumlnlichen Gott vor der nachfolgende Manifestationen als separate Hypostasen erzeugte607 Dies erklaumlrt warum Valen-tinus gnostische Lehre uumlber Gott bdquovon so vielen Christen in Alexandria und aus-serhalb Aumlgyptens so bereitwillig angenommen wurderdquo608 Sowohl der bdquoketzeri-scherdquo Valentinus als auch der bdquokatholischerdquo Origenes hatten [ihre Ideen] aus ei-nem gemeinsamen Brunnen geschoumlpft Aufgrund der komplexen Beziehung zwi-schen den verschiedenen Traditionen konnte bdquodie Mehrheit der Christen den

des Wortes existiert ist er der ewige Vater des ewigen Sohnes Aus ihrer gegenseitigen Liebe entsteht eine dritte Hypostase Deshalb koumlnnen wir sagen dass Herakles eine ontologische und ewige Dreifalti-gkeit lehrtrdquo (Quispel ldquoOrigenrdquo pp 296-297)

603 Ebenso p 289 604 Quispel argumentiert bdquoIn der geistigen Welt von Origenes finden alle Arten von Ereignissen statt

waumlhrend bei Platons Ideen nichts geschieht Man sollte auch nicht sagen dass eine solche sbquovertikalersquo Exegese notwendigerweise griechisch ist denn auch die Stoiker haben allegorische Interpretationen der griechischen Mythologie vorgenommen Die spaumlteren juumldischen Kabbalisten gaben eine sehr aumlhnliche Interpretation des AT Mehr als auszligerirdische Einfluumlsse ist es eine bestimmte gnostische Mentalitaumlt die diese Hermeneutik hervorbringtrdquo (ebd S 290) Die vertikale Exegese bdquobehandelt den Text als isoliertes Phaumlnomen Wir nehmen diesen Text mit nur diesen wenigen Versen und loteten die Tiefe aus die dort ist Die vertikale Exegese geht davon aus dass jeder Text eine Bedeutungswelt fuumlr sich selbst ist eine houmlchst problematische Annahmerdquo (R Jensen Thinking in Story (Lima CSS Publishing Co 1995[1993]) S 94) Interessanterweise offenbaren die gnostischen Texte von Nag Hammadi eine Bezi-ehung zur Exegese von Origenes bdquoSie sind vollgepackt mit allegorischen Interpretationen der Schrift insbesondere der ersten drei Kapitel der Genesis und befassen sich mit dem Fall der Seele [des Menschen] und der Art der Auferstehung - alles Themen die von ihren Gegnern mit sbquoOrigenistenrsquo in Verbindung gebracht wurdenrdquo (Hugo Lundhaug The Monastic Origins of the Nag Hammadi Codices) (Der gnostische Ursprung der Nag Hammadi Codices) (Tuumlbingen Mohr Siebeck 2015 p 242)

605 Quispel cited in Griggs p 64 606 Broek p 130 607 Ebenso 608 Ebenso

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Unterschied zwischen valentinianischer und orthodoxer Lehre nicht erken-nenrdquo609 Die valentinianischen und origenistischen christologischen Spekulatio-nen koumlnnten auch als verschiedene Zweige desselben synkretistischen Baumes angesehen werden eines Baumes dessen Wurzeln sich tief in die platonische hellenistisch-juumldische und sethianisch-gnostische Theorie erstrecken Natuumlrlich war es in der Vergangenheit uumlblich bdquodie Ideen von Origenes den Ideen der Gnos-tiker entgegenzusetzen [aber] wir sehen jetzt dass gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts die Uumlbergaumlnge allmaumlhlich verschwanden sodass sie fast unauffind-bar wurdenrdquo610 Origenes selbst repraumlsentiert letztlich sowohl einen aktualisierten als auch einen bdquokatholisiertenrdquo Gnostizismus611 und trotz seiner eigenen oumlffent-lichen Ablehnung der Ketzer kann man mit Quispel zum Schluss kommen dass bdquoOrigenes eine Vollendung gnostischer Entwicklungen istrdquo612 Andere Gelehrte wie Griggs sind bereit in Origenes einen weiteren bdquoKrypto-Gnostikerrdquo der Art von Clemens und des spaumlteren Marius Victorinus zu finden613 Die Auswirkungen einer solchen Schlussfolgerung koumlnnen ernst sein Origenes war wohl der wich-tigste Theologe fuumlr die Orthodoxie des vierten Jahrhunderts und die nicaumlnische Lehre uumlber Jesus waumlre ohne seine wichtige Vorarbeit kaum zustande gekommen Tatsaumlchlich haben Wissenschaftler folgendes festgestellt

Indem Origenes den Ursprung des Sohnes von Ewigkeit her als [des Vaters] bdquoewige Zeugungrdquo bezeichnete hat er diese Art von goumlttlicher Vater-Sohn-Selbstdifferenzierung in der Ewigkeit fest in der alexandrinischen theologischen Tradition und dadurch in der historischen Orthodoxie verankert Es waren jedoch andere wel-che die Elemente des Subordinationismus vollstaumlndig aus dieser Theologie beseitigten614

609 Elaine Pagels The Gnostic Gospels (New York Vintage Books 1979) p 32 610 Ebenso Wie Quispel abschliessend sagt bdquoInnerhalb der Schule von Valentinus hat eine gewiszlige Evo-

lution stattgefunden Es gab eine [erkennbare Verbindungs-] Linie von Valentinus zu Heraklion und von Heraklion nach Origenines Der Uumlbergang ist viel gradueller als ein phaumlnomenologischer Vergleich erkennen laumlsstrdquo (ebenso S 293) Tatsaumlchlich erlebten die Valentinianer ebenso eine Anpassung wie die Protoorthodoxen Besonders im westlichen oder roumlmischen Zweig des Valentinianismus finden wir einen Gnostizismus der offenbar fuumlr Nicht-Gnostiker sympathischer ist Heraklion und Ptolemaumlus zum Beispiel glaubten sogar dass die bdquoKatholikenrdquo ohne einen Uumlbertritt zur Gnosis gerettet wuumlrden

611 Quispel p 297 612 Ebenso p 270 613 Griggs in Paul McKechniersquos summary of his investigation ldquopictures Origen as a semi- (or even crypto-

) gnosticrdquo (Paul McKechnie Prudentia Vol 24 No 1 (Wissenschaftl Klugheit) (University of Auckland Bindery 1992) p 67)

614 Kevin Giles The Eternal Generation of the Son Maintaining Orthodoxy in Trinitarian Theology (Downerrsquos Grove IVP 2012) p 102 (Die Ewige Zeugung des Sohnes Die Aufrechterhaltung der Or-thodoxie in der Trinitarischen Theologie)

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Offensichtlich waren Bischof Alexander und Athanasius diejenigen die diese Rei-nigung von Origenes anhaltendem Subordinationismus durchfuumlhrten Die Aumlnde-rung des Origenes-Schemas im spaumlten dritten bis fruumlhen vierten Jahrhunderts war zu erwarten Zu Origenes Zeiten scheinen jedoch proto-orthodoxe Einfluumlsse be-reits eingegriffen und Aumlgypten bdquoin Einklang gebrachtrdquo zu haben615 Zu Beginn des dritten Jahrhunderts war man daran die auffaumllligeren (gnostischen) Elemente im alexandrinischen Christentum zu beseitigen Ein bdquoeinheitlicheres Christentum wurde allmaumlhlich durchgesetztrdquo616 Schlieszliglich erfand die katholische Fuumlhrung bdquoeine orthodoxe Vergangenheit fuumlr die aumlgyptische Kircherdquo617 Im Ruumlckblick draumlngt sich geradezu die Frage auf ob das Produkt dieser Katholisierung des ale-xandrinischen Christentums in der nicaumlnischen Theologie von Bischof Alexander und Athanasius wieder zu finden ist Es war ja schon laumlngst kompromittiert wor-den

Die Versoumlhnung der tief gnostischen Geschichte des Christentums mit der neuen Ordnung die von Athanasius und seiner Partei festgelegt wurde sollte sich wei-terhin - trotz ihrer imperialen Unterstuumltzung - als problematisch erweisen Ob-wohl sich das vierte Jahrhundert stark auf den Arianismus konzentriert hatte fra-gen sich nun Wissenschaftler ob der Gnostizismus bdquovon groumlszligerer Bedeutung ist als Athanasius von uns erwartetrdquo618 Der tumultuoumlse Aufstieg der nicaumlnischen Theologie zur [kirchlichen] Macht hat sicherlich zu einer groszligangelegten Schoumln-faumlrberei der orthodoxen Auseinandersetzung mit der Gnosis gefuumlhrt Als der Kai-ser Konstantin I die Autoritaumlt der Partei uumlber die Kirche untermauerte bestand ihre naumlchste Aufgabe darin ihre lehrmaumlssigen Standards so zu festigen dass sie nicht in die Fallen geriet in welche das aumlgyptische Christentum geraten war Im Jahre 367 n Chr startete Athanasius eine Kampagne gegen gnostische Literatur Er befahl die vollstaumlndige Zerstoumlrung der gnostischen Buumlcher und argumentierte bdquoDenn selbst wenn [auch nur ein einziges] nuumltzliches Wort in ihnen gefunden werden sollte ist es immer noch nicht gut ihnen zu vertrauenrdquo619 Ein Nebenef-fekt von Athanasius bdquoDruck zur Orthodoxierdquo mag der Grund gewesen sein wa-rum die gnostischen Buumlcher der Nag Hammadi-Codices im Sand Aumlgyptens ver-graben wurden620 Aber es scheint dass trotzdem bereits viele bdquonuumltzliche Worterdquo

615 McKechniersquos summary of Griggs in Prudentia Vol 24 No 1 p 66 616 Griggs p 29 Die Vielfalt der Interpretation uumlberlebte in diesem Milieu bis zu den Tagen des Bischofs

Demetrius von Alexandria (189-232 n Chr) dessen Herrschaft eine bdquoInfusion eines streng definierten Christentumsldquo vollbrachte (Ibid p 45)

617 McKechniersquos summary of Griggs in Prudentia Vol 24 No 1 p 66 618 Ebenda p 68 619 Athanasius Festal Letter 39 367 CE (Fest-Brief) 620 David M Gwynn Athanasius of Alexandria Bishop Theologian Ascetic Father (Oxford OUP 2012)

p 156

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aus diesen ketzerischen Texten entnommen und fuumlr die Konstruktion des ortho-doxen Glaubens verwendet worden waren Athanasius selbst war sicherlich schuld daran wie eine Enzyklopaumldie richtig zeigt dass er bdquoan einigen der gnosti-schen Irrtuumlmern mitgewirkt hat [in seinem Traktat] uumlber die Inkarnation begegnen wir der gleichen prominenten [gnostischen] Lehre [der Jungfraumlulichkeit] die auch als charakte-ristisch fuumlr das christliche System gilt und die sogar gnostische Saumltze beinhaltetrdquo621 So fragt ein moderner Gelehrter bdquoWar die Tatsache dass der Gnostizismus am Erloumlschen war die Ursache dass die Codices von Nag Hammadi begraben wurdenrdquo622 Wir fragen uns ob der Gnostizismus wirklich ausstarb oder ob er [leicht veraumlndert] in der Mainstream-Christenheit neu auflebte Unabhaumlngig davon wie Wissenschaft-ler festgestellt haben bdquowurden orthodoxe Lehren so gestaltet dass sie den Be-duumlrfnissen der zeitlichen Macht dienten Athanasius von Alexandria schuf eine sbquoVorlagersquo fuumlr die Orthodoxie der Abschluss des Kanons die ausschlieszligliche Zuordnung von Wissen zu Christus und die Akzeptanz des Wuumlstenmonastizis-mus Jeder dieser Schritte diente den politischen Interessen der institutionellen Orthodoxie und ermoumlglichte es ihr in einer Kultur die sehr eklektisch und kos-mopolitisch war uumlber den Gnostizismus zu triumphierenrdquo623

Trotz der Bemuumlhungen von Athanasius augenfaumlllig gnostische Einfluumlsse zu be-seitigen erwies sich die endguumlltige Trennung von Orthodoxie und gnostischem Denken weiterhin als schwierig Zum Beispiel beschimpft Athanasius diejenigen die bdquodenken dass das Boumlse in ihrer eigenen Natur liegt wie die Ketzer behaup-tenrdquo624 Ein Gelehrter erinnert uns daran dass bdquodies eine Lehre war die von ei-nigen gnostischen Gruppen und auch vom Manichaumlismus gehalten wurderdquo625 Aber wir haben bereits gesehen wie diese Lehre in der Orthodoxie durch den ehemaligen manichaumlisch-gnostischen Augustinus Eingang gefunden hatte Auch

621 Josh McClintock James Strong ldquoAthanasiusldquo Enzyklopaumldie der biblischen theologischen und kirch-

lichen Literatur Band 1 (New York Harper amp Brothers 1891) S 508 seine Hervorhebung bdquoIn einigen Punkten war [Athanasius] schwach wie andere Menschenldquo und der asketische und monastische Geist erhielt einen starken Impuls von seinen Schriftenldquo (ebd) Die athanasische Neigung zur Askese ist em-blematisch fuumlr den allgemeinen Prozess der christlichen Verschmelzung mit griechischen und gnos-tischen Idealen Wie Harnack bemerkt bdquowurde die christliche Religion mit der raffinierten Askese einer untergehenden Zivilisation vermischtldquo (History of Dogma Vol 1 (1894) S 330) Bis in das spaumlte fuumlnfte und fruumlhe sechste Jahrhundert in der Zeit von Papst Gregor stellt Harnack einen regelmaumlszligigen Appell an eine bdquoabnehmende Zivilisation fest die in Aberglauben und Magie versunken istldquo (History of Dogma Vol 5 (1961) p 262)

622 McKechrie p 68 623 Mike Wilson ldquoEgypt Shaping Gnosis for Christianityrdquo The Midwest Quarterly Vol 44 No 2 (Pittsburg

Pittsburg State University 2003) p 100 (Aumlgypten Die Formung der Gnosis fuumlr das Christentum) 624 Gwynn p 151 625 Ebenso

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in den Jahren kurz nach Athanasius Tod ist die Unterscheidung zwischen bdquoor-thodoxemrdquo und bdquoketzerischemrdquo Denken oft nicht leicht und manchmal sogar unmoumlglich

AlexanderAthanasiusundderNicaumlnischeJesusEs ist klar dass Alexander und sein Schuumller Athanasius die Grundlage ihrer Leh-ren von Origenes erhielten Aber es scheint auch offensichtlich dass ihr Origen-ismus - bevor sie ihn erhielten - von ihren katholisierenden alexandrinischen Vor-gaumlngern veraumlndert worden war Wie Schaff bestaumltigt bdquostand die theologische Aus-bildung von Athanasius unter dem immer noch vorherrschenden wenn auch modifizierten Einfluss von Origenesrdquo626 Bei Alexander faumlllt bdquodie Kombination einer grundlegend origenistischen Theologie mit Ideen die auf die asiatische [ori-entalische] Tradition zuruumlckzufuumlhren sind aufrdquo627 Der Grad der Veraumlnderung den die Lehre des Origenes erfuhr variierte zwischen den Theologen des vierten Jahrhunderts Athanasius eigene sorgfaumlltige Aufmerksamkeit bdquokonzentrierte sich darauf dass Gott immer der Vater des Sohnes war dies bedeutete natuumlrlich dass der Sohn immer der Sohn des Vaters warrdquo628 So ging er uumlber Origenessbquo bdquoewige Zeugung des Sohnesldquo hinaus Fuumlr ihn bedeutete bdquoewigrdquo nicht dass er staumlndig mit dem Rest der Schoumlpfung erzeugt wurde sondern dass der Sohn in Bezug auf die Zeit als einzigartig und persoumlnlich mit dem Vater zusammenhaumlngend betrachtet werden sollte

Die Periode bis zum [Konzil von] Nicaumla ist der Houmlhepunkt eines langen Prozes-ses der Spekulationen uumlber die Zeugung des Sohnes Waumlhrend des fruumlhen vierten Jahrhunderts bdquobrachten die Orthodoxen ihre Ansichten vor und begannen zu sa-gen dass seine Sohnschaft und seine Existenz von Ewigkeit her da waren Zuerst wurde diese Idee vorsichtig und eher verhalten angedeutet sie war zur Zeit des Konzils von Nicaumla nicht allgemein verbreitetrdquo629 Es war jedoch die unverwech-selbare Lehre von Athanasius die er unermuumldlich anlaumlsslich des Konzils von Nicaumla propagierte630

Ein Gelehrter verraumlt dass es einen Umstand gab der bdquoviel dazu beigetragen hat in der Kirche das Wachstum der Idee einer sbquoewigen Zeugungrsquo zu foumlrdern die

626 Schaff A Select Library of Nicene and Post-Nicene Fathers p xviii 627 Ebenso 628 Broek p 252 629 George Balderston Kidd Christophany Doctrine of the Manifestations of the Son of God Under the

Economy of the Old Testament (London Ward and Co 1852) pp 689-690 (Christophanie Doktrin der Manifestationen des Sohnes Gottes unter der Oumlkonomie des Neuen Testaments)

630 In Nicaumla war Athanasiussbquo Hauptargument dass der Sohn bdquonicht sbquoin der Zeitrsquo seine Existenz begann sondern vor allen Zeiten ewig und durch den Verstand nicht erklaumlrbar vom Vater gezeugt wurderdquo (Schaff A Select Library of Nicene and Post-Nicene Fathers Vol 7 S xlix unsere Hervorhebung)

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Einfuumlhrung verschiedener Vergleiche von der Aussenwelt in die gaumlngige Sprache der Kirche diese Illustrationen wurden erstmals von Enthusiasten verwendet die von der Hauptkirche nicht unterstuumltzt wurdenrdquo631 Diese bdquoneuartige Bildspra-cherdquo der Zeugung des Sohnes vom Vater beinhaltet das Beispiel der bdquoSonne den Strahl und den Endpunkt des Strahlsrdquo632 George Kidd erinnert sich dass sich in den Aufzeichnungen des Irenaumlus aus dem zweiten Jahrhundert der [bekannte] Vergleich der Sonne und ihrer Strahlen dreimal finden laumlsst bdquoAber es ist bemer-kenswertrdquo sagt Kidd bdquodass das Beispiel von [Irenaumlus] nie verwendet wird um seine eigene Sichtweise der Prolation des Logos zu veranschaulichen aber er zitiert es aus der Sprache der gnostischen Ketzer die von ihm widerlegt wurden Sie benutzten die Metapher um die Emanation der Aumlonen zu erklaumlren figuumlrlich so wichtig in ihrer eitlen Theosophie von der Ur-Goumlttlichkeit Irenaumlus wider-setzte sich entschieden solchen Figuren und Analogienrdquo633 Obwohl die fruumlheren Anti-Gnostiker wie Irenaumlus dieses Modell ablehnten und die Nichtigkeit der Spe-kulationen betonten stellt ein Gelehrter fest bdquoDas ist die Darstellung mit der die Kirchenvaumlter mit Vorliebe die Vereinigung von Vater und Sohn erklaumlrten und obschon es besser ist nicht zu tief in solche Themen einzudringen ist es vielleicht die naumlchstgelegene und einfachste Darstellung die man finden kannrdquo634 Derselbe Gelehrte erkennt auch an dass bdquoder uumlberragende Verstand des Athanasius sowie der rastlos aktive Origenesrdquo nicht zu sehr an Irenaumlus Warnung vor dem Gnosti-zismus festgehalten haben635

Origenes wie die Gnostiker vor ihm hatte offensichtlich die platonische Auffas-sung uumlbernommen dass die Materie nicht nur von Natur aus unvollkommen sei sondern dass sie sogar eine abscheuliche Verschmutzung sei636 Im Werk Gegen Celsus geht Origenes auf die Frage ein warum Gott den Geist seines Sohnes in die jungfraumluliche Maria einbringen musste bdquoDa er bereits wusste wie man Menschen macht haumltte er auch fuumlr diesen [seinen Sohn] einen Koumlrper bilden koumlnnen ohne seinen eigenen Geist in eine solch uumlble Verschmutzung stuumlrzen zu muumlssenrdquo (673) Er kommt zum Schluss dass die goumlttliche Natur nicht in einer Weise in die Verschmutzung ge-stuumlrzt wurde und er selber dadurch verschmutzt worden waumlre So argumentiert er dass wir nicht bdquodenken sollten dass die Sonnenstrahlen durch Dunghaufen und stinkende

631 Kidd p 689 unsere Hervorhebung 632 Ebenso zitiert Kaye 633 Kidd Doctrine of the Manifestations of the Son of God p 689 634 Burton zitiert ebenso S 689-690 635 Ebenso p 691 636 bdquo[die Seele] geht befleckt von koumlrperlicher Verunreinigung die fuumlr sie natuumlrlich wurde durch ihren

staumlndigen Handel und ihre zu enge Verbindung mit dem Koumlrper zu einer Zeit als sie ihr staumlndiger Begleiter war Diese Verschmutzung ist eine grobe schwere erdige und sichtbare Masseldquo (Platon Phaidon 1)

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Koumlrper befleckt werdenrdquo637 Origenesrsquo Christus der von Gott ausgeht wurde nicht durch Materie verunreinigt sondern beleuchtete sie und blieb unbefleckt von dem Schlamm (der Materie) den sie beruumlhrte

Aber war Origenes Einsetzung eines transzendenten Jesus in dieses platonische Schema seine eigene Erfindung Die Gnostiker hatten bereits angenommen dass der goumlttliche Christus mit der Materie nur bis zu dem Grad vereint sei dass er mit ihr nicht verwechselt werden kann und nicht kontaminiert wird Ein populauml-res gnostisches Werk aus dem 3 Jahrhundert The Tripartite Tractate (Das dreiteilige Traktat) bezieht sich ausdruumlcklich darauf dass der Erloumlser mit der menschlichen bdquoKleinheitrdquo zwar vereint ist und bdquoals Kind in Koumlrper und Seele empfangen und geboren werden kannrdquo aber dennoch ohne bdquoVerunreinigungrdquo (1153-11 15-17)638 Origenes spiegelt dieses Modell sicherlich wider und benutzt sogar die gleiche Sprache Die Bezeichnung der Materie als Verschmutzung die an der Seele haftet ist offensichtlich platonisch aber es ist die besondere Verbindung dieses Modells mit Jesus sowie die Darstellung der Emanation [Ausstroumlmung von Gott] und die Befreiung Christi von dieser Verunreinigung die vor allem gnostisch ist639 So ist es unter dem fragwuumlrdigen gnostizierten Einfluss von Origenes dass Athanasius nicht nur das gleiche gnostische System praumlsentiert sondern ebenfalls die gleiche Sprache verwendet640 Athanasius schreibt

Denn wenn die Sonne wie sie im Himmel kreist nicht durch Annaumlherung an irdische Koumlrper befleckt oder durch Dunkelheit zerstoumlrt wird sondern sie erleuchtet und reinigt viel mehr das allheilige Wort Gottes Schoumlpfer der Sonne und des Herrn als er im Koumlrper bekannt war nicht befleckt wurde641

637 See H Chadwick Origen Contra Celsum (Cambridge CUP 1980) 638 The Tripartite Tractate 115 3-11 See also Sarah Iles Johnston Religions of the Ancient World A Guide

(Cambridge Belknap Press 2004) p 82 639 bdquoEinige behaupten Origenes sei platonischer und philosophischer als die Gnostiker Doch dieses Ar-

gument wird mit der Entdeckung eines fragmentarischen Textes aus Platons Republik als Teil der gnos-tischen Bibliothek von Nag Hammadi weniger haltbarrdquo (Griggs p 66)

640 bdquoDie theologische Ausbildung des Athanasius stand hellip unter dem nach wie vor vorherrschenden wenn auch veraumlnderten Einfluss des Origenes hellip Bei Alexander dem theologischen Foumlrderer des jungen Ath-anasius faumlllt die Verbindung einer grundsaumltzlich origenistischen Theologie und einer auf asiatische Tra-dition zuruumlckfuumlhrbaren Ideen aufrdquo (Philip Schaff Nicene and Post-Nicene Fathers Vol IV (London Parker amp Company 1892) p lxviii)

641 R W Thompson Athanasius Contra Gentes and De Incarnatione (Oxford 1971) p 177 emphasis added

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Letztendlich finden wir in Athanasius eine Aufrechterhaltung eines seltsamen gnostischen unantastbaren goumlttlichen Wesens das von auszligen in den Schoss ein-tritt Uumlber die christologischen Vorlieben des Athanasius gibt der Praumlsident der Katholischen Theologischen Gesellschaft Amerikas diese Wuumlrdigung ab

Jesus ist fuumlr Athanasius kein Mensch wie wir Der Hauptakteur in der Geschichte ist Gott oder das goumlttliche Wort das in Nicaumla als konsubstanziell (homoousios) mit dem Vater definiert wurde In vielen Passagen gewinnt man den Eindruck dass sein Koumlrper oder sein Fleisch [nur] ein Instrument sei durch das eine goumlttliche Exis-tenz Wesen in Wirklichkeit Gott das Subjekt oder der Akteur in der Geschichte ist Durch diese Schlussfolgerung ist Jesus also kein allen anderen ebenbuumlrtiger Mensch sondern eine koumlrperliche Ge-stalt oder ein Vehikel in dem das goumlttliche Wesen das Wort der Hauptdarsteller ist642

Ein anderer Gelehrter bemerkte dass

Athanasius in enorme Schwierigkeiten geriet (und es muss hier be-tont werden dass es den meisten Theologen gleich erging) als er versuchte einen Jesus zu verstehen der goumlttlich und zugleich menschlich ist Er schuf eine ausgekluumlgelte Unterscheidung zwi-schen dem menschlichen Koumlrper Jesu der am Kreuz zu leiden schien und dem goumlttlichen Logos die sich irgendwie im menschli-chen Koumlrper [Jesu] befand aber nicht leiden konnte So konnte beispielsweise der Geist Jesu den Athanasius nicht dem Koumlrper [Jesu] sondern dem Logos zuordnete nichts spuumlren und konnte nicht einmal einem moralischen Dilemma ausgesetzt sein643

Wir werden unmittelbar an die gnostisch-christologischen Elemente erinnert die bei Clemens und Origenes uumlberlebten Auch sie hatten sich ein goumlttliches Wesen vorgestellt das die Vielfalt der menschlichen Beduumlrfnisse nicht wirklich erfuhr es erschien ihnen nur so Der junge Athanasius hatte sicherlich seine Chance die Vision von Jesus oumlffentlich vorzustellen als er sich in Wortgefechten mit den traditionellen Subordinationisten auseinandersetzte diese weigerten sich die Un-schaumlrfe seiner zeitlichen und ontologischen Trennungslinien zwischen dem Vater und dem Sohn zu akzeptieren

Athanasius wird von orthodoxen Christen auch heute noch immer als bdquoVerteidi-ger des Glaubensrdquo bezeichnet Man sieht ihn als einen unermuumldlichen Schuumltzer

642 Roger Haight Jesus Symbol of God (Maryknoll Orbis Books 1999) p 222 643 Freeman Closing of the Western Mind p 187

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des Glaubens gegen das Eindringen ketzerischer Systeme als Glaube wurden die ungeschminkten frommen Traditionen der Apostel definiert Doch wir muumlssen uns daran erinnern dass fuumlr keine seiner Gedankenformen der Ursprung in der Bibel zu finden ist wie die juumlngsten Forschungen zeigen Im Gegenteil Das Mar-kenzeichen des Gnostizismus pulsierte dynamisch in seinen philosophischen Adern wie auch in denen anderer Persoumlnlichkeiten welche die orthodoxe Tradi-tion heute als Huumlter des reinen und apostolischen Glaubens vorgibt

Wir erinnern uns noch einmal an die Entdeckung moderner Gelehrter eines bdquokrypto-gnostischen und nicaumlnischen Kreises in Romrdquo644 Wurde nicht schon ein solcher Kreis in Alexandria ausgemacht Koumlnnen Alexander und Athanasius viel-leicht als seine geistigen Nachfolger identifiziert werden Wie dem auch sei es sollte zumindest klar sein dass das bdquoalexandrinischerdquo Christentum des vierten Jahrhunderts die Grenzen der juumldischen Glaubensgrundlagen der ersten Christen weit uumlberschritten hatte Ein Gelehrter notiert

Je weiter man sich von den juumldisch-messianischen Wurzeln der Christologie entfernt desto mehr verblasst die Humanitaumlt Jesu (der Nur-Mensch Jesus) Waumlhrend einige juumldische Christen konsequent die volle Menschlichkeit [Humanitaumlt] Jesu betonten und einige gnostische Christen gleichermaszligen auf seiner vollen Goumlttlichkeit [Divinitaumlt] beharrten versuchten die Proto-orthodoxen [von Ale-xandria] und viele gnostische Christen es beiderweise zu haben Auf der orthodoxen Seite fuumlhrte dies zu einer komplizierten Lehre von den beiden Naturen Christi (Dualismus) Man versuchte eine Sichtweise auszuarbeiten die eine monotheistische Grundhaltung beibehaumllt und gleichzeitig der [angeblichen] Goumlttlichkeit Jesu ge-recht wird Eine moderne Auffassung ist dass weder die Protoor-thodoxen noch die Gnostiker einen vollstaumlndigen Nur-Menschen annehmen der allen anderen Menschen wirklich aumlhnlich [ebenbuumlr-tig] ist645

WeichenstellungfuumlrNicaumlaDie erklaumlrten Feinde von Athanasius und seiner Gruppe waren die bdquoArianerrdquo Dieser Name wird in den meisten Geschichtsberichten verwendet obschon sie nicht wirklich Anhaumlnger von Arius waren Die Opposition bestand aus einer Viel-

644 Abramowski ldquoNicaumlnismus und Gnosisrdquo Zeitschrift fur Antikes Christentum Vol 8 No 3 (SN SL

2005) pp 513-566 645 Heikki Raisanen The Rise of Christian Beliefs The Thought World of Early Christians (Minneapolis

Fortress Press 2010) p 225

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zahl von Subordinationisten einige von ihnen stimmten sicherlich mit Ariussbquo spe-zifischen Ansichten uumlberein andere jedoch mehr mit denen von Origenes In Wirklichkeit wurden sie von Athanasius und anderen Polemikern bdquoArianerrdquo ge-nannt in der Hoffnung ihre Ansichten in Bezug auf den Subordinationismus als neuartig oder fremd abstempeln zu koumlnnen Das traditionelle Label bdquoArianerldquo kann weiterhin verwendet werden aber man darf nicht aus den Augen verlieren dass sich die bdquoArianerrdquo nicht an eine Neuerung von Arius klammerten sondern sich an die traditionelle mehrheitliche Auffassung des Glaubens hielten

Der Mann Arius (250-336 n Chr) war ein Priester aus Libyen der in der Kirche von Baucalis [einem Bezirk Alexandrias in Aumlgypten] diente und subordinationis-tische Ansichten vertrat646 Arius erregte in Alexandria erstmals Aufmerksamkeit der negativen Art als er die fortschreitende Lehre seines Bischofs von der ewigen Sohnschaft Christi vehement ablehnte Obwohl einer der lautstaumlrksten war Arius nicht der einzige Dissident in diesem Punkt Er war bdquoeinfach ein hartnaumlckiger Konservativer der keine Angst hatte die Neuerungen seines Bischofs [Alexan-der] in Frage zu stellen und der eine Anhaumlngerschaft anzog weil er zum Aus-druck brachte was so viele andere uumlber gefaumlhrliche theologische Entwicklungen nur dachtenrdquo647 Selbst in Aumlgypten galt Alexanders Lehre als neuartig und prekaumlr und bdquodie meisten aumlgyptischen Christen akzeptierten oder verstanden die Theolo-gie des Bischofs nichtrdquo648

Im Gegensatz zu Alexander behauptete Arius vehement dass nur der eine Gott wirklich ewig sei und dass er einen Sohn geschaffen habe nicht ewig [nicht in der Ewigkeit] sondern im Laufe der Zeit vor der Erschaffung der Welt Einige seiner Hauptbeweise waren Passagen wie Kolosser 115 in welcher der Sohn als bdquoder Erstgeborene jeder Schoumlpfungrdquo bezeichnet wird und aus diesen Texten argu-mentierte Arius uumlberzeugend dass der Sohn zunaumlchst ein vorbestehendes (prauml-existentes) engelhaftes Geschoumlpf gewesen sei das spaumlter als der wahre Mensch Jesus von Nazareth inkarniert wurde (dh in das Fleisch gekommen sei) Arius lehrte beharrlich dass es offenbar eine Zeit gab in welcher der Sohn nicht exis-tierte In dieser Hinsicht war er mit Tertullian und anderen verbunden649 Abwei-chend von Tertullian lehrte Arius aber auch dass Gott Jesus aus dem Nichts erschaffen habe indem er bdquoum unseretwillen gemacht wurde damit Gott uns

646 Baucalis war der Bezirk von Alexandria in dem Markus der Evangelist angeblich gemartert wurde

Siehe Albert Birger Pearson Gnostizismus und Christentum Im roumlmischen und koptischen Aumlgypten (London Continuum International Publishing Group 2004) p 105

647 Young zitiert in Griggs p 145 648 Ebenso p 138 649 Tertullian Against Hermogenes 3 18

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durch ihn wie durch ein Werkzeug erschaffen konnte und er [Jesus] haumltte niemals existiert es sei denn Gott haumltte uns erschaffen wollenrdquo650

Es ist interessant dass der Bischof [Alexander] den Arius trotz seines Wider-stands weiterhin beguumlnstigte Er schaumltzte ihn wegen seiner Redegewandtheit und stufte ihn als bdquohoch angesehen einrdquo651 Vielleicht fand Alexander noch andere Gemeinsamkeiten zwischen ihnen Unabhaumlngig davon war Arius wegen seines oumlffentlich ausgetragenen Widerstreits zu kontrovers um einfach uumlbergangen zu werden Alexander konnte es sich nicht leisten schwach zu wirken Alte Kirchen-historiker sind sich jedoch einig bdquoAlexander ist nur dann gegen Arius vorgegan-gen wenn er durch die Berichte und Kritiken anderer dazu gezwungen wurderdquo652 Schlieszliglich wollte Alexander jeden unter seiner Zustaumlndigkeit nach wahrhaft proto-orthodoxer Art und Weise noumltigen eine Glaubenserklaumlrung zu unterzeich-nen die mit seinen Ansichten uumlbereinstimmte Natuumlrlich weigerte sich Arius

Arius wurde von Bischof Alexander um 320 n Chr im Schnellverfahren exkom-muniziert Arius appellierte jedoch sofort an einen anderen Bischof den beruumlhm-ten Eusebius von Nikomedien der selbst ein Subordinationist war Eusebius star-tete eine erfolgreiche Kampagne zur Wiedereinsetzung von Arius und bald schlug sich ein weiterer einflussreicher Bischof aus Caumlsarea auch Eusebius ge-nannt im Kampf auf die Seite von Arius Interessanterweise ist letzterer Eusebius derselbe der spaumlter gegen die Arianer schreiben und sie als Ketzer betiteln wuumlrde Aber zu diesem Zeitpunkt beriefen beide Bischoumlfe mit dem Namen Eusebius eine Bischofskonferenz in Israel ein und unterstuumltzten Arius dies in direkter Op-position zu Alexander653

Als sich die Nachricht von der Kontroverse [auch Arianischer Streit genannt] verbreitete begannen die Christen sich entweder hinter den sogenannten bdquoaria-nischenrdquo oder bdquoanti-arischenrdquo Gruppen zu scharen Professor Richard E Ruben-stein beschreibt welche Art von Christen sich entweder in den arischen und anti-arischen Lagern um die Zeit von Nicaumla versammelten

Diejenigen fuumlr die das Christentum eine natuumlrliche Erweiterung und Verbesserung des Judentums zu sein schien waren gefuumlhlsmauml-szligig eher Arianer Im Gegensatz dazu empfanden die staumlrksten Anti-

650 Zitiert in Socrates Scholasticus Ecclesiastical Histories of Socrates Scholasticus 1 6 651 Griggs p 120 citing Epiphanius and Sozomen 652 Ebenso 653 Hanson p 135 Siehe auch Paul Foster Early Christian Thinkers The Lives and Legacies of Twelve

Key Figures (London Society for Promoting Christian Knowledge 2010) Early Christian Thinkers The Lives and Legacies of Twelve Key Figures (London Society for Promoting Christian Knowledge 2010) (Fruumlh-christliche Denker Leben und Erbe von Zwoumllf Schluumlsselfiguren)

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Arianer ihre Gegenwart als einen klaren Bruch mit der Vergangen-heit Sie forderten in der Tat dass das Christentum bdquoaktualisiertrdquo werde indem sie die seit langem akzeptierte Unterscheidung zwi-schen Vater und Sohn verwischen oder sogar ausradieren wollten Aus der Perspektive unserer Zeit mag es seltsam erscheinen an a-rianische bdquoKetzerrdquo als an Konservative zu denken die Betonung des Bloszlig-Mensch-Seins (dh der Menschlichkeit) Jesu und der transzendenten voumllligen Andersartigkeit Gottes galt im Osten nie als ketzerisch654

Die proto-orthodoxe Bewegung des Athanasius zur Zeit Nicaumlas im Jahre 325 n Chr war sicherlich noch in der Minderheit655 Natuumlrlich sind heute die Rollen umgekehrt heutzutage betrachten viele Christen die sich fuumlr orthodox halten den Arianismus fuumlr ausgesprochen ketzerisch In den ersten drei Jahrhunderten nach Jesu Kreuzigung war die Vorstellung dass der Erloumlser ein von Gott separa-tes Wesen und ihm untergeordnet sei nicht besonders schockierendrdquo656 Die Un-terscheidung zwischen Vater und Sohn war weit verbreitet fuumlr Aufregung sorgte jedoch die aufkeimende Forderung nach ihrer radikalen ewigen Einheit [oder Ei-nigkeit] Die Zwietracht die vor 325 n Chr uumlber dieses Thema ausbrach hatte das kulturelle Gefuumlge des [Roumlmischen] Reiches durcheinander gebracht Dieser Streit kulminierte auch in einer umfassenden Stoumlrung der Religion Es war ein Problem so scheint es das nur ein roumlmischer Kaiser mit Macht beruhigen konnte Schlieszliglich ruumlckte der heftige Konflikt zwischen den Subordinationisten und der athanasischen Partei beim groszligen bdquooumlkumenischenrdquo Konzil Konstantins [Nicaumla] in den Mittelpunkt657

DesKaisersneueKleiderAm 27 Oktober 312 n Chr sah der ausgesprochen heidnische Kaiser Konstan-tin der in der entscheidenden Schlacht [an der Milvischen Bruumlcke] um goumlttliche Hilfe betete eine Vision eines Kreuzes am Himmel und houmlrte eine Stimme die ihm sagte er solle durch dieses Zeichen bdquosiegenrdquo658 Nach seinem dramatischen

654 Richard E Rubenstein When Jesus Became God The Epic Fight Over Christrsquos Divinity in the Last

Days of Rome (New York Harcourt Brace amp Company 1999) p 74 (Als Jesus zu Gott wurde Die grosse Auseinandersetzung uumlber die Divinitaumlt Christi in den letzten Tagen Roms)

655 Encyclopedia Britannica Inc ldquoTrinityrdquo Encyclopedia Britannica Vol 27 p 2941 656 Rubenstein p 10 657 Das erste Konzil das uumlberhaupt von Konstantin einberufen wurde war tatsaumlchlich 314 n Chr in Arles

Obwohl Augustinus von Hippo Arles ein oumlkumenisches Konzil nannte ist es im Schatten von Nicaumla weitgehend in Vergessenheit geraten Siehe auch Karl Joseph von Hefele A History of the Councils of the Church (Edinburgh T amp T Clark 1871) p 182

658 Baldwin H Ward Pictorial History of the Worldrsquos Great Religions (New York Gache Publishing Com-pany 1965) p 72

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Sieg erklaumlrte Konstantin dass er durch die guumltige Hand der bdquohoumlchsten Gottheitrdquo gewaumlhrt worden sei Von diesem Tag an erlebte das Roumlmische Reich einen un-glaublichen Wandel in seiner Einstellung zum Christentum Konstantin wuumlrde nicht nur den christlichen Glauben legalisieren und die Christen vor harter Ver-folgung schuumltzen659 sondern auch den Grundstein fuumlr dessen spaumlterer Ausrufung zur Staatsreligion legen660 Konstantin salbte sich schnell zum Haupt des Chris-tentums und versuchte die streitenden christlichen Fraktionen in seinem Reich durch die Einrichtung offizieller von der Regierung unterstuumltzter Konzile poli-tisch zu vereinen Das beruumlhmteste von ihnen tagte vom 20 Mai bis zum 25 Juli 325 n Chr in Nicaumla in der heutigen Tuumlrkei

Konstantin war ein religioumlser Mann der sowohl an den heidnischen Gott Sol Invictus glaubte als auch an den hermetischen (gnostischen) Kulten beteiligt war Das Judentum verabscheute er allerdings zutiefst661 und seine angebliche Bekeh-rung zum Christentum ist bis heute fragwuumlrdig662 Die fruumlhesten Wechselbezie-hungen Konstantins mit der Kirche offenbaren sowohl die Natur seiner Annauml-herung an das Christentum zum Zweck der Kontrolle als auch sein unablaumlssiges und gravierendes Missverstaumlndnis [dieses Glaubens] Ein Jahr nachdem sein ent-scheidender Sieg ihn zur christlichen Religion hingewandt hatte erlieszlig Konstan-tin das Edikt von Mailand das die Duldung nicht nur des Christentums sondern aller Religionen im Reich anordnete Aber er entdeckte schnell dass dieses Dekret nicht ausreichte um der christlichen Welt Stabilitaumlt zu bringen In dieser Zeit war

659 Die Konstantinische Erklaumlrung von Mailand im Jahr 313 n Chr begruumlndete nicht nur die Toleranz

gegenuumlber dem Christentum sondern auch gegenuumlber allen Religionen des Reiches bdquoWenn sie sehen dass dies [Christen] von uns gewaumlhrt wurde werden sie wissen dass wir auch anderen Religionen das Recht auf offene und freie Einhaltung ihrer Anbetung um des Friedens unserer Zeit willen eingeraumlumt haben dass jeder die freie Moumlglichkeit haben kann nach Belieben anzubeten diese Regelung wird get-roffen damit wir nicht von irgendeiner Wuumlrde einer Religion abzulenken scheinenrdquo (Vereinbarung von Mailand von Lactantius Uumlber den Tod der Verfolger Kap 48)

660 Theodosius Edikt von Thessaloniki im Jahre 380 befahl allen Mitgliedern des Reiches den Glauben der roumlmischen und alexandrinischen Bischoumlfe uumlber jede andere Religion zu stellen

661 W H C Frend Rise of Christianity (Philadelphia Fortress Press 1984) p 499 662 Der christliche Glaube des historischen Konstantin ist ein Raumltsel Er war eindeutig ein sonnenanbe-

tender Heide vor seiner Vision vom bdquoKreuzrdquo am Himmel Die Verwirrung unter den Historikern ent-steht wenn es darum geht festzustellen wann wenn uumlberhaupt seine Bekehrung zum Christentum stattgefunden hat Letztendlich scheint Konstantin im Konflikt zu stehen Zur gleichen Zeit seiner nicaumlnischen Konvention gab er Muumlnzen aus Antiochien heraus die sich neben dem Sonnengott darstel-len und die Legende bdquoAn die Sonne Begleiter unseres Augustusrdquo tragen Konstantin war natuumlrlich nicht der einzige Mann in der Ratskammer des Konzils aber man sollte seine Anwesenheit nicht als unwichtig fuumlr die Richtung der Debatten abtun

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der Glaube den qualvollen Spannungen der Donatistischen Kontroverse ausge-setzt die Kirchen Nordafrikas spalteten sich daruumlber wer und wo die bdquowahre Kircherdquo sei663

In den Jahren 314-316 n Chr berief Konstantin seine ersten christlichen Konzile ein Er befahl den Donatisten sich mit dem Rest der Christen zu vereinen und setzte seine Verordnungen mit militaumlrischer Gewalt durch Aber als die Donatis-ten sich weigerten ihre Kirchen aufzugeben kam es zur Gewaltanwendung Die Streitkraumlfte Konstantins schlachteten sogar den Bischof von Sizilibba den Bi-schof von Advocata ab und viele andere664 Obwohl Konstantin in spaumlteren Jah-ren seine gewalttaumltigen Tendenzen mildern wuumlrde wendete er weiterhin Gewalt-taktiken an um die Christen zur Vereinigung zu zwingen Wie wir bald sehen werden sollte Konstantin trotz seiner eigenen Erklaumlrung [von Mailand] der reli-gioumlsen Toleranz spaumlter die Verbrennung dissidenter Schriften anordnen Eigen-tum beschlagnahmen und das Treffen christlicher Gruppen verbieten die nicht zu seinem Programm der Vereinigung beigetragen hatten Die Einheit [des Rei-ches] war vor allem und immer des Kaisers Absicht und mit dieser Zielsetzung rief er das Konzil von Nicaumla im Jahre 325 n Chr ein Die Beilegung des aufkei-menden bdquoarianischen Streitsrdquo stand auf der Tagesordnung

Konstantin beaufsichtigte persoumlnlich die Verhandlungen in Nicaumla und begleitete die Diskussionen der Bischoumlfe als bdquobedeutendes Mitglied waumlhrend der gesamten Ratssitzungen des Konzilsrdquo665 Bei der Aufklaumlrung uumlber die fruumlhe Entwicklung der Trinitaumltslehre sollte die Hand Konstantins in diesen Debatten nicht ignoriert werden Schlieszliglich war es die Strategie des Kaisers selber eine umstrittene Sprachregelung fuumlr das Nicaumlnische Glaubensbekenntnis vorzuschlagen Diese sollte jedoch die christliche Welt bis ins Mark erschuumlttern Oft tendieren moderne

663 Ende des 3 Jahrhunderts n Chr hatte der Kaiser Diokletian die Kirche schwer verfolgt besonders in

Nordafrika Waumlhrend dieser schwierigen Zeit wurden alle Christen die ausdruumlcklich auf Christus ver-zichteten oder wieder den heidnischen Goumlttern opferten von der Regierung verschont Waumlhrend viele Christen sich weigerten und gemartert wurden verleugneten einige Christus und behielten ihr Leben Nach Beendigung der Verfolgungen weigerten sich einige der Christen die das Leiden durchgemacht hatten diejenigen wieder aufzunehmen die nicht in die Kirche zuruumlckkehrten Donatus (gest 355 n Chr) hielt die von Geistlichen die Christus abgeschworen hatten verteilten Sakramente fuumlr unguumlltig Diejenigen die zustimmten die Donatisten hielten sie fuumlr die bdquowahre Kircheldquo da sie die einzigen waren welche die bdquowahren Sakramenterdquo behielten Die donatistische Kontroverse wurde nie wirklich beigelegt Es blieb ein Thema auch waumlhrend des 7 Jahrhunderts als das Christentum durch die muslimische In-vasion in Nordafrika endguumlltig zerstoumlrt wurde

664 Noel Lenski Constantine and the Cities Imperial Authority and Civic Politics (University of Pennsylvania Press 2016) p 80 See also Louis Duchesne Early History of the Christian Church Vol 2 (New York Longmans Green and Co 1920) pp 85-95

665 Ward Pictorial History of the Worldrsquos Great Religions (New York Gache Publishing Company 1965) p 72

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Christen die [unvoreingenommen] auf die absolute Autoritaumlt der Entscheidun-gen des [alten] Roumlmischen Konzils vertrauen dazu die Rolle Konstantins herun-terzuspielen Tatsache ist allerdings dass

[Kaiser] Konstantin den Vorsitz des Konzils von Nicaumla hatte Nicht nur den Vorsitz fuumlhrte er sondern uumlbte auch die letztinstanz-liche Autoritaumlt aus Heute wiederholen Millionen von Christen die Worte des Nicaumlnums das Credo diktiert an einem entscheidenden Punkt die Beziehungsessenz (des Wesens) des Vaters und des Soh-nes ndash es kam nicht durch bischoumlfliche Weisheit sondern durch ei-nen ungetauften Laien zustande666

Konstantin ein unverbesserlicher Taktiker hat die Taufe absichtlich kurz vor seinem Tod verschoben vielleicht um seine Herrschaft durch kriegerische und unmoralische Methoden weiter zu festigen Konstantin hatte 326 n Chr seine Frau (Fausta) und seinen eigenen Sohn (Crispus) ermorden lassen667 Seinen christlichen Glauben vernachlaumlssigte er nach dem Konzil von Nicaumla in klaumlglicher Weise Dies sollte in Betracht gezogen werden besonders im Hinblick auf seine Entschlossenheit keine Kosten zu scheuen um seine Ziele zu erreichen

Nichtsdestotrotz sollte unter der Leitung Konstantins dreihundert Jahre nach der Himmelfahrt Christi die erste Authorisierung der trinitarischen Prinzipien erfolgen Nicaumla bot nicht nur eine Startbasis fuumlr zukuumlnftige trinitarische Entwick-lungen sondern war auch der Anfang einer langen Periode von Auseinanderset-zungen die letztendlich die dogmatischen Spaltungen unserer heutigen Zeit her-vorbringen sollte

EinnachtraumlglicherBlickaufNicaumlaWeder die Arianer noch die Protoorthodoxen scheinen den wahren Glauben an den historischen Jesus angemessen repraumlsentiert zu haben (obwohl die subordi-nationistischen Arianer mit ihrer These noch am naumlchsten kamen) Sicherlich hatte sich keine der Parteien vollstaumlndig mit dem Judentum ausgesoumlhnt das dem Christentum vorangegangen war Es scheint jedoch dass waumlhrend die subordi-nationistischen Theologen die Unterscheidung zwischen dem Sohn und dem Va-ter aus der Schrift leicht beweisen konnten und die Athanasianer fuumlr Passagen argumentierten von denen sie glaubten dass sie die Wesenseinheit von Vater und Sohn suggerierten letztere die groumlszligten Schwierigkeiten hatten ihren Glau-ben mit dem [eindeutigen] biblischen Monotheismus in Einklang zu bringen

666 Ross R Holloway Constantine and Rome (New Haven Yale University Press 2004) p 15 667 Patrick Guthrie ldquoThe Execution of Crispusrdquo Phoenix 20 4 (Classical Association of Canada 1966)

pp 325ndash331

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Die Athanasianer stuumltzen sich jedoch auf eine bestimmte Passage im vierten Evangelium die bis heute haumlufig zitiert wird In Johannes 1030 erklaumlrt Christus bdquoDer Vater und ich sind einsrdquo Diese Aussage haben die Athanasianer so verstan-den dass die Einheit des Vaters und des Sohnes eine Einheit der Essenz oder der Natur war668 Offensichtlich hatten sie sich auf die Interpretationen Tertullians gestuumltzt der zuvor geschrieben hatte dass die Worte Christi bdquoauf eine Einheit der Substanz hinweisenrdquo669 Mit Johannes 1030 wollten sie sowohl die arianische als auch die sabellianische Position verurteilen Haumltte Jesus beabsichtigt mit dem Wort bdquoeinsrdquo zu sagen dass er und der Vater eine Person waumlren (wie es die Sabel-lianer lehrten) dann haumltte er zweifellos das singulaumlre maumlnnliche griechische Wort bdquoheisrdquo (eine Person) verwendet Jesus benutzte jedoch bdquohenrdquo was nur bdquoein Einzel-nesrdquo bedeutet Interessanterweise ist das Wort bdquoheisrdquo genau das mit dem Jesus in Markus 1229 Gott beschreibt - Gott ist bdquoeinsrdquo Gott ist also eine Person Den-noch setzten die Athanasianer Johannes 1030 damals als ihr bdquoFlaggschiffldquo ein Der an und fuumlr sich umwerfende Beweis fuumlr Jesu unitarischen Monotheismus ist vom Mainstream-Christentum auch bis heute nicht anerkannt worden

Natuumlrlich fanden die Arianer die athanasianische Exegese problematisch Sie ar-gumentierten gegen die bdquoEinheit der Substanzrdquo mit der Begruumlndung dass ihre Gegner die Passage nicht im Kontext oder die Verwendung der Sprache an an-derer Stelle im Evangelium betrachtet haumltten Sie wiesen darauf hin dass die Um-gebung von Johannes 1030 eine Erklaumlrung Christi ist dass sowohl er als auch der Vater fuumlr den Schutz der Schafe (die Glaumlubigen) verantwortlich sind Wenn er sagt bdquoIch und der Vater sind einsrdquo erklaumlrt er nur dass sowohl er als auch sein Vater einig sind im gemeinsamen Ziel die Herde zu erhalten Dieser Abschnitt koumlnnte leicht mit Johannes 1720-30 in Verbindung gebracht werden wo wir Je-sus finden der zu Gott betend darum bittet dass so wie er mit Gott eins ist auch seine Nachfolger eins seien bdquoDamit sie alle eins seien so wie du Vater in mir bist und ich in dir dass auch sie in uns sind damit die Welt glaubt dass du mich gesandt hastrdquo (Joh 1721) Indem Jesus immer wieder betete dass seine Juumlnger bdquoeins seien so wie wir eins sindrdquo (V 22) und dass sie auch bdquoeinsrdquo mit Jesus und seinem Vater sein wuumlrden (V 23) machte er deutlich dass die angestrebte Einheit als eine geistliche und nicht als eine substanzielle Angelegenheit zu verstehen sei

668 Athanasius Four Discourses Against the Arians Discourse III Ch 23 4 (Vier Diskurse gegen die

Arianer) 669 Siehe Tertullian Gegen Praxeas 25 bdquoJuumlngste Forschungen zur patristischen Exegese haben die Rolle

der griechisch-roumlmischen grammatikalischen Lesetechniken bei der Bestimmung der Bedeutung des bib-lischen Textes hervorgehoben Es uumlberrascht nicht dass christliche Exegeten die in diesen grammat-ikalischen Techniken ausgebildet wurden sie beim Lesen der Schrift anwendenrdquo (Mark DelCogliano ldquoThe Interpretation of John 1030 in the Third Centuryrdquo Journal of Theological Interpretation Vol XI (Winona Lake Eisenbrauns 2012) pp 118-119)

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Bis hierher scheint die arianische Argumentation solide zu sein Viele trinitarische Kommentatoren sind sich einig dass diese Sprache sicherlich eine Einheit des Zwecks widerspiegelt nicht die Bedeutung des Wesens der Substanz oder des Seins670 Sogar Johannes Calvin hat geschrieben dass

Die Urvaumlter nutzten [Johannes 1030] falsch um zu beweisen dass Christus vom gleichen Wesen mit dem Vater ist Denn Christus diskutiert nicht uumlber die Einheit der Substanz sondern uumlber die Vereinbarung die er mit dem Vater hat671

Der baptistische Theologe George R Beasley-Murray schreibt dass bdquovon fruumlhes-ter Zeit an beobachtet wurde dass Jesus sagte bdquoIch und der Vater sind einsrdquo (griechisch bdquohenrdquo) nicht bdquoheisrdquo dh einer in Aktion nicht persoumlnlichrdquo672 Viele Gelehrte stimmen uumlberein dass Jesus klar ausdruumlckte er und der Vater haben nur eine einheitliche Bestimmung673

Die unermuumldlichen Versuche der athanasischen Partei eine Uumlbereinstimmung ihres Dogmas von der gleichberechtigten Goumlttlichkeit des Sohnes mit dem Glau-ben der Hebraumler zu demonstrieren erwiesen sich als die haumlrteste aller Herausfor-derungen - sie befanden sich staumlndig am Rande vieler Goumltter Wie koumlnnten die Theologen tatsaumlchlich behaupten dass mehrere goumlttliche Individuen nicht meh-rere Gottheiten repraumlsentieren und dies ohne Vorbehalt Diese Angst bleibt un-ter den modernen Wissenschaftlern aktiv Der trinitarische Professor Shirley C Guthrie Jr offenbart die anhaltende Besorgnis erregende Wirkung seiner Tradi-tion

bdquoWenn wir sagen dass Gott wirklich in Jesus gegenwaumlrtig und am Werk ist wie koumlnnen wir dann vermeiden zu sagen dass es effektiv zwei Goumltter gibt - einen sbquoim Himmelrsquo und einen der hier auf Erden erschienen ist Das Neue Testament loumlst dieses Problem nichtrdquo674 Natuumlrlich konnte Professor Guthrie nicht nur die-

670 R V G Tasker Tyndale NT Commentaries John (Downerrsquos Grove IVP 1983) p 136 J N Sanders B

A Mastin The Gospel According to John (Randomhouse New Zealand 1968) p 258 J H Bernard A Critical and Exegetical Commentary on the Gospel According to St John (Edinburgh T amp T Clark 1928) pp 365-366 Kuschel Born Before All Time p 170 (Geboren vor aller Zeit)

671 Johannes Calvin Commentary on John John 1030 672 George R Beasley-Murray World Bibilical Commentary Vol 36 (New York Thomas Nelson 1999) p

174 673 Siehe Marianne Meye Thompson Dictionary of Jesus and the Gospels (Downerrsquos Grove IVP 1992)

p 378 Warren Carter John Storyteller Interpreter Evangelist ndash Johannes Geschichtenerzaumlhler Inter-pret Evangelist (Grand Rapids Baker Academic 2006) p 53 Gail R OrsquoDay New Interpreterrsquos Bible Vol IX (Nashville Abingdon Press 1996) p 677

674 Guthrie Christian Doctrine pp 78-80

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ses Problem nicht loumlsen sondern musste zudem erkennen dass das Neue Testa-ment das Problem uumlberhaupt nicht aufwirft denn er selbst sagt bdquoDie Lehre der Dreifaltigkeit ist nicht in der Bibel zu findenrdquo675

Um die Spannung der Athanasianer mit dem Monotheismus weiter zu erhoumlhen muss nicht nur der Sohn derselben Gottheit angehoumlren wie der Vater sondern auch eine dritte konsubstanzielle Person Viele der Subordinationisten dieser Aumlra glaubten auch an die reale Persoumlnlichkeit des Heiligen Geistes betrachteten ihn aber als ein eigenartiges Geschoumlpf auszligerhalb der Gottheit oder als eine Form des Erzengels Zu dieser Zeit standen jedoch langwierige Auseinandersetzungen uumlber die genaue Natur des geheimnisvollen Heiligen Geistes nicht im Vordergrund der Debatte Waumlhrend das Nicaumlnische Glaubensbekenntnis die Beziehung zwischen Vater und Sohn konkretisieren sollte wurde der Heilige Geist erst viel spaumlter zur Diskussion gestellt und bis zum ersten Konzil von Konstantinopel 381 n Chr wurde nichts uumlber den Geist bdquoentschiedenrdquo676 Tatsaumlchlich brachten Nicaumlas Glau-bensuumlberlegungen nichts Greifbares uumlber die Einheit von drei goumlttlichen bdquoPerso-nenrdquo des Trinitarismus hervor Die christliche Theologie brauchte mehr als ein halbes Jahrhundert weiterer Debatten und Entwicklungen um das gnostische und neoplatonische System zu modifizieren und zu sanktionieren in dem die Be-ziehung zwischen Vater Sohn und Heiligem Geist als eine Substanz (Ousia) und drei Personen (Hypostasen) beschrieben werden konnte wie dies heute der Fall ist Aber die erstrangige Tagesordnung in Nicaumla war die Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn

Athanasius persoumlnlicher Stil waumlhrend der gesamten Kontroverse war kuumlhn und aggressiv und brachte ihm oft Vorwuumlrfe der Aufhetzung und er wurde sogar des Mordes angeklagt677 Es war kein Geheimnis dass er sogar die Anwendung von Gewalt gegen diejenigen befuumlrwortete die er fuumlr die Kirche als gefaumlhrlich an-sah678 bdquoRuumlckblickendrdquo schreibt Griggs bdquowaumlre Athanasius eher wie sein Vorgaumln-ger [Alexander] dh versoumlhnlicher weniger ruumlcksichtslos und nicht zur Gewalt bereit gewesen gegen jeden der ihm nicht zustimmte haumltte er sein Exil vermeiden

675 Ebenso 676 Kelly p 88 677 Siehe Timothy D Barnes Athanasius and Constantius Theology and Politics in the Constantinian Empire (Cam-

bridge Harvard University Press 1993) (Athanasius und Konstantin Theologie und Politik im konstantinischen Imperium) Athanasius persoumlnliche Geschichte ist bestenfalls schmutzig Er wurde angeklagt nach dem Tod seines Vorgaumlngers in dessen Bistum eingedrungen zu sein einen heiligen Altar entweiht zu haben Getreide das der Kirche gehoumlrte von den Armen zu stehlen und es fuumlr persoumlnlichen Gewinn zu ver-kaufen und sogar Meinungsverschiedenheiten durch Mord zu unterdruumlcken Waumlhrend die Wahrheit hin-ter jeder dieser Anschuldigungen vielleicht nie bekannt ist besteht kein Zweifel daran dass Athanasius bei allen als aggressiver Aufwiegler bekannt war der mit allen notwendigen Mitteln Erfolg haben wollte

678 Roger E Olson The Story of Christian Theology (Wheaton IVP 1999) p 172

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koumlnnen Der sich nun ausweitende theologische Abgrund des vierten Jahrhun-derts haumltte sich vielleicht gar nie aufgetanrdquo679 Aber fuumlr Athanasius waren diejeni-gen die leugneten Christus sei der ewige Gott noch schlimmer als die Juden die Christus gekreuzigt hatten680 Athanasius konnte sich nicht vorstellen wie man jemals hoffen koumlnnte gerettet zu werden wenn man die Natur des goumlttlichen Er-loumlsers leugnete

Interessanterweise waumlhrend Athanasius sicherlich die lautstaumlrkste Person war und houmlchste Anspruumlche des Glaubens an seine Lehre stellte zeigte er oft eine seltsame Aufrichtigkeit vielleicht war sie ein Nebenprodukt seines jugendlichen Eifers Ein Historiker erzaumlhlt das so

Athanasius selbst hat offen gestanden dass wann immer er seinen Verstand bemuumlhte uumlber die Goumlttlichkeit des Logos zu meditieren seine beschwerlichen und dann vergeblichen Anstrengungen in sich zusammenfielen dass je mehr er nachdachte desto weniger er begriff und je mehr er schrieb desto weniger war er in der Lage seine Gedanken auszudruumlcken681

Trotz der vielen Erklaumlrungen und Analogien welche die Orthodoxie im Laufe der Jahrhunderte hervorgebracht hat um die raumltselhafte mentale Uumlbung des atha-nasianischen Glaubens zu entspannen raumlumt ein angesehener trinitarischer Pro-fessor ein dass es bdquokeine Moumlglichkeit gibt das Paradoxon zu uumlberwinden dass wir Gott sowohl als eine Person wie auch als eine Gesellschaft betrachten muumls-sen Es gibt einfach keine Moumlglichkeit im menschlichen Verstand dieses Para-doxon nachzuvollziehenrdquo682 Ebenso finden wir so beruumlhmte Denker wie Thomas Jefferson welcher die Studenten mit erfrischender Offenheit vor Atha-nasius verwirrender Beweisfuumlhrung warnte

Das athanasianische Paradoxon dass einer drei und drei einer sei ist fuumlr den menschlichen Verstand so unbegreiflich dass kein auf-richtiger Mensch sagen kann dass er eine Vorstellung davon hat und wie kann er glauben was keine Idee darstellt Wer das glaubt taumluscht sich nur selbst Er beweist auch dass der Mensch wenn er einmal seine Vernunft preisgibt keinen Schutz vor Absurditaumlten mehr hat und wie ein Schiff ohne Ruder jedem Wind ausgesetzt

679 Griggs p 138 680 Rubenstein p 9 681 Gibbon p 777 682 Richardson p 95

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ist [so uumlbernimmt ein Glaube] das Ruder aus der Hand der Ver-nunft und der Geist erleidet Schiffbruch683

Die griechischen Philosophen unterhielten und zelebrierten sicherlich die Unfauml-higkeit den transzendenten bdquoUnbekannten Gottrdquo perfekt zu verwirklichen Aber der Spielraum den die philosophische Gemeinschaft bot wurde nicht von den Athanasianern angeboten die versuchten die wechselhafte Neugierde der Schuuml-ler durch die Einfuumlhrung offizieller Glaubensbekenntnisse zu begrenzen Ob-wohl selbst Athanasius nicht vermochte die trinitarische Idee mental umzuset-zen wurde sie fuumlr das Christentum zum unanfechtbaren Gesetz

Waumlhrend die Arianer auf die Betrachtung der Sinnlosigkeit des unverstaumlndlichen Wesens des athanasianischen Systems pochten und weiterhin bdquodie Verwendung von Begriffen oder Definitionen ablehnten die in den Schriften nicht zu finden warenrdquo684 schienen sich die Athanasianer weniger bewusst gewesen zu sein dass sowohl eine rationale als auch eine textliche Qualifikation fuumlr ihr Dogma erfor-derlich waumlre Athanasius der an den alexandrinischen Schulen aufwuchs und gut ausgebildet wurde arbeitete mit einer so ausgepraumlgten mentalen Dehnbarkeit dass der houmlchste unberuumlhrbare und zugleich unverstaumlndliche Sinn fuumlr Mysterien der die Gnostiker stimuliert hatte ohne bewusste Wuumlrdigung geistlich akzeptiert wurde Tatsaumlchlich verstoumlszligt es gegen alle Richtlinien der menschlichen Vernunft dass der Christus in allen Belangen uumlber uns [Menschen] hinausgeht Wie koumlnnte er sonst voll guten Willens in den Sumpf des menschlichen Zustands hineinrei-chen und goumlttliches Wissen hinterlegen geschweige denn die Suumlnden seiner nie-deren hilflosen Juumlnger suumlhnen Seine Werke waren zu tiefgruumlndig seine Spruumlche zu anspruchsvoll seine Froumlmmigkeit auszligerordentlich und seine Charakterstaumlrke unbezwingbar um je von einem bdquobloszligen Menschenrdquo erreicht werden zu koumlnnen der Nazarener muss zwangslaumlufig Gott selbst gewesen sein auch wenn vollkom-men unerklaumlrbar ist auf welche Art und Weise

Ihre arianischen Gegner sahen die Dinge natuumlrlich ganz anders Jesus Christus hatte Gott gegenuumlber einen so inspirierenden und bedeutsamen Gehorsam ge-zeigt dass er auserwaumlhlt worden war (entweder vor der Schoumlpfung oder bei seiner Taufe) um Gottes Erloumlsungsplan fuumlr die Menschheit auszufuumlhren Durch seine treue Unterwerfung unter den Willen Gottes sogar bis hin zum letzten Opfer war ihm ein herrschaftlicher Status uumlber die ganze Schoumlpfung zugesagt worden Fuumlr einige hatte er sogar ein Anzeichen der bdquoGoumlttlichkeitrdquo obwohl seine Goumltt-lichkeit von seinem himmlischen Vater herruumlhrte und kleiner als die seines himm-lischen Vaters ist Durch die voumlllige Uumlbereinstimmung mit Gott die der Christus in seinem Leben bewiesen hat wurde er zum Vorbild fuumlr idealen Glauben und

683 Thomas Jefferson Letter to the theologian James Smith December 8 1822 684 Gibbon p 782

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Gerechtigkeit wobei sein Lohn der Unsterblichkeit fuumlr die ganze Menschheit er-reichbar wurde Ein Historiker fasst das Argument der Arianer fuumlr Christus zu-sammen

Aus arianischer Sicht war es wichtig dass Jesus nicht Gott ist denn der von Natur aus vollkommene Gott ist unnachahmlich Im Ge-gensatz dazu steht die transzendente Tugend Christi die durch wie-derholte Willenshandlungen erreicht wird dem Rest von uns (zu-mindest potenziell) zur Verfuumlgung Auch wenn wir hinter seinen makellosen Standards zuruumlckbleiben moumlgen zeigt uns sein Tri-umph uumlber den Egoismus wie auch wir Soumlhne und Toumlchter Gottes werden koumlnnen685

Dass Jesus eine Unterscheidung von Gottes alles uumlberragendem Anderssein auf-weisen muss war absolut unerlaumlsslich Wie koumlnnten die Menschen hoffen Chris-tus ihrem idealen Beispiel zu folgen ohne (selbst) allmaumlchtiger Gott zu sein Waumlhrend Christi uumlberlegene Kenntnis und Vertrautheit mit Gott und die beson-dere Natur seines Auftrags ihn sicherlich weit uumlber jedes andere Geschoumlpf hin-ausragen lieszligen war er dennoch ein Individuum dessen Kraft ja sogar dessen Existenz vollstaumlndig [von etwas Houmlherem] abgeleitet war Das arianische Verstaumlnd-nis von christlichem Zweck und Schicksal hing von diesem entscheidenden Punkt ab Welche wirkliche Hoffnung gab es fuumlr den Christen in Bezug auf das Leben das Christus lebte (1 Johannes 23-6) wenn er [der Christus] tatsaumlchlich der houmlchste Gott selbst waumlre Diese Reihe von Fragen hat das athanasianische Lager in Nicaumla stark beunruhigt

Wie koumlnnte ein allmaumlchtiger allwissender allguter Schoumlpfer Versu-chung erfahren Weisheit lernen und in der Tugend wachsen Wie koumlnnte er am Kreuz leiden und den Tod eines Menschen sterben Sicherlich als Jesus rief bdquoMein Gott mein Gott warum hast du mich verlassenrdquo da sprach er nicht mit sich selbst Als er zugab dass nie-mand den Tag und die Stunde des Gerichts kennt bdquonicht einmal die Engel des Himmels auch nicht der Sohn sondern nur der Vaterrdquo war er nicht nur bescheiden Und als er den Juumlngern sagte dass bdquoder Vater groumlszliger ist als ichrdquo meinte er genau was er sagte686

685 Rubenstein p 56 686 Ebenso p 8

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DiePolitikdesGlaubensZur Bestimmung des endguumlltigen Ergebnisses von Nicaumla moumlgen die Staumlrke der theologischen Argumente jeder Seite und die Debattierfaumlhigkeiten dazu beigetra-gen haben Aber wir muumlssen auch den unmittelbaren politischen Kontext beruumlck-sichtigen Nachdem er sich unlaumlngst den Weg zum houmlchsten Sitz der Macht in der vergaumlnglichen Welt erkaumlmpft hatte zeigte Kaiser Konstantin keine Lust seine Herrschaft durch den sektiererischen Streit seiner christlichen Untertanen ruinie-ren zu lassen Konstantin selbst aumluszligerte seine Befuumlrchtungen dass der Streit der Bischoumlfe in Bezug auf Jesus seine eigene goumlttliche Ernennung zum gewaumlhlten Herrscher der Welt untergraben koumlnnte Er sah sich als Gottes auserkorener Re-gent der Welt und schreibt

Ich halte es fuumlr absolut kontraumlr zum goumlttlichen Gesetz dass [Gott] solche Streitigkeiten und Auseinandersetzungen uumlbersehen wuumlrde wodurch die houmlchste Gottheit vielleicht nicht nur gegen die menschliche Rasse sondern auch gegen mich selbst aufge-bracht werden kann zu deren Sorge er durch seinen himmlischen Willen die Regierung aller irdischen Dinge verpflichtet hat687

Die einander bekriegenden Bischoumlfe mussten dazu gebracht werden sich in die eine oder andere Richtung zu vereinen und die Zeit draumlngte Als kluger Stratege bis zu seinem Tod plante Konstantin dieses Gleichgewicht zu erreichen indem er nicht nur ihren Konsens uumlber die Doktrin erzwang (wenn noumltig mit der Klinge des Schwertes) sondern die Kleriker auch unter seine persoumlnliche Aufsicht brachte Er uumlberhaumlufte die Bischoumlfe mit unglaublichem Reichtum und gab ihnen Ehrenaumlmter er gewaumlhrte ihnen und ihren Guumltern Steuerbefreiung688 Er fuumlhrte sie geschickt in Positionen der Abhaumlngigkeit von seiner Goumlnnerschaft und sich selbst in eine Lage aus der er - ohne ernsthaften Einwand zu fuumlrchten - Einfluss auf kirchliche Entscheidungen nehmen konnte Wie Bischof Hilarius von Poitiers gegenuumlber seinen Gefaumlhrten bemerkte bdquo[Konstantin] bringt dir keine Freiheit wenn er dich ins Gefaumlngnis wirft stattdessen behandelt er dich mit Respekt in seinem Palast und macht dich so zu seinem Sklavenrdquo689

687 Quoted in M Beard J North and S Price Religions of Rome Vol 1 (Cambridge 1998) p 367 688 bdquoNachdem Konstantin dem christlichen Klerus eine Steuerbefreiung gewaumlhrt hatte die schlieszliglich auch

Befreiungen fuumlr Kirchenlaumlnder umfasste war es unerlaumlsslich die Definition von sbquochristlichrsquo zu verschaumlrfen Dies erklaumlrt warum die Kaiser eine so groszlige Rolle bei der Bestimmung der Lehre spielten obwohl ihre Rollen unterschiedlich waren Einige wollten persoumlnliche Uumlberzeugungen aufzwingen an-dere waren mehr daran interessiert Formulierungen der Lehre zu finden um die ein Konsens gebildet werden konnte Bis zum Ende des Jahrhunderts setzten die Kaiser lehrmaumlszligige Loumlsungen durch die durch kaiserliche Erlasse gestuumltzt wurdenldquo (Freeman Closing of the Western Mind p 179)

689 Hilary On the New Status of Bishops Quoted by Freeman Closing of the Western Mind p 202

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Es laumlsst sich daruumlber streiten ob Konstantin ein persoumlnliches Interesse an den Lehren Jesu hatte oder nicht das Ziel der politischen Ordnung war immer der groumlszligte Motivationsfaktor Konstantins690 Viele spaumltere Christen haben das Er-gebnis von Nicaumla als einen praumlsidialen Akt mit goumlttlicher Sanktion fuumlr echte christliche Wahrheit gelobt wobei Martin Luther Nicaumla sogar als bdquodas heiligste aller Konzilerdquo bezeichnet hat691 Aber eine der wichtigsten jedoch weitgehend unbekannten Randnotizen der Kirchengeschichte ist die Tatsache dass als Kon-stantin sich in die Debatte einmischte er bereits zum Voraus wusste was er beabsich-tigte

Vor dem Konzil hatte sich Konstantins engster Berater Bischof Hosius mit Ale-xander und seinen Verbuumlndeten getroffen um ihren Sieg zu planen692 Die Aria-ner hatten den langen Weg durch Israel und Syrien genommen um zum Ort des Konzils zu gelangen aber Alexander reiste via die schnellere Route mit dem Schiff uumlbers Mittelmeer Bei seiner Ankunft verabredete er sich mit Hosius und sie einigten sich darauf eine Doktrin zu unterstuumltzen die Arius ins Exil schicken wuumlrde693 Fuumlr Hosius war klar dass Konstantin auf der Seite von Alexanders Par-tei stand zu dieser Haltung trug Konstantins offene Abneigung gegen das Juden-tum maszliggeblich bei Fuumlr Konstantin waren die Juden bdquoein feindseliges Volkrdquo und eine bdquoNation der Vatermoumlrderrdquo die bdquoihren Herrn getoumltet habenrdquo694 Der von den Athanasianern vorgeschlagene Gott bot sicherlich eine radikalere Trennung vom Judentum als jener der Arianer Konstantin war fruumlher vermutlich ein Anhaumlnger des roumlmischen Sol Invictus Kultes in welchem die Eingliederung vieler Gottheiten unter einen einzigen Sonnengott befuumlrwortet wurde Sol Invictus Konstantins bdquopersoumlnliche Schutzgottheitrdquo695 forderte foumlrmlich eine monotheistische Vereh-rung Rivalisierende Goumltter konnten bezwungen werden nicht durch die Auslouml-schung ihrer besonderen Art der Verehrung sondern durch ihre Unterwerfung unter Sol Invictus Die Popularitaumlt dieser Gottheit kennzeichnete eine neue Aumlra des Heidentums Das polytheistische Weltbild Roms hatte lange Zeit Toleranz gegenuumlber lokalen Gottheiten der Gebiete geuumlbt welche das Imperium erobert hatte Jetzt erlaubte es ihnen diese Divinitaumlten leichter in das roumlmische Pantheon

690 Durant stellt fest dass der Brief des Konstantin an Alexander und Arius in dem sie aufgefordert

werden ihren Lehrstreit aus den Ohren der Oumlffentlichkeit zu halten bdquoden Mangel Konstantins an The-ologie und den politischen Zweck seiner Religionspolitik offenbartrdquo (Will Durant The Story of Civilization Caesar and Christ (New York Simon amp Schuster 1944) p 659)

691 Gordon Rupp Lutherrsquos Progress to the Diet of Worms (New York Harper and Row Publishers 1964) p 66

692 Eusebius Life of Constantine 27-28 693 Photiosrsquo epitome of Philostorgiusrsquo Church History 1 7 694 Frend p 499 695 Elizabeth Marlowe ldquoFraming the Sun The Arch of Constantine and the Roman Cityscaperdquo The Art

Bulletin Vol 88 No 2 (College Art Association 2006) pp 223-242

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aufzunehmen696 Mit seiner Bestaumltigung begeisterte sich Konstantin fuumlr den Plan diesen Jesus Christus mit dem Houmlchsten Wesen zu identifizieren In der heidni-schen Welt hatten sich die Dinge bereits geaumlndert Der Monotheismus wurde schnell als nuumltzliches Instrument zur Festigung der kulturellen und politischen Macht [des Staates] erkannt und die radikale Verbreitung des Monotheismus des Christentums unter den roumlmischen Subjekten entging dem Kaiser sicherlich nicht697 Es mag argumentiert werden dass Konstantin der nur fuumlnf Jahre vor Nicaumla eine Muumlnze mit dem Praumlgedruck bdquoSOLI INVICTO COMITIrdquo [= Sol Invic-tus meinem Begleiter]698 in Umlauf gebracht hatte die eigentuumlmliche Marke des plu-ralistischen Monotheismus die von den Athanasianern praumlsentiert wurde als das beste Vehikel zur Zusammenfuumlhrung von Religion und Macht in seinem Reich wahrnahm Ein Historiker bemerkte folgendes

Die Caumlsaren hatten gewoumlhnlicherweise eine besondere Beziehung zu den Goumlttern gepflegt aber in dieser Zeit aumlnderte sich die Bedeu-tung einer solchen Froumlmmigkeit Das Vordringen christlicher Ideen war nur Teil einer groumlszligeren religioumlsen Revolution die wir mit unseren eigenen einfachen Vorstellungen vom Heidentum nicht er-klaumlren koumlnnen Es ist zum Beispiel bezeichnend dass Konstantins Muumlnzen seine Verehrung des unbesiegten Sonnengottes zum Aus-druck brachten Sol Invictus war bereits 274 n Chr in einer Pro-klamation des Kaisers Aurelian als bdquodie eine universelle Gottheit aner-kannt unter tausend Namenrdquo verstanden worden699

Die athanasianische Darstellung der maszliggebenden Identifikation Jesu mit der [houmlchsten] Gottheit erleichterte Konstantins Balanceakt zwischen der kaiserli-chen Tradition und seinen neu entdeckten christlichen Neigungen So kam es dass

[Konstantin] mit Hosius uumlbereinkam den Streit zu Bedingungen zu beenden die fuumlr die Athanasianer von Vorteil waren Die Frage war wie man dies bewerkstelligen konnte sodass die Bischoumlfe

696 Freeman Closing of the Western Mind p 57 697 bdquoIm zweiten Jahrhundert n Chr wurde es immer alltaumlglicher die goumlttliche Welt als einem einzigen

houmlchsten Gott unterworfen zu sehen wobei die anderen Goumltter entweder Manifestationen seiner Goumlt-tlichkeit oder kleinere Gottheiten waren Man kann sogar so weit gehen zu sagen dass ein Glaube an eine uumlbergeordnete Gottheit in dieser Zeit der am weitesten verbreitete Glaube der heidnischen Religion warldquo (Freeman p 69)

698 Ebenso p 160 699 James Carroll Constantinersquos Sword The Church and the Jews (New York Houghfton Mifflin Company

2002) pp 180-181 (Das Schwert Konstantins Die Kirche und die Juden) [Das Zeichen ndash hoc signo das Kon-stantin sah wird hier nicht als Kreuz sondern als Schwert gesehen Anm d Uuml]

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nicht von Nicaumla abreisten mit noch gravierenderen Spaltungen als diejenigen vor ihrer Ankunft700

Interessanterweise stellen wir fest dass waumlhrend der Debatte Eusebius von Cauml-sarea derselbe Bischof der urspruumlnglich auf der Seite von Arius in seinen an-faumlnglichen Kaumlmpfen mit Alexander gestanden hatte maszliggeblich an der Entwick-lung eines Glaubensbekenntnisses beteiligt war das sowohl fuumlr die Arianer als auch fuumlr die Athanasianer zunaumlchst akzeptabel schien Es wurde angenommen dass die Mehrdeutigkeit der Sprache des Glaubensbekenntnisses beiden Parteien entgegenkommen koumlnnte sofern sie [den Text] privat auf ihre eigene Weise in-terpretierten Es schien eine Zeit lang dass das Christentum in der Vielfalt in der es jahrhundertelang gediehen war unbegrenzt weitergehen koumlnnte Aber eine sol-che offene Schlussfolgerung war nicht das Ziel des Kaisers Der Glaube muss vollkommen vereint sein und aus der Sicht der Athanasianer mussten Arius und seine Verbuumlndeten beseitigt werden So schlug Konstantin persoumlnlich an einem kritischen Punkt dem Konzil vor das Wort bdquohomoousiosrdquo (bdquogleiche Substanzrdquo) anzunehmen um die Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn zu beschrei-ben Das Wort das Konstantin so prominent eingeworfen hatte war wie wir zuvor gesehen haben keineswegs ein biblischer Begriff oder gar eine Erfindung von Konstantin sondern bdquowar zuvor in der theologischen Sprache entstanden und tritt sogar bei Origenes und den Gnostikern aufrdquo701 Wie wir in Kapitel 3 entdeckten wurde die Verwendung von bdquohomoousiosrdquo tatsaumlchlich aus dem her-metischen gnostischen Traktat Poimandres [siehe auch Fuszlignote 351] hergeleitet In diesem ausdruumlcklich heidnischen Werk galt Nous der houmlchste Gott als kon-sistent mit seinem Sohn dem Logos der von ihm als Licht der Sonne ausgegan-gen war Auch hier ist dieses heidnische Werk der einzige Text der dieses Wort und Konzept so gezielt verwendet hat702

Doch wie konnte eine solche Definition die in der Schrift keine Grundlage hatte gegenuumlber den christlichen Bischoumlfen begruumlndet werden Konstantin identifi-zierte vor der Versammlung Jesus Christus als bdquoGott von Gottrdquo und bdquovon einer Substanz mit dem Vaterrdquo Es wurde auch aufgezeichnet dass er dabei eine ziem-lich auffallende heidnische Autoritaumlt heraufbeschworen habe als er sagte

Platon selbst erklaumlrte mit Wahrheit einen Gott der uumlber jede Es-senz erhaben ist aber zu ihm fuumlgte er auch eine zweite [Gottheit]

700 Rubenstein pp 71-72 701 Philip Schaff History of the Christian Church (Grand Rapids Eerdmans 1985) 3 628 702 Beatrice ldquoHomoousiosrdquo

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hinzu indem er sie als zwei unterschied obwohl beide eine Voll-kommenheit besaszligen und das Wesen der zweiten Gottheit das von der ersten ausgeht703

Konstantins Zitat von Platon als Rechtfertigung fuumlr die Etablierung der christli-chen Lehre sollte beunruhigend genug sein Aber war es wirklich Platon an den sich der Kaiser wandte Wir stellen fest dass Konstantin nicht nur das Wort bdquoho-moousiosrdquo sondern sogar eine philosophische Auslegung fuumlr seinen Gebrauch geliefert hatte704 Seine Erklaumlrung bdquohat jedoch offensichtlich keinerlei Bezug zu Platons wahrer Lehre Numenius duumlrfte auch keinen Einfluss auf Konstantins Rede ausgeuumlbt habenrdquo705 Sein Verstaumlndnis stammt eindeutig aus der gnostischen Tradition des Hermetismus Wie Beatrice verraumlt bdquoist der von Konstantin in Er-innerung gerufene Platon nur ein Name der zwar genau die aumlgyptische und her-metische Theologie der sbquoKonsubstanzialitaumltrsquo des Logos-Sohnes mit dem Nous-Vater abdecktrdquo706 doch wo hat Konstantin gelernt Platon so zu lesen Konstan-tins enger religioumlser Berater Lucius Lactantius [Laktanz] der in Kapitel 3 er-waumlhnte christliche Krypto-Gnostiker (siehe Fuszlignote 341) hatte Konstantin hier wahrscheinlich geholfen Beatrice postuliert dass bdquoin den Jahren des Ausbruchs des arianischen Streites Lactantius eine entscheidende Rolle bei der Beeinflussung von Konstantins hermetischer Interpretation der platonischen Theologie und da-mit der Entscheidung des Kaisers homoousios in das Glaubensbekenntnis von Nicaumla aufzunehmenrdquo gespielt haben koumlnnte707 So wurde das gnostische ja aus-gesprochen aumlgyptisch-heidnische Denken wieder einmal mehr als orthodoxes Christentum proklamiert der Moment war bezeichnend fuumlr die anhaltende christliche Praxis heidnische Philosophie als Vehikel fuumlr biblische Erklaumlrungen zu etablieren Es war auch symbolisch fuumlr den unglaublichen Einfluss den der Staat auf die Lehre in der Kirche auszuuumlben begann

Alexander Athanasius und ihre Verbuumlndeten stimmten Konstantins Einfuumlhrung von bdquohomoousiosrdquo zu Das taten auch Bischof Hosius und Eusebius von Caumlsarea die gezwungen waren ein neues Glaubensbekenntnis um das Wort herum zu

703 Eusebius Oration of Constantine 704 Eusebius erinnert sich bdquo[Konstantin] interpretierte [homoousios] nicht im Sinne der Zuneigung von

Koumlrpern noch als ob der Sohn vom Vater hervorgegangen waumlre auf dem Weg der Spaltung oder irgendeiner Trennung denn dafuumlr konnte die immaterielle intellektuelle und unkoumlrperliche Natur nicht Gegenstand einer koumlrperlichen Zuneigung sein sondern dass es uns gelang solche Dinge auf goumlttliche und unaussprechliche Weise zu verstehen Und das waren die theologischen Bemerkungen unseres weis-esten und religioumlsesten Kaisersldquo (Eusebius Life of Constantine 35)

705 Beatrice ldquoHomoousiosrdquo 706 Ebenso 707 Ebenso

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entwerfen Es gibt jedoch Hinweise darauf dass die Einfuumlhrung dieses gnosti-schen Begriffs durch den Kaiser nicht gut zu einer der Parteien passte Nach Konstantins Tod beim Konzil von Sardica im Jahre 343 n Chr entwarf Hosius ein neues Glaubensbekenntnis in welchem das Wort entfernt wurde Anti-Aria-ner beschwerten sich sogar daruumlber dass sie bdquounter dem Vorwand den Frieden zu bewahren zum Schweigen gebracht worden warenrdquo708 Wie Beatrice verraumlt bdquowar keiner von ihnen wirklich daran interessiert dieses neue Wort hinzuzufuumlgen bdquohomoousiosrdquo war in der Tat ein Fremdkoumlrper oder gar ein Stolperstein fuumlr alle Anwesenden des Konzils ohne Unterschied Arianer und Anti-Arianer Ge-rade deshalb verschwand es bald aus den folgenden Debattenrdquo709 Tatsaumlchlich hat Athanasius selbst der sich fuumlr die Wortwahl Konstantins in Nicaumla stark gemacht hatte den Begriff nach dem Ende des Konzils fuumlnfzehn Jahre lang nicht ein Mal benutzt

Warum hat das Konzil dann zugestimmt diesen verfehlten Begriff wieder aufle-ben zu lassen der sowohl die Athanasianer als auch die Arianer unangenehm beruumlhrte Zusaumltzlich zum offensichtlichen Druck vonseiten Konstantins war der dringende Wunsch vorhanden Arius politisch zu besiegen Arius hatte den Be-griff bdquohomoousiosrdquo in seinen eigenen Schriften persoumlnlich abgelehnt das Wort verband er ausdruumlcklich mit den Lehren der gnostischen Mani und von Valenti-nus710 Die Verankerung dieses Wortes im offiziellen Glaubensbekenntnis musste die Exilierung von Arius geradezu erzwingen Historiker sowohl der Antike als auch der Moderne sind zu dem Schluss gekommen dass eine Zustimmung ein bewusster Versuch war die Ablehnung von Arius oumlffentlich zu betonen711 Mit anderen Worten der Konsens wurde aus ebenso politischen wie aus theologi-schen Gruumlnden erreicht Natuumlrlich war die Macht Konstantins nicht zu ignorieren - dieser Begriff war der von ihm gewaumlhlte Rallyepunkt Wie ein Historiker er-kennt bdquoEs war unwahrscheinlich dass die Bischoumlfe die von der Schirmherr-schaft und Unterstuumltzung Konstantins dermaszligen abhaumlngig waren ihm haumltten wi-derstehen koumlnnen Das Ergebnis war eine enorme Mehrheit der Bischoumlfe fuumlr das neue Bekenntnisrdquo712

708 Ebenso Siehe Theodoret Church History 1 8 709 Beatrice ldquoHomoousiosrdquo Wie Konstantin hat auch Lactantius gelehrt das bdquoPlato uumlber einen ersten und

zweiten Gott sprach nicht als ein Philosoph sondern als sein Prophetrdquo (Ebenso) 710 See Hans-Georg Opitz ldquoUrkunden zur Geschichte des arianischen Streites 318-328rdquo Athanasius Werke

Vol 3 Pt 1 (Berlin and Leipzing W de Gruyter 1934-35) 21 711 Freeman Closing of the Western Mind p 168 Orthodox historian Photios in his Bibliotheca cites Philostor-

gius Church History Book 1 7 for notice of the political alliance against Arius formed just prior to the council (Zur Frage der politischen Allianz vorgaumlngig zum Konzil)

712 Freeman Closing of the Western Mind p 169

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Natuumlrlich wurde die Verwendung von bdquohomoousiosrdquo im Bekenntnis ndash wie zu erwarten war - mit dem ernsthaften Protest von Arius Sympathisanten beantwor-tet Die Arianer wiesen schnell darauf hin dass das Wort bereits im Jahr 268 n Chr vom angesehenen Konzil von Antiochia verboten worden sei Athanasius selbst war anscheinend ziemlich verwirrt von diesem Argument er wollte nicht den Eindruck erwecken die Menschen zu kritisieren die Paulus von Samosata in Antiochia verurteilt hatten aber er konnte es auch nicht abstreiten dass sie den Begriff den Konstantin nun zu verwenden versuchte mit dem Bann belegt hat-ten713 Athanasius einzige Moumlglichkeit bestand dann darin zu argumentieren dass der mit dem Bann [anathema] belegte Paulus von Samosata und die Befuumlrworter des neuen nicaumlnischen Credos den Begriff ldquohomoousiosrdquo in einem anderen Sinne verwenden muumlssten Doch wie Hanson feststellt bdquodie fast unloumlsbare Schwierig-keit war es festzulegen in welchem Sinne Paulus homoousios benutzterdquo714 Das Problem blieb bestehen Die Protoorthodoxen verurteilten Paulus von Samosata weiterhin als Ketzer doch benutzten sie die gleiche Sprache die zu seiner Ver-femung beitrug Dies brachte letztendlich bdquodiejenigen Theologen in erhebliche Verlegenheit welche die Aufnahme [des Wortes] in die offizielle Lehrformulie-rung fuumlr die Geschichte verteidigtenrdquo715 Ungeachtet aller Proteste wurde der Be-griff sozusagen als Markenzeichen im Nicaumlnischen Kodex verankert der schlieszlig-lich wenn auch unter Zwang von der Mehrheit der Versammlung vereinbart wurde Die offizielle Erklaumlrung [hier der Anfang] lautete

Ich glaube an den einen Gott den Vater den Allmaumlchtigen den Schoumlpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren Und an den einen Herrn Jesus Christus den Sohn Gottes der als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt ist Gott aus Gott Licht aus Licht wahrer Gott aus wahrem Gott gezeugt nicht geschaffen eines Wesens (homoousios) mit dem Vater716

Konstantin hatte zwei Gruumlnde weshalb er das oben erwaumlhnte Glaubensbekennt-nis in dieser Fassung niedergeschrieben haben wollte Er suchte nicht nur nach theologischem Konsens und Stabilitaumlt sondern versuchte auch das Christentum

713 Hanson p 192 714 Ebenso 715 Ebenso 716 Nicaumlnisches Glaubensbekenntnis 325 Hervorhebung hinzugefuumlgt siehe auch Athanasius Vertei-

digung der nicaumlnischen Definition 37 Spaumltere Fassungen werden die hinter dem Glaubensbekenntnis stehende Christologie deutlicher wiedergeben und in englischen Uumlbersetzungen wird anstelle von ein-fach bdquovom Vater gezeugtrdquo entweder bdquoewig gezeugtrdquo oder bdquovom Vater vor allen Welten gezeugtrdquo gelesen

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durch seinen ererbten heidnischen Hintergrund zu interpretieren Das Glaubens-bekenntnis sollte einerseits zwischen den christlichen Fraktionen vermitteln und uumlberdies zwischen der christlichen Religion dem Hermetismus und dem Kult von Sol Invictus eine Bruumlcke schlagen Unnoumltig zu sagen dass dies ein groszliger Wendepunkt war Der christliche Glaube wurde nun von einer weltlichen Macht vorgeschrieben Er wurde offiziell durch die Sprache der heidnischen gnosti-schen Betrachtungsweise auszligerhalb der biblischen Schriften beschrieben und ge-rechtfertigt Tatsaumlchlich bedeutete bdquodie Verwendung dieses Begriffs [homoou-sios] in einem Glaubensbekenntnis dass die Teilnehmer am Konzil von Nicaumla nach 325 n Chr andere Dogmen verkuumlnden konnten die in der Schrift keine Grundlage haben und es auch tatenrdquo717 Diese beispiellose Determinierung machte Arius und seine Gefaumlhrten umgehend zu Haumlretikern Sie wurden prompt ihrer Aumlmter enthoben und ins Exil geschickt Obwohl siebzehn Bischoumlfe anwe-send waren die sich auf die Seite von Arius stellten erlitten nur sechs das Exil mit ihm waumlhrend die anderen elf halbherzig zustimmten bdquonur mit der Hand nicht mit dem Herzenrdquo die Nicaumlnische Erklaumlrung zu unterschreiben718 Ruben-stein schreibt

Dass Konstantin Druck ausgeuumlbt hat ist unbestreitbar Die ver-haumlngten Exilurteile gegen die Hardliner unter den Arianern de-monstriert die Konsequenz sich Konstantin wiedersetzt zu haben In dem Maszlige in dem die Bischoumlfe vorgaben das Glaubensbe-kenntnis von Nicaumla unter Zwang unterzeichnet zu haben fuumlhlten sie sich spaumlter berechtigt ihre Unterschriften zu bdquoerlaumluernrdquo719

Ungeachtet des wahren persoumlnlichen Glaubens der Bischoumlfe wurde eine Heraus-forderung der so genannten Homoousianer im Roumlmischen Reich (vorerst) nicht geduldet Der Kaiser selbst erlieszlig ein offizielles Edikt und verkuumlndete

Wenn irgendeine von Arius verfasste Schrift gefunden wird muss sie den Flammen uumlbergeben werden damit nicht nur die Bosheit dieser Lehre ausgeloumlscht wird sondern auch nichts mehr uumlbrig bleibt um jemanden an ihn [Arius] zu erinnern Und hiermit erlasse

717 Ben H Swett State Church of the Roman Empire 7 May 1998 Web 15 December 2014

lthttpbswettcom1998-05Church300htmlgt 718 Philip R Amidon The Church History of Rufinus of Aquileia 10 11 (London OUP 1997) p 13 719 Rubenstein p 83 Im Brief von Eusebius von Caumlsarea an seine verwirrten Anhaumlnger zu der Frage

warum er und andere arianische Sympathisanten das Glaubensbekenntnis uumlberhaupt unterschrieben haumlt-ten erklaumlrte er dass sie in der Lage seien die Einschraumlnkungen auf eine Weise kreativ zu interpretieren die ihren Glauben nicht tangierte Zum Beispiel fuumlhlte er sich in der Lage der Verurteilung der Aussage bdquoDer Sohn existierte nicht bevor er gezeugtgeboren wurderdquo durch das Konzil nachzuvollziehen sie seien sich alle einig gewesen dass der Sohn nicht existierte bis er nach dem Fleisch gezeugtgeboren wurde Siehe Theodoret Church History 1 12 See also Gelasius Church History 2 35

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ich eine oumlffentliche Verfuumlgung dass wenn jemand entdeckt wer-den sollte der eine von Arius verfasste Schrift versteckt und sie nicht sofort hervorbringt um sie durch Feuer zu vernichten seine Strafe der Tod sein wird Sobald er dieser Straftat uumlberfuumlhrt wird verurteile man ihn zur Todesstrafe720

So wurden die Schriften des Arius zerstoumlrt und jeder der sich nicht an die Glau-bensformeln des Konzils hielt wurde hart verfolgt Dies war ein markanter Wen-depunkt Zum ersten Mal stellte sich der Staat hinter eine [religioumlse] Doktrin Wie zu erwarten war folgte nichts weniger als eine Zeit der Repression und des Chaos Ironischerweise lautete Konstantins eigenes Dekret [eine Vereinbarung] zur reli-gioumlsen Toleranz das er nur zwoumllf Jahre zuvor 313 n Chr in Mailand erlassen hatte

Unser Ziel ist es sowohl den Christen als auch allen anderen die volle Autoritaumlt zu erteilen der Anbetung zu folgen die jede Person gewuumlnscht hat keiner Person die ihren Verstand entweder dem Kult der Christen gewidmet hat oder einer Religion die ihr per-soumlnlich am geeignetsten erscheint sollte etwas anderes als kom-plette Toleranz gezeigt werden Christen koumlnnen von diesem Mo-ment an frei und bedingungslos fortfahren ihren Glauben ohne Belaumlstigung oder Unruhe zu beobachten721

Die Weisheit dieses Ediktes wurde nach Nicaumla beiseitegelegt mit katastrophalen Folgen Nicht nur die Arianer wurden verfolgt sondern auch alle anderen Chris-ten die sich nicht fuumlr die neue Theologie einsetzten Konstantin beschlagnahmte ihr Land schloss ihre Kirchen und verbot ihre Versammlungen insbesondere verbot er zwischen 325 und 326 n Chr die Valentinianer die Markioniten die Paulianisten (Unitarier Nachfolger des Paulus von Samosata) und die Montanis-ten (Tertullians Gruppe)722 Auf diese Weise wurden die langjaumlhrigen Rivalen der proto-orthodoxen Fraktion durch den Staat systematisch geschwaumlcht Die alter-nativen Auslegungen der Bibel lieszligen sich durch bischoumlfliche Uumlberzeugungen keinesfalls unguumlltig erklaumlren doch diese Gruppen wurden einfach durch den Staat gesetzlich zur Unterwerfung gezwungen Auch wenn sich Konstantins Wuumlrge-griff der Theologie [nach dem Konzil] nicht lange hielt war Nicaumla fuumlr die Ortho-doxie nur der Anfang der Geburtswehen

720 Athanasius De Decretis 39 Socrates Church History 1 9 30 Gelasius Church History 2

36 1 721 ldquoEdict of Milanrdquo in R H Bainton Early Christianity (Princeton SVN Co 1960) p 160 722 Lenski p 80

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DieNicaumlnischeHaumlresieObwohl fuumlr Konstantin bdquohomoousiosrdquo eine spezifische hermetische Bedeutung hatte war die Kirche nun gezwungen zu versuchen sie in einem nicht-gnosti-schen Sinne zu interpretieren Trotz Konstantins Zwang zu einem politischen Konsens uumlber das Credo war das Hauptproblem der neuen Normen die Tatsache dass es noch keinen echten theologischen Konsens daruumlber gab wie man sie verste-hen sollte So oumlffneten die nicaumlnischen Anhaumlnger obwohl sie behaupteten die richtigen theologischen Anforderungen der Orthodoxie darzulegen unabsichtlich den Weg zur Annahme der verhassten sabellianischen Ketzerei und vielleicht so-gar das Tor zu ihrer eigenen Verurteilung durch spaumltere orthodoxe Konzile

Am Ende der urspruumlnglichen Fassung des nicaumlnischen Credos wurde eine Reihe von Anathemas oder verdammenden Bannbullen gegen ketzerische Ansichten angebracht Verurteilt wurde offensichtlich die Sichtweise des Arius in Bezug auf den in der Zeit geschaffenen Sohn aber seltsamerweise gab es auch eine Verur-teilung derer bdquodie sagen dass der Sohn aus irgendeiner anderen Hypostase oder Ousia als der des Vaters existierterdquo723 Moderne Versionen des Glaubensbekennt-nisses haben diesen Teil inzwischen gestrichen Man kann leicht verstehen wa-rum Der Zweck des nicaumlnischen Credos war es ja den Vater und den Sohn mit derselben bdquoOusiardquo und derselben bdquoHypostaserdquo zu verbinden Dies wurde fuumlr die Orthodoxie sofort zu einem Problem Sie haumllt die Behauptung der doktrinaumlren Kontinuitaumlt aufrecht Nach dem Konzil von Konstantinopel (381 n Chr) wurde hingegen erklaumlrt dass Vater und Sohn ausdruumlcklich nicht die gleiche bdquoHypostaserdquo sind Und das athanasianische Glaubensbekenntnis (um 500 n Chr) verkuumlndete ebenfalls dass bdquoes eine Hypostase des Vaters und eine andere des Sohnes und eine andere des Heiligen Geistes gibtrdquo und dass wenn bdquojemand sagt dass es nur eine Hypostase gibt er fuumlr ewig untergehenrdquo wuumlrde So scheint das nicaumlnische Credo streng nach der jeweiligen Sprache zu schlieszligen eine bdquosabellianischerdquo Sichtweise zu zeigen (dass Gott eine Substanz und eine Hypostase in mehreren Modi ist) So gesehen widersprachen und verurteilen sich das athanasische [und das sabelliani-sche] Glaubensbekenntnis und umgekehrt Wie ein Kleriker schreibt

Ich kann nicht anders als zu sagen dass es seltsam ist diese beiden Glaubensbekenntnisse in derselben Kirche ansiedeln zu wollen in einem davon diejenigen zu verfluchen die den Sohn leugnen bdquodie gleiche Ousia oder Hypostase des Vatersrdquo zu haben und in einem

723 Die urspruumlnglichen drei Anathemas lesen sich bdquoAber diejenigen die sagen sbquoEs gab eine Zeit in der der

Sohn nicht da warrsquo und sbquoin der es ihn nicht gab bevor er geboren wurdersquo oder in der es heiszligt sbquoer wurde aus dem Nichts geborenrsquo oder in der es heiszligt sbquoer existierte aus einer anderen Hypostase oder Ousia als dem Vaterrsquo oder er wurde geschaffen oder war der Nachahmung oder Veraumlnderung unterworfen - die Heilige Katholische Kirche anathematisiertrdquo (Nicaumlnisches Bekenntnis zitiert von Robert Clayton Bischof Clayton uumlber die Nicaumlnischen und Athanasianischen Credi) (Dublin Hodges Foster amp Col 1876) pp 25-26)

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anderen zu erklaumlren dass bdquoniemand gerettet werden kann wenn er nicht verkuumlndet dass es eine Hypostase des Vaters eine andere des Sohnes und eine weitere des Heiligen Geistes gibtrdquo724

Wie erklaumlren die heutigen Verteidiger von Nicaumla diese Diskrepanzen Es wird uumlblicherweise angenommen dass das Wort bdquoHypostaserdquo nicht bdquoPersonrdquo bedeu-tete wie es spaumlter in Konstantinopel 381 n Chr der Fall sein wuumlrde725 Tatsaumlch-lich haben wir bereits im Kapitel 3 gesehen wie Christen in den ersten Jahrhun-derten die bdquoHypostaserdquo als Synonym fuumlr bdquoOusiardquo (Substanz) verwendeten Indem sie sagten dass der Vater und der Sohn die gleiche bdquoHypostaserdquo haumltten betonten die Bischoumlfe wahrscheinlich erneut den Punkt dass der Vater und der Sohn von der gleichen bdquoOusiardquo waumlren Tatsaumlchlich scheint es augenfaumlllig dass in der Peri-ode von Nicaumla bdquoHypostaserdquo die [eindeutig] gnostische Bedeutung von bdquoPersonrdquo noch nicht angenommen hatte

Wie seine eigenen Schriften zeigen interpretierte Athanasius die Sprache des Cre-dos offensichtlich so dass bdquoHypostaserdquo gleichbedeutend mit bdquoOusiardquo sei726 Er verlangte dies auch nicht vom Sabellianismus Aber sicher ist dass es beim Konzil von Nicaumla einige befuumlrwortende Mitglieder gab welche die Sprache auf sabellia-nische Weise auslegten weshalb mehrere der anwesenden Bischoumlfe kein Problem damit hatten die Glaubenserklaumlrung zu unterzeichnen727 Aber wenn eine sabel-lianische Theologie uumlberhaupt nicht das ist was das Glaubensbekenntnis fuumlr Athanasius und die anderen Bischoumlfe bedeutete muumlssen wir uns fragen ob das nicaumlnische Credo nicht aufgrund eines groszligen Missverstaumlndnisses unter seinen Unterstuumltzern ratifiziert wurde Waren Alexander und Athanasius so sehr darauf erpicht den Begriff homoousios [im Text] zu installieren nur um ihren Feind Arius zu verstoszligen Haben sie gegenuumlber jeder Zweideutigkeit im Bekenntnis die Augen verschlossen nur um die notwendigen Stimmen fuumlr die Genehmigung zu erhalten Nachdem das verwirrende Konzil beendet war

gelangte die Mehrheit der Bischoumlfe des Ostens zur Einsicht dass sie etwas unterschrieben hatten fuumlr das sie nicht im Geringsten be-absichtigt hatten ihre Unterschrift zu geben als sie nach Nicaumla gin-gen es wurde deutlich dass das Wort [homoousios] immer noch

724 Ebenso p 26 (Thanks to Carlos Xavier at httpthehumanjesusorg for this source) 725 Fuumlr eine entgegengesetzte Ansicht siehe Philipp Schaffs Erinnerung an George Bulls Argument dass

die Woumlrter Hypostase und Ousia in Nicaumla nicht dasselbe bedeuteten Der Beweis scheint jedoch uumlberwaumlltigend dass die beiden Ausdruumlcke synonym verwendet wurden

726 See Hanson The Search for the Christian Doctrine of God p 445 (Die Suche nach der christlichen Doktrin uumlber Gott)

727 Zum Beispiel bdquowussten die Bischoumlfe dass Marcellus von Ancyra die Worte [homoousios] am Konzil im sabellianischen Sinne akzeptiert haben musste und er setzte sich immer noch fuumlr seine Lehren einrdquo (R V Sellers Eustathius of Antioch and His Place in Early Christian Doctrine (Cambridge CUP 1928) p 31)

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die Tuumlr fuumlr den entgegengesetzten Irrtum des Sabellianismus offen lieszlig728

Athanasius selbst der eigentliche Sieger des Konzils von Nicaumla bewies seine ei-gene Vorsicht gegenuumlber seiner juumlngsten Errungenschaft indem er jahrzehnte-lang die Worte bdquoHypostasisrdquo und bdquohomoousiosrdquo nicht einmal verwendete729 War ihm nur allzu bewusst wie prekaumlr die Situation wirklich war Zeigte seine Zu-ruumlckhaltung dass er selbst bdquonoch nicht zu einer starken Position gelangt istrdquo730 Es war offensichtlich dass seine neu gepraumlgte Orthodoxie gefaumlhrlich auf einem Drehpunkt wippte Auf der einen Seite schwebte sie uumlber der gefuumlrchteten Ket-zerei des Sabellianismus und auf der anderen Seite uumlber dem Arianismus oder noch schlimmer dem Polytheismus dem Vielgoumltterglauben Es war ein Balance-akt den Athanasius so lange aufrechterhielt wie er nur konnte Aber jetzt in der unmittelbaren Folge von Nicaumla ging es darum Jesus Christus als bdquoGottrdquo (was auch immer das bedeutete) zu verankern sowie Arius und seine Verbuumlndeten zu besiegen

Im Endeffekt vollbrachte Nicaumla nichts fuumlr die christliche Theologie Im schlimmsten Fall produzierte das Konzil ein Glaubensbekenntnis das spaumlter als ketzerisch angesehen wurde Im besten Fall gab es ein Glaubensbekenntnis das uumlberhaupt nichts bedeutete Der Vater und der Sohn wurden als bdquohomoousiosrdquo erklaumlrt ohne Hoffnung auf eine [theologische] Sanktion Die Absicht und das Ziel waren durch dieses Konzil eine klare Grenze zwischen Orthodoxie und Ket-zerei zu ziehen Doch diese Grenze wurde mehr denn je verwischt Wie Ruben-stein so treffend abschlieszligt bdquoKonsens zu erreichen war genau das was Konstan-tin zwar dachte in Nicaumla erreicht zu haben aber die scheinbare Einheit die sich dort manifestierte erwies sich als reine Illusionrdquo731

728 Ebenso p 31 729 Athanasius erste Verteidigung der bdquohomoousiosrdquo erfolgte nicht vor dem Werk De Decretis um 353 n

Chr Er vermied das Wort bdquohypostasisrdquo so weit es moumlglich war und nachdem er sein Werk Tomus ad Antichenos 362 n Chr geschrieben hatte betrachtete Athanasius bdquohypostasisrdquo als ein Synonym fuumlr bdquoou-siardquo Siehe Lewis Ayres ldquoAthanasiusrsquo Initial Defense of the Term homoousios Rereading the De De-cretisrdquo Journal of Early Christian Studies Vol 12 No 3 (John Hopkins University Press 2004) pp 337-359

730 Griggs p 172 731 Rubenstein p 181

Bekenntnisse und Chaos

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CredoundChaosDasRingenumdieTrinitaumlt

derPost-NicaumlnischenChristenheit

bdquoVerfolgung ist in keiner Religion ein Ori-ginalmerkmal aber sie ist immer das stark ausgepraumlgte Merkmal in allen gesetzlich festgelegten Religionenrdquo

mdash Thomas Paine

INER DER BISCHOumlFE DIE SICH GEWEIGERT HATTEN das Nicaumlnische Glaubensbekenntnis zu unterzeichnen soll Eusebius von Ni-komedien zugerufen haben bdquoEusebius du hast nur zugestimmt um das

Exil zu vermeiden So wahr Gott mein Zeuge ist du wirst meinetwegen verbannt werdenrdquo Drei Monate nach dem Konzil bereuten Eusebius und mehrere seiner Verbuumlndeten dass sie sich dem Bekenntnis uumlberhaupt angeschlossen hatten und gingen zum Kaiser um reumuumltig ein Gestaumlndnis abzulegen Sie gaben Konstantin gegenuumlber zu bdquoWir haben uns unanstaumlndig verhalten Eure Majestaumlt indem wir uns aus Angst vor Euch der Ketzerei verschrieben habenrdquo Die Prophezeiung erfuumlllte sich Wuumltend verbannte sie Konstantin umgehend nach Gallien (dem mo-dernen Frankreich)732

Doch nachdem drei volle Jahre vergangen waren verfuumlgte Konstantin dass Eu-sebius und den anderen im Exil lebenden Arianern ermoumlglicht werde zuruumlckzu-kehren Sie taten dies doch mit Rache im Sinn Nach ihrer Ruumlckkehr beriefen sie

732 Nicetas Choniates Treasury of Orthodoxy 5 7-9 See also Photiosrsquo epitome of Philostorgiusrsquo Church His-

tory 2 7-7b

E

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ein Konzil von 250 Bischoumlfen in Nikomedien ein (die gleiche Zahl die am Konzil von Nicaumla teilgenommen hatte) Unglaublich schnell schloss das Verfahren mit der erfolgreichen Absetzung und Exkommunikation von Bischof Alexander und allen anderen die beim vorangegangenen Konzil von Nicaumla die homoousianische Lehre bekundet hatten733 Dies war gelinde gesagt eine Veraumlnderung der drama-tischen Art Die bdquoArianerrdquo die Nicaumla angeblich ausgemerzt hatte fanden sich wieder an der Macht Wie sich der heilige Hieronymus so beruumlhmt erinnern wuumlrde war es eine Zeit in der bdquodie ganze Welt aufbegehrte und erstaunt war dass sie ploumltzlich arianisch warrdquo734 Aber wie war eine solche Kehrtwende moumlg-lich wenn das Nicaumlnum ja nur verkoumlrperte was die Christenheit bereits glaubte Koumlnnte es sein dass die eigentliche Innovation Nicaumla war

NicaumlawirdumgestoszligenMitte des vierten Jahrhunderts war die Mehrheit der nicaumlnischen Anhaumlnger ihres Amtes enthoben worden und die eindringlichsten Proklamationen des Konzils wurden wiederholt von anderen groszligen Konzilen der Kirche aufs Schaumlrfste ver-urteilt Wie Freeman bemerkt bdquoTraditionell wurde diese Umkehrung meistens als Vergeltung von frustrierten Arianern angesehen aber das ist ein viel zu simples Urteilrdquo Offensichtlich fuumlhlten sich sehr viele Christen trotz der kaiserlichen Macht hinter Nicaumla bdquowegen der Niederlage des Subordinationismus sehr un-wohlrdquo735

In dieser Zeit entschieden sich sogar die Konzile die Arius selbst nicht besonders freundlich gesinnt waren viele seiner Uumlberzeugungen anzunehmen und das Nicaumlnum abzulehnen So praumlsentierte beispielsweise das Konzil von Antiochia im Jahr 341 n Chr an dem etwa hundert Bischoumlfe und Kaiser Konstantinus II teilnahmen mehrere Bekenntnisse die alle die Sprache der bdquoHomoousierdquo ablehn-ten als Ersatz fuumlr die nicaumlnische Theologie Auf nationaler Ebene verteidigten die Bischoumlfe uumlberdies die aumlltere Herkunft der subordinationistischen Ansichten gegen die Anspruumlche ihrer Gegner Athanasius hatte es sich persoumlnlich zur Auf-gabe gemacht seine Gegner abfaumlllig als bdquoArianerrdquo zu bezeichnen in der Hoff-nung ihren subordinationistischen Glauben nicht nur als die juumlngste Neuerung abzutun sondern die Kontrahenten uumlberdies zu beleidigen Aber die neue Erklauml-rung die beim Konzil von Antiochia abgegeben wurde lautete

733 Ebenso 734 Hieronymus Adversus Luciferianos 19 735 Freeman Closing of the Western Mind p 170

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Wir waren weder Anhaumlnger des Arius (denn wie sollen wir die wir Bischoumlfe sind einem Presbyter folgen) noch haben wir eine an-dere Form des Glaubens akzeptiert als die die von Anfang an fest-gelegt worden war736

Die Bekenntnisse aus Antiochia haben nicht nur die bdquoHomoousierdquo weggelassen sondern auch den Rest der muumlhseligen und verwirrenden Sprache der Kleriker Nicaumlas worin erklaumlrt wird dass Jesus bdquowahrer Gott vom wahren Gottrdquo sei die Aussage wurde im antiochischen Bekenntnis zu einem mehrdeutigeren bdquoGott von Gottrdquo umgeschrieben737 Die Subordinationisten hatten offenbar kein Prob-lem mit dieser Version Schlieszliglich hatten die ihnen vorangegangenen subordina-tionistischen Christen wie Justin der Maumlrtyrer und Irenaumlus in ihren eigenen Schrif-ten Jesus auch schon als bdquoGottrdquo bezeichnet wenn auch in einem sekundaumlren oder abgeleiteten Sinn

Eines der bedeutendsten Konzile in den Jahren nach Nicaumla das Konzil von Ri-mini-Seleucia im Jahre 359 n Chr sollte den Bemuumlhungen der nicaumlnischen Un-terstuumltzer einen empfindlichen Schlag versetzen In der Katholischen Enzyklo-paumldie heiszligt es dass bdquodieses Konzil eine unerwartete Niederlage der Orthodo-xierdquo738 darstellte da die Bischoumlfe ein weiteres Glaubensbekenntnis hervorbrach-ten das die Definition bdquohomoousiosrdquo bewusst ablehnte weil diese ebenso ver-wirrend wie nicht biblisch sei739 Heute moumlgen die Christen uumlber diese mehrmalige Abkehr von Nicaumla uumlberrascht sein aber in Wirklichkeit waren bdquonur wenige der Unterzeichner von Nicaumla mit dem Glaubensbekenntnis voumlllig zufrieden gewesen insbesondere mit der Verwendung des Begriffs der Wesensgleichheit (homoou-sios) der schon zuvor bei fruumlheren Synoden in Antiochia zuruumlckgewiesen worden war (im Jahre 264 268) Dies [diese Definition] widerspiegelte einfach nicht die neutestamentliche Unterscheidung zwischen Vater und Sohnrdquo740

In Rimini-Seleucia versammelten sich uumlber fuumlnfhundert Bischoumlfe die mit ihrer Anwesenheit die nicaumlnische Beteiligung von etwa zweihundertfuumlnfzig Personen anzahlmaumlszligig in den Schatten stellten Vielen Christen ist unbekannt dass

nur eine handvoll westlicher Kirchenmaumlnner nach Nicaumla kamen Das Konzil von Nicaumla war also nicht universell Dennoch gilt es

736 First Creed of Antioch 341 CE quoted in Hanson p 285 737 Hanson p 284 738 Umberto Benigni ldquoCouncil of Riminirdquo Catholic Encyclopedia 2009 Web 18 November

2013 739 Gwynn p 94 740 J Warren Smith ldquoThe Fourth Century Fathersrdquo Oxford Handbook of the Trinity (Oxford OUP 2011)

p 111

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uumlberall als das erste oumlkumenische (oder universelle) Konzil der Ka-tholischen Kirche Mehrere spaumltere Konzile waren repraumlsentativer fuumlr die gesamte Kirche eines davon das gemeinsame Konzil von Rimini-Seleucia (359 n Chr) wurde von mehr als fuumlnfhundert Bi-schoumlfen aus Ost und West besucht Wenn irgendeine Versamm-lung den Titel bdquooumlkumenischrdquo verdient haumltte scheint dieses Konzil sich am ehesten zu qualifizieren aber das Ergebnis - die Annahme eines arianischen Glaubensbekenntnisses - wurde in der Folge von der Kirche zuruumlckgewiesen Konzile deren Konstrukte spaumlter ebenso als unorthodox eingestuft wurden verloren nicht nur das bdquooumlkumenischerdquo Label sondern verschwanden faktisch aus der of-fiziellen Kirchengeschichte Dass Nicaumla nicht ebenso verschwand ist weitgehend das Resultat der Annahme des Nicaumlnums durch das Konzil dessen angepasste Version heute von Christen auf der gan-zen Welt rezitiert wird741

Eine Sache die Rimini-Seleucia aus heutiger Sicht zeigt ist die Verzerrung der Geschichte Wieviele Christen sind sich heutzutage uumlberhaupt bewusst dass es weit mehr als sieben (oder je nach Tradition neun) Konzilien der Katholischen Kirche gab Wie bereits gesagt bdquo Geschichte wird von den Eroberern geschrie-benrdquo742 und die Kirchengeschichte macht hier keine Ausnahme Trotz der mo-dernen Mainstream-Apologeten die lauthals erklaumlren dass bdquodas Konzil von Nicaumla die groszlige haumlretische Herausforderung an den christlichen Glauben die [durch] den ketzerischen Arius gestellt wurde beigelegt hatrdquo743 war dies nicht der Fall Das Gegenteil trifft zu Was dort geschrieben wurde ist von vielen christli-chen Synoden die sich durch die Auswirkungen [des Nicaumlnums] unwohl fuumlhlten in der Folge in Frage gestellt und abgelehnt worden Tatsaumlchlich wurde an einem weiteren Konzil in Konstantinopel im Jahr 360 n Chr der Begriff bdquohomoousiosrdquo erneut aufs Schaumlrfste als unbiblisch verurteilt744 Es ist naheliegend dass dieses Konzil von Konstantinopel im Jahr 360 n Chr heute kaum mehr Erwaumlhnung findet Demgegenuumlber wird das naumlchste Konzil das 381 n Chr in derselben Stadt

741 Rubenstein p 75 742 Das treffende Zitat wird oft Sir Winston Churchill zugeschrieben aber die Quelle ist unsicher 743 Ein Zeitstrahl der Kirchengeschichte unabhaumlngige Antiochisch orthodoxe christliche Erzdioumlzese

Nordamerikas 2013 Web 18 November 2013 lthttpwwwantiochianorg orthodox-church-his-torygt

744 Das neue Credo lautete bdquoAber da der Begriff ousia [Substanz oder Essenz] der vom Volk nicht verstanden wurde ein Stein des Anstoszliges war haben wir es fuumlr richtig gehalten ihn abzulehnen da er auch in den heiligen Schriften nicht enthalten ist und dass in Zukunft keine Erwaumlhnung davon erfolgen sollte da die Heilige Schrift nirgendwo die Substanz des Vaters und des Sohnes erwaumlhnt Auch die sbquoExistenzrsquo des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes soll nicht mehr genannt werdenrdquo (Zenosrsquo Translation of Scholasticus Church History 2 41)

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abgehalten wurde und das anerkannterweise die trinitarische Lehre festigte heute gemeinhin als bdquodas Erste Konzil von Konstantinopelrdquo bezeichnet vielleicht in dem Bestreben die Existenz des wirklich ersten Konzils und seiner Aussagen zu verbergen

Aber selbst eine oberflaumlchliche Untersuchung der fortschreitenden Entwicklung der Lehre durch die Konzile zeigt dass in Nicaumla tatsaumlchlich sehr wenig getan wurde um die grundlegenden Wahrheiten des Glaubens zu vervollstaumlndigen Wie selbst der trinitarische Basil Studer erkennt bdquohatte die nicaumlnische Synode die ent-scheidenden Fragen noch nicht beantwortetrdquo745 Anstatt das Christentum zu ver-einen hatte Nicaumla tatsaumlchlich einen Feuersturm der Teilung entfacht der sich in einem lang andauernden Machtkampf manifestierte Im Nachhinein gesehen hatte Konstantins geniale Loumlsung tatsaumlchlich bdquoder Einheit der Kirche einen schweren Schlag versetztrdquo746 Auch die Reihe von Konzilien in den folgenden Jahrhunderten schien die Dinge nie wirklich zu regeln sondern brachte nur zu-saumltzliche Zweifel Fragen und Trennungen hervor

Eine besondere Problematik welche eine Loumlsung dieser Streitigkeiten nahezu verunmoumlglichte war die Verwendung identischer Begriffe mit unterschiedlichen Bedeutungen je nach der streitenden Partei Die Sprache veraumlnderte sich unver-sehens in ihrer Bedeutung von Konzil zu Konzil Die im lateinischsprachigen Westen und im griechischsprachigen Osten unterschiedlichen Wortverbindungen verschlimmerten das Problem zusaumltzlich Gotteslaumlsterer des einen Tages waren ploumltzlich die Huumlter der Wahrheit des naumlchsten747 Sollten uns solche Streitereien wirklich als bdquoarianische Kontroverserdquo glaubhaft gemacht werden als ob es ir-gendwelche neuen Erkenntnisse von Arius gegeben haumltte die fuumlr die Aussonde-rung (oder Neudefinition) der christlichen Lehre uumlber Gott auf diese chaotische Weise verantwortlich waren Oder vielleicht wie Hanson meint koumlnnte die Aumlra besser als bdquoeine [blinde] Suche im Nebel eine Situation in der ortsunkundige

745 Basil Studer Trinity and Incarnation The Faith of the Early Church (Minnesota TampT Clark Ltd 1993)

p 107 (Trinitaumlt und Inkarnation Der Glaube der Fruumlhkirche) 746 Durant Caesar and Christ p 660 747 bdquoDie Schluumlsselbegriffe wie ousia homoousios hypostasis und logos entwickelten sich in einem nichtchrist-

lichen Kontext (doch selbst hier mit einer unsicheren Bedeutung) Sie lieszligen sich nicht leicht umformu-lieren um bestimmte christliche Themen wie die genaue Natur Jesu und seine Beziehung zu Gott dem Vater zu behandeln Die Formulierung dieser Begriffe in zwei Sprachen Latein und Griechisch da es keine strikte Aumlquivalenz zwischen ihnen gab erschwerte die Situation zusaumltzlich Lateinische Theologen uumlbersetzten die griechische Ousia als Hypostasis sbquoPersoumlnlichkeitrsquo Waumlhrend die Griechen von una sub-stantia sprachen im Sinne einer goumlttlichen Substanz (in dem sich die verschiedenen Persoumlnlichkeiten der Dreifaltigkeit befinden koumlnnten) schien es auf Griechisch so als ob sie bestaumltigten dass es nur eine Hypostase fuumlr die drei Personen der Dreifaltigkeit gaumlbe und in der Tat predigten sie das was kurze Zeit spaumlter [der SabellialismusModalismus] Haumlresie genannt wurderdquo (Freeman Closing of the Western Mind pp 179-180)

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Armeen nachts aufeinander treffenrdquo angesehen werden748 Natuumlrlich wuumlrde die Lehrmeinung die sich schlieszliglich durchsetzte fuumlr die Nachwelt systematisch ein veraumlndertes Bild zeichnen In Vergangenheit und Gegenwart haben Verfechter von Nicaumla versucht die Geschichte neu zu faumlrben als ob diese bdquoOrthodoxierdquo schon immer existiert haumltte und wie wenn der fragliche Streit nur eine beharrliche Verteidigung des etablierten Glaubens gegen neue und gravierende Irrtuumlmer ge-wesen waumlre Aber es sollte inzwischen klar geworden sein dass dies nicht der Fall war Wenn die Antworten auf die Fragen des sich immer weiter entwickelnden trinitarischen Glaubens von Anfang an klar gewesen waumlren warum hat dann die Debatte uumlber das Grundprinzip mehr als sechzig Jahre angedauert Warum erfor-derte die Kontroverse das Eingreifen mehrerer roumlmischer Kaiser Hanson be-merkt auch bdquoDie [angebliche] Verteidigung der etablierten und allgemein be-kannten Orthodoxie kann unmoumlglich [allein] fuumlr eine derart weit verbreitete und anhaltende Verwirrung verantwortlich gemacht werdenrdquo749

DieSubordinationimReichIn den Jahren unmittelbar nach Nicaumla finden wir keine einheitliche Religion die nach einer siegreichen bdquoVerteidigung der Wahrheitldquo ruht sondern eher das Span-nungsfeld eines parteipolitischen Gerangels Zu einem Zeitpunkt wurden die A-rianer ins Exil geschickt um im naumlchsten durch persoumlnliche Briefe von Kaiser Konstantin wieder in Amt und Wuumlrde eingesetzt zu werden750 Offensichtlich als die offiziellen Verlautbarungen nicht die angestrebte Einheit erbrachten die Konstantin in seinem Reich erwartet hatte begann er seine Haltung gegenuumlber den Arianern ploumltzlich zu aumlndern Der Kaiser der vor nicht allzu langer Zeit die Loumlschung aller arianischen Spuren in seinem Land unter Androhung der Todes-strafe angeordnet hatte war nun bereit sich wieder an alles zu erinnern Er un-ternahm das Notwendige um den Umfang dessen zu erweitern was in Bezug auf die Einhaltung der Glaubensbekenntnisse akzeptabel war Es ging ihm jedoch nur darum seine Ziele der Vereinigung [des Reiches] zu foumlrdern Der unredliche Einsatz von Verboten Verbannungen und Buchverbrennungen der in diesem Zirkus der politischen Manoumlver sowohl des Kaisers wie auch der Bischoumlfe statt-fand war aus rein theologischer Sicht wenig sinnvoll machten aber umso mehr Sinn wenn die Bestimmung der christlichen Wahrheit nicht das einzige Ziel die-ser Aktivitaumlten war Nach den heftigen politischen Folgen wurde schnell klar dass Nicaumla in der Tat nichts anderes als ein fadenscheiniger Vorwand war der von den

748 Hanson Search for the Christian Doctrine p xviii (Die Suche nach der Christlichen Doktrin) 749 Ebenso p xix 750 Al Vasiliev ldquoThe Empire from Constantine the Great to Justinianrdquo History of the Byzantine Empire 1928

Web May 2012 lthttpwwwelloposnetelpenorvasiliefarianism-council-nicaeaaspgt (Das Reich von Konstantin dem Grossenan bis zu Justinian Geschichte des Byzantinischen Reiches)

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Bischoumlfen in ihrem Wunsch dem Kaiser zu gefallen und die Einheit des Glau-bens quasi wiederherzustellen erfunden wurde751

Arius selbst obschon 325 n Chr offiziell zum Ketzer erklaumlrt wurde zehn Jahre spaumlter bei der Ersten Synode von Tyrus freigesprochen752 Es ist fast unvorstell-bar aber wahr dass der Diakon Athanasius der so unermuumldlich daran gearbeitet hatte Arius zu verbannen von der Ersten Synode von Tyrus selber mit dem Bann belegt wurde Der hitzkoumlpfige Athanasius wurde wegen Misshandlung von Aria-nern und Meletianern einer weiteren Gruppe die durch Nicaumlas Dekrete ausge-schlossen worden war oumlffentlich angeklagt Es haumluften sich andere dubiose An-schuldigungen gegen Athanasius wie zB die Beeintraumlchtigung von Getreidelie-ferungen aus Aumlgypten von Weizen der eigentlich fuumlr Bauern bestimmt war Konstantin der ein persoumlnlicher Anhaumlnger von Athanasius war und von dem wir annehmen dass er alles getan haumltte um es zu vermeiden sah sich gezwungen Athanasius ins Exil zu schicken753 Spaumlter wurde Athanasius wieder eingesetzt aber nur um von verschiedenen Konzilen vier weitere Bannbullen zu erhalten Es wurde ihm vorgeworfen sowohl ein ketzerischer als auch ein skrupelloser Mensch zu sein Zu den Konzilen die ihn verurteilten gehoumlrten die beruumlhmten Konzile von Mailand (300 Bischoumlfe) und Arminium (550 Bischoumlfe) Das letztere war das groumlszligte Konzilstreffen aller Zeiten

Nachdem sie Arius 335 v Chr vom Vorwurf der Ketzerei freigesprochen hatte setzte sich die Kirche dafuumlr ein den Mann innerhalb eines Jahres zur Kommu-nion zuruumlckzubringen Aber waumlhrend Arius zu dieser Wiedervereinigung unter-wegs war wurde er ploumltzlich in verdaumlchtiger Weise schwer krank Er starb so wird es von seinen Verleumdern festgehalten unter schrecklichen Qualen als Folge eines Blutergusses im Darm Froumlhlich erklaumlrten es seine Feinde als einen Akt houmlherer Gewalt wegen Arius Ketzerei haumltte Gott auf uumlbernatuumlrliche Weise dafuumlr gesorgt dass er nicht wieder in die Kirche eintreten konnte754 Seine Freunde und einige Historiker glaubten allerdings dass er wahrscheinlich vergif-tet wurde755 Obwohl Kaiser Konstantin seine Meinung vor seinem Tod geaumlndert hatte wurde Arius fast ein halbes Jahrhundert spaumlter beim Ersten Konzil von Konstantinopel im Jahre 381 posthum erneut zum Ketzer gestempelt

751 Rubenstein pp 103-104 752 Socrates Church History Book 1 Ch 33 753 Timothy D Barnes Athanasius and Constantius Theology and Politics in the Constantinian Empire (Cambridge

Harvard University Press 1993) p 37 754 Socrates ldquoThe Death of Ariusrdquo Church History Web 2 May 2012 lthttpwwwccelorgccelschaffnpnf202iiivxxxviiihtmlgt 755 S M Hopkins ldquoThe Death of Ariusrdquo The Biblical Repository (London John Wiley 1850) p 66ff William

Smith A Dictionary of Greek and Roman Biography and Mythology (London John Murray 1880) p 347 Gibbon Decline and Fall (New York Fed DeFau amp Co 1906) p 366

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Trotz des fruumlhen Todes von Arius im Jahr 336 n Chr sollte der Arianismus mit Nachdruck in das Reich zuruumlckkehren um die Konstantinische Aumlra abzuschlie-szligen Bei all den Streitigkeiten die Konstantin uumlber den Arianismus gefuumlhrt hatte entschied sich der Kaiser sein eigenes Leben auf eine ziemlich eigenartige Weise zu beenden Als er dem Tode nahe war lieszlig er sich von einem arianischen Bi-schof Eusebius von Nikomedien taufen756 Wie wir gesehen haben hatte Euse-bius Arius in Nicaumla energisch verteidigt und war deshalb kurz nach dem Konzil selber in die Verbannung geschickt worden Aber nach seiner Ruumlckkehr aus dem Exil 329 n Chr hatte Eusebius die meisten seiner nicaumlnischen Gegner aus dem Amt vertrieben In der Gesellschaft fand ein erstaunlicher Sinneswandel statt Eusebius gewann groszligen Einfluss auf die Familie Konstantins Er genoss auszliger-gewoumlhnliche Gunst bei Konstantins Sohn der auf seinen Vater folgen und als Kaiser mit einer offen arianischen Gesinnung regieren sollte Es war eine seltsame Wendung der Ereignisse dass Eusebius genau den Mann Konstantin I taufen sollte der seinen Glauben zuvor verboten hatte 337 n Chr zum Zeitpunkt dieser Taufe schien das nicaumlnische Bekenntnis bereits tot und vergessen zu sein wie Freeman feststellt bdquoGemessen an dem was Konstantin urspruumlnglich zu erreichen gehofft hatte kann es sogar als Misserfolg bezeichnet werden Waumlren die Prob-leme in den 350er Jahren nicht wiederbelebt worden haumltte das Konzil vielleicht nicht mehr als eine Fuszlignote in der Geschichte verursachtrdquo757

In der folgenden Aumlra wurde die Kontrolle uumlber das nachnicaumlnische Roumlmische Reich jahrzehntelang rau zwischen den Lagern der Arianer und Athanasianern hin und her gerissen Sogar die roumlmischen Kaiser Konstantin II (337-361 n Chr) und Valens (364-378 n Chr) waren bekennende Arianer und beide hielten aria-nische Konzile ab Sie verabschiedeten mehrere subordinationistische Dekrete gegen jene kirchlichen Obrigkeiten die in Nicaumla die Ansicht vertraten dass der Vater und der Sohn wesensgleich [konsubstanziell] seien758 Aber die Aumlra der uumlberwiegend arianischen Vorherrschaft sollte nicht ewig andauern

DerGlaubederjuumldischenChristenhaumlltanWie bereits erwaumlhnt ist festzustellen dass die als Nazarener bekannte Sekte juumldi-scher Christen und die mit ihnen verbundenen Ebioniten tatsaumlchlich bis ins vierte Jahrhundert uumlberlebten759 Es ist gut dokumentiert dass die prominentesten The-ologen arianischer Gesinnung wenigstens dem Anschein nach den Glauben der Ur-Christen aus dem Judentum naumlmlich die Unterscheidung und Subordination

756 Hans A Pohlsander Emperor Constantine (London Routledge 2004) p 104 757 Freeman Closing of the Western Mind p 171 758 Jean Guitton Great Heresies and Church Councils (New York Harper amp Row 1965) p 86 759 Epiphanius Panarion 29 54 and 56

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Christi unter Gott den Vater erkennbar bewahrt hatten Allerdings unterhielten die meisten von ihnen auch eine bedeutende Beziehung zur griechischen Philo-sophie Die Prauml-Existenz des Sohnes als Engelswesen und seine menschliche In-karnation waren der augenfaumllligste Bruch zwischen den Arianern und der alten Jerusalemer Tradition Wir stellen jedoch fest dass die Christologie der fruumlhen Nazarener von einigen der bdquoheidnischenldquo Vaumlter noch immer aufrechterhalten wurde selbst waumlhrend dem erschuumltternden Trauma der postnicaumlnischen Streitig-keiten

Laut Eusebius schrieb der orthodoxe krypto-gnostische Clemens von Alexandria gegen das bdquoJudaisierenrdquo unter den Christen was bdquobeweist dass das juumldische Christentum zu Beginn des dritten Jahrhunderts noch eine Bedrohung warrdquo760 Wir wissen nicht genau wie weit die Christologie der juumldischen Christen in dieser Zeit tatsaumlchlich verbreitet war Die Geschichte insbesondere die antike Historie hat eine eigenartige Tendenz Dinge zusammenzufassen Eines der Probleme auf das der moderne Historiker stoumlszligt ist die nachhaltige Wirkung der Verfolgungen von Ketzern und ihrer Literatur der Glaube dieser verfolgten Theologen muss nun aus den Vorurteilen und verdammenden Zusammenfassungen ihrer Feinde herausgezogen und zusammengesetzt werden Trotz aller Widerstaumlnde sind von einigen ordentliche Aufzeichnungen erhalten geblieben Sie zeigen das Fortbeste-hen des unitarischen Christentums von Jerusalem waumlhrend der heidnischen Aumlra

Wahrscheinlich finden wir in Paulus von Samosata dem Bischof von Antiochia (260-272 n Chr) Beweise fuumlr einen solchen [unitarischen] Glauben Noch heute diskutieren Wissenschaftler die Einzelheiten seiner Lehre insbesondere die ei-gene Verwendung des umstrittenen Wortes bdquohomoousiosrdquo zur Beschreibung des Logos761 Aber eines ist klar Paulus von Samosata lehrte dass der Logos keine andere Person sondern nur eine unpersoumlnliche goumlttliche Tugend war die dem Menschen Jesus innewohnte762 Ungeachtet des Verstaumlndnisses oder der Miss-verstaumlndnisse seiner unmittelbaren Gegner ist man sich im Allgemeinen einig

760 Segal ldquoJewish Christianityrdquo p 338 761 Paulus von Samostata scheint dennoch durch platonische und gnostische Terminologie belastet zu sein

Er argumentierte dass der Logos zwar keine eigenstaumlndige Person ist die Jesus bewohnte aber irgend-wie ein Prinzip bdquokonsubstanziellrdquo mit Gott war Man koumlnnte also sagen dass man fuumlr Paulus den Vater und den bewohnten Jesus so beschreiben koumlnnte dass er in gewisser Weise bdquodie gleiche Substanzrdquo hat Wie wir gesehen haben wurde dieser Begriff bdquohomoousiosrdquo 269 n Chr als ketzerisch verboten aber in Nicaumla als orthodox erklaumlrt

762 Paulus soll bdquodas eine vom anderen den Vater und den Sohn viel zu sehr getrennt haben er betrachtete den Logos als eine unpersoumlnliche Tugend Gottes rdquo In Jesus sah er nur einen Menschen der vom Logos durchdrungen war der zwar auf wundersame Weise von einer Jungfrau geboren wurde aber dennoch bloszlig ein Mensch war und nicht Gottmensch Der Logos hatte in dem Menschen Jesus nicht persoumlnlich sondern in Qualitaumlt als Tugend oder Macht gewohnt Paulus von Samosata lehrte weiter dass wie bdquoder Logos keine Person ist so ist auch der Heilige Geist nur eine goumlttliche Tugend unper-

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dass Paulus Jesus als den Messias den wahrhaft menschlichen Sohn Gottes an-erkannt und Gott selbst als eine einzige Person aufrechterhalten hat763 Obwohl Paulus von seinen alten Kritikern beschuldigt wurde Christus zu einem bdquobloszligen Menschenrdquo zu erniedrigen 764 bekannte er dass Jesus auf einzigartige Weise von einer Jungfrau geboren worden sei Des Weiteren dass er indem er frei von Suumlnde blieb und die Suumlnde uumlberwand bei seiner Taufe in besonderer Weise vom Logos (oder von der Vernunft beziehungsweise von der Macht Gottes) bewohnt und danach zur houmlchsten Wuumlrde zur Rechten Gottes erhoben worden sei Er lehrte ferner dass derselbe Logos von Gott Mose und den anderen Propheten innewohnte aber dass derselbe Logos [von Gott] Jesus mehr Energie als allen anderen Menschen vor ihm gab765 die Einheit zwischen Logos und Christus sah Paulus von Samosata lediglich als eine innige Einheit des Willens

Mit dem Antrag Paulus von Samosata exkommunizieren zu lassen unterzeich-neten nur sechzehn Bischoumlfe die Verurteilung Als seine Gegner ihn nicht aus seinem Amt verdraumlngen konnten riefen sie kurzerhand die Macht des Staates an So trat tatsaumlchlich im dritten Jahrhundert eine weltliche Regierung auf den Plan um zum ersten Mal in der Geschichte eine kircheninterne Angelegenheit zu re-geln Der roumlmische Kaiser Aurelian unterstuumltzte die armseligen Bemuumlhungen der Gegner des Paulus und befahl ihn seines Amtes zu entheben und zu verban-nen766 um Zwietracht in seinem Reich zu beseitigen Anhaumlnger des Paulus manchmal als Paulianisten bezeichnet blieben offensichtlich bis ins vierte Jahr-hundert bestehen Ihr Glaube beschreibt der Historiker Philip Schaff sogar als bdquowie den der Socinianerrdquo767 (moderne biblische Unitarier) Die Mitglieder dieser

soumlnlich dem Vater gehoumlrend rdquo (Charles Joseph Hefele A History of the Christian Councils From the Orig-inal Documents (Charles Joseph Hefele A History of the Christian Councils From the Original Documents (Edin-burgh T amp T Clark 1894) Book II Ch 2 9)

763 Henry Chadwick The Early Church (New York Penguin Books 1967) p 114 Kelly Early Christian Doctrines pp 117-119 Schaff History of the Christian Church Vol 2 p 575

764 Mark M Mattison ldquoBiblical Unitarianism from the Early Church Through the Middle Agesrdquo A Journal from the Radical Reformation Vol 1 No 2 (Atlanta 1992) p 9 (Biblischer Unitarianismus von der Fruumlhkirche an bis ins Mittelalter Journal der Radikalen Reformation)

765 Sicherlich ist in diesem Argument die eigene Erklaumlrung Christi uumlber die einzigartige Qualifikation seines Dienstes in Johannes 334 zu verwenden bdquoDenn wen Gott gesandt hat spricht die Worte Gottes denn er gibt den Geist ohne Maszligrdquo oder bdquoohne Grenzerdquo (NIV) Obwohl andere wie Mose (nach Paulusrsquo Ar-gument) von Gott bewohnt worden waren war der Grad in dem Jesus bewohnt wurde einzigartig Wir koumlnnten auch auf Kol 29 verweisen um dies weiter zu unterstuumltzen bdquoDenn in ihm wohnt die ganze Fuumllle der leiblichen Gottheitrdquo (KJV) [Denn in ihm wohnt die ganze Fuumllle der Gottheit leibhaftig ELB] Es sei auch darauf hingewiesen dass die Apostel sagen dass bdquowir alle von seiner Fuumllle empfangen habenrdquo (Joh 116) und sogar alle Juumlnger auffordert werden bdquoTeilhaber an der goumlttlichen Natur zu werdenrdquo (2 Petr 14) Es erscheint daher zur Verteidigung des Paulus von Samosata vernuumlnftig dass diese Inne-wohnung der Gottheit der goumlttlichen Natur in Christus nicht unbedingt eine goumlttliche persoumlnliche Inkarnation (Menschwerdung) ist

766 Priestley Works p 506 767 Ebenso

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Gruppe waren im Jahre 325 gezwungen sich von den Kanonikern des Konzils von Nicaumla erneut taufen zu lassen768 Aber andere Gruppen im Reich hielten wei-terhin an der gleichen Theologie fest

Die Erinnerung an einen anderen unitarischen Christen Photinus den Galater der waumlhrend der arianischen Kontroverse aktiv war ist in dieser Hinsicht bemer-kenswert Photinus der 376 n Chr starb war Bischof der bedeutenden Stadt Sirmium einer der bdquovier Hauptstaumldterdquo des Roumlmischen Reiches769 Der mutige und erfolgreiche Dienst des Photinus beweist dass die Bloszlig-Mensch-Christologie und der unitarische Monotheismus die beide von den Nazarener-Christen im ersten Jahrhundert praktiziert wurden die duumlsteren Turbulenzen der postnicaumlnischen Geschichte nicht nur irgendwie uumlberdauert sondern sich sogar einer wachsen-den Beliebtheit erfreut haben Der unitarische Photinus wurde durch die Synode von Serdika 343 n Chr als Bischof gewaumlhlt achtzehn Jahre nach den Proklama-tionen von Nicaumla770 So finden wir mehrere Jahrzehnte bevor dann das maumlchtige Konzil von Rimini-Seleucia die Homoousie oumlkumenisch umgedreht hat eine be-harrliche bdquoBasisbewegungrdquo in einer der groumlszligten Staumldte des Reiches die auffallend an denselben Glauben der juumldischen Ur-Christen erinnert Der beruumlhmte Kir-chenhistoriker Hieronymus nennt Photinus sogar explizit einen bdquoEbionitenrdquo Diese Meinung verbindet ihn direkt mit den Juden-Christen welche in der Heili-gen Stadt die Tradition der Apostel uumlbernommen hatten771 Wie sie war Photinus am beruumlhmtesten dafuumlr die Einheit Gottes zu predigen und die Prauml-Existenz Inkarnation und Gottheit Jesu zu negieren Ein Historiker schreibt dass Photinus bdquoanerkannt hat dass es einen einzigen Allmaumlchtigen Gott gibt durch dessen ei-genes Wort alle Dinge geschaffen wurden Er wollte aber nicht zugeben dass die Zeugung und Existenz des Sohnes vor allen Zeiten war im Gegenteil er behaup-tete dass Christus seine Existenz von Maria ableiteterdquo772 Obwohl keine von Pho-tinus eigenen Schriften erhalten geblieben ist werden seine Lehren von allen be-ruumlhmten Kirchenhistorikern erwaumlhnt darunter Hilarius von Poitiers Sokrates Scholastikos Ambrosiaster Ambrosius von Mailand Augustinus von Hippo Jo-hannes Cassianus Hieronymus Sulpicius Severus und Vigilus von Thapsus Diese Beweislage mag zusaumltzlich zur Leistung der bemerkenswerten photinischen

768 Schaff Roberts Donaldson Coxe Nicene and Post-Nicene Fathers Series II Vol IV Discourse II (Grand

Rapids Eerdmans 1885) pp 42-43 769 Sirmium lag in der Provinz Pannonien und war mit 100000 Einwohnern eine der groumlszligten

Staumldte des Reiches Als Standort eines kaiserlichen Palastes wurde sie von antiken Historikern bdquodie glorreiche Mutter der Staumldterdquo genannt Heute heiszligt die Stadt Sremska Mitrovica in Ser-bien

770 Ebenso 771 Henry Palmer Chapman ldquoPhotinusrdquo Catholic Encyclopedia Vol 12 1913 Web 14 November 2014 772 Sozomen Church History 4 6

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Bewegung beitragen Die erwaumlhnten Historiker haben aufgezeichnet dass Photi-nus den Logos einfach als Gottes Weisheit betrachtete ein persoumlnliches Attribut des singulaumlren monotheistischen Vaters nicht woumlrtlich als eine vorexistente Per-son Wie die Nazarener glaubte Photinus an die jungfraumluliche Geburt773 Waumlh-rend Jesus vor der Schoumlpfung sicherlich in Gottes Weisheit und Plan vorbestimmt (praumldestiniert) war wurden die biblischen Schriften wie Daniel als eine propheti-sche Rede vom Messias angesehen bdquonicht als eine Beschreibung des [bereits] existierenden Sohnesrdquo774 Natuumlrlich machten einige seiner Zeitgenossen die den nicaumlnischen Grundsatz aufrechterhielten Photinus Vorwuumlrfe und behaupteten dass er Christus entehre indem er jede Prauml-Existenz oder die angeborene Goumltt-lichkeit verneine Als Antwort an seine Kritiker appellierte Photinus wiederholt an die Schrift um zu zeigen dass Jesus in der Tat kein bdquogewoumlhnlicherrdquo Mensch sondern ein uumlbernatuumlrlich gezeugter goumlttlich inspirierter Vermittler mit mensch-licher Natur war Wegen seiner ultimativen Hingabe an Gott und seiner Ver-pflichtung gegenuumlber der goumlttlichen Absicht (Logos) wurde er zur rechten Hand Gottes erhoben Hanson erinnert sich an Photinus staumlndigen Appell an das bib-lische Zeugnis

Jeder in der Antike beschuldigt Photinus Christus auf einen bloszligen Menschen zu reduzieren der von Gott angenommen wurde dh die Vereinigung zwischen Logos und Mensch war nur eine Ange-legenheit von Inspiration und moralischer Uumlbereinstimmung Ambrosius erzaumlhlt uns dass Photinus zwei Lieblingstexte hatte naumlmlich 1 Timotheus 25 (Denn einer ist Gott und einer ist Mittler zwischen Gott und Menschen der Mensch Christus Jesus) und Jo-hannes 840 (Jetzt aber sucht ihr mich zu toumlten einen Menschen der ich euch die Wahrheit gesagt habe die ich von Gott gehoumlrt habe) und man kann sehen warum Hier zeigt sich die konse-quente Entschlossenheit keine Unterschiede im Wesen Gottes zu erkennen775

Synoden die von Anhaumlngern von Nicaumla in den Jahren 345 und 347 n Chr ver-anstaltet wurden versuchten Photinus zu exkommunizieren Er selbst blieb je-doch aufgrund eines dramatischen Aufkommens der Unterstuumltzung durch die Bevoumllkerung im Amt776 Erst anlaumlsslich einer spaumlteren Synode im Jahre 351 n Chr waren die Anhaumlnger von Nicaumla erfolgreich und er wurde ins Exil geschickt

773 Schaff ldquoPhotinusrdquo Nicene and Post-Nicene Christianity CCEL Calvin College Web 02 February 2015 774 Ibid 775 Hanson pp 318-381 parentheticals added 776 Chapman ldquoPhotinusrdquo Catholic Encyclopedia Vol 12

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Dort schrieb er viele theologische Buumlcher die heute verloren sind777 Photinus kehrte schlieszliglich in sein Bistum zuruumlck nur um von Kaiser Valentinius I erneut ins Exil geschickt zu werden Als er dann endguumlltig in sein Heimatland Galatien umsiedelte waren seine Ansichten im Reich so populaumlr geworden dass jeder der glaubte dass Christus zwar erhoumlht doch nur ein Mensch und nicht Gott sei Pho-tinier genannt wurde Es sei darauf hingewiesen dass der Historiker Vigilus aus dem sechsten Jahrhundert in seinem Dialog gegen Arianer Sabellianer und Photinier nicht nur aufzeichnete dass diese eine beachtenswerte theologische Bewegung waren sondern auch eine klare Unterscheidung machte zwischen den Arianern deren Christus prauml-existent war und Fleisch wurde und den Photiniern deren Christus bdquoseine Anfaumlnge bei Mariardquo778 hatte nachdem der Heilige Geist [auf sie] herabgekommen war

Im Verstaumlndnis der Photinier und der ihnen vorausgehenden juumldischen Nazare-ner finden wir einen Christus der dem menschlichen Geist unmittelbar zugaumlng-lich ist Es musste keine [den Verstand] anstrengende Versoumlhnung zwischen ent-gegengesetzter menschlicher und goumlttlicher Natur hergestellt werden kein unbe-friedigendes Gleichgewicht zwischen Einheit und Dreiheit keine gefaumlhrliche gnostische Menschwerdung [eines Gottes] und keine Gefahr den einzigartigen Monotheismus der Juden zu verletzen den Jesus selbst so unbeirrt in der Schrift gesichert hat (Markus 1228ff) Gottes perfekte Andersartigkeit und Jesu voll-kommene menschliche Verwandtschaft erfordern keine Ausbildung in platoni-scher Metaphysik Sicherlich hat die vernuumlnftige Uumlberlebensfaumlhigkeit dieses Sys-tems dazu beigetragen dass es gegen alle Widerstaumlnde bestehen blieb Manche Christen nehmen oft eine sogenannte interventionistische Perspektive an dann reicht vielleicht sogar ein gewisses Maszlig an Vorsehung vom Himmel herab um die in der Asche schwelende Glut der photinischen Ansichten in der Christenheit von Zeit zu Zeit etwas zu schuumlren und anzufachen Doch auch abgesehen von fantasievollen Vermutungen sollte diese Anschauung nach Photinus nicht ein-fach enden

Feststellbar ist dass der unitarische Glaube und die bdquoBloszlig-Mensch-Christologierdquo der Nazarener und Photinier trotz der Wirren des Mittelalters unaufhaltsam wei-tergingen Nach dem Zusammenbruch der westlichen Haumllfte des Roumlmischen Rei-ches [iumlm Fruumlhmittelalter] blieb die oumlstliche Haumllfte als Byzantinisches Reich beste-hen In Byzanz wie auch in mehreren anderen oumlstlichen Laumlndern blieben Uumlber-reste dieser Theologie unter dem Namen Paulicianismus uumlber Jahrhunderte er-halten Obwohl dieser Name zweifellos aufgrund der christologischen Aumlhnlich-keit der Bewegung mit der Lehre des Paulus von Samosata gewaumlhlt wurde war

777 Socrates Scholasticus Church History 2 29 778 Hanson pp 3118-381

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er nicht selbst der Gruumlnder da seine direkten Anhaumlnger nach 325 n Chr fast vollstaumlndig aufgeloumlst worden waren Diese byzantinische Bewegung setzte jedoch die lange Tradition der heftigen Ablehnung der roumlmischen Autoritaumlt fort Sie wa-ren besonders gekennzeichnet durch ihre starke Verankerung in der Schrift die Praxis der Erwachsenentaufe die Ablehnung katholischer Ikonen im Gottes-dienst und natuumlrlich durch das Bekenntnis dass Jesus Christus ein Mensch war779

Auszligerhalb von Byzanz stellen wir fest dass das christliche Bekenntnis zu einer unitarischen Gottheit und zum menschlichen Christus ebenfalls uumlberlebt hat Die Bonosianer in Spanien und Suumldgallien (das heutige Frankreich) waren schon vor 431 n Chr bis ins siebte Jahrhundert hinein aktiv780 Diesen Gedanken erkennen wir auch bei Bischof Felix von Urgell (gestorben um 818 n Chr) dem Leiter der fraumlnkischen Kirche den Ebioniten die in Spanien bluumlhten und den unitarischen Szekelys in Ungarn781 Es wurde postuliert dass dieser Geist bdquoin einigen der Sek-ten bis zur Zeit der Reformation Bestand hatterdquo782 und dass selbst der groszlige Maumlr-tyrer der Reformation der Spanier Michael Servetus von diesen Gruppen beein-flusst worden sein koumlnnte783

Obwohl eine genaue Kontinuitaumlt unmoumlglich zu erfassen ist zeigte die Tradition der Photinier der Nazarener und anderer eine Beharrlichkeit die trotz Verfol-gung letztlich durch die ungeheure Verwirrung des roumlmischen Dogmatismus wei-terleben wuumlrde Wir sehen dass diese Christologie und der Monotheismus schlieszliglich wie aus einem tiefen Winterschlaf herauskommen um Europa waumlh-rend der Aumlra der Socinianer der Radikalen Reformation im Sturm zu erobern784

779 Mattison p 11 Die meisten Paulicianer scheinen eine semi-gnostische dualistische Sicht der Schoumlp-

fung neben anderen gnostischen Ideen adoptiert zu haben Es wird jedoch angenommen dass die ebi-onitischen unitarischen Ansichten unter einigen von ihnen noch weitere tausend Jahre bestehen blieben Siehe Malcom Lambert Medieval Heresy Popular Movements from Bogomil to Hus Siehe Malcom Lambert Medieval Heresy Popular Movements from Bogomil to Hus (New York Homes amp Meier Publishers 1977) p 11

780 Im Jahre 431 n Chr schreibt Marius Mercator uumlber Bonosus und seine Anhaumlnger Sie wurden von ihren Kritikern sowohl als Ebioniten als auch als Photinier bezeichnet Siehe Samuel Macauley Jackson (ed) ldquoBonosus and the Bonosiansrdquo The New Schaff-Herzog Encyclopedia of Religious Knowledge (New York Funk and Wagnalls Co 1914) pp 231-232

781 Siehe Ferenc Frank Ehrenthal Szekely Origins and Radical Faith From Mongolia to Transylvania the Birth of Unitarianism (North Charleston CreateSpace 2014)

782 Albert Henry Newman A Manual of Church History Vol 1 (Philadelphia ABPS 1942) p 357 783 Mattison pp 12-13 784 Eine erfolgreiche reformatorische Tradition bluumlhte im 16 und 17 Jahrhundert auf Sie befuumlrwortete

die reine Menschheit Jesu [das Bloszlig-Mensch-Sein] und lehnte jede physische Praumlexistenz auszligerhalb des goumlttlichen Plans ab sie argumentierte mit dem Beginn Christi im Mutterleib Schaff schreibt bdquoDie so-cinianische Christologie unterscheidet sich vom Arianismus (der die Praumlexistenz und Inkarnation des Logos anerkannte) und aumlhnelt der Christologie der dynamischen Unitarier im dritten Jahrhundert (The-odotus Artemon Paulus von Samosata) die in Christus nur einen Menschen sahen obwohl uumlbernatuumlr-lich empfangen und mit goumlttlicher Kraft erfuumlllt Der socinianischen Christologie ging die Bewegung einiger antitrinitaumlren Baptisten (Denk Heizer etc) voraus) die als sbquoneue Samosatinerrsquo bezeichnet

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Es ist diese Tradition die heute in der modernen biblischen unitarischen Bewe-gung mit groszligem Enthusiasmus fortbesteht Aber was war uumlberhaupt die Ursache fuumlr den besagten bdquoWinterschlafrdquo Wie wir nun feststellen werden ist die Entste-hungsgeschichte des Trinitarismus vom spaumlten vierten Jahrhundert an in Wirk-lichkeit die Geschichte des Todeskampfes der Religionsfreiheit und der Veren-gung des christlichen Geistes begleitet von der staalichen Klinge des Schwertes

DerAufstiegdesOrthodoxenTrinitarismusDie schmerzhaften Folgen von Nicaumla brachten neue christliche Sekten hervor Viele hatten vehement auf die Einfuumlhrung des Nicaumlnums auch homoousiani-sches Glaubensbekenntnis genannt reagiert Darunter waren die Anomoumlische Kirche Sie betonte die scharfe Unterscheidung zwischen der unerschaffenen Sub-stanz des Vaters und der geschaffenen Substanz des Sohnes785 Aber es traten auch sehr viele Christen auf die sich zu einem neuen Lager entwickelten das die Ext-reme zu uumlberbruumlcken schien Diese bdquoHalb-Arianerrdquo [oder Semi-Arianer] glaub-ten dass der Sohn dem Vater bdquogleichrdquo oder bdquoaumlhnlichrdquo sei waren aber immer noch im Gegensatz zu den nicaumlnischen Befuumlrwortern die glaubten dass der Sohn aus der bdquogleichenrdquo Substanz [wie der Vater] sei Heftige Debatten entbrannten uumlber die Begriffe bdquogleiche Substanzrdquo (homoousios) versus bdquoaumlhnliche Substanzrdquo (ho-moiousios) zwei griechische Termini die sich offensichtlich nur durch ein bdquoirdquo (gr iota) unterscheiden Laut Edward Gibbon hat sich die Christenheit wegen des kleins-ten Buchstabens im griechischen Alphabet eines Iota gespalten786

Historiker der antiken Kirchengeschichte erinnern an eine interessante Episode die einen Einblick in den Stand der christlichen Theologie von der Mitte bis zum

wurdenrdquo (Philip Schaff Christ and Christianity (New York Scribners Sons 1885) S 95) Zwischen dem 16 und 18 Jahrhundert wurde dieser Glaube von verschiedenen Gruppen in Europa und Nordamerika getragen und vor allem in den Vereinigten Staaten populaumlr Diese theologische Tradition ist durch die Bewegung bdquoBiblische Unitarierrdquo bis ins 21 Jahrhundert ungebrochen geblieben Der Begriff der Bib-lischen Unitarier ist erst in den 1880er Jahren entstanden

785 Die Anomaumler (auch bekannt als die Heterousianer Aumltianer oder Eunomier) die beruumlhmten trini-tarischen Behauptungen entgegenwirkten indem sie nicht nur Argumente aus der Schrift verwendeten sondern ihnen auch geschickt auf dem Kampffeld der Philosophie begegneten Gegruumlndet von Aetius von Antiochia (397 n Chr) konzentrierten sich diese Christen ihre Bemuumlhungen auf die Homoousie und den Widerspruch der ewigen Zeugung des Sohnes Die nicaumlnischen Anhaumlnger hatten argumentiert dass Christus irgendwie obwohl er ewig ist tatsaumlchlich bdquogezeugtrdquo wurde und aus der Essenz Gottes bdquoerzeugtrdquo wurde Die Anomaumler argumentierten jedoch dass fuumlr Gott das ewige ungezeugteungeborene Wesen ein Akt der Zeugung einen Konflikt in seinem Wesen mit sich bringt Wenn der Sohn (der Gezeugte) im Wesentlichen Gott sei ist die Lehre selbst widerspruumlchlich da die Qualitaumlt des Nicht-Gezeugt-Seins fuumlr die Natur Gottes wesentlich und unabdingbar ist Deshalb hielten sie fest dass Jesus von einer ganz anderen Substanz sei als der Vater Ihre Geschichte ist lebendig und umfangreich Aufzeichnungen uumlber ihre Kirche sind in den Werken des anomoumlischen Kirchenhistorikers Philostorgius erhalten an die wir uns in einer Darstellung des Historikers Photios erinnert haben

786 See Gibbon Decline and Fall Ch 21

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Ende des vierten Jahrhunderts gibt Im Jahre 358 n Chr war Leontius (ein Aria-ner) Bischof von Antiochia geworden Ein anderer Bischof namens Flavian (ein Anhaumlnger Nicaumlas) versammelte eine Schar von Moumlnchen vor Leontius Kirche und begann lautstark eine neue Art von proto-trinitarischem Lied zu singen Eine alte Aufzeichnung erinnert an diesen Vorfall

Flavian von Antiochia war der erste der rief bdquoEhre sei dem Va-ter und dem Sohn und dem Heiligen Geistrdquo Einige von denen vor ihm hatten gesagt bdquoEhre sei dem Vater durch den Sohn im Heiligen Geistrdquo dies ist der beliebteste Ruf waumlhrend wieder andere sagten bdquoEhre sei dem Vater und dem Sohn im Heiligen Geistrdquo787

Wir entdecken hier eine Art der Zusammenfassung von drei Theologien Flavian und seine Truppe von Moumlnchen sangen ein bdquoneuesrdquo Lied das offenbar den Vater den Sohn und den Geist gleichermaszligen verehrte Aber das Vorlaumlufer-Modell und dasjenige das immer noch als das populaumlrste beschrieben wird war die subordi-nationistische Sichtweise der Sohn ist ein bdquoMittelrdquo fuumlr den Vater aber nicht das gleiche Wesen Schlieszliglich lobten einige bdquoandererdquo den Vater und den Sohn nicht aber den Geist Dies mag die semi-arianische Sichtweise repraumlsentieren (diejeni-gen die eine Form der Definition von Nicaumla akzeptierten aber geistig nicht in trinitarisches Gebiet vorgedrungen waren) Allerdings ist dies sicherlich die weit verbreitete Meinungsverschiedenheit uumlber den heiligen Geist zu dieser Zeit

Tatsaumlchlich hatte Nicaumla nicht versucht in diesem Punkt theologisch etwas zu re-geln Sogar nicaumlnische Christen fragten immer noch Ist der Geist eine andere Person Ist diese Person auch konsubstanziell mit Gott und Christus Ist er gleichberechtigt [gleichwertig] oder untergeordnet Das Bekenntnis von 325 n Chr hatte nur einen fluumlchtigen Hinweis auf den Status des Geistes gegeben bdquoWir glauben an den Heiligen Geistrdquo und sonst nichts Damals schien der Mangel an wei-teren Mutmaszligungen die Mehrheit der Bischoumlfe zu befriedigen und einzubezie-hen Ein Theologe der Epoche berichtet dass das Christentum Mitte bis Ende des vierten Jahrhunderts in diesem Punkt tatsaumlchlich noch stark gespalten war

Von den Weisen unter uns halten einige den Heiligen Geist fuumlr eine Macht andere fuumlr ein Geschoumlpf wieder andere fuumlr Gott und wie-der andere sind nicht bereit sich aus Ehrfurcht (wie man so schoumln sagt) fuumlr die Schrift zu entscheiden die nicht klar daruumlber spricht788

Obwohl die nicaumlnische Mehrdeutigkeit zuvor zufriedenzustellend war begannen die Argumente schlieszliglich doch zu brodeln Um 340 n Chr mit der Wahl des

787 Philostorgius Church History 3 13 See also Theodoret Hist Eccl 2 24 3 and Sozomen 3 20 8 788 Gregor von Nazianzus zitiert von Philip Schaff Samuel Macauley (ed) ldquoMacedoniusrdquo The New Schaff-

Herzog Encyclopedia of Religious Knowledge (Grand Rapids Baker House 1963) p 112

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brutalen Makedonius I ins Bistum Konstantinopel ruumlckte die Pneumatomachische Kontroverse in den Vordergrund Viele Christen auch unter denen welche die nicaumlnische bdquoHomoousierdquo akzeptiert hatten lehnten den weiteren Schritt dh die Goumlttlichkeit des Heiligen Geistes entschieden ab weil sie sich huumlteten offiziell noch eine dritte Person in die Gottheit aufzunehmen789 Entgegen dem landlaumlufi-gen Glauben war die gleichwertige Gottheit des Heiligen Geistes kein wesentli-ches Merkmal der fruumlhesten christlichen Theologie Das allererste Glaubensbe-kenntnis das uumlberhaupt eine ausfuumlhrliche Aussage uumlber den Geist enthielt war das bdquoWidmungsbekenntnisrdquo [Dedication Creed] von 341 n Chr [eines der vier Bekenntnisse von Antiochia] und erst in den 350er Jahren begann eine ernsthafte Debatte uumlber die Natur des Geistes790 Im Jahre 357 finden wir die fruumlheste sys-tematische Verteidigung der Position des Heiligen Geistes innerhalb der Dreifal-tigkeit geschrieben von keinem anderen als von Athanasius selbst791 Es war in der Zuruumlckgezogenheit seines dritten Exils dass Athanasius von seinem Freund Serapion wegen des weit verbreiteten Widerstands gegen die gleichwertige Goumltt-lichkeit des Geistes kontaktiert wurde So war Athanasius gezwungen seinen Brief uumlber den Heiligen Geist zu schreiben der uns heute ein Fenster des Verstaumlndnisses oumlffnet uumlber den Fortschritt den das trinitarische Dogma in der Mitte des vierten Jahrhunderts machte Unser Blick bestaumltigt dass es noch immer keine orthodoxe trinitarische Formel gab Athanasius hatte daher nicht nur Schwierigkeiten aus-zudruumlcken wie alle drei Glieder jeder Gott sein sollen ohne in den Polytheismus zu verfallen Er weist sogar jeden zurecht der die Angelegenheit zu genau unter-suchen wollte

Wenn man fragen wuumlrde wie kann es wirklich eine Dreifaltigkeit sein wenn die drei als eine dargestellt werden Ein solcher Fra-gesteller soll damit beginnen die Ausstrahlung vom Licht zu tren-nen oder die Weisheit von dem der weise ist oder er soll selbst

789 bdquoPneumatomachenrdquo bedeutet bdquoKaumlmpfer gegen den Geistrdquo Sie akzeptierten zwar die We-

sensgleichheit Jesu Christi als des Sohnes Gottes mit Gott dem Vater die das erste Oumlkume-nische Konzil (Nizaumla 325) in seinem Bekenntnis festgeschrieben hatte waren jedoch nicht bereit diese Lehre auch auf den Heiligen Geist auszudehnen Der Anfuumlhrer dieser Bewegung gegen die gleichberechtigte Gottheit des Geistes war angeblich Makedonius I der Bischof von Konstantinopel der etwa sechs Jahre lang bis zu seinem Tod um 360 regierte Sokrates Scholasticus charakterisierte die Taten des Makedonius im Namen des Glaubens als bdquoMorde Schlachten Einsperrungen und Buumlrgerkriegerdquo (Sokrates Kirchengeschichte 2 38) Wir fin-den dass die Bewegung nach dem Konzil von Konstantinopel im Jahr 381 die Dreifaltigkeit bleibend verfestigte

790 Gwynn p 90 791 Ebenso Siehe auch Freeman Closing of the Western Mind p 190 Circa vier Jahre spaumlter verfasste Hilary

von Poitier die erste Verteidigung vom Vater Sohn und Heiligen Geist in Latein

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sagen wie diese Dinge sein koumlnnen Aber wenn ihm das nicht moumlg-lich ist wie viel mehr ist es dann die Anmaszligung von Wahnsinnigen diese Dinge in Bezug auf Gott zu untersuchen792

Tatsaumlchlich fehlte der unterentwickelten Theorie des Athanasius die noumltige Spra-che um nicht einfach den Monotheismus aufzuheben Offenbar befand sich der Bischof zwischen Hammer und Amboss Auf der einen Seite zog die Betonung der Unterscheidung von Vater Sohn und Geist den Glauben in Richtung Aria-nismus auf der anderen Seite zog ihn die Betonung der Einheit Gottes in Rich-tung Sabellianismus mit dem Athanasius gar nicht einverstanden war Trotz al-lem war es offensichtlich dass Vater Sohn und Geist in irgendeinem Sinne doch verschieden waren aber der Sabellianismus war bereits von fruumlheren Konzilen als Ketzerei verurteilt worden Einer von Athanasiussbquo Zeitgenossen Marcellus von Ancyra (derselbe Marcellus der lautstark gegen die Verwendung der valenti-nianisch-gnostischen Modelle protestiert hatte) war sogar vor kurzem um 336 n Chr aus seinem Bistum wegen sabellianischer Ansichten ausgeschlossen wor-den Interessanterweise hatte Marcellus behauptet dass wenn Vater und Sohn von der gleichen Substanz und von der gleichen Hypostase waumlren wie es in den Begruumlndungen der Anathemas von Nicaumla hiess es uumlberhaupt keine Spaltung in Gott gaumlbe - Vater und Sohn waumlren ein und derselbe793 Aber der postnicaumlnische Glaube war nun so uumlber die griechischen philosophischen Begriffe verwirrt dass nicht einmal das woumlrtliche Zitieren des strikten Textes von Nicaumla Sicherheit ga-rantieren konnte Nein Athanasius konnte es sich auch nicht leisten die Einheit Gottes uumlber die Vielfalt Gottes zu betonen - die Loumlsung lag wahrscheinlich ir-gendwo in der Mitte in einem Kompromiss Aber am Ende war dies doch ein Prob-lem das Athanasius nicht zu loumlsen vermochte Dieses prekaumlre Raumltsel wuumlrde die Bemuumlhungen der Kappadokischen Vaumlter erfordern

Die Kappadokischen Vaumlter drei Theologen aus der oumlstlichen Region Kleinasiens [die heutige Tuumlrkei] begannen eine neue Philosophie auszuarbeiten welche der Lehre von der Dreifaltigkeit letztlich eine definitive Gestalt geben sollte794 Basi-lius der Groszlige (330-379 n Chr) Gregor von Nazianz (329-389 n Chr) und Gregor von Nyssa (332-395 n Chr) bemuumlhten sich einige der kritischsten Prob-

792 Athanasius Letter on the Holy Spirit 1 20 793 bdquoDie Sprachregelung von Nicaumla sah Gott nur als eine Hypostaserdquo (Thomas Marsh The Triune God

(Eugene Wipf amp Stock 1994) p 120) Dementsprechend stimmen wir mit Marcellus von Ancyra uumlberein bdquoMarcellus bestritt unerbittlich dass man uumlber zwei (oder drei) Hypostasen in Gott sprechen koumlnnte Eine solche Bezeichnung wuumlrde entweder zwei Goumltter postulieren oder alternativ die volle Goumlt-tlichkeit des Sohnes leugnenrdquo (Tarmo Toom Classical Trinitarian Theology A Textbook (New York T amp T Clark 2007) p 97)

794 Ryrie p 65

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leme des Systems von Athanasius anzugehen Erstens hatte Athanasius als Ori-genist die Begriffe bdquoOusiardquo und bdquoHypostaserdquo austauschbar verwendet Wie fuumlr Origenes war auch fuumlr Athanasius eine bdquoHypostasisrdquo ein individuelles Wesen Dies hatte Origenes der geglaubt hatte dass Christus von anderer Substanz und anderer Hypostase sei als der Vater keine Schwierigkeiten bereitet er erkannte die drei Glieder der Triade gerne als unterschiedliche Wesen an Aber fuumlr Atha-nasius der uumlberzeugt war dass Christus von der gleichen Substanz (homoousios) wie der Vater sei war es unmoumlglich die beiden zu unterscheiden um den Sabel-lianismus zu vermeiden solange die traditionelle Definition der Begriffe erhalten blieb Diese Uumlberarbeitung der Begriffe wurde zum groszligen Projekt der Kappado-kier

Nach Ansicht der Kappadokier war die Verwendung von bdquoHypostaserdquo als Syno-nym fuumlr bdquoOusiardquo ein grober Fehler Stattdessen postulierten sie dass Vater Sohn und Heiliger Geist tatsaumlchlich drei verschiedene Hypostasen innerhalb einer einzigen Ousia seien Fuumlr sie bedeutete bdquoHypostasisrdquo nicht Wesen sondern bdquoPersonrdquo oder bdquoPersoumlnlichkeitrdquo Die drei waren persoumlnliche Einheiten die in der einen goumlttlichen Substanz Gottes wohnten oder diese miteinander teilten Eine kuumlrzlich durchge-fuumlhrte Studie stellt fest dass bdquodas Ausmaszlig in welchem sich die Kappadokischen Vaumlter von der anfaumlnglichen Bedeutung des Begriffs Hypostase (Wesen) in Rich-tung Ousia (Essenz oder Substanz) bewegten und zur Achse des Prosopons (Per-son) gelangten ist eine Frage die wohl noch immer von der Wissenschaft dis-kutiert wirdrdquo795 Aber haben wir in unserer eigenen Studie nicht auch schon einen gnostischen Praumlzedenzfall beobachtet Tatsaumlchlich hatte weder Plotinus noch O-rigenes in dieser Weise argumentiert Wie Hanson bestaumltigt scheint der Neopla-tonismus hier bdquowenig Wirkungrdquo gezeitigt zu haben796 Aber die Gnostiker hatten die bdquoHypostasenrdquo in Gottes Fuumllle [Pleroma] als konsubstanzielle Personen ange-sehen die sich aus den charakteristischen Eigenschaften Gottes ableiteten797 Die von den Kappadokiern eingefuumlhrte definitive Formel bdquodrei Hypostasen in einer Ou-siardquo kann sehr wohl eine geschickte orthodoxe Neuformulierung eines bereits weit verbreiteten Modells der gnostischen Welt darstellen Haben die Kappado-kier direkt aus gnostischen Traditionen geschoumlpft Oder war dieses Modell ein-fach das unvermeidliche Ergebnis der angeblichen Gottheit Christi eines Sys-tems zu dem die gnostischen Theologen die von einer alles kontrollierenden monolithischen Orthodoxie unbelastet sind bereits mehr als zweihundert Jahre

795 Matthew W Bates The Birth of the Trinity Jesus God and Spirit in New Testament and Early Chris-

tian Interpretations of the Old Testament (Oxford OUP 2015) p xli emphasis added 796 Hanson p 872 797 bdquoDie valentinianischen Aumlonen wurden als so viele verschiedene Persoumlnlichkeiten angesehen die nach

menschlicher Analogie hergestellt wurdenrdquo (Smith Wace (ed) ldquoIrenaeusrdquo A Dictionary of Christian Bi-ography Vol 3 (London John Murray 1882) p 269)

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zuvor gelangt waren In diesem Bereich sind bestimmt weitere Studien erforder-lich Sicher ist jedoch dass das kappadokische Modell unglaublich umstritten war und auf breiter Basis nicht ohne ernsthaften politischen und theologischen Kampf angenommen wurde So bedeutet bdquoHypostaserdquo nach Ansicht der latei-nischsprachigen Gelehrten im Westen immer noch bdquoSubstanzrdquo (substantia) Als die Kappadokier sagten es gaumlbe drei Hypostasen ging ihre sorgfaumlltige Unter-scheidung zwischen bdquoWesenrdquo und bdquoPersonrdquo bei den westlichen Theologen meist verloren sie sahen nur den Tri-Theismus - und wenn es drei Substanzen gab mussten es drei Goumltter sein

Ein wichtiges Thema stellt sich hier zur Diskussion Die notwendigen verbalen Zusammenhaumlnge der Orthodoxie sind in unserer Zeit nur noch nebliger gewor-den waumlhrend der Kampf um das Dogma auch heute noch die gleiche Verwirrung und Unsicherheit mit sich bringt wie im vierten Jahrhundert Eine ganze Dogma-tik und sogar die eigene Erloumlsung haumlngen von einem einzigen Wort ab oder be-ruhen auf einem einzigen Buchstaben den wir heute kaum noch von einem an-deren unterscheiden koumlnnen Wie ein fuumlhrender trinitarischer Theologe zugege-ben hat bdquospielten die Ideen von sbquoSubstanzrsquo sbquoPersonrsquo (im trinitarischen Sinne) und sbquoNaturrsquo eine absolut entscheidende Rolle in der antiken Theologie sind aber fuumlr uns kaum nachvollziehbar Oder sie fuumlhren wenn sie ohne Kommentar verwen-det werden unweigerlich zu groben Missverstaumlndnissenrdquo798 Die Abgrenzungen der Kirchenvaumlter waren nicht biblisch fundiert zudem schwankten sie in ihrer Bedeutung Ihre Missachtung koumlnnte Verdammnis nach sich ziehen diejenigen die sich zu einen Zeitpunkt als kirchlich orthodox waumlhnten sahen sich im naumlchs-ten Moment ploumltzlich in Gefahr exkommuniziert zu werden

Aber die westlichen Theologen scheinen mit ihrer Warnung vor dem Polytheis-mus Recht gehabt zu haben Die gnostischen Christen werden bis heute in popu-laumlren Diskussionen in der Tat oft noch der Vielgoumltterei beschuldigt Aber wenn sie als Polytheisten angesehen werden dann koumlnnte man dasselbe uumlber den kap-padokischen Trinitarismus sagen beide repraumlsentieren philosophische Versionen des Monotheismus die zwischen dem Wesen Gottes und darin existierenden Per-soumlnlichkeiten oder Hypostasen unterscheiden Athanasius selbst zoumlgerte mit der seltsamen pseudo-polytheistischen Tendenz die seine Theologie unter der Lei-tung der juumlngeren Kappadokier einschlug799 Harnack notiert dazu

Die Kappadokier Theologen die den Glauben des Athanasius mit der damaligen Philosophie versoumlhnt und ihn abstrakt verstanden

798 Brunner p 70 799 bdquoOffensichtlich dachte Athanasius dass Hypostase in theologischen Kontexten immer Ousia bedeu-

tete und dass wenn jemand von drei Hypostasen sprach drei Ousiai wahrscheinlich verschiedene Ousiai bedeuten muumlssten und er so auf dem besten Weg zum Arianismus [oder zum Polytheismus] sein muumlssteldquo (Hanson p 445)

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haben behielten seine Lehre nicht simpel und rein Dies zeigt sich besonders an ihrer fragwuumlrdigen Behauptung die christliche Got-tesvorstellung sei der wahre Mittelweg zwischen Juden und Grie-chen Mutig charakterisierten sie die Pluralitaumlt der Hypostasen als eine im griechischen Polytheismus erhalten gebliebene Phase der Wahrheit Athanasius hatte verstaumlndlicherweise keine ungetruumlbte Freude an ihrer Arbeit800

Die kappadokische Vision von einer Ousia und drei Hypostasen bdquowar keine For-mel die Athanasius jemals benutzt hat oder haumltte verwenden wollenrdquo801 Den-noch verlieszlig Athanasius trotz aller Unannehmlichkeiten die Anathemas die er in Nicaumla mitformuliert und durchgesetzt hatte und passte sich der kappadokischen Sprache an um eine einheitliche Front gegen die Subordinationisten zu bilden Wie Schaff feststellt hatte Athanasius zwar bdquoHypostaserdquo tatsaumlchlich als bdquoSub-stanzrdquo bezeichnet verzichtete aber in seinen mittleren und spaumlteren Schriften bdquoauf deren weitere Verwendungrdquo802 Ein Historiker fasst zusammen

So wurden griechische philosophische Begriffe die an sich kom-plex waren angepasst und uumlbernommen um eine Loumlsung zu fin-den die es ermoumlglichte die nicaumlnische Formel zu bekraumlftigen und den Heiligen Geist in der Dreifaltigkeit zu integrieren ohne zum Sabellianismus (Modalismus) zuruumlckzukehren Die Lehre der Drei-faltigkeit ist derart tief in die christliche Tradition eingebettet wor-den dass man leicht vergessen koumlnnte wie prekaumlr ihr Beginn war Fuumlr die Kappadokier scheint sie in der Tat eine Kompromissformel gewesen zu sein Im Christentum mussten sie auch einen Mittelweg zwischen dem disqualifizierten Arianismus und dem Sabellianis-mus finden In einer breiteren Welt stand die Dreieinigkeitslehre zwischen der juumldischen Vorstellung von einem monotheistischen Gott in dessen Anbetung Jesus und der Heilige Geist keinen Platz hatten und dem griechischen Polytheismus dem es nicht schwer fiel Jesus und den Geist als geringere Gottheiten zu akzeptieren Gregor von Nyssa schlug vor bdquoEs ist als ob die Zahl der Drei im

800 Adolph von Harnack History of Dogma Vol 3 (Boston Little Brown and Co 1907) pp 142-143

(Dogmengeschichte) 801 David M Gwynn Athanasius of Alexandria Bishop Theologian Ascetic Father (Oxford OUP 2012)

p 98 802 Schaff Wace Nicene and Post Nicene Fathers Vol IV p 80 unsere Hinzufuumlgung

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Falle derer die sich irren was den Einen anbetrifft Abhilfe schaf-fen wuumlrde und die Behauptung der Einheit fuumlr diejenigen deren Glaube uumlber eine Reihe von Gottheiten hinweggegangen istrdquo803

Dass diese Trinitaumltsformel ein Kompromiss zwischen nicht nur der sabelliani-schen und der arianischen Position sondern auch zwischen Monotheismus und Polytheismus war ist weithin anerkannt Wie Wolfson zusammenfasst

Die Loumlsung durch Harmonisierung ist ein Versuch wie Gregor von Nyssa es charakterisiert den Monotheismus der Juden und den Po-lytheismus der Griechen zu kombinieren Die von ihnen ange-wandte Harmonisierungsmethode bestand darin den juumldischen Monotheismus als Zugestaumlndnis an die griechische Philosophie stark zu verduumlnnen804

Aber die Trinitarier waren hier keine echten Innovatoren Moderne Gnostiker wie der gnostische Gelehrte Stephen A Hoeller erklaumlren dass bdquodas gnostische Gotteskonzept die Erkenntnis von Monotheismus und Polytheismus ver-eintrdquo805 Andere wie der produktive Samael A Weor enthuumlllen die gnostische Theologie gleichermaszligen als bdquodie Synthese von Polytheismus und Monotheis-musrdquo und verkuumlnden bdquoVielfalt ist Einheitrdquo806 Dies ist kaum uumlberraschend das gleiche Lied des Trinitarismus die Kappadokier erklaumlrten ebenfalls eine mysti-sche bdquoVielfalt-in-der-Einheit und Einheit-in-der-Vielfaltrdquo807 Natuumlrlich wie Pro-fessor Werner schreibt bdquowar nicht nur der Gnostizismus sondern auch die Lehre der kirchlichen Theologen aus der Sicht eines strikten [juumldischen] monotheisti-schen Kriteriums fehlerhaftrdquo808

MitTheodosiuswendetsichdasBlattDer Kaiser Valens war ein bekennender Arianer gewesen der die Sache des Sub-ordinationismus im Osten des Reiches aufrechterhielt Valens ploumltzlicher Tod in der verheerenden Schlacht von Adrianopel (das heutige Edirne in der Tuumlrkei

803 Freeman Closing of the Western Mind p 190 unsere Hinzufuumlgung 804 Harry Austryn Wolfson The Philosophy of the Church Fathers (Cambridge Harvard University Press 1970)

pp 578-579 unsere Hinzufuumlgung 805 Stephen A Hoeller ldquoThe Gnostic Worldviewrdquo The Gnosis Archive Web 13 December 2015 Hoeller

ist Wissenschaftler und Real Bischof in der Gnostischen Kirche 806 Samael Aun Weor The Revolution of the Dialectic (Glorian Publishing 2010 [1983]) p 3 Weor ist der

Gruumlnder der modernen Universal Christian Gnostic Bewegung 807 Gregor von Nyssa ldquoUnity in Diversityrdquo (Einheit in der Vielfalt) zitiert in den Mystischen Schrif-

ten des Gregory of Nyssarsquos Mystical Writings translated and edited by Herbert Mursillo (Crest-wood NY St Vladimirrsquos Seminary Press 1979)

808 Martin Werner zitiert in Buzzard Jesus Was Not A Trinitarian p 320 (Jesus war kein Trinitarier)

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Anm des Uuml) im Jahre 378 n Chr sollte die christliche Welt jedoch fuumlr immer veraumlndern Da Valens keinen Erben hatte fuumlhrte eine politische Formalitaumlt zur Ernennung von Theodosius I einem Militaumlrkommandanten zum Kaiser Theo-dosius aber war ein Anhaumlnger von Nicaumla Er entpuppte sich vor allem als ein unbesonnener Tyrann mit einer fanatischen Neigung zur Intoleranz Er schreckte auch nicht vor der Gesetzlosigkeit zuruumlck seine eigenen Untertanen in einem Massaker umzubringen809 Wenn es jemals einen einzelnen Magistraten gab dem man die Verwandlung des christlichen Glaubens in einen totalitaumlren Zwangsapparat zur Last legen koumlnnte dann war es Theodosius selbst die haumlrtes-ten Verbannungen und gemeinsten Drohungen von Kaiser Konstantin I verblas-sen im Vergleich zu Theodosius unverschaumlmten weltlichen Einfluss den er auf die Etablierung des bdquorettenden Glaubensrdquo ausuumlbte

Theodosius nuumltzte eine [fuumlr Rom] glorreiche militaumlrische Niederlage der Barbaren aus und unternahm einen Blitzkrieg auf die Stadt Konstantinopel einer der Hauptstaumldte des Roumlmischen Reiches (sie war zugleich das Zentrum des Arianis-mus) Er naumlherte sich ihr reitend an der Spitze einer Angst einfloumlszligenden Armee Als er in die Stadt eindrang wandte er sich in einer eindruumlcklichen bdquoPropagan-dashowrdquo810 vor allem Volk an den dortigen arianischen Bischof und verlangte dass er das nicaumlnische Bekenntnis akzeptiere Da der Bischof sich weigerte wurde er kurzerhand verbannt Trotz des Protestes der versammelten Menschenmassen die den arianischen Klerus unterstuumltzten vertrieb Theodosius selbstherrlich die gesamte arianische Fuumlhrung aus der Stadt Er setzte mit Waffengewalt seine von ihm selbst ausgewaumlhlten Verwalter ein die sich an die homoousianische Defini-tion hielten811 Den Arianismus kriminalisierte er offiziell und verbannte aus-druumlcklich bdquodie Verseuchung der photinischen Pestrdquo812 So waren alle Christolo-gien die in Jesus nur einen Menschen sahen sowie alle unitarischen Ansichten uumlber Gott mit einem Schlag illegal Praktisch uumlber Nacht musste die aufbluumlhende

809 390 n Chr wurde ein beliebter Wagenfahrer wegen versuchter Vergewaltigung festgenommen Die

Menschen in Thessaloniki forderten seine Freilassung aber nach der Ablehnung durch den Magistraten kam es in der Stadt zu einem Aufstand Wuumltend sandte Theodosius seine Armee und massakrierte Tausende seiner Buumlrger Eine Historikerin schrieb bdquoDer Zorn des Kaisers stieg auf die houmlchste Stufe und er befriedigte sein rachsuumlchtiges Verlangen indem er das Schwert am ungerechtesten und tyran-nischsten gegen alle ausstieszlig und die Unschuldigen und Schuldigen gleichermaszligen toumltete Es wird gesagt siebentausend starben ohne jede Form von Gesetz und ohne auch nur ein Gerichtsurteil uumlber sie ver-haumlngt zu haben Sie wurden sie wie Aumlhren zur Zeit der Ernte gleichermaszligen niedergemaumlhtrdquo (Theo-doretus Church History 5 17)

810 Charles Freeman AD 381 (New York The Overlook Press 2009) p 23 811 bdquoDie Saumluberungsaktion gegen den Arianismus war nicht einfach eine lokafe Angelegenheit wie es gerne

von ihren Gegner dargelegt wird Die arianische Priesterschaft wurde von breiten Demonstrationen unterstuumltzt waumlhrend in Konstantinopel die neuen nicaumlischen Priester mit Waffengewalt installiert wurden wobei einige ariansiche Priester konvertierten und so ihre Posten behieltenrdquo (Stephen Williams Gerard Friell Theodosius The Empire At Bay (London B T Batsford 1994) p 41)

812 Ebenso p 42

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trinitarische dh die kappadokische Interpretation des nicaumlnischen Glaubens akzep-tiert werden ansonsten den Gegnern die Todesstrafe drohte Weitgehend unbe-kannt in christlichen Kreisen ist heute die Tatsache dass Theodosius bereits vor dem angeblich bdquooumlkumenischenrdquo Konzil von Konstantinopel den Glauben an die Dreifaltigkeit zum Gesetz dekretiert hatte lange bevor die Versammlung daruumlber abstimmen konnte Im Januar 380 n Chr erliess Theodosius fuumlr die Bevoumllkerung von Konstantinopel das folgende Edikt

Wir glauben an die einzige Gottheit des Vaters des Sohnes und des Heiligen Geistes unter dem Begriff der gleichen Majestaumlt und der Heiligen Dreifaltigkeit Wir befehlen dass Personen die dieser Re-gel folgen den Namen katholische Christen annehmen Der Rest jedoch den Wir fuumlr wahnsinnig und verruumlckt halten wird die Schande der ketzerischen Dogmen tragen Ihre Versammlungsstaumlt-ten duumlrfen nicht den Namen Kirchen tragen und sie werden ers-tens durch die Goumlttliche Rache und zweitens durch die Vergeltung der Feindschaft geschlagen die wir gemaumlszlig dem Goumlttlichen Gericht ausfuumlhren werden813

Die arianische Geistlichkeit in Konstantinopel war gegen Theodosius machtlos Wie das roumlmische Sprichwort sagt bdquoFalsum etiam est verum quod constituit superiorrdquo (Falsch wird wahr wenn der Chef es entscheidet) So verlagerte sich der Fort-schritt der Christenheit wieder in Richtung einer Bestaumltigung der nicaumlnischen Ho-moousie diesmal jedoch nicht nur zwischen Vater und Sohn sondern ausge-dehnt auf die drei Hypostasen der Kappadokier Es war zweifellos ein neuer Maszlig-stab der nicht durch die Kraft eines wirklich oumlkumenischen Dekrets sondern durch die Tyrannei einer gewaltbereiten Regierung erreicht wurde

Um seine eigene theologische Kontrolle uumlber die Stadt weiter zu staumlrken er-nannte Theodosius aus strategischen Uumlberlegungen den kappadokischen Pater Gregor von Nazianz zum Bischof von Konstantinopel Der Kaiser fuumlhrte Gregor mit groszligem Pomp und Fanfaren in die Stadt ein aber dennoch bdquobedurfte es einer strengen Bewachung vor der johlenden Menge Gregor selbst ein sanfter Mann erzaumlhlte traurig dass das [Ereignis] eher dem Einzug eines feindlichen Eroberers in eine besiegte Stadt glichrdquo814

Bevor sich Gregor uumlberhaupt niedergelassen hatte unternahm Theodosius den Glauben im gesamten Reich ein fuumlr alle Mal zu festigen und zwar zu Bedingun-gen die fuumlr seine Ansichten guumlnstig waren Der Kaiser rief im Mai 381 n Chr

813 The Theodosian Code 16 1 2 quoted in Freeman AD 381 p 25 814 Williams Friell Theodosius p 41

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einhundertfuumlnfzig Bischoumlfe nach Konstantinopel Wie Historiker jedoch festge-stellt haben gab es praktisch keine Vertretung aus dem Westen tatsaumlchlich trafen sich die Bischoumlfe des Balkans an einem eigenen Konzil um das andere [von Kon-stantinopel] zu verurteilen815 Dennoch waren unter den Teilnehmern in Kon-stantinopel sechsunddreiszligig der Pneumatomachianer die sich der Idee der gleich-wertigen Gottheit des Heiligen Geistes widersetzten Hier wollte Gregor von Na-zianz sie besiegen indem er eine Abstimmung erzwang Diese betraf die Kon-substanzialitaumlt des Geistes sowie die neuen Formeln die er und seine kappadoki-schen Gefaumlhrten ausgearbeitet hatten und die bereits in Konstantinopel zum Ge-setz erklaumlrt worden waren Aber die Teilnehmer akzeptierten Gregors Mandat nicht ohne Protest Gregor selbst erinnert sich an die Szene im Konzil bdquoSie kreischten auf jeder Seite wie eine Schar von Dohlen die alle auf eine Sache bedacht waren Maumlnner die nicht einmal ein Herrscher reiferen Alters und mit Autoritaumlt oder indem er ihnen Angst machte zur Vernunft bringen koumlnnterdquo816 Wenige Details des Verfahrens sind erhalten geblieben aber letztendlich haben die pneumatomachianischen Bischoumlfe das Konzil verlassen Frustriert be-schimpfte Gregor bdquodie Bischoumlfe weil sie es vorzogen eine Mehrheit zu bilden anstatt einfach nur das sbquoGoumlttliche Wortrsquo der Dreifaltigkeit in seiner Vollmacht anzunehmenrdquo817 In einer seltsamen Wendung der Ereignisse musste der in Ver-legenheit geratene Gregor schlieszliglich seinen Vorsitz uumlber das Konzil von Kon-stantinopel aufgrund einer politischen Formalitaumlt zugunsten seiner Gegner nie-derlegen So gesehen war das Konzil des Theodosius eine Katastrophe

Sein eklatanter Versuch die Dreifaltigkeit einfach durchzusetzen hatte negative Folgen Um diese zu mildern setzte Theodosius einen anderen Mann an Gregors Stelle ein Nektarius Dieser war eine politisch gutmuumltige Figur in der Theologie voumlllig ungeschult und zum Zeitpunkt seiner Amtszeit noch nicht einmal als Christ getauft Aber unter Nektarius hat das Konzil eine wichtige Aktualisierung vorge-nommen das urspruumlngliche nicaumlnische Credo wurde mit einer wenn auch nur kurzen Erwaumlhnung des Geistes erweitert

Und [wir glauben] an den Heiligen Geist den Herrn und Spender des Lebens der vom Vater ausgeht der mit dem Vater und dem Sohn gemeinsam verehrt und verherrlicht wird der durch die Pro-pheten geredet hat818

Diese Formulierung erwies sich jedoch immer noch als eine schwere Schlappe fuumlr Theodosius und Gregor Sie hatten den Wunsch gehegt die kappadokische

815 Freeman Closing of the Western Mind p 302 816 Gregor von Nazianz zitiert in Freeman AD 381 p 96 817 Ebenso 818 Nicaeno-Constantinopolitanisches Credo von 381 CE

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Trinitaumltsformel durchzusetzen Das uumlberarbeitete Bekenntnis von 381 n Chr das zwar nun die Persoumlnlichkeit des Heiligen Geistes uumlber die urspruumlngliche nicaumlnische Definition hinaus betonte aber dennoch nicht seine gleichwertige Goumlttlichkeit des Geistes oder seine bdquoHomoousiosrdquo mit dem Vater oder dem Sohn erwaumlhnte Wie Freeman erklaumlrt ist dies der Beweis dafuumlr dass bdquoGregors Formel abgelehnt wurderdquo denn bdquodie Form in der das Glaubensbekenntnis jetzt verwen-det wird enthaumllt keine Aussage die eine Dreieinigkeit von drei konsubstanziellen Personen bestaumltigt Es kann davon ausgegangen werden dass es uumlber die Natur des Heiligen Geistes keinen Konsens gabrdquo819

Dennoch hatte es Konstantinopel durch eine Reihe anderer komplizierter politi-scher Dekrete in Bezug auf die Autoritaumlt der Bischoumlfe tatsaumlchlich geschafft die Macht von Kaiser Theodosius I uumlber die Kirche zu festigen820 Kurz nach dem Ende des Konzils erliess Theodosius ein neues Dekret das umgekehrt die Or-thodoxie im ganzen Reich definierte Aber der Erlass erwaumlhnte das uumlberarbeitete Glaubensbekenntnis nicht das kurz zuvor vom Konzil vereinbart worden war Stattdessen wurde dekretiert dass Vater Sohn und Heiliger Geist drei Personen in einer Gottheit sind Das Ergebnis war wieder einmal mehr ein weit verbreiteter chaotischer und letztlich sinnloser Widerstand Im Wesentlichen war Konstan-tinopel eine Farce Die Professoren der kappadokischen Philosophie waren eine Minderheitengruppe deren Ideen eine weltliche Autoritaumlt auf einmal und mit Nachdruck zur einzigen christlichen Wahrheit erklaumlrte Die Thesen wurden nach dem Konzil innert kurzer Zeit noch umstrittener Aus dem Osten des Reiches kamen Meldungen uumlber weit verbreitete Ausschreitungen von Christen821 Gre-gor von Nazianz und seine Gefaumlhrten konnten kaum mehr auf die Straszlige gehen ohne von Protest begleitet und in Debatten hineingezogen zu werden

Hier erinnert uns Freeman daran dass bdquoTheodosius keinen eigenen theologi-schen Hintergrund hatte und dass er als Dogma eine Formel mit unuumlberwindba-ren philosophischen Problemen einfuumlhrte die er im Grunde gar nicht wahrnahm Wohl hatten die Gesetze des Kaisers die Debatte zum Schweigen gebracht aber die Probleme waren noch ungeloumlstrdquo822 Wir koumlnnen uns jetzt nur fragen welche Richtung die christliche Theologie eingeschlagen haumltte waumlre die unitarische Fuumlh-rung nicht gewaltsam durch den Staat entfernt worden Was wenn der Kirche erlaubt worden waumlre die kappadokischen Ideen objektiver zu hinterfragen Al-lem voran brachte die Regelung uumlber den Heiligen Geist endlose theologische

819 Freeman AD 381 p 98 820 Ebenso p 99 821 Freeman Closing of the Western Mind p 309 822 Ebenso p 103

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Schwierigkeiten mit sich welche die Orthodoxie selbst bis heute weiterhin pla-gen Ein Professor fuumlr Theologie an der Universitaumlt Cambridge fasst das neue Dilemma zusammen das von Konstantinopel ausgeloumlst und gefoumlrdert wurde

Im vierten Jahrhundert wurde die orthodoxe Lehre von der Goumltt-lichkeit des Heiligen Geistes schlieszliglich ausgearbeitet sie behaup-tete die Lehre von einer dritten bdquoPersonrdquo in der Gottheit Doch schon bald war es unmoumlglich diese Einheit von den beiden ande-ren zu unterscheiden Das stellte ein theologisches Problem dar Wenn der Geist weder geschaffen noch gezeugt wurde waumlre er ein zweites Generationsprinzip Es gaumlbe zwei Vaumlter Wenn er gezeugt beziehungsweise geboren wurde gaumlbe es zwei Soumlhne823

Die Schwierigkeit dieser Situation darf nicht uumlbersehen werden Das Dogma von der gleichen respektive von der gleichwertigen Goumlttlichkeit des Vaters und des Sohnes als zwei verschiedene Personen sollte Polytheismus vermeiden weil die eine auf ewig aus der anderen [Person] hervorgeht Aber was ist mit dieser dritten Person Woher kam sie und auf welche Weise entstand sie Wie koumlnnte die Exis-tenz dieser anderen angeblich ebenso voumlllig goumlttlichen Einheit nicht gegen die bestehende Beziehung der beiden anderen Mitglieder verstoszligen oder einen wei-teren ungeschaffenen oder ewigen Gott hervorbringen Diese verwirrenden the-ologischen Schwierigkeiten wurden einfach unter den Teppich gekehrt trotz des lautstarken Widerstands vieler Christen

Wie wir sehen werden war eine Methode die von den Kappadokiern verwendet wurde um die verheerenden Reaktionen auf ihre Formel zu lindern zuerst feier-lich zu erklaumlren dass es unmoumlglich sei Gott zu kennen Dann wurde erklaumlrt dass zu viel uumlber ihn nachzudenken nicht nur sinnlos sondern auch gefaumlhrlich war und an Blasphemie grenze Diejenigen die diese Situation nicht ertragen konnten wurden von der Regierung von Theodosius umgehend verunglimpft oder gleich hingerichtet Die Lehre der Dreifaltigkeit war da um zu bleiben Alle abweichen-den Stimmen sollten ob leise oder nicht im Hintergrund verstummen In der endguumlltigen Analyse der turbulenten Reise der Trinitaumltsthese nach 381 n Chr wird klar dass bdquodiese Lehre nur deshalb orthodox geworden ist weil sie vom Staat durchgesetzt wurderdquo824 Das Jahr 381 n Chr ist

ein entscheidender Moment in der klassischen und europaumlischen Geschichte Noch nie zuvor hatte es in der griechischen oder rouml-

823 G W H Lampe Explorations in Theology Vol 8 (London SCM Press 1981) p 30 (Ermah-

nungen in der Theologie) 824 Freeman AD 381 p 164

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mischen Welt eine so weitreichende Auferlegung eines einzigen re-ligioumlsen Glaubens neben der aktiven Unterdruumlckung von Alterna-tiven gegeben Theodosius Dekrete waren besonders schrecker-regend [Denn] bis in die 360er Jahre galt das Prinzip der Redefrei-heit und des Denkens Die Hofredner verkuumlndeten es als wesentlich fuumlr eine gesunde Gesellschaft Aber dann wurde die freie Diskus-sion uumlber spirituelle Fragen in der christlichen Welt ploumltzlich ein-geschraumlnkt und zwar sollte diese Einengung uumlber viele Jahrhun-derte andauern Man musste bis zum siebzehnten Jahrhundert war-ten bevor das Prinzip der religioumlsen Toleranz das in einem Teil der antiken Gesellschaft so tief verwurzelt gewesen war in Europa wieder aufleben durfte825

DurchdasMysteriumgefesseltIm Zuge der bdquoRettungrdquo des christlichen Dogmas vor dem unverbluumlmten Poly-theismus hatten es die drei Kappadokier in eine beeindruckende aber unverstaumlnd-liche Masse von widerspruumlchlichen Begriffen verwandelt Gregor von Nyssa der unter den dreien als bdquounbestrittener Begruumlnder der mystischen Theologierdquo826 galt schrieb bdquoWundere dich nicht dass wir von der Gottheit sprechen die gleichzeitig vereint und differenziert ist Mit Hilfe von Mysterien stellen wir uns sozusagen eine seltsame und paradoxe Vielfalt vor - Vielfalt in der Einheit und Einheit in der Vielfaltrdquo827 Fuumlr sie war der Christus ein bdquoRaumltselrdquo und ein bdquoParadoxonrdquo nicht aufgrund der Umstaumlnde als waumlre er ein Geheimnis das nur auf seine Offenbarung wartet sondern aufgrund seiner Natur Wenn die Schlussfolgerungen des Dog-mas Jesus zu einem wandelnden Widerspruch machen wuumlrden dann muumlsste der orthodoxe Christ ihn als solchen annehmen Allerdings koumlnnte der moderne Stu-dent in dieser Hinsicht noch einen gewissen Nutzen aus dem Neuen Testament ziehen die Quelle die hier in der Regel nur periphere Autoritaumlt zu uumlbernehmen scheint Der Apostel Paulus posaunte einen Aufruf an alle Christen

hellip dass sie alle Mut bekommen und in Liebe zusammenhalten und dass sie zur ganzen reichen Fuumllle des Verstehens gelangen und Gottes Geheimnis begreifen naumlmlich Christus In ihm sind alle Schaumltze der Weisheit und Erkenntnis verborgen Ich sage das damit euch niemand durch Uumlberre-dungskuumlnste hinters Licht fuumlhrt (Kolosser 22b-4)

825 Ebenso pp 1-2 826 Martin Laird Gregor von Nyssa and the Grasp of Faith (Oxford OUP 2004) p 175 827 Gregory of Nyssa ldquoUnity in Diversityrdquo zitiert in Gregory of Nyssarsquos Mystical Writings uumlbersetzt und

bearbeitet von Herbert Mursillo (Crestwood NY St Vladimirrsquos Seminary Press 1979)

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Koumlnnen Christusnachfolger eine volle Gewissheit des Verstaumlndnisses und die wahre Erkenntnis Christi erlangen wenn er oder sie anfaumlngt zu sagen dass Chris-tus sbquonicht begreifbarrdquo ist Tatsaumlchlich scheinen die Apostel nur Jesu eigenes Re-zept zu wiederholen sich sowohl von Gott als auch von seinem Messias zu uumlber-zeugen (Johannes 173) waumlhrend die spaumlteren Christen auf der ultimativen Ver-geblichkeit solcher Bemuumlhungen zu bestehen scheinen Wahrlich es ist nicht fair zu sagen dass ein enormer Bildungsbedarf besteht um das trinitarische System zu artikulieren nicht nur der Laie leidet unter Unwissenheit selbst die unglaub-lich brillanten Kappadokier schlossen den Kreis um in der gleichen Unklarheit zu versinken Wir sehen dann dass hier wirklich nicht der Glaube an die Offenba-rung des Geheimnisses Gottes gefragt ist sondern der Glaube an das [unerklaumlrbare] Mysterium an sich

Daran koumlnnten wir die gleichen Warnungen anbringen die von vielen Christen im Laufe der Geschichte wiederholt wurden welche die Anforderungen der Or-thodoxie so wahrgenommen haben dass sie die Glaumlubigen in eine willfaumlhrige Gleichguumlltigkeit gegenuumlber rationalen Beweisen hineinleiten Waumlhrend einige mo-derne Trinitarier zoumlgern eine voumlllige Aufgabe der Vernunft anzuerkennen haben andere Autoritaumlten wie Martin Luther die Glaumlubigen direkt auf genau dieses Vor-gehen hingewiesen bdquoIch habe dir oft gesagt dass dies wie auch jeder andere Glaubensspruch nicht auf der Vernunft beruhen darfrdquo828 Luther der vor Emo-tionen schwillt faumlhrt in seiner Predigt fort

Der Verstand ist die groumlszligte Hure des Teufels von Natur aus und in ihrer Art und Weise ist sie eine schaumldliche Hure sie ist eine Pros-tituierte die vom Teufel ernannte Hure Hure die von Schorf und Lepra gefressen wird die unter den Fuumlszligen getreten und zerstoumlrt werden sollte sie und ihre Weisheit Wirf ihr Mist ins Gesicht um sie haumlsslich zu machen Sie ist es und sie sollte in der Taufe ertraumlnkt werden829

Interessanterweise fuumlhlten sich die Kappadokischen Vaumlter sie waren Philoso-phen ersten Ranges fuumlr einen solchen Kurs offenbar eher untauglich Sie ver-suchten vergeblich die sakrale Vernunft selbst angesichts der theologischen Ma-chenschaften irgendwie zu schuumltzen In der Verteidigung seines Kollegen Basil behauptete Gregor seltsamerweise dass sie [die Kappadokischen Vaumlter] trotz ih-rer Mysterientheologie nicht unbedingt bdquoden natuumlrlichen Denkprozess unterdruuml-cken wollten nur um das Paradoxe zu begruumlszligenrdquo830 Doch ist Gregors Position

828 Martin Luther Complete Sermons of Martin Luther Vol 2 (Grand Rapids Baker Books 2000) pp 406-

407 829 Martin Luther Works Vol 16 (Erlangen 1851) pp 142-148 830Gregory of Nyssa Against Eunomius Book I 38

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wenn er seine eigene Lehre als bdquoneu und paradoxrdquo beschreibt nicht ein Para-doxon in sich selbst Wenn unsere Betrachtung eines trinitarischen Jesus uns bis zum Punkt der Verzweiflung verwirrt sollten wir doch bdquonicht uumlberrascht seinrdquo wie Gregor sagt Seiner Meinung nach sollte die uumlberwaumlltigende Natur des Mys-teriums der Dreieinigkeit das Leben eines jeden Christen einer jeden Christin beherrschen Denn bdquoanstatt das christliche Leben als eine Reise zu praumlsentieren die uns veraumlndert und in Richtung zunehmender Helligkeit fuumlhrt legte der heilige Gregor eine Vision vom Weg des Menschen zu Gott als eine Reise in die zuneh-mende Undurchsichtigkeit und Dunkelheit vorrdquo831

Im Laufe ihrer Mutmaszligungen arbeiteten die Kappadokischen Vaumlter daran meta-physische Loumlsungen fuumlr andere Fragen zu finden uumlber die Meinungsverschieden-heiten herrschten naumlmlich fuumlr das bdquoProblemrdquo der Subordination des Sohnes un-ter den Vater die Unterordnung welche in der Schrift so deutlich sichtbar ist Ihr auffaumllligster Fortschritt in dieser Hinsicht war die Zuordnung der bdquoKausalitaumltrdquo zur Person des Vaters aus welcher der Sohn durch den Geist zur Existenz gebracht worden war Essenziell konnten sie der Person des Vaters eine Vorrangstellung zuschreiben und gleichzeitig eine Wesensgleichheit mit den anderen Personen [der Gottheit] etablieren

Die Drei Kappadokier haben zum ersten Mal in der Geschichte das Konzept der Ursache (gr aition) in das Wesen Gottes eingefuumlhrt um es signifikant nicht an das Eine (die bdquoNatur Gottesrdquo) zu binden sondern an eine Person den Vater Indem sie sorgfaumlltig und kon-sequent zwischen der Natur Gottes und Gott als Vater unterschie-den dachten sie dass das was Gott veranlasst zu sein die Person des Vaters ist nicht die eine Goumlttliche Substanz832

Dieser Fortschritt der Philosophie erwies sich offensichtlich als ausreichend um viele in die Trinitarier-Gemeinschaft zu locken Die Kappadokier hatten offenbar die bdquoperfekte Loumlsungrdquo fuumlr die von Nicaumla verursachten Probleme vorgelegt eine SubstanzEssenz (Ousia) mit drei Personen (Hypostasen) doch gepaart mit dem raumltselhaften Primat der Ungleichheit des Vaters gebuumlndelt unter einem undurch-dringlichen Schleier des Glaubens an ein Mysterium Diese Bemuumlhungen unter-stuumltzt durch die Staatsraumlson begannen bald die Bande zwischen den verschiede-nen Lagern zu festigen und dienten in hohem Maszlige dazu die Turbulenzen der

831 Philip Kariatlis ldquoDazzling Darkness The Mystical or Theophanic Theology of St Gregory

of Nyssardquo Phronema Vol 27 No 2 (Redfern St Andrewrsquos Greek Orthodox Theological College 2012) p 100 (Grelle Dunkelheit Die Mystische oder Theophaische Theologie des hl Gregor von Nyssa)

832 John D Zizioulas ldquoThe Doctrine of the Holy Trinity The Significance of the Cappadocian Contribu-tionrdquo Trinitarian Theology Today Essays on Divine Being and Act (Edinburgh T amp T Clark 2000 [1995]) pp 44-60

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Ost- und Westpolitik zu glaumltten Die Macht der Mehrheit wechselte letztendlich zu denen hinuumlber die sich auf Darstellungen einigen konnten welche die traditi-onellen subordinationistischen Ansichten ablehnten Als Folge davon sollten die Arianer und andere unitarische Gruppen langsam aber sicher in die Minderheit absinken

Doch wir duumlrfen nicht glauben dass der Trinitarismus somit kurz vor der end-guumlltigen Loumlsung stand Konkret erwies sich die These der gleichzeitigen Goumlttlich-keit und des Mensch-Seins des orthodoxen Jesus immer noch immens problema-tisch Weitere Argumente und oumlkumenische Konzilien waren erforderlich um die anhaltend unbequeme Theorie des Mensch-Seins Jesu unter einem unnahbaren und undurchdringlichen Gott wie in der aufbluumlhenden kappadokischen Formel vorgestellt zu ergruumlnden

DerunloumlsbareTrinitarischeJesusUns duumlrfte inzwischen klar sein dass trotz der Bemuumlhungen der Kappadokier eine Vielzahl der Fragen die durch Nicaumlas urspruumlngliches Diktat der bdquogleichen Substanzrdquo hervorgerufen wurden noch offen blieb Die anscheinend doktrinaumlre Einigkeit die sie mit ihren Ideen erreicht zu haben glaubten war staumlndig in Ge-fahr zu zerbrechen Wohl hatte die Homoousie in den Seelen vieler Christen ein kleines Wunder gewirkt doch gegen Ende des vierten Jahrhunderts gab es noch viele Bischoumlfe mit groszligen Vorbehalten die uumlberzeugt werden mussten So man-gelhaft war Nicaumlas Verwaltung von Harmonie und Klarheit dass eine anschei-nend unzaumlhlbare Schar ungluumlcklicher Theologen eine Kontroverse nach der an-deren anzettelte Die Religion wie auch das Imperium hinterlieszligen blutbefleckte Fuszligspuren bis an die Schwelle des Zusammenbruches Wir werden nun kurz auf einige dieser infamen Streitpunkte eingehen

Im Jahre 381 n Chr wurde in Konstantinopel noch eine andere Angelegenheit behandelt Apollinaris von Laodizea (315 - 390 n Chr) hatte eine Anhaumlngerschaft von Christen um sich geschart die zum Schluss kam dass Christus keinen mensch-lichen Verstand haumltte haben koumlnnen Sein Verstand sei nur der eine Verstand der goumlttlichen Person Gottes gewesen Sicherlich so dachten die Apollinarier koumlnnte es nicht zwei verschiedene Sinne geben die in der einen Person Jesu wirkten Dies war letztlich eine Reaktion auf die alte gnostische Ansicht von bdquozwei Personenrdquo im Erloumlser Apollinaris argumentierte gegen diejenigen die bdquonicht den ins Fleisch gekommenen Gott sondern einen Menschen der mit Gott verbunden istrdquo auf-rechterhielten Er protestierte gegen eine bdquoUnterscheidung zwischen sbquozwei Soumlh-nenlsquo dem Sohn Gottes und dem Sohn Mariasrdquo Wie J N D Kelly erklaumlrt bdquoim-plizieren solche Unterscheidungen dass Christus sbquozweirsquo ist waumlhrend die Schrift

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betont dass er eine Einheit ist und auf jeden Fall ist eine solche Dualitaumlt einmal abgesehen von der Schrift unvorstellbarrdquo833

Apollinaris Theorie war folgende Die goumlttliche Person war bdquodas einzige Leben des Gott-Menschen das Ihm Lebenskraft und Bewegungen einfloumlszligte sogar auf der rein physischen und biologischen Ebenerdquo834 Dies machte das bdquoMensch-Seinrdquo Christi grundlegend anders als das aller anderen Menschen er war Traumlger einer bdquovergoumlttlichtenrdquo Humanitaumlt ja sogar sein Fleisch war bdquogoumlttliches Fleischrdquo Mit dieser Lehrmeinung eines himmlischen Mensch-Seins glich Apollinaris den fruumlheren Lehren von Valentinus Origenes und sogar des nicaumlnischen Theologen Hilarius von Poitiers835 Tatsaumlchlich wie Hanson offenbart tauchten selbst bdquoor-thodoxerdquo Autoritaumlten wie der genannte Hilarius zur Verteidigung der trinitari-schen Theologie wild in den Doketismus einrdquo836 So gab Apollinaris als er ver-suchte die Orthodoxie vor den Valentinianern zu retten nur dem gleichen Druck nach der umgekehrt auf den Doketismus ausgeuumlbt worden war Selbst die ange-sehensten nicaumlnischen Befuumlrworter konnten dem nicht entgehen Bezuumlglich die-ser himmlischen Menschlichkeit Jesu erklaumlrt Kelly bdquoWenn es beanstandet wird dass der Apollinarianismus Ihn [Jesus] von gewoumlhnlichen Menschen unterschei-det zoumlgerte Apollinaris nicht dem zuzustimmen Er fand eine Bestaumltigung fuumlr den Unterschied im Wortlaut von Texten wie sbquoAls Mensch befundenrsquo und sbquoIn der Gestalt der Menschenrsquordquo837 Fuumlr die meisten Menschen hat diese Art uumlber Jesus zu denken dazu gefuumlhrt sich wieder ruumlckwaumlrts in Richtung Gnostizismus zu bewe-gen Tatsaumlchlich bdquowurde Apollinaris unterstellt zu lehren dass das Fleisch des Herrn himmlischen Ursprungs und prauml-existent gewesen seirdquo838 Mit dieser Be-hauptung wird die exakte Lehre der valentinianischen Gnostiker wiedergegeben die lautet dass der menschliche Koumlrper Jesu vom Himmel herabgestiegen und durch Maria gegangen sei Die gnostische Kontroverse der Mitte des zweiten Jahr-hunderts tobte auch noch im vierten Jahrhundert Aber Apollinaris reagierte hef-tig auf diese Anklage bdquoEs ist aus allem was wir geschrieben haben ersichtlich dass wir nicht sagen dass das Fleisch des Erloumlsers vom Himmel herabgekommen

833 Kelly Early Christian Doctrines p 290 (Fruumlh-Christliche Doktrinen) 834 Ebenso p 292 835 Valentinus lehrte dass der Koumlrper Jesu himmlisch war sogar durch die gemeinsamen Bemuumlhungen der

Aumlonen Origenes lehrte dass die wahre Natur des himmlischen Fleisches Christi bei der Verklaumlrung durchgeschimmert habe (Gegen Celsus 6 77) Hilarius (starb 367 n Chr) lehrte dass bdquoder Leib Christi der durch den Heiligen Geist empfangen wurde nicht wirklich irdisch sondern himmlisch (corpus coe-leste) war und uumlber die menschliche Schwaumlche erhoben wurde die Verklaumlrung und das Gehen auf dem Meer nicht zwangslaumlufig wundersam sondern natuumlrlich waren fuumlr einen Koumlrper wie den Seinen das Denken des Hilarius geriet unter Druck da er dem Doketismus nahe kamrdquo (Kelly p 335)

836 Hanson p xix 837 Kelly p 335 838 Ebenso p 294

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istrdquo839 Dennoch brachte die Eliminierung des menschlichen Geistes und Willens und die bdquoVergoumlttlichungrdquo seiner menschlichen Natur Apollinaris schlicht und einfach zu nahe an den Doketismus Fuumlr die Orthodoxen war seine Christologie noch bdquopraktisch doketisch was bedeutet dass der Erloumlser kein wahrer Mensch war sondern nur als Mensch erschienrdquo840 Die Kappadokier sahen vor allem in Apollinaris Modell eine Verwerfung der wahren Humanitaumlt Christi Sie haben deshalb den Apollinarianismus als Ketzerei dekretiert und die These von Christus als bdquowahrem Gott und wahrem Menschenrdquo aufrechterhalten Wenn das bedeu-tete dass er zwei Sinne [engl minds = Verstand] haben musste dann soll es so sein Wie eine der orthodoxen Autoritaumlten in dieser Zeit bemerkte sollten wahre Christen bdquodas was im Glauben gesagt wird akzeptieren und nicht heftig herum-stochernrdquo841 Damit houmlrten die Fragen natuumlrlich nicht auf842 Wenn das Konzils-ergebnis zur apollinarischen Kontroverse einen Ruumlckschritt in Richtung der alten bdquoZwei-Personenrdquo-Christologie der Gnostiker darstellte dann wuumlrde das Resultat der bald folgenden groszligen Kontroverse das Pendel in die andere Richtung schwingen lassen aber gleichermaszligen einen Ruumlckschritt bedeuten

Das Konzil von Ephesus tagte im Jahre 431 n Chr um sich mit einem neu ent-flammten christologischen Streit zu befassen In der bdquoNestorianischen Kontro-verserdquo stellten Christen die Frage wie Jesus gleichzeitig zwei gegensaumltzliche Na-turen in einer einzigen Person unterhalten koumlnnte Viele gingen davon aus dass zwischen den beiden Naturen eine wesentliche Diskrepanz bestehen muumlsse Ihr Einwand lautete Als Christus starb dann muss es nur seine menschliche Natur gewesen sein die starb denn Gott ist von Natur aus unsterblich Wenn Christus versucht wurde dann war es nur seine menschliche Natur die versucht wurde denn Gott kann nicht versucht werden und so weiter Daruumlber hinaus argumen-tierten sie dass bdquoeine authentische menschliche Erfahrung unmoumlglich gewesen waumlre wenn die Humanitaumlt [das Mensch-Sein] des Herrn mit seiner Goumlttlichkeit verschmolzen oder von ihr dominiert worden waumlrerdquo843 Jedoch gab es noch einen anderen einflussreichen alexandrinischen Theologen Kyrill (gestorben um 444 n Chr) der eine Vielzahl von Anathemas (Bannbullen) herausgab die den Nesto-rianismus verurteilten Er behauptete dass Nestorius zwei Personen in Christus

839 Ebenso unsere Hinzufuumlgung 840 Ebenso p 295 841 Johannes Chrysostomos (Johannes von Antiochia gest 407 n Chr) zitiert bei Freeman in Closing of the

Western Mind S 311 Chrysostomos schlaumlgt zudem vor bdquoBeschraumlnken wir unser eigenes Denken und entleeren wir unseren Geist des weltlichen Lernens um einen Geist zu schaffen der klar fuumlr die Auf-nahme goumlttlicher Worte istrdquo (S 316)

842 Die Gedanken von Apollinaris starben nicht aus Seine Anhaumlnger hielten seine Lehren am Leben indem sie seine Schriften aufbewahrten und so taten als waumlren sie tatsaumlchlich Schriften die von seinem Freund Athanasius weitergegeben wurden

843 Kelly pp 312-313

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lehrte Explizit war dies natuumlrlich nicht der Fall aber fuumlr Kyrill machten die Fol-gen von Nestorius Einwendungen eine solche Schlussfolgerung unvermeid-lich844

Kyrill selbst stellte jedoch ein eigenartiges Problem dar Seine merkwuumlrdige Be-hauptung dass die Nestorianer Christus in zwei Personen spalteten indem sie sagten nur eine Natur habe leiden koumlnnen veranlasste ihn auch zu behaupten dass obwohl es zwei verschiedene Naturen in Christus gab sie im Wesentlichen doch irgendwie vereint seien Diese These wurde in der Folge als bdquohypostatische Vereinigungrdquo bezeichnet Die beiden Naturen waren in der einen Hypostase des Sohnes vereint und was der einen Natur geschah geschah auch der anderen Deshalb wurde nicht nur der Menschdie Humanitaumlt Jesu gekreuzigt sondern auch der Logos dh Gott selbst Kyrill wies jedoch schnell darauf hin dass der Sohn bdquoohne Empfindungen gelitten hatrdquo845 Mit anderen Worten sagte er dass die goumlttliche Person litt ohne zu leiden Zusaumltzlich zu diesem anstrengenden Para-doxon stellte Kyrills System eine weitere Frage Wenn die Goumlttliche Person tat-saumlchlich haumltte leiden koumlnnen warum musste der Logos dann uumlberhaupt eine menschliche Natur annehmen Mit diesem Gedankengang kam Kyrill der Ver-leugnung des Mensch-Seins Christi verdaumlchtig nahe es war eine unnoumltige Farce

Die Nestorianer lieszligen sich nicht uumlberzeugen Fuumlr sie war dieses bdquoLeiden ohne zu leidenrdquo nur ein Missbrauch von Worten Aber Kyrill hatte einen unglaublich rachsuumlchtigen Charakter und war bereit alle notwendigen Maszlignahmen zu ergrei-fen um den Erfolg seiner Ansicht zu sichern Kyrill benutzte bdquoSchocktruppenrdquo Parabalani genannt um seine Gegner einzuschuumlchtern Die Trupps verbreiteten offensichtlich solchen Schrecken dass sogar der Kaiser selbst darum bat ihre Staumlrke auf 500 Mann zu beschraumlnken846 Wie Griggs bemerkt bdquowurde die [gewalt-taumltige] Taktik waumlhrend des Episkopats von Athanasius in vielerlei Hinsicht wieder neu aufgegriffenrdquo 847 Frend charakterisiert Kyrill als bdquovoumlllig skrupellos uumlberheb-lich turbulent und machthungrig bereit den Mob und die Moumlnche zu benutzen

844 bdquoEs ist kein Wunder dass Zeitgenossen die sich dieser Christologie aus der Sicht der Einheit der Person

und nicht aus der Unterscheidung der Naturen naumlherten zu dem Schluss kamen dass es sich um die Lehre handelte des nur-menschlichen Jesus der mit dem Wort durch Harmonie des Willens und durch goumlttliche Gunst verbunden war Dieses war eine Travestie von dem was Nestorius zu lehren be-absichtigte aber der Fehler lag in seiner Unfaumlhigkeit eine tiefere Analyse der substanziellen Einheit der Person des Herrn vorzunehmen von der er uumlberzeugt warrdquo (Kelly p 317)

845 bdquoKyrill betonte den Logos der litt und sbquounpassierbarrsquostarb Dies sollte nicht als implizite Ablehnung verstanden werden dass der Logos sbquowirklichrsquo gelitten und gestorben ist sondern zeigt vielmehr die einzi-gartige Art und Weise auf in der nicht nur Leiden und Tod sondern alles was kreatuumlrlich und menschlich ist kann einer goumlttlichen Person gehoumlren Das unpassierbare Leiden des Logos im Fleisch belastet freilich die Grenzen unseres Verstaumlndnisses rdquo (James F Keating Thomas Joseph White Divine Impassibility and the Mystery of Human Suffering (Grand Rapids Eerdmans 2009) S 257)

846 Freeman Closing of the Western Mind p 268 847 W H C Frend zitiert bei Griggs p 190

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um seine Befehle gegen seine Widersacher auszufuumlhrenrdquo848 Letztendlich war Ky-rill so problematisch dass nach seinem Tod einer seiner Zeitgenossen schrieb

Sein Hinschied erfreut die Uumlberlebenden entmutigt aber moumlglich-erweise die Verstorbenen sie koumlnnten ihn wieder zu uns zuruumlck-schicken [Wir muumlssen] einen sehr groszligen und schweren Stein auf sein Grab legen um ihn davon abzuhalten hierher zuruumlckzukom-men849

Dennoch hatte der roumlmische Kaiser der den Streit Kyrills mit Nestorius beo-bachtete offenbar mindestens eine Lehre aus vergangenen Konzilen gezogen Theologische Fragen konnten noch nie bdquogeloumlstrdquo werden wenn es um persoumlnliche Konflikte ging jedenfalls nicht ohne das groszligzuumlgige Eingreifen der Regierung Wieder einmal wurde schnell davon ausgegangen dass die imperiale Kontrolle ein Ende der Unruhen bringen wuumlrde Als Kyrill erkannte dass er seine Stellung gegenuumlber der Kirche nicht allein behaupten konnte griff er zum Mittel der Be-stechung des Staates Die Summen mit denen er sowohl kaiserliche Beamte als auch Kirchenfuumlhrer bestach waren atemberaubend hoch850 Nestorius selbst sah sich gezwungen oumlffentlich gegen Kyrill und seine schaumlndliche Taumltigkeit zu pre-digen aber ohne Erfolg Das Konzil von Ephesus fuumlhrte zu einer kaiserlichen Anordnung welche die Ablehnung von Kyrill zu einer strafbaren Handlung machte Am Ende scheint Kyrills Karriere mit derjenigen von Athanasius nahezu identisch zu sein Wie Frend abschlieszligend sagt brauchten sowohl Athanasius als auch Kyrill bdquoall ihr Ansehen und ihre Faumlhigkeiten um die Akzeptanz dieser the-ologischen Annahmen auf der Grundlage des Nicaumlnischen Credos durchzuset-zen auch wenn sie im Widerspruch zu den woumlrtlichen Doktrinen der Bibel stehen solltenrdquo851

Interessanterweise ist der verurteilte bdquoNestorianismusrdquo im Mainstream-Christen-tum auch heutzutage nicht ausgestorben Wir erinnern uns dass Nestorius selbst ein besonderes Anliegen hatte dass Maria bdquodie Mutter Gottesrdquo (Theotokos) ge-nannt wurde Er behauptete dass sie die Mutter ausschlieszliglich der bdquomenschli-chenrdquo Natur Christi sein muumlsse Dagegen hatte sich die katholische Kirche auf die Seite Kyrills gestellt und bestaumltigt dass Maria tatsaumlchlich die Mutter Gottes war

848 Ebenso 849 Theodoret zitiert in Robert L Wilken ldquoCyril of Alexandriardquo The Limits of Ancient Christianity (University

of Michigan Press 1999) p 42 850 Fuumlr einen Einblick in die unglaubliche Materie in der Cyril agierte lese man seinen Brief 96 der einen

detaillierten bdquoKatalog der Dinge die geschickt wurdenrdquo enthaumllt als Bezahlung fuumlr bestimmte politische Ergebnisse Zu den von ihm gewuumlnschten Ergebnissen gehoumlren die Einstellung des Widerstandes gegen seine Partei die Mediation die Uumlberzeugung bestimmter Beamter durch andere Beamte die Entlassung eines Beamten der mit Kyrills Feinden befreundet war usw

851 W H C Frend zitiert in Griggs p 146

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Aber hier finden wir eine Angelegenheit der viele Protestanten heute energisch widersprechen selbst diejenigen die angeblich den oumlkumenischen Konzilen fol-gen Tatsaumlchlich bleibt die nestorianische bdquoKetzereirdquo bei vielen Evangelikalen stark verwurzelt Sie beanspruchen wohl die Gottheit Christi im trinitarischen Sinne behaupten aber dennoch dass nur die Mensch-Natur [Christi] geboren wurde dass sie litt starb und versucht wurde852

Die Meinungsverschiedenheiten uumlber die aufkeimenden trinitarischen Richtlinien im spaumlten Roumlmischen Reich nahmen ihren Fortgang Es wurde klar dass die Streitigkeiten welche die konziliaren Debatten zwischen den Kirchen nicht bei-legen konnten die schwere Hand Roms erforderten Rom war immer bereit zu einer Loumlsung zu verhelfen Kaiser Theodosius II war selber ein dem Nicaumlnisch-konstantinopolitanischen Credo verpflichteter Trinitarier Im Jahre 438 n Chr erlieszlig er Dekrete die erneut die Todesstrafe fuumlr jeden anordneten der die Drei-faltigkeit leugnete853 Doch auch innerhalb der trinitarischen Partei selbst gab es noch keine vollstaumlndige Uumlbereinstimmung uumlber die Natur der Goumlttlichkeit Christi Diese Zwietracht bleibt bis in unsere heutige Zeit bestehen Wie wir uns immer wieder in Erinnerung rufen muumlssen ist der staumlndige Ruumlckfall in den Nes-torianismus des modernen Christentums in Wirklichkeit die Folge des natuumlrlichen Drucks des Valentinianismus Mit der These der zwei Einheiten fuumlr die Lehre von der Gottheit Christi folgte er dem Weg des geringsten Widerstands Interes-santerweise sollte der Name Valentins in den Streitigkeiten auch nach der Nie-derlage von Nestorius immer wieder auftauchen Im Jahre 448 n Chrverurteilte eine Synode sogar den populaumlren Theologen Eutyches als Apollinarier und bdquoAn-haumlnger des Valentinusrdquo854

Der Aufruhr uumlber die duale Natur [Christi] kam 449 n Chr erneut zum Aus-bruch Das Zweite Konzil von Ephesus das urspruumlnglich als bdquooumlkumenischesrdquo Konzil geplant war wurde von der Orthodoxie aufgrund anti-orthodoxer Schlussfolgerungen abgelehnt Dieses Konzil stellte in einer uumlberraschenden Kehrtwende fest dass Christus keine Vereinigung einer separaten goumlttlichen Na-tur und einer menschlichen Natur war sondern nur eine Natur in Christi einziger

852 See R C Sproul ldquoDid God Die on the Crossrdquo Ligonier Ministries 14 April 2014 Web 27 October

2014 (Starb Gott am Kreuz) 853 Roland H Bainton Christendom A Short History of Christianity and Its Impact on Western Civiliza-

tion Vol 1 (New York Harper amp Row 1964) p 101 854 Kelly p 331 Da Eutyches lehrte dass die Goumlttlichkeit Jesu seine Humanitaumlt [dh das Mensch-Sein]

absorbierte war dieser Vorwurf ein Anhaumlnger von Valentinus zu sein wahrscheinlich auf das aus-gerichtet was die Gegner von Eutyches fuumlr eine teilweise doketische Tendenz hielten Die westliche Schule der Valentinianer haumltte zumindest eine vollstaumlndige menschliche Person neben der goumlttlichen bewahrt die die MenschlichkeitHumanitaumlt nicht in eine neue Natur aufgenommen haumltte Aber das mag wohl die Tendenz im Osten gewesen sein Unabhaumlngig davon ist es wahrscheinlich der allgemeine gnos-tische Schatten welcher der orthodoxen Christologie folgt den Eutychesrsquo Kritiker entdeckt zu haben glaubten

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Person wohnte Daraus entstand das so genannte bdquomonophysitische Schismardquo das schlieszliglich die bis heute andauernde Trennung von der orientalisch-orthodo-xen Kirche verursachte

Im Jahre 451 n Chr wurde in aller Eile eine weitere Zusammenkunft das Konzil von Chalcedon einberufen um diese ploumltzliche Verschiebung zu bdquobehebenrdquo die durch diejenigen verursacht wurde die immer noch die Widerspruumlchlichkeit des Gott-Christus mit zwei Naturen erkannten Chalcedon gelang es die Stroumlmung umzulenken bis zu dem Ergebnis dass Christus wieder zu einer Person mit zwei Naturen wurde Aber die Sichtweise der dualen Natur blieb beharrlich zweideu-tig in Chalcedon wurde keine Loumlsung vorgestellt wie Christus als eine Person mit zwei Naturen haumltte existieren koumlnnen und kein allgemein verbindliches Modell wurde vereinbart Fuumlr die Orthodoxen blieben die groszligen Fragen uumlber Jesus be-stehen855 Was sich jedoch durchsetzte war die Uumlberwindung der apostolischen Predigt durch die Orthodoxie Wie ein katholischer Gelehrter uns daran erinnert dass

das Neue Testament keine Auskunft uumlber die Lehre von Chalcedon gibt Dieses Konzil hat die neutestamentlichen Daten uumlber die Be-schaffenheit Jesu nicht nur in einer anderen Sprache neu formu-liert sondern auch im Lichte des aktuellen griechischen philoso-phischen Denkens neu konzipiert Und diese Rekonzeptualisierung und Neuformulierung gehen weit uumlber die neutestamentlichen Darstellungen hinaus856

Ein anderer katholischer Gelehrter raumlumt sogar ein dass es in Chalcedon der Neuformulierung der dualen Natur tatsaumlchlich gelungen ist die Menschlichkeit Jesu so zu veraumlndern dass sie bdquoein Mensch-Sein [eine Humanitaumlt] im Gegensatz zu derjenigen der uumlbrigen von unsrdquo wurde Soviel gesteht er ein

Die Chalcedonische Formel macht ein echtes Mensch-Sein unmoumlg-lich Die konziliare Definition besagt zwar dass Jesus wahrer

855 Hick schreibt dass bdquodie Aufgabe vor der jemand steht der eine Chalcedonische Christologie bekraumlfti-

gen will nicht darin besteht eine hellenistische Darstellung daruumlber wie die eine Person Jesus zwei Naturen haben koumlnnte in zeitgenoumlssische Begriffe zu uumlbersetzen denn eine solche Darstellung ist in der urspruumlnglichen Formel nicht enthalten Wie ein Historiker der damaligen Zeit sagt sbquoChalcedon hat sich als weniger eine Loumlsung erwiesen als die klassische Definition eines Problems das staumlndig weiterer Aufklaumlrung bedarfrsquo (Young) Dieses Problem liegt nicht in einer veralteten Sprache und Konzeptualitaumlt sondern in der Tatsache dass das Konzil faktisch nur behauptet hat dass Jesus sbquowahrer Gott und wahrer Menschrsquo sei ohne zu sagen wie ein solches Paradoxon moumlglich ist Lediglich die Behauptung dass zwei verschiedene Naturen in Jesus koexistierten ist es eine Form von Worten auszusprechen die noch keine bestimmte Bedeutung hatrdquo John Hick The Metaphor of God Incarnate (London Westminster John Knox Press 2005 [1993]) pp 47-48

856 Joseph Fitzmyer A Christological Catechism (Costa Mesa Paulist Press 1991) p 102 (Ein Christologischer Katechismus)

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Mensch ist Aber wenn es zwei Naturen in ihm gibt ist klar welche dominieren wird Und Jesus wird damit sofort sehr verschieden von uns Er weiszlig genau was jeder denkt und tun wird Das ist weit entfernt von der normalen menschlichen Erfahrung Jesus wird versucht kann aber nicht suumlndigen weil er Gott ist Was fuumlr eine Versuchung ist das Ist das uumlberhaupt als Versuchung zu be-zeichnen Jesus hat kein menschliches persoumlnliches Zentrum wir koumlnnen uns daher nicht mit diesem Jesus identifizieren857

Tatsaumlchlich ist die Humanitaumlt das Mensch-Sein des chalcedonischen Christus rein aumluszligerlich waumlhrend ihr innerlich wirklich alles fehlt was diese Menschlichkeit ausmacht Unsicherheit Verletzlichkeit wahres Vertrauen auf eine houmlhere Macht - die notwendigen Merkmale eines echten menschlichen Lebens werden unwei-gerlich durch eine gleichzeitige Existenz als Allmaumlchtiger Gott uumlbertoumlnt Chalce-don verteidigt eine doppelte [duale] Natur deshalb bestaumltigt ein Gelehrter zu Recht bdquoMan kann das Mensch-Sein zwar als eine formale Tatsache bejahen sie aber dann so definieren oder darstellen dass man ihre Realitaumlt in jedem als sbquonor-malrsquo anerkannten Sinne leugnetrdquo858

Man laumluft also wieder im Kreis und kehrt zum doketischen Jesus zuruumlck Leicht zu erkennen ist hier die Verdraumlngung des Mensch-Seins Christi Die menschliche Lebenserfahrung Jesu wird nachhaltig verwaumlssert und die menschliche Natur selbst wird von seiner Persoumlnlichkeit entkoppelt - einmal mehr entsteht eine gnostische Fata Morgana eine zeitlose Abstraktion die an einer goumlttlichen Per-son verankert wird Wie Harnack offenbart verwirft man an diesem Punkt bdquojeden Gedanken an die reale und vollstaumlndige menschliche Persoumlnlichkeit des Erloumlsers da er tatsaumlchlich mit der Kirche nicht vereinbar ist An seine Stelle tritt die sbquoNaturrsquo [Christi] die ohne sbquodie Personrsquo einfach eine sbquoChiffrersquo [ein Nichts] istrdquo859 Und so verschwindet der geschichtliche Mensch [Jesus] und mutiert zum fernen Gott des christlichen Dogmas

Ebenfalls interessant zu sehen ist in den Jahren nach dem Konzil von Chalcedon so erklaumlrt ein Historiker der Beginn eines aktiven Versoumlhnungsprozesses mit der Kirchengeschichte Nach 451 nChr

Es musste viel Aufraumlumarbeit fuumlr die turbulente Vergangenheit des Christentums geleistet werden um ihm ideologische Einheitlich-keit zu verleihen Die Lehren des orthodoxen Christentums so

857 Thomas N Hart To Know and Follow Jesus (New York Paulist Press 1984) pp 46-47 (Jesus kennen und

ihm nachfolgen) 858 John Knox The Humanity and Divinity of Christ (New York CUP 1967) p 62 859 Harnack History of Dogma Vol II 1961 p 10

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hieszlig es nun waumlren schon seit Jahrhunderten bekannt gewesen Selbst die Patriarchen die vor der Zeit Mose lebten bdquohaumltten ge-wusst dass der eine Allmaumlchtige Gott die Heilige Dreifaltigkeit istrdquo obwohl Gregor zugab dass sie bdquonicht sehr viel oumlffentlich predigten uumlber die Trinitaumlt die ihnen wohl bekannt warrdquo Die leidenschaftli-chen und bitteren Meinungsverschiedenheiten der Kirchenvaumlter uumlber die Auslegung widerspruumlchlicher Passagen wurden aus dem Protokoll gestrichen angeblich sollen sie alle einstimmig gespro-chen haben Was die Schriften lehrten argumentierte Gregor ha-ben die vier Konzile Nicaumla (325) Konstantinopel (381) Ephesus (431) Chalcedon (451) die [nachtraumlglich] mit der Orthodoxie ver-bunden wurden bestaumltigt Ihnen verlieh man den Status oumlkumeni-scher Konzile da in ihnen die authentische Stimme der Kirche ge-houmlrt worden war Die Rolle der Kaiser bei der Berufung der Kon-zile und deren Druck zum Konsens wurden vielleicht verstaumlndli-cherweise heruntergespielt ebenso wie das Fehlen einer westlichen Beteiligung die von Bedeutung gewesen waumlre Da die orthodoxe Lehre nicht von Anfang an so dargestellt und akzeptiert worden war warf man den Ketzern vor bdquoetwas Neuartiges erfinden zu wol-len was nicht in den alten Buumlchern der Urvaumlter enthalten istrdquo Was auch immer die Untersuchung der historischen Aufzeichnungen vermuten lassen mag es wurde unmoumlglich die christliche Lehre als das Produkt eines Evolutionsprozesses zu sehen Man wollte nicht dass es hieszlig eine Haumlresie sei zur bdquoOrthodoxie gereiftrdquo860

Nichtsdestotrotz stellen wir fest dass obwohl der Status der Trinitaumltslehre lau-fend staumlrker untermauert wurde bis ins sechste Jahrhundert hinein erhebliche interne Meinungsverschiedenheiten uumlber das immer komplizierter werdende Dogma herrschten Offenbar wurde es noumltig dass der brutale Kaiser Justinian um 530 n Chr861 wegen Verleugnung der Trinitaumlt erneut die Todesstrafe ver-haumlngte Wie in den vorangegangenen Kapiteln dieses Buches erwaumlhnt wurde nicht nur Justinans Lehre der Dreifaltigkeit durchgesetzt sondern auch das Shema verboten Das biblische Glaubensbekenntnis wurde von Jesus selbst beansprucht (Markus 1228ff) Dieses Bekenntnis wird als die Ablehnung der Dreifaltigkeit

860 Freeman Closing of the Western Mind pp 313-314 861 Justinian stand in der Gewalt gegen seine Untertanen dem vorhergehenden Theodosius I in nichts

nach Man geht davon aus dass waumlhrend dem Nika-Aufstand von 532 n Chr Justinian zwischen 30000 und 50000 roumlmische Buumlrger toumltete

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anerkannt862 Juumldische Buumlrger im Reich galten fortan weniger als Tiere Das bdquorich-tigerdquo Bekenntnis zu bestimmten christlichen Ideen wurde zu einer grundlegenden Voraussetzung fuumlr die volle Zugehoumlrigkeit zur Gesellschaft und zur Teilnahme an dem was sie zu bieten hatte863 So wurde einmal mehr der Glaube an den Dreieinigen Gott bdquodurch das Schwert der Zivilregierungrdquo noch fester in der oumlku-menischen Akzeptanz verankert864

Trotz der Bemuumlhungen sowohl der Bischoumlfe als auch des Staates das Christen-tum mit einem verfestigten und vereinbarten trinitarischen Dogma zu zuumlgeln wurde 553 n Chr ein weiteres Konzil das Zweite Konzil von Konstantinopel benoumltigt um die Ansichten der beharrlichen Nestorianer uumlber die zwei Naturen Christi weiter zu verurteilen Kaiser Justinian hoffte dass dieses Konzil die noch immer uumlber die neuen Grundsaumltze zerstrittenen Kirchen vereinigen wuumlrde aber das Konzil verursachte nur weitere Spaltungen und erzeugte noch mehr Haumlresien

Noch 681 n Chr stoumlrte der Mangel an Klarheit weiterhin den Glauben und das Dritte Konzil von Konstantinopel traf sich um mehrere neue Kontroversen an-zugehen Bei diesem Konzil legten die orthodoxen Mitglieder fest dass Jesus nicht nur zwei Naturen hatte sondern auch zwei verschiedene Willen beherbergte Das Konzil war daher gezwungen wenn auch nur postum einen Papst Honorius I zu verurteilen der bdquomonothelitistischerdquo Ansichten (nur ein Wille) vertreten hatte865 Viele Evangelikale sind heutzutage uumlberrascht zu erfahren dass die Or-thodoxie einen so erstaunlichen Glauben an den historischen Jesus forderte Aber auch moderne trinitarische Gelehrte wie Thomas Morris sind sich einig dass es in Jesus tatsaumlchlich zwei Willen gab einen menschlichen und einen goumlttlichen und dass wenn der menschliche Wille jemals versuchen sollte eine Entscheidung zu treffen die von den [Prinzipien] des goumlttlichen Willens abweicht der goumlttliche Wille [die menschliche Option] sogleich uumlberstimmen wuumlrde866 Dies stellt letzt-lich wie Trinitarier schlussfolgern bdquoeine Art dualen Verstandrdquo in Jesus dar was

862 Joseph Melusky Keith Pesto The Death Penalty Documents Decoded (Santa Barbara ABC-CLIO

2014) p 4 (Die Todesstrafe Entzifferte Dokumente) 863 Freeman Closing of the Western Mind p 253 255 864 Thomas Jefferson Letter to Theologian James Smith December 8 1822 865 ldquoMonotheletismusrdquo besagt dass die Person Jesu nur einen Willen hatte wahrscheinlich in Syrien um

629 n Chr entstand und zunehmend um 638 n Chr formuliert wurde bis sie schlieszliglich 681 n Chr als ketzerisch abgelehnt wurde Die Bischoumlfe hatten Schriften von Papst Honorius I entdeckt die er an Sergius geschrieben hatte und die eine Uumlbereinstimmung oder ein Verstaumlndnis fuumlr Sergius Ansicht of-fenbarten dass Jesus nur einen Willen hatte So wurde er mit Schreien von bdquoHonorius Ketzer Anath-emardquo verdammt (Drittes Konzil von Konstantinopel 680 n Chr 16 Sitzung)

866 Thomas Morris zitiert in John Hick The Metaphor of God Incarnate (London Westminster John Knox Press 2005 [1993]) p 57 (Die Metapher des Fleischgewordenen Gottes)

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im Wesentlichen das Anathema von Konstantinopel (381 n Chr) bestaumltigt867 Wie ein trinitarischer Professor erklaumlrt bdquoEine Inkarnation mit zwei Seelen [eng-lisch two minds Anm des Uuml] ist kompliziert aber das ist historisch betrachtet die Lehre der Kircherdquo868 Wissenschaftler haben indessen auf die Schwierigkeiten mit einem solchen Modell hingewiesen John Hick der anerkannte dass Jesus nie etwas falsch gemacht hat fragte sich natuumlrlich ob Jesus jemals seinem mensch-lichen Willen folgend etwas falsch machen wollte was aber durch den uumlbermaumlch-tigen Willen der goumlttlichen Person verhindert wurde Daraus ergibt sich fuumlr den dualistischen Jesus dass

sein aumluszligerlich vollkommenes Leben nach allem was wir wissen viele falsche innere Impulse verbergen koumlnnte die im Keim erstickt wurden bevor sie sich zu offenen Handlungen entwickelten Der menschliche Teil koumlnnte beabsichtigen zu suumlndigen aber der goumltt-liche Teil der nicht suumlndigen kann wuumlrde notwendigerweise die Absicht uumlberstimmen oder umgehen Eine solche Person koumlnnte nicht in Versuchung gefuumlhrt werden wie wir in Versuchung ge-fuumlhrt werden oder gut sein indem sie die Versuchung uumlberwindet und dementsprechend koumlnnte sie unser menschliches moralisches Ideal nicht verkoumlrpern Auch - in Bezug auf die Lehre des Suumlhnop-fers - koumlnnte sein Tod nicht das Opfer eines Lebens des vollkom-menen menschlichen Gehorsams gegenuumlber Gott darstellen War Jesus frei Suumlnde zu begehen [und] frei die Fuumlhrung und Erleuch-tung des Heiligen Geistes abzulehnen Wenn nicht war er nicht wirklich menschlich869

Hier werden wir erneut Zeugen der Ruumlckkehr zum valentinianischen Jesus Nach dem valentinianischen System obwohl der menschliche wie auch der goumlttliche Verstand in Jesus existierten bdquounterlag jede Bewegung jede Neigung und jedes Verlangen vollstaumlndig dem Diktat des himmlischen Verstandesrdquo870 Unabhaumlngig davon wie es erreicht wird oder in welchem Stadium implizieren sowohl der gnostische als auch der orthodoxe Standpunkt eine gewisse Unterdruumlckung der menschlichen Psychologie und damit der Menschlichkeit Jesu Hick gibt noch

867 Als Beispiel fuumlr eine gruumlndlich entwicklete moderne Betrachtung der bdquoZwei-Seelen-Sichtrdquo siehe

Thomas Morris The Logic of God Incarnate (Eugene Wipf amp Stock 2001) 868 Thomas Morris zitiert in John Hick The Metaphor of God Incarnate (London Westminster John Knox

Press 2005 [1993]) p 57 869 Hick The Metaphor of God Incarnate pp 58-60 870 J L Mosheim Historical Commentaries on the State of Christianity During the First Three Hundred

and Twenty-Five Years Vol 1 (New York Converse 1851) p 467

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mehr Einblick in die Probleme auf die wir treffen durch eine Behauptung der Orthodoxie der zwei Sinne

Hier sind zwei Stroumlme des Bewusstseins A und B einer davon ein-schlieszliglich des anderen in dem Sinne dass A sich dessen bewusst ist was im B-Strom des Bewusstseins geschieht waumlhrend B uumlber den Inhalt des A-Bewusstseins voumlllig unbewusst ist So konnte Gott der Sohn alles wissen was im Bewusstsein und auch im Un-terbewusstsein Jesu vor sich ging waumlhrend Jesus voumlllig ahnungslos war dass der Sohn ihn folglich uumlberwachte oder sogar die Existenz des Sohnes nicht erkannte ein solcher asymmetrischer kognitiver Zugang wuumlrde keine goumlttliche Inkarnation in irgendeinem religioumls bedeutsamen Sinne darstellen871

Durch den Versuch die Menschlichkeitdie Humanitaumlt Jesu zu bewahren zer-stoumlrt das Zwei-Willen-Konzept effektiv die eigentliche Beziehung zwischen Mensch und Gott welche die Orthodoxen durch die InkarnationFleischwer-dung eigentlich zu etablieren versucht hatten Wie konnte die Kirche jemals wirk-lich Jesus als die Person Gottes erkennen Koumlnnte man dies jemals auf eine Art und Weise tun die nicht die dominierende goumlttliche Einheit uumlberbetont und die Menschheit (im doketischen Sinne) in Frage stellt oder Christus (im bdquonestoriani-schenrdquo oder gar valentinianischen Sinne) in zwei verschiedene Menschen teilt Trotz dieser Probleme bezeugte man 680 n Chr beharrlich dass die beiden Wil-len und zwei Naturen Jesu irgendwie jenseits aller Vorstellungskraft trotzdem nicht zwei Personen darstellten Nach auszligen hin ist diese unglaubliche Uumlberre-dungskunst bis heute erhalten geblieben Aber innerlich weit davon entfernt un-ter trinitarischen Gelehrten universell etabliert zu sein ist das Thema SinnGeist und Wille Jesu immer noch heftig umstritten Zum Beispiel hat sich einer der angesehensten und beliebtesten trinitarischen Apologeten Dr William Lane Craig veranlasst gefuumlhlt die bdquoMonotheletistenrdquo (nur ein Wille) die vom Konzil von 680 n Chr verurteilt wurden offen wieder aufleben zu lassen Nach der Uumlberpruumlfung der vielen Probleme die durch die Behauptung der zwei Willen ent-stehen gibt Craig zu dass bdquodie Kirche ihre Grenzen uumlberschritten hatrdquo Er ge-steht bdquoIch kann nicht verstehen wie die menschliche Natur Christi einen eigenen Willen haben koumlnnte der sich vom Willen der zweiten Person der Dreifaltigkeit unterscheidet und nicht ein Individuum seinrdquo872 Indem er aber einen menschli-chen Willen fuumlr Jesus negiert leugnet Craig auch den menschlichen Verstand Er knuumlpft sogar an die Haumlresie des Apollinaris an die 381 in Konstantinopel verur-

871 Hick The Metaphor of God Incarnate p 51 872 William Lane Craig ldquoMonotheletismrdquo Reasonable Faith 21 September 2008 Web 20 July 2015

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teilt wurde indem er seine eigene vorgeschlagene Sichtweise als bdquoeine neo-apolli-narische Christologierdquo qualifiziert873 So kaumlmpft auch Dr Craig wohl bdquoder erste Verteidiger des evangelischen Glaubens heuterdquo immer noch gegen die Restrikti-onen der trinitarischen Orthodoxie - ein Kampf fuumlr den ihm einige seiner Ge-faumlhrten Ketzerei vorgeworfen haben874 Diese Anschuldigungen scheint er jedoch mit Fassung zu tragen da die Alternative offensichtlich viel schlimmer ist Er ist sich der bitteren und unangenehmen Folgen des orthodoxen Jesus voll bewusst und bekennt sich dazu bdquoObwohl ich es nicht mag den Dekreten eines oumlkumeni-schen Konzils zu widersprechen besteht die Gefahr dass ich in den Nestorianis-mus falle und Jesus zu zwei Menschen macherdquo875 In Wahrheit ist es nicht wirk-lich der bdquoNestorianismusrdquo auf den Craig zuruumlckkommt (da Nestorius nicht un-bedingt zwei Personen gelehrt hat) sondern ein latenter Gnostizismus in der Or-thodoxie Auch im Valentinianisch-Gnostischen System bestand Christus tat-saumlchlich aus menschlicher und goumlttlicher Person obwohl der himmlische Geist zu seinem zentralen Ego wurde So trifft Craig wenn er die unvermeidliche aber gefaumlhrliche Darstellung der Orthodoxie von einer goumlttlichen und einer menschli-chen Person in Jesus wahrnimmt wirklich auf eine unterschwellige gnostische Ten-denz welche die Katholische Kirche offenbar nie uumlberwunden hat

In Diskussionen uumlber die fruumlhchristlichen Kontroversen wurden der Arianismus und der Sabellianismus oft als bdquoSkylla und Charybdisrdquo bezeichnet zwei toumldliche theologische Optionen zwischen denen die Orthodoxie gezwungen war zu navi-gieren876 Aber es ist ruumlckblickend offensichtlich dass es noch ein weiteres ge-faumlhrliches Manoumlver gab das die Kirche zur gleichen Zeit durchfuumlhrte das Segeln zwischen dem gnostischen Doketismus und dem Valentinianismus Auf der einen Seite stand der Doketismus mit einer goumlttlichen Person die einer abstrakten spi-

873 William Lane Craig ldquoThe Very Latest From Reasonable Faithrdquo Reasonable Faith 03 March 2015

Web 20 July 2015 Craig fuumlhrt das protestantische Prinzip bdquoSola Scripturardquo (die Bibel allein) als Recht-fertigung fuumlr die Anfechtung oumlkumenischer Dekrete an Wenn es moumlglich ist dass die Kappadokier sich bei ihrer Einschaumltzung des Apollinarianismus im Konzil von 381 n Chr geirrt haben haumltten sie sich dann nicht in Bezug auf die bdquodrei Hypostasen in einem Wesenrdquo das sie ebenfalls am Konzil etabliert haben irren koumlnnen

874 Siehe Douglas Beaumont ldquoIs William Lane Craig a Hereticrdquo Douglas Beaumont Theology Philoso-phy Apologetics 15 November 2010 Web 20 July 2015

875 Craig ldquoThe Very Latest From Reasonable Faithrdquo (Das Neueste vom Vernuumlnftigen Glauben) 876 Skylla und Charybdis sind Meeresmonster in Homers Odyssee In der Geschichte ist Odysseus gez-

wungen zu waumlhlen an welchem der beiden Seeungeheuer er vorbeisegeln wird wenn er dem einem ausweicht wird er nur naumlher an das andere herangefuumlhrt Letztendlich entscheidet sich Odysseus dafuumlr an Skylla vorbei zu segeln und nur eine Handvoll Maumlnner zu verlieren anstatt das gesamte Schiff zu riskieren indem er an Charybdis Wasserstrudel vorbeikommt Fuumlr eine solche Charakterisierung siehe Lamson The Church of the First Three Centuries p 288

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rituellen und zeitlosen MenschheitHumanitaumlt verbunden ist Das ist die ultima-tive Falle in die Craigs Apollinarianismus tritt877 Auf der anderen Seite war die valentiniansche Christologie das heiszligt eine Vereinigung der goumlttlichen und menschlichen Personen und dies war die Falle von Kyrills Orthodoxie Am Ende konnte das Christentum die Gottheit Jesu nicht mehr lehren ohne diese beiden gnostischen Christi voumlllig zu vermeiden es konnte nur den einen oder den ande-ren mit einem katholischen Anstrich uumlbertuumlnchen

Letztendlich bleibt der trinitarische Jesus trotz der anhaltenden Illusion der oumlku-menischen Einheit eine Figur die immer am Rande der Implosion steht878 Pro-fessor Jenkins fasst damit die anhaltende Zwickmuumlhle des heutigen Trinitarismus in dieser Hinsicht zusammen

877 Letztendlich hat gemaumlszlig Apollinaris Jesus eine Menschlichkeit die sich von derjenigen des Restes von

uns unterscheidet Es ist wie wir gesehen haben eine Abstraktion die von der goumlttlichen Person des Logos uumlbernommen wurde Dies steht im Widerspruch zum biblischen Zeugnis dass Christus bdquoin jeder Hinsicht wie seine Bruumlder warrdquo (Hebr 217) und ruumlckt die Maszligstaumlbe naumlher an den menschenverneinenden Doketismus heran Das bdquomenschlicherdquo Leben dieses Christus ist ein Leben ohne menschliche Gedanken eine Behauptung die fuumlr die Menschlichkeit voumlllig unvertretbar und somit unmenschlich ist Kelly beschreibt das orthodoxe Argument gegen Apollinaris bdquoWenn man davon ausgeht dass Christus das charakteristischste Element in der Zusammensetzung des Menschen fehlte naumlmlich ein rationaler Verstand und ein Wille war seine angebliche Menschlichkeit nicht im engeren Sinne menschlich sondern muss etwas Monstroumlses gewesen sein es ist absurd Ihn uumlberhaupt einen Menschen zu nennen es war die rationale Seele des Menschen mit ihrer Entscheidungsmoumlglichkeit welche der Sitz der Suumlnde war und wenn das Wort eine solche Seele nicht mit sich selbst vereinte haumltte das Heil der Menschheit nicht erreicht werden koumlnnen In einem beruumlhmten Satz von Gregor von Nazianz bdquoWas nicht ange-nommen wurde kann nicht wiederhergestellt werden es ist das was mit Gott vereint ist das gerettet wirdrdquo (Kelly p 296)

878 Im Gegensatz dazu schreibt der unitarische Geistliche William E Channing dass ebenso wie uni-tarische Christen an die Einheit Gottes glauben bdquowir an die Einheit Jesu Christi glauben Wir glauben dass Jesus einen Verstand hat eine Seele und ein Wesen ist so wahrhaftig eins ist wie wir es sind ebenso unterscheidbar von dem einen Gott ist Wir beklagen uns uumlber die Lehre der Dreifaltigkeit dass sie sich nicht damit zufrieden gibt Gott zu drei Wesen zu machen sondern Jesus Christus zu zwei Wesen macht und so unendliche Verwirrung in unsere Vorstellungen uumlber seinen Charakter stiftet Diese Verderbnis des Christentums die sowohl dem gesunden Menschenverstand als auch der allgemeinen treuen Auslegung der Schrift widerspricht ist ein bemerkenswerter Beweis fuumlr die Macht einer falschen Philos-ophie Nach dieser Lehre besteht Jesus Christus aus zwei Seelen zwei Verstandsebenen die eine goumlttlich die andere menschlich die eine schwach die andere allwissend Nun behaupten wir dass da-durch Christus zu zwei Wesen gemacht wurde Ihn als eine Person ein Wesen zu bezeichnen und den-noch anzunehmen dass er aus zwei unbegrenzt unterschiedlichen Intelligenzen besteht bedeutet die Sprache zu missbrauchen und zu verwirren und Dunkelheit uumlber alle unsere Vorstellungen von intelli-genten Naturen zu werfen Nach der allgemeinen Lehre hat jeder dieser beiden Sinne in Christus sein eigenes Bewusstsein seinen eigenen Willen und seine eigenen Wahrnehmungen Sie haben in der Tat keine gemeinsamen Eigenschaften Der goumlttliche Verstand empfindet keine der Wuumlnsche und Sorgen des Menschen und der Mensch ist unendlich weit entfernt von der Vollkommenheit und der Seligkeit des Goumlttlichen Kannst du dir zwei Wesen im Universum vorstellen die unterschiedlicher sind Diese Doktrin [ist] denken wir eine enorme Hypothek fuumlr die Erkenntnisfaumlhigkeit des Menschenrdquo (William E Channing ldquoDiscourse at the Ordination of the Rev Jared Sparks Baltimore 1819rdquo Works (Boston American Unitarian Association 1894) p 373)

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Entweder denken wir an Christus rein als Gott in diesem Fall ist er nicht mehr menschlich hat keinen Anteil an unserer menschli-chen Erfahrung und wird eine Goumlttlichkeit am Himmel wie Zeus oder Thor oder wir konzentrieren uns im Gegensatz dazu so sehr auf seine Menschlichkeit dass wir das goumlttliche Element unter-schaumltzen und die Inkarnation leugnen Wir wuumlrden einen Christus zweier Naturen und zweier Geister predigen buchstaumlblich ein schi-zophrenes Wesen879

Es uumlberrascht nicht dass die Debatten uumlber diesen verwirrenden Jesus auch nach der Roumlmerzeit bis ins neue Jahrtausend andauerten da offenbar noch mehr or-thodoxe Konzile erforderlich waren um der anhaltenden Unzufriedenheit der Christen mit der Lehre zu begegnen Kein Wunder auch dass bereits um 1100 n Chr verstreute christliche Gruppen wieder offen gegen die katholischen Anspruuml-che auf die doktrinaumlre Autoritaumlt zu rebellieren begannen880 Es ist wahrscheinlich unmoumlglich mit Sicherheit festzustellen was diese fruumlhen andersdenkenden Gruppen wie die Waldenser (im westschweizerischen Waadtland) uumlber die Trini-taumlt glaubten und lehrten Wie ein Historiker erklaumlrt bdquohaumltte man uumlberall dort wo es eine nicht-trinitarische Bibellehre gab sie glauben und sie unter voumllliger Ge-heimhaltung praktizieren muumlssen Wie uns heute bekannt ist war die paumlpstliche Fuchtel im Mittelalter so total dass die Bemuumlhungen welche die Vaudois (fran-zoumlsisch fuumlr Waldenser) tapfer unternommen haben um die roumlmischen Fesseln abzuwerfen unsere houmlchste Anerkennung ja unsere Bewunderung verdie-nenrdquo881

Um 1215 n Chr wurden Gruppen wie die Waldenser zu Ketzern erklaumlrt und schwer verfolgt Im selben Jahr wurde das Vierte Laterankonzil von den Ortho-doxen einberufen um Fragen bezuumlglich der drei Personen der Dreifaltigkeit der Inkarnation und der von den goumlttlichen Mitgliedern geteilten Essenz zu klaumlren882 Aber nichts davon beendete die Debatten auf die Dauer Schlieszliglich kam 1438 n Chr eine weitere orthodoxe Synode das siebenjaumlhrige Konzil von Florenz zu-sammen Hier wurde dekretiert bdquodass der Heilige Geist auch vom Sohn aus-gehtrdquo883 sowie vom Vater was einer offensichtlichen Umkehrung des Glaubens-bekenntnisses des Konzils von Konstantinopel (381 n Chr) entspricht das be-

879 Jenkins Jesus Wars p 2 880 Das Gedicht ldquoLa Nobla Leyzconrdquo bestaumltigt die Existenz der Waldenser 1100 n Chr 881 Alan Eyre The Protestors (Worcester Billing amp Sons Limited 1985) p 14 882 Siehe die Konstitution des 4 Lateraner Kounzils (1215 n Chr) 883 Leacuteon van der Essen ldquoThe Council of Florencerdquo The Catholic Encyclopedia Vol 6 (New York Robert

Appleton Company 1909) Web 29 Sept 2014 See note on the ldquoFilioquerdquo on p 113

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sagte dass der Heilige Geist bdquovom Vater ausgehtrdquo (Natuumlrlich widerspricht die Aus-sage von Florenz dem Zeugnis Jesu Christi dass der Heilige Geist bdquovom Vaterrdquo ausgeht [Johannes 15 26] in flagranter Weise)

Waumlhrend der protestantischen Reformation des sechzehnten Jahrhunderts nah-men jedoch einige Gruppen des Christentums eine biblisch motivierte und dra-matisch antitrinitarische Wendung884 Das Konzil von Venedig eine Konvention der Wiedertaumlufer [Anabaptisten] im Jahr 1550 n Chr verkuumlndete eindeutig anti-trinitaristische Prinzipien885 Von diesem Zeitpunkt an wuumlrde die christliche Welt den Aufstieg der erfolgreichen socinianischen Bewegung erleben die erneut die Theologie der Photinier und der juumldischen Nazarener aufleben lieszlig dass Gott Einer ist der Vater und dass Christus der Menschensohn seinen buchstaumlblichen Anfang im Mutterleib Marias hatte886

Waumlhrend moderne Trinitarier aus allen Kirchen und Konfessionen behaupten und dies wirklich auch glauben dass sie eine Doktrin betreiben die von allen legitimen Christen vollstaumlndig akzeptiert worden sei finden wir Beweise dafuumlr dass schon immer Meinungsverschiedenheiten und Verwirrung fortbestanden Cyril C Richardson ehemaliger Praumlsident der American Society of Church His-tory gibt dazu einen aufschlussreichen Kommentar ab

Ich kann nur glauben und hoffen dass die Lehre von der Dreifal-tigkeit die noch lange nicht etabliert ist offen fuumlr ernsthafte Kritik ist sowohl wegen des modernen Verstaumlndnisses der Schrift als auch wegen der ihr innewohnenden Widerspruumlche im Wortlaut Es ist keine Doktrin die - so wie sie dasteht - im Neuen Testament zu finden ist Es ist ein Konstrukt der Kirche des vierten Jahrhun-derts887

884 Ein angesehener Begleiter Luthers Martin Cellarius (1499-1564 n Chr) und der Anabaptist Hans

Denck (1500-1527 n Chr) sind Beispiele fuumlr prominente fruumlhe Herausforderer der Lehre Eine weitere Stimme Giorgio Blandrata (1515-1588 n Chr) ein italienischer Unitarier war in haumlufigem Kontakt mit Jean Calvin und hatte groszligen Einfluss in Polen

885 E Comba ldquoUn sinodo anabattista a Venezia anno 1550rdquo Rivista Cristiana Vol 13 (1885) pp 21-24 83-87

886 Die Socinianer die um 1579 n Chr einen fruumlhen Erfolg feierten und in der zweiten Haumllfte des 17 Jahrhunderts als bdquoUnitarierrdquo oder bdquoPolnische Bruumlderrdquo bekannt waren akzeptierten Jesus als Gottes Sohn und als einen echten Menschen ohne buchstaumlbliche Prauml-Existenz Die Socinianer befuumlrworteten auch bekanntlich die Trennung von Kirche und Staat betonten die Bedeutung der menschlichen Moral und hielten fest dass die christliche Lehre sowohl in der Schrift als auch rational begruumlndet sein sollte Die von ihnen so beharrlich verteidigte unitarische Theologie sollte schlieszliglich eine weite Verbreitung in Europa und den Vereinigten Staaten finden und sich an so beruumlhmten Anhaumlngern wie Sir Isaac Newton John Locke John Milton Praumlsident Thomas Jefferson Praumlsident John Adams Praumlsident John Quincy Adams Susan B Anthony Paul Revere Joseph Priestley William Whiston Koumlnig Johann Sigismund von Ungarn und Praumlsident William Taft erfreuen

887 Richardson p 17

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Politischer Unfall versus Vorsehung

Das Portraumlt der tragischen Hoffnungslosigkeit der Kirche aumlndert sich an diesem Punkt der Schilderung Wenn wir die dunkle geistliche Qualitaumlt der kirchlichen Taumltigkeit der roumlmischen Aumlra im Verhaumlltnis zum Trinitarismus zusammenfassen finden wir keine treffenderen Worte als die Aufzeichnung eines der aktivsten Protagonisten in Nicaumla Bischof Hilarius von Poitiers (ca 300-368 n Chr)

Es gibt da eine Sache die ebenso bedauerlich wie gefaumlhrlich ist dass es so viele Glaubensbekenntnisse wie Meinungen unter den Menschen gibt so viele Lehren wie Tendenzen und so viele Quel-len der Gotteslaumlsterung wie es Fehler unter uns gibt weil wir be-liebig Glaubensbekenntnisse machen und sie so willkuumlrlich erklauml-ren Die Homoousie [die Teilhabe an der Substanz zwischen dem Vater und dem Sohn] wird einmal abgelehnt und von den nachfol-genden Synoden wieder aufgenommen und wieder wegerklaumlrt Die teilweise oder vollstaumlndige Aumlhnlichkeit des Vaters und des Sohnes ist in diesen ungluumlcklichen Zeiten umstritten Jedes Jahr ja jeden Tag entwerfen wir neue Glaubensbekenntnisse um verborgene Geheimnisse zu beschreiben Wir bereuen was wir getan haben Wir verteidigen diejenigen die bereuen Wir verurteilen diejenigen die wir verteidigt haben Wir verurteilen entweder die Lehre der anderen in der unseren oder unsere eigene in der Lehre der ande-ren und waumlhrend wir uns gegenseitig in Stuumlcke reiszligen sind wir die Ursache des Untergangs der anderen888

In diesem zutiefst tragischen Eingestaumlndnis stellt man fest dass keine spezifische Haumlresie fuumlr die Verwuumlstung der Wuumlrde der Kirche verantwortlich gemacht wer-den kann Vielmehr liegt der Fehler im saumlkularen kraftvollen bdquoKonzil-Bekennt-nis-Systemrdquo selbst Wenn man diesen Teufelskreis der Verurteilung [mit seinen Anathemas] beobachtet kann man nicht umhin sich zu fragen ob dies die im Neuen Testament vorgeschriebene Operation des goumlttlich geweihten Leibes Jesu ist oder nicht Natuumlrlich hatte die Welt fruumlher in einer Zeit die weniger weit von Christus und seinen Aposteln entfernt war ein leuchtendes Mitgefuumlhl unter den Christen gesehen Es regte die Heiden zu heiszliger Kameradschaft und Selbstlosig-keit an Aber jetzt konnte man es schon nicht mehr verwechseln bereits zum Ende des vierten Jahrhunderts war dieser Geist weitgehend wenn nicht gar voll-staumlndig verschwunden

888 Hilary Ad Constantium I quoted by John William Draper History of the Conflict Between Religion

and Science (New York D Appleton and Co 1898) p 203

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Waumlhrend das Fortbestehen der Mysterienschulen innerhalb der Christenheit si-cherlich mit einer groszligen Verantwortung fuumlr den heftigen Unfrieden des Glau-bens verbunden ist gab es im Herzen des katholischen Konzilsystems eine wei-tere fundamentale Schwaumlche die praktisch fuumlr korrumpierte Ergebnisse sorgte die Tatsache dass sich die saumlkulare Regierungspolitik und das praktische Chris-tentum nie ohne eine gewisse Kompromissbereitschaft vermischten In der Hoff-nung die Hinterhaumlltigkeit und Brutalitaumlt (auf allen Seiten) zu verstehen erinnern wir uns vielleicht daran dass die Bischoumlfe des fruumlhen vierten Jahrhunderts un-laumlngst eine heftige Veraumlnderung ihres Lebensstils erfahren hatten eine Art bdquoKul-turschockrdquo der viele von ihnen zur Ausbeutung getrieben haben koumlnnte Nur ein paar Jahre vor Nicaumla rannten dieselben Bischoumlfe unter der harten roumlmischen Ver-folgung um ihr Leben jetzt hielten sie das Schicksal des Reiches in ihren Haumlnden Dieser ploumltzliche Rollentausch mag sie zwischen einem Leben mit seinem altbe-kannten Werten und der Korruption die durch den unmittelbaren Einfluss auf den Kaiser erleichtert wurde hin und her gerissen haben Eine solch prekaumlre Si-tuation war fuumlr das kirchliche Werk kaum foumlrderlich Wie Rubenstein treffend erklaumlrt

Christliche Bischoumlfe die zwar reine und friedliche Menschen sein sollten gehoumlrten nun zu den maumlchtigsten politischen Persoumlnlich-keiten des Reiches Die Widerspruumlche zwischen den Idealen des Verhaltens die das Leben Jesu Christi darstellt und den Anforde-rungen an die Amtsfuumlhrung in der Kirche des vierten Jahrhunderts waren peinlich Die weltlichen Pflichten und Ambitionen eines Bi-schofs fuumlhrten ihn oft zu politischen Intrigen finanziellen Schika-nen Missbrauch von Gerichts-verfahren und schierer Gewalttaumltig-keit gegen seine Widersacher - all das koumlnnte zu Anklagen fuumlhren die von politischen oder doktrinaumlren Feinden gegen ihn verwendet werdens889

Wenn der moderne Christ nach der Beobachtung der umfassenden moralischen Korruption und politischen Hinterhaumlltigkeit der kirchlichen Fuumlhrung in den fruuml-hen Jahrhunderten nicht der Ansicht waumlre dass es zumindest unklug ist blind darauf zu vertrauen dass das Ratsystem letztendlich fuumlr die Nachwelt bdquodas Rich-tigerdquo ist ohne die Moumlglichkeit von schwerwiegender Fehler Was koumlnnte schlim-mere Konsequenzen fuumlr das Christentum haben als die Mischung der christlichen Sache mit menschlichem Ehrgeiz Kein verderblicheres Verlangen haumltte sich an die Funktionsweise der Religion Jesu halten koumlnnen als das Verlangen nach hie-rarchischem Fortschritt auszliger vielleicht dem Verlangen nach persoumlnlichem

889 Rubenstein p 101

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Uumlberleben Es ist leicht zu beobachten dass einige der einflussreichsten bischoumlf-lichen Turnierkaumlmpfer aktiv an der Verfolgung dieser beiden Preise beteiligt wa-ren

Der Kaiser Konstantin hatte in einem Brief an die Kirche in Alexandria behaup-tet bdquoWir haben von der goumlttlichen Vorsehung die houmlchste Gunst erhalten von allen Irrtuumlmern befreit zu seinrdquo890 Aber warum sollte das pflichtbewusste Ver-trauen vieler Hauptglaumlubiger dass Gott den Bestimmungen der katholischen Raumlte absolut bdquovorstandrdquo nicht ernsthaft in Frage gestellt werden Wie Jenkins ange-messen erzaumlhlt

Mit Blick auf die Geschichte umfasste der Prozess der Orthodoxie einen groszligen Teil dessen was wir als politischen Unfall bezeichnen koumlnnten - abhaumlngig vom Ergebnis der dynastischen Nachfolge vom Sieg oder der Niederlage im Kampf vom theologischen Ge-schmack der koumlniglichen Schluumlsselfiguren Waumlhrenddessen sind wir immer versucht zu sagen Wenn dieses Ereignis nur anders oder so oder so verlaufen waumlre Es ist eine Geschichte von Wenn und die Dinge koumlnnten sehr leicht einen anderen Weg gegangen sein Fuumlr spaumltere Generationen von Christen - und implizit fuumlr andere Reli-gionen - ist diese Schlussfolgerung demuumltigend Auch aus christli-cher Sicht - oder fuumlr andere Glaubensuumlberlieferungen - ist der Zu-fall kein guumlltiger Begriff891

Jenkins geht auf einen wichtigen Punkt ein Es ist fuumlr viele Christen schwierig sich der Moumlglichkeit zu stellen dass Gott die lehrmaumlszligigen Arbeiten der Konzile nicht geleitet hat Der allgemeine christliche Glaube enthaumllt die Uumlberzeugung dass Gott selbst eine ununterbrochene Kontrolle von allem was auf dieser Erde ge-schieht innehat Fuumlr viele scheinen die Auswirkungen des Fehlens absoluter Ein-mischung Gottes in die Schlussfolgerungen der synodischen Aumlra naumlmlich dass Millionen nachfolgender Glaumlubiger durch ein erbliches Versagen der Leitung ir-regefuumlhrt worden sein koumlnnten fast zu viel zu ertragen Aber die neutestamentli-chen Autoren offenbaren dem Glaumlubigen tatsaumlchlich eine frappierende Wahrheit dass noch heute bdquodie ganze Welt unter der Kontrolle des Boumlsen stehtrdquo (1 Johan-nes 519) Dies sollte fuumlr Christen nicht zu schwer zu verdauen sein Ein Blick auf den traurigen Zustand des Planeten insbesondere auf den in mehr als 41000

890 Eusebius Life of Constantine quoted in R MacMullen Christianity and Paganism in the Fourth to Eighth

Centuries (New Haven London 1997) p 130 891 Jenkins pp 268-269

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christlichen Konfessionen892 aufgesplitterten bdquoKoumlrper Christirdquo sollte Glaumlubigen bezeugen dass Gottes Wunsch nach Klarheit und Einheit in der Kirche oft ver-dorben wird entweder durch die Menschheit die Kraumlfte des Boumlsen in der Welt oder durch eine Kombination von beiden

Unabhaumlngig davon wie diese Historie verarbeitet wird bleibt die Tatsache beste-hen dass die christliche Exegese nachdem die Staatskirche ein fuumlr alle Mal be-stimmt hatte was wahr ist weitgehend zu einer Aufgabe wurde die Bibel zu in-terpretieren gegebenenfalls kreativ um gewisse Anforderungen zu erfuumlllen Aber was koumlnnte dem geistlichen Leben von Millionen von Christen moumlglicherweise abtraumlglicher sein als die Errichtung einer geistig-geistlichen Straszligensperre vor den Lehren des historischen Jesus Die orthodoxen Formeln waren von Anfang an theologische Mautstellen an denen ein Zoll bezahlt werden musste bevor man zu Christus gelangt und wo Weichen gestellt wurden die wie wir gesehen haben leicht in eine andere Richtung haumltten fuumlhren koumlnnen

892 ldquoGlobal Christianity A Report on the Size and Distribution of the Worldrsquos Christian Populationrdquo The

Pew Forum on Religion amp Public Life December 19 2011 Appendix B Methodology for Estimating Chris-tian Movements (Bericht uumlber Groumlszlige und Verteilung der Chrstlichen Bevoumllkerung dieser Welt App B Methode zur anzahlmaumlszligigen Schaumltzung der Christlichen Bewegungen)

Konsequenzen des Dogmas

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KonsequenzendesDogmas

bdquoIch fuumlhle mich nicht verpflichtet zu glau-ben dass derselbe Gott der uns mit Sinn Verstand und Intellekt ausgestattet hat beabsichtigt dass wir auf ihren Gebrauch verzichtenrdquo

mdash Galileo Galilei

UN DA WIR DIE ENTWICKLUNG DER GESCHICHTE DER DES ORTHODOXEN DOGMAS UumlBER GOTT betrachtet haben werden wir einige wichtige Konsequenzen untersuchen die sie auf die

Religion Jesu hatte Insbesondere beleuchten wir die Auswirkungen des christli-chen Dogmas auf die Juden Wie wirkten sie sich auf den traditionellen Juumldischen Monotheismus auf die Vernunft auf die Worte Jesu Christi und die Beziehung zwischen dem Christentum und dem Judentum aus aus dem das erstere hervor-gegangen war Was wir zunaumlchst herausfinden muumlssen ist die Quelle der theolo-gischen Strapazen die den Sturm der unberechenbaren Politik in der post-nicaumlni-schen Christenheit verursacht hat Das neue Dogma litt quasi unter Geburtswe-hen Mehr als alles andere stand dem aufkeimenden Trinitarismus ein tiefer Kon-flikt mit dem juumldischen Glauben an einen Gott gegenuumlber

Die Doktrin der gegenseitigen ebenbuumlrtigen und gleichberechtigten ewigen Gottheit des Vaters und des Sohnes war verstaumlndlicherweise schwer mit dem Ju-dentum zu vereinbaren Es gab keine biblische Aufzeichnung dass das Wissen der mosaischen Tradition unter den fruumlhesten Nachfolgern Christi aktualisiert worden waumlre Wie ein Professor feststellte bdquoblieben die Versuche der sbquoOrthodo-xenrsquo die Uumlbereinstimmung ihres Dogmas von zwei goumlttlichen Personen mit dem Monotheismus zu demonstrieren zutiefst unsicher und widerspruumlchlich Die

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staumlrkste Ursache fuumlr all die Schwierigkeiten fuumlr das Dilemma und die Spitzfindig-keiten dieser Situation war der Mangel an biblischer Evidenzrdquo893 Ohne direkte biblische Unterstuumltzung um diesen radikalen Wandel zu begruumlnden hatten sich die Heiden an die polytheistischen Modelle der griechischen Philosophie ge-wandt Aus ihnen habe sie die passendsten Begriffe extrahiert die sie fuumlr ihre Zwecke modifizieren konnten Wie wir bereits bemerkt haben wurde die kap-padokische Doktrin als Kompromiss zwischen der arianischen und der sabellia-nischen Position angesehen sie war auch eine philosophische bdquoLoumlsungrdquo fuumlr das polytheistische Dilemma in dem Athanasius den Glauben nach Nicaumla auf Grund gefahren hatte So fand sich die Orthodoxie nach 381 n Chr weder eindeutig monotheistisch noch klar polytheistisch wieder - sie lag irgendwo dazwischen Die Kappadokier hatten sich sowohl aus der juumldischen Bibel als auch aus den griechischen Religionen unumwunden die Dreifaltigkeit ausgeliehen wie Gregor von Nyssa selbst zugab bdquoVon der juumldischen Auffassung wurde die Einheit der Natur Gottes festgehalten aus dem Heidentum stammt die Unterscheidung der Gottheit hinsichtlich der Hypostasenrdquo894 Wie Wolfson bemerkt war das Konzept der Dreifaltigkeit bei den Vaumltern bdquoeine Kombination aus juumldischem Monotheismus und heidnischem Polytheismus und diese Verbindung erschien fuumlr sie als eine gute Kombina-tionrdquo895 Aber nun da die nuumltzlichen Elemente aus jeder Religion herausgezogen worden waren konnte man sowohl den juumldischen Monotheismus als auch den griechischen Polytheismus ablehnen wie die Kappadokier es auch empfahlen

Der Christ der den Polytheismus bekaumlmpft braucht Sorgfalt da-mit er im Kampf gegen den Hellenismus nicht unbewusst ins Ju-dentum faumlllt So vermeidet das Geheimnis des Glaubens gleich-ermaszligen die Absurditaumlt des juumldischen Monotheismus wie auch des heidnischen Polytheismus896

Was war dieser bdquoabsurde juumldische Monotheismusrdquo der so sehr mit der Trinitaumlts-lehre kontrastierte Wenn die Heiden mehrere Goumltter lehrten und die Trinitarier mehrere Personen in einem Gott lehrten dann lehrte der bdquojuumldische Monotheis-musrdquo offensichtlich nur eine Person in einem Gott Gregor bestaumltigt dass so wie die Trinitaumltslehre den Polytheismus vermeidet bdquoauch die Aussage nicht mit dem juumldischen Dogma harmoniertrdquo897 Obwohl moderne Trinitarier die Dreieinig-keitslehre als bdquomit dem juumldischen Monotheismus kompatibelrdquo898 malen nannten

893 Martin Werner The Formation of Christian Dogma (Harper New York 1957) pp 241-242 894 Gregory of Nyssa The Great Catechism I 3 895 Wolfson p 362 896 Gregory of Nyssa The Great Catechism I 1 897 Ebenso I 3 898 Der Trinitarier John C Merkle argumentiert dass bdquounsere trinitarische Perspektive mit dem juumldischen

Monotheismus vereinbar istldquo und fuumlr dieses Verstaumlndnis zitiert er die Ansichten von bdquoden Gruumlndern

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die Begruumlnder des orthodoxen Trinitarismus das juumldische Konzept von Gott bdquoKetzereirdquo bdquoIrrtumrdquo und bdquoeine profane Sichtweiserdquo Fuumlr sie wird bdquodas juumldische Dogma durch die trinitarische Theologie zerstoumlrtrdquo899 Die Frage ist Was haumltten der Jude Jesus oder die vorwiegend juumldischen Mitglieder der neutestamentlichen Ge-meinschaft von Gregors Meinung gehalten dass der juumldische Monotheismus bdquoab-surdrdquo sei und dass der Gott des Judentums im gleichen Masse zu vermeiden sei wie die verschiedenen Gottheiten der Heiden Wie uns ein Professor in Erinne-rung ruft

Nach Ansicht der Zeugen des Neuen Testaments gab es in der Lehre Jesu und der Apostel gegenuumlber dem Monotheismus des Al-ten Testaments und des Judentums uumlberhaupt kein Element der Veraumlnderung Markus 1229 notierte die uneingeschraumlnkte Bestaumlti-gung des houmlchsten monotheistischen Glaubensbekenntnisses der israelitischen Religion in seiner vollstaumlndigen Form von Jesus selbst900

Das von den Kappadokiern verfasste trinitarische System das heute noch von der Mehrheit der Christen in der ganzen Welt hochgehalten wird basiert genau auf der Annahme dass der juumldische Monotheismus im Irrtum war Aber wenn die Forscher in den Lehren Christi keinen Bruch mit dieser historischen Religion [dem Judaismus] erkennen koumlnnen sondern stattdessen Jesu eigene oumlffentliche Bekraumlftigung davon feststellen (Markus 1228ff) was hat die Kappadokische Lehre ausser einer Jesus beleidigenden Zensur dann erreicht Zudem ist sie eine neuartige Theologie die sich jetzt im leeren Raum zwischen Monotheismus und Polytheismus in prekaumlrer Weise niedergelassen hat Dies ist zweifellos eine span-nungsgeladene und gefaumlhrliche Region die bis heute nicht wirklich erfasst und ausgelotet worden ist

KonsequenzenfuumlrdieWorteJesuChristiDie bemerkenswertesten Saumltze aus dem Nicaumlnum von 325 n Chr namentlich wie bdquowahrer Gott aus wahrem Gott gezeugt nicht geschaffen eines Wesens mit dem Vater Fleisch geworden rdquo sind frappant unbiblisch Historisch gesehen sind die seither uumlberlieferten Glaubensbekenntnisse weniger ein bdquoneutestament-licherrdquo Leitfaden fuumlr den [christlichen] Glauben als vielmehr ein Beispiel dafuumlr wie effektiv die Philosophie in den ersten Jahrhunderten allmaumlhlich ins christliche

der trinitarischen Lehre des vierten und fuumlnften Jahrhundertsldquo (John C Merkle ldquoFaith Transformed by Study and Friendshiprdquo Faith Transformed Christian Encounters with Jews and Judaism (Collegeville The Li-turgical Press 2003) p 194)

899 Gregory of Nyssa The Great Catechism 1 3 unsere Hinzufuumlgung 900 Werner p 241

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Denken eingedrungen war Der schockierende Effekt ist dass spaumltere Formulie-rungen wie das Athanasianische Glaubensbekenntnis (ca 500 n Chr) sogar Ideen projizierten die nicht nur den juumldischen Monotheismus in Frage stellen sondern den Worten Jesu direkt widersprechen

Das Athanasianische Glaubensbekenntnis das nicht von Athanasius selbst ge-schrieben wurde (der 373 n Chr starb) sondern zu seinen Ehren so benannt wurde901 wird immer noch von der Roumlmisch-Katholischen Kirche von den Ang-likanern den Lutheranern und den meisten liturgischen protestantischen Kon-fessionen akzeptiert Einige der Grundsaumltze des Athanasianischen Glaubensbe-kenntnisses lauten wie folgt

Wer da selig werden will der muss vor allem den katholischen Glauben festhalten Wer diesen nicht in seinem ganzen Umfang und unverletzt bewahrt wird ohne Zweifel ewig verlorengehen Das (Bekenntnis) ist der katholische Glaube Wer ihn nicht treu und fest umfasst kann nicht selig werden902

Sollten diese Aussagen wirklich den Glauben repraumlsentieren den Jesus (der Gruumlnder des Christentums) der Kirche vermittelt hat koumlnnte man doch erwarten dass es eine gewisse Uumlbereinstimmung mit den aufgezeichneten Evangelien gaumlbe dh mit Jesu eigener uneingeschraumlnkter Predigt und dem Dialog mit seinen An-haumlngern Mit anderen Worten wuumlrden die modernen Kreise die das Athanasia-nische Glaubensbekenntnis aufrechterhalten nur dem Beispiel Christi folgen und erwarten dass wahre Juumlnger Christi diese Ideen oumlffentlich bekennen dann haumltte Jesus doch vorgaumlngig oumlffentlich zeigen sollen dass er gleichfalls das Glaubensbe-kenntnis bdquoganz und unverletztrdquo beibehalten wollte Doch schon ein kurzer Ver-gleich zwischen den beiden Extremen liefert deutliche Ergebnisse der Unverein-barkeit

Athanasisches Bekenntnis bdquoUnd in dieser Dreifaltigkeit ist nichts fruumlher oder spaumlter nichts groumlszliger oder kleiner sondern alle drei Personen sind einander gleichewig und gleichrangigrdquo

Jesus bdquo der Vater ist groumlszliger als ichrdquo (Johannes 1428b)

Athanasisches Bekennntis bdquoAllmaumlchtig ist der Sohnrdquo

Jesus bdquoIch kann nichts von mir selbst tunrdquo (Johannes 530)

901 George Ommanney A Critical Dissertation on the Athanasian Creed (London OUP 1897) p 404 See also

Thomas Hartwell Home A Concise History and Analysis of the Athanasian Creed (London T Cadell Strand 1834) p 7

902 The Athanasian Creed c 500 CE

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Athanasisches Bekenntnis bdquoWir verehren einen Gott in der Dreifaltigkeitrdquo

Jesus bdquoDie wahren Anbeter beten den Vater anrdquo (Johannes 423)

Athanasisches Bekenntnis bdquoDer Sohn ist Gottrdquo

Jesus bdquoVater Du bist der allein wahre Gottrdquo (Johannes 171a3a)

Nicht nur dass die vom Athanasianischen Glaubensbekenntnis geforderten Vor-schlaumlge im Evangelium nicht vorhanden sind sie scheinen auch die eigenen Fest-stellungen Jesu radikal zu uumlberschreiten Wenn das Christentum als bdquonach Chris-tusrdquo definiert werden soll wie kommt es dann dass diese unterschiedlichen Glau-bensbekenntnisse von den Kirchen als derart fundamental bdquochristlichrdquo angesehen werden dass selbst das eigene Heil durch persoumlnliche und oumlffentliche Hingabe an diese Saumltze beurteilt wird903 Unglaublich aber wahr dies ist nur moumlglich weil die allgemeine Christenheit an den Worten Jesu ein voumllliges Desinteresse bekun-det Trinitarische Quellen haben die Tatsache anerkannt dass das Christentum obwohl es Jesus als die zentrale Figur und den Gruumlnder des Glaubens begruumlszligt bdquonicht auf den Lehren von Jesus basiertrdquo904 sondern auf den Worten anderer Men-schen uumlber ihn Unter allen Religionen steht die Christliche mit dieser seltsamen Praxis allein

Waumlhrend Buddhismus und Islam in erster Linie auf der Lehre des Buddha bzw Mohammeds gruumlnden basiert das Christentum in

903 Betreffend die durch das Athanasianische Glaubensbekenntnis ausgesprochene Verdammnis haben

einige Trinitarier zugegeben bdquoDie Erloumlsung kann ohne Kenntnis des Athanasianischen Glau-bensbekenntnisses erreicht werden Tausende und Millionen von Christen sind zu Grabe getragen worden die entweder nie davon gehoumlrt oder es nicht verstanden haben rdquo (Edward Burton Theological Works Vol I (S Collingwood 1837) S 283) Andere haben ebenfalls zugegeben bdquoIch glaube nicht an die verdammenden Klauseln im Athanasianischen Glaubensbekenntnisrdquo (Thomas Arnold bdquoLetter 185rdquo in Life and Correspondence Vol 1 (London George Woodfall and Son 1844) S 321) Und ein an-derer sagt bdquoIch bin bereit anzuerkennen dass unsere Kirche nach meinem Urteil ungeachtet der Auto-ritaumlt fruumlherer Zeiten weiser und konsequenter mit ihren allgemeinen Prinzipien der Milde und Toleranz gehandelt haumltte wenn sie nicht die verdammenden Klauseln des Athanasianischen Glaubensbekennt-nisses uumlbernommen haumltte Obwohl ich fest davon uumlberzeugt bin dass die Lehren dieses Glau-bensbekenntnisses alle in der Schrift begruumlndet sind kann ich es nur als unnoumltig und anmaszligend emp-finden zu sagen dass sbquoauszliger dass jeder sie ganz und unverletzt haumllt er ohne Zweifel ewig sterben wirdrsquo rdquo (George P Tomline Elements of Christian Theology Vol 2 (London Luke Hansard amp Sons 1815) S 222) Allerdings hat die eigene Meinung das Athanasianische Glaubensbekenntnis nicht aus den Buumlchern ferngehalten Trotz des Unbehagens unter einigen Bischoumlfen als ein groszliges pan-anglikanisches Konzil ernsthafte Anstrengungen unternahm um das Athanasianische Glaubensbekenntnis oder zumindest seine verdammenden Klauseln zu entkraumlften stimmte das Konzil fuumlr die Aufrechterhaltung des Glau-bensbekenntnisses und bestand darauf dass bdquojeder Geistliche der Konfession noch verpflichtet sein sollte es zu unterschreibenrdquo (Jabez Thomas Sunderland A Ministry of Twenty Years in Ann Arbor (Ann Arbor The Register Pub Co 1893) S 6)

904 James Kennedy ldquoHow I Know Jesus is Godrdquo Truths that Transform James Kennedy Ministries 11 November 1998 Web 15 December 2015 (Wie Weiszlig ich dass Jesus Gott ist Wahrheit die veraumlndert)

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erster Linie auf der Person Christi Das Christentum ist kein Glaube an die Lehren Jesu sondern das was uumlber ihn erzaumlhlt wird Der Ap-pell man soll glauben bdquowie Jesus glaubterdquo anstatt an Jesus zu glauben ist eine dramatische Veraumlnderung der grundlegenden Natur des Christentums905

Wie wiederholt zugegeben wurde hat sich das Christentum mehr mit dem be-schaumlftigt was bdquouumlber Jesusrdquo berichtet wurde In der Tat wie der angesehene lu-therische Theologe Hans Schwarz feststellt bdquoEs ist bezeichnend dass keines der Bekenntnisse woumlrtliche Aussagen von Jesus enthaumllt sondern vielmehr von ihm handelt Das bedeutet dass sie keine Fortsetzung der Verkuumlndigung der Lehren Jesu sind sondern eine Antwort daraufrdquo906

Unter dem Schutz der katholischen Glaubensbekenntnisse drifteten die Lehren Christi [seine Worte] gefaumlhrlich in Richtung Mysterium und Abstraktion Es hieszlig Jesus meinte nicht wirklich was er sagte seine Methoden galten mehr und mehr als mangelhaft und unterentwickelt Seine Aussagen mussten geduldig warten bis spaumltere Philosophen sie vielleicht mit ihrem vollen Sinn erfuumlllten Fuumlr die hoch-geachteten Worte Christi waren die Folgen tiefgreifend aber das ist leider nicht der einzige Verlust den das orthodoxe System verursacht hat

KonsequenzenfuumlrdieVernunftFakten muumlssen begreifbar und nachvollziehbar sein Vernunft ist definiert als bdquodas was einige Fakten begreifbar machtrdquo und sie wird erklaumlrt als bdquodie Kraft des Geistes durch logisches Denken eine Schlussfolgerung zu ziehenrdquo Natuumlrlich ist die Vernunft oft das erste was in Diskussionen uumlber das Thema der Dreifaltigkeit uumlber Bord geworfen wird 907 Wie Luther empfahl bdquoDiese [Lehre] wie auch jeder andere Glaubensartikel darf nicht auf Vernunft beruhenrdquo908 Andere Reformato-ren wie Philipp Melanchthon haben ebenfalls vorgeschlagen dass Christen die Debatte uumlber Gott ganz weglassen sollten und sagen bdquoEs ist besser die Geheim-nisse [die Mysterien] der Gottheit zu verehren als sie zu untersuchenrdquo909 In der christlichen Bevoumllkerung scheint dieser Rat weitgehend befolgt zu werden Et-was das als bdquoGlauberdquo bezeichnet wird hat Vorrang gewonnen uumlber etwas ande-res das abschaumltzig als bdquogesunder Menschenverstandldquo bezeichnet wird

905 Harold Brown Heresies (Peabody MA Hendrickson 1984) p 13 906 Hans Schwarz The Christian Church Biblical Origin Historical Transformation and Potential for the

Future (Minneapolis Augsburg Publishing House 1982) pp 87-88 907 Siehe ldquoReasoningrdquo Merriam-Websterrsquos Dictionary 2015 Web 12 November 2014 (Vernuumlnftiges Uumlber-

legen) 908 Siehe Luther Complete Sermons of Martin Luther Vol 2 pp 406-407 (Predigten) 909 Wilhelm Pauck Melanchthon and Bucer (London The Westminster Press 1969) pp 9-10

Konsequenzen des Dogmas

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Dieser Triumph des bdquoGlaubensrdquo uumlber die Vernunft ist eine Tradition die christ-liche Wissenschaftler seit langem nutzen um die wechselnde Neugierde der Mas-sen zu stillen und die Vernachlaumlssigung von persoumlnlichem Studium und Uumlberzeu-gung zu rechtfertigen Origenes erklaumlrte im dritten Jahrhundert dass die Idee des bdquoGlaubensrdquo von den Theologen als bdquonuumltzlich fuumlr die Mengerdquo angesehen wurde Wir muumlssen zugeben dass es viele gibt die nicht alles [die Tradition] aufgeben koumlnnen um eine Studie uumlber rationale Argumente zu betreiben Wir muumlssen sie lehren zu glauben ohne ihre Gruumlnde zu uumlberdenkenrdquo910 So schrieb Basilius eben-falls bdquoLasst uns Christen die Einfachheit unseres Glaubens den Demonstratio-nen der menschlichen Vernunft vorziehenrdquo911

Die christliche Geistlichkeit hat den irrefuumlhrenden Vorschlag die Glaubensbe-kenntnisse bdquoeinfach zu glaubenrdquo fuumlr den Laien sicherlich attraktiver gemacht Die Akzeptanz von Aussagen ohne Hinterfragung wird von etwas Toumlrichtem in etwas moralisch Lobenswertes umgewandelt Tatsaumlchlich schrieb Melanchthon diese Praxis sogar den Aposteln zu und applaudierte Paulus da er nicht bdquouumlber die Ge-heimnisse der Dreifaltigkeit [und] den Modus der Inkarnation philosophierterdquo912 Natuumlrlich geht er mit diesem Lob davon aus dass Paulus tatsaumlchlich an die Drei-faltigkeit geglaubt hat Aber ist es nicht vernuumlnftiger zum Schluss zu kommen dass Paulus angesichts des historisch-kulturellen Kontextes in dem er predigte weder die Dreifaltigkeit noch die Inkarnation erwaumlhnte geschweige denn daruumlber philosophierte weil er ganz einfach nie von diesen Themen gehoumlrt hatte

Das biblische Modell des bdquoGlaubensrdquo steht nicht im Widerspruch zur Vernunft Der Glaube der Apostel wurde offensichtlich nicht durch die Zusammenfassung von Argumenten erreicht die nicht gruumlndlich gepruumlft worden waren sondern durch die bdquoZerstoumlrung von Festungen und jeder Houmlhe die sich gegen die Erkenntnis Gottes erhebt und nehmen jeden Gedanken gefangen unter den Gehorsam Christirdquo (2 Kor 105) Das biblische Wort fuumlr bdquoGlauberdquo (griechisch pistis) beschreibt eigentlich eine bdquoUumlberzeugung von der Wahrheit von etwasrdquo913 Bullinger definiert es als bdquofeste Uumlber-zeugungrdquo914 Man kann von einem Vorschlag uumlberezugt sein wenn man ihn nicht fest glaubt und natuumlrlich kann kein Vorschlag fest geglaubt werden es sei denn der Vorschlag wird tatsaumlchlich und vernuumlnftig verstanden

910 Origen Against Celsus 1 10 (Gegen Celsus) 911 Basil of Caesarea zitiert in Freeman Closing of the Western Mind p 316 912 Ebenso 913 Joseph Henry Thayer The New Thayerrsquos Greek-English Lexicon of the New Testament (Lafayette

Associated Publishers and Authors 1979) emphasis added 914 E W Bullinger A Critical Lexicon and Concordance to the English and Greek New Testament (Lon-

don Samuel Bagster and Sons Ltd 1971)

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Gerade dagegen houmlrt man Trinitarier haumlufig protestieren bdquoDu benutzt die menschliche Vernunft um dich der Wahrheit uumlber Gott zu naumlhern die Wahrheit der Trinitaumltslehre aber liegt weit jenseits unseres begrenzten Verstandesrdquo Hier wird lautstark behauptet dass es einen riesigen Unterschied zwischen den menschlichen und goumlttlichen Faumlhigkeiten gibt um zu einer Schlussfolgerung uumlber bdquodas Wahrerdquo zu kommen Die normale Denkweise der Philosophie soll nicht be-eintraumlchtigt werden Aber wurde der Mensch nicht von Gott selbst mit Vernunft ausgestattet Hat Gott dem Menschen nicht ein Werkzeug gegeben und erwartet er nicht dass der Mensch die Wahrheit in einer Welt der Luumlgen entdeckt und so gerettet werden kann In Jesaja lehrt Gott sein Volk bdquoKommt doch wir wollen mitei-nander rechtenrdquo (Jes 118a) Sowohl die Vernunft Gottes als auch die des Menschen werden als auf demselben Spielfeld operierend dargestellt indem sie miteinander auf die Uumlberzeugung einer gemeinsamen Realitaumlt hinspielen Tatsaumlchlich ist die Wahrheit fuumlr niemanden relativ So setzen wir unsere Herausforderung fort Zwi-schen Gottes Wahrheit und der Wahrheit des Menschen gibt es keinen Unter-schied Wie kann die Wahrheit einer Aussage geglaubt werden wenn die Aussage selbst nicht einmal verstaumlndlich vorgebracht wird

Der amerikanische Pastor A W Tozer der sich groszliger Beliebtheit erfreut offen-bart dass jede Hoffnung die uumlber lange Zeit entwickelten trinitarischen Thesen zu verstehen bdquofuumlr immer vergeblichrdquo bleiben muss Christliche Kirchen bdquoohne dass sie die Aussagen verstehenrdquo rufen dennoch fortwaumlhrend zu deren univer-seller Akzeptanz auf915 Die orthodoxen Glaubensbekenntnisse kommunizieren offenbar keinen vernuumlnftigen Glauben sondern nur eine Reihe von stumpfsinni-gen Sprachfloskeln die sich bestenfalls zum Rezitieren [zum Herunterleiern] eig-nen Deshalb draumlngt sich die Frage auf Koumlnnen wir es uns leisten Christen wei-terhin leere Sprachhuumllsen zu vermitteln Um den christlichen Glauben nicht auf einen bdquoGlauben an Nichtsrdquo [Nihilismus] zu reduzieren muss diese Sprache ver-staumlndlich gemacht werden

Zum Beispiel wenn jemand den Spruch bdquoabusu ad usum non valet consequentiardquo po-sitiv bestaumltigen muumlsste waumlre es ihm unmoumlglich die Wahrheit zu bejahen wenn er nicht Latein versteht Das Sprichwort bedeutet bdquoMissbrauchte Rechte sind immer noch Rechterdquo Desgleichen wenn ein Schimpanse den Satz uumlben und perfekt aus-sprechen koumlnnte wuumlrde niemand annehmen dass der Affe wirklich davon uumlber-zeugt ist Keinesfalls und auch Menschen koumlnnen einstudierte Saumltze nicht wirklich bejahen wenn sie diese nicht verstehen

Als Antwort auf das trinitarische Argument dass die Lehre von der Trinitaumlt ein-fach zu glauben ist nicht weil sie logisch zwingend waumlre sondern weil sie eine

915 A W Tozer The Knowledge of the Holy (New York HarperOne 1961) pp 17-18 23

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bdquoOffenbarungrdquo Gottes sei916 sind wir verpflichtet entgegenzuhalten dass auch eine bdquoOffenbarungrdquo in erster Linie verstaumlndlich sein muss Gibt es etwas das gleich-zeitig offenbart und nicht offenbart sein kann Vertraut man einem guten Freund ein Geheimnis an verfasst jedoch den Brief an ihn in einer Sprache die der Freund nicht versteht koumlnnte das nicht wirklich als bdquoOffenbarungrdquo eines Ge-heimnisses gelten Das waumlre unmoumlglich denn so wie der Freund das Geheimnis nicht kannte bevor er den unverstaumlndlichen Brief erhielt so kennt er es auch danach nicht Wir muumlssen zugeben dass es mysterioumlse raumltselhafte Dinge uumlber den Gott der Bibel gibt Kein verantwortlicher Christ maszligt sich an alles uumlber Gott zu ver-stehen Aber was das Trinitaumltsdogma betrifft so haben wir es nicht mit einer alles umfassenden Erklaumlrung uumlber Gott zu tun sondern mit angeblichen Offenbarun-gen uumlber ihn Es trifft letztendlich nicht zu dass die trinitarischen Bekenntnisse den Anforderungen der wirklichen geschweige denn goumlttlichen Offenbarungen ent-sprechen da sie effektiv keine begreifbaren verstaumlndlichen Aussagen oder Infor-mationen sind

Man kann leicht beweisen dass die Glaubensvorstellungen der Orthodoxie un-verstaumlndlich sind und sich selbst widersprechen In ihrem Buch Antworten auf schwierige Fragen stehen die Trinitarier Josh McDowell und Don Stewart Skepti-kern Rede und Antwort uumlber mutmaszligliche Widerspruumlche in der Bibel

Was ist ein Widerspruch [Kontradiktion] Der Satz vom Wider-spruch (auch Widerspruchsprinzip oder Kontradiktions-prinzip genannt Anm des Uuml) der die Grundlage allen logischen Denkens ist besagt dass eine Sache nicht gleichzeitig A und Nicht-A sein kann Mit anderen Worten es kann nicht gleichzeitig regnen und nicht regnen Wenn man einen Verstoszlig gegen dieses Prinzip in der Schrift aufzeigen kann dann und nur dann kann man einen Wider-spruch nachweisen

McDowell und Stewart haben Recht wenn sie sagen dass es widerspruumlchlich ist zu behaupten dass alles etwas sein kann und nicht sein kann - gleichzeitig und auf die gleiche Weise Aber sollte dieses Prinzip nicht auch fuumlr den historischen Jesus gelten Ist er irgendwie von den Grenzen der Vernunft befreit Die Be-kenntnisse uumlber ihn sind einfach voll von Verstoumlszligen gegen das Widerspruchs-prinzip Die eine Person Jesu soll sowohl menschlich in Bezug auf die Natur als auch nicht-menschlich in Bezug auf die Natur gewesen sein Einmal ist er allwissend und dann wieder kennt er nicht alles er wird versucht obwohl er nicht versuch-bar ist er stirbt obschon er unsterblich sein soll Nachdem von McDowell und

916 Erickson Christian Theology p 367

Konsequenzen des Dogmas

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Stewart zitierten Prinzip sind dies nachweisbare Widerspruumlche ein Widerspruch ist natuumlrlich eine Aussage die immer falsch ist

Das beruumlhmt-beruumlchtigte Athanasianische Glaubensbekenntnis verkoumlrpert und veranschaulicht diese Probleme weiter Es weist nachdruumlcklich darauf hin dass alle bdquoglauben und bekennenrdquo muumlssen dass Jesus bdquoGott und Mensch istrdquo und dass der eine Gott bdquodrei Personen gleich-ewig und gleichwertigrdquo ist917 Aber ist diese These von der Dreiheit Gottes nicht von Natur aus widerspruumlchlich Viele ein-schlieszliglich der Kappadokischen Vaumlter haben unermuumldlich versucht das Dogma vom Widerspruch zu befreien indem sie sagten dass eine Sache drei Dinge sind und haben daher behauptet dass bdquoGott eine Substanz und drei Hypostasenrdquo ist Um hier eine mathematische Formel auf die Logik anzuwenden gibt es nicht drei X in einem X sondern drei X in einem Y Moderne Evangelikale haben die Idee als bdquoein Was und drei Werrdquo vorgebracht Es wird zugegeben dass eine Behaup-tung von bdquoeinem Wasrdquo und bdquodrei Werrdquo zwar widerspruumlchlich ist aber indem sie den einen Gott in ein bdquoWasrdquo verwandeln sind sie uumlberzeugt die Verletzungen der Logik umgangen zu haben918 Und so wird bdquoGottldquo - zur Wahrung des Dog-mas - in eine Abstraktion eine Substanz in ein Es [eine Sache] verwandelt In diesem System ist bdquoGottrdquo ausdruumlcklich keine Person bdquoGottrdquo ist eine Essenz in die sich drei verschiedene Personen aufteilen Wie C S Lewis schreibt bdquoWir muumlssen uns daran erinnern dass die christliche Theologie Gott nicht fuumlr eine Person haumllt sie glaubt dass er etwas ganz anderes ist als eine Personrdquo919 Doch die trinitari-schen Christen sagen damit nichts Neues die griechischen Philosophen hatten laumlngst einen transzendenten abstrakten und bdquoUnbekannten Gottrdquo bestaumltigt Der anglikanische Bischof Christopher Wright warnt uns jedoch vor einem bdquoabstrak-tenrdquo oder bdquophilosophischen Monotheismusrdquo und offenbart die Gefahr bdquoGottrdquo als abstrakte bdquoGoumlttlichkeitrdquo oder ontologisch als bdquoSeinrdquo zu definieren

917 Athanasiansches Bekenntnis ca 500 n Chr 918 Der prominente trinitarische Apologet James R White unterstreicht seinen Glauben an die geheimnis-

volle substantielle Natur des Seins Gottes das anscheinend in der Lage ist drei verschiedene Persoumlnlich-keiten zu befaumlhigen bdquoInnerhalb des einen Wesens das Gott ist gibt es ewig drei gleichwertige und ewige Personen naumlmlich den Vater den Sohn und den Heiligen Geist Beachten Sie sofort dass wir nicht sagen dass es drei Wesen gibt die ein Wesen sind oder drei Personen die eine Person sind Das waumlre ein Selbstwiderspruch Ich betone dies denn meistens ist dies die falsche Darstellung der Lehre die man haumlufig in der Literatur verschiedener Religionen findet welche die Dreifaltigkeit verneinenrdquo In Anlehnung an die so beschriebene bdquowunderbar einfache und klarerdquo Lehre des evangelischen Hank Hanegraaff stimmt White zu bdquoWenn wir von der Dreifaltigkeit sprechen muumlssen wir erkennen dass wir von einem Was und drei Wer sprechen Das Was ist das Wesen [das Sein] oder die Essenz Gottes die drei Wer sind der Vater der Sohn und der Geist Wir wagen es nicht das Was und die Wer in der Trinitaumlt zu vermischen oder zu verwechselnrdquo (James R White The Forgotten Trinity Recovering the Heart of Christian Belief (Minneapolis Bethany House Publishers 1998) pp 26-27)

919 C S Lewis Christian Reflections p 79

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Ein philosophischer Monotheismus der die goumlttliche Realitaumlt ohne Namen und ohne Charakter laumlsst ist dem Glauben des Alten Tes-taments fremd (dh unbekannt und feindlich) bdquoTheosrdquo im Zent-rum wird so abstrakt unpersoumlnlich und schlieszliglich unbeschreibbar (man kann uumlberhaupt nichts uumlber ihnsiees sagen)920

Trinitarier moumlgen argumentieren dass die durch den Begriff bdquoGottrdquo beschriebene Realitaumlt eine Substanz oder ein Etwas anzeigt aber das kann nicht fuumlr das Nomen bdquoJahwehrdquo gesagt werden denn dies ist ein persoumlnlicher Name bdquoIch bin Jahweh das ist mein Name Und meine Ehre gebe ich keinem anderen rdquo (Jes 428) bdquoDas ist mein Name in Ewigkeit und das ist meine Benennung von Generation zu Generationrdquo (2 Mose 315) Zweifach ist die Ermahnung an uns bdquozu wissen dass Jahweh Gott istrdquo (Ps 11827) und dass er bdquounser Gott istrdquo (5 Mose 64) Wenn jedoch der Eigenname bdquoJahwehrdquo wie viele Trinitarier behaupten einfach eine Benennung ist die fuumlr alle drei Personen der Dreifaltigkeit zusammen verwendet wird dann erweist sich im Trinitarismus bdquoJahwehrdquo nicht als der Name einer Person sondern als der Name einer Sammlung oder eines Etwas Wie Christopher Wright jedoch erklaumlrt bdquoJah-weh ist nicht der Markenname eines kosmischen Unternehmens Er ist ein einzi-ger Gott unser Gott und Jahweh ist sein persoumlnlicher Namerdquo921 Die philosophi-sche Definition von bdquoGottrdquo als nicht individuelle Persoumlnlichkeit sondern als bdquoSeinrdquo oder als bdquoEtwasrdquo widerspricht der biblischen Lehre aufs Schaumlrfste Die Schrift betont nicht nur die bdquodynamische Persoumlnlichkeit von sbquoJahweh unserem Gottrsquo sondern erhebt diese Persoumlnlichkeit vielmehr zu einem notwendigen Teil des rettenden Glaubensrdquo922 Der Welt die Erleuchtung zu bringen uumlber die un-vergleichliche und unnachahmliche Persoumlnlichkeit des Gottes wie ihn die Juden schon kannten war zweifellos die Absicht und das Ziel von Jesus und seiner Apostel Folgendes duumlrfen wir nicht vergessen

Der Apostel Paulus wirkte in Athen Er versuchte sein griechisches Publikum vom Glauben an Gott als bdquoWasrdquo wegzubewegen und zum Glauben an den Gott Abrahams Isaaks und Jakobs der ein bdquoWerrdquo eine Person ist hinzufuumlhren Beachten Sie den subtilen An-satz von Paulus bdquoWas ihr anbetet aber nicht kennt den verkuumlnde ich euch jetzt Gott der die Welt und alles darin geschaffen hatrdquo (Apg 1723-24) Es grenzt fast an Ironie dass fuumlhrende Vertreter der bdquoOrthodoxierdquo heutzutage genau die gleiche Tendenz verraten die Paulus zu kor-rigieren versuchte Die bibelorientierte Oumlffentlichkeit wird daruumlber

920 Christopher J H Wright Deuteronomy (Grand Rapids Baker Books 2012 [1996]) 9 unsere Hin-

zufuumlgung Source credit Carlos Xavier (httpthehumanjesusorg) 921 Ebenso 922 Ebenso unsere Hinzufuumlgung

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informiert dass bdquoGott ein Etwas mit drei Werrdquo ist Eine solche De-finition von Gott stammt uumlberhaupt nicht aus der Heiligen Schrift Sie kommt aus der Welt des Mittelplatonismus Die griechische Philosophie foumlrderte Gott als bdquoWasrdquo und es ist der heutige Funda-mentalismus der (oft in unbeholfener Weise) von den Kirchenmit-gliedern verlangt an Etwas zu glauben das als der bdquodreieinige Gottrdquo dargestellt wird Dieser Gott war weder Jesus noch Paulus bekannt923

Tatsaumlchlich ist der Gott der Bibel nicht das unumstoumlszligliche Prinzip des Platonis-mus Obwohl C S Lewis verneinte dass dieser Gott eine Person ist schreibt der Trinitarier Walter Martin

Diese allmaumlchtige Person vollbringt Handlungen zu denen nur eine Persoumlnlichkeit faumlhig ist Gott houmlrt (2 Mose 224) Gott sieht (1 Mose 14) Gott erschafft (1 Mose 11) Gott weiszlig (2 Timotheus 219 Jeremia 2911) Gott hat einen Willen (1 Johannes 217) Gott ist ein bewusstes Ich das denken und uumlberlegen kann dh ein persoumlnliches Wesen - bdquoIch bin der ich binrdquo (1 Mose 314 1 Mose 171) Dies ist der Gott des Christentums eine allmaumlchtige allwissende und allgegenwaumlrtige Persoumlnlichkeit die jedes Attribut der Individualitaumlt manifestiert924

Wie der bedeutende B B Warfield bestaumltigte bestand die Lehre des Alten Tes-taments die das solide theologische Fundament fuumlr den juumldischen Jesus und seine Juumlnger bildete nicht nur darin dass es einen bdquoGottrdquo gibt sondern dass bdquoder Gott der ganzen Erde eine Person istrdquo925

Eine weitere Frage stellt sich bei der Betrachtung dieser gemeinsamen evangeli-schen Formel Was ist wenn der Vorschlag von bdquodrei Wer und einem Wasrdquo um-gekehrt wurde Koumlnnte ein bdquoWerrdquo auch drei bdquoWasrdquo enthalten Der Trinitarier muss zwangslaumlufig auch glauben dass dies der Fall ist die eine Person Jesu soll

923 Anthony F Buzzard ldquoKeys Which Unlock the Biblerdquo Focus on the Kingdom No 3 Vol 4 (McDonough

Restoration Fellowship 2001) p 3 (Schluumlssel zum Verstaumlndnis der Bibel aus Fokus auf dem Koumlnigreich) 924 Walter Martin zitiert von Ron Rhodes The Challenge of the Cults and New Religions (Grand Rapids

Zondervan 2001) p 125 (Die Herausforderung der Kulte und neuen Religionen) 925 B B Warfield ldquoThe Spirit of God in the Old Testamentrdquo The Works of Benjamin B Warfield (New York

OUP 1932) p 127 Einige trinitarische Theologen haben sich mit der Annahme von bdquoGottldquo als Ab-straktion nicht wohl gefuumlhlt und versucht der evangelischen Formel zu widerstehen die von White Hanegraaff und anderen veranschaulicht wird Der reformierte Theologe Cornelius Van Til war von dieser Idee so sehr betroffen dass er behauptete dass die goumlttliche Essenz selbst irgendwie persoumlnlich sein muss In einem Sinn muumlsse Gott eine Person sein Aber in Bezug darauf wie genau die drei Perso-nen eine Person sein koumlnnen ohne in den Modalismus zu verfallen behauptet Van Til wie vorhersehbar ist bdquoDas ist ein Geheimnis das wir nicht verstehenrdquo (John M Frame Cornelius Van Til An Analysis of His Thought (Phillipsberg P amp R Publishing 1995) pp 67-69)

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ja sowohl menschliche als auch goumlttliche Substanzen enthalten926 Wie Augusti-nus bestaumltigte verkoumlrperte das zweite Mitglied der Dreifaltigkeit bdquoeine vollkom-mene Annahme der menschlichen Substanzrdquo927 So gibt es in der gegenwaumlrtigen trinitarischen Gottheit nicht wirklich bdquoein Was und drei Werrdquo sondern tatsaumlch-lich bdquozwei Was und drei Werrdquo (zwei Wesen oder Substanzen und drei Personen) Unnoumltig zu sagen dass die Persoumlnlichkeit des biblischen Gottes im Streit fuumlr immer verloren gegangen zu sein scheint ja sogar voumlllig aufgeloumlst wurde

Hier wird natuumlrlich sofort widersprochen dass die Lehre der Dreifaltigkeit ein Geheimnis sein soll dass die Aussagen uumlber Gott als Drei und Eins zu glauben und zu bekennen sind nicht verstanden zu werden Aber auch hier gilt Keinem Vor-schlag kann wirklich zugestimmt werden wenn er nicht verstanden wird Vor-schlaumlge wie das Athanasianische Glaubensbekenntnis haben immer wieder In-konsistenzen aufgewiesen und ohne Vorbehalte wird gegen die eigenen ideologi-schen Regeln verstossen Ein echter Glaube (eine feste Uumlberzeugung von der Wahrheit) wird dadurch praktisch unmoumlglich gemacht Beispiele davon finden sich im Bekenntnis

Der ewige Vater der ewige Sohn und der ewige Heilige Geist Und doch sind es nicht drei Ewige sondern ein Ewiger

Der Vater ist allmaumlchtig der Sohn ist allmaumlchtig und der Heilige Geist ist allmaumlchtig Und doch sind es nicht drei Allmaumlchtige sondern ein Allmaumlchtiger

So ist der Vater Gott der Sohn Gott und der Heilige Geist ist Gott Und doch sind es nicht drei Goumltter sondern ein Gott

So ist auch der Vater Herr der Sohn Herr und der Heilige Geist Herr Und doch sind sie nicht drei Herren sondern ein Herr

Denn wie wir durch die christliche Wahrheit gezwungen sind jede Person in sich selbst anzuerkennen [ist] Gott und Herr928

In diesen Aussagen obwohl es eine regelkonforme Unterscheidung zwischen den Mitgliedern der Gottheit gibt sollen wir auch glauben dass es eine gewisse Ein-heit zwischen ihnen gibt die den Tri-Theismus ausschlieszligt Der hier gemachte

926 bdquoChristus ist eins in der Substanz (homoousios) mit dem Vater in der Hinsicht auf seine goumlttliche Natur

und eins in der Substanz mit der Menschheit in der Hinsicht auf seine menschliche Naturrdquo (Kenneth Samples ldquoThinking About the Incarnation The Divine Word Became Fleshrdquo Reasons to Believe 1 October 2000 Web 10 September 2014 lthttpwwwreasonsorgarticlesthinking-about-the-incar-nation-the-divine-word-became-fleshgt

927 Augustine Sermo 187 3 928 Athanasisches Bekenntnis ca 500

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Vorschlag ist dass die Summe ihrer Qualitaumlten (Ewigkeit Allmacht usw) letztlich nicht drei dieser Dinge hervorbringt sondern nur eines Doch das Glaubensbe-kenntnis bricht dramatisch seine eigenen Regeln wenn es um die Persoumlnlichkeit geht Das ist bestenfalls uneinheitlich Wenn es bdquodrei Personenrdquo gibt warum gibt es dann nicht letztlich bdquoeine Personrdquo Wenn wir uns die letzte Zeile des oben aufgefuumlhrten Auszugs genauer ansehen wird darin gesagt dass jedes Mitglied bdquoGottrdquo und bdquoHerrrdquo im persoumlnlichen Sinne ist Wenn es also nicht drei Goumltter sondern einen Gott gibt sollte es nicht drei Personen geben sondern eine Person Natuumlrlich wenn das Glaubensbekenntnis seinem eigenen Vorbild folgte wuumlrde sich die Dreifaltigkeit als Sabellianismus erweisen Wenn nicht Sabellianismus dann Tri-Theismus die drei die Gott sind da sie nicht die gleiche Person sind sind in Wirklichkeit drei Goumltter Aber wenn das Glaubensbekenntnis so verstan-den werden soll dass es weder Tri-Theismus noch Sabellianismus praumlsentiert dann muumlssen wir feststellen dass seine Anhaumlnger wirklich keine Ahnung haben was die Aussage bedeutet Ein hervorragender Theologe aus Harvard schrieb ein-mal

In der Geschichte anderer Wissenschaftsbereiche finden sich reich-lich Irrtuumlmer und Extravaganzen aber die orthodoxe Theologie scheint der eigenartigste Bereich von leeren Worthuumllsen zu sein von Ansichten deren eigentlicher Sinn bekanntermaszligen falsch ist und die keine logische Erklaumlrung haben von den unheilvollsten Absurditaumlten die als Wahrheiten von houmlchster Bedeutung darge-stellt werden und von widerspruumlchlichen Thesen die ohne den Versuch sie miteinander in Einklang zu bringen verbunden wur-den Ein Hauptfehler der durch dieses und andere Systeme der fal-schen Philosophie geht ist dass Worte selbst wenn sie gemaumlszlig der menschlichen Vernunft eine Absurditaumlt ausdruumlcken noch im-mer fuumlr ein hohes Geheimnis oder eine verborgene Wahrheit ge-halten werden und geglaubt ohne verstanden zu werden929

AW Tozer findet dies jedoch keineswegs problematisch und kommt zum Schluss bdquoDie Tatsache dass etwas nicht zufriedenstellend erklaumlrt werden kann spricht eher zu seinen Gunsten anstatt dagegenrdquo930 Mit anderen Worten die Doktrin wird vor allzu kritischer Aufmerksamkeit geschuumltzt Sie ist in der Lage schnell hinter einen esoterischen Schleier des bdquoMysteriumsrdquo zu springen Wann immer rationale Einwaumlnde gegen sie erhoben werden gelingt es sie summarisch zuruumlckzuweisen ohne potenziell aufwendige Konfrontation Natuumlrlich wird diese

929 Andrews Norton A Statement of Reasons for Not Believing the Doctrines of Trinitarians (Boston

Hilliard Gray and Co 1833) pp 78-79 (Ein Statement der Vernunft weeshalb die trintarischen Dokt-rinen nicht geglaubt werden)

930 Tozer The Knowledge of the Holy pp 17-18 23 (Das Wissen uumlber das Heilige)

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Umgehung durch ihre aumluszligerst geschliffene Formulierung erreicht nicht durch die Tugend ihrer [vernuumlnftigen] Beweise

Basilius einer der Kappadokischen Vaumlter der von der Katholischen Kirche als bdquoder Offenbarer der himmlischen Mysterienrdquo bezeichnet wird fordert uns auf einfach bdquoGlaubenrdquo zu haben dass sein System wahr ist Er argumentiert dass nur weil jede der Personen der Trinitaumlt einzeln gezaumlhlt werden kann das nicht bedeu-tet dass bdquoeine dumme Rechnerei uns zur Idee einer Vielzahl von Goumlttern hin-fuumlhren koumlnnte Zaumlhlt wenn ihr wollt aber ihr duumlrft nicht zaumlhlen und damit dem Glauben schadenrdquo931 Basilius nummeriert dann die Personen der Dreifaltigkeit aber ihre Anzahl ist letztlich bedeutungslos Wir fragen uns was hat dann Basilius bdquooffenbartrdquo wenn es uumlberhaupt etwas zu offenbaren gab Die Kappadokier hat-ten schlieszliglich Gott fuumlr bdquounergruumlndlichrdquo erklaumlrt um die Trinitaumltslehre vor einer neugierigen Hinterfragung zu schuumltzen Aber kann das Postulat dass Gott nicht erkannt werden kann neben der Vorstellung Guumlltigkeit haben dass Gott eine bdquoDreifaltigkeitrdquo ist Mit anderen Worten wenn Gott wirklich grundsaumltzlich un-begreiflich ist wie konnten die Kappadokier dann jemals die verschiedenen Aus-sagen uumlber Gott behaupten die sie gemacht haben Waumlhrend sie gehofft hatten dass die vollstaumlndige Unbeschreiblichkeit Gottes die Dreifaltigkeit abschirmen wuumlrde machte die Einfuumlhrung der Doktrin tatsaumlchlich ihre Autoritaumlt zunichte Sie beschaumldigte auch gleichzeitig das Zeugnis und den Nutzen der Bibel in der sich Gott so oft offenbart hatte932

Der dogmatische Christus hat sich hartnaumlckig gewehrt Die Interpretationen der antiken Glaubensbekenntnisse haben sich regelmaumlszligig erweitert und dann wieder zusammengezogen doch haben sie den Glauben nicht naumlher an eine oumlkumeni-sche Loumlsung herangefuumlhrt Was haben moderne Christen mit diesen alten An-sichten zu tun die sich im christlichen Leben zu keiner Zeit als nuumltzlich erwiesen haben Wie sich ein Wissenschaftler der Baptistenkirche zurecht gefragt hat bdquoAn-gesichts der Schwierigkeit des Themas und der groszligen Anstrengungen die un-ternommen wurden um diese Doktrin aufrechtzuerhalten koumlnnen wir uns durchaus fragen was all diese Schwierigkeiten rechtfertigen koumlnnterdquo933 Ein ka-tholischer Gelehrter draumlngt ebenfalls auf eine Antwort

Koumlnnen wir einfach klassische Formeln wiederholen Jesus Chris-tus der Ein-Gott-Mensch mit zwei Naturen Gott selbst - eine Na-tur mit drei Personen Selbst auf katholischer Seite wird dies heute

931 Basil of Caesarea The Book of St Basil on the Spirit Ch XVIII 44 932 Entgegen der kappadokischen Behauptung dass Gott bdquounergruumlndlichrdquo sei beteuert das Neue Testa-

ment dass Jesus Christus bdquoihn [Gott] kundgemacht hatrdquo (Johannes 118 ELB) und die Apostel versi-chern mit Uumlberzeugung dass sie bdquowissen aber dass der Sohn Gottes gekommen ist und uns Verstaumlndnis gegeben hat damit wir den Wahrhaftigen erkennenrdquo (1 Johannes 520a)

933 Erickson God in Three Persons p 12

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als problematisch empfunden so sehr das Chalcedonische Be-kenntnis - bdquovollkommen in der Gottheit und hellip vollkommen in der Menschheit hellip wirklich Gott und wirklich Menschrdquo - als bdquoWeg-markerdquo eines christologischen Denkens akzeptiert werden mag934

Zweifellos ist die Sache mit Christus alles andere als ausgestanden oder auch nur ansatzweise geklaumlrt Dr Hick erkannte dass keiner der christologischen Debat-ten die wir untersucht haben die Quadratur des Kreises gelungen ist indem sie die Behauptung verstaumlndlich machen wollten dass jemand der wirklich und un-missverstaumlndlich ein Mensch war auch wirklich und eindeutig Gott war935 Viele haben sich nach auszligen ins Unfassbare geschickt aber der Trinitarier John Pol-kinghorne kommt zur Einsicht bdquoMit ungeloumlsten Paradoxien zu leben ist keine bequeme Situationrdquo936 Die Frage ist ob es moumlglich ist sich aus unnoumltigen Kon-flikten mit dem Inhalt der Bibel herauszuhalten indem man die geistige und geist-liche Freiheit als wertvoll genug erachtet um die Komfortzone der religioumlsen Tradition zu verlassen Wie sehr kuumlmmert es einfache Christen wirklich die Ir-rationalitaumlt ihres Glaubens zu erkennen und von ihr loszukommen

Natuumlrlich gab es auch juumlngere Apologeten die sich leidenschaftlich bemuumlht ha-ben die verschiedenen Bekenntnisse auf eine Art und Weise zu erklaumlren die Wi-derspruumlche vermeidet937 Aber was ist wenn die Glaubensrichtungen zunaumlchst keine verstaumlndlichen Ideen praumlsentieren Es scheint besser zu sein zusammen mit den anderen Trinitariern deklarieren dass das Dogma von Natur aus unmoumlglich ist Einige Trinitarier haben diese Tatsache offen zugegeben und sie sogar als Beweis fuumlr ihren goumlttlichen Ursprung gehalten Sir Thomas Browne schrieb ein-mal bdquoIch kann alle Einwaumlnde des Satans und meiner rebellischen Vernunft mit der etwas seltsam klingenden Antwort kontern die ich von Tertullian gelernt habe bdquoCertum est quia impossible est (Es ist sicher weil es unmoumlglich ist)rdquo938 Darauf antwortete Erzbischof Tilloston mit Bedacht bdquoIch weiszlig nicht was einige Men-schen in sich selbst entdecken aber ich muss freimuumltig eingestehen dass ich noch

934 Kuschel p 32 935 N F Gier God Reason and the Evangelicals Case Against Evangelical Rationalism (Lanham

Rowman amp Littlefield 1986) p 3 936 Ebenso 937 Seit der Wiederbelebung der analytischen Religionsphilosophie in den 1960er Jahren verfolgen viele

christliche Philosophen das was heute als analytische Theologie bezeichnet wird in dem zentralen religioumlsen Lehren praumlzise Formulierungen gegeben werden und es wird gehofft dass sie selbstkonsistent und anderweitig vertretbar sind diese juumlngsten bdquorationalen Rekonstruktionenrdquo der Trinitaumltslehre setzen Konzepte aus der zeitgenoumlssischen analytischen Metaphysik Logik und Epistemologie zentral einrdquo (Dale Tuggy ldquoTrinityrdquo Stanford Encyclopedia of Philosophy 2009) Die Bemuumlhungen zeitgenoumlssischer Denker die Dreieinigkeit aus dem Bereich des Mysteriums herauszuholen muumlssen erst noch eine Methodik hervorbringen die sich als oumlkumenisch befriedigend erweisen wird

938 Sir Thomas Browne Religio Medici Sect 9 10 12 in Works Vol 2 p 332

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nie zu diesem kuumlhnen und robusten Glauben gelangen konnte etwas zu glauben aus dem einen Grund weil es unmoumlglich istrdquo939 Dennoch scheinen einige zeitge-noumlssische Apologeten immer noch zu zoumlgern die Unmoumlglichkeit der Doktrin zu akzeptieren

Zuerst moumlgen einige diese Lehre betrachten und sich dadurch ver-wirren lassen Wie kann Gott drei Personen in einem Gott sein Das ist eine gute Frage denn sie ist etwas schwer zu verstehen Aber das ist es was wir erwarten wuumlrden nicht wahr wenn wir Gott begegnen Das ist nicht unvernuumlnftig Wir duumlrfen jedoch nicht den Fehler machen etwas so Laumlcherliches zu sagen wie bdquoEs macht keinen Sinn deshalb ist es nicht wahrrdquo940

Aber die Sache ist nicht einfach bdquoschwer zu begreifenrdquo als ob mehr Studium oder Praxis schlieszliglich einen leichteren Weg zeigen koumlnnte die Katholische Kirche hat sich bereits tausend Jahre Nachdenken gegoumlnnt oft von einem hohen Blutzoll begleitet und ist der Loumlsung nicht naumlher gekommen als wir es heute sind Der obige Apologet behauptet dass etwas das offensichtlich bdquokeinen Sinn machtrdquo trotzdem bdquowahrrdquo sein kann Aber wenn wir einen Sachverhalt nicht verstehen wie koumlnnen wir ihm dann zustimmen Es gibt natuumlrlich ein Wort fuumlr Dinge die keinen Sinn ergeben Unsinn Wie bereits erwaumlhnt sollte es nicht ausreichen dass Christen nur unsinnige Formeln wiederholen um eine beliebte Spitzfindigkeit zu stuumltzen Hat die endlose Spekulation der Theologen die Sorgen der Laien wirklich so sehr beruhigt dass Aussagen nicht einmal verstanden werden muumlssen bevor sie bis zum Tod verteidigt werden und ehe andere hingebungsvolle Christen we-gen ihrer Neugierde geaumlchtet werden oder ein noch schlimmeres Schicksal erlei-den

Innerhalb des etablierten Trinitarismus ist die Botschaft von Jesus vielleicht von ausgebildeten Theologen bis zu einem gewissen Grad verstaumlndlich Sie muss aber schlieszliglich als unbegreiflich angesehen werden da das Dreieinigkeitssystem zu dem er angeblich gehoumlrt zugegebenermaszligen nicht vorstellbar ist941 Wie der pro-minente Trinitarier Millard Erickson zusammenfasst bdquoist die Trinitaumlt letztendlich unverstaumlndlichrdquo942 Andere groszlige Evangelikale berichten uumlber die gleiche

939 John Tilloston Ser 194 in Works Vol 10 180 940 Matt Slick ldquoThe Trinity Makes No Sense It Isnrsquot Logicalrdquo Christian Apologetics and Research

Ministry Web 5 May 2013 lthttpcarmorgtrinity-makes-no-sense-it-isnt-logicalgt 941 bdquoUnd so erhaumllt jemand der sich eingehend mit den Tiefen des Geheimnisses befasst insgeheim in

seinem Geist ein gewisses Mass an Verstaumlndnis fuumlr die Lehre von der Natur Gottes aber er ist nicht in der Lage die unbeschreibliche Tiefe dieses Geheimnisses in Worten klar zu erklaumlrenrdquo (Greogry of Nyssa The Great Catechisim 1 3)

942 Erickson Christian Theology p 363

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Schlussfolgerung bdquoTrotz all der Diskussionen und Abgrenzungen die wir in Be-zug auf die Dreifaltigkeit unternehmenrdquo sagt Professor Ryrie bdquomuumlssen wir aner-kennen dass es sich letzten Endes um ein Geheimnis ein Mysterium handeltrdquo943 Interessanterweise obwohl evangelische Trinitarier alle Menschen aufrufen eine bdquopersoumlnliche Beziehungrdquo mit Gott oder Jesus einzugehen wie erfolgreich koumlnnen sie erwarten dass der einfache Christ und die Christin in innige Beziehung zu einem Objekt treten mit dem grundsaumltzlich keine Beziehung aufgebaut werden kann Wie der trinitarische Theologe Dr John Hey empfiehlt wuumlrde es zur Ver-nunft und Ehrlichkeit beitragen wenn die Trinitarier bdquobei allen Gelegenheiten betonen wuumlrden dass unsere Lehre von der Dreifaltigkeit voumlllig unverstaumlndlich istrdquo944

Trotz des Eingestaumlndnisses der Unergruumlndlichkeit [der Dreifaltigkeit] wird die enorme Energie die das unerbittliche mentale Argument der Trinitaumlt erfordert weiterhin in den bestgebildeten Kreisen eingesetzt waumlhrend die unqualifizierten Massen kaum hoffen duumlrfen sich ihnen anzuschlieszligen Wie seinerzeit die einge-weihten gnostischen Philosophen sind die heutigen trinitarischen Theologen die cleveren Huumlter des obskuren Wirkens des Goumlttlichen waumlhrend die Mehrheit der Laien meist nur unbeantwortete Fragen uumlbrig hat Jede ernsthafte Hinterfragung der komplexen Natur Jesu und der verwirrenden multiplizierten Identitaumlt Gottes wurde den Studierten uumlberlassen Wie Freeman bemerkt hat das orthodoxe Christentum bdquowirklich viel mit Sektiererei gemeinsam nicht zuletzt wegen der Vorstellung dass der Zugang zu den Geheimnissen des Kultes und das absolute Recht sie fuumlr andere zu interpretieren der Elite der Priesterklasse vorbehalten sindrdquo945 Es hat schon seit jeher die Geistlichkeit gereizt in der Religion das bdquoGe-heimnisrdquo zu hervorzukehren Harnack beobachtete dass die von der orthodoxen Partei gefoumlrderte trinitarische Theologie nur bdquodenen zugaumlnglich sei die in philo-sophischen Erklaumlrungen ausgebildet sindrdquo und erkannte schlieszliglich

Die Etablierung der Logos-Christologie innerhalb der Glaubens-lehre war fuumlr die breite Masse der Christenheit gleichbedeutend mit der Errichtung eines Geheimnisses eines Mysteriums Aber so-bald die Religion den erhabensten Inhalt ihres Glaubensbekennt-nisses in Formeln auszudruumlcken begann die fuumlr die Allgemeinheit ihrer Anhaumlnger geheimnisvoll und unverstaumlndlich bleiben musste kamen diese Glaumlubigen unter Vormundschaft sie waren auf die Theologen angewiesen die als Professoren des Mysterioumlsen allein

943 Ryrie Basic Theology p 61 944 John Hey Lectures in Divinity Delivered in the University of Cambridge Vol 2 (Los Angeles Hard-

Press 2013) p 235 945 Freeman Closing of the Western Mind p 71

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das Bekentnis verstehen und faumlhig sind es zu interpretieren sowie praktisch anzuwenden Die unausweichliche Folge dieser Entwick-lung war dass mit dem Mysterium des Bekenntnisses es [den Glaumlu-bigen] nicht mehr moumlglich war das Leben praktisch selbst zu be-stimmen und dafuumlr uumlbernahm die Autoritaumlt der Kirche diese Auf-gabe[das Ergebnis dieses Systems] beruhigte den Geist der Frommen 946

Obwohl die theologischen Autoritaumlten anscheinend einen begehrten Einblick in die Dreifaltigkeit zu besitzen scheinen stoszligen wir selbst bei den Hochgebildeten wenn es darum geht die Aussagen der Lehre wirklich zu erfassen dennoch auf die gleiche erbaumlrmliche rationale Frustration Ein katholischer Gelehrter hat de-muumltig seine eigene Schwierigkeit mit der von den antiken Heiligen uumlberlieferten Lehre zugegeben er sieht ein System das seiner Meinung nach bdquodie Form eines logischen Systemsrdquo haben mag aber auch folgendes in sich traumlgt

eine wesentliche Schwaumlche in der Fadenscheinigkeit ihrer Be-gruumlndung Die Spekulationen des heiligen Thomas [von Aquin] uumlber die Dreifaltigkeit - das Mysterium eines Gottes der drei Per-sonen in einer Essenz vereint hatte auf mich die Wirkung einer enormen Logomachie [griechisch ein Kampf um Worte] Anstatt meinen Geist zu bereichern hinterlieszligen diese spekulativen Uumlber-legungen sozusagen eine Leere und ihre totale Wirkung war nur um meine innere Verwirrung und Sorge um das unsichtbare Objekt zu verstaumlrken auf das sich mein Glaube richtete947

Der populaumlre trinitarische Autor und Apologet Lee Strobel schreibt bdquoTheologen koumlnnen Erklaumlrungen finden die Sinn zu machen scheinen obwohl sie vielleicht nicht in der Lage sind jede Nuance zu erklaumlrenrdquo948 Das Problem ist dass diese trinitarischen bdquoErklaumlrungenrdquo nur den Anschein erwecken Sinn zu machen Stro-bel konfrontiert die Schwierigkeit seiner Doktrin einen Menschen damit zu ver-einbaren bdquoganz Gottrdquo zu sein aber in den Evangelien einen Mangel an vollstaumln-dig goumlttlichen Attributen aufweist bdquoAn der Oberflaumlche scheinen diese Fragen da-rauf hinzudeuten dass Jesus nicht der Skizze Gottes aumlhnelt Dennoch habe ich

946 Harnack History of Dogma Vol 3 (Boston Little Brown and Company 1907) pp 2-3 947 Francesco Turvasi The Condemnation of Alfred Loisy and the Historical Method (Rome Storia E

Letteratura 1979) p 1 emphasis added (Die Veruteilung von Alfred Loisy und der Historischen Methode)

948 Lee Strobel The Case For Christ A Journalistrsquos Personal Investigation of the Evidence for Jesus (Grand Rapids Zondervan 1998) p 160 (Ein Fall fuumlr Christus die persoumlnliche Untersuchung eines Journalis-ten uumlber die Beweislage fuumlr Jesus)

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im Laufe der Jahre gelernt dass erste Eindruumlcke taumluschen koumlnnenrdquo949 Ja der erste Eindruck kann taumluschen aber auch theologische Erklaumlrungen die sinnvoll zu sein scheinen Strobel faumlhrt fort bdquoLasst es uns zugeben Die Bibel selbst scheint da-gegen zu argumentieren dass Jesus Gott istrdquo950 Natuumlrlich wird fuumlr Strobel in dem was die Bibel nicht sagt genug vermutet um das was sie tatsaumlchlich sagt zu uumlbersteuern Aber hier muumlssen wir uns staumlndig fragen bdquoWas koumlnnte all diese Aufregungen rechtfertigenrdquo951 Sind die biblischen Daten uumlber Gott und Jesus wirklich so abstrus Gibt es wirklich keinen anderen Weg sich dem Erloumlser und seinem Gott zu naumlhern ohne kopfuumlber in die Unbeschreiblichkeit zu fallen

Tragischerweise hatte die trinitarische Bewegung des vierten Jahrhunderts am Ende nicht nur die Vernunft als exegetisches Werkzeug verworfen sondern auch die Ausloumlschung der christlichen Theologie selbst bewirkt Es war den Christen nicht mehr erlaubt neue und moumlglicherweise bessere Interpretationen der Daten zu finden und den Gott der Bibel fuumlr sich selbst zu entdecken Diese Arbeit war fuumlr sie bereits erledigt So bekannte der Bischof von Melitene gegenuumlber Kaiser Leo I bdquoWir halten das Nicaumlnische Bekenntnis aufrecht vermeiden aber schwie-rige Fragen daraus die fuumlr die Menschen unbegreifbar sind Selbst kluge Theolo-gen werden rasch zu Haumlretikern gestempeltrdquo952 Dabei gehoumlrt es grundlegend zur Theologie schwierige Fragen zu stellen In unserer heutigen Zeit schafft die Zu-ruumlckhaltung des Christentums bei der Infragestellung immer noch eine Barriere gegen andere potenziell solide Interpretationen der Bibel selbst wenn sich diese als aufschlussreicher erweisen koumlnnten Aber die moderne Wissenschaft hat diese Wand bereits stark beschaumldigt Tatsaumlchlich werden all die oben genannten Schwierigkeiten angesichts der reichhaltigen biblischen Informationen - tragi-scherweise - bald unnoumltig erscheinen wie auch die juumldische Weltanschauung die sie hervorgebracht hat

KonsequenzenfuumlrdenJudaismusunddenGottdesJudentumsHier ist es wichtig auf die abnehmenden Beziehungen zwischen orthodoxem Christentum Judentum und dem juumldischem Christentum der Roumlmerzeit zu ach-ten Historisch gesehen ist die so genannte bdquoWeggabelungrdquo zwischen Christen-tum und Judentum in den Hintergrund gedraumlngt worden Die Wissenschaftler versuchen seit langem genau zu bestimmen wann bdquoJudentumrdquo und bdquoChristen-tumrdquo sich in voumlllig unterschiedliche antagonistische Religionen trennten Das

949 Ebenso p 156 950 Ebenso p 158 951 Erickson p 12 952 Bishop of Melitene quoted by Henry Chadwick in The Church in Ancient Society (Oxford OUP

2001) p 591

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Problem bestand darin zu erklaumlren wie eine religioumlse Bewegung deren urspruumlng-liche Gruumlnder allesamt treue Juden waren jemals dazu kommen konnte Juden als Todfeinde anzusehen Schuld an dem dichten Nebel der diese Frage umgibt ist die vorprogrammierte Annahme dass das bdquoChristentumrdquo grundsaumltzlich mit dem Glauben an Christus als geistliches [prauml-existentes] Wesen verbunden ist Da die Goumlttlichkeit Christi dem juumldischen Monotheismus so grundsaumltzlich wider-spricht und angeblich derart fundamental fuumlr das Christentum ist erwartet man automatisch dass die Trennung mehr oder weniger unverzuumlglich stattgefunden haben muss Allerdings sind sich die Wissenschaftler inzwischen einig dass die bdquoTrennung der Wegerdquo tatsaumlchlich ein viel laumlngerer Prozess war als angenommen

Wir haben gesehen wie das bdquoKatholischerdquo Christentum unter den Heiden anfing im zweiten Jahrhundert oder beim Aufkommen der Christologie des Logos von seinen Wurzeln im juumldischen Denken abzuweichen Aber noch Jahrhunderte spauml-ter waren die Gedankenwelten von Judentum und Christentum ineinander ver-schlungen Juumldische Christen besuchten immer noch Synagogen zusammen mit ihren Mitjuden und heidnische Christen wurden von ihren eher separatistischen Fuumlhrern stets vor dem Besuch der Synagoge und der Teilnahme an Juumldischen Festen bis ins vierte Jahrhundert gewarnt953 Wie Dunn bemerkt

Dies zeigt deutlich dass das was wir bdquoeinfache Christenrdquo nennen koumlnnten in den ersten drei bis vier Jahrhunderten das Christentum und das Judentum nicht als zwei getrennte und noch weitaus we-niger als gegensaumltzliche oder verfeindete Religionen gesehen hat Vielmehr entsprach die Einstellung eher der in den Tagen des kon-fessionellen Christentums uumlblichen Haltung Es war die christli-che Fuumlhrung der Kirchenvaumlter die es fuumlr notwendig hielt auf eine viel klarere und schaumlrfere Trennung zu draumlngen Die Frage ist jedoch sicher berechtigt ob die christliche Geistlichkeit oder ob die bdquoeinfachen Christenrdquo dem Erbe des Juden-Christentums des ers-ten Jahrhunderts treuer ergeben waren954

Das Christentum war in der Tat bereits seit mehr als dreihundert Jahren gediehen bevor der letzte Akt der Trennung erfolgte dh als Jesus Gott wurde Davor war Jesus vielleicht kaum mehr als eine andere sektiererische Belaumlstigung des rabbini-schen Judentums ein weiterer gescheiterter Messias dessen Anhaumlnger verspottet ja sogar gehasst aber dennoch als Juden bezeichnet wurden Aber als sich die Homoousie schlieszliglich der allgemeinen Akzeptanz zu erfreuen begann wurde klar dass die juumldische Welt absolut nichts mit Jesus oder seinen Nachfolgern zu

953 Siehe James Dunn Neither Jew Nor Greek A Contested Identity (Grand Rapids Eerdmans 2015)

pp 18-19 (Weder Jude noch Grieche eine Herausforderung der Identitaumlt) 954 Ebenso pp 19-20

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tun haben konnte solange diese die Anerkennung der goumlttlichen Natur Jesu zu einem unabdingbaren Bestandteil der christlichen Gemeinschaft und Identitaumlt machten Auf der anderen Seite waren die Juden gezwungen ihre eigene Selbst-definition in dieser Frage zu praumlzisieren und deklarierten das Judentum schnell neu als bdquonicht Jesusrdquo Die Juden-Christen wie die Nazarener und Ebioniten die Jesus stets als Messias aber die Homoousie nie akzeptiert hatten waren mitten in diesem Zwist gefangen Wie ein neutestamentlicher Gelehrter festgestellt hat

Ein Jesus wie ihn die Orthodoxie praumlsentiert (per definitionem also ein Mensch der Gott ist oder ein zweiter Gott neben dem Houmlchs-ten) koumlnnte von gottesfuumlrchtigen Juden wie die Apostel und Jesus von Nazareth es waren niemals akzeptiert werden weil er gegen das Glaubenssystem ihrer Gemeinschaft verstoumlszligt und den Monotheis-mus verletzt der Jesus der Orthodoxie wird als Gestalt so erhoumlht dass bekennende Juden nie und nimmer an ihn glauben konnten Die Folgen fuumlr den christlichen Glauben sind gravierender als nor-malerweise angenommen955

Wahrlich mit der Erfindung der Goumlttlichkeit Christi wurde die Tuumlr fuumlr die juumldi-sche Welt Jesu verschlossen Dem Judaismus wurde je laumlnger desto weniger Auf-merksamkeit geschenkt Bald verschwanden die fruumlhesten Jesusgemeinden ent-weder in der Isolation oder loumlsten sich auf tragische Weise auf Nicaumlas Vermaumlcht-nis hatte deutlich gemacht dass es innerhalb der Juumldischen Matrix nichts mehr gab was fuumlr das christliche Leben von Nutzen gewesen waumlre Tatsaumlchlich wie A D Crown bestaumltigt bdquomuss die Arbeit des Konzils von Nicaumla als die Weggabelung von Judentum und Christentum angesehen werdenrdquo956

Zu dieser Zeit begannen sich die Bedingungen fuumlr die im Roumlmischen Reich le-benden Juden rapide zu verschlechtern und zwar bdquowegen der christlich-theolo-gischen Dogmen die eine Antipathie gegen das Judentum und die Juden anheiz-tenrdquo957 Die letztendliche Verabschiedung von kirchlich und staatlich sanktionier-ten Verordnungen wie dem Gesetz Justinians sollte nicht nur den juumldischen Gottesdienst und die Rezitation des Shema958 das Jesu eigenes Bekenntnis war

955 Maurice Casey From Jewish Prophet to Gentile God The Origins and Development of New Testa-

ment Christology (Louisville Westminster John Knox Press 1991) p 158 (Vom juumldischen Propheten zuzm heidnischen Gott der Ursprung und die Entwicklung der Neutestamentlichen Christiologie)

956 A D Crown ldquoJudaism and Christianity The Parting of the Waysrdquo in AJ Avery-Peck et al eds When Judaism and Christianity Began (Leiden Brill 2004) p 561 (Judaismus und Christentum Zwei Wege die auseinan-dergingen)

957 W D Davies Louis Finkelstein The Cambridge History of Judaism Vol 4 (Cambridge CUP 1984) p 32

958 Siehe Markus 1229

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verbieten sondern auch elementarste Buumlrgerrechte der Juden im Reich aufhe-ben959 Es waumlre nachlaumlssig den wuchernden und einschneidenden Antisemitis-mus vieler der christlichen Gelehrten zu ignorieren und den Einfluss den ihre Vorurteile auf ihre theologischen Praumlferenzen gehabt haben moumlgen Die antijuuml-dischen Tendenzen von Schluumlsselfiguren wie Konstantin I und Athanasius waren symptomatisch fuumlr heidnische Theologen der roumlmischen Zeit Die proto-ortho-doxe Partei war sehr stolz darauf dass sie nicht von einer natuumlrlichen Erweite-rung des Judentums sprach sondern von einem bdquoscharfen Bruch mit der Vergan-genheitrdquo960 Athanasius hat eifrig bdquojede Spur des Judentums aus der Christologie entferntrdquo961 und bdquoJuumldisch-Seinrdquo als eine Art gemeinen Spitznamen auf seine Geg-ner angewendet um ihre Stellung in der Gesellschaft zu diskreditieren962 Es gab zudem einen aktiven Vorstoszlig zur Abgrenzung der Christen vom einzigartigen Gott der Juden Wie ein Professor so treffend feststellt

Der eigentliche Impuls der Kappadokischen Doktrin bestand da-rin die christliche bdquoGottheitrdquo die nun [neben dem Vater] Jesus und den Heiligen Geist miteinbezog von einem monolithischen Gott zu unterscheiden Dieser wurde von Juden radikalen Arianern und spaumlter von Muslimen Unitariern und Bahais verehrt Christen die den Dreieinigen Gott angenommen hatten der aufgeteilt ist auf drei Personen teilten Jehova nicht mehr mit ihren juumldischen Vor-fahren oder mit dem Houmlchsten Wesen das ihre heidnischen Nach-barn verehrten Juden oder Heiden konnten nicht mehr behaupten an den gleichen Gott zu glauben den die Christen nun verehrten

959 Siehe ldquoCorpus Juris Civilisrdquo The Civil Law (Das Roumlmische Staatsrecht) (aus dem Lateinischen uumlbersetzt von

Th Mommsen und Krueger) durch SP Scott 1932 lthttpwwwconstitutionorgspsspshtmgt Vgl auch Tacitusrsquo Judenexkurs in den Historien Es ist nicht das einzige Mal in seine Schriften dass er sich uumlber die Juden aumluszligert aber in keinem anderen Fall faumlllt das Urteil so negativ aus wie in den Historien Seinen Exkurs uumlber die Herkunft die Sitten und Gebraumluche die Geographie und die Geschichte der Juden setzte er einst vor die Beschreibung der entscheidenden Ereignisse in Judaumla Der Eroberung Je-rusalems durch Titus Anm d Uuml

960 Rubenstein p 74 961 Richard Gottheil Louis Ginzberg ldquoAthanasiusrdquo Jewish Encyclopedia 1906 Web 21 May 2014 962 Christine Shepardson Anti-Judaism and Christian Orthodoxy Ephremrsquos Hymns in Fourth-century Syria (Wash-

ington DC The Catholic University of America Press 2008) p 119 (Anti-Judaismus und Christliche Or-thodoxie Ephrems Hymnen in Syrien 4 Jh) Um 340 n Chr argumentierte Athanasius dass bdquodie sbquojuumldischenrsquo Uumlberzeugungen und Verhaltensweisen der Arianer beweisen dass sie tatsaumlchlich Juden sindrdquo und er bdquoerlaumlutert seine haumlufigen Verweise auf seine sbquoariomanischenrsquo Gegner indem er sie sbquoneue Judenrsquo nenntrdquo (Ebd) Da Gregor von Nyssa auch den orthodoxen christlichen Glauben vom bdquojuumldischen Monotheis-musrdquo entfernt werden die Arianer die eine einheitliche Sichtweise auf Gott haben als im Einklang mit den Juden uumlber die Natur der Gottheit befunden Unsere Aufmerksamkeit wird natuumlrlich routinemaumlszligig auf die Interaktion des historischen Jesus mit dieser juumldischen unitarischen Theologie in Markus 1228ff gelenkt

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Doktrinaumlr war dies der Punkt an dem das Christentum entschei-dend mit seinem Urglauben und mit anderen Formen des Mono-theismus brach963

Die leidenschaftliche Ablehnung des juumldischen Gottes durch die fruumlhen Kirchen-vaumlter setzte sich im 16 Jahrhundert mit den Fuumlhrern der Reformation fort Der ausdruumlckliche und schamlose Antisemitismus der in der Reformation dann ge-diehen ist stellt ein oft vernachlaumlssigtes unruumlhmliches Stuumlck protestantischer Ge-schichte dar Aber er ist vielleicht der Schluumlssel zum Geheimnis wie das Feuer bestimmter katholischer Lehren trotz der Skepsis des 16 Jahrhunderts standhaft weiterlodern konnte Die Juden als ethnische und religioumlse Gruppe wurden von den bekanntesten protestantischen Fuumlhrern als bdquoabscheulichldquo angesehen Ebenso verwarfen sie jede theologische Einsicht die das juumldische Erbe zu bieten hatte Zweifellos behielt die fortwaumlhrende Ablehnung der juumldischen Perspektive auf die Identitaumlt Gottes waumlhrend der Reformation die exegetische Dunkelheit bei in der die Christen seit Jahrhunderten herumgetappt waren Jean Calvin offenbart seine Einstellung gegen die Juden mit den Worten bdquo[Die Juden] haben es verdient dass sie unendlich und ohne Maszlig und Ende unterdruumlckt werden und dass sie in ihrem Elend sterben ohne dass jemand Mitleid hatrdquo964 Und Martin Luther schreibt bdquoSo ein verzweifeltes durch und durch boumlser giftiger und teuflischer Haufen sind diese Juden die in diesen vierzehnhundert Jahren unsere Pest unsere Seuche und unser Ungluumlck waren und sindrdquo965 Der bdquoliebeldquo Luther forderte sogar offen die haumlrteste Unterdruumlckung der Juden und legte einen beschaumlmenden Plan fuumlr den bdquoUmgangrdquo mit jenen Juden vor die sich der orthodoxen christlichen Theologie widersetzten

Was sollen wir Christen dann mit dieser verdammten verworfenen Rasse der Juden machen Zuerst sollten ihre Synagogen ange-zuumlndet werden und was nicht verbrennt sollte bedeckt oder mit Schmutz bedeckt sein damit niemand jemals eine Schlacke oder einen Stein davon sehen kann Und dies sollte um der Ehre Gottes und des Christentums willen geschehen damit Gott sehen kann dass wir Christen sind und dass wir eine solche oumlffentliche Luumlge Verfluchung und Laumlsterung seines Sohnes und seiner Christen nicht wissentlich toleriert oder genehmigt haben Zweitens sollten ihre Haumluser ebenfalls abgebrochen und zerstoumlrt werden Drittens sollten sie ihrer Gebetsbuumlcher und des Talmuds beraubt werden in

963 Rubenstein p 209 964 Jean Calvin ldquoAd Quaestiones et Objecta Juadei Cuiusdam Responsiordquo zitiert in The Jew in Christian

Theology (London Gerhard Falk McFarland and Company Inc 1931) 965 Martin Luther ldquoOn the Jews and Their Liesrdquo zitiert in Martin H Bertram Lutherrsquos Works Vol 47

(Philadelphia Fortress Press 1971) (Luthers Werke Uumlber die Juden und ihre Luumlgen)

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denen solche Goumltzenanbetung Luumlgen Fluumlche und Gotteslaumlsterung gelehrt werden Viertens muss ihren Rabbinern unter Androhung des Todes verboten werden weiter zu lehren966

Viele der heutigen abendlaumlndischen Christen werden zweifellos schockiert sein uumlber die Worte der Gruumlnder ihrer Konfessionen Viele Christen auf der ganzen Welt fuumlhlen sich heute gerade vor dem Hintergrund des Holocaust besonders verpflichtet das juumldische Volk zu unterstuumltzen oder zu schuumltzen Aber Luther schlieszligt seinen eigenen schrecklichen Plan fuumlr die Juden mit der mutigen Erklauml-rung dass sie bdquonicht geschuumltzt werden solltenrdquo bdquoDu solltest nicht du kannst sie nicht beschuumltzen es sei denn du willst in den Augen Gottes all ihre Graumluel tei-lenrdquo967

Es ist nicht schwer zu verstehen warum die juumldisch-christlichen Beziehungen unverzuumlglich abbrachen nachdem die Trinitaumltslehre ihren Spitzenplatz im christ-lichen Denken eingenommen hatte Von diesem Zeitpunkt an ist im Zusammen-wirkens von juumldischen und christlichen Gruppen unschwer eine markante Ver-aumlnderung zu erkennen Offensichtlich waren Tausende von Juden einst begierig darauf uumlber den von den Aposteln im ersten Jahrhundert gepredigten Christus [Messias] zu houmlren aber etwas verursachte dass der von spaumlteren Christen ge-predigte Christus sich mit dem Judentum als voumlllig unvereinbar erwies Am Pfingsttag hatte Petrus vor der juumldischen Menge gestanden und gepredigt bdquoJesus von Nazareth ein Mann der von Gott euch gegenuumlber erwiesen worden ist durch Machttaten und Wunder und Zeichen die Gott durch ihn in eurer Mitte tatrdquo (Apg 222) Diese [frohe] Botschaft hatten einige Juden des ersten Jahrhunderts geglaubt und wurden zur Zahl der Kirche hinzugefuumlgt (Vers 4147) Als die Juden jedoch durch spaumltere Trinitarier mit einem unergruumlndlichen Christus konfrontiert wurden die seine Anbetung als Gott forderten kam es zu einem schallenden Aufschrei Kaum vor-zustellen ist dass Petrus an Pfingsten einen verkoumlrperten Gott-Menschen gepre-digt haumltte der neben zwei anderen Gott-Personen in der Gottheit existierte Den-ken wir dann auch nur fuumlr einen Moment dass die Juden - ohne ernsthafte Fragen oder vehemente Einsprachen - in Scharen begehrt haumltten auf seinen Namen ge-tauft zu werden Wir fragen nochmals wo sind die Aufzeichnungen solcher Be-weisfuumlhrungen oder wo ist die apostolische Darstellung die der Jude benoumltigte um seine Bedenken bezuumlglich des Polytheismus zu zerstreuen

Nach der Einfuumlhrung der Homoousie in Nicaumla und der anschlieszligenden Abfolge der Konzile die Nicaumla eingelaumlutet hatte fuumlhlen wir wie das Gespraumlch zwischen Juden und Christen historisch immer kaumllter und leiser wurde bis zum fast voumllligen

966 Luther ldquoOn the Jews and Their Liesrdquo (Uumlber die Juden und ihre Luumlgen) 967 Ebeno

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Verstummen in unserer Gegenwart Ein zeitgenoumlssischer juumldischer Historiker schreibt

Ein Grund warum mich die Arianische Kontroverse so interessiert ist dass vor dem Ende des Streits Juden und Christen noch mit-einander redeten und sich uumlber entscheidende Themen wie die Goumlttlichkeit Jesu die Bedeutung der Erloumlsung grundlegende ethi-sche Normen unterhielten Sie waren sich in vielen Dingen zwar sehr uneins aber es gab immer noch eine Naumlhe zwischen ihnen Sie nahmen an derselben moralischen Kultur teil Als die Arianische Kontroverse endete - als Jesus Gott wurde - verblasste diese Naumlhe Fuumlr die Christen wurde Gott zur Dreifaltigkeit Ketzerei gegen diese Doktrin wurde zu einem Verbrechen erklaumlrt Das Judentum wurde zu einer Form der Treulosigkeit degradiert Und die Juden die in christlichen Laumlndern lebten lernten rasch nicht viel uumlber die-sen Jesus und seine Botschaft nachzudenken die Probleme re-flektierten und verkoumlrperten sich in der Lehre der Heiligen Dreifal-tigkeit968

In der Talsohle des Abgrundes zwischen dem modernen juumldischen und dem christlichen Glauben liegt das unuumlberwindliche Trinitaumltsdogma Die Kluft gleicht einer Straszligensperre im unwegsamen Gebirge und es gibt keine Bruumlcke die ir-gendwo hinuumlberfuumlhrt Die Verehrung Jesu eines Mannes aus Nazareth als all-maumlchtiger Gott zusammen mit zwei anderen gleichwertigen Charakteren [in der Gottheit] ist fuumlr den glaumlubigen Juden schlichtweg unmoumlglich und wird ganz ein-fach nie moumlglich sein Zu allem Uumlberfluss wurde das Thema der Kompatibilitaumlt des Trinitarismus mit dem biblischen Monotheismus im christlichen Gespraumlch weitgehend ausgeklammert James Dunn erkennt diese unuumlberwindbaren Schwierigkeiten und sagt treffend

Solange die christliche Theologie in Bezug auf den von ihnen ver-tretenen Monotheismus zweideutig und widerspruumlchlich bleibt und solange jede Tendenz zur Christolatrie [Christusverehrung] im christlichen Gottesdienst so stark verankert bleibt werden Juden und Christen einander in Bezug auf die grundlegendste Wurzel ih-rer gemeinsamen Religion nicht begreifen koumlnnen Und fuumlr ein Christentum dessen Schriften zu drei Vierteln die Schriften Israels sind ist das ein schwerwiegender Bruch in seinen eigenen Grund-lagen Nicht zuletzt ist eine angemessene Einschaumltzung des Mono-

968 Rubenstein pp xiv-xv

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theismus des Christentums fuumlr das christliche Verstaumlndnis der Zu-sammenhaumlnge zwischen Jesus selbst und dem was danach fuumlr ihn beansprucht wurde unerlaumlsslich Und ohne den Zusammenhang [zwischen dem Judentum Jesu und dem Trinitarismus der spaumlteren Christen] aufzuzeigen haben nachweisbare oder zumindest glaub-wuumlrdige christliche Apologeten an diesem entscheidenden Punkt eine fast unmoumlgliche Aufgabe969

Die konsequente und vollkommene Ablehnung aller in der Antike als bdquozu juuml-dischrdquo erachteten Dinge hat fuumlr den Christen dazu gefuumlhrt dass jede wirklich juumldische Perspektive auf die Schrift in der Neuzeit praktisch aufgegeben wurde Aber eine solche scharfe Trennung [des Christentums] vom juumldischen Denken scheint ungerechtfertigt gewesen zu sein Der Apostel Paulus argumentierte im ersten Jahrhundert gegen die Vorstellung dass der Vorrang der Beziehung der Juden zu Gott unterlaufen werden koumlnnte Er erklaumlrt dass es die Juden waren denen die Spruumlche Gottes anvertraut wurden (Roumlmer 32) Deshalb vermittelte Gott dem hebraumlischen Denken zuerst die Offenbarung von sich selbst und dann von seinem Sohn die Heiden wurden spaumlter durch die Gnade Gottes in das durch diese Offenbarung verliehene Leben bdquoeingepfropftrdquo (Roumlmer 1117) In dem Wis-sen dass die neutestamentlichen Autoren die offenbarte Wahrheit Gottes als bdquozu-erst dem Juden und dann auch dem Nichtjudenrdquo (Roumlmer 116) darlegten ist fuumlr den modernen Christen eine wuumlrdige Frage die er sich stellen sollte Hat der Gott Israels in seiner Jahrtausende langen engen Gemeinschaft mit dem hebraumlischen Volk jemals erfolgreich etwas Werthaltiges uumlber seine Identitaumlt und die Identitaumlt seines Messias vermittelt970 Dann kann man sich fragen wie es der Trinitarier tun muss ob es klug ist zunaumlchst davon auszugehen dass die Juden ihre eigene ge-liebte Schrift in dieser zentralen Hinsicht in grober Weise falsch interpretiert ha-ben Haben sie [die Juden] die Identitaumlt Gottes sowie seine Vorschriften zur An-betung Gottes grundlegend missverstanden Oder waumlre es vernuumlnftiger zum Schluss zu kommen dass die urspruumlnglichen juumldischen Nachfolger Christi [die Ur-Christen] eine Christologie aufrechterhalten haben die perfekt mit ihrem the-ologischen Erbe uumlbereinstimmte Dieses Legat wurde ja erst spaumlter durch die Einfuumlhrung der heidnischen Philosophie im zweiten dritten und vierten Jahrhun-dert kompromittiert

969 James Dunn Christ and the Spirit Collected Essays of James DG Dunn Vol 1 (Grand Rapids Eerdmans

1998) p xiii 970 bdquoDas Alte Testament sagt uns nichts explizit oder durch notwendige Implikation eines dreieinigen

Gottes der Vater Sohn und Heiliger Geist ist Es gibt keine Beweise dafuumlr dass ein heiliger Verfasser uumlberhaupt die Existenz einer goumlttlichen [trinitarischen Beziehung] innerhalb der Gottheit vermutet hat Selbst wenn man im Alten Testament Anzeichen oder Vorahnungen oder sbquoverschleierte Zeichenrsquo der Dreieinigkeit der Personen zu erkennen glaubt bedeutet das uumlber die Worte und Absichten der heiligen Schreiber hinauszugehenrdquo (Fortman The Triune God p 8 9)

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DieChristenheitheutePapst Benedikt XVI hielt 2006 eine Rede an der Universitaumlt Regensburg wo er in fruumlheren Jahren als Professor fuumlr Theologie taumltig war In dieser Rede die als bdquoeine der wichtigsten paumlpstlichen Erklaumlrungen zum Weltgeschehenrdquo971 gefeiert wird verurteilte Benedikt die von ihm so genannte bdquoEnthellenisierungrdquo des Christentums die derzeit stattfindet Er zollte den heidnischen griechischen Phi-losophen groszliges Lob und setzte sogar die Ideen von Sokrates mit der Offenba-rung gleich die Gott Mose im brennenden Busch gab972 Er kam geradezu ins Schwaumlrmen

Der biblische Glaube begegnete in der hellenistischen Zeit dem Besten des griechischen Denkens auf einer Ebene was zu einer ge-genseitigen Bereicherung fuumlhrte Die Begegnung zwischen der biblischen Botschaft und dem griechischen Denken geschah nicht zufaumlllig973

Benedikt bestaumltigte dass das Christentum in der Neuzeit als ein Glaubenssystem voumlllig untrennbar mit dem hellenistischen Einfluss verbunden ist der es in den fruumlhen Jahrhunderten durchdrungen und gesaumlttigt hat Ein aufmerksamer Pro-fessor fuumlr Philosophie an der Cornell Universitaumlt erkennt dies ebenfalls

Die Philosophie im Christentum ist sowohl inert als auch aktiv Die spaumltgriechische Metaphysik um die herum sich die christliche Lehre entwickelte ist das traumlge philosophische Skelett des Chris-tentums Und wenn es den Enthellenisierern gelaumlnge die griechi-schen Elemente zu beseitigen waumlre ohne diese das Christentum selbst nicht mehr erkennbar974

Das Christentum scheint sich in der Tat nie ganz von den neoplatonischen und gnostischen Begegnungen in der post-apostolischen Zeit erholt zu haben In ei-ner sehr aussagekraumlftigen Zusammenfassung unserer letzten Umfrage kommt der renommierte Historiker Will Durant zum beinahe tragisch klingenden Schluss

971 Siehe James V Schall The Regensburg Lecture (South Bend St Augustinersquos Press 2007) (Die Regensburger

Vorlesung) 972 Pope Benedict XVI ldquoFaith Reason and the University Memories and Reflectionsrdquo Meeting with the

Representatives of Science Lecture of the Holy Father at the University of Regensburg Tuesday 12 September 2006 (Papst Benedikt XVI Glaube Vernunft und die Universitaumlt Erinnerungen und Uumlberlegungen)

lthttpwwwvaticanvaholy_fatherbenedict_xvispeeches2006septemberdocumentshf_ben-xvi_spe_20060912_university-regensburg_enhtmlgt

973 Ebenso 974 Norman Kretzmann ldquoReason in Mysteryrdquo Royal Institute of Philosophy Lecture Series Vol 25

(1989) pp 15-39 (Vernunft im Mysterium)

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Das Christentum hat das Heidentum nicht zerstoumlrt sondern hat es aufgenommen Der griechische Geist der im Sterben lag erhielt in der Theologie und Liturgie der Kirche ein neues Leben die grie-chische Sprache die jahrhundertelang uumlber die Philosophie herrschte wurde zum Traumlger christlicher Literatur und Rituale Andere heidnische Kulturen trugen zu dem synkretistischen Er-gebnis bei Aus Aumlgypten kamen die Ideen einer goumlttlichen Dreifal-tigkeit sowie die mystische Theologie die den Neoplatonismus und den Gnostizismus hervorbrachte welche das christliche Glau-bensbekenntnis verschleierten Das Christentum war die letzte groszligartige Kreation der antiken heidnischen Welt975

Im 21 Jahrhundert finden wir eine Mainstream-Christenheit die wohl die ein-schlaumlgigen Lehren des juumldischen Jesus als ihrem beliebten und wichtigen Fuumlhrer oumlffentlich verbreitet doch deren Kirchenwissenschaftler in den privaten Aulen der Lehranstalten die Persoumlnlichkeiten von Platon und Valentinus heraufbe-schwoumlren Man koumlnnte hier argumentieren dass das Einzige was noch bedauer-licher ist als eine religioumlse Akademie die sich nicht darum kuumlmmert dass ihre charakteristischsten Philosophien nirgendwo in den Aussagen Jesu aber gewohn-heitsmaumlszligig in den Lehren heidnischer Mystiker zu finden sind eine treue jedoch mehrheitlich unwissende Anhaumlngerschaft ist Aber was wuumlrde der moderne The-ologiestudent geben um es zu erfahren und es oumlffentlich zu wissen Vielleicht koumlnnte ihn das sehr wohl alles kosten Da die christliche Theologie nicht uumlber Nacht uumlberwaumlltigt wurde koumlnnen wir nicht davon ausgehen dass ihr Wiederauf-leben ohne erheblichen Zeitaufwand und ohne Schmerzen erfolgen wird Die Aktivitaumlten die die groumlsste Anstrengung erfordern sind natuumlrlich die wertvolls-ten Sicherlich gibt es nichts Wertvolleres fuumlr die Welt als die Wiederherstellung der Lehren des Jesus von Nazareth uumlber Gott

Ruumlckblickend sind die philosophischen Bemuumlhungen der Theologen der ersten sechshundert Jahre des Christentums erstaunlich Viele talentierte und hinge-bungsvolle Menschen taten ihr Bestes um das Herz des Judentums mit den mo-dischen Voraussetzungen die den hohen Geist ihrer Zeit beherrschten in Ein-klang zu bringen Die groumlszligten Denker kaumlmpften mit Eifer darum die explosive Idee der Goumlttlichkeit Jesu in einem Rahmen eines absoluten Monotheismus ein-zuzwaumlngen doch dieser Rahmen drohte jeden Moment zu zerbrechen Aber die daraus resultierende Fuumllle von Vermutungen und Formeln die durch die Agonie der Jahrhunderte hervorgerufen wurde gab den uumlberlebenden Glaumlubigen nur ei-nen oberflaumlchlichen Einblick in die Vorstellung von Gott Von ihr wussten sie

975 Will Durant The Story of Civilization Vol 3 Caesar and Christ (New York Simon and Schuster

1944) p 595 599 (Die Geschichte der Zivilisation Bd 3 Caumlsar und Christus)

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dass sie letztlich ein unnachgiebiges und unerreichbares Ding der Unmoumlglichkeit bleiben musste Wahrhaftig die Theologen des dritten vierten und fuumlnften Jahr-hunderts haben mit einer Ehrfurcht gebietenden Leidenschaft gearbeitet ge-kaumlmpft und sind gestorben und die Trinitarische Lehre ist daher nichts anderes als ein Werk der Leidenschaft Doch Arthur Weigall erinnert den Schuumller weise daran bdquoDie Idee einer gleichberechtigten Dreifaltigkeit bietet ein vernuumlnftiges Mittel um das Unsagbare auszudruumlcken aber man darf nicht vergessen dass Je-sus Christus ein solches Phaumlnomen nie erwaumlhnt hatrdquo976 Was hat Jesus von Na-zareth dann wirklich uumlber Gott gelehrt An was glaubten die ersten Juden die ihm nachfolgten Wir sind heute besser geruumlstet als zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte um diese bdquoverschuumlttetenldquo Daten wiederherzustellen Ein moder-ner Historiker ermutigt uns darin und bereitet uns auf die Reise vor

Die letzten dreiszligig Jahre waren besonders fruchtbar fuumlr das Stu-dium des fruumlhen Christentums Dies liegt zum einen daran dass die Kirchen offenbar lockerer mit den Unsicherheiten der Forschungs-ergebnisse umgehen zum anderen aber auch daran dass sich die verfuumlgbaren Quellen insbesondere der juumldischen Texte unter ihnen die 1945 entdeckten herausragenden Schriftrollen vom To-ten Meer das Spektrum enorm erweitert haben Wir sind heute bes-ser in der Lage Jesus in einen historischen Kontext zu stellen als zu jeder Zeit seit dem ersten Jahrhundert Wenn wir die reiche Viel-falt der modernen Wissenschaft zusammenfassen koumlnnen zeichnet sie sich dadurch aus dass wir Jesus essentiell als juumldisch akzeptieren Wir brauchen jedoch auch ein umfassenderes Verstaumlndnis der Be-deutung dessen dass im ersten Jahrhundert der christlichen Aumlra Jesus als Jude lebte und dachte Waumlhrend traditionelle Interpretati-onen Jesus als etwas anderes als vollstaumlndig dem Judentum zuge-houmlrig betrachten konzentrierte sich seine Mission immer auf die Auszligenwelt Doch heute wird nicht nur allgemein anerkannt dass Jesus im Judentum predigte und lehrte sondern auch dass er sich fuumlr eine Ruumlckkehr zu traditionellen juumldischen Werten einsetzte977

In den folgenden Kapiteln werden wir feststellen dass das zuvor beschriebene dogmatische System das von der heutigen Mehrheit der Glaumlubigen so geliebte uumlberlieferte Trinitaumltsmodell eigentlich grundlegend uumlberfluumlssig ist Es ist houmlchste Zeit den Jesus der Bibel und die theologischen Informationen die er anbietet ernster zu nehmen Tatsaumlchlich wie ein anglikanischer Religionsprofessor emp-fohlen hat bdquoDas Christentum sollte viel staumlrker auf die Worte Jesu ausgerichtet

976 Weigall p 182 977 Freeman Closing of the Western Mind p 88

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sein als es in der Vergangenheit uumlblich war Der wahre Jesus ist eine viel inte-ressantere und religioumls relevantere Gestalt als der goumlttliche Christus des spaumlteren Glaubensmodells und er hat den Vorteil tatsaumlchlich gelebt zu habenrdquo978

Waumlhrend die post-apostolischen Kirchenvaumlter vielleicht eine neuartige dem juumldi-schen Geist voumlllig fremde Theologie etabliert haben moumlgen scheint Christus selbst nie daran interessiert gewesen zu sein das Endspiel der Religion in eine neue Richtung lenken zu wollen Stattdessen finden wir einen Prediger der be-reitwillig auf Mose als Grundlage stand und einen anderen als Aktivierer und Au-torisator seiner Mission einfuumlhrte naumlmlich Gott den Vater von allen und allem Das Neue Testament zeichnet Jesus als einen Lehrer mit einzigartiger Leiden-schaft und einer Mission deren Autoritaumlt sich erwiesenermaszligen von einer ande-ren groszligartigeren Quelle ableitete die nicht nur die absolute Hingabe eines jeden Juden sondern auch seine eigene verdient Und diesem persoumlnlichen unerschuumlt-terlichen Glauben wenden wir uns jetzt zu

978 Don Cupitt The Debate About Christ (London SCM Press 1979) p 138 (Die Debatte uumlber Christus)

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TEILIIDieWiederherstellung

Jesus von Nazareth ndash Seine Theologie und die seiner fruumlhesten Nachfolger

bdquoDenn es gibt nichts Verlorenes das man nicht finden kann wenn man es suchtrdquo

ndash Edmund Spenser

bdquoWenn die Loumlsung einfach ist antwortet Gottrdquo

ndash Albert Einstein

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DerSchoumlpferausjuumldischerSicht

bdquoEine Vielheit ist ohne Notwendigkeit nicht zu setzenrdquo

mdashbdquoOckhams Rasiermesserrdquo (William von Ockham 1287-1347)

IE PHILOSOPHISCHEN FORMELN die von den fruumlhen Christen aus all den bunten Religionen der damaligen Welt ausgeliehen wurden entfremdeten den Glauben immer weiter von der Sprache und Botschaft

der juumldischen Schriften Trotz der beharrlichen Bemuumlhungen der lateinischen und griechischen Vaumlter eine funktionierende Harmonie zwischen der Hebraumlischen Bibel und den Systemen der antiken Welt herzustellen erwiesen sich ihre verein-barten Glaubensbekenntnisse von der Vernunft her als unbefriedigend und in praktischer Hinsicht unfaumlhig die Person Christi und seines Gottes mit der christ-lichen Welt in Einklang zu bringen Trotz des Krachs der theologischen Machen-schaften der spaumlteren synodalen Verwalter jener erhabenen Philosophen die ihr muumlhsames Leben damit verbrachten ihre Gedanken um eine hypothetische Plu-ralitaumlt in der Einheit kreisen zu lassen ist die kraftvolle Stimme Jesu Christi immer noch zu houmlren der an die Vernunft an die Geschichte und an die Hebraumlischen Schriften appellierte Wir schenken nun unsere ungeteilte Aufmerksamkeit dieser Religion dem Rest der biblischen Juden und dem Glauben Jesu Christi

DieBedeutungdesJudentumsAls das Christentum im zweiten Jahrhundert einen dramatischen Wandel von der Welt des Judentums in die Welt der griechischen Philosophie erlebte fiel den Kirchenvaumltern die gewaltige Aufgabe zu das religioumlse Denken einer Kultur in eine andere umzuwandeln Eine Enzyklopaumldie kommentiert die unglaubliche

D

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Transformation der urspruumlnglichen juumldisch-christlichen Lehren in den fruumlhen Jahrhunderten

Wie alle Konzepte wandelt sich die Bedeutung religioumlser Begriffe mit einer sich aumlndernden Erfahrung und einem sich aumlndernden Weltbild Als die christliche Lehre in das griechische Weltbild ein-gepflanzt wurde veraumlnderte sie sich zwangslaumlufig - eine wahre Transformation fand statt Fragen die nie gestellt worden waren traten in den Vordergrund und die juumldischen Praumlmissen verschwan-den So wie sich der [kulturelle] Hintergrund von juumldisch zu grie-chisch aumlnderte so aumlnderten sich auch die grundlegenden religioumlsen Vorstellungen Wir haben also eine eigentuumlmliche Kombination - die religioumlsen Lehren der Bibel durchlaufen die Formen einer fremden Philosophie979

Wenn nun die Juumldischen Schriften im Volksglauben durch eine bdquofremde Philoso-phierdquo interpretiert werden ist es dann nicht die feierliche Verpflichtung jedes an der Botschaft der Bibel interessierten Studenten sich mit Sorgfalt fuumlr die Wieder-erlangung der urspruumlnglichen Perspektive einzusetzen Wenn die Lehre tatsaumlch-lich bdquotransformiertrdquo wurde wie die Enzyklopaumldie erklaumlrt was sollte es den Milli-onen von Glaumlubigen wert sein diese Transformation umzukehren dh zu refor-mieren Der Wunsch sollte der Ausgangspunkt sein zum Judentum der bibli-schen Dokumente zuruumlckzukehren denn in der Tat war es das Judentum Jesu

Ein Professor fuumlr Theologie eroumlffnet unsere Diskussion uumlber das Judentum mit dem folgenden Portraumlt des Mannes Jesus

Christus war an keiner philosophischen Schule ob juumldisch oder griechisch erzogen worden Es gibt keine Beweise dafuumlr dass er mit den metaphysischen Ideen vertraut war die in der intellektuel-len Atmosphaumlre seiner Zeit aufkamen Er war nicht von den ver-schiedenen griechischen philosophischen Schulen betroffen die begannen die Mauern der juumldischen Isolation abzubrechen Weder die Skepsis der Sadduzaumler noch die Mystik des alexandrinischen Philonismus haben die intellektuelle Gelassenheit der galilaumlischen Seele Jesu jemals gestoumlrt Es ist aber wahr dass das Christentum danach zu einem philosophischen Glaubensbekenntnis entwickelt wurde wie es fuumlr alle religioumlsen Ideen gilt aber dieser historische Prozess laumlsst sich nicht auf seinen Gruumlnder zuruumlckfuumlhren980

979 G W Knox ldquoChristianityrdquo Encyclopedia Britannica Vol 6 (Cambridge CUP 1910) p 284 980 Paine The Ethnic Trinities pp 202-203 (Die Ethnischen Trinitaumlten)

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In Jesu beruumlhmtem Dialog mit der samaritanischen Frau finden wir ein Beispiel fuumlr seine Staumlrkung des Primats des historischen Judentums in einer vielfaumlltig reli-gioumlsen Welt Die Samariter981 die im Heiligen Land des ersten Jahrhunderts an der Seite der Juden lebten hatten in ihrer Interaktion mit dem Goumlttlichen die juumldischen Grenzen umgangen indem sie ihre eigene Thora hatten und ihren ei-genen Tempel betrieben Sie lagen im Streit mit den Wegen und Traditionen ihrer juumldischen Cousins982 Aber Jesus lehnte die Idee ab dass die wahre Anbetung die zur Erloumlsung fuumlhrt durch irgendein anderes religioumlses Erbe moumlglich sei

Die Frau spricht zu ihm Herr ich sehe dass du ein Prophet bist Unsere Vaumlter haben auf diesem Berg angebetet und ihr sagt dass in Jerusalem der Ort sei wo man anbeten muumlsse Jesus spricht zu ihr Frau glaube mir es kommt die Stunde da ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet Ihr betet an was ihr nicht kennt wir beten an was wir kennen denn das Heil ist aus den Juden Es kommt aber die Stunde und ist jetzt da die wahren Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden denn auch der Vater sucht solche als seine Anbeter Gott ist Geist und die ihn anbeten muumlssen in Geist und Wahrheit anbeten Die Frau spricht zu ihm Ich weiszlig dass der Messias kommt der Christus der Gesalbte genannt wird wenn jener kommt wird er uns alles verkuumlndigen Jesus spricht zu ihr Ich bin es der mit dir redet (Johannes 419-26)

Jesus erklaumlrt hier nachdruumlcklich dass bdquodie Erloumlsung von den Juden kommtrdquo Ganz tief-gruumlndig ist Gottes Erloumlsungsprogramm ausschlieszliglich im juumldischen Erbe zu ent-decken Jesus Christus die Erloumlsung die der juumldische Gott der Menschheit an-bietet ist im innersten Kern mit der juumldischen Welt verbunden Es ist nicht nur die bdquomenschliche Naturrdquo Jesu die juumldisch ist er ist eine Persoumlnlichkeit die durch den religioumlsen Geist des historischen Judentums lebt und von diesem abhaumlngig ist Seine Arbeit unter den Juden bestand nicht darin einen ihnen bisher unbe-kannten Monotheismus zu praumlsentieren sondern den Ruf nach Reformen zu er-heben und zum Herzen und zur Seele einer Religion zuruumlckzukehren welche die Juden bereits hatten Die Grenzen des juumldischen Denkens initiierten und befluuml-gelten jeden Moment seines Dienstes Viele Gelehrte erkennen an dass bdquoJesu Lehre in seiner eigenen religioumlsen Tradition verankert warrdquo Dass Jesus sich selbst

981 Die Samariter stammen von den Halbstaumlmmen Ephraims und Manasses ab zwei der Soumlhne des bib-

lischen Josefs Die Samariter sind bis heute der Meinung dass ihre Religion die wahre Religion der Isra-eliten vor dem Exil hellip in Babylon war Sie behaupten dass die Anbetung Jahwes nicht an der tradi-tionellen Staumltte von Salomos Tempel dem Jerusalemer Tempelberg stattfinden sollte sondern auf dem Berg Gerizim ausserhalb Sichems

982 Siehe Oded Lipschitz Gary N Knoppers Rainer Albertz Judah and the Judeans in the Fourth Century B C E (Warsaw Eisenbrauns 2007) p 157ff 176 (Judah und die Judaumler im 4 Jh Vor unserer Zeitrechnung)

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zum juumldischen Gott machte wie allgemein behauptet wird wuumlrde bdquoihn effektiv von der Welt des Judentums trennenrdquo983 Sogar die Trinitarier haben zugegeben dass Jesus bdquooffenbar in seiner eigenen Lehre auf keinen Doktrinen bestanden hat auszliger auf denen die von seinen Landsleuten allgemein als auf der Autoritaumlt von Mose und den Propheten ruhend anerkannt wurdenrdquo984 Sicherlich war der von Jesus vertretene Messianismus nicht als scharfer Bruch mit der Vergangenheit zu interpretieren obwohl dies genau das ist was Athanasius und die Kappadokier waumlhrend der Arianischen Kontroverse vorgebracht haben985 Vielmehr praumlsen-tierte Jesus eine altehrwuumlrdige und wahre Religion aus der er das Durcheinander fehlerhafter sozialer und moralischer Traditionen entfernte und eine Religion deren unerfuumlllte Prophezeiungen ein Schattendasein fristeten986

Was ist dann das kritischste und charakteristischste Merkmal dieser historischen Religion mit der Jesus so eng und treu verbunden war Die Juden haben immer gesagt dass es nur einen wahren und houmlchsten Gott gibt und dass dieses Indivi-duum Jahwe genannt wird bdquoJahwe der Gott eurer Vaumlter Das ist mein Name fuumlr immer der Name den ihr mich von Generation zu Generation nennen werdetrdquo (2 Mose 315) bdquoIch bin Jahwe das ist mein Namerdquo (Jesaja 428) bdquoDu dessen Name Jahwe ist allein bist der Houmlchsterdquo (Psalm 8318) bdquoDu allein bist Jahwerdquo (Nehemia 96) Sogar eine trinitarische Quelle erklaumlrt das so

Im Alten Testament wird Gott eindeutig als der eine lebendige und wahre Gott verkuumlndet die Einheit Gottes wird besonders her-vorgehoben und steht im starken und vielfaumlltigen Kontrast zu den goumltzendienerischen Vorstellungen der Menschen Es ist ein reines System des Theismus das nicht die geringste Abweichung von der strengen Idee eines einzigen Gottes erlaubt Gott ist eindeutig ein Individuum keine abstrakte Kraft987

Der Vorschlag dass eine beliebige Vielzahl von verschiedenen Personen irgend-wie innerhalb des einzelnen Individuums namens bdquoJahwehrdquo existieren koumlnnte ist eine Idee die von Natur aus vom Geist des juumldischen Monotheismus abweicht988 Sicherlich wurden vonseiten der Juden Einwendungen gegen den trinitarischen

983 Freeman Closing of the Western Mind p 133 129 984 Smith p 509 985 Rubenstein p 74 986 Siehe Markus 73ff Matthaumlus 517ff 987 Seth Sweetser Bibliotheca Sacra Vol XI (Dallas Theological Seminary January 1854) p 88 988 Wiederum haben viele Trinitarier zugegeben dass der Monotheismus der Juden bis heute einheitlich

war und ist das heiszligt sie glauben dass Gott ein gewisses einzelnes Selbst ist bdquoDie Juden bis heute konnten sie [die Dreifaltigkeit] nie zu einem Glaubensartikel machen aber sie behaupten immer noch dass Gott nur einer in Person ist ebenso wie in seiner Naturrdquo (Beveridge p 66) Siehe ebenfalls Warfield S 127

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Gottesbegriff von Anfang an in der Formulierung der Lehre erhoben Nach den Nazarener-Christen in Jerusalem die Gottes unitarische Einheit verbunden mit dem Messiasamt des menschlichen Jesus bekannten bis hin zu den Rabbinern des dritten und vierten Jahrhunderts die heftig uumlber die Natur Gottes in der Hei-ligen Schrift diskutierten - hat sich die juumldische Idee Gottes im Laufe der Ge-schichte mit der christlichen Orthodoxie vermischt989 Was jedoch die Versuche anbelangt die Dreifaltigkeit in der juumldischen Bibel zu lokalisieren so zeigen juumldi-sche Historiker im zwanzigsten Jahrhundert dass die Juden konsequent bdquojeden Beweis den ihre Gegner vorbringen ablehnten die Juden haben die Lehre von der Dreifaltigkeit immer als mit dem Geist der juumldischen Religion und mit dem Monotheismus unvereinbar angesehen990 Auch im Mittelalter finden sich be-ruumlhmte Juden wie Maimonides (1135-1204 n Chr) die immer noch die strenge Einheit Gottes gegen die Pluralitaumlt der christlichen Sichtweise verteidigten

(Gott) die Ursache fuumlr alles ist Einer Das bedeutet nicht einer wie in einer Serie noch einer wie in einer Art (die viele Individuen um-fasst) noch einer wie in einem Objekt das aus vielen Elementen besteht noch als ein einziges einfaches Objekt das unendlich teil-bar ist Vielmehr ist Gott eine Einheit die sich von jeder anderen moumlglichen Einheit unterscheidet Darauf wird in der Thora hinge-wiesen bdquoHoumlre Israel der Herr ist unser Gott der Herr ist einerrdquo991

Viele Christen sagen heute schnell dass die Juden einfach noch nicht mit der Offenbarung der wahren Natur Gottes als drei verschiedenen Personen vor Jesu Ankunft gesegnet waren992 Aber die Trinitarier geben auch zu dass Jesus die Dreifaltigkeit nicht gepredigt hat oder jemals offenbart haumltte selber der Schoumlpfer zu sein an den die Juden glaubten993 Trifft es zu dass selbst seine Apostel am Ende seines Dienstes seine Identitaumlt nicht gekannt haben994 Was hat Jesus sie

989 Einige dieser Diskurse finden sich im groszligen Korpus des rabbinischen Judentums dem Talmud 990 Kaufmann Kohler Samuel Krauss ldquoTrinityrdquo Jewish Encyclopedia 1906 Web 05 May 2014 991 Maimonides Thirteen Principles of Faith Second Principle (13 Glaubensprinzipienb das 2) 992 bdquoDas Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit wurde noch nicht geluumlftet damit die Juden ausdruumlcklich

glauben konnten dass er von Natur aus der Sohn Gottes der Gott Gottes von einer Substanz Kraft und Herrlichkeit mit Gott dem Vater war Diese Lehre hat sich Jesus vorbehalten sie zu verkuumlnden obwohl er sie anfangs nicht ausdruumlcklich gelehrt hat sondern seine Juumlngern nach und nach zu ihr gefuumlhrt hatrdquo (Lucas Brugensis ldquoZu Johannes 149rdquo zitiert in Wilson Uni Princip Conf by Trini Testimonies 1888 p 334)

993 bdquo[Jesus] hat niemals behauptet der Schoumlpfer dieser Welt zu seinrdquo (ein bevorzugtes Argument bei den Sozinianern) (J F Flatt Dissertation on the Deity of Christ in Biblical Repertory Vol 1 (New Jersey Princeton 1829) pp 174-175) (Dissertation uumlber die Divinitaumlt Christi im Biblischen Repertoire)

994 bdquoNoch verstanden sie (die Juumlnger unseres Erretters) das Geheimnis des Mysteriums der Dreifaltigkeit nicht so wie wir es auch nicht verstehenhelliprdquo (John Evelyn The History of Religion Vol 2 (London For-gotten Books 2013 [1859]) pp 87-88) bdquoEs ist wahr dass er ebenso Gott war Dies wussten sie jedoch

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also wirklich gelehrt Hat er einen umstrukturierten Glauben an eine Gottheit ge-foumlrdert oder inspiriert Im Gegenteil Jesus bestaumltigte in seinem Gespraumlch mit der Samariterin direkt dass die Identitaumlt des wahren Gottes den Juden von alters her bekannt war und dass sowohl er als auch seine Landsleute ihn [Gott] tatsaumlchlich auf richtige Weise verehrten bdquoWir beten an was wir kennenrdquo (Joh 422) Dieses einzigartige juumldische Wissen uumlber Gott ist der Orientierungspunkt der religioumlsen Wahrheit zu dem der Messias die Nationen fuumlhren wird Da kein Gelehrter glaubt dass die Juden jemals eine Dreifaltigkeit verehrt haumltten und da Jesus sich ihnen in der Gottesverehrung anschloss haben wir dann nicht allen Grund zu zweifeln dass Jesus je eine Dreifaltigkeit [mit mehreren Mitgliedern in der Gott-heit] verehrte Er hat schlieszliglich den gleichen Gott wie die Juden angebetet (Jo-hannes 422 2017) Wie haumltte er als perfekter gesetzestreuer Jude etwas anderes tun koumlnnen Er hat Gott als Vater anerkannt wie es seine Mitjuden taten Das muumlssen wir in seinen Dialog mit der samaritanischen Frau einbeziehen und auch die Idee die Jesus anderswo vertritt bdquoVater Du bist der einzige wahre Gottrdquo (Jo-hannes 171-3) Wie so viele Gelehrte festgestellt haben gibt es innerhalb der biblischen Daten bdquokeinen Grund Jesus als etwas anderes als einen frommen Mo-notheisten zu sehenrdquo995 Diese bedeutende juumldische Tradition Jesu wurde zum unbestreitbaren Erbe der neutestamentlichen Gemeinschaft

DieSprachedesBiblischenGottes Studenten des Christentums duumlrften keine Schwierigkeiten haben sich den an-gesehensten trinitarischen Gelehrten anzuschlieszligen und zu erkennen dass bdquowenn wir die Sprache dieser [trinitarischen] Dogmen mit der Sprache des Neuen Tes-taments vergleichen der Unterschied augenfaumlllig ist Die trinitarische Terminolo-gie ist dem Neuen Testament fremdrdquo996 Aber wenn der platonische Jargon fehlt welche Art von Sprache finden wir dann

Das Neue Testament enthaumllt uumlber 1300 Passagen in denen das Wort bdquoGottrdquo (griechisch theos) vorkommt In keinem dieser Faumllle finden wir eine Unterschei-dung oder eine Aufteilung innerhalb der Gottheit Das Alte Testament praumlsen-tiert uns ebenfalls Tausende und Abertausende von singulaumlren Personalprono-men Verben und Adjektiven in Einzahlform die in Verbindung mit Adonai (Herr) elohim (GOTTGottGoumltter) und JHWH (oder Jahweh dem goumlttlichen persoumlnlichen Eigennamen) verwendet werden Uumlberwaumlltigend ist dass Gott sich

nicht Sie betrachteten ihn nicht als Gott sondern eher als einen Menschen der ihnen selbst weit uumlber-legen warrdquo (Julius Charles Hare Mission of the Comforter Vol 1 (Boston Gould and Lincoln 1877) pp 9-10) (Die Sendung des Troumlsters)

995 Tom Holmen Stanley E Porter Handbook for the Study of the Historical Jesus (Leiden Brill 2011) p 1205 (Handbuch zum Studium des Historischen Jesus)

996 Brunner Emil Dogmatics Vol I London Lutterworth Press 1949 p 56 (Dogmantik)

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selbst als ein absolut einzigartiges Wesen darstellt Wie bereits erwaumlhnt bdquodie Ein-heit der Gottheit ist eine Wahrheit die nicht nur auf einigen wenigen Stellen der Schrift beruht die sie explizit behaupten sondern die sich aus jedem Teil der Schrift herleiten laumlsstrdquo997 Mehrzahlformen von Verben Pronomen und Adjek-tive werden nur in einer Handvoll von Faumlllen verwendet in denen eine Pluralitaumlt von Gottes Majestaumlt vom Autor der Schriftstelle angerufen wird oder wenn Gott zu seinem koumlniglichen himmlischen Hof spricht wie wir es im Schoumlpfungsbericht der Genesis finden998 Es ist unendlich einfacher die wenigen textlichen Ausnah-men von den singulaumlren Personalpronomen durch eine Untersuchung des Kon-textes und eine Beruumlcksichtigung des hebraumlischen Idioms zu erklaumlren als das uumlberwaumlltigende biblische Gewicht von mehr als 7000 Verweisen auf Gott durch den Einsatz singulaumlrer Personalpronomen ausser Acht zu lassen

Betrachtet man die gesamte Hebraumlische Schrift ist es nicht schwer zu verstehen wie und warum die Juden ihren Gott unbeirrbar als eine eigenstaumlndige Persoumln-lichkeit bekraumlftigt haben Er gab ihnen allen Grund dazu

In der Hebraumlischen Schrift (unserem Alten Testament)

- bull bdquoErkenne ich bin der HERR (JHWH)rdquo (2 Mose 810)

- bull bdquoDu sollst keine anderen Goumltter haben neben mirrdquo (2Mose 201-3)

- bull bdquoSeht nun dass ich ich es bin und kein Gott neben mir istrdquo (5Mose 435)

- bull bdquoJHWH ist der alleinige Gott Ausser ihm gibt es sonst keinenrdquo (5Mose 439)

- bull bdquoJHWH ist der alleinige Gott im Himmel oben und auf der Erde unten keiner sonstrdquo (5Mose 3239)

- bull bdquoJHWH ist unser Gott JHWH alleinrdquo (5Mose 64)

- bull bdquoJHWH Gott Ja niemand ist dir gleich und es gibt keinen Gott auszliger dirrdquo (2 Samuel 722)

- bull bdquoJHWH ist Gott und sonst keinerrdquo (1 Koumlnige 860)

- bull bdquoJHWH niemand ist dir gleich und es gibt keinen Gott auszliger dirrdquo (1 Chronik 1720)

997 Ridgley Thomas Body of Divinity Vol I New York R Carter 1855 p 194 998 Juumldische Quellen lehnen die trinitarischen Behauptungen ab dass das Wort bdquounsrdquo in der Genesis eine

Pluralitaumlt in Gott bedeutet Vielmehr bestaumltigen sie entschieden die Moumlglichkeit von Gottes Gespraumlch mit seinem himmlischen Engelshof Siehe Gerald Sigal ldquoWhat is the meaning of God said lsquoLet us make man in our imagersquo rdquo Jews for Judaism Web Accessed 22 September 2014 (Was bedeutet es wenn Gott sagt Lasset uns Menschen machen)

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- bull bdquoDu bist der da ist JHWH du alleinrdquo (Nehemia 96)

- bull bdquoDu allein JHWH bistrdquo (Jesaja 3720)

- bull bdquoVor mir ward kein Gott gebildet und nach mir wird keiner seinrdquo (Jesaja 4310)

- bull bdquoIch bin der Erste und bin der Letzte und auszliger mir gibt es kei-nen Gottrdquo (Jesaja 446)

- bull bdquoGibt es einen Gott auszliger mir Es gibt keinen Fels ich kenne keinenrdquo (Jesaja 448)

- bull bdquoIch bin JHWH und sonst keiner Auszliger mir gibt es keinen Gottrdquo (Jesaja 455)

- bull bdquoIch bin der JHWH und sonst gibt es keinen Gottrdquo (Jesaja 4518)

- bull bdquoUnd es ist sonst kein Gott auszliger mir ein gerechter und retten-der Gott ist keiner auszliger mirrdquo (Jesaja 4521)

- bull bdquoIch bin Gott Es gibt keinen sonst keinen Gott gleich mirrdquo (Jesaja 469)

- bull bdquoAn jenem Tag wird JHWH einer sein und sein Name einzigrdquo (Sacharja 149)

- bull bdquoHaben wir nicht alle einen Vater Hat nicht ein Gott uns ge-schaffenrdquo (Maleachi 210)

Die Sprache in Bezug auf die Einheit Gottes in den neutestamentlichen Schriften im Einklang mit diesem Geist des Alten Testaments ist bemerkenswert

Das Neue Testament

- bull bdquoHoumlre Israel Der Herr unser Gott ist ein Herrrdquo (Markus 1229)

- bull bdquoWie koumlnnt ihr glauben die ihr Ehre voneinander nehmt und die Ehre die von dem alleinigen Gott ist nicht suchtrdquo (Johannes 544)

- bull bdquoWir haben einen Vater Gottrdquo (Johannes 841)

- bull bdquoDu bist allein wahrer Gottrdquo (Johannes 173)

- bull bdquoEs ist der eine Gott der gerecht machtrdquo (Roumlmer 330)

- bull bdquoDem einzigen und weisen Gott Amenrdquo (Roumlmer 1627)

- bull bdquoIn der Welt gibt es keinen Gott als den einenrdquo (1Kor 84)

- bull bdquoSo haben wir doch nur einen Gott den Vaterrdquo (1Kor 86)

- bull bdquoGott aber ist Einerrdquo (Galater 320)

Der juumldische Schoumlpfer

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- bull bdquoEin Gott und Vater allerrdquo (Epheser 44-6)

- bull bdquoGott dem ewigen Koumlnig dem Unvergaumlnglichen und Unsicht-baren der allein Gott istrdquo (1 Tim 117)

- bull bdquoEs ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Men-schen naumlmlich der Mensch Christus Jesusrdquo (1Tim 25)

- bull bdquoDu glaubst dass nur einer Gott ist Du tust recht daran die Teufel glaubens auch und zitternrdquo (Jakobus 219)

- bull bdquoDem alleinigen Gott unserem Retterrdquo (Judas 125)

Das houmlchste Wesen Gott schuf die Sprache und entwarf den menschlichen Geist Gott vermittelte durch die Sprache der Menschheit das Wissen dass er ein Individuum ist Die Welt hat das anfaumlnglich auch geglaubt Die Frage draumlngt sich auf ob Gott wissentlich in Kauf nahm dass seine Aussagen uumlber sich selbst auch als einheitliches Kollektiv von Individuen oder als eine Gesellschaft je nach Auslegung beliebig interpretiert werden koumlnnten Selbst in der Sprache des Neuen Testa-ments in den Dokumenten die [gemaumlszlig den Trinitariern] angeblich einen dreiei-nigen Gott verkuumlnden finden wir keinen einzigen Hinweis darauf dass die Grundperspektive der Juden [vor zwei Jahrtausenden] gegenuumlber fruumlheren Zeiten auf den neuesten Stand gebracht worden waumlre die Sprache Jesu und seiner Apos-tel in Bezug auf Gott war immer noch die gleiche Sprache wie die des Mose

AE Harvey enthuumlllt dass es bdquokeine eindeutigen Beweise dafuumlr gibt dass die Grenzen des Monotheismus von irgendeinem der neutestamentlichen Autoren tatsaumlchlich gebrochen wurdenrdquo999 Diese Autoren setzten das Verstaumlndnis des Le-sers fuumlr den Juumldischen Monotheismus mit Bestimmtheit als selbstverstaumlndlich vo-raus Fuumlr das Volk Israel im Altertum war dieses besondere Modell uumlberlebens-wichtig wann immer Israel davon abwich zog dies schnell tragische Folgen nach sich Aber es gibt keine Evidenz dafuumlr dass irgendetwas dem die Apostel in der Person Christi begegneten diese traditionelle Theologie [des Judentums] in Frage gestellt haumltte Wenn selbst heidnische Konvertiten in der Roumlmischen Aumlra waumlh-rend ihrer Konzile sich schon Sorgen um die Bedrohung des Monotheismus der Bibel machten wie viel mehr haumltte dann die treue juumldische Gemeinschaft des ersten Jahrhunderts in feurigem Widerspruch gegen die Idee reagiert dass der Rabbiner Jesus nicht nur ihr Gott sei sondern dass Abraham und Mose die ganze Zeit unbewusst drei verschiedene Personen verehrt haumltten Das bdquoohrenbetaumlu-bende Schweigenldquo des Fehlens der apostolischen Debatte kombiniert mit der perfekten Aufrechterhaltung der alttestamentlichen Sprache um Gott im Neuen Testament zu beschreiben legt nahe dass die fruumlhesten Christen keine derart dramatische Erweiterung der Gottheit verkuumlndet haben

999 A E Harvey Jesus and the Constraints of History (London Duckworth 1980) p 178

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Die Theologie Jesu und seiner Apostel hatte in der Tat problemlos durch die klassische Sprache der Hebraumlischen Bibel gearbeitet ohne dass sie eine Erweite-rung oder eine Verdeutlichung bedurft haumltte Gott war immer bdquonur Einerrdquo (Gal 320) oder bdquoein Herrrdquo (Markus 1229) oder bdquoder Vaterrdquo (1 Korinther 86) oder bdquo[der] Vater der einzig wahre Gottrdquo (Johannes 173) Die Sprache vermittelte eine einfache verstaumlndliche Idee Gott ist eine singulaumlre Person von den Juden sbquoVatersbquo genannt Dieser Gott bezeichnet sich selbst als ausschlieszliglich einzig oder alleinig Er sagt bdquoIch selbst werde nach meinen Schafen suchenrdquo (Hesekiel 3411) bdquoIch bin Jahwe allein ganz alleinrdquo (Jesaja 4424) Auch nach der Ankunft Jesu schilderten die neu-testamentlichen Juden den Gott des Alten Testaments weiterhin als ein einziges Selbst bdquoDenn als Gott dem Abraham die Verheiszligung gab schwor er bei sich selbst - weil er bei keinem Groumlszligeren schwoumlren konnterdquo (Hebraumler 613-20) In der Schrift werden ein-zelne Individuen als einzelne Seelen beschrieben bdquoAcht Seelen wurden hellip gerettetrdquo (1 Petrus 320) bdquodas heiszligt acht Personenrdquo Menschliche Personen sagen von sich bdquomeine Seelerdquo (Psalm 359) und uumlber andere als bdquoseine Seelerdquo (Matthaumlus 1626) So sagt Gott ebenfalls von sich bdquomeine Seelerdquo (Matthaumlus 1218) und wird als bdquoseine Seelerdquo beschrieben (Psalm 115) Aus welchem Grund nehmen wir an dass die Juden wenn sie sagten bdquoGott ist Einerrdquo (Galater 320 5 Mose 64) es nicht im gleichen Sinne wie bdquoAbraham als einen Einzelnenrdquo (Hesekiel 512 3324) meinten

Fuumlr die meisten Trinitarier ist Gott eine Substanz in der es drei verschiedene Persoumln-lichkeiten gibt sie sehen Gott wohl als ein einziges bdquoWesenrdquo aber nicht als eine einzelne Person Natuumlrlich gibt es keine biblischen Texte die eine Unterschei-dung zwischen Wesen und Persoumlnlichkeit lehren Andererseits sollte die Bibel beabsichtigen einzelne Wesen als unipersonal oder als einzelnes Subjekt zu iden-tifizieren wie wuumlrde sie das tun Die biblische Sprache die einzelne Menschen beschreibt (meist mit singulaumlren Personalpronomen) ist die gleiche Sprache mit der Gott selber beschrieben wird Aber wenn es um Gott geht kann es sich der Trinitarismus nicht leisten die natuumlrliche Schlussfolgerung zu ziehen dass Ein-zelwesen Einzelpersonen sind Stattdessen tauscht der Trinitarismus ploumltzlich den normativen Gebrauch der Sprache gegen einen metaphysischen und oft mehrdeutigen Gebrauch aus Aber dieser Wechsel ist unnoumltig und uumlberfluumlssig die Bibel unterstuumltzt keine solchen Unterscheidungen Menschen und Gott werden ohne Einschraumlnkung in der gleichen Weise dargestellt Beide werden normaler-weise wie Einzelpersonen beschrieben

Im Gegensatz dazu erfordert der gegenwaumlrtig vorherrschende trinitarische Glaube eine staumlndige detaillierte Qualifizierung durch die Verwendung auszligerbib-lischer Terminologie um sich aus der gefaumlhrlichen Spirale des Polytheismus zu befreien Doch auch diese Rettungsleinen sind ausgefranst die genauen Bedeu-tungen der abstrakten Begriffe sind heute meist neblig und schwer fassbar Wie wir bereits bei Emil Brunner gelesen haben sind diese Worte obwohl sie im

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uumlberlieferten trinitarischen System eine entscheidende Rolle spielen bdquofuumlr uns kaum verstaumlndlich oder fuumlhren wenn sie ohne Kommentar verwendet werden zu groben Missverstaumlndnissenrdquo1000 Aber ohne das bedenkliche Zusammenspiel dieser griechischen Formulierungen zerfaumlllt die Verehrung des dreieinigen Gottes schnell in die Verehrung mehrerer Goumltter oder vielleicht noch schlimmer in ein metaphysisches Durcheinander Der bedeutende Dozent George Burnap hat das Problem klar aufgezeigt

Ein Mann fragte mich ob ich dem Satz zustimmen koumlnne bdquoEs sind drei Personen in einem Gottrdquo ich fragte zuruumlck was er mit bdquoPer-sonrdquo meint Ich wollte wissen ob er damit ein eigenes unabhaumlngi-ges intelligentes Wesen meint Er verneinte dies Er sagte dass er das Wort nicht im landlaumlufigen Sinn verwendet sondern in einem fuumlr diesen Fall eigentuumlmlichen Sinne Ich frage ihn was dieser Sinn ist Darauf hatte er keine Erklaumlrung bdquoSie verlangen also von mirldquo antwortete ich bdquoeinem Vorschlag zuzustimmen der mir keine ver-staumlndliche Idee vermittelt und der fuumlr Sie ebenso unverstaumlndlich zu sein scheint wie mir Wir alle stimmen nichts als Worten zu und wenn die Aussage uns keine verstaumlndliche Bedeutung vermittelt ist sie fuumlr uns nichts und wir stimmen nichts zu Stuumlnden diese Worte in der Bibel dann koumlnnte ich sagen dass ich glaube sie druumlcken die Wahrheit aus auch wenn ich sie nicht verstehe Sind die Aus-sagen aber nicht in der Bibel betrachte ich sie als die bloszlige Er-findung von fehlbaren Menschen Ich kann nicht an ihre Autoritaumlt glauben Da ich sie selbst nicht verstehe und niemand sie mir er-klaumlren kann halte ich es fuumlr fair zu dem Schluss zu kommen dass diejenigen die sie entworfen haben keine klaren Vorstellungen hattenldquo1001

Durchschnitts-Christen in der westlichen Welt scheinen kaum beunruhigt oder gar bewusst zu sein dass Millionen von Juden nicht-trinitarische Christen wie auch Muslime ernsthaft besorgt sind angesichts der Identifikation des bestehen-den orthodoxen bdquochristlichenldquo Systems mit dem Monotheismus Fast uumlberall in den Mainstream-Kreisen wird der Monotheismus der Orthodoxie als selbstver-staumlndlich angesehen waumlhrend private Bedenken zu diesem Thema oft schnell ab-getan oder missbilligt werden1002 Trotz des fehlenden Interesses ist das Problem

1000 Brunner p70 1001 George Washington Burnap Lectures On The Doctrines of Christianity (Wm R Lucas amp R N

Wright 1835) S 18-19 (Vorlesungen zu den Doktrinen des Christentums) 1002 Ein moderner Christ schreibt bdquoEin gaumlngiger Satz den ich allzu oft uumlber die Lehre der Dreifaltigkeit

houmlre ist dass sbquoes ein Mysterium istrsquo und das ist alles was du wirklich wissen musst Gefolgt von sbquoMach einfach das Zeichen des Kreuzes und geh deinen Wegrsquo rdquo (Marion De La Torre ldquoIs the Trinity Too

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jedoch sehr real Was waumlre wenn waumlhrend eines evangelischen Gottesdienstes Mitglieder ausrufen wuumlrden bdquoIhr habt uns erschaffenrdquo oder bdquoWir verehren euch allerdquo oder bdquoLob gebuumlhrt euch allen dreirdquo Wuumlrde dies nicht zu ernsthaften Fragen fuumlhren Wie ein aufschlussreiches Buch erkennt

In der Geschichte der amerikanischen Kirche ist die protestanti-sche Mehrheit vor allem trinitarisch geblieben weil sie den seriellen Monotheismus praktizierte - mit dem Fokus mal auf das eine mal auf das andere Mitglied der Heiligen Dreifaltigkeit Offenbar ist dies eine praktische Anpassung an eine verwirrende trinitarische Termi-nologie die vermieden werden kann wenn man nicht versucht uumlber alle drei Personen in einem Atemzug zu sprechen1003

Tatsaumlchlich muss der Trinitarier nicht nur an jede dieser drei Personen glauben sondern jede davon gleichermaszligen als Gott verehren Gleichzeitig muss er zwi-schen monotheistischer und polytheistischer Sprache balancieren Wenn der Trinitarier im Gebet seinen einen einzigen Gott anruft und die uumlbliche singulaumlr-persoumlnliche Sprache bdquoDurdquo bdquoDichrdquo und bdquoDirrdquo verwendet dann loumlst er die Drei-faltigkeit mental aus seiner Anbetung Er verehrt drei verschiedene Personen nur im offiziellen Bekenntnis waumlhrend es in seiner Praxis nur eine [Person] gibt1004

Natuumlrlich finden wir in der Bibel keinen der Juumlnger Jesu der einen Juden mit solchen Fragen beruhigen und seine Sorgen uumlber den Monotheismus zerstreuen musste Die historische Aufzeichnung der Debatten zwischen Juden und Chris-ten kam erst in spaumlteren Jahrhunderten auf und war fortan von solchen Ausei-nandersetzungen durchzogen Dies scheint unmittelbar darauf zuruumlckzufuumlhren zu sein dass die Theologie spaumlterer Christen mit dem juumldischen Monotheismus ganz anders umging als die Theologie Jesu und seiner Apostel im ersten Jahrhun-dert

bdquoEinerrdquooderbdquoMehralsEinerrdquoJesu Bestaumltigung der juumldischen Interpretation des Shema der bdquovornehmstenrdquo Glaubensregel (Markus 1228ff) kann kaum genug betont werden Das Verbot

Much of a Mystery to Understandrdquo Knowing Is Doing 31 May 2015 Web Accessed 10 August 2015 lthttpwwwknowingisdoingorg20150531is-the-trinity-too-much-of-a-mystery-to-under-standgt)

1003 Mark H Graeser John A Lynn John W Schoenheit One God amp One Lord Reconsidering the Cornerstone of the Christian Faith (Indianapolis Christian Educational Services 2000) p 544 (Ein Gott und ein Herr Eine Neubetrachtung des Ecksteins des Christlichen Glaubens)

1004 Der Blinde Didymus von Alexandria ein Trinitarier schreibt gemaumlszligigt vor dass die drei Personen der Trinitaumlt gehoumlrt bekannt verehrt und verherrlicht werden sollen bdquoals eine Personrdquo (De Trinitate 2 36) Siehe ebenfalls Thomas F Torrance The Christian Doctrine of God One Being Three Persons (London TampT Clark 1996) p 135

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des Credos durch die spaumlteren katholischen Behoumlrden die in ihm eine Opposi-tion zu ihrem trinitarischen Dogma entdeckten oumlffnet uns ebenfalls die Au-gen1005 Ist uns bewusst dass kein Vers in den Hebraumlischen Schriften vom juumldi-schen Geist mehr Aufmerksamkeit erhalten hat als 5 Mose 64 Es ist der Pruumlf-stein fuumlr alle Doktrinen und der starke Fels auf dem sich alle Moumlglichkeiten des Polytheismus zerschlagen

Shma Yisrael YHWH Eloheinu YHWH Echad

bdquoHoumlre oh Israel JHWH ist unser Gott JHWH ist einerrdquo

Was diese Glaubenserklaumlrung fuumlr das juumldische Zielpublikum Christi im ersten Jahrhundert bedeutete ja was sie fuumlr die Juden heute noch bedeutet kann kaum in Frage gestellt werden Der juumldische Schriftgelehrte vor Ort interpretierte die Rezitation Christi so und sagte zu Jesus bdquoRichtig Lehrer du hast wirklich gesagt dass er eins ist und es gibt niemanden auszliger ihmrdquo (Markus 1232) Nach der Identifizierung des bdquoEinenrdquo im Shema durch den gelehrten juumldischen Gespraumlchspartner Jesu als singulaumlres bdquoErrdquo (eine Person) bestaumltigte Jesus dass der Mann bdquoweiserdquo oder bdquointel-ligentrdquo geantwortet hatte (Vers 34) Es ist daher nicht nur das Shema sondern die ausgesprochen juumldische ja pharisaumlische Interpretation des Shema die Jesus mit Nachdruck bestaumltigte Der prominente juumldische Historiker Joseph Klausner von der Hebraumlischen Universitaumlt in Jerusalem schreibt

Wie weit Jesus bis zuletzt ein wahrer pharisaumlischer Jude geblieben ist kann man aus [Markus 1229] erkennen Der Schriftgelehrte un-terstuumltzte Jesus [Verse 32-34] Jesus ist also immer noch ein Phari-saumler geblieben und findet sich in Uumlbereinstimmung mit einem Schriftgelehrten Wie jeder pharisaumlische Jude glaubte er an die ab-solute Einheit Gottes1006

Als Entgegnung auf das Argument dass die Einheit im Shema auf Gottes nume-rische Singularitaumlt hinweist behaupten die Trinitarier oft dass die bdquoEinheitrdquo nur ein Hinweis auf die Einzigartigkeit des juumldischen Gottes sein koumlnne oder dass dieser Gott allein sei im Unterschied zu anderen Goumlttern Allerdings erklaumlrt der anglikanische Gelehrte Christopher Wright

Ein exegetisches Verstaumlndnis waumlre dass die beiden hebraumlischen Woumlrter bedeuten Jahwe ist eins und nicht nur Jahwe allein die

1005 Davies Finkelstein The Cambridge History of Judaism Vol 4 p 17 1006 Klausner Jesus of Nazareth His Life Times and Teachings p 319 377 (Jesus von Nazareth sein

Leben seine Lheren seine Zeit)

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verbalen Formen die normalerweise die Einzigartigkeit und Un-vergleichbarkeit Jahwes ausdruumlcken unterscheiden sich deutlich von dem Ausdruck in 5 Mose 64 was auf die Einheit oder Ein-zigartigkeit Jahwes hinweist Es ist moumlglich dass es eine polemi-sche Absicht gibt Gott als voumlllig anders zu definieren als die Menge der Goumltter die Israel umgaben vielleicht um Gott besonders ab-zuheben von den vielfaumlltigen Manifestationen und Formen des ka-naanitischen Baalskultes Jahweh ist nicht der Markenname eines kosmi-schen Unternehmens Er ist ein einziger Gott unser Gott und Jahwe ist sein persoumlnlicher Name Nach diesem Verstaumlndnis liegt der Schwerpunkt auf Jahwehs Singularitaumlt die scharfsinnige Praumlzision des Shema kann nicht in eine philosophische Abstraktion verwan-delt oder auf eine unbedeutende Ebene der Wahrheit verbannt werden Es ist eine majestaumltische Erklaumlrung des Monotheismus die durch die geschichtstraumlchtige charakterreiche buumlndnisbezogene und dynamische Persoumlnlichkeit von Jahweh unserem Gott defi-niert ist1007

Tatsaumlchlich war Jesu Zitat des Shema wie selbst N T Wright festgestellt hat voll-kommen bdquounumstrittenrdquo1008 bdquoEs gab keine Zweifel an der Bedeutung des Bekennt-nisses fuumlr die Juden Gott ist nur einer in Personrdquo1009 Wie ein Gelehrter zu Recht feststellt bdquoMarkus 1229 hat die Bestaumltigung Jesu selbst ohne Einschraumlnkung des houmlchsten monotheistischen Glaubensbekenntnisses der israelitischen Religion in ihrer vollen Form festgehaltenrdquo1010 Natuumlrlich hielten seine Schuumller auch an diesem genauen Maszligstab fest1011 Wie J N D Kelly erklaumlrt bdquoDie Lehre von dem einen Gott dem Vater und Schoumlpfer bildete den Hintergrund und die unumstoumlszligliche Voraussetzung fuumlr den Glauben der Kirche Das Erbe vom Judentum war ein Bollwerk gegen den heidnischen Polytheismus den gnostischen Emanationismus

1007 C Wright Deuteronomy 9 (5 Mose 9) 1008 Wright Jesus and the Victory of God p 305 (Jesus und der Sieg Gottes) 1009 Eine Mitteilung des trinitarischen Bischofs Beveridge (siehe Private Gedanken S 66) Wiederum neh-

men wir die Zustimmung des trinitarischen Leonard Hodgson zur Kenntnis bdquoDer [juumldische] Monothe-ismus war damals wie er noch immer ist unitarischrdquo (Christian Faith and Practice p 74)

1010 Werner pp 241-242 unsere Hinzufuumlgung 1011 Zu beachten ist Blacks Kommentar des Neuen Testaments zum Jakobusbrief bdquoJakobus zitiert den

zentralen Grundsatz der sowohl fuumlr ihn selbst als auch fuumlr seinen vermeintlichen Gegner gelten muss sbquoSie glauben dass Gott einer ist oderlsquo Gott ist einer Das so angesprochene Bezugsdatum des Glau-bens ist nicht spezifisch christlich Es ist hingegen vollkommen charakteristisch fuumlr das Judentum (5 Mose 55) und macht die Annahme von ihr grundlegend fuumlr das Verhalten Israels Dies war Teil der zweimal taumlglichen Rezitation des Shema aber sie ist ebenso [charakteristisch] fuumlr das Christentum in seinem juumldischen Erbe (vgl 1 Kor 84-6 Gal 320 Eph 46 1 Tim 25 Hermas Mand I und Didache i 1) und es hat einen besonderen Platz im Denken dieses Autorsrdquo (Sophie Laws A Commentary on the Epistle of James (London A And C Black 1980) p 125)

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und den markionitischen Dualismusrdquo1012 Wenn Professor Kelly Recht hat und der im Shema von Jesus verankerte Monotheismus die Pluriform der persoumlnlichen Hypostasen des Gnostizismus ablehnt was bedeutet dann das fuumlr die christliche Orthodoxie Koumlnnen der Christ und die Christin weiterhin so locker die Existenz mehrerer Gott-Personen im Jahwe des Shema behaupten und diese Uumlberzeugung [der Dreifaltigkeit] als grundlegend fuumlr die Religion des historischen Jesus halten

Heute houmlrt man Mainstream-Apologeten erklaumlren man koumlnne nicht wirklich Christ sein dh man koumlnne nicht bdquogerettetrdquo werden wenn man nicht an die Goumltt-lichkeit Christi glaube Aus diesen Kreisen houmlrt man auch dass sich Gott aus mehr als einer Person [Vater Sohn und Heiliger Geist] zusammensetzt Aber wenn dem so waumlre und die Erloumlsung - zum Beispiel der Juden - wirklich vom Erwerb dieses spezifischen Verstaumlndnisses abhinge warum unternahm dann Je-sus nicht das Geringste um sein Volk daruumlber korrekt zu informieren Weshalb klaumlrte er die Juden nicht auf dass die grundlegende Glaubenssatzung in Bezug auf Gott neu strukturiert worden sei Christus gilt als der groszlige Offenbarer Got-tes (Johannes 118) Hat er es etwa versaumlumt seinen juumldischen Bruumldern die rele-vantesten und wertvollsten Informationen zu liefern und zu erzaumlhlen was er wusste War er wirklich ein guter Rabbi der nichts sehnlicher wuumlnschte als die Errettung der Juden Wenn der Mann Jesus von Nazareth tatsaumlchlich der [fleisch-gewordene] Gott Abrahams Isaaks und Jakobs war wie koumlnnte er die leiblichen Nachkommen der Patriarchen verantwortlich machen dass sie ihn [aufgrund des 1 und 2 Gebotes des Dekalogs] zuruumlckwiesen Nachdem er festgestellt hatte dass die Juden wissen oder bdquokennen was sie anbetenrdquo (Johannes 422) wie haumltte er dann eine neue Form der Anbetung einer Dreieinigkeit einfuumlhren koumlnnen die sie [logischerweise] ablehnen mussten Hatte Gott sein Volk nicht ausdruumlcklich zuvor gewarnt jeden zuruumlckzuweisen ja sogar zu steinigen der einen Gott pre-digt bdquoden du nicht kennst noch deine Vaumlterrdquo (5 Mose 136-11) Wie konnten seine juumldischen Feinde direkt dafuumlr schuldig gesprochen werden weil sie einen angeb-lichen Gott-Menschen ablehnten der ihnen bei der Beschaffung dieser neuen Informationen wenig oder gar nicht half Eine trinitarische Quelle behauptet so-gar widerspruumlchlich dass bdquoes wie wir gesehen haben die Goumlttlichkeit unseres ge-segneten Herrn war die er sorgfaumlltig verborgen hat aber wuumlnschte dass alle Men-schen davon Kenntnis erlangenrdquo1013 Wenn Jesus wirklich ein gerechter Gott war dem die Akzeptanz des Judenvolkes am Herzen lag hat er dann nicht zutiefst und erschreckend versagt denjenigen zu helfen die waumlhrend seiner oumlffentlichen Debatten in Jerusalem um ihn herum versammelt waren

1012 Kelly p 87 1013 Isaac Williams ldquoOn Reserve in Communicating Religious Knowledgerdquo Tracts for the Times Vol IV

No 80 (London J G F amp J Rivington 1837) p 38 (Vom Zuruumlckhalten der Bekanntmachung Religioumlsen Wissens)

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Wie entzieht sich der moderne Trinitarier dann den Aussagen des Shema Offen-sichtlich ist das hebraumlische Schluumlsselwort in 5 Mose 64 bdquoechadrdquo (einseiner) Das Wort ist definiert als bdquoeins einer allein ein bestimmtes nur einmalrdquo Im einfachsten Sinne des Wortes bedeutet der Begriff bdquoeinsrdquo nur einer und nicht zwei oder mehr1014 Trinitarier haben sich jedoch auf eine kreative Interpretation des Wor-tes bdquoEinsrdquo als etwas bdquoZusammengesetztesrdquo berufen Unnoumltig zu erwaumlhnen dass die Juden selbst zu Recht seit Jahrhunderten waumlhrend der christlichen Aumlra uumlber diese Behauptung in Aufruhr sind Die Jewish Encyclopedia von 1906 schreibt

Die Dreistigkeit der christlichen Exegeten die selbst das bdquoShemardquo das feierliche Bekenntnis zur Goumlttlichen Einheit in einen Beweis der Dreifaltigkeit verwandelten liefert die Erklaumlrung weshalb die juumldischen Apologeten so verbittert sind die Juden haben die Lehre der Dreifaltigkeit immer als mit dem Geist der juumldischen Re-ligion und dem unitarischen Monotheismus unvereinbar betrach-tet1015

Einige Trinitarier behaupten sogar dass bdquoechadrdquo tatsaumlchlich die Pluralitaumlt ver-langt und dass bdquoeinsrdquo bedeuten muumlsse bdquomehr als eines in Einemrdquo Tatsaumlchlich haben ein paar von ihnen nicht aufgehoumlrt nach bdquodem inhaumlrent pluralistischen Wort echad zu rufenrdquo1016 Diese Behauptung wird oft vom Hinweis auf 1 Mose 224 begleitet bdquoDeshalb wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und mit seiner Frau verbunden sein und sie werden ein (echad) Fleisch seinrdquo Trinitarier sagen dass dieses bdquoechadrdquo hier offensichtlich zwei Personen umfasst den Mann und seine Frau und deshalb sei angedeutet dass das bdquoechadrdquo in 5 Mose 64 auch zwei (oder mehr) Personen beinhalteten kann Dies ist jedoch ein Missbrauch der Sprache Das Wort bdquoechadrdquo ist ein numerisches Adjektiv das ein Substantiv modifiziert Waumlhrend sich jedes Substantiv durch bdquoechadrdquo aumlndern kann bedeutet bdquoechadrdquo unveraumlndert eins und nicht zwei Im Falle von 1 Mose 224 beschreibt bdquoechadrdquo ein bdquoFleischrdquo und nicht zwei [bdquoFleischrdquo ist ein sog Singularetantum hat also keine Mehrzahlform Anm d Uuml] Die Trinitarier zitieren auch 4 Mose 1323 eine Schriftstelle die bdquoeine (echad) Trauberdquo beschreibt um ihre Beweisfuumlhrung zu untermauern Aber auch hier modifiziert bdquoechadrdquo nur eine Weintraube [engl one cluster] Das Substantiv wird modifiziert Eine Weintraube kann eine Plura-litaumlt signalisieren (durch ihre vielen Weinbeeren) nicht aber das numerische Ad-jektiv bdquoechadrdquo veraumlndern eins bleibt bdquoeinsrdquo

1014 ldquoechadrdquo Brown-Driver Briggs Hebrew Lexicon 1015 Kohler Krauss ldquoTrinityrdquo Jewish Encyclopedia 1906 1016 Woodrow Whidden Jerry Moon and John Reeve The Trinity (Hagerstown Review and Herald Pub-

lishing 2002) p 76 emphasis added

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In den 960 Faumlllen in denen dieses bdquoechadrdquo in der Hebraumlischen Bibel erscheint bezeichnet es in keinem einzigen Fall eine Pluralitaumlt innerhalb einer Sache viel-mehr ist es einfach die Identifizierung von etwas als bdquoanzahlmaumlszligig eine Sache ein Dingrdquo und nicht von zwei oder drei Dingen Zum Beispiel wird Abraham in He-sekiel 3324 auch bdquoechadrdquo genannt bdquoAbraham war ein einzelner Mann (echad)rdquo Ab-raham also war eine Person In der Tat hat die englische baptistische Uumlbersetzung (HCSB) diese Aussage korrekt wiedergegeben bdquoAbraham war nur eine Personrdquo Aber wenn die gleiche Formulierung fuumlr Jahwe in 5 Mose 64 verwendet wird verzich-ten die trinitarischen Uumlbersetzer und Interpreten - aus naheliegenden Gruumlnden - auf Konsistenz In der Schrift wird Jahwe als bdquoechadrdquo bezeichnet nicht weil es in ihm eine Vielzahl von Personen gibt sondern einfach weil er anzahlmaumlszligig ein Indi-viduum ist Juumldische Apologeten fuumlhren seit jeher mit der Schrift ins Feld dass das Wort keine trinitarische Pluralitaumlt erlaubt Wenn es auf ein Individuum (wie auf Gott mit dem Namen Jahwe) angewendet wird impliziert es offensichtlich schlicht und einfach eine eigenstaumlndige Persoumlnlichkeit

Dies wird durch verschiedene Verse veranschaulicht zB 2 Samuel 1330 bdquoAbsalom hat alle Soumlhne des Koumlnigs erschlagen dass nicht einer von ihnen uumlbrig geblieben waumlrerdquo 2 Samuel 1712 bdquo von ihm und allen seinen Maumlnnern nicht einen einzigen uumlbrig lassenrdquo 2 Mose 97 bdquovon dem Vieh Israels war nicht eines gestorbenrdquo 2 Samuel 1722 bdquoes gab nicht einen der nicht uumlber den Jordan gingrdquo Prediger 48 bdquoDa ist einer der steht allein und hat weder Kind noch Bruderrdquo Offensichtlich ist der Begriff bdquoeinseinerrdquo der in diesen Versen verwendet wird ein absolutes Wort und gleichbedeutend mit dem Wort bdquoyachidrdquo bdquodas einzigerdquo bdquoalleinrdquo In diesem Sinne jedoch mit extremer Verfeinerung wird in 5 Mose 64 das bdquoechadrdquo verwendet bdquoHoumlre o Israel der Herr unser Gott der Herr ist einseineralleinrdquo Hier wird bdquoechadrdquo unqualifiziert als ein unitaumlres absolutes System verwendet Nirgends wird ein dreieiniger Gott er-waumlhnt1017

Doch nichts davon bringt offenbar die Trinitarier zum Schweigen Bedauerlicher-weise geht der reformierte Theologe und ehemalige Vorsitzende des Internatio-nalen Rates fuumlr biblische Irrtuumlmer J M Boice sogar so weit und behauptet dass bdquodas Wort in der hebraumlischen Bibel nie in einer starr singulaumlren Einheit verwendet wirdrdquo1018 Wir muumlssen dieses Statement auf jeden Fall als kategorisch falsch be-zeichnen und den Urheber bestenfalls als unverantwortlich anprangern Wir

1017 Gerald Sigal ldquoIn What Sense Is lsquoEchadrsquo [one] used in the Shemardquo Jews for Judaism Web 20 October

2014 (In welchem Sinn wird Echad im Shema verwendet) unsere Hinzufuumlgung 1018 James Montgomery Boice The Sovereign God (Downerrsquos Grove IVP 1978) p 139 (Der Souveraumlne Gott)

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koumlnnten jene Dogmatiker fragen die eine implizite Pluralitaumlt innerhalb des bdquoechadrdquo befuumlrworten was sie mit Beispielen wie Nehemia 111 bdquoEiner (echad) von zehnrdquo oder Prediger 412 bdquo (echad) Einer mag uumlberwaumlltigt werden aber zwei koumlnnen widerstehenrdquo Die mental anstrengende verbale Gymnastik die mit diesem einfa-chen Wort durchgefuumlhrt wurde hat leider gereicht um diejenigen zu uumlberzeugen die nicht willens sind einen inzwischen sakrosankt gewordenen Glauben aufzu-geben oder sogar uumlber die reine Bedeutung von Woumlrtern hinaus nach dem Abs-trusen zu greifen Doch das Argument dient letztlich nur dazu um zu verwirren und abzulenken Wie N T Wright richtig bemerkte war das von Jesus in Markus 1228ff zitierte Shema tatsaumlchlich bdquounumstrittenrdquo1019 und die Aussage fuumlr jedermann simpel und klar

Bemerkenswert ist auch die griechische Interpretation des Shema Sowohl die Sep-tuaginta LXX (in 5 Mose 64) als auch das Neue Testament (in Markus 1229) lesen sich wie folgt bdquoDer Herr unser Gott ist ein Herrrdquo (Κύριος ὁ ἡμῶν Θεὸς ἡμῶν Κύριος εἷς ἐστιν) Das Wort fuumlr bdquoeinsrdquo hier das griechische bdquoheisrdquo (εἷς) ist der Begriff fuumlr eine einzelne Person - nie fuumlr mehrere Personen Wuest schreibt bdquoDas Wort bdquoeinerrdquo ist geschlechtsspezifisch maumlnnlich und damit persoumlnlich und be-zieht sich auf eine Personrdquo1020 Robertson identifiziert bdquoheisrdquo ebenfalls als bdquoeine Personrdquo1021 Dieses Wort stellt die trinitarische Interpretation vor groszlige Schwie-rigkeiten in den uumlber 90 Faumlllen erscheint das Wort im Neuen Testament in Bezug auf (den) Menschen aber es wird nie fuumlr mehr als eine Person verwendet Das gleiche Wort das den Menschen als einzelnes Selbst [ein Individuum] beschreibt wird verwendet um Gott als bdquoeinen Gottrdquo (Matt 1917 Markus 1229 Lukas 1819 Gal 320 1 Tim 25 etc) und auch als bdquoeinen Vaterrdquo (Matt 239 Joh 841 Hebr 211 etc) zu beschreiben Die Bezeichnung bdquoein Vaterrdquo beschreibt unmissverstaumlndlich eine Person da sind wir uns alle einig Aber was ist mit bdquoei-nem Gottrdquo oder bdquoeinem Herrnrdquo Die griechische Verwendung von bdquoeinem Herrnrdquo (Κύριος εἷς - Kyrios heis) durch die Juden ist klar In der altgriechischen (LXX) Version von Daniel 317 lesen wir bdquoDenn es gibt einen Gott der im Himmel ist unseren einen Herrn den wir fuumlrchtenrdquo Vergleichen wir dies mit dem entsprechen-den Gegenstuumlck im Neuen Testament in 1 Korinther 86 oder Epheser 45 wo wir lesen dass Jesus (eine Person) bdquoein Herrrdquo ist Wie die eine Person Jesu als ein Herr beschrieben wird so ist auch die eine Person Gottes in Daniel 317 und schlieszliglich im Shema von Markus 1229 als bdquoein Herrrdquo beschrieben

1019 Wright Jesus and the Victory of God p 305 (Jesus und der Sieg Gottes) 1020 Ebenso 1021 ldquoeine Person (εις mdash heis maumlnnlich singular) rdquo Siehe J A T Robertson ldquoCommentary on John

171rdquo Robertsonrsquos Word Pictures of the New Testament (Nashville Broadman Press 1932 1933)

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Nichtsdestotrotz versuchen einige moderne Trinitarier die augenfaumllligen Impli-kationen des Shema zu vermeiden indem sie behaupten dass die spezifische Art und Weise in welcher der juumldische Gott bdquoeinsrdquo ist nicht durch den Text gewaumlhr-leistet sei Fuumlr sie oumlffnet eine vermeintliche Ambiguitaumlt das Tor zur Spekulation Es gibt jedoch weder in 5 Mose 64 noch in Markus 1229 einen Grund warum christliche Leser diesen bdquoEinenrdquo in einem anderen Sinne verstehen sollten als in dem Sinn den der Rest der Bibel ihm beimisst Wenn die Bibel sagt dass Abra-ham bdquoeinseiner istrdquo sind wir dann frei zu spekulieren Wenn es auszligerdem wahr ist dass die Natur der bdquoEinheitrdquo Gottes wirklich nicht angesprochen wird stoumlrt das dann nicht sofort die Autoritaumlt der trinitarischen Erklaumlrung Warum ist die Erklaumlrung dass sich der bdquoEinerdquo nur auf eine Person bezieht als unguumlltig bezeich-net aber ein Bezug auf zwei drei oder mehr Personen nicht Wenn es um den bdquoEinenrdquo des Shema geht wirft diese trinitarische Interpretation die biblische Spra-che in ein eigentuumlmliches Durcheinander Ihre Bedeutung ist unbestimmt und alle Interpretationen sind moumlglich ausgenommen die unitarische Interpretation Dennoch bringen uns sowohl die biblische Exegese als auch die historische Ana-lyse zwangslaumlufig zum Schluss dass das Shema weder von den alten Israeliten noch von den Juden in der Zeit Jesu auf metaphysische Weise verstanden wurde die der Trinitarismus erfordert Da das Shema ein integraler Bestandteil der Sinai-Offenbarung an Israel war kann man davon ausgehen dass seine urspruumlngliche Bedeutung ebenfalls offenbart wurde Wir brauchen nicht zu schlussfolgern dass die Juden Gott missverstanden haben oder dass Gott Spielraum fuumlr eine abwei-chende Interpretation seines bdquowichtigsten Gebotesrdquo gelassen hat

LasstunsMenschenmachenVieles wurde aus der Mehrzahlform der Woumlrter gemacht die auf den ersten Sei-ten von 1 Mose verwendet werden Trinitarier belieben zu sagen dass das heb-raumlische Wort fuumlr Gott bdquoelohimrdquo das die Pluralendung bdquoimrdquo traumlgt die Existenz von mehr als einer Person in der Gottheit bezeichnet Sie nehmen an dass dieses Argument dadurch verstaumlrkt werde dass in der Schoumlpfungserzaumlhlung der Schoumlp-fer zu einem bdquoWirrdquo spricht bdquoGott (elohim) sprach Lasset uns Menschen machen ein Bild das uns gleich sei rdquo (1 Mose 126a)

Aber erfordert die Pluralform des Wortes bdquoelohimrdquo (deutsch unterschiedlich uumlbersetzt als Gott Goumltter Abgoumltter oder Goumltzen) wirklich eine Pluralitaumlt von Goumlttern oder dass der Schoumlpfer selbst aus mehr als einer Persoumlnlichkeit besteht Eine solche Schlussfolgerung zu ziehen uumlberschreitet die sprchlichen Schranken

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der Schrift Wie ein angesehener trinitarischer Gelehrter bekraumlftigt bdquoEs ist zwei-felhaft aus dem Namen selbst eine Vielzahl von Personen abzuleitenrdquo1022 Waumlh-rend bdquoelohimrdquo in den Hebraumlischen Schriften verwendet werden kann um sich auf mehrere goumlttliche Wesen zu beziehen (Jer 256) wird es auch fuumlr goumlttliche Wesen verwendet die in der Einzahl erscheinen Der Philistergott Dagon zum Beispiel der nachweislich keine Dreieinigkeit war wird bdquoelohimrdquo genannt1023 bdquoUnd als die Leute von Aschdod sahen dass es so zuging sagten sie Die Lade des Gottes Israels soll nicht bei uns bleiben Denn seine Hand liegt hart auf uns und auf unserem Gott (elohim) Dagonrdquo (1 Sam 57)

bdquoElohimrdquo ist nicht das einzige Substantiv im Hebraumlischen das in Pluralform er-scheint aber eine singulaumlre Bedeutung hat Geseniussbquo Hebraumlische Grammatik praumlsentiert dazu mehrere Beispiele bdquozequimrdquo (Alter ndash 1 Mose 4420) bdquopanimrdquo (Gesicht ndash 4 Mose 625) und bdquoneurimrdquo (Jugend - Ps 1274) Diese Woumlrter haben alle die Pluralendung bdquoimrdquo tragen aber eine singulaumlre Bedeutung Offensichtlich bestimmt die Form dieser Worte in keiner Weise ihren Sinn aber wir erhalten die einzigartige Bedeutung dieser seltenen Pluralformen durch die sie umgebenden Singularadjektive und Verben Konkret uumlber bdquoelohimrdquo sprechend kommentiert Gesenius bdquoDie Sprache lehnt die Idee der numerischen Pluralitaumlt in bdquoelohimrdquo (wenn sie einen Gott bezeichnet) voumlllig ab Das beweist vor allem dass die Be-zeichnung fast immer mit einem einzigen Attribut verbunden istrdquo1024 Das Wort bdquoelohimrdquo kann nicht aus seinem Zusammenhang gerissen werden und trotzdem die vom Autor beabsichtigte Bedeutung beibehalten Die verbundenen Worte bdquowirrdquo und bdquounserrdquo koumlnnen den Kontext in dem sie sich befinden nicht uumlberwin-den Die klare Meinung der Genesis [des Schoumlpfungsberichts] ist dass eine ein-zige individuelle Persoumlnlichkeit als Schoumlpfer fungierte Die Juden verstanden das sehr gut Charles Hunting und Anthony Buzzard schreiben in ihrem wegweisen-den Buch Die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes

Wir muumlssen die Tatsache respektieren dass die Vertrautheit der Ju-den mit ihrer eigenen Sprache sie nie schlussfolgern lieszlig eine Viel-zahl von Personen in der Gottheit sei in diesem Schoumlpfungskapitel der Genesis auch nur im Entferntesten angedeutet Fuumlr den Fall dass wir das Gefuumlhl haben die Juden haumltten in ihrer eigenen Bibel etwas verpasst sollten wir in den folgenden Versen (1 Mose 127-31) beachten dass das Singularpronomen immer mit dem Wort Gott verwendet wird bdquonach seinem eigenen Bild nach dem Bild Gottes hat er sie erschaffenrdquo (Vers 27) Aus diesem Vers in dem das persoumlnliche

1022 Ryrie p 58 1023 Siehe Charles Souvay ldquoDagonrdquo The Catholic Encyclopedia Vol 4 (New York Robert Appleton Com-

pany 1908) Web 12 August 2013 1024 E Kautzsch (ed) Geseniusrsquo Hebrew Grammar (Oxford Clarendon Press 1910) pp 398-399

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Fuumlrwort nach seinem eigenen Bild Gott in der Einzahl beschreibt laumlsst sich schwer herleiten dass eine Vielzahl von Wesen gemeint war Beachten wir weiter bdquoSiehe ich habe euch alles samentragende Kraut gege-ben hellip es soll euch zur Nahrung dienen Und Gott sah alles was Er (keine Mehrzahl) gemacht hatte und es war sehr gutrdquo (Verse 29-31)1025

Wie ist dann der Satz bdquoLasst uns Menschen machenrdquo in der Schoumlpfungsgeschichte zu verstehen Trotz der haumlufigen christlich-trinitarischen Spekulationen uumlber einen internen metaphysischen Dialog zwischen mehreren Personen [in der Gottheit] bietet der angesehene trinitarische Alttestamentforscher und Kommentator Gor-don Wenham etwas mehr Sicherheit in dieser Angelegenheit bdquoDie Christen ha-ben [1 Mose 126] traditionell als Vorahnung der Trinitaumlt gesehen [sie warf ihre Schatten voraus] Es ist inzwischen allgemein bekannt dass dies nicht das war was der Plural fuumlr den urspruumlnglichen Autor bedeuteterdquo1026 Vermutlich kann eine viel direktere und umfassendere Interpretation in dem Vorschlag gefunden wer-den dass Gott nicht zu einem anderen Aspekt von sich selbst spricht sondern zu seinen Engeln

bdquoLasst uns Menschen erschaffenrdquo sollte daher als eine goumlttliche An-kuumlndigung an den himmlischen Hofstaat betrachtet werden die die Aufmerksamkeit des Engelsheeres auf den Meisterakt der Schoumlp-fung den Menschen lenkt Und tatsaumlchlich deutet die Einzahl-Verwendung des Verbs bdquoerschaffenrdquo in 127 darauf hin dass Gott allein an der Erschaffung der Menschheit gearbeitet hat1027

Obwohl Wenham ein Trinitarier immer noch daran festhaumllt dass Christus mit dem Vater bei der Schoumlpfung aktiv war gibt er zu dass bdquosolche Einsichten si-cherlich jenseits des Horizonts des Urhebers der Genesis lagenrdquo1028 Wie beim Rest des Alten Testaments finden wir in Bezug auf die Lehre der Dreifaltigkeit absolutes Schweigen Dass der Schoumlpfer der Genesis nicht beabsichtigte den Dreifaltigkeitsbegriff einzubringen sondern Gott einfach als den alleinigen Schoumlpfer [Kreator] darzustellen der zu seinem heiligen Rat [oder Entourage] spricht wird allgemein unterstuumltzt Die sonst notorisch protrinitarische NIV-Stu-dienbibel enthaumllt auf Englisch sogar diese Notiz (unsere Uumlbersetzung)

1025 Anthony F Buzzard Charles F Hunting The Doctrine of the Trinity Christianityrsquos Self-Inflicted

Wound (Lanham International Scholars Publications 1998) p 23 (Die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes)

1026 Wenham p 27 1027 Ebenso p 28 1028 Ebenso

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bdquoWir uns unser rdquo Gott spricht als Schoumlpferkoumlnig und ver-kuumlndet den Mitgliedern seines himmlischen Hofes sein krouml-nendes Werk (siehe 1 Mose 322 117 Jesaja 68 1 Koumlnige 2219-23 Hiob 158 Jeremia 2318)1029

Aus den biblischen Dokumenten lernen wir an anderer Stelle dass die Engel bei der Erschaffung unserer Welt anwesend waren und mit Gott interagierten bdquoWo warst du als ich die Erde gruumlndete als die Morgensterne miteinander jauchzten und alle Gottessoumlhne jubeltenrdquo (Hiob 384a7)1030 Die Frage ist sicherlich berechtigt ob es theologisch die beste Vorgehensweise ist andere Persoumlnlichkeiten (wie Jesus) die hier nicht erwaumlhnt sind in das etablierte Schoumlpfungsszenario miteinzubringen

An mehreren Stellen in der Bibel ist zu finden dass Gott sich mit seiner himmli-schen Ratsversammlung der Engel im Plural auf sich selbst bezieht wenn er sich direkt mit den Engeln seiner Gefolgschaft uumlber wichtige Dinge austauscht

Im Todesjahr des Koumlnigs Usija da sah ich den Herrn sitzen auf hohem und erhabenem Thron und die Saumlume seines Gewandes fuumlllten den Tempel Serafim standen uumlber ihm Jeder von ihnen hatte sechs Fluumlgel mit zweien bedeckte er sein Gesicht mit zweien bedeckte er seine Fuumlszlige und mit zweien flog er (Vers 8) Und ich houmlrte die Stimme des Herrn der sprach Wen soll ich senden und wer wird fuumlr uns gehen Da sprach ich Hier bin ich sende mich (Jesaja 61-28)

Und Micha sprach Darum houmlre das Wort des HERRN Ich sah den HERRN auf seinem Thron sitzen und das ganze Heer des Himmels stand um ihn zu seiner Rechten und zu seiner Linken

Und der HERR sprach Wer will Ahab betoumlren dass er hinaufzieht und bei Ramot in Gilead faumlllt Und der eine sagte dies und der andere sagte das Da trat der Geist hervor und stellte sich vor den HERRN und sagte Ich will ihn betoumlren Und der HERR sprach zu ihm Womit Da sagte er Ich will ausgehen und will ein Luumlgengeist sein im Mund aller seiner Propheten Und er sprach Du sollst ihn betoumlren und wirst es auch koumlnnen Geh aus und mache es so (1 Koumlnige 2219-22)

1 Mose 126 erklaumlrt Gott kein Selbstgespraumlch zu fuumlhren oder mit einem Teilas-pekt von sich selbst zu reden sondern mit seinem Engelsrat Das war auch das Verstaumlndnis der juumldischen Schriftgelehrten im Laufe der Geschichte Philon der

1029 NIV Study Bible (Grand Rapids Zondervan 1985) p 7 1030 Siehe Hiob 16 21 1 Mose 62

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alexandrinische Jude der um die Zeit von Christus lebte schrieb in seinem Kom-mentar dass in 1 Mose 126 bdquoder Vater des Universums zu seinen eigenen Heerscharen sprichtrdquo1031 Das Targum von Pseudo-Jonathan eine aramaumlische Uumlbersetzung die angeblich aus dem vierten Jahrhundert stammt sagt bdquoUnd der Herr sprach zu den Engeln die vor ihm dienten die am zweiten Tag der Erschaffung der Welt geschaffen worden waren lasst uns den Menschen nach unserem Bild nach un-serem Ebenbild machenrdquo1032 In einem neueren rabbinischen Kommentar heiszligt es bdquoGott hat sich mit den Dienstengeln beraten und zu ihnen gesagt Lasst uns erschaffenrdquo1033

Wir sollten die Einfachheit der obigen Interpretation gegen die Unwahrschein-lichkeit der trinitarischen Standardansicht beruumlcksichtigen Wenn die Trinitarier uumlberdies sagen dass die von Gott in 1 Mose 126 verwendete plurale Sprache eine Vielzahl von Personen in Gott bedeute dann folgt daraus nur dass Gottes Verwendung von singulaumlren Personalpronomen anderswo lediglich eine Person anzeigt Wenn bdquoWirrdquo die angeblichen drei Personen in 1 Mose 126 bedeutet dann wenn Gott sagt bdquoIch bin Jahwe und es gibt keinen anderen auszliger mir gibt es keinen Gottrdquo (Jes 455) dann gibt es nur eine Person die Gott ist Sicherlich ist es nicht die Absicht des Trinitariers dass wir diese Schlussfolgerung ziehen aber er kann es nicht in beiden Richtungen haben Entweder ist der biblische Gebrauch von Pronomen ein effektiver Weg um zu erkennen wie viele Personen in Gott sind oder eben nicht Letztendlich sollten wir nicht zu viel aus 1 Mose 126 machen Es ist wirklich eine eher unpraumltentioumlse Passage1034

1031 Philon (i 556 ed Mangey) 1032 1 Mose 126 Targum des Pseudo-Jonathan 1033 Solomon Buber (ed) Pesikta de-Rav Kahana (Lyck 1868) 34a 1034 Zusaumltzlich zur Interpretation mit dem himmlischen Engelsgericht gibt es noch eine weitere wenn

auch weniger populaumlre (und weniger wahrscheinliche) Interpretation der Genesis-Phrasierung die jegli-che trinitarische Implikationen meidet Einige Wissenschaftler sind der Uumlberzeugung dass die Ver-wendung der Pluralpronomen bdquounsrdquo und bdquowirrdquo in der Genesis einfach Hebraismen sind Wendungen der hebraumlischen Sprache die die uumlberflieszligende Groumlszlige des Themas hervorheben wollen So wird beispielsweise in 1 Mose 423033 Josef als bdquodie Herren des Landesrdquo bezeichnet Dies nennt man bdquoplu-ralis maiestatis oder Majestaumltspluralldquo die Verwendung mehrerer Begriffe zur Beschreibung eines einzelnen Subjekts Ein aumlhnliches Konzept in der westlichen Sprache koumlnnte das bdquokoumlnigliche Wirrdquo sein Paumlpste Bischoumlfe und Koumlnige der viktorianischen Aumlra sind bekannt dafuumlr dass sie das koumlnigliche bdquoWirrdquo benutzt haben um sich in ihren offiziellen Erklaumlrungen auf sich selbst zu beziehen Die Schoumlpfung des Menschen in der Genesis ist sicherlich ein heiliger koumlniglicher Akt und eine solche Sprache kann in ihrem Bericht verwendet werden Zur Unterstuumltzung dieser Ansicht enthaumllt The Liberty Annotated Study Bible herausgegeben vom trinitarischen baptistischen Minister Jerry Falwell eine Notiz zu 1 Mose 126 die argumentiert dass bdquodas Pluralpronomen sbquoUnsrsquo houmlchstwahrscheinlich ein majestaumltischer Plural aus der Sicht der hebraumlischen Grammatik und Syntax istrdquo (Jerry Falwell (Hrsg) Liberty Annotated Study Bible (Lynchburg Liberty University 1988) S 8) Waumlhrend fruumlhere Theologen 1 Mose 126 als Hinweis auf die Dreifaltigkeit angesehen haben betrachten moderne Analysten (sowohl trinitarisch als auch anderweitig) sie allgemein entweder als eine Vielzahl von Majestaumlt (von denen einige sie sogar als die einzig moumlgliche Erklaumlrung bestaumltigen siehe Keil amp Delitzsch Kommentar zum Alten Testament Bd I (Peabody Hendric 1989) S 62) oder als eine Erklaumlrung an Gottes Engelsgericht Unabhaumlngig davon

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WarJesusderSchoumlpferinderGenesis-GeschichteAuf keinen Fall sollten wir das unmittelbare Zeugnis Jesu uumlber die Identitaumlt des Schoumlpfers auszliger Acht lassen bdquoEr aber antwortete und sprach Habt ihr nicht gelesen dass der welcher schuf von Anfang an Mann und Frau schufrdquo (Matthaumlus 194) Man beachte dass Jesus weder in der Mehrzahl redet also nicht von bdquowirrdquo oder auch nicht von bdquoichrdquo spricht wenn er den identifiziert der den Menschen erschuf Wenn auch selten so findet man doch ab und zu Trinitarier die zugeben bdquo[Jesus] hat sich nie zum Schoumlpfer der Welt erklaumlrt ein Argument das offenbar die Soci-nianer [biblische Unitarier 16 Jh] positiv vertratenrdquo1035 Fuumlr Jesus war der Schoumlpfer in der Tat kein Geringerer als der Gott der Juden eine Person die er immer wieder als Vater identifizierte bdquo mein Vater ist es von dem ihr [die Juden] sagt Er ist unser Gottrdquo (Johannes 854)

Dessen ungeachtet haben einige versucht apostolische Verse wie bdquoAlles wurde durch dasselbe und ohne dasselbe wurde auch nicht eines das geworden istrdquo (Jo-hannes 13 ELB) und bdquo es ist alles durch ihn geschaffenrdquo (Kolosser 116 ELB) als Beweis anzufuumlhren dass Jesus derjenige war durch den die Schoumlpfung der Ge-nesis persoumlnlich vollbracht wurde Aber wir begegnen in diesen Zitaten sowohl einer missbraumluchlichen Verwendung von biblischen Ausdruumlcken als auch Vorur-teilen der Bibeluumlbersetzungen Ein Gelehrter bemerkt bdquoWeder Paulus noch ein anderer Autor des Neuen Testaments setzt die griechische Praumlposition bdquoenrdquo mit bdquodurchrdquo oder bdquovonrdquo [im Sinne von bdquomittelsrdquo] gleich wenn er von der Taumltigkeit des Sohnes oder des Logos in der Schoumlpfung sprichtrdquo1036 Die meisten Versionen der deutschen Bibeluumlbersetzungen geben das griechische bdquoenrdquo jedoch auf Deutsch mit bdquodurchrdquo wieder Viele moderne Bibelherausgeber (im englischen Sprach-raum) haben erkannt dass hier die Praumlposition bdquoenrdquo mit bdquofuumlrrdquo oder bdquowarumrdquo ste-hen sollte Einige groumlszligere englische Uumlbersetzungen haben diesen Fehler im Jo-hannes-evangelium korrigiert Ein Theologe und Bibelverleger bestaumltigt dies

Die (englische) King James Version der Bibel fuumlhrt uns in dieser Angelegenheit in die Irre Im ersten Kapitel des johanneischen Be-richts lesen wir dass bdquoalle Dinge durch ihn geschaffen wurdenrdquo (Jo-hannes 13) und wieder bdquodie Welt wurde durch ihn geschaffenrdquo (Jo-hannes 110) In beiden Faumlllen sollte es bdquofuumlrrdquo heiszligen Der Logos oder das Wort Gottes war das Mittel um alles zu machen nicht die

welche Interpretation man favorisiert vermeiden beide philosophische und theologische Anachronis-men auf den Schreiber der Genesis zu projizieren

1035 Flatt pp 174-175 1036 Ezra Abbot The Authorship of the Fourth Gospel and Other Critical Essays (Boston Geo H Ellis

1888) p 369

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effiziente erste Ursache von allem Christus wird nie als absolute Quelle dargelegt1037

Auch Origenes kam im dritten Jahrhundert zum Schluss sollte das apostolische Zeugnis davon sprechen dass Dinge bdquodurchrdquo Christus gemacht wurden dies kein Argument ist dass der Sohn selbst der Urheber des schoumlpferischen Aktes war

Und der Apostel Paulus sagt in seinem Brief an die Hebraumler (11-2)

bdquohellip hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn den er zum Erben aller Dinge eingesetzt hat durch den er auch die WeltenZeitalter gemacht hatrdquo und zeigte uns dass Gott die Zeitalter durch seinen Sohn gemacht hat die bdquodurch dierdquo Zugehoumlrigkeit wenn die Zeitalter durch den eingeborenen [Sohn] gemacht wurden Wenn also alle Dinge wie auch in diesem Abschnitt durch den Logos gemacht wurden dann wurden sie nicht durch den Logos gemacht sondern durch einen staumlrkeren und groumlszligeren als er Und wer sonst koumlnnte das sein als der Vater1038

Ohne Frage fuumlr die Juden Jesus einschlieszliglich ist die schoumlpferische Quelle und Hauptursache fuumlr alles der Vater bdquo ein Gott der Vater aus dem das All ist rdquo (1 Kor 86a) Fuumlr die Fruumlh-Christen war Jesus nicht der Urheber sondern der Kanal oder das Mittel durch den Gottes Aktivitaumlt und Ausdruck flieszligen bdquo und es gibt nur einen Herrn Jesus Christus durch den alles kam und durch den wir lebenrdquo (1 Kor 86b)

Viele Christen behaupten in der Regel dass der Sohn nicht nur waumlhrend der Schoumlpfung anwesend war sondern derjenige war der die Schoumlpfung in die Tat umsetzte John MacArthur schreibt dass Jesus bdquodie Welt bei der Schoumlpfung ins Leben gerufen hatrdquo1039 und andere Apologeten wiederholen seine Behauptung Mehr noch sie erklaumlren dass bdquoGott der Vater die Welt geplant hat aber Jesus (das Wort) sie ins Leben gerufen hatrdquo1040 Die Bibel zeigt nirgendwo eine solche Dar-stellung Weit davon entfernt bietet das Neue Testament das Bild eines Sohnes der erst vor kurzem auf den Plan gerufen wurde der Sohn wird nirgends praumlsen-tiert wie wenn er zu irgendeinem Zeitpunkt vor seiner Geburt gesprochen haumltte sondern

nachdem Gott vielfaumlltig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vaumltern geredet hat in den Propheten hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet

1037 Adolph Ernst Knoch Christ and Deity (Birkenfeld Concordant Publishing 1958) p 45 1038 Origen Commentary on John The Ante-Nicene Fathers Vol 10 Book 2 (Grand Rapids Eerdmans 1969)

p 328 1039 John F MacArthur The MacArthur Bible Commentary (Nashville Thomas Nelson 2005) p 1368 1040 James B Hoffman Sin and Life in the Kingdom of God (Indianapolis Dog Ear Publishing 2009) p 320

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im (gr en) Sohn den er zum Erben aller Dinge eingesetzt hat durch (gr dia) den er auch die Welten gemacht hat (Hebraumler 11-2 ELB)

Hier (Hebr 11-2) wird ein Zeitraum beschrieben in dem der Sohn - trotz der verschiedenen christologischen Theorien uumlber eine Vielfalt von Aktivitaumlten Jesu Christi vor der Geburt ndash keine aktive Rolle in der goumlttlichen Offenbarung hatte Justin der Maumlrtyrer wenn wir uns an den ersten Teil dieses Buches erinnern glaubte beispielsweise dass bdquoder Engel des Herrnrdquo der zu den Hebraumlern sprach eigentlich Christus war Ebenso gibt es heute noch einige Christen besonders in evangelikalen Kreisen die meinen dass der Priester Melchisedek der mit Abra-ham sprach in Wahrheit der Sohn war bevor er geboren wurde1041 Der evange-likale Autor Hank Hanegraaff wiederum schreibt bdquoMelchisedek ist in Wirklich-keit eine Christophanie [eine Christus-Erscheinung] Er ist in der Tat eine vorge-burtliche Gestalt von Jesus Christusrdquo1042 Aber Gott hat nach Hebraumler 1 bis in die letzten Tage dh bis in die Tage des Dienstes Christi und der Gruumlndung der Kirche ausdruumlcklich nicht durch seinen Sohn zu den Vaumltern gesprochen Es ist ein Ding der Unmoumlglichkeit zu sagen dass es tatsaumlchlich der Sohn war der in 1 Mose 14 zu Abraham gesprochen habe Es bereitet auch groszlige Schwierigkeiten zu sagen dass der Sohn derjenige war der die Schoumlpfung in die Existenz gerufen habe

Gott allein ist immer die schoumlpferische Quelle bdquoIch der Herr bin der Schoumlpfer aller Dinge der den Himmel allein ausstreckt und die Erde ganz allein ausbreitetrdquo (Jesaja 4424) Tatsaumlchlich ist Gottes Sprache die seine eigene Souveraumlnitaumlt beschreibt nach-druumlcklich

Ich bin der HERR und sonst keiner Auszliger mir gibt es keinen Gott Ich guumlrte dich ohne dass du mich erkannt hast damit man erkennt vom Auf-gang der Sonne und von ihrem Untergang her dass es auszliger mir gar keinen gibt Ich bin der HERR - und sonst keiner - der das Licht bildet und die Finsternis schafft Ich der HERR bin es der das alles wirkt (Jesaja 455-7a)

Gott sagt nicht bdquoEs gibt keinen anderen als unsrdquo oder bdquokeinen anderen als unsere Substanzrdquo Gott sagt bdquoes gibt keinen anderen als sbquomichlsquo das heiszligt sbquomich persoumln-lichlsquo So wird er vernuumlnftigerweise als der einzige Vater verstanden diese Person

1041 bdquoIn der Tradition der fruumlhen Kirche stimulierte die patristische Reflexion uumlber die Bedeutung von

Melchisedek christologische Formulierungen insbesondere von Christus vor der Inkarnation und waumlhrend seiner Praumlexistenz Der Vergleich zwischen Christus und Melchisedek lieferte Augustinus die Grundlage fuumlr ein tiefes theologisches Denken das die Basis seiner Christologie und marianischen The-ologie bildetrdquo (John M Norris ldquoAugustinersquos Interpretation of Genesis in the City of God XI-XVrdquo Studia Patristica Vol XLIII (Louvain Peeters Publishers 2006) p 218)

1042 Hank Hanegraaff ldquoWer War Melchizedekrdquo Hank Hanegraaff Blogspot 13 September 2010 Web 22 December 2015 lthttphankhanegraaffblogspotcom201009who-was-melchizedekhtmlgt

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die sagt dass niemand sonst Gott ist als er und dass niemand anderes das Uni-versum ins Leben gerufen hat als er bdquoDenn er sprach und es war geschehenrdquo (Psalm 339) und bdquoauf seinen Befehl hin wurden sie erschaffenrdquo (Psalm 1485)

Jesus selbst bestaumltigt den Juden nicht nur dass ein anderes Individuum fuumlr die Schoumlpfung verantwortlich war (Matthaumlus 194) sondern sagt zudem klipp und klar dass bdquoGott die Welt geschaffen hatrdquo (Markus 1319) Damit meint er nie-mand anderes als den Gott der Juden Jesus identifizierte den traditionellen Gott der Juden als bdquoden Vaterrdquo (Johannes 854) Fuumlr die Juden war der Schoumlpfergott schon immer der Vater gewesen bdquoHaben wir nicht alle einen Vater Hat uns nicht ein einziger Gott erschaffenrdquo (Maleachi 210) Selbst im trinitarischen System ist der Vater ausdruumlcklich nicht der Sohn so sind sich auch die Trinitarier einig dass wenn Jesus von bdquoGottrdquo spricht er bdquoden Vaterrdquo meint Es ist dieser traditionelle Gott der Vater der sagt dass er die Schoumlpfung der Genesis bdquoganz alleinrdquo (Jesaja 4424) vollbracht hat Dies schlieszligt den Sohn oder sonst jemanden eindeutig aus

Wir muumlssen verstehen dass im Judentum der Schoumlpfer keine Gottheit im plato-nischen Sinne ist Entgegen der Meinung der griechischen Kirchenvaumlter verlangt Gott keinen Zwischenhaumlndler der seine bdquoDrecksarbeitrdquo fuumlr ihn erledigt Er be-nutzt keinen Demiurgen (keinen Engel und keinen ewigen Sohn) um zu erschaf-fen - die Schoumlpfung vollbringt er selbst bdquoHat meine Hand nicht all diese Dinge erschaffenrdquo (Jesaja 662) Die kreative Taumltigkeit die er ausuumlbt ist immer direkt und persoumlnlich Die Hebraumler sehen das genauso bdquoDeine Haumlnde haben mich gemacht und geformtrdquo (Psalm 11973) und in diesem Punkt steht Jesus ebenfalls in voller Uumlbereinstimmung bdquoGott (der Vater) hat geschaffenrdquo (Markus 1319)

JesusunddaskuumlnftigeZeitalterDie zuvor zitierte Bibelstelle im Hebraumlerbrief 12 die lautet bdquo in seinem Sohn durch den er auch die Welt erschaffen hatrdquo ist symbolisch fuumlr das trinitarische Bemuuml-hen Jesus mit der Schoumlpfung der Genesis in Verbindung zu bringen Einige Uumlbersetzungen geben bdquodie Weltenldquo wieder und die Einheitsuumlbersetzung sowie die Neue Evangelische Uumlbersetzung machen sogar daraus bdquodurch wen er das ganze Uni-versum geschaffen hatrdquo Das Wort das hier mit bdquoUniversumrdquo und bdquoWeltWeltenrdquo uumlbersetzt wird ist eigentlich vom griechischen bdquoaionrdquo hergeleitet was woumlrtlich bdquoZeitalterrdquo oder verdeutscht bdquoAumlon(en)rdquo bedeutet1043 Die meisten Versionen uumlbersetzen den Ausdruck mit bdquoWeltWeltenrdquo die Konkordante Uumlbersetzung (von 1958) lautet bdquodurch welchen er auch die Aumlonen machtrdquo Der Autor des Hebraumler-briefs koumlnnte andere griechische Begriffe verwendet haben um den Planeten

1043 Siehe Thayers Griechisches Lexikon Siehe auch Englishmans das bdquoaionrdquo als bdquofuumlr immer ein unge-

brochenes Zeitalterrdquo definiert und Strongs das es als bdquoein Zeitalter einen Zeitzyklus insbesondere des gegenwaumlrtigen Zeitalters im Gegensatz zum zukuumlnftigen Zeitalter und eines aus einer Reihe von Zeit-altern definiert die sich bis zur Unendlichkeit erstreckenrdquo

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Erde oder das erschaffene Universum zu bezeichnen wie bdquooikoumenerdquo oder bdquokos-mosrdquo aber er bezog sich bewusst auf die Zeitalter Vom uumlbrigen Inhalt des Hebrauml-erbriefs koumlnnen wir annehmen dass dies die Zeit der bdquokommenden Welt ist uumlber die wir sprechenrdquo (Hebraumler 25)

Doch was bedeutet es dass die Zeitalter der kommenden Welt durch Christus gemacht werden Das alte griechische Verb bdquogemachtrdquo (poieo) hat eine breite Be-deutung und wird auf dutzende verschiedene Arten wiedergegeben1044 Man koumlnnte hier bdquoetabliertrdquo uumlbersetzen In Hebraumler 11a 2b sehen wir dass es eigentlich bdquoGottrdquo war der die Zeitalter festlegte oder eben etablierte Der Sohn ist demzu-folge nicht der urspruumlngliche Schoumlpfer unseres Planeten sondern derjenige durch den Gott das neue Zeitalter nach der Auferstehung Christi die neue Welt-ordnung Gottes sein neues System der Dinge bdquoetabliertrdquo hat In der Tat als Gott Christus erhoumlhte hat er auch die Machtstruktur des Universums dramatisch ver-aumlndert Der Hebraumlerbrief sagt dass bdquoals [Jesus] die Reinigung der Suumlnden vorgenommen hatterdquo dh nach seinem Tod und seiner Auferstehung bdquoer sich zur rechten Hand der Majestaumlt in der Houmlhe setzte und so viel besser geworden war als die Engelrdquo (Hebr 13b-4a) Auf Gottes Befehl sind die Engel jetzt Jesus untertan Paulus schreibt

Ich bete darum dass Gott ndash der Gott unseres Herrn Jesus Christus der Vater dem alle Macht und Herrlichkeit gehoumlrt mit der er am Werk war als er Christus von den Toten auferweckte und ihm in der himmlischen Welt den Ehrenplatz an seiner rechten Seite gab Damit steht Christus jetzt hoch uumlber allen Maumlchten und Gewalten hoch uumlber allem was Auto-ritaumlt besitzt und Einfluss ausuumlbt er herrscht uumlber alles was Rang und Namen hat ndash nicht nur in dieser Welt sondern auch in der zukuumlnftigen (Epheser 117a 20-21 NGUuml)

Man beachte die Betonung des Paulus dass Gott der Vater der Gott unseres Herrn Jesus Christus eine neue Machtstruktur geschaffen hat als er Christus er-hob eine neue Organisation die bis in bdquodas kommende Zeitalterrdquo andauert Und so stimmt der Autor des Hebraumlerbriefs der Aussage zu dass bdquodie Zeitalterrdquo von Gott durch Jesus bdquoetabliertrdquo wurden dh die Neuordnung der Himmel und der Erde wurde infolge der Erhebung Jesu durch den Vater zu seiner Rechten einge-leitet

Vor diesem Hintergrund wird auch die im Volksmund zitierte Stelle in Kolosser 115-16 immer noch eine der am heftigsten diskutierten Passagen im Neuen Tes-tament verdeutlicht In der Regel wird der Text von Trinitariern auf diese Weise wiedergegeben

1044 Die NASB hat bdquopoieordquo auf folgende Weise definiert vollendet gehandelt ernannt engagiert etabliert

ausgefuumlhrt aufgefuumlhrt komponiert produziert gearbeitet etc

Der juumldische Schoumlpfer

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Der Sohn ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes der Erstgeborene der uumlber der gesamten Schoumlpfung steht Denn durch ihn wurde alles erschaffen was im Himmel und auf der Erde ist das Sichtbare und das Unsichtbare Koumlnige und Herrscher Maumlchte und Gewalten Das ganze Universum wurde durch ihn geschaffen und hat in ihm sein Ziel

- (Kolosser 115-16 NGUuml)

Zuerst muumlssen wir feststellen dass Paulus diesen Brief an die Kolosser geschrie-ben hat weil sie sich von Christus als dem Haupt des Leibes geloumlst hatten (Ko-losser 219) Paulus arbeitet hier in erster Linie daran die Bedeutung Christi als Fundament der gegenwaumlrtigen Kirche und des kommenden messianischen Zeit-alters zu unterstreichen

Zweitens ist Vers 15 im obigen Abschnitt tatsaumlchlich eines der staumlrksten Zeug-nisse gegen die Gottheit Christi Fuumlr Paulus ist Jesus nicht der unsichtbare Gott selbst er ist das Bild des unsichtbaren Gottes Das griechische Wort fuumlr bdquoBildrdquo ist hier bdquoeikonrdquo definiert als bdquoein Abbild (woumlrtlich) eine Statue ein Profil oder (bildlich) eine Darstellung ein aumlhnliches Bildrdquo Wir muumlssen betonen dass das Bild von etwas nicht die Sache selbst ist sondern nur eine Darstellung der Sache des Originals In Lukas 2024 und Markus 1216 fragte Jesus die Juden wessen bdquoBildrdquo (eikon) auf dem Denar stand und sie antworteten bdquoCaumlsarsrdquo Natuumlrlich war Caumlsar selbst nicht auf der Muumlnze es war nur eine Praumlgung von Caumlsar eine Abbildung Ebenso ist Jesus nicht Gott selbst sondern eine Repraumlsentation von ihm ja sogar die bdquogenaue Darstellungrdquo (Hebraumler 13) aufgrund seiner vollkommenen Wieder-gabe der Eigenschaften Worte und Werke Gottes Zu sagen dass Jesus bdquoder Erstgeborene der ganzen Schoumlpfungrdquo ist (Vers 15b) stellt ihn zudem direkt in den Bereich der geschaffenen Dinge1045 Die Bezeichnung bdquoErstgeborenerrdquo be-deutet einfach dass er innerhalb dieser Gruppe [von Geborenen] herausragt so-wie unter den anderen Subjekten in dieser Kategorie Vorrang hat1046 Wie die

1045 Man beachte auch Offenbarung 314 wo Jesus als bdquoAnfang der Schoumlpfung Gottesrdquo oder bdquoUrsprung

der Schoumlpfung Gottesrdquo beschrieben wird 1046 Viele bdquoArianerrdquo haben versucht mit diesem Vers zu zeigen dass ein bereits existierender Sohn

chronologisch die erste Schoumlpfung Gottes war bevor er die Welt erschaffen hat Aber bdquoErstgeborenerrdquo wird sowohl im Alten als auch im Neuen Testament verwendet um nicht nur die Chronologie sondern auch die rangmaumlszligige Prioritaumlt anzugeben bdquoDem Erstgeborenen wurde von seinen Eltern Vorrang oder Vortritt sowie das beste Erbe gegeben Erstgeborener kann auch bildlich verwendet werden um das Groumlszligte oder Beste von etwas zu bezeichnen Zum Beispiel bedeutet der Ausdruck bdquoder Erstgeborene der Armenrdquo (Jes 1430) einen der aumluszligerst arm ist oder den Aumlrmsten der Armen Protokos das griechische Wort fuumlr bdquoErstgeborenerrdquo wird im Neuen Testament achtmal verwendet meist mit Bezug auf Jesus Er heiszligt Marias erstgeborener Sohn (Lukas 27) der Erstgeborene der ganzen Schoumlpfung (Kolosser 115) der Erstgeborene der Toten (Kolosser 118 Offb 15) der Erstgeborene der Familie Gottes (Roumlmer 829) und einfach der bdquoErstgeborenerdquo (Heb 16 1223) Die Absicht all dieser Hinweise ist es die Pri-oritaumlt und Vorrangstellung Jesu in der Kirche als Erstgeborener aus den Toten und Erstgeborener aus der ganzen Familie Gottes zu zeigen

Der juumldische Schoumlpfer

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King James Version der Bibel es ausdruumlckt ist Jesus der bedeutendste bdquovon allen Geschoumlpfenrdquo (KJV) Wir muumlssen zum Schluss kommen dass Jesus von Paulus als bdquoErstgeborenerrdquo bezeichnet wird in dem Sinne dass er der Erste in der Hierar-chie oder im Rang ist denn mehrere Verse spaumlter sagt Paulus dass Jesus der bdquoErstgeborene von den Totenrdquo wurde und zwar bdquoder Erste der von den Toten auferstand denn nach Gottes Plan soll er in allem den ersten Platz einnehmenrdquo (Kolosser 118 NGUuml)

Kolosser 116 wird von vielen trinitarisch orientierten Uumlbersetzungen mit bdquodenn durch ihn wurden alle Dinge geschaffenrdquo wiedergegeben (Hoffnung Fuumlr Alle Neue Genfer Neues Leben Neue Evangelische Uumlbersetzung) Das ist nicht die beste Formulierung Mehrere Versionen (wie die Luther Elberfelder Schlachter Zuumlr-cher Gute Nachricht Menge und Einheitsuumlbersetzung) geben den Vers besser wieder bdquodenn in ihm sind alle Dinge entstandenrdquo Der griechische Ausdruck fuumlr bdquoin ihmrdquo ist bdquoen autordquo Das bdquoenrdquo hier ist kausal und bedeutet wie Buzzard richtig fest-stellt bdquowegen ihm um seinetwillen mit ihm im Blick mit ihm in der Absichtrdquo1047 Wir muumlssen jedoch unsere groumlszligte Aufmerksamkeit auf den folgenden Satz bdquowur-den geschaffenrdquo in 116b richten Dies ist die aoristische (die erzaumlhlende Zeitform in der Vergangenheit) Form des bdquoSchaffensrdquo und ein verbales Konstrukt bekannt als bdquogoumlttliches Passivumrdquo1048

Wenn Handlungen ins Passiv gestellt werden ist Gott der offensichtliche Verursa-cher1049 Zum Beispiel bedeutet bdquodenen die haben wird mehr gegeben werdenrdquo (Markus 425) bdquodenen die haben wird Gott mehr gebenrdquo Das goumlttliche Passivum tritt in mindestens sechsundneunzig verschiedenen Instanzen in der Synoptik auf1050 Es mag sogar ein Weg fuumlr den frommen Juden gewesen sein der es vermeiden wollte Gott nicht zu missachten von ihm zu sprechen ohne seinen Namen zu nennen1051 Es gibt uumlber fuumlnfzig Faumllle im Neuen Testament in denen Gott der

1047 Anthony F Buzzard The One God the Father One Man Messiah Translation (McDonough Restoration

Fellowship 2015) p 497 (Der Eine Gott der Vater und der Mensch Merssias) Buzzard zitiert verschiedene Quellen uumlber die kausale Natur des Griech ldquoenrdquo Expositorrsquos Greek Testament Vol 3 p 504 Turner A Grammar of NT Greek Vol 3 p 253 Dunn Christology in the Making p 190

1048 J A T Robertson schreibt dass hier bdquogeschaffenrdquo bdquoder konnotative Aorist passiv der auf bdquoekistherdquo hinweist wurden angelegt (ektistai) Perfekt Passiv von kitzo das anzeigt bdquowar geschaffenrdquo bdquobleibt geschaffenrdquo bdquoChristus ist der Vermittler und Erhalterrdquo (John A T Robertson Word Pictures in New Testament Vol IV (Grand Rapids Baker Book House 1933) S 478) Garland schreibt auch dass dies bdquoein goumlttliches Passivumrdquo ausdruumlckt bdquoin ihm (nicht durch ihn) wurden alle Dinge geschaffenrdquo (David E Garland The NIV Application Commentary Colossians Philemon (Grand Rapids Zondervan 1998) p 44)

1049 Daniel B Wallace Greek Grammar Beyond the Basics (Grand Rapids Zondervan 1996) p 437 (Griechische Grammatik Etwas uumlber die Grundbegriffe hinaus)

1050 Robert H Stein The Method and Message of Jesusrsquo Teaching (London Westminster John Knox Press 1994) p 64

1051 J Jeremias New Testament Theology (New York Scribnerrsquos 1971) pp 9-14

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Vater als Schoumlpfer bezeichnet wird1052 Wenn Paulus den Christen von Kolossauml sagt bdquoIn ihm sind alle Dinge geschaffen wordenrdquo dann will er den Mann aus Nazareth nicht als Schoumlpfer feiern sondern meint bdquowegen Jesus sind alle Dinge von Gott dem Vater geschaffen wordenrdquo

Was hat Gott hier in Kolosser 116ff geschaffen War es die Schoumlpfung der Ge-nesis oder die neue messianische Machtstruktur Selbst Trinitarier wie Thomas C Oden geben zu dass bdquo sbquoalle Dingersquo in Kolosser 116 als Bezugnahme auf den ganzen Kosmos oder auf die neue Schoumlpfung in Christus verstanden werden koumlnntenrdquo1053 Viele sind uumlberzeugt dass Paulus diese neue Schoumlpfung im Sinn hatte nicht die urspruumlngliche Genesis unserer Welt des Universums des Alls1054 Ein Grund dafuumlr ist dass der Kontext der Passage nicht auf die Schoumlpfung der Genesis zu verweisen scheint in der die Lichter Pflanzen und Tiere erschaffen wurden Stattdessen spricht der Kolosserbrief uumlber Throne Herrschaften und Autoritaumlten - als ob eine neue Regierung zu bilden waumlre Wenn das der Fall ist haben wir bereits gesehen dass es der Gott von Jesus der Vater war der - durch die Erhoumlhung Christi - sowohl eine neue himmlische Hierarchie als auch ein neues Zeitalter etablierte (Hebraumler 113-4 25 Epheser 117a 20-21)1055

Doch auch wenn Paulus hier auf die Schoumlpfung der Genesis Bezug nehmen wollte kann daraus letztlich keine bdquoJesus ist Gottrdquo Interpretation hergeleitet wer-den Es ist immer noch Gott der Vater der in beiden Faumlllen die Schoumlpfung in-szeniert Aber was koumlnnte Paulus damit gemeint haben dass der Vater bdquodurchrdquo Jesus geschaffen hat

Hier spielt Paulus wahrscheinlich auf die Tradition der bdquoWeisheitrdquo an die in den Psalmen Spruumlchen und anderen juumldischen Werken vorherrscht in denen gesagt wird dass Gott die Welt durch seine Weisheit aufgebaut hat In der juumldischen Tradition werden die Begriffe Gottes Weisheit Gottes Wort und sogar Gottes Thora austauschbar verwendet1056 Mehr uumlber Gottes Schoumlpfung durch sein Wort (hebraumlisch bdquodavarrdquo griechisch bdquologosrdquo) wird in einem spaumlteren Kapitel dieses

1052 Buzzard The One God p 188 (Der Eine Gott hellip) 1053 Thomas C Oden Peter Gorday Colossians 1-2 Thessalonians 1-2 Timothy Titus Philemon (New

York Fitzroy Dearborn Publishers 2000) p xxvii unsere Hinzufuumlgung 1054 Als Beispiel diene Grotius ldquoInterpretation zitiert von Barnesrdquo Notes on the New Testament on Co-

lossians 116 1055 Viele Gelehrte haben vorgeschlagen dass Paulus die Neue Schoumlpfung so verstanden hat als mit dem

Tod und der Auferstehung Christi begonnen hat Siehe T Jackson New Creation in Paulrsquos Letters (Tubingen Mohr Siebeck 2010) p 95

1056 Weisheit wird im Juumldischen Buch Weisheit Salomos mit dem Wort Gottes gleichgesetzt (Weisheit 92) In Sirach wird die Weisheit mit der Thora Gottes gleichgesetzt (Sirach 2423) Philon sagt dass Mose die Verkoumlrperung der Thora (also Gottes Weisheit Gottes Wort) war (Uumlber Mose 1162) Und der Apostel Johannes sagt dass Jesus die Verkoumlrperung von Gottes Wort (also von Gottes Weisheit von Gottes Thora) in Johannes 11-14

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Buches behandelt Aber vorerst werden wir uns kurz auf Gottes Einsatz der Weisheit und ihre Identifikation mit Jesus durch Paulus konzentrieren

Im Alten Testament war Gottes Weisheit ein Prinzip durch das Gott das Uni-versum erschaffen hat In der Septuaginta-Version (LXX) von Psalm 10324 lesen wir bdquoWie groszlig sind deine Werke o Herr In Weisheit hast du sie alle gebrachtrdquo Durch das gleiche Prinzip der Weisheit (Spruumlche 811) regieren bdquoKoumlnige und Herrscher hellip sie bestimmen was gerecht istrdquo (Spruumlche 815) Salomo brauchte Weisheit um die richtige Ordnung uumlber die Nation auszufuumlhren (1 Koumlnige 31-15) Gott brauchte sie um die Schoumlpfung zu ordnen Fuumlr Paulus sieht Jesus als eine Repraumlsentation der Weisheit Gottes Tatsaumlchlich traumlgt Jesus den messianischen bdquoGeist der Weisheitrdquo (Jesaja 113-5) in sich selbst bdquoin der Weisheit erhoumlhtrdquo (Lukas 240) und stellt letzt-endlich die Weisheit Gottes gegenuumlber seinen Nachfolgern dar Paulus druumlckt aus dass Christus selbst bdquofuumlr uns zur Weisheit Gottes geworden istrdquo (1 Korinther 130) bdquoWeisheitrdquo ist dann keine vorexistente Person die spaumlter zum menschlichen Jesus mutierte es ist ein Prinzip welches durch den Menschen Jesus vertreten wurde Wie bereits erwaumlhnt ist Jesus bdquonicht nur die Erfuumlllung der mosaischen Thora sondern auch die Verkoumlrperung der Weisheit Gottes die man in der Offenbarung der geschaffenen Ord-nung selbst siehtrdquo1057 Wenn fuumlr Paulus die Person Jesu eine Verkoumlrperung oder eine Repraumlsentation der Weisheit ist die Gott gebraucht hat als er die Welt struktu-rierte dann sollte die Aussage des Paulus dass Gott alle Dinge bdquodurch [gr dia] Jesusrdquo gemacht hat als eine bdquoVerkoumlrperungrdquo dieser Idee angesehen werden1058 Wie Dunn bemerkt

[Paul] Paulus stellte die Herrschaft Christi im Kontext des juumldi-schen Monotheismus und Christus (den Gesalbten den Messias) als jemanden dar den die Christen jetzt sehen und der jene Kraft Gottes repraumlsentiert und vermittelt welche die Welt geschaffen und erhalten hat Er sieht Jesus nicht als ein praumlexistentes goumlttli-ches Wesen sondern als einen Menschen einen Juden dessen Gott der Eine Gott ist und jemanden der die schoumlpferische Kraft und

1057 Daniel L Aikin A Theology for the Church (Nashville B amp H Publishing Group 2007) p 109 emphasis

added 1058 bdquoPaulus und andere Urchristen greifen auf die juumldische Weisheitstradition zuruumlck die von Gottes

Weisheit als dem Mittel sprachen durch das Gott die Welt erschaffen hat (Spruumlche 8 Weisheit 7) Indem Paulus Jesus die Rolle zuweist die zuvor der Weisheit Gottes zugewiesen wurde die an einigen Stellen mit der Thora oder dem Gesetz Gottes gleichgesetzt wurde (zB Sirach 2423) hat er Jesus Christus den Platz in Gottes Vorhaben zugewiesen die an anderer Stelle der Weisheit oder dem Gesetz uumlbertragen worden warrdquo (Marianne Meye Thompson Colossians and Philemon (Grand Rapids Eerdmans 2005) p 30)

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die rettende Weisheit Gottes so verkoumlrpert hat dass er bdquodie Kraft Gottes und die Weisheit Gottesrdquo identifizierte1059

Was die letzte Haumllfte von Kolosser 116 betrifft so finden wir in Epheser eine weitere hilfreiche Parallele wo Paulus schreibt dass Gottes urspruumlnglicher Zweck darin bestand bdquohellip die Fuumllle der Zeiten heraufzufuumlhren auf dass alles zusammen-gefasst wuumlrde in Christus was im Himmel und auf Erden ist durch ihnrdquo (Epheser 110) So bekraumlftigt Paulus den Christen von Kolossauml dass bdquoalle Dingerdquo von Gott fuumlr ihn geschaffen wurden (Kolosser 116) Gott hat dem erhabenen Jesus bdquohellip alles hellip unter seine Fuumlszlige getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt uumlber allesrdquo (Epheser 122)

Zusammenfassend sehen wir dass Gott Jesus durch seine Auferstehung uumlber jede bdquoAutoritaumlt Macht und Herrschaft und jeden Namen der aufgerufen wirdrdquo (in Epheser 121) gestellt hat Das sind die gleichen bdquoThrone Herrschaften Herr-scher und Autoritaumltenrdquo die Gott Christus in Kolosser 116 unterwirft In der ers-ten Passage ist es eindeutig bdquoder Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christusrdquo (Vers 1) der die Neuausrichtung vornimmt Diese Aktivitaumlt schafft eine neue Ordnung die bereits jetzt existiert und in der kommenden Zeit weiterexistieren wird (Vers 21b) Jesus selbst der kroumlnende Abschluss von Gottes Werken ist nun als Repraumlsentation der Weisheit zu verstehen mit der Gott sowohl die ur-spruumlngliche Schoumlpfung als auch diese Neue Schoumlpfung strukturiert hat

Es gibt zwangslaumlufig im Judentum keine Darstellung von Jesus als dem Schoumlpfer Wie beobachtet wurde

In den fruumlhen Phasen [der Pauluszeit] waumlre es verfehlt gewesen zu sagen dass Christus als ein praumlexistentes Wesen verstanden wurde das Fleisch geworden sei oder dass Christus persoumlnlich anwesend und aktiv an der Schoumlpfung beteiligt angesehen wurde in den paulinischen Briefen und wahrscheinlich auch in der Einfuumlhrung des Schreibens an die Hebraumler ist der Gedanke in erster Linie an Christus als eschatologische Verkoumlrperung der Weisheit Gottes Er ist derjenige durch den der Schoumlpfergott die Erneuerung der Schoumlpfung bewirkt1060

Die juumldischen Schriften des Neuen Testaments erweisen sich nicht als patente Verteidiger der Idee Christus sei selbst der Schoumlpfer der urspruumlngliche hebraumli-sche Gott gewesen Wie Emil Brunner zugab bdquoGott allein ist der Schoumlpfer der Sohn wird schlicht und einfach sbquoder Mittlerrsquo der Schoumlpfung genannt Im Neuen

1059 Dunn Christology in the Making p 211 1060 Ebenso

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Testament wird der Sohn oder Jesus Christus nie als Schoumlpfer bezeichnet Der Titel gehoumlrt nur dem Vaterrdquo1061 Wir haben bereits bemerkt dass die Sprache der Juden mit der sie Gott beschreiben auch nach der Geburt des Messias unveraumln-dert blieb Gott war immer der Vater der allmaumlchtige Schoumlpfer eine einzige mo-nolithische Persoumlnlichkeit deren strenge Einheit uumlber alle Lehren gestellt wurde Auch nach dem Auftreten Jesu wurde diese unverwechselbare angestammte Gottheit staumlndig seinem gesalbten Diener [dem Messias] gegenuumlbergestellt

bdquoDer Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs der Gott unserer Vaumlter hat seinen Knecht Jesus verherrlichtrdquo (Apostelgeschichte 313)

bdquoDer Gott unserer Vaumlter hat Jesus auferweckt den ihr ermordet habt in-dem ihr ihn ans Holz haumlngtetrdquo (Apostelgeschichte 530)

bdquoDer Gott dieses Volkes Israel hellip hat ihn [Christus] aus den Toten auf-erwecktrdquo (Apostelgeschichte 131730)

Wie haumltte ein Jude des ersten Jahrhunderts diese Sprache verstanden Haumltten sie aus diesen Predigten gelernt dass dieser juumldische Mann den der juumldische Gott von den Toten auferweckt hat irgendwie der juumldische Gott war Moderne Juden haben unmissverstaumlndlich erklaumlrt bdquoDas Judentum war schon immer rigoros uni-tarischrdquo1062 und viele christliche Gelehrte haben bestaumltigt dass der Glaube an bdquoein zweites Wesen in Gott bedeutet sich von der juumldischen Gemeinschaft zu entfer-nenrdquo1063 Selbst angesehene Trinitarier sind sich einig bdquoDas Judentum ist unita-rischrdquo1064 bdquoDer Monotheismus war damals wie er heute noch ist unitarischrdquo1065 Ebenso wie die Juden zu den alttestamentlichen Zeiten von Gott selbst gelehrt worden waren dass Gott bdquoeine Personrdquo ist1066 so beteuern die Juden bis zum heutigen Tag noch bdquoimmer dass Gott nur eine Person istrdquo1067 Diese Harmonie ist wichtig da wie bereits erwaumlhnt bdquoin der Lehre Jesu und der Apostel gegenuumlber dem Monotheismus des Alten Testaments und des Judentums kein Element der Veraumlnderung vorhanden warrdquo1068

Es ist stets darauf zu achten nicht in die Respektlosigkeit einiger trinitarischer Theologen zu verfallen welche die juumldische Gottesvorstellung als unterentwickelt oder unvollstaumlndig darstellen Sie behandeln die Juden wie theologische Kinder

1061 Brunner Dogmatics Vol I p 232 1062 ldquoDeismrdquo The Jewish Encyclopedia 1906 1063 Casey From Jewish Prophet to Gentile God p 176 1064 Brunner p 205 1065 Hodgson p 74 1066 Warfield p 127 1067 Beveridge p 66 1068 Werner p 241

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auszliger Stande die erforderliche Metaphysik zu beherrschen in der die spaumlteren Heiden [als Christen] gediehen sind1069 Der Monotheismus Israels darf nicht un-terschaumltzt werden Jesus hat diesen Glauben bekraumlftigt Da er ein treuer Jude war man kann ruhig sagen der ultimative Jude sollten wir nicht erwarten in Jesu Aussagen uumlber die Identitaumlt seines Gottes eine rekonstruierte Bedeutung zu finden Seine Berufung wie wir als naumlchstes entdecken werden war immer die einfache aber voll ausgebildete Dogmatik der Juden ein Bekenntnis zu einem einzigen persoumlnlichen Vater Jesu Ansicht uumlber sich selbst beinhaltetet nur den Anspruch der speziell ausgewaumlhlte und treue Diener Gottes zu sein - Gottes Messias

1069 bdquoAber dass das gesamte juumldische Volk voumlllig ohne die Vorstellung einer Dreifaltigkeit war ist offen-

sichtlich genug und nach dem Schema der ihnen uumlberlieferten goumlttlichen Natur wurden sie nicht davor gewarnt die Personen in der Gottheit zu verwechseln damit sie nicht von der natuumlrlichen Tendenz einer schwachen Gesinnung in das entgegengesetzte Extrem der Aufteilung der Substanz fallen die ihnen nach ihrem damaligen moralischen und intellektuellen Zustand den weitaus gefaumlhrlicheren Wahnvor-stellungen bewiesen haumltterdquo (John Browne Predigten bei der von John Bampton (Oxford) gefuumlhrten Vorlesung OUP 1809) S 88) Die Idee der Dreifaltigkeit bdquowar noch zu keiner Zeit in den Geist eingedrungen Dieser Artikel wurde im Alten Testament nicht als Objekt des Glaubens niedergelegt weil die Menschen noch nicht in der Lage waren ihn zu empfangenrdquo (Salmeron Comm tom i pp 201-2 Prolog Xi Can XXV zitiert von Wilson Uni Princip p 334)

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bdquoWenn in deiner Mitte ein Prophet aufsteht oder einer der Traumlume hat und er gibt dir ein Zeichen oder ein Wunder und das Zei-chen oder das Wunder trifft ein von dem er zu dir geredet hat indem er sagte bdquoLass uns anderen Goumlttern - die du nicht gekannt hast - nachlaufen und ihnen dienenrdquo dann sollst du nicht auf die Worte dieses Prophe-ten houmlren oder auf den der die Traumlume hat Denn der HERR euer Gott pruumlft euch um zu erkennen ob ihr den HERRN eu-ren Gott mit eurem ganzen Herzen und mit eurer ganzen Seele liebt Dem HERRN eurem Gott sollt ihr nachfol-gen und ihn sollt ihr fuumlrchten Seine Gebote sollt ihr halten und seiner Stimme gehor-chen ihm sollt ihr dienen und ihm anhaumln-genrdquo

5 Mose 131-4

AumlHREND DES DREIJAumlHRIGEN DIENSTES JESU wie die Evan-gelien belegen machte der Mann von Nazareth viele tiefgruumlndige Aus-sagen uumlber sich selbst und seine Beziehung zu Gott Einige dieser Spruuml-

che wurden von seinen Feinden falsch interpretiert (die Gegner werden oft zu-rechtgewiesen oder korrigiert) aber seine direkten Lehren daruumlber wer Gott ist

W

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sind unverkennbar Wie einige der kuumlhnsten Forscher festgestellt haben lodert das rhetorische Feuer des tiefsinnigen nachdenkenden und streng monotheisti-schen Rabbiners auf den Seiten der Bibel Man muss aber davon absehen den Rahmen des entwickelten Trinitarismus auf die Jesus-Geschichte anzuwenden Dann erkennt man eine erschuumltternde Inkongruenz mit dem modernen Chris-tentum Zeitgenoumlssische Akademiker sowohl liberale als auch konservative ent-decken zwischen den Modi der entwickelten Orthodoxie und Christus einen gro-szligen Unterschied

Es ist wirklich eine auszligergewoumlhnliche und zum Nachdenken anre-gende Tatsache dass diese traditionellen christlichen Lehren in Jesu eigener Zusammenfassung seiner Botschaft an die Menschheit uumlberhaupt keine Rolle spielen Bei einer einfachen Lesung der sy-noptischen Evangelien scheint es in der Tat so als ob Jesus von Gott rein monotheistisch und unitarisch dachte1070

Wir duumlrfen nicht vergessen dass bdquokein verantwortlicher Neutestament-Forscher behaupten wuumlrde dass Jesus die Doktrin der Dreifaltigkeit lehrterdquo1071 Eigentlich koumlnnten sich alle modernen Nachfolger Christi gluumlcklich zusammenschlieszligen nicht um nach Worten fuumlr eine gestelzte Argumentation zu suchen sondern um das Zentrum des wahrhaft juumldischen Glaubens zu feiern Dieses war der Mittel-punkt des Lebens und der Elan des beruumlhmtesten Lehrers der Menschheitsge-schichte Im Wesentlichen muumlssen die Nachfolger Christi aufhoumlren sich an ihre eigene vorgefasste Meinung in Bezug auf die Dreifaltigkeit zu klammern Sie soll-ten ihren Geist allen Informationen oumlffnen die er bereitwillig und unmissver-staumlndlich praumlsentierte Jesus vertrat offenbar die Gesinnung die heute als bdquoUni-tarismusrdquo definiert wird oder den Glauben dass Gott ein eigenstaumlndiges Indivi-duum ist Das kann sicherlich als die kritischste aber am wenigsten bekannte Mitteilung des Neuen Testaments bezeichnet werden

DerVatervonJesusderGottderJudenDenn alle Juden so auch Jesus verstehen unter den Begriffen bdquoGottrdquo und bdquoder Vaterrdquo immer ein und dieselbe Person Der Samariterin gegenuumlber brachte Jesus die Identitaumlt Gottes und die noumltige Verehrung ganz konkret zum Ausdruck bdquoAber die Zeit kommt ja sie ist schon da wo Menschen Gott als den Vater anbeten werden Men-schen die vom Geist erfuumlllt sind und die Wahrheit erkannt haben Das sind die wahren An-beter so moumlchte der Vater die haben die ihn anbetenrdquo (Joh 423b-24 NGUuml) Oftmals

1070 John Hick The Concept of Monotheism in Islam and Christianity A Recent Development within

Christian Monotheism (Austria Typostudio amp Druckkunst Wie 1982) p63 1071 Hanson p 87

Gott und sein Messias

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umschreibt das Neue Testament den Auftrag Christi als die Offenbarung der Per-son Gottes (Joh 118 1725) Ist er in seiner Offenbarungsmission gescheitert als er lehrte dass die Anbetung des bdquoVatersrdquo die Anbetung bdquoGottesrdquo sei

Ausgeruumlstet mit einer respektvollen Betrachtung des historischen Gottes des Ju-dentums sollten alle Anweisungen und Forderungen des Rabbiners Jesus an die Menschen um ihn herum bezuumlglich ihrer Wahrnehmung und Hingabe an Gott sorgfaumlltig gepruumlft werden Auch die Apostel welche die Tradition Christi fort-setzten sind auszligerhalb dieses Kontextes kaum zu verstehen Sowohl die griechi-sche als auch die hebraumlische Schrift sind in dieser Frage unmissverstaumlndlich und klar Sie bestaumltigen laut und deutlich dass sowohl fuumlr die alten Israeliten wie auch fuumlr die Juden der Urkirche bdquoGottrdquo eindeutig der bdquoVaterrdquo war

bdquoWollt ihr so dem HERRN vergelten toumlrichtes und unweises Volk Ist er nicht dein Vater der dich geschaffen hat Er hat dich gemacht und dich bereitetrdquo (5 Mose 326 ELB)

bdquo wuumlrdet ihr mir zurufen sbquoMein Vaterrsquo und wuumlrdet euch nicht mehr von mir abwenden hellip spricht der HERRrdquo (Jeremia 319b-20 ELB)

bdquoMein Vater bist du mein Gott und der Fels meines Heilsrdquo (Psalm 8926 ELB)

bdquoHaben wir nicht alle einen Vater Hat nicht ein Gott uns geschaffenrdquo (Malaechi 210 ELB)

bdquoSo ist doch fuumlr uns ein Gott der Vaterrdquo (1 Korinther 86 ELB)

bdquoGnade euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christusrdquo (Roumlmer 17 ELB)

bdquoEin Gott und Vater aller der uumlber allen und durch alle und in allen istrdquo (Epheser 46 ELB)

In seinem Gespraumlch mit der Samariterin lehrte Jesus dass man Gott bdquoin Wahr-heitrdquo anbeten muss dh Gott so anbeten muss wie Gott wirklich ist und wie er es verlangt (Johannes 424) Es ist nicht zu uumlbersehen wen Jesus mit diesem Gott meinte Seine Darstellung Jahwes als Vater aller des einen wahren Gottes ist in voumllliger Uumlbereinstimmung mit dem juumldischen Erbe

bdquoAber JHWH Gott ist Wahrheitrdquo (Jeremia 1010a)

bdquoDu HERR (JHWH) bist unser Vater von alters her das ist dein Namerdquo (Jesaja 6316)

bdquoVater hellip allein wahrer Gottrdquo (Johannes 171a3b)

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In Anbetracht des obigen Verses bdquoDies aber ist das ewige Leben dass sie dich den allein wahren Gott und den du gesandt hast Jesus Christus erkennenrdquo (Johannes 173) sehen wir dass gemaumlszlig Christus die Essenz des Lebens im kuumlnftigen Zeitalter von einer ausdruumlcklichen Kenntnis von zwei Charakteren zu finden ist von denen einer als der einzige beschrieben wird der wirklich Gott ist und der andere als jemand anderes der auszligerhalb dieser exklusiven Klasse steht Die klar und deutliche Un-terscheidung Christi zwischen dem einen Gott und sich selbst ist konsequent bdquoLasst euer Herz nicht beunruhigt sein Glaubt an Gott glaubt auch an michrdquo (Johannes 141) Natuumlrlich fragen wir uns wo die angebliche dritte Person des Trinitarismus in dieser Anleitung steht

Fuumlr den Trinitarier ergibt sich ein einzigartiges Problem wenn man an Johannes 173 denkt Dass bdquoder Vaterrdquo der wahre Gott ist wird von niemandem bestritten Fraglich ist nur ob bdquoder Sohnrdquo der nach trinitarischem Dogma ausdruumlcklich nicht der Vater ist (da er eine ganz eigene Person ist) auch bdquowahrer Gottrdquo ist oder nicht Doch Jesus nannte den Vater nicht einfach bdquoGottrdquo und lieszlig so Raum fuumlr sich selbst und noch einen anderen der auch diese Beschreibung traumlgt sondern er nannte den Vater bdquoden einzigen wahren Gottrdquo Mit anderen Worten Jesus hat zwei Argumente vorgebracht erstens dass der Vater der wahre Gott ist (ein Ge-danke dem die Trinitarier sicher zustimmen) und zweitens dass der Vater der einzige ist der wahrer Gott ist (ein Gedanke den die Trinitarier bestimmt ableh-nen)

In Johannes 173 findet der Forscher wie sich sowohl alte als auch moderne The-ologen mit einer erstaunlichen und beunruhigenden Verachtung fuumlr die Schrift auf die angeblich felsenfeste Erklaumlrung Christi stuumlrzen Ein Beispiel dafuumlr liefert Augustinus (430 n Chr) der ehemalige Gnostiker und der als Vorlaumlufer der cal-vinistischen Theologie verehrt wird Als er Johannes 173 las gestand er sofort die Unfaumlhigkeit ein das Dogma von der wahren Gottheit des Sohnes mit der praumlzisen Sprache Christi auszudruumlcken Er zeigte jedoch eine ungeheure Bereit-schaft diese Aussage sogar ruumlckwaumlrtskonform zu aumlndern Hier ist was Augustinus schreibt

bdquoUnd das ist das ewige Leben damit sie Dich den einzigen wahren Gott und Jesus Christus den Du gesandt hast erkennenrdquo Die rich-tige Reihenfolge der Worte ist bdquoDamit sie Dich und Jesus Christus den Du gesandt hast als den einzigen wahren Gott erkennenrdquo1072

Die Dreistigkeit von Augustinus der die Worte Jesu in der Hoffnung auf eine dogmatische Bewahrung ohne auch nur einen Hauch von Einschraumlnkung unver-

1072 Augustine Homilies on the Gospel of John Ch XVII 1-5 Tractate CV 3 unsere Hinzufuumlgung

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hohlen aumlndert lassen jedem Bibelstudenten die Haare zu Berge stehen Ange-sichts der unentschuldbaren Sinnverdrehungen von Gelehrten wie Augustinus finden Christen in Christus immer noch Erleichterung wenn er die Welt daran erinnert bdquoDer Himmel und die Erde werden vergehen meine Worte aber sollen nicht verge-henrdquo (Matthaumlus 2435)

Es ist aufgezeichnet wie Jesus waumlhrend seines gesamten Dienstes betonte dass nicht er selbst sondern derjenige den er bdquoVaterrdquo nannte der traditionelle Gott des Judentums ist bdquo mein Vater ist es der mich ehrt von dem ihr sagt Er ist unser Gottrdquo (Johannes 854b) Obwohl im Laufe der Jahrhunderte viel Verwirrung uumlber die Identitaumlt des Gottes der Juden verbreitet wurde war ein grosser Teil der Mis-sion des lang ersehnten Messias (des Christus) die Identitaumlt Gottes bei seinen Landsleuten offen zu foumlrdern Tatsaumlchlich kommt der Messias und sagt bdquoKundtun will ich deinen Namen meinen Bruumldern inmitten der Gemeinde will ich dir lobsingenrdquo (Hebr 212) Gemaumlszlig den Worten Jesu war er in dieser Mission erfolgreich bdquoGerechter Vater Und die Welt hat dich nicht erkannt ich aber habe dich erkannt und diese haben erkannt dass du mich gesandt hast Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtunrdquo (Joh 1725a-26a) Die Verherrlichung des Vaters als das ultimative Ziel Jesu sollte immer im Auge behalten werden (Matt 516 Joh 1228 Joh 171) Gott selbst hat sich ebenfalls um seine eigene Ehre als bdquoVaterrdquo gekuumlmmert Wie er Israel ermahnte bdquoEin Sohn ehrt den Vater und ein Knecht seinen Herrn Wenn ich nun Vater bin wo ist meine Ehre Und wenn ich Herr bin wo ist meine Furchtrdquo (Maleachi 16)

DerMessiasderGefaumlhrtedeseinenGottesSo wie wir aus der Schrift unmittelbar herleiten koumlnnen dass Gott an der Zahl einer ist stellen wir fest dass Jesus auch numerisch von ihm verschieden ist Christus zeigt dies selbst bdquoAber auch in eurem Gesetz steht geschrieben dass das Zeugnis zweier Menschen wahr ist Ich bin es der von mir selbst zeugt und der Vater der mich gesandt hat zeugt von mirrdquo (Joh 818) Das Gesetz schreibt diesen viel zitierten Grundsatz vor dass das Zeugnis von zwei Personen rechtsguumlltig ist (4 Mose 3530) und Jesus bekraumlftigt bdquoWenn ich von mir selbst zeuge so ist mein Zeugnis nicht wahrrdquo (Joh 531) Christus betrachtet sich ganz offensichtlich nur als einen Zeugen aber es braucht das Zeugnis von mindestens zwei voumlllig unterschiedlichen Personen um in den Augen der Menschen glaubwuumlrdig zu sein In Joh 818 erklaumlrt Jesus dass sein Vater der zweite Zeuge ist insgesamt sind es also zwei Aber wenn Jesus in irgend-einem Sinne mit dem Vater tatsaumlchlich eins ist erklaumlrt Christus sein Zeugnis durch dieses Thora-Prinzips fuumlr unguumlltig Auch von Trinitariern houmlrt man oft wenn sie ihren fragwuumlrdigen Monotheismus verteidigen die Zustimmung dass Gott nur einer ist Aber wenn dies zutrifft wie kann ein einzelnes Wesen die Position von

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zwei verschiedenen Zeugen einnehmen Sind Trinitarier bereit eine Unterschei-dung der goumlttlichen Personen ebenso fundamental vorzunehmen wie ein Mensch von einem anderen unterschieden werden muss um das Zeugnis von den zweien rechtskraumlftig zu machen Hier koumlnnte man einflechten dass wenn Jesus Gott ist dann sind - so logisch wie der Sohn und der Vater zwei verschiedene Zeugen sind - auch der Sohn und der Vater zwei verschiedene Goumltter sind Wir schlieszligen da-raus dass Jesus glaubte dass er und der Vater vollkommen getrennte Personen sind Gott ist die eine und Jesus ist die andere Person Auf diese einfach Weise kom-men zwei verschiedene Zeugen zusammen

Nie begegnen wir einem Jesus der behauptet der eine Gott Israels zu sein son-dern in der Regel finden wir ihn wie er neben der Gottheit wohl als goumlttlich be-vollmaumlchtigter Mann und eng mit Gott verbunden den hohen zweiten Platz ein-nimmt Status und Rangordnung sind systematisch und klar in den Hebraumlischen Schriften prophezeit Von Christus sagt Gott bdquoWach auf Schwert gegen meinen Hir-ten und gegen den Mann der mein Gefaumlhrte ist spricht der HERR der Heerscharen Schlage den Hirten dass die Schafe sich zerstreuenrdquo (Sacharja 137a ELB) oder bdquomeinen Hirten auf den Mann der mir nahe stehtrdquo (GNB) oder bdquoden Mann der mir verbunden istrdquo (Ein-heitsuumlbersetzung) In Matthaumlus 2631 erklaumlrt Jesus dass sich diese Prophezeiung auf ihn selbst bezieht damit ist sie eine ausdruumlckliche Beschreibung der Bezie-hung zwischen Gott und dem Messias

Wie uumlblich in den alttestamentlichen Prophezeiungen erscheint Jahwe in der Ein-zelrolle des Gottes fuumlr Israel waumlhrend der bdquoGesalbterdquo Gottes die Rolle des Herrn und Koumlnigs innehat Er ist ein Mann der bdquoaus eurer Mitte aus euren Landsleutenrdquo sein soll (2 Mose 1815) und vor allem bdquoaus dem Stumpf Jesses hervorgehenrdquo (Jesaja 111) Die Propheten hatten den Ursprung Christi laumlngst beschrieben bdquoDas Haus Juda hellip aus ihm kommt der Ecksteinrdquo (Sacharja 103b-4a) und zwar noch genauer bdquoBethlehem Ephrata das du klein in Juda bist aus dir wird mir der hervorgehen der Herr-scher uumlber Israel sein soll und seine Urspruumlnge sind von der Urzeit von den Tagen der Ewigkeit herrdquo (Micha 51) Wir sehen bei Micha wie der erwartete Messias ein von Gott auserwaumlhltes Individuum war um an Gottes Stelle als sein goumlttlich ernannter Ver-treter zu regieren Wenn der Messias Gott selbst waumlre koumlnnte man dann wirklich sagen dass er anstelle von Gott regiert Das Alte Testament geht von einem klaren Konsens aus Jahwe wird die Hauptrolle als dem einen Gott zugeschrieben und dem Messias die Nebenrolle des Koumlnigs aus der Davidischen Linie zugeteilt

Ich werde einen Hirten uumlber sie einsetzen der wird sie weiden mei-nen Knecht David der wird sie weiden und der wird ihr Hirte sein Und ich der HERR (JHWH) werde ihnen Gott sein und mein Knecht David wird Fuumlrst in ihrer Mitte sein Ich der HERR (JHWH) habe geredet (Hesekiel 3423-24)

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Die hebraumlischen Prophezeiungen uumlber den Messias und seine Beziehung zu Gott bilden die unabdingbare Basis fuumlr das christliche Verstaumlndnis der Identitaumlt und Rolle Jesu dies waren in der Tat die gleichen maszliggeblichen Quellen die von Jesus und seinen Juumlngern als Beweis fuumlr ihre Botschaft angefuumlhrt wurden Doch Chris-ten konsultieren das Alte Testament in der Regel nicht sehr oft Vielleicht picken sie missbraumluchlich einige wenige Passagen aus dem Buch Jesaja heraus die be-weisen sollen dass Jesus der ins Fleisch gekommene Gott war Auf der anderen Seite sind die Hebraumlischen Schriften einfach voll von Hinweisen und Prophezei-ungen uumlber den Messias als einem Individuum das seinem Gott zwar nahesteht sich von ihm aber unterscheidet und ihm unterstellt ist Die unbestreitbare Tat-sache dass der Messias buchstaumlblich einen Gott hat sollte ausreichen um jeden Glaumlubigen zum Nachdenken anzuregen

bdquoEr aber wird auftreten und bdquoDu liebst Gerechtigkeit und sie weiden in der Kraft des HERRN und in der Hoheit des Namens des HERRN (JHWH) seines Gottesrdquo (Micha 54a)hassest Frevel darum hat dich Gott dein Gott gesalbt mit Freudenoumll wie keinen deiner Gefaumlhrtenrdquo (Psalm 457 Heb 19)

Im Buch Jesaja lesen wir bdquoUnd der Geist des Herrn wird auf ihm ruhen der Geist der Weisheit und des Verstaumlndnisses der Geist des Rates und der Macht der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrnrdquo (Jesaja 112) Hier wird der Geist Gottes auf den Messias uumlbertragen Wie kompliziert waumlre sonst diese einfache Idee wenn die Interpretation stimmt dass Gott (der Vater) sich selbst und Gott (den Sohn) mit sich selbst (mit dem Heiligen Geist) salbt Folgerichtig fragt man sich ob wirklich drei Personen in der Gottheit gleichberechtigt und allmaumlchtig sind Was waumlre der Zweck eines so bizarren kreisfoumlrmigen Salbungsaustausches Weiter koumlnnte man sich fragen ob dies die beste und direkteste Lesart des Textes im Buch Jesaja ist Daruumlber hinaus mutet die Anspielung dass dem allwissenden bdquoGottrdquo der bdquoGeist der Erkenntnisrdquo gegeben wird eher verwirrend an Ebenso wuumlrde bdquodie Furcht des Herrn (Jahwe)rdquo in Unsinn verwandelt die Furcht des Herrn die im Gesalbten (Messias) wohnt ist eine wirklich lobenswerte Eigen-schaft wenn er ein Geschoumlpf Gottes und ihm wahrhaft unterstellt ist doch voumlllig unerklaumlrlich wenn der Messias selbst Jahwe ist Wollten hier Gott und der Pro-phet durch den Gott redete der Welt zu verstehen geben dass Gott sich in ir-gendeiner Weise fuumlrchtet In den prophetischen Aufzeichnungen des hebraumli-schen Volkes wird vermittelt dass der Messias eine statusmaumlszligig geringere Posi-tion innehat in der eine aufrichtige Gottesfurcht begruumlndet und moralisch lo-benswert ist Die Natur dieser Rolle wird weiter verdeutlicht wenn der Messias konsequent nicht als Gott sondern als Diener Gottes dargestellt wird Ein Die-ner ist rangmaumlszligig nicht gleichzusetzen mit seinem Herrn

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bdquoSiehe mein Knecht mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenrdquo (Jes 421 Matt 1218)

bdquoDer Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs der Gott unserer Vaumlter hat seinen Knecht Jesus verherrlicht Gott hat seinen Knecht erwecktrdquo (Apg 31326)

bdquoGott der durch den Heiligen Geist durch den Mund unseres Vaters deines Knechtes David geredet hat In dieser Stadt versammelten sich in Wahrheit gegen deinen heiligen Knecht Jesus den du gesalbt hast sowohl Herodes als auch Pontius Pilatus mit den Nationen und den Voumllkern Is-raels nun Herr sieh an ihre Drohungen und gib deinen Knechten dein Wort mit aller Freimuumltigkeit zu reden indem du deine Hand ausstreckst zur Heilung dass Zeichen und Wunder geschehen durch den Namen deines heiligen Knechtes Jesusrdquo (Apg 425b2729-30)

Der obige Abschnitt ist besonders interessant da Jesus wie David Petrus und die anderen Juumlnger alle als Knecht oder bdquoDiener Gottesrdquo bezeichnet werden Man koumlnnte sagen dass genauso fundamental wie die Personen David und Petrus im vollen Dienst Gott unterstellt sind die Person Jesu auf die gleiche Weise zu be-trachten ist Denn gerade durch die ausdruumlckliche Identifikation Christi als bdquoDie-nerrdquo Gottes wird seine rangmaumlszligig niedrigere Stellung [in der Hierarchie] klar kommuniziert Jesus selbst haumllt das Prinzip ein bdquoDer Juumlnger steht nicht uumlber dem Meis-ter und der Knecht nicht uumlber seinem Herrnrdquo (Matt 1024) und noch einmal bdquoDenkt an das Wort das ich euch gesagt habe Der Knecht ist nicht groumlszliger als sein Herrrdquo (Joh 1520) und ein drittes Mal bdquoWahrlich wahrlich ich sage euch Der Knecht ist nicht groumlszliger als sein Herr und der Gesandte nicht groumlszliger als der der ihn gesandt hatrdquo (Joh 1316) Das wird umso deutlicher wenn Jesus erklaumlrt bdquoGott hat mich gesandtrdquo (Joh 842)

Der Apostel Paulus offenbart dass selbst nachdem alle Dinge durch seine Ver-herrlichung unter den Fuumlszligen Christi liegen er Gott untergeordnet bleibt

bdquoAlles hat Gott ihm unter die Fuumlszlige gelegt Ausgenommen von diesem alles ist natuumlrlich der der Christus zum Herrscher uumlber alles gemacht hat Wenn dann alles unter die Herrschaft von Christus gestellt ist wird er selbst der Sohn sich dem unterstellen der ihn zum Herrn uumlber alles gemacht hat Und dann ist Gott alles in allemrdquo (1 Korinther 1527-28 NGUuml)

Hier sehen wir dass alle Dinge Christus unterworfen werden auszliger einem Gott Paulus geht sogar davon aus dass dieser Sachverhalt jedem klar sein sollte oder bdquooffensichtlich istrdquo Wenn in Bezug auf den erhabenen Status Christi der Begriff bdquoallesrdquo verwendet wird bdquoist Gott selbst der alles Christus unterstellt nicht in

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allem eingeschlossenrdquo1073 Viele Trinitarier haben jedoch fuumlr diese Verse eine Er-klaumlrung parat Sie berufen sich auf ihre Uumlberzeugung dass die zweite Person der Dreifaltigkeit bei der Inkarnation in irgendeiner Weise Selbst-Entaumluszligerung geuumlbt habe waumlhrend er auf der Erde war habe sich [Jesus] voruumlbergehend von seinem gleichberechtigten Status mit dem Vater entbunden Obwohl wir diese Behaup-tung in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels noch genauer untersuchen werden koumlnnen wir gleich hier feststellen 1 Korinther 1527-28 sagt der aufer-standene Messias bleibt auch nach seiner dramatischen Erhoumlhung [zu rechten Hand des Vaters] der Untertan Gottes Auch hier spricht die Bibel nirgendwo von der metaphysischen Hierarchie eines Mitglieds des Dreieinigen Gottes das eine unerklaumlrliche Prioritaumlt - voruumlbergehend oder nicht - gegenuumlber einer sekun-daumlren gleichrangigen Person hat Die Sprache der Bibel ist ganz klar Im Detail zeigt Paulus in Kapitel 11 die eindeutige Unterordnung Jesu unter bdquoGottrdquo

Ich will aber dass ihr wisst dass der Christus das Haupt eines jeden Man-nes ist das Haupt der Frau aber der Mann des Christus Haupt aber Gott (1 Korinther 113)

Im 1 Korintherbrief 113 finden wir vielleicht das pointierteste und unentrinn-barste neutestamentliche Beispiel fuumlr die totale Unterordnung und voumlllige Unter-stellung Christi unter Gott Hier haben wir die Gleichung der Beziehung So voll-staumlndig wie jeder Mensch dem auferstandenen Christus unterworfen ist so voll-staumlndig ist auch der auferstandene Christus Gott unterstellt Ebenso lesen wir in 1 Kor 323 bdquoIhr gehoumlrt zu Christus und Christus gehoumlrt zu Gottrdquo

Waumlhrend allgemein Trinitarier behaupten dass Vater und Sohn vollkommen gleichberechtigt und einander ebenbuumlrtig sind offenbart der trinitarische Theo-loge James Hastings in seinem beruumlhmten Hastings Bibelwoumlrterbuch ein gewiszliges Mass an Unsicherheit

Mag sein dass der heilige Paulus nirgendwo Christus bdquoGottrdquo ge-nannt hat Noch deutlicher spricht er in 1 Korinther 113 Das Haupt der Frau ist der Mann und das Haupt Christi ist Gott und in 1 Korinther 1528 stellt er Christus dar wie er das Koumlnigreich Gott uumlbergibt und sich schlieszliglich selbst einem Houmlheren unter-wirft bdquodamit Gott alles in allem sein kannrdquo Der heilige Paulus hilft

1073 bdquoMit keinen anderen Worten so wuumlrde man meinen koumlnnte Christus deutlicher von Gott unterschie-

den und seine Abhaumlngigkeit und Unterodnung erklaumlrt werden und damit zusammenhaumlngend seine Stel-lung denn ein begrenztes sowie abhaumlngiges Wesen muss ein endliches vergaumlngliches Wesen sein und Endliches und Unendliches lassen keinen Vergleich zurdquo (Norton S 29)

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uns vielleicht nicht viel bei der Loumlsung dieses Antinoms [dh dieser Inkonsistenz des Trinitarismus]1074

Nicht nur die apostolischen Schriften zeugen von dieser Ordnung Jesus selbst beteuert stolz seine Unterstellung unter die Gottheit und sagt bdquoDer Vater ist grouml-szliger als ichrdquo (Joh 1428b) und mehr noch bdquoMein Vater ist groumlszliger als allerdquo (Joh 1029) Paulus ist mit diesem Punkt einverstanden nachdem er sowohl Jesus als auch den Heiligen Geist erwaumlhnt hat erklaumlrt er dass es immer noch bdquoeinen Gott und Vater von allen gibt der uumlber alles und durch alles in allem istrdquo (Eph 46) Natuumlrlich stehen die Meinungen von Paulus und Jesus in scharfem Gegensatz zur Orthodoxie die fordert bdquoIn dieser Dreifaltigkeit ist niemand vorher oder nach-her groumlszliger oder kleiner als der andere aber alle drei Personen sind in sich selbst ewig und gleichberechtigtrdquo1075 Aber Jesus gibt uns auch eine verbluumlffende Erklauml-rung fuumlr seine Verbindung zur Gottheit

Jesus sagte zu ihr Halte mich nicht fest denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen Geh aber zu meinen Bruumldern und sag ihnen Ich gehe hin-auf zu meinem Vater und eurem Vater zu meinem Gott und eurem Gottrdquo (Johannes 2017)

Was wir hier haben ist eine weitere Gleichung der Beziehung Die Verbindung zu Gott die Maria und die Juumlnger genieszligen ist die gleiche Verbindung die Jesus hat Der Gott und Vater der Juden ist der Gott und Vater Jesu Interessanterweise spiegelt Christus die Gefuumlhle seiner Vorfahren in dieser Hinsicht wider bdquoDein Gott ist mein Gottrdquo (Ruth 116) Tatsaumlchlich wurde dem Davidischen Messias wie-derholt prophezeit diese ausdruumlckliche Beziehung zum Goumlttlichen zu zeigen

Ich habe meinen Knecht David gefunden ich habe ihn gesalbt mit meinem heiligen Oumll Er wird mich nennen Du bist mein Vater mein Gott und der Hort meines Heils (Psalm 892027)

Jesus selbst bringt klar und deutlich zum Ausdruck dass er einen Gott hat

Um die neunte Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme Eli Eli lema sab-achtani das heiszligt bdquoMein Gott mein Gott warum hast du mich verlas-senrdquo (Matthaumlus 2746)

Werde wach und staumlrke was noch uumlbrig ist was schon im Sterben lag Denn ich habe nicht gefunden dass deine Taten in den Augen meines Got-tes vollkommen sind (Offenbarung 32)

1074 James Hastings Hastingsrsquo Dictionary of the Bible (Grand Rapids Baker Books 1994) pp 707-708 (Has-

tings Bibelwoumlrterbuch) 1075 Das Athanasianische Glaubensbekenntnis ca 500 n Chr

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bdquo hellip den werde ich zu einer Saumlule im Tempel meines Gottes machen hellip Und ich werde auf ihn den Namen meines Gottes schreiben und den Na-men der Stadt meines Gottes des neuen Jerusalem das aus dem Himmel herabkommt von meinem Gott und auch meinen neuen Namen(Offenba-rung 312)

Die Frage ist jetzt offensichtlich Wie kann Jesus der eine Gott sein und einen Gott haben wenn es nur einen Gott gibt Wenn wir einfachen Worten eine houmlhere Bedeutung beimessen wollen muumlssen wir dafuumlr uumlberaus gute und stichhaltige Gruumlnde haben Unsere Schlussfolgerungen daruumlber was Jesus wirklich meint wenn er behauptet einen Gott zu haben sollten durch die Bibel selbst untermau-ert werden Unterstuumltzen die Apostel in ihren Schriften Jesu Anspruch einfach bdquoeinen Gott zu habenrdquo so sicher wie sie selbst ohne Einschraumlnkung

Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus der Vater der Erbarmungen und Gott allen Trostes (2 Korinther 13)

Der Gott unseres Herrn Jesus Christus der Vater der Herrlichkeit euch gebe den Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst (Epheser 117)

Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus der nach seiner groszligen Barmherzigkeit uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten (1 Peter 13)

Die Apostel waren uumlberzeugt dass selbst der auferstandene Christus denselben Gott wie sie verehrte Dies ist unbestreitbar Das Gleiche aber nicht fuumlr Trinita-rier gesagt werden Sie scheinen Schwierigkeiten zu haben mit einem einfachen Vorschlag Auf die Frage ob Jesus einen Gott hat gibt es trinitarische Apologe-ten die sagen bdquoDie Antwort auf diese Frage ist ja und neinrdquo1076 In ihrem Argu-ment ist es nur weil Jesus (Gott) eine menschliche Natur angenommen hat dass er bdquojemanden brauchte den er seinen Gott nennen koumlnnterdquo1077 Es ist ganz klar diese trinitarische Ansicht bietet in Wirklichkeit in keinem praktischen Sinne ei-nen wahren Gott fuumlr Jesus Der Jesus der Dreifaltigkeit kann Gott nicht so anru-fen wie es jeder andere Mensch tut von einer Position der Unterordnung aus oder in der Not In unerklaumlrlicher Weise ruft er Gott von einem Standpunkt der Mitberechtigung aus an vielleicht in einem oberflaumlchlichen oder metaphysischen Sinne Hier ist Jesus paradoxerweise sowohl abhaumlngig wie auch der von dem alles abhaumlngt Natuumlrlich ist diese Idee nirgendwo in der Schrift zu finden Sie ist eine

1076 Matt Slick ldquoDoes Jesus Have a Godrdquo Christian Apologetics and Research Ministry Web 24 October

2014 lthttpcarmorgdoes-jesus-have-a-godgt 1077 Ebenso unsere Hinzufuumlgung

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seltsame Demonstration Christi am Kreuz die den Ruf der Verzweiflung an sei-nen Gott (bdquoMein Gott mein Gott warum hast du mich verlassenrdquo) ohne Ver-trauen auf eine houmlhere Macht erscheinen laumlsst

Den evangelikalen Verteidigern die sagen dass Jesus Gott bdquonur von seiner menschlichen Natur ausrdquo gerufen habe und es sich sehr wohl um eine echte An-rufung gehandelt habe sei gesagt dass er damit ihrer Meinung nach noch immer nicht mit der Gesamtheit seiner Person gerufen haumltte denn eine abstrakte mensch-liche Natur kann keinen Gott haben nur eine Person kann und wie die Trinitarier behaupten ist die Persoumlnlichkeit Christi bdquodie Persoumlnlichkeit der ewigen zweiten Person der Trinitaumlt Der vollkommen goumlttliche Sohn ist die Personrdquo1078 Wenn sie also bekennen dass seine Abhaumlngigkeit von Gott nur bdquoin seiner menschlichen Naturrdquo lag ist anzunehmen dass houmlchstwahrscheinlich ein Bruch mit der Ortho-doxie vorliegt

Unter Bezugnahme auf die nestorianische Kontroverse die im Mittelpunkt des orthodoxen Konzils von Ephesus im Jahre 431 n Chr stand wurde die Idee dass die menschliche und goumlttliche Natur Christi in seiner Person getrennt waren als ketzerisch bezeichnet Nestorius wurde verflucht weil er sich nicht dazu durchringen konnte Maria die bdquoMutter Gottesrdquo zu nennen Er nannte sie statt-dessen die bdquoMutter Christirdquo was bedeutet dass sie die Mutter lediglich der menschlichen Natur und nicht auch der goumlttlichen Natur war Aber die orthodo-xen Vertreter argumentierten die beiden Naturen Christi seien zwangslaumlufig mit-einander vereint gewesen Maria sei die Mutter beider Naturen da beide gleich-zeitig [durch sie] die Geburt erlebten Das spaumltere Konzil von Chalcedon im Jahre 451 n Chr verfestigte fuumlr die Orthodoxie die Auffassung dass bdquoder eine Mensch Jesus Christus zwei Naturen hat und dass diese beiden Naturen organisch und unloumlsbar miteinander vereint sindrdquo1079 Was der orthodoxe Trinitarismus hier ei-gentlich bekennt ist dass die menschliche und goumlttliche Natur so vereint sind dass die eine Seite keine Erfahrung machen kann waumlhrend die andere Seite voumlllig losgeloumlst davon unberuumlhrt bleibt Dies wuumlrde wie die Synoden argumentierten zwei verschiedene Personen in Christus voraussetzen Deshalb kann die eine Per-son Jesu nicht nur in der einen Natur einen Gott haben nicht aber in der anderen Wenn Maria die wahre Mutter der Natur Gottes ist dann ist derjenige der Vater genannt wird auch der wahre Gott der Natur Gottes Im orthodoxen Modell hat Gott unerklaumlrlicherweise einen Gott Daruumlber hinaus wurde Gott geboren ver-sucht ermuumldete erlangte Reife litt Schmerzen und nahm zu an Weisheit und

1078 David Mathis ldquoEnhypostasis What Kind of Flesh Did the Word Becomerdquo Desiring God 25 De-

cember 2010 Web Accessed 27 July 2015 lthttpwwwdesiringgodorgarticlesenhypostasis-what-kind-of-flesh-did-the-word-becomegt

1079 Augustus H Strong Systematic Theology (Philadelphia Judson Press 1985) p 673

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Verstand Trotz der Unpopularitaumlt dieser Vorstellungen bei vielen modernen Evangelikalen sind dies die Implikationen der Orthodoxie

Viele derselben christlichen Mainstream-Theologen die andere Christen als bdquoket-zerischrdquo bezeichneten weil sie sich nicht an die Konzilsbeschluumlsse hielten haben sich als ebenso unorthodox erwiesen indem sie sich fuumlr nestorianische oder semi-nestorianische Ansichten uumlber die duale Natur [Jesu] eingesetzt haben Wie wir in fruumlheren Kapiteln gesehen haben lehren Evangelikale wie R C Sproul dass bdquodie Suumlhne durch die menschliche Natur Christi erfolgt ist der Tod ist etwas das nur von der menschlichen Natur erfahren wirdrdquo1080 Aber ist das nicht die bdquoHaumlresierdquo von Nestorius der behauptete dass bdquoder nur menschliche Aspekt Christi am Kreuz gestorben ist aber nicht der goumlttlicherdquo1081 Unglaublich Waumlh-rend Sproul Nestorius als ketzerisch brandmarkt und den Triumph des Konzils lobt das ihn als Ketzer verdammt hat fragen wir uns ob Sproul faumlhig ist sich und seine eigenen Gedanken als Haumlresie zu erkennen1082 Wie Hilarius so poin-tiert bemerkte bdquoWir verurteilen entweder die Lehre der anderen in uns selbst oder unsere eigene in der Lehre der anderenrdquo1083 Das war so scheint es die Stan-dardpraxis fuumlr trinitarische Gelehrte die trotz ihres oumlffentlichen Bekenntnisses zu einer groszligen oumlkumenischen Einheit bis heute keine umfassende Harmonie zwischen sich und den schwierigen Fragen der Orthodoxie erreichen konnten1084 Im Gegensatz zu der Vorstellung dass nur die menschliche Natur Jesu am Kreuz starb sagt uns das Neue Testament dass bdquowir durch den Tod seines Sohnes mit Gott versoumlhnt wurdenrdquo (Roumlmer 510) Es war also keine bdquoNaturrdquo sondern bdquoder Sohnrdquo selbst der starb Eine bdquomenschliche Naturrdquo kann nicht fuumlr die Suumlnden des Volkes suumlhnen nur die menschliche Person der Sohn selber Er hatte sich zur Ausfuumlhrung des Heilsplans Gottes qualifiziert (Hebraumler 217-18)

1080 R C Sproul ldquoDid God Die on the Crossrdquo Ligonier Ministries Web 27 October 2014

lthttpwwwligonierorgblogit-accurate-say-god-died-crossgt (Ist Gott am Kreuz gestorben 1081 bdquoNestorian Christianityrdquo New World Encyclopedia Web 27 October 14 1082 R C Sproul ldquoNone Dare Call It Heresyrdquo Ligonier Ministries Web 27 October 2014

lthttpwwwligonierorglearnarticlesnone-dare-call-it-heresygt (Keiner wagt es Haumlresie zu nennen) 1083 Hilarius Ad Constantium I 1084 Es ist wichtig zu beachten traditionell gesehen dass der roumlmische Katholizismus das protestantische

Christentum die griechische Orthodoxie die orientalische Orthodoxie der oumlstliche Katholizismus usw alle behaupten an die Lehre der Dreifaltigkeit zu glauben sich aber in den Definitionen Prinzipien und Dogmen aus denen diese Doktrin besteht stark unterscheiden Ihre Gelehrten sehen sich in vielen ihrer Lehren uumlber die Natur Christi in der Regel als ketzerisch an doch heute finden sich ihre Gemeinschaften die sich allgemein als mehr oder weniger legitime Christen einschaumltzen waumlhrend die anderen Christen die das Trinitaumltsdogma insgesamt verneinen marginalisiert oder noch schlimmer behandelt werden Es wird uns obliegen die Fassade der vollkommenen christlichen Einheit auf dem bdquoorthodoxen Trinitaris-musrdquo staumlndig zu erhellen und eine Illusion zu beseitigen die nur durch Tabu und Unwissenheit hergestellt und verewigt worden ist

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Letztendlich erweist sich die Unterordnung Christi (Subordination) unter Gott im Neuen Testament als gut begruumlndet und erklaumlrt Die subordinationistischen Urchristen - die Nazarener die Theodotianer die Artemoniten die Paulianisten die Photinier und andere - hatten Recht als sie behaupteten an der Lehre der fruumlhesten Jesusgemeinschaft in diesem Punkt festgehalten zu haben Aber wieso beharren diese historischen Gruppen auf Jesus als erhabene [erhoumlhte] menschliche Figur Stimmen ihre Ansichten auch in diesem Punkt mit dem neutestamentli-chen Zeugnis uumlberein

DerMenschderMittlerSeit der Katastrophe im Garten Eden braucht die Menschheit einen Vermittler um den Abgrund zu uumlberbruumlcken welcher sich durch der Menschen Suumlnde gegen den heiligen Gott aufgetan ist Hiob beklagte seine Trennung von Gott bdquoGaumlbe es doch einen Schiedsmann zwischen uns dem wir uns alle beide beugen muumlssten rdquo (Hiob 933 GNB) Die unabdingbare Vermittlung zwischen Gott und den Menschen war ein wichtiges Thema des Apostels Paulus und er schreibt an die Galater bdquoEs braucht aber keinen Vermittler wenn [nur] eine einzige Person handelt und Gott ist doch Einerrdquo (Galater 320 ELB) Wie bereits erwaumlhnt uumlbersetzt die moderne Amplified Bible auf Englisch tatsaumlchlich bdquoGott ist nur eine Personrdquo Obwohl eine trinitarisch ori-entierte Uumlbersetzung ist sie darauf bedacht die volle Bedeutung des Originaltex-tes zu vermitteln In Galater 320 lesen wir in dieser Version allerdings eine Aus-sage mit der die trinitarische Theologie vehement nicht einverstanden sein kann Die beiden in diesem Abschnitt erwaumlhnten Parteien die eine Vermittlung benouml-tigen sind auf der einen Seite Gott und auf der anderen die Menschheit Die Frage draumlngt sich nun auf Zu welcher Partei gehoumlrt nun der Vermittler Jesus Christus Ist er Gott und repraumlsentiert er die Partei Gottes Oder ist er Mensch der die Partei der Menschen vertritt Vielleicht ist er irgendwie beides

Paulus macht in seinem ersten Brief an Timotheus eine praumlgnante und bewegende Ankuumlndigung bdquoDenn es gibt einen Gott und einen Mittler zwischen Gott und den Menschen den Menschen Christus Jesusrdquo (1 Timotheus 25) Hier definiert Paulus Jesus als den Menschen der zwar zwischen den beiden Parteien steht aber nicht als hybriden Gott-Menschen sondern explizit als Vertreter der Menschheit Die Mehrheit der christlichen Kirchen weicht in dieser Hinsicht heute von Paulus ab Die Southern Baptist Convention erweitert freimuumltig die Aussage des Paulus und sagt dass es bdquoden einen Vermittler gibt wahrer Gott wahrer Menschrdquo1085 Sie finden die Worte des Paulus offensichtlich unzureichend als ob er andere grundlegende Daten ver-

1085 ldquoThe Baptist Faith amp Messagerdquo SBC Official Website of the Southern Baptist Convention Web 5

May 2013 lthttpwwwsbcnetbfmbfm2000aspIgt unsere Hinzufuumlgung

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nachlaumlssigt oder gar nicht gewusst haumltte In der Tat wie oft houmlren wir von trini-tarischen Apologeten dass Jesus sowohl Gott als auch Mensch gewesen sein muumlsse um sich als Vermittler zu qualifizieren1086 Aber das ist nicht die einfache verstaumlndliche Forderung des Paulus Die einzige neutestamentliche Bedingung fuumlr den Messias um sich als Fuumlrsprecher [Mittler] zu qualifizieren ist dass er ganz Mensch war

bdquoDaher musste er in allen Dingen seinen Bruumldern gleich werden auf dass er barmherzig wuumlrde und ein treuer Hoherpriester vor Gott zu versoumlhnen die Suumlnden des Volksrdquo (Hebraumler 217)

Als Gott den Messias zeugteerschuf war er bdquoin jeder Hinsichtrdquo (Schlachter 2000) Mensch Er bdquomusste seinen Geschwistern in jeder Hinsicht gleich werdenrdquo (NeUuml) dh wenn der Messias wirklich ein Engel gewesen waumlre oder ein Gott-Mensch-Hybrid der eine menschliche und eine goumlttliche Natur zwei Verstandes-ebenen und zwei Willen beherbergte oder wenn er selbst der allmaumlchtige ewige Gott gewesen waumlre haumltte ihn dies [fuumlr das Amt des Hohepriesters] disqualifiziert Wenn jemand im Namen der Menschheit zwischen den Menschen und Gott ver-mittelt dh um ein Priester zu sein muss er ausschlieszliglich aus dem Kreis der Menschheit stammen Das Neue Testament bestaumltigt diese Auffassung Was Je-sus als Hoherpriester betrifft so lesen wir

bdquoWir wollen also voll Zuversicht vor den Thron unseres gnaumldigen Gottes treten damit er uns sein Erbarmen schenkt und uns seine Gnade erfahren laumlsst und wir zur rechten Zeit die Hilfe bekommen die wir brauchen Ein Hoherpriester ist jemand der aus dem Kreis seiner Mitmenschen her-ausgerufen und fuumlr seine Mitmenschen eingesetzt wird mit dem Auftrag vor Gott fuumlr sie einzutreten und fuumlr ihre Suumlnden Gaben und Opfer darzubrin-genrdquo (Hebraumler 416 51)

In der Uumlbersetzung Hoffnung fuumlr Alle (HFA) lesen wir folgende Version bdquoJeder Mensch der zum Hohenpriester ernannt wird ist zum Dienst fuumlr Gott eingesetzt stellvertretend fuumlr seine Mitmenschenrdquo Menge uumlbersetzt den Vers wie folgt bdquoDenn jeder aus der Zahl der Menschen genommene Hohepriester wird fuumlr Men-schen zum Dienst vor Gott eingesetztrdquo Die Ebene der Menschheit und keiner anderen sonst ist die Gattung aus der bdquojeder Hohepriester ausgewaumlhlt wirdrdquo Ein

1086 Die Kommentare des Trinitariers Warren Wiersbe sind bezeichnend bdquoAls Gott-Mensch ist Jesus

Christus der perfekte Vermittler zwischen dem heiligen Gott und seinen misslungenen Kindern Keine andere Person kann sich qualifizieren Jesus Christus ist sowohl Gott als auch Mensch rdquo (Warren Wiersbe Epheser durch Offenbarung Band 2 (David C Cook 2003) S 216) Beachten Sie auch die unglau-bliche Abhandlung eines oumlsterreichischen Professors bdquoPaulus Bezug auf Ihn als den bdquoMenschen Christus Jesusrdquo druumlckt seine einzigartige Eigenschaft aus sowohl menschlich als auch goumlttlich zu seinrdquo (Martin Probstle Where God and I Meet the Sanctuary (Hagerston Review and Herlad Publishing 2013) Eine solche goumlttliche Natur wird von Paulus jedoch nicht angegeben

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richtiges Verstaumlndnis des mediatorischen Konzepts des Paulus in 1 Timotheus 25 ist grundlegend fuumlr das Verstaumlndnis nicht nur der Beziehung Christi zu Gott sondern auch der Beziehung des Menschen zu Gott durch Christus Wir muumlssen darauf achten dass wir seine genauen Worte nicht aufheben oder unsere eigenen Gedanken und chronologisch inkonsistente Dogmen nicht in seine Formeln ein-bringen Der katholische Priester und Professor Raymond Collins gibt einen

Mit dem Nachhall des juumldischen Shema (2 Mose 64) und des hym-nischen Bekenntnisses des Paulus (1 Kor 86) [Denn es gibt einen Gott den Vater und einen Herrn Jesus Christus] bekraumlftigt der Pastor [der Apostel Paulus] die Einzigartigkeit Gottes und weiter dass es nur einen Vermittler zwischen Gott und den Menschen gibt Der Pastor [der Apostel Paulus] verwendet das Substantiv anthropos bdquoMenschrdquo bdquoeine Personrdquo um Menschen zu bezeichnen Sein Gebrauch folgt der Praxis anderer neutestamentlicher Auto-ren die diesen Oberbegriff regelmaumlszligig verwenden um Menschen als von Gott verschieden zu bezeichnen Im gesamten Neuen Tes-tament steht der bdquoMenschrdquo (anthropos) immer in explizitem oder im-plizitem Kontrast zu bdquoGottrdquo (theos) Indem er die Menschlichkeit des Mediators bekraumlftigt bevor er ihn identifiziert zeigt der Medi-ator seine versoumlhnende Absicht Der Mediator ist kein vergoumlttlich-ter Imperator [ein Gott-Mensch]1087 der Mediator ist ein Mensch Dann und erst dann identifiziert der Pastor [der Apostel Paulus] den Vermittler als Christus Jesus die Menschlichkeit von Chris-tus Jesus ist ein sehr wichtiger Faktor im theologischen Schema des Pastors [des Apostels Paulus] Dies liegt an der subtilen Polemisie-rung gegen die Vergoumlttlichung der [roumlmischen] Kaiser sowie an sei-ner radikal juumldischen Sichtweise von Gott - einzigartig dynamisch und transzendent Es unterstreicht auch die Solidaritaumlt Christi Jesu mit der gesamten Menschheit soweit er ein Mensch ein anth-ropos einer unter und in der Beziehung zu anderen Menschen ist1088

Collins Bezugnahme auf das Argument von Paulus gegen vergoumlttlichte Kaiser1089 erinnert an unsere fruumlhere Studie im ersten Teil in der es darum ging dass die

1087 bdquoRoumlmische Kaiser wie auch die heidnischen babylonischen aumlgyptischen und griechischen Koumlnige vor

ihnen wurden von vielen als die lebendige Verkoumlrperung ihrer Goumltter oder der Gottmenschen angesehenrdquo (Steve Urick Major Cults and False World Religions (Bloomington Authorhouse 2014 [2011]) p 222)

1088 Raymond F Collins First and Second Timothy and Titus A Commentary (Louisville Westminster John Knox Press 2002) pp 60-61 unsere Hinzufuumlgung

1089 Alexander war der erste Grieche der behauptete er sei tatsaumlchlich als Sohn eines Gottes geboren worden Er konnte die Griechen nicht uumlberzeugen aber in Aumlgypten waren die Ptolemaumler erfolgreicher

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aumlgyptischen Koumlnige als goumlttliche Inkarnationen anerkannt wurden als vermit-telnde Gottmenschen Eine Enzyklopaumldie zeigt das

Der roumlmische Kaiserkult laumlsst sich bis ins antike Aumlgypten zuruumlck-verfolgen wo der Pharao Jahrtausende lang als ein inkarnierter [fleischgewordener] Gott galt Nachdem Alexander der Groszlige sein mazedonisch-griechisches Reich gegruumlndet hatte eroberte er auch Aumlgypten wo ihn ein Orakel zum Gott erklaumlrte Der Herrscherkult wurde in den Koumlnigreichen verbreitet [Die Errungenschaften des roumlmischen Kaisers Augustus] waren ein Beweis dafuumlr dass eine Gottheit in ihrem Kaiser praumlsent war [und] der Senat verfuumlgte dass Augustus nach seinem Tod ein Gott war (14 n Chr) Der Kult spielte eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der roumlmischen Zivi-lisation bei der Foumlrderung des Buumlrgerstolzes und der Treue zur rouml-mischen Herrschaft bei der Assimilation des traditionellen Poly-theismus [Vielgoumltterkults] und im Wettbewerb mit den Behauptun-gen des [orthodoxen] Christentums dass Jesus Christus der fleisch-gewordene [inkarnierte] Gott sei1090

Der Gottmensch Augustus war derselbe Kaiser der zum Zeitpunkt der Geburt Christi in Judaumla in der Bibel erwaumlhnt wurde (Lukas 21) die Tradition des Gott-menschen wurde also zum Zeitpunkt des Schreibens des Paulus gepflegt1091 und wie Collins feststellte ist es genau ein solches vermittelndes Wesen sowohl goumltt-lich als auch menschlich gegen das Paulus wohl im 1 Timotheus 25 argumen-tiert Das Christentum des Paulus konkurriert nicht um Aufmerksamkeit mit den Gottmenschen der Heiden denn Paulus ist der Mensch und nur der Mensch Jesus der dem groszligen und transzendenten Gott den Dienst im Namen seiner Bruumlder anbietet Dennoch wie Historiker festgestellt haben bdquowurde Jesus als

bei der Annahme der Goumlttlichkeit Sie nutzten die Tradition dass der Pharao der Sohn des Gottes Amun war rdquo (Freeman Closing of the Western Mind S 40) bdquoDer erste roumlmische Kaiser Octavian war maszliggeblich an der Entstehung des Reichskultes beteiligt der lebende Kaiser mit den Goumlttern verband er wurde als Sohn von Julius Caumlsar adoptiert der die Abstammung von der Venus und den Koumlnigen Roms beanspruchte Caumlsar wurde als Gott anerkannt und machte Octavian so zu einem divi filius (Sohn eines Gottes)rdquo (Michael Bland Simmons Holy People of the World A Cross-cultural Encyclopedia Vol 1 (Oxford ABC-CLIO 2004) p 83) Gaius Caligula Nero und Domitian sind vielleicht die besten Beispiele fuumlr roumlmische Kaiser die angeblich Goumltter sind man erinnert sich auch an die Bemerkung des Kaisers Vespasian uumlber sein Sterbebett bdquoVae puto deus fiordquo oder bdquoWeh ich glaube ich werde zu einem Gottrdquo (M F Wiles Studia Patristica Vol 34 (Oxford 1999) p 204)

1090 Simmons p 83 unsere Hinzufuumlgung 1091 Muumlnzen die Octavians goumlttlichen Status verkuumlnden tauchen um 38 v Chr auf und der Titel bdquodivi

filiusrdquo beginnt von ihm ab 40 v Chr verwendet zu werden Nach seinem Tod im Jahre 14 n Chr wurde er zum bdquointer deos relatesrdquo (unter den Goumlttern eingetragen) Es wird angenommen dass die ersten Schriften des Paulus um 52 und die neuesten um 64 n Chr entstanden sind Zur Datierung der pau-linischen Briefe siehe Raymond E Brown An Introduction to the New Testament (New York Doubleday 1997) p 424

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Mittler zwischen Mensch und Gott durch die spaumltere Lehre der Dreifaltigkeit in den Hintergrund gedraumlngt indem er erklaumlrte dass er ein wesentlicher Bestandteil der Gottheit seirdquo1092

Das Gesetz der Handlungsvollmacht

Ein wichtiges Konzept wenn wir den Jesus des Neuen Testaments verstehen wollen ist ein juumldisches Prinzip das als bdquodas Gesetz der Handlungsvollmacht bekannt istrdquo1093 Das Konzept wird in der Regel so zusammengefasst Der Agent eines Menschen ist gleichbedeutend mit dem Auftraggeber Wenn Gott einem Agenten Autoritaumlt uumlbertraumlgt kann dieser Agent selbst bdquoGottrdquo genannt werden Er kann im Namen Gottes als Gott sprechen und handeln Dieses uralte Prinzip wurde von den Juden in der Zeit des Zweiten Tempels haumlufig zitiert und allge-mein verwendet Es wurde in sozialen Situationen eingesetzt in denen ein Mann einen anderen in seinem Namen senden kann um Geschaumlfte zu machen Es ist auch in biblischen Kommentaren erklaumlrt1094 Wie McGrath bemerkt

Die Handlungsvollmacht war in der Antike ein wichtiger Bestand-teil des Alltags Personen wie Propheten und Engel die in der Juuml-dischen Schrift erwaumlhnt werden wurden als bdquoAgentenrdquo Gottes an-gesehen Und die Schluumlsselidee bezuumlglich des Handelns in der An-tike scheint in dem Satz aus der rabbinischen Literatur zusammen-gefasst zu sein der in diesen Kontexten so oft zitiert wird bdquoDerje-nige der geschickt wurde ist wie derjenige der ihn geschickt hatrdquo Das Ergebnis ist dass der Agent nicht nur goumlttliche Funktionen erfuumlllen sondern auch in goumlttlicher Sprache dargestellt werden kann auf dem Thron Gottes oder neben Gott sitzt und sogar den goumlttlichen Namen traumlgt1095

1092 Freeman Closing of the Western Mind p 117 1093 Die Juumldische Enzyklopaumldie definiert auf diese Weise das hebraumlische Gesetz des Handelns auch

bekannt als bdquoShaliahrdquo bdquoDas Gesetz der Agentur (Vollmacht) befasst sich mit dem Status einer Person (bekannt als der Vertreter) die auf Anweisung eines anderen (des Auftraggebers) handelt und damit den Auftraggeber in seinem Zusammenhang mit einer dritten Person rechtsverbindlich macht Die Person die einen Auftraggeber auf diese Weise bindet ist sein Vertreter der im juumldischen Rechtssystem als Sheluah oder Shaliah bekannt ist (einer der gesandt wird) die Beziehung des Ersten zu dem Letzteren wird als Agentur (Shelihut) bezeichnet Das allgemeine Prinzip wird so formuliert Der Agent eines Mannes ist wie er selbst (Kid 41b)rdquo (Lewis N Dembitz ldquoLaw of Agencyrdquo Jewish Encyclopedia 1906 p 232)

1094 Siehe versch Rabbinische Quellen (b Nazir 12b m Ber 55 b B Mes 96a b Qidd 42b 43a b Menah 93b etc) Siehe Oxford Dictionary of the Jewish Religion (New York OUP 2011) p 24

1095 James F McGrath The Only True God Early Christian Monotheism in its Jewish Context (Urbana and Chicago The University of Illinois Press 2009) p 14 (Der einizig wahre Gott Fruumlhchtristlicher Monotheismus im Juumldischen Kontext)

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Ein Beispiel fuumlr dieses Prinzip in der Praxis des Alten Testaments ist Mose bdquoDa sprach Jahwe zu Mose Siehe ich habe dich fuumlr den Pharao zum Gott eingesetzt und dein Bruder Aaron soll dein Prophet seinrdquo (2 Mose 71) ein weiteres Beispiel sind die Fuumlrsten und Richter Israels bdquoIch sagte sbquoIhr seid Goumltterrsquo ihr seid alle Soumlhne des Allerhoumlchstenrdquo (Psalm 826 Johannes 1034) Diese Personen die mit der Autoritaumlt Gottes ausgestattet waren sollten von den Parteien zu denen sie gesandt wurden mit dem Titel sbquoGottsbquo angesprochen werden1096

Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament werden der Auftraggeber und sein Vertreter so sehr identifiziert dass sie im Text manchmal fast durcheinander geraten Zum Beispiel sagt JHWH in 2 Mose 717 bdquoSiehe ich will mit dem Stab der in meiner Hand ist auf das Wasser im Nil schlagenrdquo Aber in Vers 19 lesen wir dass es Aaron ist der tatsaumlchlich seinen Stab nahm und uumlber den Nil aus-streckte Vers 25 kommt zu dem Schluss dass bdquoJahwe den Nil getroffen hatterdquo Im Matthaumlusevangelium lesen wir dass ein roumlmischer Hauptmann kam um mit Jesus zu sprechen (Matthaumlus 85) Aber in Lukas 73 lesen wir dass der Centurio des roumlmischen Heeres juumldische Aumllteste geschickt hatte um mit Jesus in seinem Namen zu verhandeln Matthaumlus sieht die Agenten (die Aumlltesten) so als waumlren sie der Hauptmann (der Centurio) und er [Jesus] handelte mit den Boten wie wenn sie der Centurio persoumlnlich waumlren

Wir begegnen diesem Prinzip der Handlungsvollmacht mehrmals in den neutes-tamentlichen Lehren Jesu1097 Das Verstaumlndnis dieses wichtigen Verfahrens klaumlrt einige der ansonsten potenziell raumltselhaften Aspekte der Evangeliumsgeschichte Die erstaunlichen Wunder Christi seine Verkuumlndigungen des Gerichts und der Vergebung - alles wurde ausdruumlcklich erfuumlllt weil Jesus bdquoim Namenrdquo (in der Au-toritaumlt Gottes) kam1098 Waumlhrend das Johannesevangelium haumlufig als Beweis fuumlr die Gottheit Jesu oder seine Identifikation mit Gott angefuumlhrt wird haben Wis-senschaftler festgestellt dass es insbesondere im vierten Evangelium uumlberaus wichtig ist Jesus nicht selbst zu Gott zu machen sondern ihn als Vertreter Gottes zu unterscheiden Jesus erfuumlllt Gottes Willen (434) spricht Gottes Worte (828) und gehorcht den Geboten Gottes (1431) Wie Marianne Meye Thompson be-staumltigt

Jesus wird im Evangelium [des Johannes] vor dem Hintergrund des juumldischen Handlungskonzepts und daruumlber hinaus vor der Tatsa-che dass es einen Hauptagenten gibt durch den Gott handelt [den

1096 Siehe 2 Mose 416 71 216 228-9 Psalm 456 581 826 Johannes 1034 1097 Siehe Matthaumlus 1040 Markus 937 Lukas 948 1016 Johannes 1320 1098 Jesus wird ausdruumlcklich sowohl von ihm selbst als auch von der Menge die ihn liebte als ein Koumlnig

identifiziert der in der Autoritaumlt Jahwes gesandt worden war bdquoDenn ich sage euch ihr werdet mich erst wieder sehen wenn ihr sagt rsquoGesegnet ist der da kommt im Namen des Herrnlsquo (Matthaumlus 2329) sbquoGe-segnet ist der Koumlnig der im Namen des Herrn kommtlsquo

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Messias] Weil Jesus der Hauptagent Gottes ist wenn man ihm gegenuumlbertritt konfrontiert man Gott1099

Tatsaumlchlich betont der johanneische Jesus immer wieder diesen Punkt bdquoWer mich sieht sieht den der mich gesandt hatrdquo (Johannes 1245 ELB) bdquoWer mich gesehen hat hat den Vater gesehenrdquo (Johannes 149 ELB) Dieses bdquoGesetz der Handlungsvollmachtrdquo wird auch im weiteren Verlauf unserer Untersuchung eine wichtige Rolle spielen und sich letztendlich als die beste Methode zur Interpreta-tion der Jesus-Geschichte im juumldischen monotheistischen Kontext erweisen

MeshiachbenJosephwieistChristiUnterordnungundseineRollezuverstehenEs gibt eine nuumltzliche biblische Illustration um Jesu hierarchische Stellung unter Gott als seinem Agenten und seine funktionale Gleichheit mit ihm weiter zu ver-stehen die alttestamentliche Erzaumlhlung uumlber Joseph

Gemaumlszlig einer rabbinischen Tradition nahmen Schriftgelehrte die die messiani-schen Prophezeiungen der Schrift untersuchten aufgrund ihrer radikal unter-schiedlichen Rollen tatsaumlchlich wahr was sie von mehr als einen Messias ausgin-gen Zwei dieser eschatologischen Figuren wurden bdquoMessias ben Davidrdquo und bdquoMessias ben Josephrdquo genannt Diese hypothetischen Charaktere wurden auf-grund der prophetischen Typologie welche die biblischen Persoumlnlichkeiten Da-vid und Joseph umgab so genannt Zum Beispiel wurde bdquoMessias ben Davidrdquo als bdquoder erobernde Koumlnig von Israelrdquo anerkannt waumlhrend bdquoMessias ben Josephrdquo bdquoder leidende Dienerrdquo war1100 Diejenigen die Jesus von Nazareth als Messias akzeptieren werden diese beiden typologischen Figuren in ihm schnell erkennen Die meisten Juden die auf den Messias warten scheinen jedoch nur den bdquoer-obernden Koumlnigrdquo im Sinn zu haben Deshalb waren und sind vielleicht so viele schockiert dass der Messias der fuumlr sie unverzuumlglich die Roumlmer haumltte erobern sollen an einem roumlmischen Kreuz hingerichtet wird Doch selbst in dieser rabbi-nischen Tradition wurde erwartet dass bdquoMessias ben Josephrdquo zuerst auf den Schauplatz kommt nur um dann tatsaumlchlich getoumltet zu werden bevor bdquoMessias ben Davidrdquo kommt um das Koumlnigreich Gottes auf Erden einzuweihen1101 Auch

1099 Marianne Meye Thompson Dictionary of Jesus and the Gospels (Downerrsquos Grove IVP 1992) S 377

Dieses Prinzip zu verstehen bedeutet bdquoden Agenten wie denjenigen zu sehen der ihn geschickt hatrdquo und es wird hilfreich sein wenn wir die Worte von Thomas in Johannes 2028 in Kapitel 12 dieses Buches betrachten

1100 Siehe John Parsons ldquoMashiach ben Yosef Joseph as a Type of Messiahrdquo Hebrew for Christians Web 29 October 2014 (Mashiach ben Yosef Joseph als Typus des Messias Hebraumlisch fuumlr Christen)

1101 Siehe Gerald J Blidstein ldquoMessiah in Rabbinic Thoughtrdquo Jewish Virtual Library and Encyclopedia Judaica The Gale Group 2008 Web 2 December 2012 See also Markus Bockmuehl James Carleton Paget (ed) Redemption and Resistance The Messianic Hopes of Jews

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hier erkennen Christen diese Dinge in der Person Jesu als selbstverstaumlndlich an aber fuumlr viele Juden sind sie dennoch schwierig zu begreifen

In der Wahrnehmung des biblischen Joseph als archetypischen Messias entde-cken wir eine reiche Parallele zu unserer Untersuchung Joseph der zu Unrecht dazu verurteilt wurde neben zwei Verbrechern im Land Aumlgypten zu leiden (1 Mose 402-3) wurde aus der Grube erhoben und mit feinem Leinentuch versehen (1 Mose 4142) so wie Jesus zwischen zwei Verbrechern gekreuzigt wurde aus dem Grab auferweckt und mit Unsterblichkeit bekleidet wurde (Matthaumlus 286) Ebenso kroumlnte der Pharao Joseph nach der bdquoAuferstehungrdquo mit Ehre und Macht und ernannte ihn zum Stellvertreter [des Pharaos] in Aumlgypten (1 Mose 4139-45) Wie Psalm 10521 erinnert setzte der Pharao Joseph zum bdquoHerrnrdquo und bdquoHerr-scher uumlber all seinen Besitzrdquo ein Ebenso erhoumlhte Gott Jesus zum bdquoHerrnrdquo und bdquoMessiasrdquo (Apg 236) und gab ihm bdquoalle Machtrdquo (Matthaumlus 2818) In der Jo-sephsgeschichte entdecken wir leicht dasselbe Muster des Machtverhaumlltnisses zwischen dem erhoumlhten Jesus und seinem Gott

bdquoDu sollst mein Stellvertreter sein und mein ganzes Volk soll deinen An-ordnungen gehorchen Nur die Koumlnigswuumlrde will ich dir voraushaben Ich gebe dir die Vollmacht uumlber ganz Aumlgypten Mit diesen Worten zog er seinen Siegelring vom Finger und steckte ihn Josef an Dann lieszlig er ihn in feinstes Leinen kleiden und legte ihm eine goldene Halskette um Er lieszlig ihn den Wagen besteigen der fuumlr den Stellvertreter des Koumlnigs bestimmt war und die Laumlufer die vor ihm her den Weg bahnten riefen den Leuten zu bdquoAb-rek Aus dem Wegldquo So machte der Pharao Josef zum Herrn uumlber ganz Aumlgypten sbquoIch bin und bleibe der Pharaolsquo sagte er zu ihm sbquoaber ohne deine Erlaubnis darf niemand im ganzen Land auch nur die Hand oder den Fuszlig bewegenlsquo Er verlieh Josef den Namen Zafenat-Paneach und gab ihm Asenat die Tochter des Priesters Potifera von On zur Frau So wurde Josef Herr uumlber ganz Aumlgyptenrdquo (1 Mose 4140-45 NET)

Joseph erhielt den Status der houmlchsten Ehre und Macht und wurde sogar dem Pharao im Staat funktional gleichgestellt Obwohl Joseph die Macht des Pharaos uumlber alle Menschen in Aumlgypten erhielt blieb der Pharao dennoch houmlher Joseph war bdquoHerrrdquo und bdquoStellvertreterrdquo waumlhrend der Koumlnig allein bdquoPharaordquo war Ebenso sehen wir dass Jesus in eine Position groszliger Ehre erhoben wurde die Autoritaumlt Gottes uumlber alle Menschen erhielt und nur von Gott selbst uumlbertroffen wurde (1 Kor 1527-28) Der Vater behielt jedoch seine einzige Identifikation und Ehre als der eine wahre Gott bei bdquoIch Jahwe werde ihr Gott sein und mein Diener

and Christians in Antiquity (Continuum 2009) p 269 (Erloumlsung und Widerstand Die Messianische Hoffnung von Jesus und den Christen der Antike)

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David wird Fuumlrst unter ihnen seinrdquo (Hesekiel 3424) bdquoSie werden ihrem Gott Jahwe und ihrem Koumlnig David dienen den ich fuumlr sie auferwecken werderdquo (Jere-mia 309)

Sicherlich behaupteten damals einige der Feinde Christi uumlberwaumlltigt von Miss-verstaumlndnissen und erfuumlllt von Hass auf den jungen Rabbiner dass er behauptete Gott gleichwertig zu sein oder sich in unerlaubter Weise an Gottes eigenen Platz zu stellen1102 Bei Johannes lesen wir dass die Feinde Jesu wuumltend wurden weil bdquoer Gott sogar seinen eigenen Vater nannte und sich mit Gott gleichstellterdquo (Johannes 518b) Aber welche Art von Gleichheit meinten sie hier Man braucht nicht weiter zu gehen als die Worte aus dem Munde Christi in Johannes 1428 bdquoDer Vater ist groumlszliger als ichrdquo um jeden Argwohn schnell abzuwenden Wie McGrath bemerkt

In praktischer Hinsicht funktionierte Jesus Gott ebenbuumlrtig wie Jo-hannes zeigt entsprechend dem Grundprinzip der Handlungsvoll-macht dass bdquoder Gesandte ist wie derjenige der ihn gesandt hatrdquo Die zentrale Frage im Konflikt ist ob Jesus bdquosich Gott gleich-stelltrdquo oder eben der von Gott ernannte Vertreter ist Der johan-neische Jesus verneint leidenschaftlich dass er sich selbst zu etwas macht vielmehr tut er den Willen dessen der ihn gesandt hat1103

Tatsaumlchlich berichtet Johannes dass Jesus beteuerte der Vater sei bdquogroumlsserrdquo als er selbst und sogar bdquogroumlsser als allerdquo (Johannes 1029) Die Autoritaumlt Christi ba-sierte auf der Autoritaumlt Gottes und war gemaumlszlig seinen eigenen Angaben vollstaumln-dig [von Gott] hergeleitet Indem er Gott seinen eigenen Vater nannte bean-spruchte er in der Tat den zweiten Platz nach Gott Diese Position entspricht einer sehr intimen Beziehung die im Endeffekt der Autoritaumlt eines Sohnes uumlber das Haus seines Vaters gleichkommt Aber es war nicht Jesus der die Macht an sich gerissen hat sie wurde ihm von seinem Vater uumlbertragen Die Frage in der Erzaumlhlung des Johannes also betraf die Autoritaumlt Jesu und wie er sie erhielt Wurde sie ihm von Gott gegeben oder nicht War Jesu Anspruch auf die Sohn-schaft guumlltig oder hatte er sich angemaszligt sich selbst zum Sohn Gottes zu machen

1102 bdquoMissverstaumlndnisrdquo ist ein Hauptthema der Erzaumlhlungen des Evangeliums besonders bei Johannes

Sowohl die Nachfolger Christi als auch seine Gegner interpretierten seine Aussagen immer wieder falsch Waumlhrend er seine Feinde nicht uumlber die wahre Bedeutung vieler seiner Aussagen aufklaumlrte wurden die Fragen der Juumlnger die ihn liebten zugelassen Interessanterweise verstehen viele heute noch immer nicht die wahre Bedeutung der Worte Christi und schlieszligen sich den voumlllig falschen Vorstellungen und Klagen seiner Feinde an Siehe Johannes 219-22 313-13 431-34 651-6171 733-36 737-39 818-1921-222733-3438-4451-5256-58 939-41 101-626-36 1111-14 1123-25 121632-3440 136-1227-2933-37 142-57-11 1616-18 1625-29 20915 214 2122-23 Matthaumlus 1310-17 1334-36 1511-20 165-12 2229 2746-47 Markus 410-13 33-34 Lukas 250 945 1834 Siehe auch Spruumlche 285 Jesaja 69

1103 James F McGrath Jerry Truex ldquoTwo Powers and Early Jewish and Christian Monotheismrdquo Journal of Biblical Studies Vol 4 No 1 (2004) pp 50-51 (Zwei Maumlchte und der Juumldisache und Fruumlhchristliche Montheismus)

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und das Haus Gottes allein zu fuumlhren Es ist offensichtlich dass Jesus nicht be-schuldigt wurde persoumlnlich zu behaupten Gott selbst zu sein Das Schlimmste was seine Anklaumlger bei dieser schicksalhaften Pruumlfung gegen ihn vorbringen konnten war seine Behauptung Gottes Sohn zu sein (Lukas 2270)1104

Wir erkennen die patriarchalische Kultur der Juden und stellen fest dass die Au-toritaumlt uumlber die Familie und ihren Besitz uumlblicherweise durch das Dekret des Va-ters an den erstgeborenen Sohn verliehen wurde1105 Jesus bezeugte immer wie-der dass dies bei ihm der Fall war und sagte bdquoMir ist alle Autoritaumlt gegeben wor-denrdquo (Matthaumlus 2818) und bdquoDer Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Haumlnde gegebenrdquo (Johannes 335) Jesus hatte dann von Natur aus weder die Au-toritaumlt noch eine Gleichstellung mit Gott denn alle Dinge wurden ihm tatsaumlchlich von einem anderen verliehen Autoritativ handelte der Sohn nur mit Gottes Er-laubnis er agierte nicht allein Der Trinitarier A W Tozer sagt zu Recht bdquoEs ist

1104 Dustin R Smith schreibt bdquo[im Johannesevangelium] haumltte Jesus als rebellischer Sohn verstanden

werden koumlnnen der Vorrechte annimmt die nicht rechtmaumlszligig seine sind innerhalb des Judentums des ersten Jahrhunderts ein Anspruch auf Sohnschaft impliziert Gehorsam und Abhaumlngigkeit nicht Gleich-heit und Ebenbuumlrtigkeit (5 Mo 2118 Sir 36-16 Philo Conf 63 Dec 118) Mit anderen Worten wenn ein Sohn die Gleichstellung mit seinem Vater in einer Weise beansprucht welche die einzigartigen Vor-rechte des Vaters herausfordert (und damit den Vater entehrt) wuumlrde dies den Sohn zu einem rebel-lischen Sohn machen [Siehe McGrath Johns Apologetic Christology S 87] Wenn die johanneischen sbquoJudenlsquo Jesus als rebellischen Sohn verstanden haumltten der unrechtmaumlszligig das Recht beansprucht haumltte den Sab-bat zu brechen und Leben zu geben dann haumltten sie den Anspruch Jesu auf das Messiasamt als falschen Anspruch interpretiert In ihren Augen war Jesus ein falscher Messias Um dieser Behauptung entgegen-zuwirken sagte Jesus sbquoDer Sohn kann nichts aus sich selbst machen es sei denn es ist etwas was er den Vater tun siehtlsquo (Johannes 51930) Mit anderen Worten Jesus reagierte auf dieses Missverstaumlndnis (ein weit ver-breitetes Motiv im vierten Evangelium) indem er behauptete ein gehorsamer Sohn und nicht ein rebel-lischer Sohn zu seinrdquo (Smith Irons Dixon The Son of God S 39)

1105 Dass der Sohn insbesondere der bdquoerstgeborene Sohnrdquo der Familie von seinem Vater einen hohen Rang und Anspruch erhaumllt ist ein bekannter Aspekt im Familiensystem des Juden Das Recht wurde ihm vom Vater speziell eingebracht wobei seine Ausstattung eine Ableitung des eigenen Rechts des Vaters auf Eigentum und Verwaltung der Familie ist Juumldische Quellen erkennen an dass bdquoder erste Sohn der dem Vater geboren wurde einen bedeutenden Platz in der hebraumlischen Familie einnahm Der erstgeborene Sohn hatte Vorrang vor seinen Bruumldern und Schwestern Normalerweise vermachte ihm der Vater den groumlszligten Teil des Erbes rdquo (Morris Jastrow B Eerdmans Marcus Jastrow Louis Ginzberg ldquoBirthrightrdquo Jewish Encyclopedia 1906) Rabbinische Quellen kommentieren bdquoDie Vorrechte des Erstgeborenen als das eigentliche Fam-ilienoberhaupt nach dem Tod des Vaters waren tief im haumluslichen Leben der Juden verwurzeltrdquo (Bek VIII 1 vergleiche ldquoMaggid Mishnahrdquo in Maimonides ldquoYadrdquo Nahalot II 12) Am nuumltzlichsten fuumlr das Verstaumlndnis der Sohnschaft Christi ist die Tatsache dass bdquoDie Identifizierung des Erstgeborenen durch den Vater war am wichtigsten nur er war der Erstgeborene den der Vater als solchen erkannte auch wenn es der allgemeinen Vermutung widersprichtrdquo (B B 127b Sifre Deut 216) Beachten wir dass Gott Jesus offiziell als den geliebten Sohn anerkannt hat den er auserwaumlhlt hat bdquoDas ist mein auserwaumlhlter Sohnrdquo (Lukas 935) und bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Wohlgefallen gefunden rdquo (Markus 111) und bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Wohlgefallen gefunden hatrdquo (Matthaumlus 1218) und bdquoMein Sohn bist du ich habe dich heute gezeugtrdquohellip und wiederum bdquoIch werde ihm Vater und er wird mir Sohn seinrdquo hellip Wenn er aber den Erstgeborenen wieder in den Erdkreis einfuumlhrt spricht er bdquoUnd alle Engel Gottes sollen ihn anbetenrdquo (Hebraumler 15-6a) Beachten wir auch folgenden Vers bdquoDenn er empfing von Gott dem Vater Ehre und Herrlichkeit als von der erhabenen Herrlichkeit eine solche Stimme an ihn erging sbquoDies ist mein geliebter Sohn an dem ich Wohlgefallen gefunden habelsquo ldquo (2 Petrus 117)

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undenkbar dass Gott zu etwas wurde was er nicht warrdquo1106 Bei Jesus jedoch sehen wir eine groszlige Transformation Er erhielt Rechte und Macht und er wurde sowohl zum Herrn [Meister] als auch zum Christus [zum Gesalbten] durch goumltt-lichen Befehl (Apg 232) Die alttestamentlichen Propheten sahen diese groszlige Machtuumlbertragung voraus dass der Messias bdquoAutoritaumlt Herrlichkeit und souve-raumlne Machtrdquo erhalten wuumlrde (Daniel 714)1107 Wir duumlrfen jedoch nicht den Fehler begehen den Schluss zu ziehen da Gott sich seinen Sohn in der Funktion gleich-gestellt und ihm ein Amt uumlbergeben habe dass er mit ihm eine Substanz teile

Als Jesus die Autoritaumlt Gottes ausuumlbte gab es diejenigen die ihn missverstanden und andere die ihn zudem schlecht machten Es gab auch diejenigen welche die im Menschen Jesus entfaltete Macht [Gottes] richtig verstanden und sich daruumlber freuten Das heutige christliche Publikum scheint sich immer noch in dieselben Kategorien aufzuteilen Die dem Sohn verliehene Autoritaumlt erlaubte es ihm of-fensichtlich sogar Suumlnden zu vergeben eine Tat von der seine Gegner im ersten Jahrhundert (und viele moderne Trinitarier) annahmen dass sie nur Gott vorbe-halten war bdquoWie kann dieser Mensch so reden Er laumlstert Gott Wer kann Suumlnden vergeben auszliger der eine Gottrdquo (Markus 27) Jesus genoss die groszlige Bewunderung der Menge und zeigte ihr dass er dieses Recht als Mensch tatsaumlchlich von Gott erhalten hat Er haumltte der Anschuldigung auch entgegnen koumlnnen indem er auf seine angeblich eigene Gottheit verwies tat es aber nicht1108

1106 Tozer p 22 1107 Jesus interpretierte zusammen mit anderen Juden seiner Zeit die Gestalt des bdquoMenschensohnesrdquo in

Daniel 713 messianisch Jesu Zitat uumlber die Figur in Johannes 1234 als Antwort auf die An-schuldigungen der Juden dass er behauptete der Messias zu sein erlaubt uns diese Schlussfolgerung Wissenschaftler haben festgestellt dass bdquofuumlr einen Groszligteil der juumldischen und christlichen Geschichte diese Figur [in Daniel 713] als Messias interpretiert wurderdquo (John Collins The Scepter and the Star) Der Messias der Schriftrollen vom Toten Meer und andere antike Literatur (New York Doubleday 1995) S 36) bdquoDie messianische Sicht ist die aumllteste und in der Vergangenheit die vorherrschende Meinungrdquo (Stephen Miller The New American Commentary Daniel (Broadman amp Holman Pub 1994) S 209) Die Verbindung Jesu in Johannes 1234 des Messias aus der Davidischen Linie und des Bildes des Menschensohnes aus dem Buch Daniel verstaumlrkt die Vorstellung bdquodass die juumldische Tradition auch eine Ko-Regentschaft zwischen Gott und diesem Menschensohn entwickelte um im Koumlnigreich zu re-gierenrdquo (Douglas Welker Kennard Messiah Jesus Christology in His Day and Ours (Oxford Peter Lang 2008) p 388)

1108 Eine andere Perspektive Wenn Christus Suumlnden vergibt sagt er nicht bdquoIch vergebe dirrdquo als waumlre er Gott selbst der kuumlrzlich beleidigt wurde Stattdessen sagt er einfach dass bdquoeure Suumlnden vergeben sindrdquo und zeigt damit an dass Gott die Suumlnden vergeben hat Dasselbe Recht um zu verkuumlnden dass Gott die Suumlnden vergeben hatte war auch den Hohenpriestern Israels vorbehalten die im Tempel Opfer brachten Wer kann sagen dass Jesus nicht genau dieses Recht auf Priestertum und nicht das Recht des beleidigten Gottes in Anspruch genommen hat Jesus wird sicherlich zum Priester gemacht (Hebr 414-16) und macht auch andere zu Priestern bdquoEr hat uns gemacht hat zu einem Koumlnigtum zu Priestern seinem Gott und Vater Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit Amenrdquo (Offb 16) Einige Gelehrte wie R T France (The Gospel of Mark (Grand Rapids Wm B Eerd Pub Co 2002) S 125-126) und Sherman E Johnson (Gospel Acc to Mark (Black 1960) S 56) haben den passiven Ausdruck Christi (afientai sou hai hamartiai - ldquoyour sins are forgivenrdquo) als bdquogoumlttliches Passivrdquo

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bdquoDamit ihr aber wisst dass der Sohn des Menschen Vollmacht hat auf der Erde Suumlnden zu vergeben Dann sagt er zu dem Gelaumlhmten Steh auf nimm dein Bett auf und geh in dein Haus Und er stand auf und ging in sein Haus Als aber die Volksmengen es sahen fuumlrchteten sie sich und verherrlichten Gott der solche Vollmacht den Menschen gegeben hatrdquo (Mat-thaumlus 96-8)

J R Daniel Kirk vom Fuller Theological Seminary bestaumltigt in seiner juumlngsten Studie trotz populaumlrer Interpretationen des bdquogoumlttlichenrdquo Jesus die Geschichte von Markus 2 und Matthaumlus 9

Ein menschlicher Vertreter ndash ausgestattet mit Macht und Autoritaumlt - ergibt ein besseres Verstaumlndnis der Christologie dieser Schriftstel-len Ein Problem mit der Interpretation eines bdquogoumlttlichen Christusrdquo ist dass in der Erzaumlhlung die Schriftgelehrten als Gegner Jesu keine vertrauenswuumlrdigen Interpreten der Identitaumlt Jesu sind Ein weite-rer Punkt der Vorsicht [ist die Tatsache dass] die Menge Gott fei-ert der eine solche Autoritaumlt bdquodenrdquo oder bdquounterrdquo Menschen gibt (Matthaumlus 98) Es ist unwahrscheinlich um nicht zu sagen un-moumlglich dass die Leser von Markus davon ausgehen Jesus sei sel-ber der bdquoGott alleinrdquo der Suumlnden vergeben kann1109

So wie der Mensch Jesus von Gott das Vergebungsrecht erhalten hat uumlbertrug er diese Autoritaumlt auch auf andere Menschen Zu seinen Aposteln sagte er bdquoDenen ihr die Suumlnden erlasst denen sind sie erlassen denen ihr sie behaltet sind sie behaltenrdquo (Jo-hannes 2023) Wenn die Faumlhigkeit Suumlnden zu vergeben im Neuen Testament auf eine eigenstaumlndige [oder innewohnende] Gottheit hinweist dann ergibt sich hier mit den Aposteln eine houmlchst seltsame Situation

In diesem Prinzip erkennen wir wieder die Parallele zu Joseph [in Aumlgypten] Ob-wohl Joseph dem Pharao untertan blieb erfuumlllte er alle Pflichten des Pharaos So erkannte das Volk seine Gleichheit mit dem Koumlnig im funktionalen Sinne an Zum Beispiel realisierte Juda bdquodenn du bist wie der Pharaordquo (1 Mose 4418) Andere Uumlber-setzungen sind nuumltzlich um den genauen Sinn ihrer Gleichheit zu verstehen bdquoDu stehst so hoch wie der Pharaordquo (Menge) bdquoDu bist maumlchtig wie der Pharaordquo (Neue Evang) bdquoDu bist so maumlchtig wie der Pharaordquo (GNB) Juda fleht dann seinen Bruder an weil er erkennt dass Joseph das Recht hat das zu tun was der Pharao tut Tatsaumlchlich hatte Pharao verfuumlgt bdquoIch bin der Pharao aber ohne dich soll niemand seine Hand oder

identifiziert indem sie sich auf die Person Gottes in Aktion beziehen Das heisst also bdquoGott vergibt deine Suumlndenrdquo Natuumlrlich scheinen es die Gegner Christi nicht so zu sehen

1109 J R Daniel Kirk ldquoMarkrsquos Son of Man and Paulrsquos Second Adamrdquo Horizons in Biblical Theology Vol 37 (Leiden Brill 2015) pp 175-176 unsere Hinzufuumlgung

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seinen Fuss heben im ganzen Land Aumlgyptenrdquo (1 Mose 414144) Ein Berufungsbegeh-ren an Joseph war so gut wie ein Berufungsbegehren an den Pharao das nur aufgrund der Autoritaumlt des Pharaos moumlglich ist Hier erinnern wir uns natuumlrlich an Thompsons fruumlhere Beobachtung bdquoWeil Jesus der Hauptagent Gottes ist kon-frontiert man Gott wenn man ihn konfrontiertrdquo1110 Es ist genau diese Position die gleiche Beziehung die Joseph zum Pharao hatte die Jesus in Anspruch nimmt Einige in Jesu Publikum waren offensichtlich veraumlrgert dass dieser bdquosimple Menschrdquo sich in diesen Angelegenheiten an die Stelle von Gott setzte Sie fragten ihn frustriert bdquoFuumlr wen haumlltst du dich eigentlich rdquo [bdquoWas machst du aus dir selbst rdquo] (Johannes 853b) Er antwortete und verneinte jedes andere Recht oder jede Befugnis uumlber das hinaus was ihm von einem anderen einseitig bereit-gestellt worden war bdquoWenn ich mich selbst ehre so ist meine Ehre nichts mein Vater ist es der mich ehrt von dem ihr sagt Er ist unser Gottrdquo (Johannes 854)

DieneutestamentlicheAdam-ChristologieIm gesamten Neuen Testament wird Jesus als der ideale Mensch dargestellt Das synoptische Portraumlt dieses menschlichen Jesus wird durch seine eigene haumlufige Verwendung des Ausdrucks bdquoMenschensohnrdquo fuumlr sich selbst verkoumlrpert1111 In den Evangelien wird dieser Begriff ausschlieszliglich in Beschreibungen von Jesus und nur von Jesus verwendet Im alttestamentlichen Buch Hesekiel wird der Pro-phet als bdquoMenschensohnrdquo dreundneunzigmal beschrieben und angesprochen und der Satz wurde als Hinweis auf den Menschen im Allgemeinen verwendet Aber Jesu konsequente Selbstbezeichnung als bdquoMenschensohnrdquo war wie die Ge-lehrten erkannt haben wahrscheinlich darauf ausgerichtet zwei verschiedene As-soziationen hervorzubringen 1) die apokalyptische Gestalt des Buches Daniel und 2) Adam der erste Mensch1112

Erstens ist es Jesus selbst der den Gebrauch von bdquoMenschensohnrdquo mit dem bdquoEi-ner wie ein Menschensohnrdquo in Daniel 713 verbindet der vom Aumlltesten der Tage Au-toritaumlt und ein Koumlnigreich erhalten soll Jesus verbindet diese Gestalt des Buches Daniel ausserdem mit dem davidischen Messias indem er eine Anspielung auf

1110 Thompson Dictionary of Jesus and the Gospels p 377 1111 Der bdquoMenschensohnrdquo wird von Jesus mehr als achtzig Mal in den griechischen Evangelien als Selbstbe-

zug verwendet In der hebraumlischen Schrift tritt bdquoMenschensohnrdquo uumlber hundert Mal auf wo er im Ge-gensatz zu Gott oder Engeln als Ausdruck fuumlr den Menschen im Allgemeinen verwendet wird (4 Mose 2319 Hesekiel 21) Siehe Geoffrey W Bromiley The International Standard Bible Encyclopedia Vol IV (Grand Rapids Eerdmans 1995) S 574 In dem juumldischen Werk 1 Henoch das sicherlich in der NT-Gemeinschaft gelesen wurde (siehe Judas 114) wird bdquoder Menschensohnrdquo zu einem Titel fuumlr die messianische Gestalt welche die Welt Gottes richten wird

1112 See Joel Marcus ldquoSon of Man as Son of Adamrdquo Revue Biblique Vol 110 (Paris 2003) pp 38-61

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den bdquozweiten Herrnldquo (hebr adoni) des Psalms 1101 und seine Erhoumlhung zur rech-ten Hand Gottes in Matthaumlus 2664 macht1113 Jesus identifiziert sich so als ein Menschenfuumlrst der von Gott das Recht und die Macht zugesprochen erhaumllt nicht nur uumlber Israel sondern auch uumlber die Nationen zu herrschen

Zweitens haben Gelehrte auch die Verwendung von Jesu bdquoMenschensohnrdquo mit dem in Verbindung gebracht was in den Briefen des Paulus als bdquoAdam-Christo-logierdquo bezeichnet wird1114 Im 1 Korintherbrief wird Jesus als bdquoder zweite Adamrdquo (Kap 1545) bezeichnet und als eschatologischer Erloumlser dargestellt der Adams urspruumlnglichen Auftrag zur Herrschaft uumlber die ganze Erde erfuumlllt (1 Korinther 1521-28 vgl 1 Mose 126-28) So wie es schon immer in Gottes Absicht lag dass ein Mensch die Welt bdquounterwerfenrdquo wuumlrde (Psalm 86) so sollen auch alle Dinge bdquounterworfen werden unter die Fuumlszlige Jesurdquo (1 Korinther 1527) Paulus spielt auch auf den davidischen Messias an dem seine Feinde wie bdquoein Schemel unter seinen Fuumlszligenrdquo unterstellt werden (1 Korinther 1525 vgl Psalm 1101) Paulussbquo Zitat aus Psalm 86 erinnert ausdruumlcklich an die urzeitliche koumlnigliche Bestim-mung der Menschheit Indem er die Erfuumlllung dieser Bestimmung an Jesus als den Messias bindet erkennt Paulus in Jesus den zweiten Adam einen Menschen

Wir sehen dass jede dieser alttestamentlichen Figuren - Adam der davidische Messias und Daniels Menschensohn - von Gott die Regentschaft erhaumllt Im Neuen Testament verbinden sowohl Jesus als auch Paulus diese Figuren mitei-nander und identifizieren sie als in der Person Christi erfuumlllt So meint Kirk wei-ter bdquoliegt die Autoritaumlt Jesu in der Erfuumlllung der Rolle der idealisierten menschli-chen Figur Der adamische undoder davidische Anspruch erfuumlllt sich durch ei-nen Menschen entsprechend der Bildhaftigkeit von Daniel 7 wie ein Menschrdquo1115

Die Wiederherstellung der Herrschaft des Menschen uumlber die Erde ist in der Tat das zentrale Thema das sich durch die gesamte Bibelliteratur zieht Adam hatte einst die Autoritaumlt erhalten als Vizeregent Gottes zu regieren Er hat sie an eine kommandierende satanische Macht verloren worunter die Welt infolge der kata-strophalen Misswirtschaft leiden musste Die Juden blickten gespannt auf eine Zukunft in der Adam (dh die Menschheit) die Regentschaft uumlber die Nationen (symbolisch die wilden Tiere) wieder zuruumlckgewinnen und die Bestimmung der Herrlichkeit einer weltweiten Herrschaft erfuumlllen wuumlrde (Psalm 85-6)1116 Der

1113 In Kapitel 12 werden wir Psalm 1101 und Jesu Selbst-Identifikation als bdquozweiter Herrldquo des Psalms

Davids bdquoadonirdquo - ein hebraumlischer Begriff der 195 Mal in der Schrift von Oberen ohne Gottheit ver-wendet wird - gruumlndlich analysieren

1114 Kirk pp 170-195 1115 Ebenso p 177 1116 Ein juumldisches Dokument datierend aus dem ersten Jahrhundert das das Testament Abrahams darstellt

zeigt Adam wie er einen goldenen Thron besteigt von dem aus er die Seelen der ganzen Menschheit

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zukuumlnftige bdquoMenschensohnrdquo in Daniel ist Gottes Vertreter bei der Verwirkli-chung dieser Wiederherstellung fuumlr das menschliche Geschlecht und derjenige dem Gott die Nationen geben wird (Kap 714) Diese dramatische Schilderung ist die vorbestimmte Kulisse des Neuen Testaments Sie steht auch im Mittel-punkt Jesu eigener Predigt1117 Die Geschichte vom Fall der Menschheit und der erwarteten Wiederherstellung des Menschen ist die wesentliche Rahmengeschichte durch die der in den Evangelien beschriebene Jesus und der von Paulus erklaumlrte Jesus betrachtet werden muss

DerleidendeAdamPaulus zieht eine klare Parallele zwischen Adam dem einen Menschen der die Herrschaft der Menschheit durch die Suumlnde [seines Ungehorsams] verlor und bdquodem einen Menschen Jesus Christusrdquo dessen Gehorsam gegenuumlber Gott letzt-endlich diese Herrschaft fuumlr bdquoalle Menschenrdquo zuruumlckgewonnen hat (Roumlmer 517-18) Gehorsam ist der Schluumlssel zum Sieg des zweiten Adam und der Ausloumlser fuumlr diesen Gehorsam ist das Leiden Betrachten wir Folgendes Der erste Adam wurde als Gottes Sohn (Lukas 338) und Abbild Gottes gemacht und erhielt die Welt Gottes als seinen Besitz - er wurde effektiv in die funktionale Rolle Gottes uumlber die Erde einbezogen Als Vertreter Gottes haumltte Adam in der Welt tun und lassen koumlnnen was ihm gefiel obwohl er sich letztlich im Gehorsam dem Willen

beaufsichtigt und bdquomit Herrlichkeit geschmuumlcktrdquo ist (111ff) vergleiche mit Psalm 85 in dem die Menschheit dazu bestimmt ist bdquomit Herrlichkeit gekroumlntrdquo zu werden In einem weiteren juumldischen Werk des ersten Jahrhunderts das Leben Adams und seiner Frau Eva werden die Engel angewiesen Adam als das Bild Gottes zu verehren Satan weigert sich sich vor Adam zu verbeugen weil er glaubt dass Adam ein minderwertiges Geschoumlpf ist und sucht stattdessen die Verehrung fuumlr sich selbst Satan wird vertrieben und als Vergeltung entwickelt er die Taumluschung welche die Entherrlichung Adams und seiner Frau verursacht hat Siehe Leben von Adam und Eva 121-173 Der Apostel Paulus bezieht sich wahrschein-lich auch auf das Leben Adams und Evas 91 im 2 Korintherbrief 1114 was eine Vertrautheit mit der adamischen Verehrung innerhalb der NT-Gemeinschaft beweist Die Geschichte von Satans Ablehnung der Verehrung Adams wird auch im Koran wiedergegeben (234 711-13 1761-62)

1117 Jesus definiert sein Evangelium als eine Botschaft uumlber die bevorstehende Wiederherstellung der Herrschaft Gottes auf der Erde (Markus 114-15) Das erklaumlrt er bdquoIch muss das Reich Gottes predigen denn darum wurde ich gesandtrdquo (Lukas 443) Paulus als Juumlnger Jesu richtet seine eigene Evangeliumslehre auf die Dinge des Koumlnigreichs aus (Apg 2025 282331) Obwohl die Verkuumlndigung des bdquoEvangeliums uumlber das Koumlnigreichrdquo die feierliche Aufgabe Jesu an seine Anhaumlnger war (Matt 2414) wurde im Main-stream-Christentum bdquodas Evangeliumrdquo weitgehend verwaumlssert um nur eine Botschaft uumlber Jesu Opfer-gabe zu enthalten Aber Jesus der nie davon gesprochen hat fuumlr Suumlnden zu sterben und nicht einmal seinen eigenen Tod bis spaumlt in seinem Dienst erwaumlhnt hat wird von den Synoptikern gesagt dass sie uumlberall hingegangen sind bdquodas Evangelium predigenrdquo (Matthaumlus 423) das heiszligt bdquodas Koumlnigreichrdquo und seine bevorstehende Wiederherstellung verkuumlnden Im Gegensatz zu der begrenzten Darstellung des Evangelikalismus paarte die NT-Gemeinschaft die Informationen uumlber Jesus mit der Kouml-nigreichsbotschaft als Evangelium bdquoSie glaubten Philippus als er das Evangelium uumlber das Reich Gottes und den Namen Jesu Christi predigterdquo (Apg 812) Das moderne Christentum hat die Bedeutung dessen noch nicht begriffen und die apokalyptische Vision Christi von einer imminenten Theokratie der realen Welt weitgehend gegen die Hoffnung auf eine gnostische Flucht in den Himmel ausgetauscht Fuumlr weitere Informationen zu diesem Thema siehe Anthony Buzzard Unsere Vaumlter die nicht im Himmel sind (McDonough Restoration Fellowship 1999)

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Gottes unterwerfen musste Aber als er versuchte die Grenzen seiner Stellung zu uumlberschreiten fiel er in den Ungehorsam und ging uumlber die Grenzen seiner Herr-schaft hinaus Aber uumlber Jesus lesen wir bdquoObwohl er ein Sohn war lernte er den Ge-horsam durch die Dinge die er erlitten hatrdquo (Hebraumler 58) Waumlhrend Jesus zugleich Got-tes Sohn und Gottes Ebenbild und damit der rechtmaumlszligige Herrscher uumlber die Erde war nahm er die Tatsache an dass die Herrschaft uumlber alles nur durch das Leiden im Gehorsam erlangt werden konnte Nachdem er seinen Juumlngern bestauml-tigt hatte dass er bdquoder Christusrdquo sei lehrte er sie dass bdquoder Sohn des Menschen viel leiden und nach drei Tagen wieder auferstehen mussrdquo (Markus 829b31) Sein Studium der Schrift hatte ihm das deutlich gemacht Jesus sagte bdquoDas ist es was geschrieben steht Der Messias wird leidenrdquo (Lukas 2446) und er nahm dieses Schicksal gehorsam an und sagte bdquoDer Menschensohn geht hellip den Weg der ihm in der Schrift vorausgesagt istrdquo (Matthaumlus 2624) Nachdem Gott ihn auferweckt hatte erinnerte Jesus seine be-sorgten Juumlnger an bdquoalles was die Propheten gesprochen hattenrdquo und bestaumltigte dass bdquoder von Gott erwaumlhlte Retter all dies erleiden musste bevor ihn Gott als houmlchster Herr einsetzen konnterdquo (Lukas 2425b-26)

Nur wenige Texte zeigen die bdquoChristologie des leidenden Adamsrdquo klarer als die Schriftstelle im Brief von Paulus an die Philipper Kap 26-8 Gerade diese Pas-sage ist jedoch seit langem einer der wichtigsten und beliebtesten Texte mit der die Trinitarier die Lehre der Inkarnation dh der Fleischwerdung untermauern Im Philipperbrief schrieb Paulus

Er der in goumlttlicher Gestalt war hielt es nicht fuumlr einen Raub Gott gleich zu sein sondern entaumluszligerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode ja zum Tode am Kreuz (Philipper 26-8 Luther)

Trinitarier behaupten dies bedeute dass Jesus buchstaumlblich als Gott im Himmel existierte dann aber voruumlbergehend seine Rechte als Gottheit bdquobeiseitegelegtrdquo und eine menschliche Natur angenommen habe Viele Herausgeber der Bibel die an die Dreifaltigkeit glauben und davon uumlberzeugt sind haben den obigen Satz bdquoin goumlttlicher oder in Gottes Gestaltrdquo (Philipper 26 Luther 2017 und Menge) so uumlbersetzt bdquoEr war in jeder Hinsicht Gott gleichrdquo (HFA) bdquoEr der doch von goumltt-lichem Wesen warrdquo (Zuumlrcher Bibel) bdquoEr der Gott in allem gleich war und auf einer Stufe mit ihm standldquo (Neue Genfer) bdquoEr war Gott gleich hielt aber nicht daran fest Gott gleich zu seinrdquo (Einheitsuumlbersetzung) bdquoObwohl er Gott war bestand er nicht auf seinen goumlttlichen Rechtenrdquo (Neues Leben) bdquoEr war genauso wie Gottrdquo (NEUuml) Die Frage lautet Ist es wirklich das was Paulus in dieser Pas-sage geschrieben hat

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Dr Jason BeDuhn zeigt in seiner bahnbrechenden Untersuchung in Bezug auf das Vorurteil in vielen Uumlbersetzungen dass das griechische Wort fuumlr bdquoGestaltrdquo hier nicht bdquoNaturrdquo bdquoWesenrdquo bdquoGleichheitrdquo oder bdquoEssenzrdquo bedeutet die Mitglie-der des englischsprachigen NIV-Uumlbersetzungsausschusses schreiben in der New International Version (NIV) naumlmlich bdquoin derselben Natur Gottes zu seinrdquo (ldquobeing in very nature Godrdquo Unsere Uumlbersetzung) Dr J BeDuhn erklaumlrt

Sie uumlbersetzen nicht das Griechische sondern fuumlgen eigene Inter-pretationen ein die uumlberhaupt nicht auf der Aussage von Paulus basieren Deshalb sind sie ungenau und ihre Vorurteile sind in dem was sie in diesen Abschnitt zu importieren versuchen offen-sichtlich Sie versuchen die bdquoZwei-Naturenrdquo-Christologie einzu-fuumlhren (die von Christen im Konzil von Chalcedon uumlber dreihun-dert Jahre nach dem Schreiben des Neuen Testaments ausgearbei-tet wurde) Wir koumlnnen ihrer Interpretation der Passage nicht viel Vertrauen abgewinnen wenn wir sehen wie sie den Text manipu-lieren um sie [die dualistische Christologie] zu unterstuumltzen1118

Was beabsichtigt also dieser Abschnitt von Philipper 26 wirklich Das Griechi-sche fuumlr bdquoFormrdquo ist hier bdquomorpherdquo Thayers erklaumlrt dass der Begriff bdquodie Form bezeichnet mit der eine Person oder Sache in Erscheinung tritt die aumluszligere Er-scheinungrdquo also Kinder spiegeln angeblich die Form (morphe) ihrer Eltern wi-derrdquo Thayer zitiert auch 4 Makkabaumler 154 worin erklaumlrt wird dass die bdquoFormrdquo eines Elternteils seinen Kindern aufgepraumlgt ist Vergleichen Sie dies mit bdquoAdam wurde nach seinem Ebenbild zum Vater eines Sohnes und nannte ihn Sethrdquo (1 Mose 53) und bdquoGott schuf den Menschen nach seinem Ebenbildrdquo (1 Mose 127) Das Wort in der Genesis hier fuumlr bdquoBildrdquo ist das hebraumlische bdquotselemrdquo definiert als bdquoForm Bild Bil-der Aumlhnlichkeit(en) Phantom Gestaltrdquo Das hebraumlische bdquotselemrdquo ist analog zum griechischen bdquomorpherdquo und beide werden mit bdquoBildrdquo [bdquoimagerdquo] uumlbersetzt Wir wis-sen dass sich bdquotselemrdquo auf das aumlussere Erscheinungsbild einer Sache beziehen muss da sie in 1 Samuel 65 zur Beschreibung von bdquoAbbildern von Beulen und Springmaumlusenrdquo aus Gold verwendet wurde sowie in Hesekiel 1617 wo Goumltzen ebenfalls wie ein bdquoMaumlnnerbildnisrdquo beschrieben werden In der Septuaginta finden wir das griechische Wort bdquomorpherdquo das in diesem Sinne verwendet wird bdquo[der Goumltzendiener] formt es in der Form (bdquomorpherdquo) eines Menschenrdquo (Jesaja 4413 LXX) Diese Faumllle von bdquotselemrdquo und bdquomorpherdquo befassen sich offensichtlich nicht mit der inneren Natur eines Subjekts sondern mit der aumluszligeren Erscheinung1119

1118 BeDuhn S 53 1119 Ein anderes verwandtes hebraumlisches Wort kann uns helfen - bdquoAumlhnlichkeitrdquo bdquoAls Gott den Menschen

erschaffen hat hat er ihn nach dem Ebenbild Gottes geschaffenrdquo (1 Mose 51) Dieses hebraumlische Wort fuumlr bdquoAumlhnlichkeitldquo ist bdquodwmuthrdquo das in verschiedenen Uumlbersetzungen als bdquoAussehenrdquo bdquoGestaltrdquo bdquoFormrdquo oder bdquoErscheinungrdquo wiedergegeben wird (Hesekiel 151016 1021) Thayers Lexikon erklaumlrt bdquodwmuthrdquo

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Aber hat die bdquomorpherdquo (Form) in Philipper 26 dieselbe uumlbliche Bedeutung Ein Blick auf die neutestamentliche Verwendung der griechischen bdquomorpherdquo rundet das Argument ab Markus 1612 sagt dass der auferstandene Jesus auf dem Weg nach Emmaus bdquoin einer anderen Form (morphe)rdquo erschien so dass zwei seiner Juumlnger ihn nicht erkannten Offensichtlich war es nicht die innere Natur Christi die an-ders war sondern nur seine bdquoRepraumlsentationrdquo oder sein bdquoaumluszligeres Erscheinungs-bildrdquo so dass was die Juumlnger mit ihren Augen sehen konnten sie nicht als ihren Meister wahrnahmen Aus diesem Grund sollte der biblische Gebrauch nicht ge-brochen werden und sich bdquomorpherdquo im Philipperbrief ploumltzlich auf die bdquoinnere Na-turrdquo beziehen wie es uns die NIV heruumlberbringen will Vielmehr sollten wir er-kennen dass im Wesentlichen bdquomorpherdquo ein Synonym fuumlr bdquoAbbildrdquo bdquoRepraumlsenta-tionrdquo oder bdquoDarstellungrdquo ist

Viele Gelehrte sind sich einig dass bdquoin der Gestalt Gottes zu seinrdquo gleichbedeutend ist mit bdquonach dem Bild Gottes [gestaltet] zu seinrdquo und dass bdquodie Terminologie des sbquoBil-deslsquo auf Christus in adamitischer Symbolik verweistrdquo1120 Wir muumlssen bedenken dass 1 Mose 1-3 fuumlr Paulus den historischen Rahmen fuumlr seine Christologie bildet (Roumlmer 512-21 1 Kor 1521ff 45-47) Moderne Forscher kommen daher zum Schluss dass die Lyrik im Philipperbrief in Jesu Leben das Leben Adams wider-spiegelt1121 In diesem Sinne ist Jesu bdquoin Menschengestalt gemachtrdquo (Vers 7) Hier han-delt es sich nicht um die Nacherzaumlhlung einer Inkarnationsgeschichte sondern um einen Hinweis darauf dass er sich der Herrschaft als Messias die eigentlich fuumlr Adam bestimmt war entledigte und in Unterwerfung (Submission) lebte bdquowie jeder andere Menschrdquo Selbst trinitarische Kommentatoren haben das erkannt

Der Schluumlssel zum Text liegt in der beabsichtigten Parallele zwi-schen dem ersten Adam und dem zweiten Adam dies ist die all-gemein vorherrschende moderne Sichtweise Der erste versuchte in unsinniger Weise die Gleichheit mit Gott zu erreichen Durch Stolz und Ungehorsam verlor er das herrliche Bild seines Schoumlp-

als Bedeutung bdquo des aumluszligeren Erscheinungsbildesrdquo Es sollte an dieser Stelle klar sein dass das griechische bdquomorpherdquo in Philipper 26 dem hebraumlischen bdquotselemrdquo und bdquodwmuthrdquo gleichkommt indem sich alle Ausruumlcke auf die aumluszligere bdquoDarstellungrdquo die bdquoRepraumlsentationrdquo beziehen nicht auf die innere Natur einer Sache

1120 David Steenburg ldquoThe Worship of Adam and Christ as the Image of Godrdquo Journal for the Study of the New Testament Vol 39 (New York Sage 1990) p 99 (Die Verehrung von Adam und Christus als Ebenbild Gottes)

1121 Siehe Dunn Christology in the Making p 115 Kirk ldquoMarkrsquos Son of Man and Paulrsquos Second Adamrdquo Horizons p 192 OrsquoConnor ldquoChristological Anthropologyrdquo RB pp 37-42 Steenburg ldquoAdam and Christ as the Image of Godrdquo JNST pp 95-109 Martin Carmen Christi Philippians 25-11 p 108 (Chris-tologische Anthropologie Adam und Christus als Ebenbild Gottes )

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fers der zweite Adam entschied sich den Weg des demuumltigen Ge-horsams zu gehen um schlieszliglich von Gott verherrlicht zu wer-den1122

Es gibt zwei grundsaumltzlich verschiedene Ansichten um die von Paulus in Vers 6 verwendete Sprache richtig zu interpretieren diese haben zu Auslegungsdifferen-zen gefuumlhrt Einige Gelehrte haben vorgeschlagen dass Jesu Weigerung nach bdquoGleichheit mit Gottrdquo (Vers 6) zu greifen Adams unheilvollem Wunsch bdquowie Gottrdquo zu sein in 1 Mose 35 gegenuumlberzustellen ist Aus dieser Sicht betrachtet hat sich Jesus geweigert etwas zu erstreben das ihm nicht gehoumlrte Zur Unter-stuumltzung dieser Ansicht sagt Dr BeDuhn bdquoEs gibt kein einziges Wort das von sbquoharpazorsquo hergeleitet ist Dieses griechische Wort kann verwendet werden um an-zudeuten sbquoan etwas festzuhalten das man bereits besitztrsquo rdquo1123 Ein protestanti-scher Theologe stimmt zu dass bdquodie alte Streitigkeit uumlber harpagmos vorbei ist Die bdquoGleichheit mit Gottrdquo ist keine res rapta ein lateinischer Begriff der beschreibt dass der vorbestehende [prauml-existente] Christus eine Position innehatte sie aber aufgab es ist eine res rapienda das heiszligt eine Moumlglichkeit des rangmaumlszligigen Auf-stiegs die er ablehnterdquo1124 Das von Paulus in diesem Abschnitt verwendete grie-chische Wort hat jedoch eine unmissverstaumlndliche Interpretation zumindest er-schwert1125 Denn andere Wissenschaftler haben die oben erwaumlhnte Sichtweise in Frage gestellt und argumentiert dass die bdquoGleichheit mit Gottrdquo hier als etwas zu betrachten ist das Jesus bereits besaszlig aber nicht zu seinem eigenen Vorteil aus-nuumltzen wollte oder genutzt hat Es scheint erhebliche (wenn auch nicht unwider-legbare) sprachliche Beweise dafuumlr zu geben dass die beiden hier genannten Ob-jekte bdquodie FormGestalt von Gottrdquo und bdquoGleichheit mit Gottrdquo grundsaumltzlich als gleichbedeutend betrachtet werden koumlnnen1126 Sowohl aus sprachlicher als auch

1122 Ralph P Martin Epistle of Paul to the Philippians An Introduction and Commentary Tyndale New

Testament Commentaries (Grand Rapids Eerdmans 1987) p 102 (Der Paulusbrief an die Philipper Einfuumlhrung und Kommentar)

1123 BeDuhn p 55 1124 Ethelbert Stauffer New Testament Theology (London SCM Press 1955) p 284 1125 Wallace argumentiert dass der Zweck des Artikels vor bdquoeinairdquo darin besteht bdquoeinai isa theordquo als das

direkte Satzobjekt in der Aussage zu identifizieren Siehe Daniel Wallace Griechische Grammatik Jen-seits der Grundlagen (Grand Rapids Zondervan 1996) S 186 Auf der anderen Seite argumentiert Blass dass der Artikel hier anaphorisch ist und signalisiert dass der Begriff den er aumlndert auf ein bereits in der Anweisung erwaumlhntes Objekt verweist Siehe Friedrich Blass A Greek Grammar of the New Testament and Other Early Literature (Griech Grammatik des Neuen Testaments und anderer fruumlher Literatur) (Chicago University of Chicago Press 1961) Abschnitt 205 Da wir nicht in der Lage sind unbestreitbar nachzuweisen dass der Artikel anaphorisch ist sind wir nicht in der Lage in diesem einen Punkt eine unbestreitbare Auslegung vorzunehmen

1126 For examples of support for this view see Robert H Gundry ldquoStyle and Substance in sbquoThe Myth of God Incarnatersquo according to Philippians 26-11rdquo in Crossing the Boundaries (Leiden Brill 1994) pp 283-

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aus historischer Sicht scheint dies die staumlrkere Position zu sein Allerdings ergibt sich daraus noch keine unabdingbare Implikation einer trinitarischen Sichtweise

Wenn der Ausdruck sich in der bdquoFormbdquo oder bdquoGestalt Gottesrdquo zu befinden gleichbedeutend ist mit im bdquoBild Gottesrdquo zu sein und wenn diese Ausdrucksweise eine Parallele zu Adam zieht sollte es nicht schwierig sein zu verstehen was Pau-lus meint wenn er bdquoGleichheit mit Gottrdquo sagt1127 Der erste Adam bdquoder Sohn Gottesrdquo (Lukas 338) stellte ein Abbild Gottes dar Er hatte die Rolle als Herr-scher uumlber die Erde und ihre Geschoumlpfe inne Er genoss eine funktionale nicht aber eine ontologische [wesensmaumlssige] Gleichstellung mit Gott Von der Welt aus betrachtet war Adam Gott gleichgestellt er handelte an Gottes Stelle und erteilte Befehle basiert auf Gottes Autoritaumlt Jesus der zweite bdquoSohn Gottesrdquo (Lukas 135) war gleichfalls nach dem Ebenbild Gottes gemacht Er war als rechtmaumliger Koumlnig auserwaumlhlt - er war der von Gott eingesetzte Herrscher Gott geleichge-stellt Gemauml Paulus bedeutet bdquoGleichheit mit Gottrdquo nicht dass Jesus in seiner Natur Gott selbst war sondern dass Jesus wie Gott als sein Agent und sein Ver-treter fungierte Die griechische Sprache des Paulus unterstuumltzt diese Interpreta-tion Mehrere katholische Gelehrte haben bestaumltigt dass der griechische Satz bdquoisa theourdquo

nicht einfach mit Begriffen wie bdquoGleichheit mit Gottrdquo uumlbersetzt werden darf Das wuumlrde die Form bdquoisos theosrdquo erfordern Was wir im Text haben ist das Adverb bdquoisardquo und das bedeutet lediglich bdquoals Gottrdquo bdquowie Gottrdquo Es gibt also keine Aussage daruumlber dass Chris-tus Gott gleich und ebenbuumlrtig ist und das wiederum spricht gegen eine Interpretation im Sinne der Prauml-Existenz So gibt es nach An-sicht des katholischen Exegeten und des Jerusalemer Dominika-ners Jerome Murphy-OConnor aus beiden traditio-historischen sprachlichen Gruumlnden bdquokeine Rechtfertigung fuumlr die Interpretation des Satzes der Hymne [des Philipperbriefs] im Sinne des Seins von Christusrdquo1128

Fuumlr Paulus war Jesus nicht Gott selbst sondern bdquoals Gottrdquo dh er funktionierte als Gott weil er Gottes Repraumlsentant oder Gottes irdisches Aumlquivalent war Die Erinnerung an unsere typologische Parallele zu Joseph erweist sich einmal mehr als nuumltzlich In 1 Mose 4418 hatten die Bruumlder Josephs erkannt dass Joseph bdquo denn du bist wie der Pharaordquo (LUT) oder bdquodu bist dem Pharao gleichrdquo (ELB) oder bdquodu

284 H A W Meyer Critical and Exegetical Handbook to the Epistles to the Philippians and the Colossians (Ed-inburgh T amp T Clark 1875) p 88 N T Wright ldquoHarpagmos and the Meaning of Philippians 25-11rdquo Journal of Theological Studies Vol 37 (Oxford OUP 1986) p 344

1127 Steenburg p 99 1128 Kuschel p 251 unsere Hinzufuumlgung

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bist der Stellvertreter des Pharaosrdquo (HFA) oder bdquodu stehst so hoch wie der Pharaordquo (Menge) Uumlber das Prinzip der Handlungsvollmacht [Shaliah)] war Joseph als Ver-treter des Pharaos dem Pharao gleichgestellt Uumlber Mose selbst ein Typus fuumlr Christus wurde auch gesagt dass er fuumlr den Pharao bdquowie Gottrdquo gemacht wurde (2 Mose 416 71 bdquoDa sprach der HERR zu Mose Sieh ich mache dich zum Gott fuumlr den Pharaoldquo ZB) Dasselbe Prinzip gilt also bei Paulus auch fuumlr Jesus nachdem er ihn als Gottes Bild oder Darstellung identifiziert

Aber in den Augen von Paulus versuchte Jesus nicht seinen erhabenen Status gegenuumlber seinen Bruumldern auszunuumltzen er wurde als bdquonach dem Aussehen aller anderen Menschenrdquo befunden Er hatte nicht wie ein Koumlnig gelebt obwohl er ein Koumlnig war sondern wusch seinen eigenen Juumlngern die Fuumlszlige (Johannes 1312) Er machte ihnen klar bdquoIch aber bin in eurer Mitte wie der Dienenderdquo (Lukas 2227) Wie Kuschel bemerkt war Adams erste Strafe bdquoeine Art Sklavenexistenz zu fuumlh-renrdquo1129 Die freiwillige Uumlbernahme einer Art von bdquounwuumlrdigemldquo Leben des zwei-ten Adams macht Jesus moralisch so lobenswert Er profitierte nicht von seinen koumlniglichen Privilegien sondern unterwarf sich konsequent dem Leiden bis hin zum Tod (Philipper 28) Murphy-OConnor fasst den Abschnitt in fachkundiger Sprache so zusammen

Als der Gerechte Mensch par excellence war Christus das vollkom-mene Bild (eikon) Gottes Er war genau das was Gott fuumlr den Men-schen vorgesehen hatte Sein suumlndloser Zustand haumltte ihm das Recht gegeben so behandelt zu werden als waumlre er Gott das heiszligt die Unvergaumlnglichkeit zu genieszligen in der erste Adam geschaffen wurde Dieses Recht nutzte Jesus jedoch nicht zu seinem eigenen Vorteil aus sondern er gab sich den Folgen einer ihm nicht gebuumlh-renden Existenzweise hin indem er den Rang eines Sklaven akzep-tierte der Leiden mit sich brachte und den Tod1130

Der erste Adam hatte seinen Status eigenwillig ausgenutzt und Grenzen uumlbertre-ten die Gott gesetzt hatte er hatte im flagranten Widerspruch zu Gott seine ei-genen Wuumlnsche verfolgt Jesus hingegen verleugnete seinen eigenen Wunsch dem Kreuz zu entkommen und unterwarf sich dem Willen Gottes (Lukas 2242) Paulus erklaumlrt an anderer Stelle dass das Gewicht des bdquoUngehorsams eines Men-schenrdquo (Adams Nichteinhaltung des goumlttlichen Befehls) durch bdquoden Gehorsams eines Menschenrdquo uumlberwunden wurde (Jesu Unterwerfung Roumlmer 519) und des-halb soll Christus jetzt groszlige Ehre zuteil werden

1129 Ebenso 1130 Jerome Murphy-OrsquoConnor ldquoChristological Anthropology in Phil 26-11rdquo Revue Biblique Vol 93 (Paris

1976) p 49f unsere Hinzufuumlgung

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Aber wie verhaumllt es sich mit den Versen 7-8 von Philipper 2 Bedeutet das Ereig-nis nicht einfach die Inkarnation oder Fleischwerdung Wir lesen dass Jesus sich bdquoselbst entaumluszligerte und nahm Knechtsgestalt an ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkanntrdquo (Philipper 27 LUT 2017) Die Frage ist Wovon genau hat sich Jesus entaumluszligert Das trinitarische Argument ist dass Phi-lipper 26-8 sich mit der inneren Natur beschaumlftigt doch mit dieser Ansicht gibt es mehrere groszlige Probleme Wir zitieren und uumlbersetzen (uUuml) nochmals aus der trinitarisch orientierten NIV bdquoDer da er in der Natur Gottes war die Gleichstellung mit Gott nicht als etwas zu Ergreifendes anstrebte sondern sich selbst zu nichts machte indem er die Natur eines Dieners nahm der in Menschengestalt geschaffen wurderdquo Aber wenn es zutrifft dass es in dem Vers um die innere Natur (als Gott) geht dann hat Chris-tus wenn er sich bdquoentaumluszligertrdquo und die bdquoNaturrdquo eines Dieners (Menschen) ange-nommen hat nicht auf seine goumlttliche Natur verzichtet und nur den Menschen angenommen Das Wort fuumlr bdquoentaumluszligernrdquo lautet hier bdquokenoordquo (κενόω) und ist defi-niert als bdquoleeren Inhalte berauben unwirklich machenrdquo und wird in anderen Versionen als bdquounguumlltig machenrdquo und bdquoleer machenrdquo uumlbersetzt Thayer versteht bdquokenoordquo in dem Sinne dass man etwas bdquohohlrdquo oder bdquofalschrdquo macht Interessanter-weise verwendet Roumlmer 414 das Wort auf diese Weise bdquoDenn wenn jene die aus dem Gesetz leben Erben sind dann ist der Glaube nichts (kenoo) und die Verheiszligung ist dahinrdquo (LUT) oder bdquoder Glaube waumlre entwertet (kenoo) und die Zusage haumltte ihren Sinn verlorenrdquo (GNB) Wenn Philipper 27 wirklich davon spricht die goumlttliche Natur Christi bdquokenoordquo zu machen dann ist sie leer hohl nutzlos falsch null und wir-kungslos gemacht worden Die Trinitarier scheinen hier selbst vorzuschlagen dass der irdische Jesus ohne Gottes Natur war lediglich ein Mensch1131 Natuumlrlich spricht dieser Abschnitt nicht davon dass Jesus seine Gottheit aufgegeben oder seine Gottesnatur bdquoverstecktrdquo habe sollte er sie uumlberhaupt je besessen haben Wir wissen das weil die Schriftstelle besagt dass er im Austausch fuumlr das was er ent-aumluszligert oder geleert hat bdquodie Form eines Knechtes angenommen hatrdquo (Vers 7b) Gottheit ist eine Natur Aber die Stellung eines Dieners eines Knechtes oder eines Sklaven ist eine Rolle

1131 Einige trinitarische Gelehrte haben eine bdquoKenosis-Theorierdquo vorgeschlagen in der der Sohn in der Inkar-

nation sich seiner goumlttlichen Attribute entledigt hat Nach dieser Theorie erklaumlrt diese bdquoEntleerungrdquo [Entaumluszligerung] Jesu Mangel an Allwissenheit in Markus 1332 und andere Inkonsistenzen die durch die Lehre von den zwei Naturen (Dualismus) hervorgerufen werden Natuumlrlich bleibt die Frage nach seiner angeblich goumlttlichen Natur Wenn Jesus sich von Gottes Eigenschaften entledigt hat wie kann er dann [noch] ganz Gott sein Die meisten haben solche Theorien als unorthodox und gefaumlhrlich abgelehnt Fuumlr weitere Informationen zu diesem Thema siehe C Stephen Evans (ed) Exploring Kenotic Christology The Self-Emptying of God (Oxford 2006) Oliver Crisp Divinity and Humanity The Incarnation Reconsidered (Cambrdige 2007) esp pp 118-153

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Also was genau sagt uns Paulus Wir duumlrfen nicht vergessen dass der Kontext von Philipper 2 bdquoDemut unter Bruumldernldquo ist1132 In diesem Zusammenhang waumlre eine angemessenere Interpretation dass Jesus seine [ihm zugedachte] Funktion als rechtmaumlszligiger Herrscher in Gottes Auftrag aufgegeben und die Rolle eines Dieners uumlbernommen hat Obwohl der goumlttlich ernannte Vertreter Gottes uumlber seine Bruumlder haumltte herrschen koumlnnen wurde er stattdessen als einer von ihnen niedrig und unterwuumlrfig Er war in seiner selbst angenommenen Rolle der Knechtschaft gegenuumlber Gott und seinen Mitmenschen so engagiert dass er in den Tod ging ohne die Rechte des Sohnes Gottes in Anspruch zu nehmen Er haumltte dies leicht tun koumlnnen bdquoOder meinst du ich koumlnnte meinen Vater nicht bitten und er wuumlrde mir sogleich mehr als zwoumllf Legionen Engel schickenrdquo (Matthaumlus 2653) Aber anstatt dieses Recht auszuuumlben bdquoerniedrigte er sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode ja zum Tode am Kreuzrdquo (Philipper 28) Christus war Gott vollkommen gehor-sam nicht nur in der freiwilligen Auflassung seines fuumlrstlichen Amtes sondern erlitt daruumlber hinaus das Schicksal eines gemeinen Verbrechers

In Philipper 27 wo Paulus sagt dass Jesus sich bdquoentaumluszligerterdquo bezieht sich Paulus wahrscheinlich auf die Bildsprache des bdquoleidenden Dienersrdquo von Jesaja 5312 wo der Messias bildlich gesprochen bdquoseine Seele zum Tode ausgegossen hatrdquo In dieser Sym-bolik entleert sich Christus von seinem eigenen Leben als irdischer messianischer Herrscher nicht als eine prauml-existierende goumlttliche Natur Im Buch Jesaja erklaumlrt Gott wegen der Bereitschaft des Messias sich dem Tod zu unterwerfen bdquoSiehe mein Knecht wird einsichtig handeln Er wird erhoben und erhoumlht werden und sehr hoch seinrdquo (Jesaja 5213) Damit ist das Portraumlt das Paulus von Christus zeichnet vollstaumln-dig Jesus ist der zweite Adam der indem er seine Rechte bewusst beiseite schob die Rolle eines leidenden Dieners uumlbernahm und bis zum Tod gehorsam war Obwohl er als Repraumlsentant Gottes haumltte behandelt werden sollen als waumlre er selbst Gott akzeptierte er dennoch bereitwillig Boshaftigkeit und Scham Mit die-sem Akt hat Jesus den Vater verherrlicht und seine eigene Verherrlichung [durch den Vater] moumlglich gemacht

Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen verliehen der uumlber jedem Namen ist damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen und jede Zunge be-kenne dass Jesus Christus Herr ist zur Ehre Gottes des Vaters (Philip-per 29-11 ELB)

Das Schluumlsselwort ist bdquodarumrdquo was bdquoaus genau diesem Grundrdquo bedeutet Gerade weil Jesus sich unterworfen hat und gehorsam war ist er der Erhoumlhung uumlber nicht

1132 Paul ermahnt den Leser bdquoSo erfuumlllet meine Freude dass ihr einerlei gesinnt seid dieselbe Liebe

habend einmuumltig eines Sinnes nichts aus Parteisucht oder eitlem Ruhm tuend sondern in der Demut einer den anderen houmlher achtend als sich selbstrdquo (Philipper 23-4)

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nur den irdischen Bereich wuumlrdig der ihm zu Recht gehoumlrte sondern jetzt auch uumlber die Engel und uumlber alle himmlischen Kraumlfte alles auszliger Gott (1 Petrus 322 Eph 120-22 1 Kor 1545) Diese Supererhoumlhung war schlieszliglich immer die Bestimmung gewesen die Gott fuumlr die Menschheit bestimmt hatte Jesus war jetzt der Erste der sie empfangen hat er wurde zum Vorlaumlufer zum Wegbereiter unserer Errettung zum bdquoPionier unserer Erloumlsungrdquo (Hebraumler 210) Wie wir wei-ter im Hebraumlerbrief lesen

Er ist um so viel erhabener geworden als die Engel wie er einen vorzuumlgli-cheren Namen vor ihnen ererbt hat Denn nicht Engeln hat er den zu-kuumlnftigen Erdkreis unterworfen von dem wir reden es hat aber irgendwo jemand bezeugt und gesagt bdquoWas ist der Mensch dass du seiner gedenkst oder des Menschen Sohn dass du auf ihn achtest Du hast ihn ein wenig unter die Engel erniedrigt mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn ge-kroumlnt du hast alles unter seine Fuumlszlige gelegtrdquo Denn indem er ihm alles un-terwarf lieszlig er nichts uumlbrig das ihm nicht unterworfen waumlre jetzt aber sehen wir ihm noch nicht alles unterworfen Wir sehen aber Jesus der ein wenig unter die Engel erniedrigt war wegen des Todesleidens mit Herrlichkeit und Ehre gekroumlnt damit er durch Gottes Gnade fuumlr jeden den Tod schmeckte (Hebraumler 14 25-9 NGUuml)

Der obige Abschnitt aus dem Hebraumlerbrief ist eine knappe Zusammenfassung von der bdquoChristologie des Leidenden Adamsrdquo den Paulus in Philipper 26-11 vor-stellte Gottes Traum war dass die Menschen einst uumlber die Erde und schlieszliglich uumlber die Himmel und auch die Engel herrschen sollten Aber die Erfuumlllung dieser groszligen Vision ist global noch nicht eingetreten Es wurde erst von einem Indivi-duum dieser geschundenen Menschenrasse dem Menschen Jesus erreicht Und er hat es nur durch das Leiden und seinen Gehorsam bis zum Tod vollbracht Darum erhielt er einen Namen der uumlber jedem Namen ist sogar uumlber den En-geln Dieses Ereignis oumlffnete die Tuumlr fuumlr die zukuumlnftige Entwicklung des Restes der Menschheit Der Mensch soll nicht nur uumlber die irdischen sondern auch die himmlischen Maumlchte verfuumlgen Jesu Uumlberlegenheit gegenuumlber den Engeln war nur der erste Schritt in einem groumlsseren Programm der Wiedereinsetzung Adams Man koumlnnte bildlich sagen dass in dieser sbquoRevolutionsbquo Gottes der Menschheit die sbquoersten Schuumlsse gefeuertsbquo wurden Fuumlr Paulus sind die Bruumlder Jesu dazu bestimmt bdquoMiterben mit Christusrdquo zu sein (Roumlmer 817) die an Jesu eigenem Erstgeburtsrecht teilhaben Deshalb erinnert uns Paulus bdquoWisst ihr nicht dass wir uumlber Engel richten werdenrdquo (1 Korinther 63)

In Philipper 2 sehen wir dass Jesus letztendlich seinen Status wegen seines akti-ven Mitwirkens am Werk Gottes verliehen wird Dies geschieht nicht weil er angeblich eine inhaumlrente goumlttliche Natur traumlgt Jede Ehre die Jesus jetzt zu Recht

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zuteil wird fuumlr das was er getan hat verherrlicht Gott den Vater (Vers 11) Wir sollten nicht uumlbersehen dass das Finale der Anerkennung Jesu als bdquoHerrrdquo nicht Jesu Verherrlichung als sbquoGottrsquo bezweckt sondern der Verherrlichung des groszligen Gottes dient der ihn erhoumlht hat bdquoJede Zunge bekenne dass Jesus Christus Herr ist zur Ehre Gottes des Vatersrdquo (Philipper 211 ELB) In diesem Licht sieht James Dunn deutlich die Parallele zu Adam wie von Paulus erklaumlrt

Kurz gesagt der Fall bleibt stark wenn bewusst auf Adam und ei-nen Kontrast zu Adam in Philipper 26-11 angespielt wird der zweite Adam-Christus hat nach seinem eigenen Entschluss und aus freien Stuumlcken das uumlble Vermaumlchtnis angenommen welches das unerlaubte Greifen nach der Frucht und Adams Ungehorsam der Menschheit hinterlassen hat Jesus akzeptierte das Los der Mensch-heit freiwillig als Sklave der Suumlnde und des Todes welche die Fol-gen des Uumlbergriffs von Adam waren Und Jesus nahm freiwillig den Tod in Kauf der die Folge von Adams Ungehorsam war Folglich wurde Jesus in houmlchstem Maszlig erhoumlht zum Rang und zur Rolle die urspruumlnglich fuumlr [den ersten] Adam bestimmt waren (Psalm 86) Zu argumentieren dass die houmlchste Erhabenheit (Philipper 29) eine Wiederaufnahme [einer fruumlheren] goumlttlichen Existenzweise war die er bereits in 26 genossen hatte laumlsst nicht nur das Adam-Motiv von Paulus voumlllig auszliger Acht sondern auch die folgerichtige Betonung von kyrios (Herr) ein Titel der Jesus erst bei der Erhoumlhung verliehen wurde1133

Dr Kuschel erkennt die Bedeutung von Paulus Adam-Christus Gegenuumlberstel-lung Er schreibt

Juumldisches Erbe statt hellenistischer Synkretismus mag der Schluumlssel zum Verstaumlndnis der Hymne im Philipperbrief sein Tatsaumlchlich hinterfragen immer mehr heutige neutestamentliche Gelehrte die bisherigen Praumlmissen der Exegese und koumlnnen die Praumlexistenz ge-schweige denn die Inkarnation in der Hymne des Philipperbriefs nicht sehen aus gutem Grund in diesem Text wird Christus nicht als praumlexistentes Himmelswesen gefeiert sondern auf gute juumldische Weise als menschliches Gegenstuumlck zu Adam Christus ist die groszlige kontrastierende Figur zu Adam

Adam der dreiste Mensch - Christus der Mensch der sich selbst gedemuumltigt hat

1133 James Dunn The Theology of Paul the Apostle (Grand Rapids Eerdmans 1998) p 287 unsere Hin-

zufuumlgung

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Adam der von Gott zwangslaumlufig gedemuumltigt werden musste - Christus der Mensch der sich freiwillig vor Gott gedemuumltigt hat Adam der rebellische Mensch - Christus der Mensch der voumlllig gehorsam war Adam der letztendlich verflucht wurde - Christus derjenige der letztendlich erhoumlht wurde Adam der wie Gott sein wollte und am Ende zu Staub wurde Christus der im Staub war und tatsaumlchlich zum Kreuz gegangen ist und am Ende der Herr uumlber den Kosmos ist1134

Wie Murphy-OConnor feststellt bdquoDie urspruumlngliche Hymne (Philipper 26-11) stellt einen Versuch dar die Einzigartigkeit Christi zu definieren der als Mensch genau betrachtet wird Das ist es was man zu Beginn der christlichen Theologie erwarten wuumlrderdquo1135

HatderMessiasuumlbereinenDreieinigenGottgelehrtSetzen wir unsere Untersuchung der biblischen Unterscheidung zwischen Gott und seinem Messias fort Wir werden oft mit einer haumlufig zitierten neutestament-lichen Passage konfrontiert bdquoGeht nun hin und macht alle Nationen zu Juumlnger und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistesrdquo (Matthaumlus 2819 ELB) In ihrem apologetischen Buch The Trinity erklaumlren die trinitarisch gesinnten Autoren dass bdquoder wahrscheinlich staumlrkste Hinweis auf eine solche goumlttliche Dreieinigkeit im beruumlhmten Evangelisierungsauftrag steht den Jesus in ihrer Taufformel der Kirche gabrdquo1136 Aber beachten wir dass die Autoren zugeben dass es sich nur um einen bdquoHinweisrdquo auf die Existenz der Dreifaltigkeit handelt nicht um eine tatsaumlchliche Praumlsentation des Konzepts

Waumlhrend dieser Abschnitt den Vater den Sohn und den Heiligen Geist erwaumlhnen mag lehrt er jedoch nicht dass es sich um drei Divisionen innerhalb der Gottheit handelt Wir finden in diesem Vers keine [exegetische] Erklaumlrung dass der Vater der wahre Gott ist der Heilige Geist der wahre Gott und der Sohn der wahre Gott und dass alle drei als ewige gleichberechtigte Mitglieder desselben Wesens

1134 Kuschel pp 250-252 unsere Hinzufuumlgung 1135 Murphy-OrsquoConnor p 49 unsere Hinzufuumlgung 1136 Woodrow W Whidden Jerry Moon John W Reeve The Trinity Understanding Godrsquos Love

His Plan of Salvation and Christian Relationships (Review and Herald Publishing Association 2002) p 32 (Die Trinitaumlt Verstaumlndnis von Gottes Liebe Seinem Heilsplan und die Christlichen Bezie-hungen)

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existieren Wenn Matthaumlus 2819 so belassen wird wie geschrieben steht haben wir die Anweisung Jesu in der Autoritaumlt Gottes Jesu und des Heiligen Geistes zu taufen

Die juumldischen Massen in Jerusalem hatten erkannt dass Jesus der Koumlnig von Is-rael war der bdquoim Namen Jahwesrdquo (Matthaumlus 219) kam dh dass er mit Gottes Macht zu ihnen kam Ebenso sagte Gott uumlber den Engel der in 2 Mose 2321 die Autoritaumlt Gottes ausgeuumlbt hat bdquoMein Name ist in ihmrdquo Der Satz bdquoim Namen vonrdquo taucht bei Matthaumlus tatsaumlchlich mehrmals als Hinweis auf die Autoritaumlt eines bestimmten Subjekts auf bdquoEs werden viele zu mir sagen an jenem Tage Herr Herr haben wir nicht in deinem Namen geweissagt Haben wir nicht in deinem Namen Daumlmonen ausge-trieben Haben wir nicht in deinem Namen viele Machttaten getanrdquo (Matthaumlus 722) Die Autoritaumlt in die man getauft wird muss nicht unbedingt Gott sein Paulus sagt dass die Israeliten bdquoalle in Mose getauft wurdenrdquo (1 Kor 102) oder durch die Auto-ritaumlt die der Name Mose traumlgt Das Rezept Jesu sowohl in der Autoritaumlt des Va-ters und des Sohnes als auch in der Autoritaumlt des Heiligen Geistes zu taufen aumlhnelt einem Polizisten der einen Befehl erteilt bdquoim Namen des Gesetzesrdquo oder durch die Autoritaumlt die das Gesetz traumlgt aufzuhoumlren Eine klare und notwendige Dreifaltigkeit kann hier nicht abgeleitet werden

Allerdings haben viele neutestamentliche Gelehrte tatsaumlchlich vorgeschlagen dass der Originaltext von Matthaumlus 2819 moumlglicherweise nicht in den noch vor-handenen Manuskripten erhalten geblieben ist Die Form der Passage die in un-seren modernen Bibelausgaben existiert mit Bezug auf Vater Sohn und Heiligen Geist scheint mit der Praxis der Juumlnger im Neuen Testament inkonsistent zu sein Wenn die heute vorherrschende Version korrekt ist scheint die spezifische bdquoFor-melrdquo Christi (sollte es sich wirklich um eine Formel handeln) zugunsten der Taufe nur bdquoim Namen Jesurdquo ignoriert zu werden (Apg 238 816 1048 195 Gal 327 Roumlm 63) Im gesamten Bericht der neutestamentlichen Gemeinschaft taufen die Nachfolger Christi immer (Apg 238) sprechen (Apg 417-18) lehren (Apg 528) befehlen (Apg 1618) und heilen (Apg 47-10) - alles bdquoim Namen Jesurdquo Deutet das Fehlen der bdquoDreieinigen Formelrdquo auf eine apostolische Nichteinhaltung der An-weisungen Christi hin oder sind wir auf eine moumlglicherweise textliche Textverfaumll-schung in Matthaumlus gestoszligen Eusebius (gestorben 340 n Chr) laumlsst einen Blick auf eine fruumlhere Version von Matthaumlus 2819 zu wenn er sie in seiner Rede zitiert als bdquoGeht und machet alle Nationen in meinem Namen zu Juumlngernrdquo1137 Auch in seiner Kirchengeschichte zitiert er sein Manuskript als bdquoin meinem Namenrdquo1138 Dies scheint eher mit der historischen Praxis der Persoumlnlichkeiten der neutestamentli-

1137 Eusebius of Caesarea Oration of Emperor Constantine 16 8 (Gebet des Kaisers Konstantin) 1138 Eusebius of Caesarea Church History 5 2

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chen Kirche in Einklang zu stehen Diese Diskrepanz wurde von vielen Gelehr-ten festgestellt die auf die Moumlglichkeit einer spaumlteren kirchlichen Interpolation [Einfuumlgung] hinweisen1139

Nichtsdestotrotz bestaumltigt die bestehende Form des Verses in den noch vorhan-denen Manuskripten keinesfalls die trinitarische Doktrin und ist keineswegs ein trinitarischer Beweistext Wenn Matthaumlus 2819 das beste Beispiel fuumlr die Drei-faltigkeit im Neuen Testament ist koumlnnen wir uns getrost den Gelehrten auch aus dem trinitarischen Lager anschlieszligen die zugeben dass bdquoes keine Beweistexte gibtrdquo1140 und dass bdquodie Lehre von der Dreifaltigkeit nicht von Jesus gepredigt wurderdquo1141

Letztendlich stellen wir fest dass der Messias sowohl im Alten als auch im Neuen Testament immer ein ehrenwerter Mensch als erhabener Prinz der Menschheit ist aber in keiner Weise eine Gestalt welche die Anerkennung und Stellung des einen Gottes an sich reiszligt (Hesekiel 3423-24) Jesus selbst erklaumlrte dass er den einen Gott anbetet (Lukas 48 Johannes 422) Mit Gott meint er weder sich selbst noch ein dreieiniges Komitee verschiedener Personen sondern einen Gott den er stattdessen als bdquoeinen Herrnrdquo (Markus 1229) und als die Gottheit des tradi-tionellen Judentums bezeichnet (Johannes 854) Zwischen dem von Mose dar-gestellten Gott sowie dem von anderen alttestamentlichen Propheten und dem von Jesus gezeichneten Bild gibt es keinen Unterschied Ein Professor der Kir-chengeschichte bestaumltigt

Das Alte Testament ist streng monotheistisch Gott ist ein singulauml-res persoumlnliches Wesen Die Vorstellung dass dort eine Dreieinig-keit zu finden waumlre ist voumlllig unbegruumlndet An dieser Stelle gibt es keinen Bruch zwischen dem Alten und dem Neuen Testament Die mo-notheistische Tradition wird fortgesetzt Jesus war ein Jude der von juumldischen Eltern in den alttestamentlichen Schriften ausgebil-det wurde Seine Lehre war bis ins Mark juumldisch keine neue The-

1139 bdquoEs wird oft behauptet dass die Worte im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes

nicht die ipsissima verba [die genauen Worte] Jesu sind sondern eine spaumltere liturgische Ergaumlnzungldquo (Tyndale neutestamentliche Kommentare I S 275) bdquoDie formale Authentizitaumlt von Matt 2819 muss in Frage gestellt werdenrdquo (Schaff-Herzog Enzyklopaumldie des religioumlsen Wissens S 275) 435) bdquoDas his-torische Raumltsel wird nicht durch Matthaumlus 2819 geloumlst da es nach einem breiten wissenschaftlichen Konsens kein authentischer Spruch Jesu ist nicht einmal eine Ausarbeitung eines Jesus-Spruchs uumlber die Tauferdquo (The Anchor Bible Dictionary Vol 1 1992 S 585) bdquoIn jedem Punkt ist der Beweis der Apostelgeschichte ein uumlberzeugender Beweis dafuumlr dass die in Matthaumlus 2819 verkoumlrperte Tradition spaumlt und unhistorisch istrdquo (FJ Foakes Jackson amp Kirsopp Lake The Jewish Gentile and Christian Backgrounds pp 335-337)

1140 Ryrie Basic Theology p 89 1141 Hanson The Image of the Invisible God p 87 (Das Bild des unsichtbaren Gottes)

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ologie Und er akzeptierte den groszligen Text des juumldischen Mono-theismus als seinen eigenen Glauben bdquoHoumlre Israel der HERR unser Gott ist ein einziger HERRrdquo1142

Koumlnnten moderne Bibelstudenten durch das aufruumlttelnde Zeugnis des Messias bewegt werden dass diese eine Einheit [Gottes] immer groumlszliger ist als er (Joh 1428) dass er bdquomein Gott und dein Gottrdquo ist (Joh 2017) dass er spezifisch bdquoder Vaterrdquo ist (Joh 423-24) und dass dieser Vater allein bdquoder einzig wahre Gottrdquo ist (Markus 123234 Joh 171-3) Diese einfach verstaumlndlichen Behauptungen scheinen jedoch weitgehend auf taube Ohren zu stoszligen zugunsten von hochgra-dig spitzfindigen Subtilitaumlten die nie zu einer praktischen Offenbarung fuumlhren sondern kopfuumlber in die Verwirrung

1142 L L Paine A Critical History of the Evolution of Trinitarianism (Boston Houghton Mifflin amp Co

1900) p 4 unsere Hinzufuumlgung (Eine Kritische Geschichte der Entwicklung des Trinitarismus)

Vor Grundlegung der Welt

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VorGrundlegungderWelt

bdquoDas Nuumltzlichste was wir im Leben lernen koumlnnen ist zu verlernen was unwahr istrdquo

mdash Antisthenes (444 - 371 v Chr)

URCH UNSEREN UumlBERBLICK den wir bisher in diesem Buch uumlber die metaphysischen Modelle der Platoniker und Gnostiker gewonnen haben beobachten wir wie grundlegend dieser Rahmen fuumlr die trinita-

rischen Prinzipien war und wie direkt er in den historischen christlichen Glauben eingefuumlhrt wurde Die platonischen und gnostischen Vorstellungen von realer Praumlexistenz von der Seelenwanderung dem wahren Einklang von menschlicher und goumlttlicher Natur alle diese Modelle wurden von den fruumlhen Katholiken lei-denschaftlich gesammelt Auch wenn es oft unbequem war haben sie Christus darauf basiert Dadurch entstand eine Art Verliebtheit mit einem bdquovor-menschli-chenrdquo Jesus Diese wurde gefoumlrdert und ist noch heute der Glaube der das tradi-tionelle Christentum praumlgt Die Vorstellung dass vor seiner Empfaumlngnis in Maria Christus real und persoumlnlich existierte findet sich nicht nur in trinitarischen Krei-sen sondern auch bei modernen bdquoArianernrdquo (Zeugen Jehovas) Mormonen Bini-tariern (Armstrongismus) und Sabellianern (Einheitspfingst-bewegung ndash Onen-ess Pentecostal) obwohl sie sich daruumlber unterscheiden wer Christus vor seiner Geburt war Trinitarier behaupten dass Christus bereits als die ewig gezeugte zweite Person der Dreifaltigkeit existierte Die Arianer sind der Ansicht dass Christus als ein hohes Geist-Wesen oder ein Engel die chronologisch erste Schoumlpfung Gottes bereits existierte Mormonen sagen dass er der erste und groumlszligte der Geist-Soumlhne Gottes und Luzifer sein Bruder war Sabellianer (Moda-listen) sagen dass er zuerst als Gott der Vater da war bevor er der Sohn wurde Ungeachtet der breitgefaumlcherten Vielfalt der Theorien uumlber seine vormenschliche

D

Vor Grundlegung der Welt

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Identitaumlt stoszligen wir auf grosse Diskrepanzen zwischen diesen Ansichten So po-pulaumlr sie einerseits auch sein moumlgen muumlssen sie durch die exakte Darlegung der Evangelien gepruumlft werden Die biblischen Daten bringen uns zur Frage ob der Streit daruumlber wer Jesus vor seiner Geburt war wirklich der richtige Ansatzpunkt der Debatte ist Vielleicht sollten wir uns stattdessen fragen ob Jesus vor seiner Geburt wirklich existiert hat

Es gibt eine bescheidene Sammlung von Jesu Spruumlchen in den Evangelien von denen allgemein gesagt wird dass sie die Vorstellung von seiner eigenen persoumln-lichen Existenz vor der Schoumlpfung der Genesis in einer entlegenen Sphaumlre unter-stuumltzen Aufgrund der Mehrdeutigkeit eben dieser Passagen ist es moumlglich sie in einer Vielzahl unterschiedlicher Christologien einzusetzen was beharrlich auch geschieht Keiner dieser Spruumlche Jesu kann jedoch als ausschlieszliglich sbquotrinitarischrsquo angesehen werden Tatsaumlchlich ist die Prauml-Existenz eine Sache die Prauml-Existenz als zweites Glied eines dreieinigen Gottes aber eine andere Die Aussagen Christi werden wir untersuchen aber erst nachdem wir einige der Probleme der Tradi-tion der woumlrtlichen Prauml-Existenz sowie der exegetischen Methodik und Weltan-schauung kennengelernt haben die eine korrekte Interpretation der Lehren Christi erfordert

PlatonischePrauml-ExistenzgegenklassischeJuumldischePrauml-ExistenzEs ist von groumlszligter Bedeutung genau zu bestimmen was man unter bdquoPraumlexistenzrdquo versteht Das Konzept variiert stark zwischen den Volksgruppen und Religionen der Antike aber fuumlr den Zweck dieser Untersuchung werden wir diese Ansichten in zwei Arten einteilen Griechisch [hellenistisch] und juumldisch Mit Fug und Recht kann man sagen dass die Juden wie die Griechen an die Vorexistenz aller Dinge glaubten1143 Doch ihre Vorstellungen von Praumlexistenz sind so unterschiedlich wie die Kulturen und Religionen in denen sie gediehen Hier ist wie die allgemei-nen Ansichten zusammengefasst werden koumlnnen Die griechische Praumlexistenz ist woumlrtlich und gegenwaumlrtig waumlhrend die juumldische Praumlexistenz ideell und konzepti-onell zu begreifen ist1144

1143 Einige hellenisierende Elemente des Judentums der Aumlra des Zweiten Tempels die stark von der pla-

tonischen Philosophie beeinflusst waren nahmen eine woumlrtliche Sicht auf die Praumlexistenz eines jeden Menschen an Die Geschichte beweist jedoch dass dies nicht die Meinung des dominanten Judentums des ersten Jahrhunderts oder der Hebraumler des Altertums war die sich ein ideelle oder eine kontemplative Praumlexistenz fuumlr alles im Geist im Plan oder in der Weisheit Gottes vorstellten Diese hebraumlische bdquoWeisheitrdquo Gottes wurde von spaumlteren juumldischen Philosophen wie Philon von Alexandria als dem griechischen bdquoLogosrdquo Gottes entsprechend wahrgenommen

1144 Das Woumlrterbuch des Spaumlteren Neuen Testaments bestaumltigt diese Unterscheidung bdquoDer vorher ex-istierende Zustand kann als ideell (Existenz im Verstand oder Plan Gottes) oder tatsaumlchlich (eine Ex-istenz neben und verschieden von Gott) beschrieben werdenrdquo (David Capes ldquoPreexistencerdquo Dictionary of the Later New Testament (Downerrsquos Grove IVP 1997) p 956)

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Wie in Teil I dieses Buches festgestellt gehen die griechischen oder platonischen Weltanschauungen von der Annahme aus dass alle Menschen unsterbliche See-len beherbergen die zuvor auf einer houmlheren himmlischen Ebene existierten bevor sie in unsere irdische Sphaumlre kamen Vor der Inkarnation [Fleischwerdung] als menschliches Wesen lebte die Seele in einer vollkommenen unveraumlnderlichen Welt in der sie alles wusste Die bereits vorhandene Identitaumlt wurde zum Zeit-punkt der Empfaumlngnis in die Form eines neugeborenen Menschen eingefuumlgt das Wissen unterdruumlckt und das Kleinkind muss alles wieder neu lernen Allgemein gesprochen wurde die woumlrtliche Praumlexistenz aller Menschen sowohl von Juden als auch von den Urchristen als unbiblisch abgelehnt Zitate aus Sacharja 121 fin-den sich oft in den klassischen Argumenten bdquoDer HERR bildet den Geist des Menschen in seinem Innerenrdquo Anstatt dass das menschliche Leben bereits existiert und nur darauf wartet von auszligen in einen Koumlrper eingefuumlhrt zu werden wurde im historischen Christentum argumentiert dass Gott entweder jede menschliche Seele ex nihilo [lat aus dem Nichts] im Moment der Empfaumlngnis erschafft1145 oder dass jede Seele von den oder durch die Eltern erzeugt wird1146 Tatsaumlchlich wurde der Glaube an die woumlrtliche Praumlexistenz des Menschen 553 n Chr vom Zweiten Konzil von Konstantinopel als ketzerisch verurteilt Selbst moderne Verteidiger der woumlrtlichen Praumlexistenz Christi bekraumlftigen dass die Praumlexistenz menschlicher Seelen bdquonicht das Ergebnis biblischen sondern platonischen Den-kensrdquo ist1147 Es uumlberrascht jedoch nicht dass der Mensch Jesus Christus von dieser Regel ausgenommen wurde So wird behauptet dass das bewusste Leben Jesu tatsaumlchlich Milliarden von Jahren [gedauert habe] ja sogar die Ewigkeit sei-ner Geburt vorausgegangen sei Trinitarier sind daher der Ansicht die Geburts-erzaumlhlungen in den Evangelien seien die Information dass ein uumlbernatuumlrlicher Nicht-Mensch von auszligen in den Mutterleib des jungen Maumldchens gelangt sei In der Tat wurde der Sohn fuumlr sie bdquoin den Schoszlig der Jungfrau Maria eingesetztrdquo1148 wo er sich mit einer abstrakten menschlichen Natur verband Natuumlrlich hat die Geschichtsschreibung bereits gezeigt dass dieses metaphysische Denken im Christentum nur durch die intensive Vermischung der griechischen Philosophie mit dem christlichen Glauben erreicht wurde Dieser Synkretismus fand nach dem Tod der Apostel statt Wie ein Gelehrter feststellt bdquoDie Denkgewohnheiten

1145 Dieses Konzept wird als bdquoKreationismusrdquo bezeichnet 1146 Bekannt als bdquoTraducianismusrdquo oder bdquoGeneratianismusrdquo 1147 Douglas McCready He Came Down From Heaven The Preexistence of Christ and the Christian Faith

(Downerrsquos Grove IVP Academic 2005) p 220 (Er kam aus dem Himmel herab Die Praumlexistenz Christi und der Christliche Glaube)

1148 ldquoWhen Did Jesus Know He Was the Son of Godrdquo The Bible Study Site Barnabas Ministries Web 16 December 2014 lthttpwwwbiblestudyorgquestionwhen-did-jesus-know-he-was-godhtmlgt (Wann wusste Jesus dass er der Sohn Gottes war)

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welche die Nichtjuden in die Kirche einbrachten reichen aus um die Verfaumll-schungen der apostolischen Lehre zu erklaumlren die im nachapostolischen Zeitalter begannenrdquo1149 Dennoch behauptet Douglas McCready in seinem beliebten Buch zur Verteidigung der Praumlexistenz Jesu dass bdquodie [reale] Praumlexistenz die beste Er-klaumlrung fuumlr sein Zeugnis bleibtrdquo1150 Wir werden bald herausfinden ob dies wirk-lich der Fall ist oder nicht

Was wir die klassische juumldische Sicht der Praumlexistenz nennen ist ganz anders ge-lagert Die aumllteste hebraumlische Auffassung war nicht gleich der griechischen Onto-logie im woumlrtlichen Sinne sondern sie war eine Existenz nur in der bdquoVorkennt-nisrdquo oder bdquoVorherrschaftrdquo Gottes Demzufolge existierten bdquowichtige Gestalten Objekte und Symbole zuerst im Himmel bei Gott bevor sie zu ihren festgelegten Zeiten verwirklicht wurdenrdquo All diese Dinge wohnten nicht woumlrtlich und phy-sisch in einer weit entfernten Dimension sondern wurden von Gott nur persoumln-lich in der Vision seines ewigen Planes fuumlr das Universum vorgestellt Ein Ge-lehrter erklaumlrt es

Wenn der Jude sagte dass etwas bdquopraumldestiniertrdquo sei dachte er es sei bereits in houmlheren Lebensbereichen bdquovorhandenrdquo Die Weltge-schichte ist damit praumldestiniert weil sie in gewisser Weise bereits vorexistent und damit fixiert ist Diese typisch juumldische Vorstellung von Praumldestination laumlsst sich von der griechischen Praumlexistenzidee durch die Uumlberlegenheit des Gedankens der bdquoPraumlexistenzrdquo zum goumlttlichen Zweck unterscheiden1151

In den kommenden Abschnitten werden wir dieses hebraumlische Verstaumlndnis un-tersuchen und wie es sich auf die Aussagen und die Theologie Jesu im Neuen Testament bezieht Aber zuerst muumlssen wir erkennen dass sofort mehrere Schwierigkeiten auftreten wenn das Modell der woumlrtlichen bdquogriechischenrdquo Prauml-existenz von Trinitariern auf die Jesus-Texte angewendet wird In diesem Kapitel werden wir nur einige der Probleme mit dem buchstaumlblichen Anwendungssystem behandeln bevor wir im naumlchsten Kapitel die alternative Sichtweise betrachten

ProblemDerGeistChristiDie Trinitarier sagen dass Christus obwohl ganz Mensch auch ganz Gott sei und deshalb die vollen Eigenschaften Gottes aufweise Gott muss so existieren dass seine eigenen identifizierenden Eigenschaften (Allmacht Von-sich-selbst-

1149 G T Purves The Testimony of Justin Martyr to Early Christianity (New York Randolph and Co

1889) p 167 (Das Zeugnis von Justin Martyr der fruumlhen Christienheit) 1150 McCready p 316 1151 E C Dewick Primitive Christian Eschatology (Cambridge CUP 1912) pp 253 254 unsere Betonung

(Fruumlhchristliche Eschatologie)

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heraus-bestehende Natur (Aseitaumlt) Allwissenheit usw) eingeschraumlnkt werden Ein paar wenige berechtigte Fragen zeigen gleich eine Fuumllle von Problemen auf Was geschah mit Jesu Erinnerungen und Wissen haumltte er sich als allwissender Gott in ein mensch-liches Baby verwandelt Wusste Jesus als hilflos weinendes Kind dass er der Schoumlpfer aller Dinge war Wie kommt es dass ein Wesen von dem behauptet wird es habe nie einen Moment erlebt in dem es nicht ganz Gott war nicht die genauen Eigenschaften aufweist die es identifi-zierbar machen Gab es eine Zeit in der Jesus nicht wusste dass er Gott war

Wie wir sehen werden loumlsen die Erzaumlhlungen der Evangelien eine scheinbar vor-herbestehende Allwissenheit Christi auf Aber das hindert trinitarische Apologe-ten nicht daran folgendes zu behaupten bdquoWaumlhrend seiner Tage im Fleisch blieb Jesus der allwissende Gottrdquo1152 Andere trinitarische Pastoren bestaumltigen bdquoAllwis-send zu sein bedeutet im Gegensatz zu normalen Menschen alles Wissen zu besitzen Die Bibel erklaumlrt dass Jesus tatsaumlchlich allwissend warrdquo1153 Natuumlrlich ist es einfach zu sagen dass bdquodie Bibel dieser oder jener Meinung istrdquo aber es ist eine andere Sache diese Meinung dann auch konsequent zu belegen

Entgegen dieser Behauptungen entdecken wir in den Evangelien dass der junge Jesus der offenbar nicht die Kenntnis aller Dinge von Ewigkeit her verfuumlgbar hatte auf die Erlangung der Erkenntnis hingearbeitet hat bdquoUnd Jesus nahm zu an Weisheit und an Groumlszlige und an Gunst bei Gott und Menschenrdquo (Lukas 252 ELB) Dies zeigt dass Christus nach und nach eine houmlhere Ebene der Weisheitdes Verstan-des erreicht hat (griechisch bdquosophiardquo) definiert als bdquoEinsicht Faumlhigkeit Wissen oder Intelligenzrdquo1154 Aber Jesus ist so will man uns weismachen offensichtlich

1152 Tim Haile ldquoHow Did Jesus lsquoGrow in Wisdomrsquordquo The Bible Banner Web 15 December 2014

lthttpwwwbiblebannercomga_artlk_2_52htmgt unsere Betonung (Wie konnte Jesus sbquozunehmen an Weisheitsbquo)

1153 James L Melton lsquoThe Deity of Jesus Christ Scriptural Proof That Jesus Christ is Godrdquo Bible Baptist Publications Web 15 December 2014 (Die Divinitaumlt Jesu Christi Der Beweis der Schrfit dass Jesus Christus Gott ist) Apologeten argumentieren manchmal dass weil mehrere Verse sagen dass Jesus wusste was in den Herzen oder im Geist der Menschen war die Bibel ihn als allwissenden Gott darstelle Aber bdquoalle Menschen zu kennenrdquo oder bdquozu wissen was im Menschen warrdquo (Joh 224-25) erfordert kaum eine gottaumlhnliche Allwissenheit es erfordert nur zu wissen wie Menschen sind Matthaumlus 94 stellt Jesus als bdquoihre Gedanken wissendrdquo dar und weiszlig was die Menschen in ihren Herzen bdquodachtenrdquo waumlhrend wir argumentieren koumlnnen dass seine Schlussfolgerungen mit natuumlrlichen Mitteln haumltten gezogen werden koumlnnen auch wenn er buchstaumlblich wuumlsste was in ihrem Geist vor sich ging wuumlrde dies keine Gottheit erfordern Andere Menschen in der Bibel wurden durch den heiligen Geist befaumlhigt Gedanken zu bdquolesenrdquo Zum Beispiel wusste Petrus dass Ananias ihn uumlber den Verkauf seines Eigentums angelogen hatte (Apg 53) aumlhnlich Johannes 148 wo Jesus sagt dass er wusste dass Nathanael unter einem Feigenbaum gesessen hatte bevor Philippus ihn rief Ebenso sagte der Prophet Elisa im Alten Testa-ment dass er wusste dass sein verlogener Diener sich mit einem Mann auf einem Wagen getroffen hatte bevor er Elisa traf (2 Koumlnige 526) Diese Art von Wissen zu haben erfordert nicht bdquoganz Gottrdquo zu sein

1154 ldquoSophiardquo Thayerrsquos Greek Lexicon

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der Gott der alles Wissen besass aber dann vergessen hat wie genau man es [auf Erden] anwendet Aber ist das wirklich die einfachste Erklaumlrung des Textes

Betrachten wir ein Zitat aus dem Artikel eines [trinitarischen] Apologeten bdquoEs kann keine einzige Bibelstelle herangezogen werden in der steht dass Jesus In-formationen von Menschen erhalten hatrdquo1155 Aufgrund dieser so impulsiv daher-gesagten Aussage koumlnnte man erwarten dass die Bibel wirklich einen allwissenden Gott-Christus befuumlrwortet Es gibt jedoch mehrere Passagen die dieser Behaup-tung widersprechen bdquoDa nun Jesus houmlrte dass Johannes gefangen gesetzt worden war zog er sich nach Galilaumla zuruumlck (Matt 412) und bdquoJesus houmlrte dass sie ihn (den Blinden) ausgestoszligen hatten Und als er ihn fand fragte er Glaubst du an den Menschensohnrdquo (Joh 935) Das Wort in diesen Passagen fuumlr bdquogehoumlrtrdquo ist das griechische bdquoekousenrdquo das Thayer definiert als bdquoum durch Houmlren zu kommen zu lernen zu verstehen uswrdquo Jesus war offensichtlich an einigen Aktivitaumlten beteiligt wurde von Menschen mit Informationen versorgt und reagierte auf diese Informationen mit einem Kurs-wechsel

Indem wir so problemlos Jesu Beschaffung von Informationen von einer Quelle ausserhalb seiner selbst demonstrieren konnten fragen wir uns was die trinitari-sche Antwort darauf sein koumlnnte Waumlre es dass Jesus Informationen nur in seiner menschlichen Natur erlangte nicht aber in seiner goumlttlichen Natur Wenn das der Fall ist wird die Natur in zwei separate Personen aufgeteilt dies entspraumlche der als bdquoketzerischrdquo erklaumlrten nestorianischen oder valentinianischen Christologie Ob-wohl der durchschnittliche Trinitarier mit der Idee immer noch unzufrieden sein mag wird die konziliare Orthodoxie ihn dazu bringen zu bestaumltigen dass ein zielstrebiger Jesus das Wissen auf einer seiner Geistesebenen empfangen hat aber nicht auf der anderen Aber was ist ein abstrakter Geist ohne eine reale Person da-hinter Unabhaumlngig davon welcher Geist Verstand oder welche Natur angeblich die Aufnahme dieses Wissens erleichtert hat ist es die eine Person Christi die es aufgenommen hat1156

Jesus Christus war offensichtlich nicht allwissend Am treffendsten wird dies ge-gen Ende des Matthaumlusevangeliums demonstriert Auf die Frage nach dem Zeit-punkt der Wiederkunft Christ antwortet Jesus bdquoAber um diesen Tag oder diese Stunde weiszlig niemand nicht einmal die Engel im Himmel und nicht der Sohn sondern nur der Vaterrdquo (Matt 2436) In diesem beruumlhmten Abschnitt begegnen wir noch einmal einigen wichtigen Informationen Jesus verfuumlgt nicht uumlber das Wissen das ausschlieszliglich dem Vater vorbehalten ist Es ist derjenige den Jesus oumlffentlich als den einen und einzigen wahren Gott der Juden anerkannt hat (Joh 854 173) Ist es daher nicht

1155 Haile ldquoHow Did Jesus lsquoGrow in Wisdomrsquordquo (Wie nahm Jesus an Weisheit zu) 1156 Weitere Analysen uumlber die zwei Naturen siehe Hick The Metaphor of God Incarnate S 51ff (Die

Metapher des fleischgewordenen Gottres)

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vernuumlnftig zu dem Schluss zu kommen Gott der Vater besitzt als einziger All-wissenheit und der Vater ist der alleinige Inhaber dieses Attributs der wahren Gottheit Ist das nicht genau das was Jesus in Johannes 173 sagte Wie es moumlg-lich ist dass ein vermeintlich gleichberechtigter und gleich-ewiger Teilhaber an Gottes Existenz nicht in das eingeweiht ist nicht auch weiss was Gott weiszlig Diese Frage ist schon Gegenstand endloser Uumlberlegungen gewesen Doch die einfachste Erklaumlrung erfordert kaum solche Spielereien Im Neuen Testaments schreibt Jesus dem Vater staumlndig bestimmte Vorrechte zu wie zB das Recht Ehrenplaumltze im Reich Gottes zu vergeben bdquoZu meiner Rechten oder Linken zu sitzen ist nicht meine Aufgabe aber es ist fuumlr diejenigen fuumlr die es von meinem Vater vorbereitet wurderdquo (Matt 2023) Wie soll Gott keine Rechte in Gottes Koumlnigreich delegieren koumlnnen entgeht der Logik des Lesers ebenso wie ein Gott der alles weiszlig ausser wenn er es nicht tut Aber es gibt noch eine andere Sache die hier zu beruumlcksich-tigen ist Jesu Ausschluss nicht nur seiner selbst von bestimmten Vorrechten Got-tes sondern auch der Ausschluss der vermeintlich dritten Person des Heiligen Geistes [in der Trinitaumlt] Wir duumlrfen nicht vergessen dass in der trinitarischen Theologie der Vater der Sohn und der Heilige Geist definitiv nicht die gleiche Person sind sondern drei ganz unterschiedliche Personen Wenn behauptet wird dass Jesus den Tag und die Stunde nicht bdquokannterdquo nur weil er seine goumlttlichen Vorrechte durch die Menschwerdung [voruumlbergehend] aufgegeben hatte und so-mit seine adoptierte menschliche Natur die Ursache seiner Unwissenheit war wie verhaumllt es sich dann ist dann mit der Person des Heiligen Geistes Warum weiszlig diese besondere Einheit - wie auch der Sohn - nicht was der Vater weiszlig Im Lichte von Matthaumlus 2436 erscheint die gaumlngige Interpretation auf Schritt und Tritt zu-mindest beunruhigend

Waumlhrend viele Apologeten offensichtlich nicht bereit sind die Auswirkungen der selbstbewussten Anerkennung des exklusiven Wissens des Vaters durch Christus zu akzeptieren haben einige wie der trinitarische Philosoph Brian Leftow zugegeben dass Jesus uumlber seine Beziehung zum Vater hinaus keinen bdquovollen Zugangrdquo zum Wissen des Vaters hatte1157 Ein populaumlrer Vertreter der Dreifaltigkeitdoktrin zeigt diese Erklaumlrung des Trinitarismus ebenfalls die ein vermindertes Bewusstsein Christi fuumlr seine eigene Gottheit waumlhrend seines Le-bens anerkennt Wir sind uns einig dass dies die fortschrittlichste (aber gleichzei-tig unbefriedigendste) Schlussfolgerung ist Diese Trinitarier schreiben als Ant-wort auf die Frage bdquoWann wusste Jesus dass er Gott istrdquo folgendes

Die Bibel sagt nicht klar dass es einen Punkt gab an dem Er erfuhr dass Er die zweite Person der Dreifaltigkeit war Irgendwann er-kannte Jesus aber voll und ganz wer Er von Ewigkeit her war Wir

1157 Brian Leftow God and Necessity (Oxford OUP 2012) p 322 (Gott und Notwendigkeit)

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koumlnnen zum Schluss kommen dass obwohl der inkarnierte Jesus von seiner Vergangenheit in der Ewigkeit Kenntnis hatte und wusste wer Er war der inkarnierte Jesus zu einem bestimmten Zeitpunkt in seinem irdischen Leben zu dieser Erkenntnis ge-langte1158

Dies scheint kaum hilfreich zu sein um den aufgezeichneten Dienst des histori-schen Jesus zu verstehen Selbst gegen Ende seines Lebens im Kapitel 24 von Matthaumlus sehen wir dass er einen allwissenden Geist als Gott noch nicht voll-staumlndig bdquowiedererlangtldquo hatte Wie sollen wir dann seine vielen Aussagen davor und danach interpretieren In der Tat kommen die Trinitarier zu dem Schluss dass diese Erkenntnis der Schoumlpfer aller Dinge gewesen zu sein irgendwann ein-trat bdquoGenau wann dieser Punkt war koumlnnen wir nicht sicher wissenrdquo1159 N T Wright stimmt im Hinblick auf das Portraumlt des Evangeliums von Jesus zu dass Jesus nicht wirklich gewusst hat wer er war zumindest nicht bdquoso wie man weiszlig dass man maumlnnlich oder weiblich hungrig oder durstig ist [Jesu Wissen uumlber sich selbst war] einer riskanteren aber vielleicht bedeutenderen Art Wie weiszlig man dass man geliebt wirdrdquo1160 Das Selbstbewusstsein Jesu so scheint es war eine Sache des Glaubens oder des Vertrauens Soll Christus nicht sicher gewesen sein wann er hungrig oder durstig war da ihm diese Sinneswahrnehmung [Hun-ger Durst] fehlte

Die Auswirkungen solcher Ideen sind bedauerlich Wenn die eine Person des Sohnes der allmaumlchtige Gott ist integral und lebenswichtig fuumlr Gott dann gab es eine Zeit in welcher der allmaumlchtige Gott nicht wirklich wusste wer er war Des-halb ist Jesus nach dieser systematischen Identitaumltskrise ein Gott der bewusst vergaszlig was er wusste und es dann wieder neu lernen musste Dieses ganze Sys-tem spiegelt eindeutig das platonische Modell der Praumlexistenz wider das besagt dass die Seele zuerst im Himmel existierte wo sie alles wusste aber das Wissen bei der Geburt reduziert wurde so dass alles neu erlernt werden musste Unab-haumlngig von den wirklichen Urspruumlngen des Systems scheinen moderne Christen keine Moumlglichkeit zu haben in irgendeiner praktischen oder erbaulichen Weise zu verstehen wie Gott vergessen haben koumlnnte dass er Gott ist und nicht zu wissen dass er Gott ist bis er sich irgendwie irgendwann daran erinnerte

Hier kann ein weiser Ausspruch von J W Bowman angefuumlgt werden Er behaup-tet dass bdquodie Kirche nicht unbegrenzt weiter Dinge von und uumlber Jesus glauben

1158 ldquoWhen Did Jesus Know That He Was Godrdquo Got Questions Ministries Web 16 December 2014

(Wann wusste Jesus dass er Gott ist) 1159 Ebenso 1160 Wright Jesus and the Victory of God pp 652-653

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kann die er selber nicht wusste ob sie wahr sindrdquo1161 Glaumlubige Christen bemuuml-hen sich doch einfach den Lehren und dem Leben ihres Meisters treu zu folgen die eben zitierten Ansichten stuumltzen jedoch das Bild eines falsch informierten unwissenden oder Gott bewahre eines praktisch schizophrenen [dh eines in sich widerspruumlchlichen inkonsequenten] Christus Die Orthodoxie moumlchte ja si-cher auch nicht dass bekennende Christen andere Menschen von so etwas uumlber-zeugen Aber mit zwei Naturen zwei Willen und zwei Verstandes- oder Geistes-ebenen (die unterschiedliche Vorstellungen und variierende Grade der Selbster-kenntnis aufweisen) scheint es dass Christen dazu verurteilt sind genauso unsi-cher uumlber den Jesus der Dreifaltigkeit zu sein wie der Jesus der Dreifaltigkeit selbst

ProblemDieInkarnationdesGottes-FoumltusEine Reihe von Problemen widerspiegeln die massiven Komplikationen fuumlr den Glauben wenn auch nur einen kleinen Ausschnitt davon Es beginnt damit wenn man sagt dass der Gott der Bibel sich in bdquoein kleines Babyrdquo verwandelt habe1162 Dies ist eine immer haumlufiger gehoumlrte Aumluszligerung der populaumlren christlichen Tradi-tion Der Trinitarier Max Lucado war langjaumlhriger Pastor der Oak Hills Kirche in San Antonio Texas Die Zeitschrift Christianity Today zaumlhlt ihn zu den bekanntes-ten christlichen Autoren Amerikas und ernannte ihn zum bdquoPastor Amerikasrdquo Readers Digest zeichnete ihn als bdquoden besten Prediger von Amerikardquo1163 aus Er verkaufte uumlber 100 Millionen Buumlcher in 50 Sprachen In einem seiner Wekre bdquoDas Geschenk von Bethlehem Die groumlszligte Geschichte der Welt begann in einer klei-nen Kripperdquo (unsere freie Uumlbersetzung)

Derjenige der groumlszliger war als das Universum wurde zum winzigen Embryo Und derjenige der die Welt mit einem Wort aufrechter-haumllt entschied sich von der Nahrung eines jungen Maumldchens ab-haumlngig zu sein Gott als Foumltus Die Heiligkeit schlaumlft in einer Ge-baumlrmutter Der Schoumlpfer des Lebens wird erschaffen Gott erhielt Augenbrauen Ellbogen zwei Nieren und eine Milz Er streckte sich gegen die Waumlnde des Uterus und schwebte im Fruchtwasser seiner Mutter Engel schauten zu wie Maria Gott die Windeln

1161 Bowman The Intention of Jesus p 108 1162 Michael Najim ldquoWhy God Became a Babyrdquo Catholic News Agency Web 23 December 2014

lthttpwwwcatholicnewsagencycomcwpostphpid=65gt 1163 Tiffany Taylor ldquoReaderrsquos Digest honors alumnus Max Lucado named Best Preacher in America in

magazinerdquo The Optimist (Abilene Christian University 2005)

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wechselte Das Universum blickte staunend zu als der Allmaumlchtige gehen lernte1164

Diese Auffassung zieht biblische und rationale Schlussfolgerungen die beunru-higend sind insbesondere dass bdquoder Schoumlpfer des Lebens erschaffen wurderdquo Es ist schwer vorstellbar dass es etwas Antagonistischeres fuumlr den Geist des Juden-tums den Glauben von Jesus geben koumlnnte als diese Aussage Das Neue Testa-ment repraumlsentiert die juumldische Sichtweise die auch die der Apostel war zum Thema bdquoGottldquo Weil sie Gott kannten ihn aber weder als Gott verherrlichten noch ihm Dank darbrachten sondern in ihren Uumlberlegungen in Torheit verfielen und ihr unverstaumlndiges Herz verfinstert wurde Indem sie sich fuumlr Weise ausgaben sind sie zu Narren geworden und haben die Herrlichkeit des unvergaumlnglichen Gottes verwandelt in das Gleichnis eines Bildes vom vergaumlnglichen Menschen sie welche die Wahrheit Gottes in die Luumlge verwandelt und dem Geschoumlpf Verehrung und Dienst dargebracht haben statt dem Schoumlpfer der gepriesen ist in Ewigkeit Amen (Roumlmer 121-23a25)

Gott unterscheidet sich grundlegend und unwiderlegbar von seinen Geschoumlpfen Er ist der bdquoHoumlchste Andererdquo dem kein Geschoumlpf gleich ist (Jesaja 469) Paulus erklaumlrt dass es diejenigen waren die eigentlich von Gott wussten die aber auf tragische Weise die feste Grenze zwischen Geschoumlpf und Schoumlpfer verwischten Oberflaumlchlich verkuumlndeten diese Verfechter Weisheit aber dem Apostel war die Vorstellung dass der einzigartige unnachahmliche und unsterbliche Gott jemals selbst ein Bild in Form eines Menschen haumltte sein koumlnnen nur barer Unsinn Unter Hinweis darauf dass die Bibel Jesus als bdquodas Bild Gottesrdquo (2 Kor 44) ja bdquodas Bild des unsichtbaren Gottesrdquo (Kolosser 115) identifiziert fragen wir nach den Auswirkungen dessen was Paulus sagt Es scheint dass im allgemeinen Christen-tum ein Bild ja eine Darstellung Gottes in Form eines Menschen (Jesus) als der einzigartige unsterbliche Schoumlpfer selbst angesehen wurde Man glaubt jedoch dass die Durchschnittschristenheit die Bedeutung der Materie noch nicht verstan-den hat Waumlhrend die Christen heute einen Gott bestaunen der Mensch gewor-den ist war es fuumlr Paulus ein gewaltiger Fehler die Grenzen zwischen Schoumlpfer und Geschoumlpf zu verwischen was letztendlich zu einem bdquoverwirrten Verstandrdquo fuumlhrte (Roumlmer 124) Ein biblischer Gelehrter erkannte das ebenso

Die Griechen moumlgen Gott und den Menschen identifiziert haben aber fuumlr einen Israeliten gab es einen tiefen und unpassierbaren Un-terschied zwischen dem Schoumlpfer und all seinen Geschoumlpfen selbst zwischen ihm und den houmlchsten [seiner Kreaturen] Es ent-sprach uumlberhaupt nicht der damaligen zeitgenoumlssischen juumldischen

1164 Max Lucado ldquoDas Geschenk von Bethlehem Die groumlszligte Geschichte der Welt begann in

einer kleinen Kripperdquo Web 23 Dezember 2014 lt httpsmaxlucadocomit-began-in-a-manger-christmasgt

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Vorstellung dass sich Gott in menschlicher Gestalt manifestieren sollte1165

Als guter Jude belaumlsst Paulus Gott sorgfaumlltig im exklusiven Reich des Schoumlpfers waumlhrend er Jesus direkt in die Welt der Schoumlpfung stellt und ihn sogar als bdquo den Erstgeborenen der ganzen Schoumlpfungrdquo bezeichnet (Kol 115) Wir verstehen hier un-schwer die Bedeutung Christus gehoumlrt zur Schoumlpfung er ist das bedeutendste Glied aller Geschoumlpfe Das muumlssen auch die trinitarischen Verleger der Neuen Internationalen Version der Bibel (NIV) erkannt haben weshalb sie sich viel-leicht gezwungen fuumlhlten von anderen groszligen Uumlbersetzungen abzuweichen und den Vers so zu wiederzugeben bdquoder Erstgeborene uumlber die ganze Schoumlpfungrdquo Dies ist natuumlrlich gelinde gesagt ein verkappter Versuch Christus von der Schoumlpfung zu distanzieren

Einmal abgesehen von der Kontoverse zwischen dem Inkarnationsdogma und dem Neuen Testament gibt es noch eine ganze Reihe schwerwiegender rationa-ler Probleme Ein trinitarischer Philosophie-Professor schreibt

Gott der Foumltus Gott der Embryo und Gott die Heilige Zygote Das ist der Gott den ich anbete der Gott der die Dunkelheit im Schoszlig Maria sah der Gott der Finsternis Wie kann Gott diese Dinge gesehen haben Wie koumlnnen Gottes Kopf und Schultern klein genug verkrampft gewesen sein um durch die Vagina Mariens zu gelangen1166

Die Trinitarier scheinen uumlber solche Ansichten genauso verbluumlfft zu sein wie je-dermann Aber das Erstaunen laumlsst sich leicht verdecken indem man an das un-fehlbare Prinzip des Mysteriums anwendet Was nicht nachvollziehbar ist kann letztlich nicht widerlegt werden wie zum Beispiel ein unbeweisbarer bdquoGott der Finsternisrdquo Die eigenartige Anziehungskraft die von der gefuumlhlvoll beschriebe-nen und emotional praumlsentierten Idee der bdquoGottheit in Windelnrdquo ausgeht ist ein Phaumlnomen1167 Es bleiben noch viele andere quaumllende Probleme Max Lucado beschreibt sogar dass es Maria vielleicht seltsam vorkam bdquoGottrdquo daruumlber aufzu-klaumlren wie bdquoerrdquo die Welt erschaffen hat Wie muss sie es empfunden haben zu dem Gott zu beten der unter ihrem Dach schlief Wie mag es ihr vorgekommen sein ihren eigenen Sohn im Gebet versehentlich bdquoVaterrdquo zu nennen Lucado

1165 Charles Gore Belief in Christ (New York Charles Scribnerrsquos Sons 1922) p 11 (Der Glaube an Christus) 1166 Mark S McLeod-Harrison Apologizing For God The Importance of Living in History (Eugene

Cascade Books 2011) p 138 (Gott entschuldigen Die Wichtigkeit in der Geschichte zu leben) 1167 Greg Laurie ldquoWas Jesus Godrdquo Cross Map Web 26 December 2014 lthttpwwwcrossmapcomblogsgreg-laurie-was-jesus-god-3907gt

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spekuliert dass Gott vielleicht nachts erschreckt aus einem boumlsen Traum auf-wachte Er hat seinen Eltern wahrscheinlich auch Fragen uumlber die Heilige Schrift gestellt Hat er verstohlene Blicke auf sein kindliches Gesicht gezogen waumlhrend er schweigend die Gebete der Menschen houmlrte Lucado betont bdquoJesus mag Pickel im Gesicht gehabt haben Moumlglicherweise war er unmusikalisch Vielleicht war ein Maumldchen von der Straszlige in ihn verknallt oder umgekehrt Eines aber ist sicher Er war obwohl voumlllig goumlttlich voumlllig menschlichrdquo1168 Wenn wir uns den Trinitariern anschlieszligen und sagen dass Jesus wirklich voumlllig menschlich war aber irgendwie jenseits aller verstaumlndlichen Erklaumlrungen er auch der allmaumlchtige Gott war dann begeben wir uns auf einen rutschigen Abhang [siehe Marius Raab] und enden zu guter Letzt wie Lucado der behauptet dass bdquoGottrdquo moumlglicherweise romantisch an einem jungen Maumldchen interessiert war

Dieses Dogma [der Vermenschlichung Gottes] ist nicht nur fuumlr die persoumlnliche Vorstellung der Christen vom Schoumlpfergott potenziell schaumldlich sondern auch fuumlr den Ruf des Christentums in der Welt Unfundierte Spekulationen wie die von Lucado rufen in der christlichen Gemeinschaft zarte Gefuumlhle und starke Emotionen hervor zeigen sie doch die liebevolle Bereitschaft eines Gottes sich mit seinen Geschoumlpfen zu identifizieren Fuumlr Anhaumlnger des klassischen Mono-theismus der Bibel hingegen naumlmlich die Juden sind sie houmlchst beunruhigend und zutiefst beleidigend

Moderne Juden wie Meir Y Soloveichick erklaumlren dass das Judentum historisch bdquoneoplatonische Ideenrdquo strikt abgelehnt hat die darauf abzielten das Numinose das Goumlttliche mit bdquobegrenzten Mittelnrdquo in Verbindung mit uns Menschen zu bringen dh durch die wirkliche Vermischung von unbegrenztem Gott mit end-lichen Menschen1169 Auf dem Sinai hatte der Gott der Bibel seine Darstellung als geschnitztes Bild [Idol] verboten die Person Gottes durfte nicht als [zur Erde] herabgestiegen angesehen werden um im materiellen Bereich enthalten zu sein Gott war nicht mit den natuumlrlichen Sinnen zu erleben Die Methode der Gemein-schaft Gottes bestand darin sich durch sein Wort durch seine Gebote oder durch seine Agenten denen er sein Wort gegeben hatte auszudruumlcken Wie der juumldische Gelehrte Jacob Neusner erklaumlrt bdquoDas Judentum kennt Gott durch Got-tes eigene Selbstdarstellung in der Thora des Sinai muumlndlich und schriftlich Gott macht sich bekannt durch das was er tut durch seine Beziehungen die Regeln

1168 Lucado ldquoIt Began in a Manger (Christmas)rdquo (Es begain einer kleinen Krippe) 1169 Meir Y Soloveichick ldquoTorah and Incarnation Torah Learning Bridges the Gap Between Man and

Godrdquo First Things 01 October 2010 Web 14 Juni 2015 (Thora und Inkarnation Thora lernen uumlberbruumlckt den Abstand zwischen Mensch und Gott)

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denen diese Handlungen und Transaktionen entsprechenrdquo1170 Ein buchstaumlblich menschgewordener Gott wie Neusner bestaumltigt ist also bdquovoumlllig unvereinbar mit dem Gott des Judaismus ndash dh fremd jeglicher Art von Judentumrdquo1171 Man soll mit dem biblischen Gott kommunizieren aber nicht durch Sehen Beruumlhren und Riechen sondern durch die Auseinandersetzung mit dem Geist Gottes durch sein Wort seine Thora Soloveichick zeigt dass das Judentum seit jeher auf das Wort Gottes als Verkoumlrperung des Willens Gottes ausgerichtet ist Das Christentum hingegen fokussierte sich auf einen verkoumlrperten Gott In der Tat wie angese-hene evangelikale Religionslehrer bestaumltigen ist das allgemeine Christentum ein Glaube nicht an die ausdruumlcklichen Lehren Christi sondern an Jesus als die Ver-koumlrperung des fleischgewordenen Gottes1172 Auf diese Weise wird fuumlr die Chris-ten bdquodie Distanz zwischen dem endlichen [sterblichen] Menschen und dem un-endlichen Gott uumlberbruumlckt fuumlr die Juden sind die Christen der Versuchung erle-gen vor der das 5 Buch Mose ausdruumlcklich warnte die Kluft zwischen Mensch und Gott mit endlichen Mitteln uumlberbruumlcken zu wollenrdquo1173 Im Laufe der juumldi-schen Geschichte ist Gottes Wort das Mittel geblieben mit dem der Himmel auf die Erde kommt Wie wir in spaumlteren Kapiteln dieses Buches feststellen werden wurde in juumldischen Kreisen in der Aumlra des Zweiten Tempels sogar gesagt dass Gottes Wort oder die Thora in juumldischen Lehrern und Propheten bdquoverkoumlrpertrdquo wurde Dieser Gedanke kann sich als hilfreich erweisen um kontroverse juumldische Texte aus dieser Zeit zu verstehen wie den Prolog des Johannesevangeliums in dem gesagt wird dass Gottes Wort in der Person Jesu Christi bdquoFleisch gewordenrdquo [verkoumlrpert] ist

Aber vorerst konzentrieren wir uns auf die Ungereimtheit zwischen der Inkarna-tionsdoktrin der christlichen Orthodoxie und der althergebrachten Weltanschau-ung der Juden Wir muumlssen schlieszliglich den Grund erklaumlren warum die Illustra-tion vom weinenden und urinierenden [anthropomorphen] bdquoGottrdquo Christen keines-falls so abstoszligend und schockierend beruumlhrt wie die Juden Der einzige Grund dafuumlr ist dass die Christenheit durch die Ausuumlbung der Kultur und der Tradition der Kirche schlicht und einfach an den Gedanken gewoumlhnt worden sind Fuumlr die juumldischen Autoren der Bibel waumlre eine solche Idee jedoch bestenfalls eine uner-traumlgliche Blasphemie eine intolerable Gotteslaumlsterung gewesen

Im Uumlbrigen sehen wir uns durch das Gewicht des Neuen Testaments gezwungen jeder Inkarnations-Theologie als einem pauschalen Missverstaumlndnis der Absicht

1170 Jacob Neusner The Incarnation of God The Character of Divinity in Formative Judaism (Bing-

hamton Global Academic Publishing 2001 [1998]) p xiii (Die Inkarnation Gottes Der Charakter der Divinitaumlt im Formellen Judentum)

1171 Ebenso S 6 1172 Siehe James Kennedy ldquoHow I Know Jesus is Godrdquo Harold O J Brown Heresies p 13 1173 Soloveichick rdquoTorah and Incarnationrdquo

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Gottes in der Sendung Jesu Christi zu widersprechen Gottes groszliges Bestreben war es sich durch einen von ihm auserwaumlhlten Menschen zu offenbaren nicht als Mensch selbst [aufzutreten] Das Zeugnis der Apostel auch nach dem Dienst Jesu lautete bdquoNiemand hat Gott je gesehenrdquo (1 Joh 412) Tatsaumlchlich kann Gott selbst nicht gesehen werden ist er doch bdquounsichtbarrdquo (Kol 115) Es war offen-sichtlich notwendig dass Gott sich durch ein anderes Individuum das [physisch] gesehen werden konnte offenbarte So waumlhlte Gott zu diesem Zweck den Men-schen Jesus den er als bdquomeinen Knecht den ich erwaumlhlt haberdquo (Matt 1218) bezeich-nete Mit Nachdruck bezeugt Johannes bdquoNiemand hat Gott zu irgendeinem Zeitpunkt gesehen der eingeborene Sohn der im Schoszlig des Vaters ist hat esihn offenbartrdquo (Joh 118) Dies ist hier nuumltzlich zum Verstaumlndnis Die Mission Christi war nicht Gott zu sein sondern Gott der Welt zu zeigen Die Einzigartigkeit von Jesus liegt gerade in seinem beispiellosen Dienst himmlischen Ursprungs in der uumlbernatuumlrlichen Kraft seines Wirkens nicht in der Initiative des Menschen selbst Waumlhrend Jesus wirklich der einzigartig gezeugte Sohn Gottes war maszligte er sich nicht an irgend-eine Kraft aus sich selbst zu schoumlpfen sondern richtete die Menschen immer auf das goumlttliche Hoheitsrecht seines Vaters Die Taten Jesu und die Faumlhigkeit sie zu vollbringen kamen von jemandem auszligerhalb seiner selbst bdquoIch kann nichts von mir selbst tunrdquo (Joh 530 ELB) bdquoIch vermag nichts von mir selbst aus zu tunrdquo (Menge) Nicht einmal seine eigene Lehre hat er persoumlnlich entwickelt sondern erhielt sie aus anderer Quelle bdquoWenn jemand seinen Willen tun will so wird er von der Lehre wissen ob sie aus Gott ist oder ob ich aus mir selbst rederdquo (Joh 717) Einfach ausgedruumlckt war es ein anderer naumlmlich Jesu eigener Gott und Vater der jeden Moment seines Dienstes genehmigt hatte Diese exklusive und kraftvolle Partnerschaft mit Gott war der Schwerpunkt von Christus nicht dass er mit Gott identisch war Gott bewies durch alle moumlglichen Zeichen und Zeugnisse bdquomitrdquo Christus und bdquoinrdquo Christus zu sein und zu wirken Dies ist unbestreitbar die ausdruumlckliche Absicht des Neuen Testaments In dieser Hinsicht ist ein Zweifel unmoumlglich bdquoGott war in Christusrdquo (2 Kor 519) es heiszligt nicht bdquoGott war Christusrdquo In der Apostelge-schichte finden wir die von den Aposteln geleitete Kirche die diese Botschaft konsequent den Heiden predigte bdquoJesus von Nazareth wie Gott ihn mit Heiligem Geist und mit Kraft gesalbt hat der umherging und wohltat und alle heilte die von dem Teufel uumlber-waumlltigt waren denn Gott war mit ihmrdquo (Apg 1038) Die Kirche predigte auch den Juden die ihn zuvor verfolgt hatten die gleiche Botschaft uumlber die Partnerschaft Gottes mit dem Menschen Jesus bdquoJesus von Nazareth war ein Mensch Gott tat [Zei-chen] durch ihnrdquo (Apg 222) Nikodemus war davon uumlberzeugt bdquoRabbi wir wissen dass du ein Lehrer bist der von Gott gekommen ist Denn niemand kann diese Zeichen tun die du tust wenn Gott nicht bei ihm istrdquo (Joh 32) Es sei noch einmal wiederholt dass der Christus all diese Dinge nicht tat weil bdquoer Gott warrdquo sondern weil Gott bdquomit ihm warrdquo Eine andere maumlchtigere Einheit arbeitete mit Jesus zusammen um die Leistungen zu sanktionieren und zu erbringen Als sie Jesu Wunder sahen freuten

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sich die Leute nicht weil sie diese Wunder als Beweis dafuumlr verstanden dass Gott selbst in ihrer Mitte war sondern bdquoals aber die Volksmengen es sahen fuumlrchteten sie sich und verherrlichten Gott der solche Vollmacht dendem Menschen gegeben hatrdquo (Matt 98) Dieser menschliche Jesus das war offensichtlich war nicht allein hinter den Ku-lissen wirkte etwas ungeheuer Maumlchtiges In der Tat Christus bekraumlftigt bdquoIch bin nicht allein denn der Vater ist bei mirrdquo (Joh 1632) und bdquoIch rede nicht von mir selbst der Vater aber der in mir bleibt tut seine Werkerdquo (Joh 1410) Es ist dieses lebendige und kontinuierliche Zeugnis der Apostel von Jesus welches viele Juden zu Pfingsten und spaumlter auch Heiden zum Glauben brachte dass Jesus ein Mensch war durch den der groszlige und unsichtbare Gott wirkte (Apg 222) Keinesfalls war es die Idee dass ein Mensch auf irgendeine Weise Gott war Wie ein Historiker feststellt war die Vorstellung dass der Mann von Nazareth Gott selbst gewesen sei bdquofuumlr jeden orthodoxen juumldischen Glauben voumlllig fremdrdquo Stattdessen wurde Jesus von der fruumlhen juumldisch-christlichen Gemeinschaft angesehen als bdquoJesus von Nazareth unter euch von Gott ausgewiesen durch maumlchtige Taten und Wunder und Zeichen die Gott durch ihn in eurer Mitte getan hatldquo (wie bei den fruumlheren juumldischen Propheten) und welchen bdquoGott durch seinen Tod erhoumlht hatrdquo Petrus erklaumlrt das in Apg 222-241174

Waumlre ein bereits fruumlher existierender ewiger Gott wirklich Mensch geworden haumltten doch unzaumlhlige Moumlglichkeiten fuumlr die biblischen Autoren bestanden diese Angelegenheit zu erlaumlutern Aber wie Religionswissenschaftler berichten bdquodie Menschwerdung im vollen und eigentlichen Sinne ist nicht etwas das direkt in der Schrift dargestellt wirdrdquo1175 Besonders im Dienst der Apostel an den Heiden haumltte es eine Menge von Gelegenheiten gegeben die angebliche Inkarnation zu erklaumlren Demgegenuumlber hielten die Heiden die Idee einer goumlttlichen Menschwer-dung ohnehin fuumlr ein wichtiges religioumlses Konzept Das war auch waumlhrend der Zeit Christi so Wie wir in Teil I dieses Buches gesehen haben kursierte die Ge-schichte einer Gottheit die sich an der menschlichen Erfahrung beteiligt in den heidnischen Mythen vieler Weltreligionen lange bevor das Christentum auf den Plan trat1176 Der Gott-Mensch der spaumlteren Orthodoxie war also nichts Neues wie der Gruumlndervater der modernen Anthropologie Sir James George Frazer berichtet bdquoDer Begriff des Gott-Menschen gehoumlrt im Wesentlichen zu dieser fruumlheren Periode der Religionsgeschichterdquo und die Mitglieder dieser Gemein-schaften waren mit bdquoder Idee eines in Menschengestalt inkarnierten Gottesrdquo bes-tens vertraut1177 Das Christentum so scheint es hat das Konzept in der Welt der modernen Religion verewigt

1174 Freeman Closing of the Western Mind p 104 1175 M Wiles zitiert in Dunn Christology in the Making p 4 1176 Siehe Sir James George Frazer The Golden Bough A Study in Magic and Religion (New York The

Macmillan Company 1922) Part VII p 2 (Der goldene Zweig Eine Studie uumlber Magie und Religion) 1177 Ebenso

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Inkarnation die Annahme der menschlichen Gestalt durch einen Gott ist eine in der Religion uumlbliche Idee [vgl Theophanie] In-dien und Aumlgypten waren besonders reich an Formen der Inkarna-tion sowohl bei Menschen als auch bei Tieren Die Inkarnation fin-det sich in verschiedenen Phasen der griechischen Religion in de-nen der menschliche Koumlrper eines Gottes eine Verkleidung oder ein voruumlbergehendes Kommunikationsmittel war Unter den west-lichen Kulturen ist der am weitesten verbreitete Glaube an die In-karnation Jesu der von den Christen als Gott im Fleisch angesehen wird1178

Aber wie haumltte eine solche Transmigration und Verschiebung des religioumlsen Den-kens wirklich stattfinden koumlnnen Was hat die Einschleusung der Inkarnations-theorie aus dem Heidentum in ein grundsaumltzlich kritisches Christentum erleich-tert Selbst angesehene Gelehrte wie James Dunn schlieszligen eine solche Uumlbertra-gung nicht aus und geben offen zu dass bdquoes natuumlrlich immer die Moumlglichkeit gab den landlaumlufigen heidnischen Aberglauben durch eine allmaumlhliche Assimilation und Verbreitung der Vorstellungen zum populaumlren christlichen Aberglauben zu machenrdquo1179 Das historische griechische Konzept der Inkarnation ist fuumlr diesen Dialog wichtig da es ausgerechnet dieses Glaubenssystem ist das der Religion des juumldischen Jesus und den Aposteln des ersten Jahrhunderts in der Zeit nach Ostern diametral zuwiderlaumluft Wie Freeman bemerkt

In der griechisch-roumlmischen Welt konnte der Mensch - im Gegen-satz zur Welt des Judentums - die Grenze zwischen Mensch und Gott uumlberschreiten Waumlhrend Petrus und Paulus davon berichten dass Jesus erst nach seinem Tod von Gott bdquoverherrlichtrdquo wurde war es nun [nach dem Uumlbergangsprozess des Christentums in die Welt der Griechen] in diesem ganz anderen geistlichen Umfeld moumlglich anzunehmen dass er schon immer goumlttlich gewesen sein koumlnnte Das Zusammenspiel zwischen den [apostolischen] Erinne-rungen an Jesus und der geistlich fruchtbaren Kultur der griechi-schen Welt war immens kreativ und ihr Erbe uumlberlebt in Interpre-tationen von oder uumlber Jesus die bis heute Bestand haben1180

Die Begegnung zwischen diesen sehr unterschiedlichen religioumlsen Weltanschau-ungen bleibt fuumlr uns in der neutestamentlichen Aufzeichnung der fruumlhen Kirche erhalten Die Missionare Paulus und Barnabas heilten waumlhrend ihres Besuchs bei

1178 ldquoGod incarnaterdquo Collins Discovery Encyclopedia 1st Ed HarperCollins Publishers 2005 Web 23 De-

cember 2014 1179 Dunn Christology in the Making p 211 251 1180 Freeman Closing of the Western Mind p 128

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den Griechen einen Menschen und bdquoals die Volksmengen sahen was Paulus tat erho-ben sie ihre Stimme und sagten auf Lykaonisch Die Goumltter sind den Menschen gleich geworden und sind zu uns herabgekommenrdquo (Apg 1411) Das waumlre doch ein passender Moment fuumlr die Juumlnger Jesu gewesen den latenten Irrtum der Heiden zu korrigieren und sie zur wahren christlichen Inkarnation zu fuumlhren Die Trinitarier bestehen ja da-rauf dass die Apostel an Jesus als den fleischgewordenen Gott glaubten Sie haumlt-ten leicht sagen koumlnnen bdquoes gibt einen Gott den houmlchsten Gott der genau das getan hat er heiszligt Jesus Christus Gott und Menschrdquo Gemaumlszlig der Uumlberlieferung der Orthodoxie war diese Vorstellung angeblich Kern des Glaubens der fruumlhen Christen doch offensichtlich haben die Missionare diese Gelegenheit schlichtweg verpasst Die groszligen Persoumlnlichkeiten des Neuen Testaments haben sich auch offenbar jede andere Chance entgehen lassen bei der sie trinitarische Grundprin-zipien haumltten legen koumlnnen

Als aber die Apostel Barnabas und Paulus es houmlrten zerrissen sie ihre Kleider sprangen hinaus unter die Volksmenge und riefen und sprachen Maumlnner warum tut ihr dies Auch wir sind Menschen von gleichen Emp-findungen wie ihr und verkuumlndigen euch dass ihr euch von diesen nichtigen Goumltzen bekehren sollt zu dem lebendigen Gott der den Himmel und die Erde und das Meer gemacht hat und alles was in ihnen ist (Apostelge-schichte 1414-15)

Anstatt zu erklaumlren dass es einen Menschen gab dessen Natur sowohl mensch-lich als auch goumlttlich war der vom Himmel herabgestiegen war wie sie gemeint hatten beschworen die Apostel die Heiden sich von diesen sinnlosen Dingen abzu-wenden Sie wiesen unmittelbar auf den bdquolebendigen Gottrdquo ihrer Vaumlter hin1181 (5 Mose 526 Jos 310 Ps 422 Jer 1010 Dan 620) den einzigen Schoumlpfer aller Dinge Paulus bezeichnete diese Gottheit als bdquoEl Chairdquo einen der traditionellen Namen des Hebraumlischen Gottes Wie die Juumldische Enzyklopaumldie bemerkt bedeu-tet Jahwes Name bdquoEr lebtrdquo und er wird als bdquoder lebendigelebende Gottrdquo dargestellt wohl im Gegensatz zu den leblosen Goumlttern der Heidenrdquo1182 Dieser uralte und einzigartige Gott der Israeliten ist die feierliche Empfehlung des Paulus Er kuumlm-merte sich nicht um die Ideen der Griechen von der Menschwerdung und deren Goumltter Waumlhrend seines gesamten Dienstes wie ein Historiker feststellt bdquowar

1181 Siehe Jeremia 1010 bdquoAber JHWH Gott ist Wahrheit er ist der lebendige Gott und ein ewiger Koumlnig rdquo

vergleiche mit Jesus in Johannes 173 bdquoDu (Vater) [bist] der allein wahre Gottrdquo Ebenfalls in Matthaumlus 1616 Jesus bestaumltigt die Aussage von Petrus dass nicht Jesus der allein wahre Gott ist sondern bdquoDu bist der Christus der Sohn des lebendigen Gottesrdquo

1182 J F McLaughlin Judah David Eisenstein ldquoNames of Godrdquo The Jewish Encyclopedia 1906 Web 23 December 2014

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Paulus seinem juumldischen Erbe treu er stellte eine tief verwurzelte geistliche Tra-dition der griechisch-roumlmischen Welt in Frage in der es moumlglich war dass die Goumltter menschliche Gestalt annahmenrdquo1183

In Anbetracht all dieser Informationen scheint die Inkarnation [biblisch] wenig Ruumlckhalt zu haben Doch es gibt noch eine weitere Frage im Zusammenhang mit dem griechischen Stil der Praumlexistenz der sich im orthodoxen Trinitarismus aus-druumlckt Diese Angelegenheit sollte vor der Betrachtung der alternativen Sicht-weise analysiert werden

ProblemEwiggezeugtodergeborenvonMariaWaumlhrend schon die Vernunft uns daran hindern koumlnnte Vertrauen in die Inkar-nation eines buchstaumlblich praumlexistierenden Jesus zu gewinnen beweist die Bibel kontinuierlich dass sie der beharrlichste und tauglichste Gegner dieses Dogmas ist Eines der beruumlhmtesten und wichtigsten Merkmale der orthodoxen Tradition die wir gegenuumlber dem Neuen Testament untersuchen werden ist die Vorstel-lung dass Jesus als Gott ewig ist Das heiszligt dass der Sohn Gottes bdquokeinen An-fangrdquo hat

Wie wir in Teil I dieses Buches gesehen haben war der erste der proto-orthodo-xen Theologen der diese Idee eines bdquoanfangslosenrdquo Christus entwickelte der ale-xandrinische Philosoph Origenes (185-254 n Chr) Er stuumltzte bdquosich auf die heid-nische Philosophie um den christlichen Glauben in einer fuumlr Intellektuelle ak-zeptablen Weise zu erklaumlrenrdquo1184 Origenes Platonismus erforderte dass es nie eine Zeit gab in der Gott nicht schuf so stellte er Gott in ein bdquoewiges Jetztrdquo in dem der Sohn bdquostaumlndig gezeugtrdquo wurde All dies hatte einen tiefen Einfluss auf den spaumlter folgenden Alexander und auch auf Athanasius die beide einen Schritt weiter gingen und am Konzil von Nicaumla die einzigartige Ko-Eternitaumlt des Sohnes als wahr bekraumlftigten1185

Diesen Erfolg erreichten sie jedoch nicht ohne erhebliche ja sogar unuumlberwind-liche Schwierigkeiten Am problematischsten erwiesen sich die Berichte in den Evangelien uumlber Christus Es wird naumlmlich stets Jesus als bdquogezeugter Sohn Got-tesrdquo (Joh 316) beschrieben1186 Dieser Begriff bdquogezeugtrdquo findet sich im ganzen Neuen Testament bdquoAbraham zeugte Isaak Isaak aber zeugte Jakob Jakob aber zeugte Juda und seine Bruumlderrdquo (Matt 12) Die Wurzel hier ist griechisch bdquogennaordquo definiert

1183 Freeman Closing of the Western Mind p 120 1184 Edward Moore ldquoOrigen of Alexandria (185-254 CE)rdquo Internet Encyclopedia of Philosophy Web 30 De-

cember 2014 1185 Rowan Williams Arius Heresy and Tradition (London Darton Longman and Todd 1987) p 175 1186 Toom Classical Trinitarian Theology A Textbook pp 66-68

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als bdquozeugen hervorbringen gebaumlrenrdquo und es wird auch von den meisten Versio-nen der Bibel so uumlbersetzt Andere Uumlbersetzungen schreiben bdquowurde der Vater vonrdquo Wir verstehen auch diese Sprache ohne Problem bdquoZeugenrdquo bedeutet bdquoals Vater ein Kind zu zeugen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt fortzupflan-zenrdquo1187 Der Duden definiert bdquoerzeugenrdquo ua als bdquoetwas entstehen lassen bewirken hervor-bringen erschaffen produzierenrdquo1188 Wenn Worte etwas bedeuten wurde Jesus als er geboren wurde von einem Vater zur Existenz gebracht Biblisch gesprochen ist Gott die Ursache fuumlr die Zeugung fuumlr den Anfang eines neuen Menschen Wie ein Theologe bemerkt bdquoEs ist leicht zu verstehen warum dieses kleine Wort den-jenigen die glauben dass es Jesus schon immer gegeben hat so viel Aumlrger berei-ten koumlnnterdquo1189

Wenn Gott in dem Moment Jesus bdquozeugterdquo dh als er der Vater von Jesus wurde dann war es ein Ereignis in der Zeit nicht auszligerhalb der Zeit in der Ewigkeit Tatsaumlchlich koumlnnen ein Vater und sein Sohn nicht beide gleichzeitig auf dem Plan in Erscheinung treten Die vielen prophetischen Erklaumlrungen Gottes im Alten Testament betreffend den kommenden Messias bestaumltigen diesen Punkt bdquoDu bist mein Sohn heute habe ich dich gezeugtrdquo oder in einigen Uumlbersetzungen bdquoHeute bin ich dein Vater gewordenrdquo (Apostelgeschichte 1333 Hebraumler 15 55 Psalm 27) bdquoHeuterdquo ist natuumlrlich ein bestimmter Moment in der Zeit keine zeitlose neblige Ewigkeit Tatsaumlchlich foumlrdern die messianischen Prophezeiungen das Argument bdquoIch werde sein Vater sein und er wird mein Sohn seinrdquo (Hebr 15 2 Sam 714) Inte-ressanterweise finden wir in der Aumlra des Zweiten Tempels in welcher die Schrift-rollen des Toten Meeres entstanden sind ein Dokument das ebenfalls eine zu-kuumlnftige Zeit vorsieht bdquoWenn Gott den Messias zeugt rdquo (1QSa 11-12) Es war ihnen klar dass Gott fuumlr den Entscheid Vater des Messias zu werden ein zukuumlnftiges

1187 Siehe ebenfalls Liddell und Scottrsquos authoritatives Lexikon welches ebenfalls die Bedeutung von

bdquozeugtrdquo fuumlr bdquogennaordquo bestaumltigt (Henry Liddle Robert Scott Greek-English Lexicon (New York Harper amp Brothers Pub 1870) Bruce Metzger bestaumltigt ebenfalls diese Bedeutung (Bruce Metzger A Textual Com-mentary on the Greek New Testament (London United Bible Societies 1971) p 8)

1188 bdquoto beget ndash begat - begottenrdquo Merriam-Webster Dictionary Web 30 Dezember 2014 (Das englische to beget ist sprachgeschichtlich mit dem deutschen Wort bdquobegattenrdquo ndash zeugen verwandt)

1189 Sean Finnegan ldquoJesus Has A Beginningrdquo Christian Monotheism Web 30 Dec 2014 (Jesus hat einen Anfang) lthttpwwwchristianmonotheismcommediatextJesus_Has_A_Beginning_is-sue_62pdfgt

Finnegan fuumlgt auch diese aufschlussreiche Fuszlignote hinzu bdquoDeshalb haben wahrscheinlich die meisten modernen Uumlbersetzungen den Satz sbquoeingeborenenrsquo in sbquoeinzigenrsquo geaumlndert (siehe HFAZuuml-rcherGenferGNBEinhNeues Leben etc Johannes 316)rdquo Damit die Uumlbersetzer den Wortlaut der Bibel so drastisch aumlndern weil die Originalsprache eine traditionelle Doktrin zu bestreiten scheint sollten alle Parteien als verwerflich erachtet werden Es liegt nicht in der Verantwortung der Bibeluumlbersetzer das Dogma zu schuumltzen sondern genau und verantwortungsbewusst eine vorurteilsfreie Uumlbertragung der Botschaft Gottes zu gewaumlhrleisten Fuumlr weitere Informationen daruumlber wie theolo-gische Verzerrungen unsere modernen Bibeluumlbersetzungen beeinflusst haben siehe das wegweisende Buch von Dr Jason BeDuhn Truth in Translation Accuracy and Bias in English Translations of the New Testa-ment University Press of America 2003

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Datum vorausgesagt hatte nicht dass es buchstaumlblich schon vor aller Zeit gesche-hen waumlre Dies war die messianische Erwartung der juumldischen Welt einschlieszliglich der neutestamentlichen urchristlichen Gemeinschaft die diese Erwartung im Je-susereignis als erfuumlllt bezeichnete

All diese Daten stellten spaumlter eine hohe Huumlrde fuumlr die proto-trinitarischen The-ologen beim Konzil von Nicaumla dar Fuumlr sie musste Jesus Gott sein aber was sol-len wir mit all dieser Sprache von einer Zeugung machen Der Konflikt zwischen der bdquoZeugung Empfaumlngnis und Geburtrdquo Christi und seiner angeblichen bdquoEwig-keitrdquo konnte nicht einfach ignoriert werden Zweifellos hatten die Philosophen erkannt dass Jesus wenn er schlicht und einfach bdquogezeugtrdquo oder bdquoerzeugtrdquo wurde nicht bdquoewig Gottrdquo in dem Sinne sein konnte wie ihn die Athanasianer angedacht hatten Schlieszliglich ist Gott eben Gott weil er einzigartig ungeneriert ungeboren voumlllig autark ist und keine Initiation seines Seins keinen Anfang sei-ner Existenz erfordert1190 Wenn die Schrift erklaumlrt dass die Gottheit von bdquoEwig-keit zu Ewigkeitrdquo ist (Psalm 902) stimmen wir vielleicht uumlberein dass bdquoNicht-Gezeugt-Seinrdquo eine wesentliche Eigenschaft des Gottes der Bibel ist er lebt dank keiner anderen Quelle Wir finden jedoch dass Jesus beliebte die Abhaumlngigkeit seines eigenen Lebens von einem anderen zu verkuumlnden und zu erklaumlren bdquoIch lebe um des Vaters willenrdquo (Joh 657) und bdquoDenn wie der Vater Leben in sich selbst hat so hat er auch dem Sohn gegeben [oder zugestanden] Leben zu haben in sich selbstrdquo (Joh 526)1191 Sowohl in den biblischen Dokumenten als auch in der juumldischen Literatur der Aumlra des Zweiten Tempels ist eine unbestreitbare Eigenschaft des Messias dass er gezeugt empfangen und geboren wurde1192

Nochmals was hatte die nicaumlischen Theologen mit all dem zu tun Es gab nur eine Louml-sung Die biblische Beschreibung der Geburt Christi muss geaumlndert werden Was koumlnnten die Dogmatiker sonst tun um ihre Ansicht zu retten als die eigentliche Bedeutung des Wortes bdquogezeugtrdquo zu verschleiern So beschlossen sie eine der

1190 Dieses Konzept ist oft in dem Wort bdquoAseitaumltrdquo verkapselt das aus dem Lateinischen bdquoardquo fuumlr bdquovonldquo und

bdquoserdquo fuumlr bdquoselbstrdquo stammt Es beschreibt eine Eigenschaft die es einem Wesen erlaubt in sich selbst zu existieren oder als solches von und von sich selbst zu existieren (Siehe George Sauvage ldquoAseityrdquo Katholische Enzyklopaumldie 1907) Obwohl der Gebrauch des Wortes seinen Ursprung im Mittelalter hat (zB Thomas Aquinas gest 1274 n Chr) wurde das Konzept von Augustinus (gest 430 n Chr) weit verbreitet und laumlsst sich auch auf Platon (gest 347 v Chr) zuruumlckfuumlhren

1191 Der genaue Wortlaut hier deutet darauf hin dass bdquodas Lebenrdquo zuerst im Besitz des Vaters war - es wird keine andere Quelle fuumlr sein Leben erwaumlhnt Aber das bdquoLebenrdquo das im Sohn war kam erst als ein anderer es erlaubte in ihn einzutreten So hat der Sohn kein Leben bdquoa-serdquo oder von sich selbst Da der Sohn kein Leben hatte bevor es von einem anderen bdquogewaumlhrtrdquo wurde existierte er also nicht bis der Vater es sagte und war nicht ewig

1192 Auch das DSS-Dokument 1QSa sah einen Zeitpunkt vor bdquoan dem Gott den Messias gezeugt hatrdquo (211) der zweifellos die Sichtweise der AT-Psalmen widerspiegelt in denen der davidische Koumlnig sagt bdquoIch werde sicherlich von dem Dekret Jahwes erzaumlhlen Er sagte zu mir sbquoDu bist mein Sohn heute habe ich dich gezeugtrsquo rdquo(Psalm 27) Dieser Psalm wird von der NT-Gemeinschaft messianisch interpretiert und auf Jesus in Hebr 15 und Apg 234-36 angewendet

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schwerwiegendsten Veraumlnderungen die an die Unmoumlglichkeit grenzt in die Glau-bensgemeinschaft einzufuumlhren die Idee dass der Sohn bdquoin Ewigkeit gezeugtrdquo wurde

Dieses unglaubliche Dogma ist gleichsam tragisch und widerspruumlchlich Zu argu-mentieren dass der Sohn bdquoewig gezeugtrdquo wurde bedeutet wirklich dass er bdquoewig ins Leben gerufen wurderdquo oder dass er einen bdquoanfangslosen Anfangrdquo hatte Die-ses Denken versetzt unsere gesamte Christologie sofort in eine Welt des unver-staumlndlichen Durcheinanders Unter Hinweis auf die lexikalischen Definitionen von bdquogennaordquo werden wir angewiesen zu glauben dass Gott auf ewig der Vater Jesu wurde Doch man kann nicht ewig zu etwas werden Etwas zu werden erfor-dert dass es eine Zeit gab in der dies nicht der Fall war Dennoch war dies das bedauerliche Fazit der katholischen Kirche Das von Konstantin in Nicaumla autori-sierte Glaubensbekenntnis lautet denn auch wie folgt

- Wir glauben an einen einzigen Herrn

- Jesus Christus der einzige Sohn Gottes

- ewig vom Vater gezeugt

- Gott von Gott Licht von Licht

- wahrer Gott vom wahren Gott

- gezeugt nicht geschaffen

- von einem Wesen mit dem Vater1193

Die Aussagen bdquoewig vom Vater gezeugtrdquo sowie bdquogezeugt nicht geschaffenrdquo scheinen die eigentliche Bedeutung der Worte bewusst zu missbrauchen So of-fensichtlich ist die falsche Neudefinition der betreffenden Begriffe dass sie sogar in einer polemischen Klaumlrung die Formulierung verwendet wird Sie beabsichti-gen dass sich die Christen bewusst sind dass sie bdquogezeugtrdquo nicht im uumlblichen einfachen Sinne verwenden sondern in einem entfernten metaphysischen Sinne der sich irgendwie von bdquogemachtrdquo unterscheidet Aber ist eine solche Unterschei-dung logisch uumlberhaupt verstaumlndlich Erinnern wir uns an die Definition der NASB dass man als bdquoproduziertrdquo gezeugt wurde und sind wir wirklich bereit fuumlr eine Unterscheidung zwischen bdquoproduziertrdquo und bdquogeschaffenrdquo einzutreten Welches Recht haben die Trinitarier den biblischen Begriff bdquogezeugtrdquo zu verwen-den ihn aber bewusst nicht im biblischen Sinne also in dem Sinne wie bdquoAbraham Isaak gezeugt hatrdquo1194 Wie wir in Teil I beobachtet haben ist diese Idee tatsaumlchlich

1193 Das urspruumlngliche Nicaumlnische Bekenntnis 325 n Chr unsere Hinzufuumlgung 1194 Nicaumla bemaumlchtigte sich sowohl der bdquoZeugungsspracherdquo des Neuen Testaments als auch des Titels

bdquoSohn Gottesrdquo Obwohl bdquogezeugtrdquo sich in der juumldischen Welt einmal sowohl auf die Erschaffung eines Sohnes durch einen Vater (Matt 12) als auch auf die Adoption eines Sohnes (Psalm 27) bezogen hatte wurde nach Nicaumla bdquoJesus jetzt zum Geborenen und alles andere wurde gemacht - und jetzt bedeutete

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repraumlsentativ fuumlr die Angleichung des gnostischen Emanationismus an die Ortho-doxie eine Generation [Zeugung Entstehung] die sich von der Schoumlpfung [Kre-ation] oder Bildung [Formation] unterscheidet (die gemacht wird)1195

Zu guter Letzt muumlssen wir sagen dass jeder der fuumlr diesen bdquoanfangslosen An-fangrdquo [Christi] plaumldiert quadratische Dreiecke kalte Hitze und helle Dunkelheit vorschlaumlgt Dennoch sollte jemand diese sinnlose Definition des Ursprungs Christi ablehnen oder ihr gar widersprechen wuumlrde er oder sie sofort verflucht - Anathema Katholiken und Protestanten muumlssen diese inkongruenten Glaubens-bekenntnisse oumlffentlich akzeptieren oder mit einer schnellen Verurteilung rech-nen Diese Einschuumlchterung der vernuumlnftigen Rechtschaffenheit kam im vierten Jahrhundert in Mode als die Arianer die diesen Punkt nicht mit gutem Gewissen annehmen konnten mit aumlusserster Haumlrte behandelt wurden Die Arianer schrie-ben

Wir koumlnnen diesen Ausdruumlcken nicht zustimmen bdquoimmer Vater immer Sohnrdquo und bdquogleichzeitig Vater und Sohnrdquo oder dass bdquoder Sohn immer mit dem Vater ko-existiert hatrdquo Aber das denken und lehren wir dass der Sohn weder ungezeugt noch unerschaffen ist Doch wir werden verfolgt weil wir sagen dass der Sohn einen Anfang hat und dass Gott keinen Anfang hat1196

Moderne Christen befinden sich in der gleichen Zwickmuumlhle Von ihnen wird verlangt dass sie den gleichen abstrakten Theorien einer archaischen unergruumlnd-lichen Philosophie treu zustimmen Ein mutiger katholischer Gelehrter fragt bdquoErfordern Aussagen uumlber die Existenz Jesu Christi vor der Welt seiner ewigen goumlttlichen Sohnschaft von modernen Maumlnnern und Frauen nicht ein vollstaumlndi-ges Opfer der Intelligenz [lat sacrificium intellectus] eine Aufgabe ihres Verstandes fuumlr eine ihnen fremde Kirchenlehrerdquo1197 Unsere naumlchste Frage ist natuumlrlich ob dies wirklich vom Neuen Testament und von Christus selbst gefordert wird Oder sind es nur Kirchen die seinen Namen tragen die solches verlangen Im Nach-hinein moumlgen die Christen des vierten Jahrhunderts zwar gehofft haben den Glauben zu sbquointellektualisierenrsquo und aus der mystischen paradoxen Liturgie der Gnostiker zu extrahieren aber sie fielen dennoch Hals uumlber Kopf in die gleiche

sbquoerschaffenrsquo sbquonicht angenommenrsquo rdquo (Michael Peppard The Son of God in the Roman World Divine Sonship in Its Social and Political Context (Oxford OUP 2011) p 5) (Der Sohn Gottes in der Roumlmischen Welt Goumlttliche Sohnschaft in ihrem Sozialen und Politischen Umfeld)

1195 Siehe pp 121-122 A Grillmeier ldquoChrist in Christian Traditionrdquo p 109 ldquoEmanationrdquo IEP 1196 Epiphanius Haeresies 69 6 1197 Kuschel p 58

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dunkle Wolke der Unverstaumlndlichkeit indem sie sich an diese stumpfsinnige De-finition des Ursprungs Christi gebunden haben1198 Die modernen Apologeten welche die nicaumlnische Christologie um jeden Preis aufrechterhalten wollen sind diejenigen die sich mit diesen immer wiederkehrenden Fragen befassen muumlssen das Neue Testament selbst hat keine Probleme damit

Trotz der zermuumlrbenden Verwirrung die durch die Streitereien des vierten Jahr-hunderts bezuumlglich der Herkunft Jesu entstanden ist bietet das Neue Testament eine ausfuumlhrliche Aufklaumlrung in dieser Angelegenheit Im Gegensatz zum sbquoewig gezeugten goumlttlichen Charakterrsquo des Trinitarismus zeigt das Neue Testament dass Jesus einen echten Anfang hatte wie alle Menschen Aber dieser Anfang fand nicht vor der Erschaffung der Welt statt wie die Arianer annahmen Auch erklaumlr-ten die Arianer dass Christus chronologisch das erste aller Geschoumlpfe Gottes sei ein hohes geistiges Wesen das von Gott im Akt der Schoumlpfung eingesetzt werde Dieses arianische Verstaumlndnis wurde wie die trinitarische Sichtweise ebenso durch eine Fehlinterpretation der biblischen Sprache und des Denkens sowie durch den Einfluss von Platons Lehre von der woumlrtlichen Praumlexistenz der Seele erworben Im Neuen Testament hingegen wird der Anfang des Sohnes Gottes ausdruumlcklich auf der Erde dargestellt nicht in einer himmlischen Zeitlosigkeit noch vor der Erschaffung der Welt Vielmehr geschieht der Anfang des Sohnes Got-tes nach den Evangelien im Schoszlig der Maria1199

Matthaumlus beginnt seine Aufzeichnung des Lebens Jesu mit einem detaillierten Bericht uumlber Jesu Abstammung Hier fragt man sich sofort wie es moumlglich ist den eigenen Vorfahren vorauszugehen Damit der Messias bdquoein Nachkomme Davidsrdquo sein kann (Roumlmer 13) wie es in den offiziellen Buumlchern geschrieben steht und wie er oft von den Menschen um ihn herum genannt wurde (Markus 1047) muss er nach David kommen (2 Samuel 712) Wenn man einmal die metaphysischen Uumlberlegungen weglaumlsst stellt das Matthaumlusevangelium ein einfa-ches Modell fuumlr den wahren Ursprung Christi dar

Mit der Geburt Jesu Christi war es so Maria seine Mutter war mit Josef verlobt noch bevor sie zusammengekommen waren zeigte sich dass sie ein Kind erwartete - durch das Wirken des Heiligen Geistes (Matthaumlus 118)

1198 Siehe noch einmal Rudolphs Beobachtung dass die fruumlhchristlichen Vaumlter sich bemuumlhten bdquoverstaumlnd-

licherdquo und bdquonicht-gnostischerdquo Wege zu finden um einen geistlichen praumlexistenten und goumlttlichen Jesus zu bejahen der auch menschlich war Er schreibt bdquoStreng genommen ist es ihnen nicht gelungen Selbst die spaumlteren Kirchenraumlte die die christologischen Probleme in komplizierten und heute kaum noch verstaumlndlichen Definitionen diskutierten haben dies nicht geschafft die Einheit der Kirche ist gerade bei diesem [Problem] zerbrochenrdquo (Rudolph S 372)

1199 Zur Erklaumlrung Trinitarianismus bdquoder Sohn Gottes ewig gezeugt vor aller Zeit hatte keinen Anfangrdquo Arianismus bdquoder Sohn Gottes hatte einen Anfang er wurde vor der Welt erschaffenrdquo Biblischer Unitari-

anismus bdquoder Sohn Gottes hatte einen Anfang er wurde gezeugt im Schoszlig von Mariardquo

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Diesen Text wollen wir im Detail untersuchen

Tou de Iesou Christou he genesis houtos en mnesteutheises tes metros

- aber Jesus Christus - Geburt so war (Als) verlobt worden war seine Mutter

Das Wort das im obigen Text mit bdquoGeburtrdquo uumlbersetzt wird ist griechisch bdquoGe-nesisrdquo was bdquoUrsprungrdquo bedeutet1200 Jeder der auch nur ansatzweise mit der Bi-bel vertraut ist weiszlig dass das erste Buch [Mose] wegen seiner beruumlhmten Ein-fuumlhrung den Namen Genesis traumlgt bdquoAm Anfang rdquo (1 Mose 11) Einfach aus-gedruumlckt bdquoGenesisrdquo bedeutet bdquoAnfangrdquo Der Anfang von Jesus Christus der An-fang den er nach der Orthodoxie angeblich nicht hat wird hier von Matthaumlus erklaumlrt1201 Weitere Klarheit uumlber das Wort bdquoGenesisrdquo schafft sein Wurzelwort bdquoginomairdquo das von Strong in seiner Konkordanz als bdquoentstehenrdquo definiert wird Die New American Standard (Exhaustive) Konkordanz und Thayers Lexikon stimmen uumlberein dass das Wort im Wesentlichen bdquozu existieren beginnenrdquo bedeutet

Diese Information sollte fuumlr diejenigen die gelehrt wurden dass es nie eine Zeit gab in welcher der Sohn Gottes entstand Doch Matthaumlus beschreibt das Ereignis fuumlr jeden Leser in unmissverstaumlndlichen Worten bdquoSo geschah das Entstehen des Mes-sias Jesus Maria wurde durch den Heiligen Geist schwanger rdquo Es gibt hier keinen Hin-weis darauf dass Jesus bereits existiert haumltte dann aber in die Zeit[dimension] eintrat um eine menschliche Natur anzunehmen Vielmehr geschah der bdquoBeginnrdquo (die Entstehung die Schoumlpfung) Christi zu einem auf der Zeitachse genau fest-gelegten Punkt Waumlhrend der Verlobung Marias aber noch bevor sie Beziehungen hatte Die englische Standardversion (ESV) zeigt dies sehr gut

1200 Die fruumlhesten griechischen Manuskripte haben in Matthaumlus 118 eine bdquoGenesisrdquo (Geburt oder Her-

kunft) Einige spaumltere Manuskripte haben ein aumlhnliches Wort bdquoGennesisrdquo (Geburt) das einen Versuch spaumlterer Kopisten belegen koumlnnte die mit der Vorstellung unzufrieden sind dass der bdquoUrsprungrdquo Jesu darin bestand dass Maria durch die Kraft Gottes schwanger wurde Dennoch haben Kritiker bestaumltigt dass die bdquogenesisrdquo die originellste Lesart ist Metzger bestaumltigt dass bdquogenesisrdquo auch bdquoSchoumlpfungrdquo bedeu-tet (Bruce Metzger A Textual Commentary on the Greek New Testament (London United Bible Societies 1971) S 8)

1201 Matthaumlus hat in der Tat bereits dieses Wort verwendet um sein Evangelium vorzustellen bdquoDas ist das Buch des Ursprungs (Genesis) von Jesus dem Messias dem Sohn Davids des Sohnes Abrahams rdquo (Mat-thaumlus 11) Er erklaumlrt hier den genauen Ursprungdie Herkunft Christi ein notwendiges Verstaumlndnis fuumlr seine Leser wenn sie Jesus als den Erben der Rechte Davids als seinen direkten Nachkommen betrachten wollen

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Nun geschah auf diese Weise die Geburt [Anfang Entstehung] von Jesus Christus Als seine Mutter Maria mit Josef verlobt war bevor sie zusam-menkamen wurde festgestellt dass sie vom Heiligen Geist ein Kind bekom-men hatte (Matthaumlus 118 ELB)

Im Gegensatz zu den metaphysischen und widerspruumlchlichen Spekulationen der Orthodoxie vermitteln die Evangelien dass Jesus seinen bdquoEntstehungszeitpunktrdquo waumlhrend der Verlobung Mariens erlebt hat als Gott sie schwanger machte Die Trinitarier (und auch die Arianer) behaupten dass Christus ndash oumlrtlich gesprochen - im ewigen Himmel geboren wurde Aber es gibt absolut keinen Hinweis darauf dass ein [praumlexistenter] Sohn tatsaumlchlich von auszligen in den Schoszlig von Maria ein-getreten waumlre Im Gegenteil die Evangelien sagen uns nicht nur wann Christus entstanden ist sondern auch wo

Als er [Josef] noch so dachte siehe da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach Josef du Sohn Davids fuumlrchte dich nicht Maria deine Frau zu dir zu nehmen denn was sie empfangen hat das ist von dem Heiligen Geist (Matthaumlus 120)

en aute gennethen ek Pneumatos estin Hagiou

in ihr Gezeugte vom Geist ist Heilig

Das Wort bdquogennethenrdquo ist hier eine Ableitung von bdquogennaordquo was so viel bedeutet wie bdquozeugen hervorbringen verursachen entstehen lassenrdquo Es ist wichtig zu be-achten dass von den 96 Mal in denen das griechische Wort bdquogennaordquo im Neuen Testament erscheint dies der einzige Fall ist in dem es von einigen trinitarischen Uumlbersetzern bewusst mit bdquoempfangenrdquo uumlbersetzt wird1202 Dies ist ein Hinweis darauf dass bdquoempfangenrdquo nicht die geeignetste Uumlbersetzung ist Es waumlre sach-dienlicher wenn sie sich an die woumlrtliche Bedeutung hielten bdquogezeugtrdquo Zu beach-ten sind auch die Worte bdquoin ihrrdquo die mit diesem Begriff verbunden sind Nach Matthaumlus wurde Jesus buchstaumlblich von Gott gezeugt oumlrtlich geografisch gese-hen in Marias Leib nicht im Himmel

Ein umstrittener Teil des Psalms 110 dem wichtigsten messianischen Text des Alten Testaments ist hier erwaumlhnenswert In den am weitesten verbreiteten heb-raumlischen Manuskripten enthaumllt Vers 3 das Wort bdquoyalduthekardquo (bdquodeine Jugendrdquo) und wird oft uumlbersetzt als bdquoaus dem Schoszlig der Morgenroumlte tritt der Tau deiner Jung-mannschaft hervorrdquo (Schlachter) Viele Kommentatoren glauben jedoch dass

1202 Die meisten trinitarischen Uumlbersetzungen (besonders auf Englisch) verdecken hier das bdquoGeborenerdquo

siehe NASB ESV KJV HCSB Am Rande der groszligen Revidierten Version von 1881 finden wir jedoch eine Notiz die zeigt dass der Grieche woumlrtlich bdquogezeugtrdquo sagt Andere Versionen wie DBY und YLT lesen ebenfalls zutreffend bdquoin ihr gezeugtrdquo in Matthaumlus 120

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das urspruumlngliche Hebraumlisch beabsichtigt haben koumlnnte dass der Koumlnig selbst nicht die Jugend des Koumlnigs aus dem Mutterleib hervorgebracht werden soll In vielen der masoretischen Manuskripten steht tatsaumlchlich bdquoyelidtikardquo (bdquoIch habe dich gezeugtrdquo) und indem der Vokal den wir lesen neu angeordnet wird ergibt sich folgendes bdquoIn heiliger Pracht aus dem Mutterleib aus der Morgendaumlmmerung hast du den Tau mit dem ich dich geboren haberdquo1203 Dies entspricht der Septuaginta-Version bdquoIch habe dich vor dem Morgen aus der Gebaumlrmutter gezeugtrdquo (Brentons LXX 1093) Dies ist die bevorzugte Lesart vieler Experten1204 So soll in der juumldischen Welt zu der Zeit des Neuen Testaments der Davidische Messias nicht nur von Gott gezeugt werden wie es auch in DSS 1QSa zum Ausdruck kam sondern er wird spezifisch bdquoaus dem Mutterleibrdquo gezeugt wie es in der LXX heiszligt

Weitere Beweise dafuumlr dass kein prauml-existenter Jesus aus der Ewigkeit hernieder kam finden sich in der Geburtserzaumlhlung des Lukasevangeliums

Der Engel antwortete und sprach zu ihr bdquoDer Heilige Geist wird uumlber dich kommen und Kraft des Houmlchsten wird dich uumlberschatten darum wird auch das Heilige das geboren werden wird Sohn Gottes genannt werdenrdquo (Lukas 135)

dio kai to gennomenon hagion

darum das [eine] geboren werden Heilige

Wiederum bdquogennomenonrdquo ist eine Ableitung von bdquogennaordquo bedeutet auch hier bdquozeu-gen hervorbringen aufkommen lassenrdquo Lukas nennt Jesus buchstaumlblich bdquoden Geborenenrdquo Natuumlrlich beinhaltet dieser Ausdruck einen zeitlichen Faktor Die Zeugung des Sohnes fand innerhalb der [Dimension] Zeit statt nicht ausserhalb

Wir muumlssen uns einen Moment Zeit nehmen um sorgfaumlltig einen weiteren As-pekt von Lukas 135 zu betrachten in diesem Text finden wir eines der Schluumls-selzeugnisse gegen die trinitarische Vorstellung von einem Jesus der von Ewig-keit her der Sohn Gottes gewesen sei Der Engel Gabriel erklaumlrte bdquoHeiliger Geist wird uumlber dich kommen und Kraft des Houmlchsten wird dich uumlberschatten Darum wird auch das Heilige das gezeugt wird Sohn Gottes genannt werdenrdquo (Lukas 135) Wir sehen dass Christus nicht bdquoder Sohn Gottesrdquo ist weil er ewig als Gott der Sohn existierte noch weil er bdquoewig Zeugnis ablegterdquo Nein er ist nicht der ewige Sohn Gottes er wird erst zu einem bestimmten Moment auf der Zeitachse der Sohn Gottes die-ser Augenblick ist seine Empfaumlngnis in Maria durch ein Wunder

1203 Siehe Collins King and Messiah as Son of God pp 16-17 (Koumlnig und Messias als Sohn Gottes) Siehe

auch Aubrey R Johnson Sacral Kingship in Ancient Israel (Cardiff University of Wales Press 1955) p 95 (Heilige Koumlnigswuumlrde im Alten Israel)

1204 Siehe Collins King and Messiah as Son of God p 17 (Koumlnig und Messias als Sohn Gottes)

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Noch weitere Hilfe zum Verstaumlndnis leistet uns Lukas dadurch dass er in seinem Evangelium eine andere Person erwaumlhnt die er bdquoSohn Gottesrdquo nennt Adam der erste Mensch Im dritten Kapitel des Lukas gipfelt eine Genealogie die durch die Vorfahren Christi chronologisch nach hinten klettert in bdquoSeth dem Sohn Adams dem Sohn Gottesrdquo (Lukas 338) Offensichtlich ist der Grund warum Adam als Gottes Sohn bezeichnet wird dass er durch keine menschliche Handlung hervor-gebracht wurde Mit anderen Worten Gott war Adams Vater Deshalb wird Jesus von Paulus in 1 Korinther 1545 auch bdquoder zweite Adamrdquo genannt Nach Adam war Jesus der zweite Mensch der von Gott direkt gezeugt oder bdquoins Leben geru-fenrdquo wurde So erklaumlrte der Engel Gabriel dass Jesus gerade wegen der Art und Weise wie die Existenz Jesu in Maria ohne menschlichen Vater zustande kam bdquoder Sohn Gottesrdquo genannt wird James Dunn stimmt dem hier zu bdquoIn Matthaumlus und Lukas ist die goumlttliche Sohnschaft Jesu spezifisch auf seine Geburt bezie-hungsweise seine Empfaumlngnis zuruumlckzufuumlhren er war Gottes Sohn weil seine Empfaumlngnis ein Akt der schoumlpferischen Kraft durch den Heiligen Geist warrdquo1205

Wie bereits erwaumlhnt war die neutestamentliche Gemeinschaft nicht die einzige juumldische Koumlrperschaft die den Glauben besaszlig dass Gott den davidischen Mes-sias zeugen wuumlrde Die goumlttliche Sohnschaft des Koumlnigs von Israel die in Psalm 2 und 2 Samuel 7 vorgesehen ist findet sich in den Schriftrollen vom Toten Meer DSS 4QFlor wieder die den Messias sowohl als bdquoSohn Davidsrdquo als auch als bdquoSohn Gottesrdquo darstellen In einem anderen Dokument bekannt als 4Q246 lesen wir auch

bdquoSohn Gottes wird er gerufen werden und sie werden ihn sbquoSohn des Houmlchs-tenrsquo nennen Das (oder sein) Koumlnigreich ist ein ewiges Koumlnigreich Der groszlige Gott wird seine Staumlrke seinrdquo1206

Die Widerspiegelung dieser juumldischen Erwartung ist im Lukasevangelium offen-sichtlich wie der Engel von Jesus sagt

bdquoDieser wird groszlig sein und Sohn des Houmlchsten genannt werden und der Herr Gott wird ihm den Thron seines Vaters David geben und er wird uumlber das Haus Jakobs herrschen in Ewigkeit und seines Koumlnigtums wird kein Ende seinrdquo (Lukas 132)

Aus diesem Grund folgt dass Gottes Vaterschaft des Messias des Nachfolgers Davids kein ausgesprochen bdquochristlichesrdquo Konzept ist Es handelt sich nicht um

1205 Dunn Christology in the Making p 61 1206 4Q246 Uumlbersetzung zitiert in Collins Koumlnig und Messias als Sohn Gottes S 67 Einige Gelehrte

haben spekuliert dass es sich hierbei tatsaumlchlich um einen Verweis auf eine boumlse Gestalt wie einen seleukidischen oder syrischen Koumlnig handelt aber es scheint wenig Beweise dafuumlr zu geben Unabhaumlngig davon zeigt die seltsame Parallele zum Text von Lukas 132-33 dass die NT-Gemeinschaft diese Figur nicht nur als positiv sondern auch als messianisch empfand

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eine von Natur aus trinitarische Idee bdquoSohn Gottesrdquo bedeutet nicht bdquoGott der Sohnrdquo Wie ein katholischer Professor in Yale verraumlt bdquoSowohl Matthaumlus (120) als auch Lukas (135) stellen Jesus als von Gott gezeugt dar in dem Sinne dass er von der Kraft Gottes empfangen wurde und keinen menschlichen Vater hatte In keinem der beiden Faumllle ist diese Idee jedoch mit den Begriffen Praumlexistenz und Inkarnation kombiniertrdquo1207 Mehr zur Identifikation Jesu als bdquoSohn Gottesrdquo im Kontext des Judentums des ersten Jahrhunderts wird in den kommenden Ka-piteln behandelt aber vorerst koumlnnen wir daraus schlieszligen dass die These der sbquoewigen Sohnschaft Jesusbquo nicht auf den Geburtserzaumlhlungen des Evangeliums be-ruht

Der renommierte methodistische Gelehrte Adam Clarke schreibt nach der Durchsicht von Lukas Bericht bdquoHier vertraue ich darauf dass ich bei allem Res-pekt fuumlr diejenigen die mit mir nicht einverstanden sind sagen darf dass die Lehre von der ewigen Sohnschaft Christi meiner Meinung nach antibiblisch und houmlchst gefaumlhrlich istrdquo1208 Clarke bemerkte dass die Bibel zumindest diesen Teil der konventionellen Christologie eindeutig unbrauchbar gemacht hat

Der Sohn impliziert einen Vater und der Vater impliziert in Bezug auf den Sohn den Vorrang in der Zeit wenn nicht sogar auch in der Natur Vater und Sohn implizieren die Idee der Generation [Entstehung Abstammung] und die Generation impliziert einen Zeitpunkt zu dem sie bewirkt wurde und auch die Zeit[-dauer] die einer solchen Generation vorausgeht Zu sagen dass er [der Sohn] von Ewigkeit zu Ewigkeit gezeugtgeboren wurde ist mei-ner Meinung nach absurd und der Ausdruck sbquoEwiger Sohnrsquo ist ein positiver Selbstwiderspruch1209

Wenn wir die Summe der Beweise betrachten werden wir mit dem deutschen Theologen Wolfhart Pannenberg uumlbereinstimmen dass bdquodie jungfraumluliche Ge-burt Jesu in einem unvereinbaren Widerspruch zur Christologie der Inkarnation eines prauml-existierenden Sohnes Gottes stehtrdquo1210 Zu Recht hat der schottische Reformator John Knox (1513 ndash 1572 n Chr) Mitbegruumlnder der Presbyteriani-schen Kirchen zugegeben bdquoWir koumlnnen das Mensch-Sein [Christi] ohne die Prauml-

1207 Collins King and Messiah as Son of God p 209 1208 Adam Clarke ldquoCommentary on Luke 135rdquo The Adam Clarke Commentary Web 07 December 2015 1209 Ebenso 1210 Wolfhart Pannenberg Jesus God and Man (Westminster John Knox 1977) p 120 142 143 (Jesus Gott

und Mensch)

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Existenz haben und wir koumlnnen die Prauml-Existenz ohne das Mensch-Sein haben Es gibt jedoch absolut keine Moumlglichkeit beides zu habenrdquo1211

Obwohl wir jetzt befuumlrchten muumlssen den Punkt uumlbermaumlszligig zu bearbeiten mei-nen wir dass es sich der ernsthafte Student nicht leisten kann sich weiterhin ir-refuumlhren zu lassen Die Idee dass Jesus irgendwie der Sohn Gottes war bevor er in Maria gezeugt wurde ist definitiv nicht die Auffassung der Bibel Ein letzter aufschlussreicher Kommentar von Anthony Buzzard wird dieses Kapitel ab-schlieszligen Er schreibt

Ich glaube nicht dass viele Kirchengaumlnger je uumlber diese erstaunli-chen Berichte dh den Beginn und die Entstehung des Sohnes Gottes ernsthaft nachgedacht haben Wie viele sehen das Wunder das Gott vollbrachte als er beschloss seine Aktivitaumlt der Erschaf-fung Adams zu wiederholen - ein zweites Mal also einen eigenen Sohn zu zeugen diesmal nicht aus dem Staub sondern innerhalb der biologischen Menschenkette und in der Familie des [Koumlnigs] David Viele haben sich nicht hingesetzt um daruumlber nachzuden-ken welcher verwirrende Widerspruch der Schrift zwangslaumlufig entsteht wenn die bdquospaumltererdquo Theologie mit einem ungeschaffenen Sohn Gottes ohne Anfang den historisch geschaffenen Sohn Got-tes ersetzt Es scheint dass sich dieser bdquospaumltererdquo Jesus radikal von demjenigen unterschied den Gabriel ankuumlndigte und den Maria als ihren Sohn und als den Sohn Gottes erkannte Die spaumltere Darstel-lung von Jesus war ein Sohn Gottes von der Ewigkeit der bewusst in alttestamentlicher Zeit taumltig war und dann eines Tages beschloss sich auf einen Foumltus zu reduzieren und durch Maria1212 in die Welt zu gehen anstatt durch goumlttliche Schoumlpfung von und zu Maria zu kommen1213

Wenn der Ursprung Christi wirklich in Maria war was ist dann das wahrhaftige biblische Modell der Prauml-Existenz Wie sollen wir die verschiedenen Aussagen Jesu im Johannesevangelium verstehen die auf eine Existenz des Messias vor der

1211 John Knox The Humanity and Divinity of Christ (Cambridge CUP 1967) p 106 (Die Humanitaumlt

und die Divinitaumlt Christi) 1212 Wie wir im ersten Teil dieses Buches bemerkt haben bezeugten die valentinianischen Gnostiker bdquoDie-

ser Christus ist durch Maria gegangen so wie Wasser durch einen Schlauch flieszligtrdquo (Irenaeus Against Heresies 1 7 2)

1213 Anthony F Buzzard ldquoImagine Meeting a Man Whose Father is Godrdquo Focus on the Kingdom Vol 5 No 10 (McDonough Restoration Fellowship 2003) (Man stele sich vor einen Mann zu treffen dessen Vater Gott ist)

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Gruumlndung der Welt hinzudeuten scheinen Die Antworten finden wir im naumlchsten Kapitel

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11

BiblischePrauml-ExistenzunddieChristologieJesu

bdquoEhe ich dich im Mutterleib bildete habe ich dich erkannt und ehe du aus dem Mut-terschoszlig hervorkamst habe ich dich gehei-ligt zum Propheten fuumlr die Nationen habe ich dich eingesetzt hellip zu allen zu denen ich dich sende sollst du gehen und alles was ich dir gebiete sollst du redenrdquo

ndash Jeremija 157

bdquo[Ich bin] vom Vater geheiligt und von Gott in die Welt gesandt hellip von Gott ge-sandt rede ich Gottes Worte helliprdquo

ndash Johannes 1036 334

AS KONZIL VON NICAumlA LEGTE PRAKTISCH EINEN STAAT-LICH beglaubigten Christus fest Die nicaumlnische Christologie stellte fuumlr die Person sowie die Religion des Mannes von Nazareth jedoch eine Be-

drohung dar Jesu Weltanschauung seine Philosophie und sein persoumlnliches Got-teskonzept wurden summarisch vereinnahmt und im Dogma der Kirche faktisch aufgeloumlst Von der Differenzierung zwischen Gott und den Menschen und von Jesu Subordination unter Gott beides Charakteristika des urspruumlnglichen Glau-bens lieszligen diese Philosophen nicht mehr viel uumlbrig Die historische Sprache des

D

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Judentums wurde ebenfalls progressiv durch die philosophischen Modelle der hellenisierenden Gelehrten unterjocht Der juumldische Messias wurde verwischt und in die Form eines praumlexistenten Gottes im Himmel gepresst Festzustellen ist jedoch noch immer in den aumlltesten Bereichen des traditionellen hebraumlischen Denkens eine Prauml-Existenz des Messias Allerdings unterschied sie sich radikal vom Modell des spaumlter folgenden Christentums von dem man die Christenheit uumlberzeugen wollte

Die Hebraumler wurden auf biblische Andeutungen auf die Existenz eines Messias im Himmel und auf die goumlttlichen Absichten des Allmaumlchtigen sowie seinen Plan in der Geschichte verwiesen kaum beabsichtigt duumlrften das populaumlre Portraumlt ei-nes ontologisch goumlttlichen Wesens geschweige denn die Einfuumlhrung einer zwei-ten Person in der Gottheit gewesen sein Innerhalb des rasch zusammenwach-senden Christentums des Roumlmischen Reiches nahmen die Konzepte und die Phraseologien des klassischen Judentums durch die dominierende Philosophie mit der Zeit neue und gehobene Interpretationen an Es steht aber auch fest dass sich das spaumltere Christentum bewusst von der bdquoalten Religionrdquo distanziert hat1214 Ebenso klar ist dass der Messias des Judentums in den ersten Jahrhunderten der heidnischen Kontrolle eine rapide und verwirrende Transformation durchlief Martin Werner Professor fuumlr Theologie an der Universitaumlt Bern legte den Finger auf die Bewegung

Die Ursache des trinitarisch-christlichen Problems welches das post-apostolische Christentum so verbluumlffte lag im Uumlbergang vom apokalyptischen Messias-Sohn-Mensch-Konzept des urchristli-chen eschatologischen Glaubens mit seinem Gefuumlhl der Imminenz [des unmittelbaren Bevorstehens] zum neuen Dogma von der Goumlttlichkeit Jesu 1215

Das platonische Modell der Prauml-Existenz und Seelenwanderung (Transmigra-tion) das bereits von den heidnischen Bekehrten des ersten Jahrhunderts akzep-tiert worden war wurde hier geschickt angepasst wie Werner erklaumlrt Ein drama-tischer und uneingeschraumlnkter Kurswechsel als Ersatz fuumlr

das urspruumlngliche Konzept des Messias fand statt Eine hellenisti-sche Analogie eines erloumlsenden goumlttlichen Wesens Die Analogie

1214 Rubenstein p74 1215 Werner p 298

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war voumlllig unguumlltig Sie war ein Mythos hinter welcher der histori-sche Jesus voumlllig verschwand da es zwischen ihnen nichts Gemein-sames gab1216

Waumlhrend in den meisten Kirchen die theologischen Meinungen des historischen Jesus tragischerweise weitgehend in Vergessenheit geraten sind erkennt ein Wis-senschaftler dennoch an dass heute bdquodie Frage nach dem Jesus der Geschichte wieder zunehmend an theologischer Bedeutung gewinntrdquo1217 Unseren gegenwaumlr-tigen christologischen Streitigkeiten wird sehr gedient sein wenn Fragen der Ge-schichte gestellt werden Haumltte Christus tatsaumlchlich behauptet praumlexistent gewe-sen zu sein koumlnnten wir nicht hoffen seinen Anspruch zu verstehen ohne die gegensaumltzlichen Modelle des Praumlexistenzthemas zu kennen die in seiner eigenen Zeit kursierten

Judaismusversusmystisch-hellenistischenJudaismusWie in Teil I des vorliegenden Buches erwaumlhnt hatte es im heiligen Land bereits im ersten Jahrhundert n Chr als Ganzes eine kulturelle Hellenisierung erfah-ren1218 Aber es ist offensichtlich dass diese langwierige Verschiebung den religi-oumlsen Geist der meisten Juden in dieser Zeit nicht vollstaumlndig verschlungen hatte eine Mehrheit welche die juumldischen Apostel des Neuen Testaments hervorge-bracht hat Paulus ein Mann der sich selbst zum pharisaumlischen Judentum be-kannte und der unter dem fuumlhrenden Pharisaumler Gamaliel (ca 9 - 50 n Chr) stu-diert hatte konnte griechische Dichter zitieren ordnete sein Evangelium in grie-chische Kategorien ein differenzierte die bdquoPhilosophierdquo der Welt und lehnte sie ab (1 Kor 118-31 Kol 28 Apg 1718) Wir wissen dass die Pharisaumler zu denen Gedankenwelt Paulus gehoumlrte die groumlszligten und am weitesten respektierten der drei groszligen juumldischen Gruppen waren1219 Ihre bitteren Rivalen die Sadduzaumler

1216 Ebenso 1217 Ernst Kasemann ldquoThe Problem of the Historical Jesusrdquo Essays on New Testament Themes (London

1964) pp 15-4717 (Das Problem des historischen Jesus Aufsaumltze zu Neutestamentlichen Themen) 1218 Fuumlr eine detaillierte Untersuchung der Hellenisierung Judaumlas siehe Martin Hengels feingegliederte An-

alyse Judaism and Hellenism Studies in their Encounter in Palestine During the Early Hellenisic Period (Eugene Wipf amp Stock 2003[1974]) (Judaismus und Hellenismus Studien zu deren Begegnung in Palaumlstina in der fruumlhhellen-istischen Periode) Viele Wissenschaftler sind zu dem Schluss gekommen dass die juumldische Gesellschaft sowohl vom hellenistischen Reich als auch von seinem hellenisierenden roumlmischen Nachfolger bdquobis zu einem gewissen Gradrdquo beeinflusst wurde (Anthony J Saldarini Pharisees Scribes and Sadducees in Palestinian Society (Grand Rapids Eerdmans 2001[1988]) p 302) und dass bdquobis zum ersten Jahrhundert der Hel-lenismus selbst hebraumlisch und das Judentum selbst hellenisiert worden warrdquo (W D Davies Christian Engagements with Judaism (Harrisburg Trinity Press International 1999) S 10) Dennoch blieb eine Un-terscheidung zwischen den Juden insbesondere in Bezug auf den religioumlsen Synkretismus beobachtbar

1219 bdquoPharisaumler waren im allgemeinen Bauern und Handwerker die aus der Mittel- und Unterschicht kamen so neigten sie dazu weniger hellenisiert zu sein Im Gegensatz dazu waren Sadduzaumler im Allgemeinen buumlrgerliche hellenisierte Jerusalemer Sie lehnten die muumlndliche Tradition der Pharisaumler ab Stattdessen

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waren eine elitaumlre offen hellenisierte Minderheit welche den Tempel in Jerusalem kontrollierte Es war die Oumlffnung der Sadduzaumler fuumlr die Hellenisierung ihre Zu-sammenarbeit mit den Roumlmern und ihr Hochmut gegenuumlber dem einfachen Ju-den die dazu fuumlhrte dass sie von der Bevoumllkerung stark abgelehnt wurden Die dritte grosse Gruppe jener Epoche die Essener hielt den Tempel und diejenigen die ihn kontrollierten fuumlr so hoffnungslos korrupt dass sie sich in die Wuumlsten-Moumlnchsgemeinschaften zuruumlckzogen um auf Gottes endguumlltiges Urteil uumlber die Abtruumlnnigen zu warten Genug um zu sagen es gab Juden die sich im Mainstream des Judentums im heiligen Land dadurch auszeichneten dass sie mit der Auszligenwelt in einem irreparablen Ausmaszlig Kompromisse eingingen1220 Die-ser kontinuierliche Kampf um den kulturellen und religioumlsen Synkretismus praumlgte auch die erste christliche Gemeinschaft und dieser Riss ist im Neuen Testament noch immer leicht erkennbar1221 Petrus und Jakobus waren sicherlich nicht Teil einer synkretistischen Splittergruppe sondern eher Traditionalisten welche die alten Propheten dem heidnischen Elitedenken vorzogen und ihren juumldischen Hintergrund trotz der eindringenden hellenistischen Philosophie und des griechi-schen Lebensstils beibehielten Paulus der zwar in die hellenisierte Welt hinein-geboren wurde wich ebenfalls nicht bdquovom wahren juumldischen Glauben abrdquo und

interpretierten sie die Thora auf ihre eigene Weiserdquo (Howard N Lupovitch Jews and Judaism in World History (London Routledge 2010) p 32)

1220 bdquoIm Laufe ihrer ganzen Geschichte hatten sich die Juden der Diaspora freundlicher gegenuumlber neuen Ideen gezeigt Die Juden Palaumlstinas hingegen waren in der Regel selbstzufrieden und neigten dazu auf andere Mitglieder ihrer Rasse herabzuschauen die sie durch den Kontakt mit den Heiden und durch ihren langen Aufenthalt im Ausland als verseucht ansahen Sie betrachteten auch ihre tolerantere Hal-tung gegenuumlber der griechischen Kultur und dem griechischen Leben und den Braumluchen der Auszligenwelt als fragwuumlrdig Es war wahrscheinlich diese vererbte und inbruumlnstige Haltung die die palaumlstinischen juumldischen Christen dazu veranlasste die beduumlrftigen Mitglieder der hellenistischen Gruppe zu ver-nachlaumlssigenrdquo (Charles Foster Kent The Work and Teachings of the Apostles (New York Scribnerrsquos 1916) pp 50-51)(Das Werk und die Lehren der Apostel) In der Apostelgeschichte stellen wir fest dass die hellen-istischen Juden von den palaumlstinischen Juden in Bezug auf die Belieferung mit Nahrungsmitteln tatsaumlchlich vernachlaumlssigt wurden und sieben Aumllteste wurden ernannt um sicherzustellen dass das Es-sen richtig verteilt wurde bdquoDie griechischen Namen der Sieben sowie die Erzaumlhlung deuten darauf hin dass sie wahrscheinlich alle hellenistische Juden von Geburt an waren sie scheinen ein Komitee zu sein das ernannt wurde um die hellenistische Gruppe in der christlichen Gemeinschaft in gleicher Weise zu vertreten wie die Apostel die die palaumlstinische Gruppe vertraten Ihre Ernennung ist ein uumlberzeugender Beweis dafuumlr dass die Kluft zwischen den palaumlstinischen und den hellenistischen Juden auch innerhalb der christlichen Gemeinschaft praktisch unvermeidlich war und dass sie lange bevor Paulus in seine Kampagne zur Befreiung der Christen heidnischer Herkunft von juumldischen Fesseln eingriff anerkannt wurderdquo (Ebenso p 51)

1221 Apostelgeschichte 61ff beschreibt sowohl bdquoHellenistenrdquo als auch bdquoHebraumlerrdquo Anderswo wenn der Autor Heiden identifizieren will verwendet er den Begriff bdquoHellenenrdquo aber in Apostelgeschichte 6 stoszligen wir auf einen Streit zwischen den bdquoHellenistenrdquo und den bdquoHebraumlernrdquo die beide je nach Kontext Gruppen von Juden sind die in Jerusalem leben Fuumlr Mitteilung uumlber Stephanus Streit mit hellenisierten Juden siehe Paton James Gloag A Critical and Exegetical Commentary on the Acts of the Apostles Vol 1 (Edinburgh T amp T Clark 1870) p 214(Ein kritischer und exegetischer Kommentar der Apostelgeschichte) Zum Disput des Apostels Paulus mit ihnen siehe G Campbell Morgan Die Apostelgeschichte (Eugene Wipf amp Stock 2011 [1934]) pp 242-243

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behielt seinen Blick auf den Messias bei Wissenschaftler bezeichneten dies als bdquojuumldischen Messianismus wie er durch das apokalyptische Buch Daniel bestimmt worden warrdquo1222 Andererseits wurde Philon von Alexandria der Zeitgenosse von Paulus und der wohl bedeutendste der hellenisierenden Juden vom Mainstream-Judentum abgelehnt zufolge seiner synkretistischen Mischung aus Platonismus und Judentum (gekennzeichnet durch reale Prauml-Existenz Seelenwanderung usw)1223 Dies alles deutet darauf hin dass es im ersten Jahrhundert n Chr tat-saumlchlich ein Segment hellenisierender Juden gab die sich die griechischen Vor-stellungen von einer woumlrtlichen Prauml-Existenz angeeignet und auf biblische Ge-schichten angewendet hatten aber es besteht kein Zweifel dass dies nicht das allgemeine Judentum Judaumlas des ersten Jahrhunderts war Vielmehr wurde die Gewohnheit der Eliten als explizit hellenistisch gewertet hochspekulativ und in einigen Faumlllen einer voumllligen Ablehnung wuumlrdig

Wissenschaftler haben damit die Entstehung einer bdquohellenistisch-juumldischen Mys-terienreligionrdquo im ersten bis dritten Jahrhundert n Chr identifiziert1224 Das my-thologische Werk Das Gebet Josephs das sinnigerweise einen prauml-existierenden Engel erwaumlhnt der sich als Patriarch Jakob verkoumlrpert ist ein bdquoParadebeispielrdquo fuumlr diese akut hellenistische Entwicklung im Judentum1225 Obwohl immer noch uumlber den genauen Ursprung dieses Textes debattiert wird bestaumltigte der Religionswissen-schaftler J Z Smith den Mythos als ein Produkt des ersten oder zweiten christli-chen Jahrhunderts und zwar des bdquomystischen hellenistischen Judentumsrdquo1226 Philons Vorstellung vom engelhaften Logos bietet sicherlich eine auffaumlllige Pa-rallele zum Engel im Gebet Josephs Die Datierung dieses Gebets ist jedoch schwie-rig so dass es unmoumlglich ist mit Sicherheit festzustellen ob Philon aus dem Gebet oder der Autor des Gebets von Philon abgeschrieben hat Es ist wahrscheinlicher

1222 Daniel R Langton zitiert Leo Baeck The Apostle Paul in the Jewish Imagination (Cambridge CUP 2010)

p 85 (Der Apostel Paulus in der Juumldischen Vorstellung) Baeck faumlhrt fort bdquoWie Paulus an die hellenistische Welt heranging war die gleiche wie bei einigen palaumlstinischen Lehrern Tarsus eine Stadt in der Paulus aufwuchs war ein Ort des sbquoHellenismus mit all seinen Philosophien Uumlberzeugungen Verkuumlndigungen und Kultenrsquo und dennoch war sbquoPaulus ein Jude aus Tarsus kein Syrer Perser oder Aumlgypter aus Tarsus Sein Hintergrund war der des juumldischen Volkesrsquordquo (Ebenso)

1223 Fuumlr zusaumltzliche Einzelheiten uumlber Philons synkretistischen Hintergrund siehe C H Toy C Siegfried J Z Lauterbach ldquoPhilo Judaeusrdquo Jewish Encyclopedia 1906

1224 Siehe J Z Smith ldquoThe Prayer of Josephrdquo Religions in Antiquity Essays in Memory of E R Goode-nough (Leiden 1968) pp 253-294 (Das Gebet des Jospehs)

1225 Michael Tuval From Jerusalem Priest to Roman Jew (Tubingen Mohr Siebeck 2013) pp 45-46 (Wie ein Jerusalemer Priester zum roumlmischen Juden wurde) Die Absicht des Mythos war es wahrscheinlich die Juden der Diaspora zu inspirieren ihre eigene Identitaumlt innerhalb dieses Milieus zu verwirklichen sie alle teilen die himmlische Herrlichkeit eines engelhaften Vorfahrens J Z Smith erklaumlrt dass ldquoder Mythos von seinen Glaumlubigen rituell uumlbernommen werden kann dass die sbquoobjektiversquo Erzaumlhlung ein sbquosubjektivesrsquo Kor-relat hat Was durch die paradigmatische Figur des Patriarchen Jakob-Israel vollbracht wird kann ver-mutlich auch durch die sbquoSoumlhne Jakobsrsquo erreicht werdenrdquo (Smith bdquoThe Prayer of Josephrdquo p 288)

1226 James Charlesworth zitiert J Z Smith Pseudepigrapha and Modern Research (Scholarrsquos Press 1981 [1657]) pp 141-142 (Pseudoepigraphien und die moderne Forschung)

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dass die beiden bdquoaus der gegenseitigen Abhaumlngigkeit von gemeinsamen Traditio-nen resultierenrdquo1227 Die gemeinsame Tradition war ein akut platonisiertes Juden-tum Professor Broek bestaumltigt dass bdquosich juumldische und platonische Spekulatio-nen bereits vor der Ankunft des Christentums in Alexandria zu einer besonderen Marke des Judentums verschmolzen haben die in der Lage war die religioumlsen und intellektuellen Beduumlrfnisse weit fortgeschrittener hellenisierter Juden zu be-friedigen und so auch fuumlr interessierte Heiden attraktiv warrdquo1228 So wie John J Collins erklaumlrt bdquoDie Ideen im Gebet Josephs sind merkwuumlrdig haben aber genug gemeinsam mit denen des Philon und anderen Dokumenten aus der Zeitwende um Smiths These zu untermauern dass das Werk tatsaumlchlich ein Produkt des hellenistischen Judentums istrdquo1229 Wie Wissenschaftler bestaumltigen waren diese Interpretationen der Bibel bdquofuumlr den durchschnittlichen Juden kaum nachvollzieh-barrdquo1230

In Bezug auf die Prauml-Existenz behauptete das dominierende Judentum des ersten Jahrhunderts dass das biblische Portraumlt des Messias keine ontologische Realitaumlt vor der Geburt beschreibe sondern eine Vorkenntnis [Praumldetermination] des Messias in Gottes Geist Dieses alt-juumldische Modell der Prauml-Existenz war dem woumlrtlichen platonischen System der Hellenisierer vorangegangen Wie Harnack enthuumlllt ist dieses bdquoantike juumldische Modell der Prauml-Existenz die fruumlheste An-sichtrdquo1231

DieAlternativeKlassischejuumldischePrauml-EzistenzinGottesPlanIm juumldischen System wurden wirklich alle Dinge von Ewigkeit an als bdquomitrdquo oder bdquobeirdquo Gott betrachtet aber nur in dem Sinne dass sie ideell in seinem ewigen Ziel und Zweck existierten Die Existenz dieser zu erwartetenden Dinge so koumlnnte man sagen war konzeptionell ideell und vorlaumlufig [zeitmaumlszligig] noch unrealisiert Wie bereits erwaumlhnt

Wenn der Jude sagte dass etwas bdquopraumldestiniertrdquo sei dachte er es sei bereits in einem houmlheren Lebensbereich bdquovorhandenrdquo Die Weltgeschichte ist demzufolge vorherbestimmt weil sie in gewisser Weise bereits [von Gott] beschlossen und damit fixiert ist Diese

1227 Siehe Darrell D Hannah Michael and Christ Michael Traditions and Angel Christology (Tubingen

Mohr Siebeck 1999) pp 89-90 (Michael und Christus Michael-Traditionen und Engels-Christologie) 1228 Broek p 117 1229 John J Collins Between Athens and Jerusalem Jewish Identity in the Hellenistic Diaspora (Grand

Rapids Eerdmans 2000) p 240 (Zwischen Athen und Jerusalem Juumldische identitaumlt in der Hellenisti-schen Diaspora)

1230 M Smith ldquoGoodenoughrsquos Jewish Symbols in Retrospectrdquo Journal of Biblical Literature 86 (1967) 61 as cited in Tuval p 72 (Goodenoughs Juumldische Symbole im Ruumlckblick)

1231 Harnack History of Dogma Vol 1 p 47 (Dogmengeschichte)

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typisch juumldische Vorstellung von Praumldestination laumlsst sich klar von der griechischen Praumlexistenzidee durch die Uumlberlegenheit des Gedankens der bdquoPraumlexistenzrdquo im goumlttlichen Zweck unterscheiden1232

Fuumlr den juumldischen Verstand war Gottes Kraft unabwendbar Er gestaltete die Geschichte die jeden seiner Gedanken und Absichten verfestigte und die Perso-nen und Ereignisse aus denen sein groszliger Entwurf bestand praktisch greifbar machte Diese Verherrlichung der Unvermeidlichkeit der Absichten Gottes staumlrkte folglich die apokalyptischen Hoffnungen des juumldischen Volkes Ihre Stra-fen ihre Leiden ihre nachfolgenden Misshandlungen durch die Nationen ndash wur-den allesamt ertraumlglich durch eine spuumlrbare messianische Zukunft in der Gegen-wart Gottes Der anglikanische Theologe und Gelehrte Gordon Selwyn (1885 - 1959) identifizierte zu Recht den sprachlichen Brauch der Hebraumler in Bezug auf die Vorherbestimmung Gottes bdquoWenn der Jude etwas als praumldestiniert bezeich-nen wollte sprach er davon dass es im Himmel bereits existiertrdquo1233 Ebenso erkennt der protestantische Gelehrte Emil Schuumlrer (1844 - 1910 n Chr) an dass bdquoim juumldi-schen Denken alles wirklich Wertvolle bereits im Himmel existierterdquo1234 Waumlh-rend der Jude alle Dinge als zuerst mit oder bei Gott seiend identifizieren koumlnnte war er uumlberzeugt dass insbesondere Personen und Dinge die zum groszligen Erlouml-sungsplan Gottes gehoumlren im himmlischen Reich bdquoeingelagertrdquo waren und auf ihre Verwirklichung auf Erden zur richtigen Zeit warteten Sogar Tertullian im dritten Jahrhundert schrieb dass alle Dinge bdquogeplant und disponiert ja und be-reits gemacht worden waren soweit sie im Geist und in der Intelligenz Gottes [vorhanden] warenrdquo1235

Sicherlich war der Messias der ultimative Diener Gottes der dazu bestimmt war die Verheiszligungen der Vorvaumlter zu offenbaren [in diesem Sinne] von Anfang an mit oder bei Gott Doch seine Gegenwart bei Gott unterschied sich nicht von der Art wie sie Mose oder Johannes der Taumlufer oder eine der groszligen Gestalten der Geschichte Gottes genossen Wie ein Gelehrter schreibt bdquoDas Judentum hat nie etwas von einer Prauml-Existenz des Messias gewusst die der Geburt des Messias als Mensch vorausgegangen waumlrerdquo1236 Charles Gore einer der einflussreichsten The-ologen des 19 Jahrhunderts stellt die Auffassung der Christenheit in Frage dass die Inkarnation eines prauml-existierenden Messias mit der historischen Religion Jesu

1232 E C Dewick Primitive Christian Eschatology The Hulsean Prize Essay for 1908 (Cambridge CUP

1912) pp 253-254 emphasis added (Fruumlhchristliche Eschatologie ein preisgekroumlnter Aufsatz aus dem jahr 1908)

1233 E G Selwyn First Epistle Of St Peter (Grand Rapids Baker 1983) p 124 (1 Petrusbrief) 1234 Emil Schuumlrer The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ Vol 2 (Edinburgh T amp

T Clark 1979) p 522 (Die Geschichte des Juumldischen Volkes in der Aumlra Jesu Christi) 1235 Tertullian Against Praxeas 6 1236 G Dalman Words of Jesus (Edinburgh T amp T Clark 1902) pp 128-32 248 252

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uumlberhaupt kompatibel sei bdquoDie Dominanz der Idee kann in keinen juumldischen Kreisen welcher Richtung auch immer ernsthaft aufrechterhalten werden Das Judentum wusste nichts von einem [buchstaumlblich] prauml-existierenden Ideal-Men-schenrdquo1237 Ein katholischer Professor bemerkte auch dass bdquoin der Synagoge zwar immer eine besondere eigentuumlmliche Art der Prauml-Existenz mit dem Messias in Verbindung gebracht wurde aber diese hat den Messias nicht von anderen Men-schen abgegrenzt Die ideelle Prauml-Existenz des Messias ist der Inbegriff der Prauml-Existenz in Gottes Denkenrdquo1238

Eine Fuumllle von Wissenschaftlern hat zu Recht erkannt dass das von Jesus und den neutestamentlichen Autoren verwendete Konzept der Prauml-Existenz nicht das woumlrtliche Modell Platons und der alexandrinischen Philosophen widerspiegelt son-dern die aumlltere hebraumlische Tradition die im allgemeinen Judentum der Aumlra des Zweiten Tempels also in der Zeit Christi die akzeptierte Anschauung war1239 Wie ein Spezialist auf diesem Gebiet bestaumltigt bdquobesteht heute unter den Religi-onswissenschaftlern ein virtueller Konsens daruumlber dass der fundamentalste Hintergrund fuumlr die Idee der Prauml-Existenz im Neuen Testament die juumldische Tra-dition (und nicht die platonische) istrdquo1240 Zu ihrem groszligen Nachteil ist die Mehr-heit der Christen uumlber diese Informationen voumlllig im Unklaren belassen worden Bildung waumlre hier angesagt um die richtige Bedeutung der Phrasen und Gedan-kenformen der Urkirche des ersten Jahrhunderts wiederherzustellen Der ehrwuumlr-dige Maurice Wiles Professor fuumlr Theologie in Oxford kommentiert

In der christlichen Tradition wird das Neue Testament seit langem durch das Prisma der spaumlter entwickelten konziliaren Glaubensbe-kenntnisse gelesen Von Jesus als dem Sohn Gottes zu sprechen hatte im ersten Jahrhundert eine ganz andere Bedeutung als die welche sie seit dem Konzil von Nicaumla (325 n Chr) annahm Das Sprechen uumlber seine Prauml-Existenz sollte wahrscheinlich in den meisten vielleicht sogar in allen Faumlllen analog zur Praumlexistenz der Thora verstanden werden um auf den ewigen goumlttlichen Zweck

1237 Charles Gore Belief in Christ (New York Charles Scribnerrsquos Sons 1922) p 31 (der Glaube an Christus) 1238 Kuschel p 218 unsere Betonung 1239 Siehe Willibald Beyschlag (1823-1900) Life of Jesus (Das Leben Jesu) H H Wendt The Teaching of Jesus

(Die Lehren Jesu) (1892) George H Gilbert ldquoAn Important Unnoticed Argument in John Chapter Sev-enteenrdquo (Ein wichtiges unbeachtetes Argument in Joh 17) (1899) Gustaf Dalman Words of Jesus (1930) E G Selwyn First Epistle of Peter (1983) Maurice Wiles The Remaking of Christian Doctrine (1973) E C Dewick Primitive Christian Eschatology (1908)

1240 Smith The Son of God Three Views p 40 unsere Betonung (Der Sohn Gottes Drei Ansichten)

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hinzuweisen der durch ihn erreicht wird anstatt auf die Prauml-Exis-tenz einer vollstaumlndig persoumlnlichen Art1241

Juumldische Texte aus verschiedenen Epochen liefern beobachtbare Beispiele fuumlr dieses Modell im juumldischen Denken der Aumlra des Zweiten Tempels Die Genesis Rabba ein Kommentar in der Form eines kurzen Sermons aus der klassischen Zeit des Judentums lautet

Sechs Dinge gingen der Erschaffung der Welt voraus einige von ihnen wurden tatsaumlchlich erschaffen waumlhrend die Erschaffung der anderen bereits in Betracht gezogen wurde [deren Planung vorge-sehen war] Die Thora und der Thron der Herrlichkeit wurden er-schaffen Die Erschaffung der Patriarchen wurde in Betracht ge-zogen [Die Erschaffung] Israels wurde in Betracht gezogen [Die Erschaffung] des Tempels wurde in Betracht gezogen Der Name des Messias wurde betrachtet [vorgesehen] (Genesis Rabba 14)

Hier sehen wir dass es der Name des Messias war der im Geist Gottes in Be-tracht gezogen war Das ist etwas ganz anderes als die woumlrtliche Prauml-Existenz einer goumlttlichen Person Wie A E Harvey bemerkt dachten die Juden dass bdquoder Name des Messias unter anderen wichtigen Dingen von Anfang an schon da war Aber niemand im Judentum hielt den Messias selbst fuumlr sbquogoumlttlichrsquordquo1242 Der Talmud wiederholt

Sieben Dinge wurden erschaffen bevor die Welt erschaffen wurde und das sind sie Thora Reue der Garten Eden Gehenna der Thron der Herrlichkeit und das Haus des Heiligtums sowie der Name des Messias (Babylonischer Talmud Peshaim 54a)

Der Abschnitt ldquoGleichnisserdquo [Parabeln] des beruumlhmten Buches von Henoch der oft waumlhrend oder kurz vor dem ersten Jahrhundert datiert wird1243 erklaumlrt eben-falls dass der Messias

benannt wurde in Gegenwart des Herrn der Geister noch vor der Erschaffung der Sonne und des Mondes vor der Erschaffung der

1241 Maurice Wiles The Remaking of Christian Doctrine The Hulsean Lectures (London SCM Press

1974) emphasis added (Die Erneuerung der Cistlichen Doktrinen) 1242 A E Harvey Jesus and the Constraints of History (London Duckworth 1980) p 178 (Jesus und die

Grenzen der Geschichte 1243 Siehe Gabriele Boccacini Enoch and the Messiah Son of Man Revisiting the Book of Parables (Grand

Rapids Eerdmans 2007) See also R H Charles The Book of Enoch or 1 Enoch (Oxford at Clarendon Press 1912) (Henoch und der Messias Menschensohn Neubearbeitung des Buches der Gleichnisse)

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Sterne er wurde von Gott erwaumlhlt und bei Gott verborgen bevor die Welt erschaffen wurde (I Henoch 4836)

Anstatt die Existenz eines physisch vorexistierenden Wesens aufzuzeigen wurde diese Selektion des Auserwaumlhlten von den Juden einfach als seine urspruumlngliche Berufung zum Dienst angesehen1244 Waumlhrend Henoch im obigen Zitat bezeugt dass der Messias bdquobenanntrdquo oder im Bereich des Wissens Gottes (im Geist) ge-waumlhlt wurde wird nichts uumlber seine aktive Existenz als bewusstes und spirituelles Wesen gesagt geschweige denn uumlber Gott selbst Was prauml-existierte war lediglich der Auftrag des Menschensohnes

Sigmund Mowinckel (1884 - 1965 n Chr) Alttestamentler und eine der weltweit fuumlhrenden Autoritaumlten fuumlr die Psalmen erweitert in seinem umfassenden Werk He That Cometh The Messiah Concept in the Old Testament and Later Judaism (zu Deutsch Er der Kommt Das Messias-Konzept im Alten Testament und im spauml-teren Judaismus) die Allgegenwaumlrtigkeit dieser juumldischen Sicht

Die Zuordnung von Prauml-Existenz deutet auf die religioumlse Bedeu-tung houmlchsten Ranges hin Die rabbinische Theologie spricht vom Gesetz vom Thron der Herrlichkeit Gottes von Israel als von Dingen die bereits bei [Gott] vor der Erschaffung der Welt vor-handen waren Dasselbe gilt auch fuumlr den Messias in Pesikta Rab-bati 152b heiszligt es dass bdquovom Beginn der Erschaffung der Welt an der Kouml-nigsmessias geboren wurde denn er kam im Gedanken [Geist] Gottes auf bevor die Welt erschaffen wurderdquo Das bedeutet dass es von Ewigkeit her der Wille Gottes war dass der Messias ins Leben gerufen werde und sein Werk in der Welt verrichte um den ewigen Heilsplan Got-tes zu erfuumlllen1245

Wie Mowinckel betont ist der Ausdruck bdquoim Gedanken Gottes auftauchenrdquo praktisch gleichbedeutend mit dem tatsaumlchlichen Leben eines Juden obwohl wir sehen dass die wahre Existenz des Messias noch lange eine Sache war die erst in der Zukunft liegt Wir muumlssen hier betonen dass es sich nicht irgendeinen Teil des mystischen Judentums handelt der dieses Modell der Praumlexistenz betrifft sondern um den gesamten nationalen Glauben Die Hebraumlische Bibel zeigt in vollkommener Uumlbereinstimmung mit diesem Gedanken das Prinzip dass alle Dinge (wie ua der Messias) von Gott benannt (oder vorher bekannt) waren be-vor sie tatsaumlchlich existieren

- Was da ist ist laumlngst mit Namen genannt (Prediger 610 LUT)

1244 Gottfried Schimanowski Wisdom and Messiah (Tubingen Mohr Siebeck 1985) p 170 1245 Sigmund Mowinckel He That Cometh (Grand Rapids Eerdmans 2005 [1956]) p 334

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Alles was hier auf der Welt geschieht ist schon vor langer Zeit bestimmt

worden (Neues Leben Bibel)

Die Vorkenntnis aller Dinge des unbeirrbaren Gottes des Judentums erlaubte es die noch nicht verwirklichte Welt konkret zu beschreiben Die juumldische Welt Christi war mit Sicherheit historisch an diese Einstellung gewoumlhnt Ihre Schriften hatten von zukuumlnftigen Personen und ihren zukuumlnftigen Errungenschaften ge-sprochen die laumlngst vor ihrer eigentlichen Ankunft als abgeschlossen galten So sagte Gott

Hast du nicht gehoumlrt dass ich es lange zuvor bereitet und von Anfang an geplant habe Nun aber habe ich es passieren lassen dass du feste Staumldte zerstoumlrtst und zu wuumlsten Steinhaufen machst (2 Koumlnige 1925)

Waumlhrend es wirklich von Gott vor aller Zeit bdquonurrdquo geplant wurde war es im Grunde genommen so gut wie erledigt bdquoVor langer Zeit habe ich es getanrdquo erklaumlrt Gott waumlhrend es in Wirklichkeit erst bdquojetztrdquo [zu einem spaumlteren Zeitpunkt] ver-wirklicht wurde1246

Das vielleicht beste Beispiel fuumlr diese Idee ist Gottes prophetische Ansprache an den zukuumlnftigen Koumlnig Kyros im Buch Jesaja Zum Zeitpunkt als Jesaja schrieb lag die Geburt von Kyros noch 150 Jahre in der Zukunft aber Gott spricht zu ihm [Kyros] als ob er bereits existieren wuumlrde und benutzt die Vergangenheits-form

So spricht der HERR zu seinem Gesalbten [zu seinem Messias] zu Ky-ros den ich bei seiner Rechten ergriffen habe um Nationen vor ihm zu unterwerfen Wegen meines Knechtes Jakob und Israels meines Auser-waumlhlten habe ich dich bei deinem Namen gerufen Ich gebe dir einen Eh-rennamen ohne dass du mich erkannt hast (Jesaja 451a4)

Das Neue Testament zeigt dass dieses Konzept im apostolischen Christentum fortgesetzt wird Offenbarung 411 sagt bdquoDu bist wuumlrdig unser Herr und Gott die Herrlichkeit und die Ehre und die Macht zu nehmen denn du hast alle Dinge erschaffen und um deines Willens wegen waren sie und sind sie erschaffen wor-denrdquo Hier begegnen wir wieder dem zweistufigen Schoumlpfungsmodell entspre-chend dem juumldischen Glauben Alle Dinge entstanden zuerst gemaumlszlig dem Willen

1246 Diese Redewendung ist bekannt als bdquoProlepsisrdquo ein Begriff griechischen Ursprungs (von bdquoprolambaneinrdquo

was bdquovorher nehmenrdquo bedeutet) und ein Wort das von Merriam-Webster definiert wird als bdquodie Dar-stellung oder Annahme einer zukuumlnftigen Handlung oder Entwicklung als ob sie derzeit schon existierte oder bereits vollendet waumlrerdquo Duden Vorwegnahme eines Satzgliedes besonders Nennung (im Akkusativ) des Subjekts eines Gliedsatzes im vorausgehenden Hauptsatz (z B Hast du den Kerl gesehen wie er aussieht statt Hast du gesehen wie der Kerl aussieht (Anm des Uuml)rdquo

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Gottes im Himmel bdquound [dann] wurden sie erschaffenrdquo Sogar im fruumlhen heid-nisch-christlichen Denken blieb diese Uumlberzeugung weit verbreitet Der Patriarch von Antiochia Theophilus (183 n Chr) schreibt dass Gott bdquoMenschen denen er bekannt gemacht werden koumlnnte machen will fuumlr sie hat er deshalb die Welt im Voraus vorbereitetrdquo1247 Weil Gott die Welt zuerst im Himmel vorbereitet hatte konnte man sagen dass er sie bereits erschaffen hatte sowohl Gott als auch die Juden konnten von seiner zukuumlnftigen Taumltigkeit als bereits vollbracht spre-chen Der Apostel Paulus erlaumlutert ebenfalls die Sicherheit der Prophezeiung Gottes uumlber Abraham

So sagt Gott schon in der Heiligen Schrift zu Abraham bdquoIch habe dich zum Stammvater vieler Voumllker bestimmtrdquo Ja in Gottes Augen ist er das denn Abra-ham vertraute dem Gott der die Toten lebendig macht und der aus dem Nichts ins Leben ruft (Roumlmer 417 HFA)

Waumlhrend Abraham und seine Frau noch unfruchtbar waren hatte Gott Abraham in seinem bereits bestehenden Plan schon zum Vater vieler Menschen ernannt Biblisch gesehen hat Gott fuumlr jene die an seine Verheiszligungen fuumlr die Zukunft glauben nicht nur mit Zuversicht uumlber die kommenden Dinge gesprochen son-dern auch so als waumlre Gottes Vision fuumlr die Zukunft bereits angekommen Wir werden diese Methode nuumltzlich finden um die neutestamentliche Darstellung Jesu als den [von den Juden] lang ersehnten Messias zu verstehen

Prauml-ExistenzimJudentumundChristusimNeuenTestamentIn der Welt des Judentums wurde oft gesagt dass Gott alle Menschen ihre Werke und ihre Belohnungen bdquovon Grund aufrdquo vorbereitet habe Ein Beispiel fuumlr diese Formulierung findet sich im juumldischen Text Die Himmelfahrt des Moses der auf das fruumlhe erste Jahrhundert zuruumlckgeht und so zeitgemaumlszlig mit den Lehren und Braumlu-chen Jesu und seiner Apostel zusammenkommt Hier sagt Mose

bdquoAber Er hat mich entworfen und erdacht und Er hat mich von Anfang der Welt an darauf vorbereitet Mittler Seines Bundes zu seinrdquo (Die Him-melfahrt des Moses 114)

Natuumlrlich waumlren wir aufgrund dieser Aussage allein kaum in der Lage Argumente fuumlr Moses eigene woumlrtliche Prauml-Existenz zu finden Dennoch wiederholt sich diese Sprache im Neuen Testament welche die Person Jesu beschreibt

bdquo das Lamm das geschlachtet worden ist von Grundlegung der Welt anrdquo (Offenbarung 138 SLT)

1247 Theophilus Apology to Autolycus 2 10

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Die Konsequenzen sollten hier offensichtlich sein Natuumlrlich wurde Jesus nicht buchstaumlblich getoumltet bevor die Welt begann aber er wurde in Gottes ewigem Plan und [dessen] Vorkenntnis sbquogetoumltetldquo dh als Opfer vorgesehen Das erklaumlrt der Apostel Petrus

bdquoDiesen Mann der nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkennt-nis Gottes hingegeben worden ist habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen an das Kreuz geschlagen und umgebrachtrdquo (Apostelgeschichte 223)

Paulus stimmt dem Gedanken zu dass es in Bezug auf den von Ewigkeit her [in Gottes Plan] existierenden Christus Gottes Absicht war bdquoNach dem ewigen Vorsatz den er verwirklicht hat in Christus Jesus unserem Herrnrdquo (Eph 311) In diesem Sinne beginnen selbst die umstrittensten bdquoPrauml-Existenz-Aussagenrdquo Christi ihre Schwie-rigkeiten [des Verstaumlndnisses] zu uumlberwinden Zum Beispiel wird Johannes 175 oft von denen eingesetzt die die woumlrtliche Prauml-Existenz Jesu demonstrieren wollen

bdquoUnd nun verherrliche du Vater mich bei dir selbst mit der Herrlichkeit die ich bei dir hatte ehe die Welt warrdquo (Johannes 175)

Die Erhoumlhung des [auferstandenen] Christus in die Gegenwart Gottes zu seiner Rechten wurde von alters her ausdruumlcklich vorhergesagt (Psalm 1101 Jesaja 5213) Dieser Lohn wurde bei Gott gespeichert und erwartete nur die chronolo-gische Erfuumlllung seiner Vision Hier in Johannes 17 nachdem er sich dem Tod und der Verwirklichung der Vision Gottes freiwilling unterstellt hatte betete Je-sus fuumlr seine vorbestimmte und von ihm zu Recht erwartete Verherrlichung nach Abschluss seiner Mission Wie die Verwuumlstung der Staumldte in 2 Koumlnige 1925 bdquoso gut wie erledigtrdquo war so nahm Christus seinen Lohn entgegen Doch so wie Jesus nicht buchstaumlblich bdquovon der Grundlegung der Welt an geopfertgetoumltetrdquo wurde (Offenba-rung 138) hatte er auch nicht buchstaumlblich bereits die Herrlichkeit in Gottes Gegenwart besessen Ein Professor am Chicago Theological Seminary bemerkt das in Johannes 175

Diese Herrlichkeit scheint als Belohnung fuumlr das Werk angesehen zu werden das Jesus jetzt vollbracht hat Diese Denkweise deutet darauf hin dass er die erwartete Herrlichkeit als seine ihm zu-stehende Belohnung betrachtete Die Schlussfolgerung daraus in Bezug auf die Prauml-Existenz des Messias ist offensichtlich Beloh-nungen werden nach getaner Arbeit vergeben und koumlnnen nur dann als Belohnung anerkannt werden Jesus besaszlig diese Herrlichkeit vor der Gruumlndung der Welt nur in dem Sinne dass sie gemaumlszlig dem goumlttlichen Entschluss fuumlr ihn bestimmt war Er wusste dass das glorreiche Ergebnis seiner messianischen Arbeit feststeht und dass die Belohnung fuumlr ihn bereitgehalten wird So fragt er im Schatten

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des Kreuzes als das Werk Jesu aus menschlicher Sicht ein vollstaumln-diges und beschaumlmendes Scheitern zu sein schien ruhig und zuver-sichtlich nach der Herrlichkeit die er beim Vater hatte bevor die Welt war Das ist sicherlich die Aussage eines Menschen der sich bewusst war der von Gott gesandte Messias zu sein Die damit verbundene Prauml-Existenz ist ideell1248

Wir erinnern uns dass Koumlnig Kyros 150 Jahre vor seiner Geburt von Gott mit Ehre bedacht wurde Gott hatte ihm gesagt bdquoIch gab dir einen Ehrennamenrdquo (Jesaja 451-4) Als Kyros schlieszliglich Koumlnig wurde erhielt er die Herrlichkeit die Gott fuumlr ihn bereitgehalten hatte Auf die gleiche Weise wurde Jesus von Gott verherr-licht bevor er geboren wurde und bei seiner Erhoumlhung erhielt er den Ehrentitel den Gott vorbereitet hatte (Apg 236)

Was die besondere Art der Ehre Christi betrifft so behaupten moderne Dogma-tiker sei sie die ausschlieszligliche Herrlichkeit der Gottheit doch Jesus erlaumlutert mehrere Verse spaumlter

bdquoUnd die Herrlichkeit die du mir gegeben hast habe ich ihnen gegeben dass sie eins seien wie wir eins sindrdquo (Johannes 1722)

Wenn die Herrlichkeit die Christus gegeben wurde tatsaumlchlich die Herrlichkeit als Gott war dann hat er offensichtlich seinen Juumlngern dieselbe Herrlichkeit der Gottheit gegeben Das ist sicherlich nicht der Fall Wir wissen dass die besondere Art der Herrlichkeit die Jesus traumlgt die Herrlichkeit der Sohnschaft ist nicht die Herrlichkeit als Gott Das erste Kapitel des Johannesevangeliums erklaumlrt bdquowir sahen seine Herrlichkeit eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vaterrdquo (Joh 114b Schlachter) bdquoeine Herrlichkeit wie sie Gott nur seinem einzigen Sohn gibtrdquo (HFA) Die Herrlichkeit der Sohnschaft wird vom Menschen Jesus eindeutig richtig einge-schaumltzt und es ist durchaus akzeptabel dass er diese Ehrung an seine Anhaumlnger weitergibt bdquoDie ihn aber aufnahmen und an ihn glaubten denen gab er das Recht [die Macht] Kinder Gottes zu werdenrdquo (Johanes 112)

Natuumlrlich wird die einzigartige Herrlichkeit Gottes nicht mit anderen geteilt son-dern ist von Jahwe fuumlr sich selbst reserviert bdquoMeine Ehre gebe ich keinem anderenrdquo (Jes 4811) Doch wir sehen dass Gott tatsaumlchlich anderen einen gewissen Grad an Ehre verteilt bdquoJahwe [Gott der HERR] wird Gnade und Herrlichkeit geben und kein Gutes vorenthalten denen die in Lauterkeit wandelnrdquo (Psalm 8412b) Es handelt sich offensichtlich um eine andere Herrlichkeit nicht um seine eigene Herrlich-keit als Gott die er unter seinen Kindern austeilt Das Neue Testament bezeugt

1248 George H Gilbert ldquoAn Important Unnoticed Argument in John Chapter 17rdquo The Biblical World Vol

13 No 5 (Chicago University of Chicago Press 1899) p 308 311 unsere Hinzufuumlgung (Ein wichtiges aber unbemerktes Argument in Joh 17)

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eindringlich dass die Herrlichkeit die Gott denen anbietet die ihm wohlgefallen tatsaumlchlich der Herrlichkeit entspricht die Jesus Christus hat bdquoDer Geist selbst be-zeugt zusammen mit unserem Geist dass wir Kinder Gottes sind Wenn aber Kinder so auch Erben Erben Gottes und Miterben Christi wenn wir wirklich mitleiden damit wir auch mit-verherrlicht werdenrdquo (Roumlmer 816-17) Wir lesen ferner dass das Endziel der Ver-herrlichung Jesu durch Gott darin bestand bdquoviele Soumlhne zur Herrlichkeit zu fuumlhrenrdquo (Hebr 210) Paulus stimmt zu dass Gottes gesamtes Programm in Bezug auf Christus ein Plan war naumlmlich der bdquoPlan den Gott schon vor der Erschaffung der Welt gefasst hat und nach dem er uns Anteil an seiner Herrlichkeit geben willrdquo (1 Kor 27 NGUuml) Paulus offenbart daruumlber hinaus dass unsere zukuumlnftigen glorreichen Koumlrper (dh derselbe Lohn den der auferstandene Jesus bereits erhalten hat) ebenso bei Gott im Himmel aufbewahrt werden bdquoSo gleicht zum Beispiel der Koumlrper in dem wir hier auf der Erde leben einem Zelt das eines Tages abgebrochen wird Doch wir wissen Wenn das geschieht wartet auf uns ein Bauwerk das nicht von Menschenhand errichtet ist sondern von Gott ein ewiges Haus im Himmelrdquo (2 Kor 51 NGUuml) Man beachte dass wir diese Belohnung derzeit bdquobei Gott im Himmel habenrdquo obwohl sie noch nicht offen-bart wurde so wie Christus in Johannes 175 beteuert hat dass seine Belohnung bereits vor der Schoumlpfung in seinem Besitz gewesen sei Offensichtlich kann jeder Juumlnger Jesu Gebete mit dem gleichen Effekt sprechen wie Christus selbst in Jo-hannes 17 denn alle Christen und Christinnen besitzen ebenso bdquodie Ehre bei Gott bevor die Welt warrdquo Tatsaumlchlich bekraumlftigt Paulus weiter dass jedem Juumlnger Jesu bereits bdquovor Beginn der Zeitrdquo Gnade geschenkt wurde (2 Tim 19) Dies deutet natuumlrlich nur darauf hin dass diese Personen schon im Voraus Gott bekannt wa-ren

Biblisch gesprochen wurden alle heiligen Agenten [Propheten] Gottes von ihm vor ihrer wahren Existenz erkannt bdquoEhe ich dich im Mutterleib bildete habe ich dich erkannt und ehe du aus dem Mutterschoszlig hervorkamst habe ich dich ge-heiligt zum Propheten fuumlr die Nationen habe ich dich eingesetztrdquo (Jeremia 15) Das Neue Testament erklaumlrt schlieszliglich dass das Volk Gottes nicht nur vorher-gesagt sondern auch zur Ehre der Sohnschaft mit Jesus vorherbestimmt wurde bdquoDenn die er vorher erkannt hat die hat er auch vorherbestimmt dem Bilde sei-nes Sohnes gleichfoumlrmig zu sein damit er der Erstgeborene sei unter vielen Bruuml-dernrdquo (Roumlm 829) Wir glauben jedoch nicht dass diese Aussage die reale Exis-tenz eines jeden Christen bei Gott vor der Schoumlpfung zeigt Es steht aber auszliger Frage dass die Autoren des Neuen Testaments zu verstehen geben dass die Glaumlubigen in Gottes Geist gegenwaumlrtig [erkannt] waren Dies ist natuumlrlich die gleiche Formulierung mit der Christus beschrieben wird bdquoEr ist im Voraus vor Grundlegung der Welt erkanntrdquo (1 Petrus 120)

Die apostolischen Autoren waren der Ansicht dass sie selbst von Gott erkannt wurden und vor Grundlegung der Welt Belohnungen bei ihm bereitgelegt waren

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Die christliche Nachwelt glaubt allgemein nicht an eine buchstaumlbliche Prauml-Exis-tenz der Menschen Die Frage draumlngt sich auf warum sollten dann dieselben Re-dewendungen fuumlr den Menschen Jesus eine Prauml-Existenz beweisen Ein anglika-nischer Theologe erkennt das

Wir sind nicht berechtigt zu sagen dass Petrus die Idee hegte Christus sei vor seiner Inkarnation bei dem Vater praumlexistent ge-wesen Denn in seiner Beschreibung Christi ist eine solche Idee nur aufgrund von bdquovor der Entstehung der Welt bekanntrdquo nicht unbe-dingt impliziert da Christen auch Objekte der Vorausschau Gottes sind Alles was wir sagen koumlnnen ist dass der Satz pro kataboles kosmou (gr vor Gruumlndung der Welt) das Amt Christi bestaumltigt und eine uumlberirdische Bandbreite und Bedeutung hat1249

Auffaumlllig an dieser Inkonsistenz der Interpretation ist die dramatische Schwan-kung des Dogmas indem es selektiv linguistische Modelle isoliert und neu defi-niert um dem Zweck gerecht zu werden naumlmlich der uneingeschraumlnkten Vertei-digung der Lehre von der Goumlttlichkeit Jesu Passagen uumlber den Christus werden ploumltzlich von der normalen historischen Deutungsweise zweckdienlich ausge-nommen Wenn es um Dogmen geht gelten im Bereich der orthodoxen Chris-tologie die Regeln auf einmal nicht mehr Dennoch sollte der moderne Bibelstu-dent in dieser Hinsicht auf exegetischer Konsistenz beharren Ein unitarisch ge-sinnter Dozent sagte es so

Orthodoxe Kommentatoren sind sich bewusst dass der Sprachge-brauch des Neuen Testaments haumlufig die grammatikalische Zeit-form der Vergangenheit verwendet um Ereignisse zu bezeichnen die tatsaumlchlich in der Zukunft liegen Ich frage diese Kritiker was sie normalerweise gegen roumlmisch-katholische Verfechter der Lehre der Transsubstantiation vorbringen die als Beweis den Text zitie-ren bdquoDas ist mein Koumlrper der fuumlr euch gebrochen wurderdquo Was sagt der protestantische Gegner dazu bdquoOh es ist bloszlig ein idiomatischer Ausdruck durch den ein Ereignis als vollendet dargestellt wird das noch nicht geschehen istrdquo Desgleichen und mit aumlhnlicher Interpre-tation houmlren wir die Orthodoxen den Satz verwenden bdquoDas Lamm das von der Grundlegung der Welt an geschlachtet wurderdquo In diesem Fall zeigen sie keine Skrupel von dem als tatsaumlchlich Geschehenen zu sprechen was nur in der Vorschau von Ewigkeit her in Betracht gezogen wurde Wenn gesagt wird dass alle Ereignisse fuumlr den

1249 E G Selwyn First Epistle of St Peter (Grand Rapids Baker Book House 1983) p 248 250

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Geist Gottes gegenwaumlrtig sind antworten wir so sind es alle Men-schen und Christus ebenso Diese Sichtweise auf das Thema hat viele Nachdenker und was auch immer unsere Gegner meinen viele faumlhige und ehrliche Koumlpfe zufrieden gestellt1250

Was Johannes hier im Kapitel 175 berichtet ist keine Feier der Wiedergewinnung einer durch Christus als Gott vor der Schoumlpfung innegehabten Majestaumlt die er irgendwann aber aufgab Er bat nicht bdquogib mir zuruumlckrdquo sondern bdquogib mir jetztrdquo - eine glaubenserfuumlllte Bestaumltigung der versprochenen Erhoumlhung die der Vollen-dung seines Leidens folgte Offensichtlich sollte das Wissen um den linearen Weg des Messias vom unruumlhmlichen Leiden zur Herrlichkeit (nicht von der Herrlich-keit zum Leiden und dann wieder zuruumlck zur Herrlichkeit) von den Juumlngern Jesu richtig begriffen werden Christus selbst der seine hinterbliebenen und trauern-den Juumlnger auf dem Weg nach Emmaus belehrte erinnerte sie eindringlich daran bdquoMusste nicht der Christus [der Messias] dies erleiden und dann in seine Herrlichkeit einge-henrdquo (Lukas 2426) Dementsprechend war dies auch die richtige Erwartung de-rer die mit ihm gelitten und ihn angenommen hatten

Vom bdquoHimmel gekommenrdquo Es gibt mehrere Aussagen in den Evangelien uumlber den bdquoHimmelrdquo die uumlblicher-weise in Argumenten fuumlr eine woumlrtliche Prauml-Existenz anzutreffen sind Wir wer-den bald feststellen dass diese Spruumlche Christi tatsaumlchlich hebraumlische Redewen-dungen sind die in ihrem urspruumlnglichen Kontext nicht angemessen beruumlcksich-tigt wurden

Die uumlberwiegenden Beweise lassen den Schluss zu dass wenn Jesus sagt bdquoDenn ich bin vom Himmel herabgekommen nicht dass ich meinen Willen tue sondern den Willen dessen der mich gesandt hatrdquo (Joh 638) er nicht meint dass er buchstaumlblich aus dem Himmelreich angereist sei Vielmehr will er uumlber den himmlischen Ursprung sei-ner Mission sprechen uumlber seine persoumlnliche Beauftragung aus dem Thronsaal Gottes

Bei dieser Erklaumlrung koumlnnen wir uns auf den Vorwurf gefasst machen dass wir auf einfache Auslegungen der Bibel verzichten und den Text zu Unrecht der Abs-traktion uumlberlassen haben Darauf wuumlrden wir mit einer Frage nach streng woumlrt-lichen Auslegungen eines jeden historischen Dialogs antworten Stellen Sie sich vor viele Jahre in der Zukunft wuumlrde ein Anthropologe ein heutiges Buch entde-

1250 Henry Giles There is One God and One Mediator between God and Men the Man Christ Jesus a

Lecture delivered in Paradise-Street Chapel Liverpool March 5 1839 (Liverpool Willmer amp Smith 1839) p 16 unsere Betonung (Es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen der Mensch Christus Jesus Vorlesung vom 531839 Liverpool)

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cken und dann darin lesen dass bdquoes Katzen und Hunde regneterdquo dh umgangs-sprachlich dass es in Stroumlmen goss Wuumlrde er dann von seinen Kollegen verlan-gen dies ohne Respekt auf Kultur und Sprache absolut woumlrtlich zu interpretie-ren Sollten wir dann in diesem Zusammenhang nicht auch uumlber Passagen wie bdquoIch bin das Brot das aus dem Himmel herabgekommen istrdquo (Joh 641) vielleicht zwei-mal nachdenken Die Problematik einer allzu woumlrtlichen Analyse und Auslegung solcher Aussagen wird in einer klassischen Publikation beleuchtet

Nun zu solchen Versen kann man den Trinitariern einfach eine Frage stellen Ist die Rede Jesu woumlrtlich oder bildlich zu verstehen Wir bestehen nicht darauf dass Trinitarier die von uns gewaumlhlte Alternative uumlbernehmen sondern uumlberlassen ihnen die Entschei-dung Wenn ihre Devise lautet bdquoChristus ist woumlrtlich zu verstehen wenn er von einer tatsaumlchlichen persoumlnlichen Himmelsherkunft sprichtrdquo dann darf diese Interpretationsmethode auch auf die an-deren Teile der Passage und den umgebenden Kontext der Bibel angewendet werden Wenn Christus leibhaftig als das wahre Brot vom Himmel heruntergekommen ist dann sagt er uns dass eben dieses bdquo lebendige Brot das aus dem Himmel herabgekommen istrdquo (Joh 651) bdquomein Fleisch wahre Speise und mein Blut wahrer Trank istrdquo (Joh 655) und dass es notwendig ist das eine zu essen und das andere zu trinken um sich das ewige Leben zu sichern Vers 58 bdquoDies ist das Brot das aus dem Himmel herabgekommen ist Nicht wie die Vaumlter aszligen und starben wer dieses Brot [Christi Fleisch und Blut also] isst wird leben in Ewigkeitrdquo Wer nun die Aussage Christi hier buchstaumlblich interpre-tiert versucht damit zu beweisen dass er nicht nur vom Himmel herabgekommen ist sondern dass er aus echtem Fleisch und Blut dh menschlicher Natur also nicht goumlttlicher Natur war denn das steht hier nicht Werden die [Trinitarier] nun die woumlrtliche Interpre-tation der Rede Christi weiter verfolgen um zu diesem legitimen Ergebnis zu gelangen1251

Wie wir bereits gesehen haben sagte bdquoder Jude wenn er etwas als praumldestiniert oder vorherbestimmt bezeichnen wollte dass es im Himmel bereits exis-tierterdquo1252 Die Stelle in Johannes 641-42 und die auch anderswo gefundene Re-dewendung bdquokam vom Himmelrdquo verdeutlicht dies Christus erklaumlrte nicht dass er buchstaumlblich durch die Dimensionen [Raum und Zeit] zur Erde gereist sei Er

1251 George Harris (ed) ldquoThe Christian Pioneer No 160 Vol XIIIrdquo The Christian Pioneer January 1839 -

December 1839 (London Simpkin Marshall amp Co 1839) pp 451-452 1252 Selwyn First Epistle Of St Peter p 124

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sagte auch nicht dass der allmaumlchtige Gott eine bdquoInkarnationrdquo seiner selbst in-szeniert habe um persoumlnlich eine seiner Schoumlpfungen zu werden Christus er-kannte dass eine Sache die ihr Fundament in Gott hat und die Gott aufbewahrte zu einem bestimmten Zeitpunkt offenbar werden kann Hilfreiche Passagen zur Unterstuumltzung unserer Interpretation der Redewendung stammen aus dem Jako-bus-Brief

Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben herab von dem Vater der Lichter bei dem keine Veraumlnderung ist noch ein Wech-sel des Schattens (Jakobus 117)

Denn Neid und Selbstsucht haben nichts mit der Weisheit von Gott zu tun sondern sie sind irdisch gottlos und teuflischen Ursprungs Aber die Weisheit die von Gott kommt ist vor allem rein (Jakobus 31517a)

Die Absicht von Jakobus 117 ist natuumlrlich nicht einen naiven Glauben zu ver-mitteln dass jede gute Gabe (wie Jesus) physisch aus dem Himmelreich kommt Vielmehr sollten wir verstehen dass Gott die Quelle und der Urheber von allem Guten ist Ein Vergleich mit unseren Kindern laumlsst uns erkennen dass sie genau das sind was Psalm 1273 erklaumlrt bdquoKinder sind die Gabe des HERRNrdquo Gott ist ohne Zweifel die Quelle des Segens der durch das Leben unserer Kinder zu uns kommt aber wir wissen dass Kinder nicht physisch von Gott aus dem Himmel kommen Wir koumlnnen auch den klar metaphorischen Gebrauch der Redewen-dung beobachten wenn Gott sein Volk herausfordert

bdquoBringt den Zehnten ganz in das Vorratshaus damit Speise in meinem Haus sei und pruumlft mich doch dadurch spricht der HERR der Heerscha-ren ob ich euch nicht die Fenster des Himmels oumlffnen und euch Segen in uumlberreicher Fuumllle herabschuumltten werderdquo (Maleachi 310)

Als die Menschen in jener Zeit dies houmlrten verstanden sie dass Gott denjenigen die ihm vertrauten einfach nur Segnungen versprach deren Ursprung im Himmel war

Der himmlische Plan fuumlr den Messias wurde persoumlnlich vom Vater [im Himmel] entworfen und eingefuumlhrt und er selbst war es der Jesus im Leib seiner Mutter zeugte (Psalm 27 Matt 120 Lukas 131-35 Hebr 55 1 Joh 518) Jesu per-soumlnliche Anspruumlche haben auf der einen Seite alles mit seiner Aufgabe als Beauf-tragter Gottes auf der anderen aber nichts mit seiner physischen oumlrtlichen Her-kunft zu tun Der beruumlhmte Theologe Robert Bultmann raumlumte ein dass die Aus-drucksweise Christi in den Evangelien aus historischer Sicht nicht dazu bestimmt war seine koumlrperliche Durchquerung von Zeit und Raum zu beschreiben Aus-druumlcklich forderte Bultmann dies im Text

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Jesus wird nicht ernsthaft als ein woumlrtlich praumlexistentes goumlttliches Wesen dargestellt das in menschlicher Gestalt auf die Erde gekom-men sei um unerhoumlrte Geheimnisse zu enthuumlllen Vielmehr soll die mythologische Terminologie die absolute und entscheidende Be-deutung seines Wortes zum Ausdruck bringen1253

Auch andere Exegeten haben eingeraumlumt dass die neutestamentlichen Autoren bdquoJesus weder als die Inkarnation eines Geist(-wesens) betrachten noch als einen bereits vor seiner Existenz auf Erden existierenden Geistrdquo1254 Die Frage bleibt was haben sie [die Urchristen] dann gedacht Einfach nur dass dieser Jesus ein Mensch war der einzigartig von Gott beauftragt wurde Das ist in der Tat so erkennen wir die lautstarke Botschaft der Kirche am Pfingsttag bdquoJesus von Naza-reth war ein von Gott anerkannter Menschrdquo (Apg 222) Kaum zu glauben aber wahr ist dass die [angeblich] goumlttliche Inkarnation der kritischste Wandlungsprozess des gesamten trinitarischen Dogmas zwar von vielen Gelehrten anerkannt wird als bdquoein christologisches Denkenrdquo das aber nicht auf Jesus selbst zuruumlckgefuumlhrt werden kann Es kann auch nicht behauptet werden dass Jesus sich selbst fuumlr den inkarnierten Sohn Gottes hieltrdquo1255 Tatsaumlchlich haumltte der ganze Hintergrund des juumldischen Denkens und der Religionsgeschichte Jesus davon abgehalten so etwas zu verkuumlnden Da Jesus jedoch keine derartige Philosophie befuumlrwortete ist es ein Phaumlnomen dass so viele Christen spaumlterer Generationen motiviert wer-den konnten so dogmatisch an diesen Aspekt zu glauben Moumlglicherweise war es die Bedrohung durch das Anathema (den Kirchenbann) welche eine totale Un-terwerfung unter eine Doktrin erwirkte die der in den Evangelien uumlberlieferten Lehre Christi doch so voumlllig fremd ist

BedeutetbdquovonGottgesandtrdquowoumlrtlicheinePrauml-ExistenzJesus erklaumlrte von Gott bdquogesandtrdquo zu sein (Johannes 1244 173) und auch bdquoin die Welt gesandtrdquo (Johannes 317) Das landlaumlufige christliche Verstaumlndnis interpre-tiert diese Formulierung so dass Christus obwohl er schon immer und ewig Gott im Himmel war unlaumlngst als Mensch inkarniert wurde um die Erloumlsungsmission zu erfuumlllen Mit anderen Worten fuumlr den Trinitarier bedeutet die Redensart bdquovon Gott gesandtrdquo oder bdquoin die Welt gesandtrdquo dass Jesus aus einem anderen Reich physisch auf den Planeten Erde gereist sei1256 Christus ist jedoch nicht der einzige Mensch auf den im Neuen Testament diese Sendungs-Beschreibung angewendet

1253 Bultmann Rudolph Theology of the New Testament Vol 2 (Waco Baylor University Press 2007 [1951])

p 62 1254 Dunn Christology in the Making p 61 1255 Ebenso p 254 unsere Hinzufuumlgung 1256 Siehe Louis Rushmore ldquoCome Meet Jesus Christ as Pre-Incarnate Godrdquo Gospel Gazette Vol 8 No 6

2006 Web 23 September 2015 (Komm und begegne Jesus Christus bevor er der fleischgewordene Gott wurde)

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wird Johannes der Taumlufer liefert das Paradebeispiel bdquoEs kam ein von Gott gesandter Mann der hieszlig Johannesrdquo (Joh 16) Jesu Cousin wurde von Gott direkt fuumlr seinen Taufdienst beauftragt (Joh 133) Christus argumentiert sogar dass die Taufe des Johannes direkt bdquovom Himmelrdquo kam (Matt 2125) Sprachlich gesehen erlebten auch Mose (2 Mose 312) Jeremia (Jer 431) Paulus (2 Kor 217) und sogar der Engel Gabriel (Lukas 126) Gottes dynamische bdquoSendungrdquo ohne dass eine Inkar-nation vorangegangener Identitaumlten erforderlich gewesen waumlre Dennoch be-haupten die Dogmatiker dass der Mensch Jesus der bdquoin die Welt gesandtrdquo wurde eine solche vorgaumlngie Aktivitaumlt voraussetzte Wir finden Christus selbst der im Gebet zu Gott uumlber seine eigenen Juumlnger erklaumlrte dass bdquowie du mich in die Welt gesandt hast so habe ich sie in die Welt gesandtrdquo (Joh 1718) Das Wort bdquowierdquo sollte uns hier nicht entgehen so [aumlhnlich in gleicher Weise] wie Jesus gesandt wurde so wurden auch seine Juumlnger von ihm gesandt Dies geschieht durch Verordnung sicherlich nicht durch Inkarnation Die Redewendung bdquoin die Welt kommenrdquo scheint damals eine uumlberraschend aumlhnliche Bedeutung wie heute gehabt zu haben denn auch moderne Eltern sagen ihr Kind sei auf bdquodie Welt gekommenrdquo Den Juumlngern war klar dass bdquowir nichts in die Welt gebracht habenrdquo (1 Tim 67) Auch Jesus redete davon dass Muumltter bei der Geburt eines Kindes bdquoFreude erleben dass ein Mensch in die Welt geboren wurderdquo (Joh 1621) Dies laumlsst erkennen dass ein Groszligteil der biblischen Sprache nicht mehr metaphysische Konnotationen hatte als heute Wenn wir Jesus und seine Zeitgenossen wirklich verstehen wollen muumls-sen wir ihnen die Moumlglichkeit geben einfache Redewendungen zu gebrauchen

Da Jesus von Gott mit einer himmlischen Aufgabe betraut wurde (Apg 1731) koumlnnte man zu Recht Jesus auch bdquoden Menschen vom Himmelrdquo (1 Kor 1547) nen-nen und sogar bdquonicht von dieser Weltrdquo (Joh 1714) Da der Messias Gottes spaumlter seine eigenen Juumlnger ernannte koumlnnten auch sie auf diese Weise umschrieben werden Doch obwohl einige behaupten dass die Bezeichnung Christi bdquonicht von dieser Weltrdquo bedeute dass er tatsaumlchlich ein Wesen aus einem anderen Reich sei erklaumlrt Jesus lediglich bdquoIch habe ihnen dein Wort gegeben und die Welt hat sie gehasst weil sie nicht von der Welt sind wie ich nicht von der Welt binrdquo (Johannes 1714) Die Juumlnger wurden als bdquonicht von dieser Weltrdquo durch ihren himmlischen Herrn Jesus Christus gemacht dh sie hatten ihr Vertrauen in Gottes Wort und Glauben an die Frohe Botschaft Offensichtlich verlangen solche jenseitigen Beschreibungen die sowohl Christus auf sich als auch auf seine Nachfolger bezog keine buch-staumlbliche Prauml-Existenz und noch viel weniger eine Goumlttlichkeit In der Tat stellen wir fest dass wie Jesus bestaumltigte bdquovon Gottrdquo zu sein (Joh 842) der Apostel Jo-hannes in selbstbewusster Weise uumlber sich dasselbe sagt

Sie sind aus der Welt deswegen reden sie aus dem Geist der Welt und die Welt houmlrt sie Wir sind aus Gott wer Gott erkennt houmlrt uns (1 Johannes 45-6a)

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Damit kehren wir zu der von Jesus vorgebrachten Idee uumlber die Taufe des Johan-nes zuruumlck als er bestaumltigte dass bdquosie vom Himmel kamrdquo (Lukas 204) Dabei stellen wir fest dass innerhalb der juumldischen Weltanschauung Boten entweder als bdquovom Himmelrdquo oder bdquovon der Weltrdquo angesehen werden konnten In 1 Johannes 45-6 zeigt Johannes die Verwendung dieser metaphorischen Unterscheidung im Ge-gensatz zu Lehrern die entweder von Gott autorisiert oder nicht von Gott er-maumlchtigt dh unbefugt waren Jesus spiegelt diese Unterscheidung in Johannes 823 wider bdquoUnd er sagte zu ihnen (seinen Befragern im Tempel) Ihr seid von dem was unten ist ich bin von dem was oben ist ihr seid von dieser Welt ich bin nicht von dieser Weltrdquo Offensichtlich gab es bestimmte Personen die vom Himmel beauftragt waren sowie gewisse Leute die es nicht waren Es gab Dienste die mit irdischer Auto-ritaumlt betrieben wurden Sie standen den Diensten gegenuumlber die vom Himmel sanktioniert wurden bdquoUnd sie erstaunten sehr uumlber seine Lehre denn er lehrte sie wie einer der Vollmacht hat und nicht wie die Schriftgelehrtenrdquo (Markus 122) Sowohl Christus als auch seine Juumlnger waren in aumlhnlicher Weise von Gottes Recht auf Verkuumlndi-gung befaumlhigt Die Inspiration wurde als bdquojenseitigesrdquo Vorrecht anerkannt die-selbe himmlische Sprache wurde verwendet um nicht nur die Basis ihrer Macht sondern auch die daraus resultierende Glaubwuumlrdigkeit ihrer Person zu unter-mauern

Wenn man es Worten erlaubt ihre Bedeutung zu behalten muumlssen wir auch ar-gumentieren dass der Anspruch Christi von Gott gesandt zu sein bedeutet dass er nicht Gott ist sonst haumltte er sich selbst gesandt Indem Jesus sich selbst aber als Propheten bezeichnet (Lukas 424) erkennt er an dass er nicht in seinem ei-genen Namen handelt sondern im Namen eines anderen naumlmlich seines Gottes und Vaters Tatsaumlchlich lokalisiert er immer wieder die Urheberschaft seiner Tauml-tigkeit nicht in sich selbst sondern in einer anderen houmlheren Quelle Er bemuumlht sich auch wiederholt dies deutlich und klar zu machen bdquoDenn ich habe nicht aus mir selbst geredet sondern der Vater der mich gesandt hat er hat mir ein Gebot gegeben was ich sagen und was ich reden sollrdquo (Joh 1249) bdquoJesus sprach Meine Lehre ist nicht mein sondern dessen der mich gesandt hatrdquo (Joh 716) bdquoDie Worte die ich zu euch rede rede ich nicht von mir selbstrdquo (Joh 1410) bdquoich tue nichts von mir selbstrdquo (Joh 828) bdquoIch kann nichts von mir selbst tunrdquo (Joh 530) bdquoDer Sohn kann nichts von sich selbst tunrdquo (Joh 519) und so weiter in diesem Sinn Christus stellt sich dar als nicht gewillt und nicht befugt zu sein fuumlr jedes Vorhaben das seiner eigenen Willkuumlr oder seinen eige-nen Mitteln entstammt Das ist ein harter Einwand fuumlr einen dem man nachsagt bdquoganz Gottrdquo zu sein Der Einwand erscheint noch viel unertraumlglicher wenn man bedenkt dass Jesus immer wieder einen anderen Urheber auszligerhalb seiner selbst fuumlr seine Autoritaumlt und Mission praumlsentiert Wie Christus treu berichtet bdquoIch bin auch nicht von mir selbst gekommen sondern er [Gott der Vater] hat mich gesandtrdquo (Joh 842) Wir fragen uns uumlberhaupt wie Christus derselbe sein koumlnnte der ihn ge-

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sandt und bevollmaumlchtigt hat und wie er dann als dieser Gott seine eigene Macht-losigkeit und den inhaumlrenten Mangel an Autoritaumlt seinem Publikum gegenuumlber mit aller Ehrlichkeit weismachen will Haumltte Jesus wirklich beabsichtigt dass alle glauben er sei tatsaumlchlich Gott selbst wie haumltte er dann erwarten koumlnnen mit dieser Art von Instruktion und Predigt Erfolg zu haben Viel ansprechender ist die Schlussfolgerung dass Christus einfach meinte was er sagte Mit der Aussage bdquoGott hat mich gesandtrdquo wollte er nicht die Juden davon uumlberzeugen ein ewig exis-tierender Gott gewesen zu sein der auf wundersame Weise [aus der Ewigkeit] in ihre Gegenwart gekommen sei Er wollte schlicht und einfach beteuern ein goumltt-lich bevollmaumlchtigter Bote zu sein dessen Autoritaumlt vom angestammten Gott [der Juden] herruumlhrte

Wir muumlssen erkennen dass die weit verbreitete dogmatische Forderung nach universeller Akzeptanz der angeblichen Aussage Christi als klarer Anspruch auf persoumlnliche Praumlexistenz insbesondere auf Praumlexistenz als Gott selbst eine post-apostolische Entwicklung ist Wie es scheint haumltte Jesus selbst so einen Glauben von seinen ersten Nachfolgern nicht gefordert

Stattdessenhellip

sah sich Jesus selbst als Sprecher Gottes und als Botschafter der goumlttlichen Weisheit wie in Markus 937 und Lukas 731-35 erklaumlrt wird Auch wenn Jesus gelegentlich von sich selbst als bdquodem Sohn (Gottes)rdquo oder dem bdquogeliebten Sohn Gottesrdquo (Matthaumlus 1127 Markus 1332) sprach obwohl gerade dieser Punkt umstritten ist haumltte es aus dieser Feststellung [Kategorie] selbst keinen Anspruch auf Praumlexistenz gegeben Goumlttliche und intime Sohnschaft war be-reits einem messianischen Koumlnig und der gerechten Person in Is-rael zugeschrieben worden (Psalm 27 Jesaja 421 Weisheit 216-18) Jesus sprach von sich selbst als bdquodem Menschensohnrdquo Auch wenn er auf Daniel 713 anspielte kann dies nicht als Bestaumltigung einer Praumlexistenz verstanden werden Das Buch Daniel wurde of-fensichtlich verfasst als die Passage von Daniel 713 noch nicht als Rede von einem goumlttlichen Individuum ausgelegt wurde1257

Jesus foumlrderte zusammen mit den ersten Christen bereitwillig die geistliche Inspi-ration des Messias durch Gott blieb aber weit hinter einer physischen Inkarnation zuruumlck Dass Jesus in gewisser Weise auch die repraumlsentative Manifestation der Weisheit Gottes des Wortes Gottes oder der goumlttlichen Vernunft war wurde

1257 James Dunn Christ and the Spirit Collected Essays of James DG Dunn Vol 1 (Grand Rapids

Eerdmans 1998) p 37

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auch in der bdquonachoumlsterlichenrdquo Gemeinschaft gefeiert (Joh 11-14) Aber die spauml-tere christologische Verwandlung Jesu Christi vom Houmlhepunkt des verkoumlrperten Wortes Gottes und der Weisheit Gottes in eine zweite Goumlttliche Person einer Dreiheit geschah sicherlich nicht innerhalb der Apostolischen Kirche ebenso-wenig wie die Transformation dieser zweiten Person in einen Menschen Wie Dunn abschlieszligend feststellt gibt es trotz der Meinung spaumlterer Epochen kein wirkliches Gewicht hinter der Behauptung dass Jesus selbst an das bdquochristlicherdquo Dogma der Inkarnation geglaubte und es offen gelehrt haumltte

In den fruumlheren Schichten der Tradition Jesu gibt es substantielle Beweise dafuumlr dass Jesus den Anspruch erhoben hat mit goumlttlicher Inspiration und mit der Autoritaumlt [Gottes] zu sprechen gewisser-maszligen als der Vertreter Gottes Aber es gibt nichts um daraus die These abzuleiten und zu unterstuumltzen dass Jesus sich in gewissem Sinne als Gott als Inkarnation der Gottheit sah Es ist daher un-wahrscheinlich dass die Idee der Inkarnation Teil des fruumlhesten christlichen Glaubens war1258

VorAbrahamBei einem Streitgespraumlch mit seinen Gegnern ging es um die Vorrangstellung und die heilbringende Wirksamkeit der Blutsverwandtschaft der Juden mit Abraham Christus sagte zu ihnen bdquoWahrlich wahrlich ich sage euch Ehe Abraham war bin ichrdquo (Joh 858) Trinitarier erklaumlren oft dass die Existenz Christi bdquovorrdquo Abraham hier beweise dass er der Geburt Abrahams buchstaumlblich und bewusst um Milliarden von Jahren vorausgegangen sei und dass er der Schoumlpfer Abrahams war Doch der dogmatische Ruf nach einer Darstellung der woumlrtlichen Prauml-Existenz sollte auch hier im Lichte unserer Untersuchung widerlegt werden Woumlrtlich wird hier von Christus gesagt vor Abraham bdquogewesen zu seinrdquo doch die Frage ist offen in wel-chem Sinne [war er praumlsent] War er koumlrperlich da als eine wirkliche bewusste Person Oder war er im Geiste Gottes da in seinem Plan zur Erloumlsung der Menschheit quasi sbquoangedachtsbquo

Im Zusammenhang mit Johannes 8 deuten die Beweise auf eine Bestaumltigung der Vorrangstellung vor Abraham im grandiosen Schema der Geschichte Gottes hin nicht auf eine originale gefuumlhlte Realitaumlt Zwei Verse zuvor sagt Jesus bdquoAbraham euer Vater jubelte dass er meinen Tag sehen sollte und er sah ihn und freute sichrdquo (Joh 856 ) Diese Aussage Christi wurde dann von seinen Feinden dahingehend ver-standen dass Jesus waumlhnte persoumlnlich aumllter als Abraham zu sein bdquoDu bist noch nicht fuumlnfzig Jahre alt und hast Abraham gesehenrdquo (Joh 857) Auch heute noch wird

1258 Dunn Christ and the Spirit Vol 1 p 38 40 (Christus und der Geist)

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diese Aussage missverstaumlnden ein weiteres Beispiel fuumlr das bei Johannes verbrei-tete bdquoMissverstaumlndnis-Motivrdquo Jesus sagte nicht dass er selbst Abraham gesehen habe sondern dass Abraham bdquoseinen Tagrdquo gesehen habe Was war dieser bdquoTag Christirdquo von dem Abraham Zeuge war War Jesus buchstaumlblich lebendig vor dem gemeinsamen Ahnherrn des Judenvolkes

Das Neue Testament sagt uns dass Abraham die gute Botschaft zum Voraus verkuumln-digtrdquo wurde (Galater 38) und durch den Glauben wartete Abraham (Hebraumler 1110) auf den Tag [bdquoer schaute in die Zukunftrdquo] Er erwartete sehnlichst den Messias der die Verheiszligungen Gottes erfuumlllen wird indem er das Koumlnigreich Gottes aufbaut (Roumlmer 413) Dadurch wird klar dass der Kontext in Johannes 8 Gottes Plan in Bezug auf das Evangelium [die Frohe Botschaft] ist und in diesem Sinne ist Christus [der Messias] sicherlich [statusmaumlszligig] an erster Stelle [vor Ab-raham]

Es ist vernuumlnftig zu folgern dass die Existenz Christi [des Messias] welche Ab-raham chronologisch voranging hier Gottes Plan entsprach schlieszliglich wurde Abraham bdquozum Vater vieler Nationen gesetztrdquo waumlhrend er und Sarah noch unfrucht-bar waren (Roumlmer 417) Ebenso wurde Koumlnig Kyros sogar von Gott angespro-chen waumlhrend er erst in Gottes noch unerfuumlllter Absicht existierte (Jesaja 451-13) und Koumlnig David und der Prophet Jesaja sprachen von Christus als ob sie persoumlnlich seinen zukuumlnftigen Leidensweg gesehen hatten Uumlberdies stellten die eigenen Juumlnger Jesu die in den Prophezeiungen des Alten Testaments versiert waren den Messias kontinuierlich als vor der Gruumlndung der Welt vorhergesagt und vorherbestimmt [prophezeit] dar (1 Petrus 117-21) Sie sprachen sogar von sich selbst dass jeder von ihnen durch das Opfer Christi Gnade empfangen hat bevor die Welt begann (2 Tim 19) Es ist daher nicht unangemessen zu behaup-ten dass in Johannes 8 die Existenz des Messias vor Abraham in den zukuumlnftigen Absichten Gottes lag Viele Kommentatoren sowohl trinitarische als auch an-dere und aus allen Epochen der Religionswissenschaft sind zu diesem Schluss gelangt Selbst der beruumlhmte trinitarische Theologe Hugo Grotius betrachtete die Passage auf diese Weise und erklaumlrte dass die Sprache Christi einfach bdquodass sbquoJe-sus vor Abrahamrsquo im goumlttlichen Dekret warrdquo bedeutet1259 Ein Gelehrter fasst die Interpretation von Grotius zusammen

Es harmoniert mit dem Vorangegangenen Abraham freute sich oder wollte meinen Tag sehen und er sah ihn voraus und er war froh Denn bevor Abraham war bin ich - ich war - im goumlttlichen Sinn es war so bestimmt dass der Messias kommen wird Es war

1259 Samuel Bache Charles Clarke Examination of Objections Made to Unitarianism by the Rev JC

Miller (London Whitfield Strand 1854) p 29

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vor Abrahams Zeit in Gottes Plan oder zu seinem Zweck den Messias in die Welt einzufuumlhren1260

Der groszlige Reformator und trinitarische Theodore Beza folgte ebenfalls dieser Interpretation und sagte bdquoIch glaube nicht dass Christus hier von sich selbst als Gott spricht wie er von Abraham mit dem sbquoAuge des Glaubensrsquo gesehen wurde sonst haumltte er nicht vom Zweck [Gottes] gesprochenrdquo1261

Tatsaumlchlich finden wir im Kontext dass Jesus die gegen ihn eingestellten Juden angewiesen hatte auf seine Heilslehre zu achten darauf antworteten sie dass sie aufgrund ihrer angestammten Beziehungen zu Abraham keine Hilfe von ihm brauchten (Joh 831-40) Jesus antwortete also auf ihren Streitpunkt mit einem Vorranganspruch in Gottes Heilsplan fuumlr die Nation sogar vor ihrem Vater Ab-raham Die Absicht Christi ist hier seine Prioritaumlt als lang ersehnter Messias Aus-loumlser fuumlr Gottes Heilswerk absolut zu betonen

Als er sagte dass Abraham sich sogar auf ihn freute fuumlgte Jesus etwas raumltselhaft hinzu bdquoBevor Abraham war bin ichrdquo (Vers 58) Die Trinitarier waren uumlberzeugt dass ihn die Juden fuumlr diese Bemerkungen sofort zu steinigen versuchten Der Grund Christus behauptete nicht nur buchstaumlblich ihrem Urahnen vorausgegan-gen sondern Gott selbst zu sein Die Trinitarier hofften dies zu beweisen indem sie sich auf die mangelnde sichtbare Ablehnung ihres Verstaumlndnisses durch Chris-tus beriefen bdquoSie nahmen Steine auf um ihn zu steinigenrdquo sagen Trinitarier bdquound Jesus hat ihren Eindruck nicht einen Moment lang korrigiertrdquo1262 Im Wesentli-chen weil Jesus sie nicht gleich korrigierte wird angenommen dass er ihre An-sicht billigte Das Argument geht also zunaumlchst einmal davon aus dass sie ihn steinigen wollten weil er behauptete Gott zu sein Warum haumltten sie ihn nicht steinigen koumlnnen als er behauptete der Messias zu sein hatten sie doch ein be-stimmtes Gesetz unter ihnen das den Tod auch fuumlr einen solchen Anspruch vor-schrieb (Joh 197 Matt 2663) Haumltte er sie nicht auch so schon wuumltend machen koumlnnen indem er eine Vorrangstellung vor ihrem grossen Vorfahren [Abraham] beanspruchte Oder weil er behauptete dass sie sich fuumlr die Suumlndenvergebung an ihn wenden koumlnnen Erstens ist es in keiner Weise eindeutig dass sie ihn angeb-lich wegen des Anspruchs auf Goumlttlichkeit hinrichten wollten Zweitens abgese-hen davon dass es sich um ein bdquoArgument des Schweigensrdquo handelt vernachlaumls-sigt dieses Denken auch die Tatsache dass Jesus sein Publikum insbesondere seine antagonistischsten Kritiker immer wieder in ihrem Unwissen und Unver-staumlndnis straucheln laumlsst Zum Beispiel als Jesus sagte dass die Juden bdquosein Fleisch

1260 Joseph Barker Authentic Report of the Public Discussion Between Joseph Barker and William Cooke

(London J Barker 1845) p 443 1261 Bache Clarke p 29 1262 J C Miller (Trinitarian) zitiert in Bache Clarke p 29

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essen und sein Blut trinkenrdquo muumlssen reagierten seine Zuhoumlrer nicht nur verwirrt sondern empoumlrt

Die Juden stritten nun untereinander und sagten bdquoWie kann dieser uns sein Fleisch zu essen gebenrdquo Da sprach Jesus zu ihnen bdquoWahrlich wahr-lich ich sage euch Wenn ihr nicht das Fleisch des Sohnes des Menschen esst und sein Blut trinkt so habt ihr kein Leben in euch selbst denn mein Fleisch ist wahre Speise und mein Blut ist wahrer Trank rdquo Viele nun von seinen Juumlngern die es gehoumlrt hatten sprachen bdquoDiese Rede ist hart Wer kann sie houmlren Da aber Jesus bei sich selbst wusste dass seine Juumlnger hieruumlber murrten sprach er zu ihnen Aumlrgert euch diesrdquo (Johannes 651ff)

Die Juden nahmen ihn woumlrtlich und wurden deswegen nicht korrigiert Sogar seine eigenen Juumlnger konnten sich uumlber seine Reden nur wundern Das Motiv des staumlndigen Missverstaumlndnisses durch die Zuhoumlrer Christi waumlhrend des gesamten Johannes-Evangeliums und seine haumlufige Weigerung diesem Missverstaumlndnis di-rekt und sofort entgegenzuwirken muss hier beruumlcksichtigt werden Ein fertiges Bekenntnis Jesu uumlber seine angebliche Goumlttlichkeit waumlre weder von gewichtiger Bedeutung noch echt Diesbezuumlglich blieben die Lippen Jesu verschlossenen Aber ein weiterer Teil dieser Episode uumlber die Johannes berichtet faumlllt ins Ge-wicht und muss nun analysiert werden

DiebdquoIchbinrdquo-AussagenDas Argument fuumlr die woumlrtliche Prauml-Existenz Jesu bdquovor Abrahamrdquo in Joh 8 wird gemeinhin durch die Verwendung des Satzes bdquoIch binrdquo (griechisch ego eimi) durch Christus verstaumlrkt von dem die Trinitarier behaupten dass der bdquogoumlttliche Namerdquo des Gottes von Israel in 2 Mose 314 bdquoIch binrdquo lautet Die meisten Uumlbersetzungen geben diese Aussage auf diese Weise wieder bdquoGott sagte zu Mose Ich bin der ich bin Das sollst du den Israeliten sagen sbquoIch binrsquo hat mich zu euch gesandtrdquo (ELB) Auf den ersten Blick erscheint die Verbindung zwischen den beiden Texten plausibel aber wir werden in Kuumlrze sowohl die Unzulaumlnglichkeit als auch die tendenzioumlse Ver-wendung dieses Arguments beleuchten

Bei genauerer Betrachtung stellt der Gebrauch von bdquoIch binrdquo (ego eimi) durch Christus keinen kuumlhnen und schockierenden Anspruch dar der Gott Israels zu sein Die bdquoIch binrdquo-Aussagen Jesu in ihrem Kontext deuten lediglich darauf hin dass Jesus als Messias in Frage kommt Dieser griechische Ausdruck bdquoego eimirdquo ist in Wirklichkeit nur die uumlbliche Art und Weise wie sich viele Menschen im ge-samten Neuen Testament als Gespraumlchspartner identifizieren Jesu Gebrauch von bdquoIch binrdquo bezieht sich nicht unbedingt auf den goumlttlichen Namen Gottes Tatsaumlchlich ist die traditionelle Uumlbersetzung des Hebraumlischen in 2 Mose 314 als

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bdquoIch bin der ich binrdquo nicht die beste Uumlbersetzung Hebraumlisch bedeutet diese For-mulierung woumlrtlich bdquowerdenrdquo oder bdquoseinrdquo und wuumlrde besser wiedergegeben mit bdquoIch werde sein was (oder der) ich sein werderdquo1263 Daher entspricht der genaue [hebraumlische] Wortlaut nicht der bdquoIch binrdquo-Aussage Christi im Johannesevange-lium [die auf Griechisch aufgezeichnet ist] Sogar der trinitarische Gelehrte und entschiedene Gegner des Unitarismus Dr John Pye Smith schreibt

Einige vermuten dass unser Herr mit dem Ausdruck bdquoIch binrdquo eine Anspielung auf die goumlttliche Bezeichnung [auf dem Sinai] beabsich-tigte die Mose verkuumlndete bdquoIch bin das was ich binrdquo Aber es ist zu beachten dass die [hebraumlischen] Worte dieser Passage in der Zu-kunftsform sind bdquoIch werde das sein was ich sein werderdquo 2 Mose 314 und houmlchstwahrscheinlich war sie nicht als Name gedacht sondern als Erklaumlrung fuumlr die sichere Erfuumlllung aller Verheiszligungen Gottes insbesondere jener die sich auf die BefreiungErloumlsung der Israeliten bezogen Es gibt also keinen ausreichenden Grund um die Idee einer Anspielung [auf die Goumlttlichkeit] aufrechtzuerhal-ten1264

Dennoch behaupten moderne Trinitarier oft dass diejenigen in der Zuhoumlrer-schaft Christi einfach wussten dass die Verwendung der Worte bdquoego eimirdquo auf 2 Mose 314 zuruumlckgeht und somit offen einen Anspruch Jesu darstellt der Gott des Exodus zu sein Aber wenn dieser Topos zutraumlfe dann ergaumlbe sich im Neuen Testament ein ernsthaftes theologisches Problem da mehrere andere Persoumlnlich-keiten die gleiche Phrase verwenden um sich selbst zu beschreiben

- Judas Ischariot bdquoego eimirdquo ἐγώ εἰμι (Matthaumlus 2625)

- Der Blinde bdquoego eimirdquo ἐγώ εἰμι (Johannes 99)

- Paulus von Tarsus bdquoego eimirdquo ἐγώ εἰμι (1 Timotheus 115)

- Johannes der Taumlufer bdquoego eimirdquo ἐγώ εἰμι (Johannes 127)

Obwohl diese Bibelzitate mit der Aussage Christi buchstaumlblich identisch sind ar-gumentiert niemand dass diese Maumlnner die Stelle aus 2 Mose 314 zitiert ge-schweige denn behauptet haumltten Gott zu sein Die Wahrheit ist dass ego eimi keine Art bdquogoumlttlicher Namerdquo ist es ist einfach das Griechische fuumlr bdquoIch bin errdquo oder

1263 Auf Hebraumlisch steht bdquoehyeh asher ehyehrdquo Diese Phrase bezieht sich auf den hebraumlischen Namen

Gottes JHWH der sich aus dem Verb HAYAH ableitet um zu sein Waumlhrend die traditionelle Wiedergabe oft bevorzugt wird liefern viele moderne englischsprachige Ausgaben wie die ESV und AMP die richtige Uumlbersetzung bdquo Ich werde sein was ich sein werderdquo in ihrer Fuszlignote zu 2 Mose 314

1264 John Pye Smith Scripture Testimony to the Messiah Vol II (Edinburgh London Hamilton amp Co Jackson amp Walford 1759) p 161 (Zeugnisse der Schrift uumlber den Messias)

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bdquoIch bin der Menschrdquo oder bdquoIch bin derjenige uumlber den du sprichstder Betref-fenderdquo Tatsaumlchlich ist in der in Johannes 858 gefundenen Struktur das griechi-sche Pronomen bdquoautosrdquo (er) obwohl nicht angegeben so doch impliziert Zum Beispiel suchten die Menschen in Johannes 99 nach dem Blinden den Jesus ge-heilt hatte und als sie ihn fanden sagten einige bdquoDas ist er andere sagten er ist ihm aumlhnlich aber er sagte Ich bin esrdquo (ELB) oder bdquoich bin es erklaumlrte der Mann selbstrdquo (NGUuml) Weder die Worte bdquoeresrdquo noch bdquoder Mannrdquo sind im Text enthal-ten aber die Uumlbersetzer haben verstanden was durch die Verwendung des einfa-chen Satzes bdquoego eimirdquo (ich bin) impliziert ist Trinitarische Uumlbersetzer sind diesem Vorbild sogar mit anderen Ausspruumlchen Jesu gefolgt wie in Johannes 824 bdquoGlaubt an mich als den der ich bin wenn nicht werdet ihr in euren Suumlnden sterbenrdquo (NGUuml) und bdquoWenn ihr nicht glaubt dass ich wirklich bin der ich bin gibt es keine Rettung fuumlr euchrdquo (HFA) Aber wenn die gleiche Sprache in Johannes 858 erscheint wechselt ihre Uumlbersetzungspraxis zu bdquoIch binrdquo und bdquoIch bin esrdquo Das normalerweise einge-fuumlgte Pronomen bdquoerrdquo wird fallen gelassen offensichtlich in der Hoffnung eine Verbindung mit der unzulaumlnglichen traditionellen Uumlbersetzung von 2 Mose 314 herzustellen

Johannes zeigte schon fruumlh in seinem Evangelium was es bedeutet wenn Jesus bdquoego eimirdquo benutzt In Johannes 425 sagt die Samariterin zu Jesus bdquo Ich weiszlig dass der Messias kommt den man Christus nennt wenn der kommt wird er uns uumlber alles Aus-kunft gebenrdquo Jesus antwortet ihr bdquoIch der zu dir spricht bin eresrdquo Die Antwort Jesu die hier in griechischer Sprache aufgezeichnet ist lautet bdquoego eimirdquo - und be-deutet bdquoIch bin der Messias von demmit dem du sprichstrdquo Dieses erste Auftreten der Phrase hilft uns zu verstehen was damit in den folgenden Abschnitten gemeint ist Wir muumlssen bedenken dass die Identifikation Jesu als Messias der erklaumlrte Zweck von Johannes beim Schreiben seines Evangeliums ist (Joh 2031) keines-falls die Darstellung als der alleinige Gott

Wenn im Uumlbrigen behauptet wird dass der Gebrauch von bdquoego eimirdquo durch Chris-tus wirklich bdquoIch bin der allmaumlchtige Gottrdquo bedeute droht der ganzen Text in eine seltsame Verwirrung zu stuumlrzen die ans Absurde grenzt bdquoDa fuhr nun Jesus fort Wenn ihr den Menschensohn erhoumlht haben werdet dann werdet ihr erkennen dass ich es bin und dass ich nichts von mir selbst aus tue sondern so rede wie der Vater mich gelehrt hatrdquo (Joh 828) Ein Bibelwissenschaftler schreibt bdquoEs ist unertraumlglich dass Jesus sbquoWorte in den Mund gelegt werden wonach er gesagt haben soll sbquoIch bin Gott der Houmlchste Gott des Alten Testaments und als Gott tue ich was mir gesagt wirdrsquo rdquo1265

Uumlberdies haumltte Christus wirklich 2 Mose 314 zitieren wollen wuumlrde er wahr-scheinlich gesagt haben Denn bdquoego eimi ho onrdquo ist die griechische Wiedergabe

1265 C K Barrett Essays on John (Philadelphia Westminster 1982) p 9 cf p 32 (Aufsaumltze uumlber Johannes)

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dieses Verses wie die Septuaginta (LXX) beweist das griechische Alte Testament das zu Christi Zeiten verfuumlgbar war aus dem er wiederholt zitierte1266 Die Septu-aginta gibt den Satz wieder bdquoἐγώ εἰμι ὁ ὤνrdquo (ego eimi ho on) was bedeutet bdquoIch bin der Selbstexistierenderdquo oder bdquoIch bin Er Der Istrdquo oder bdquoIch bin Das Eine Wesenrdquo1267 In der Septuaginta liest sich der Satz wie folgt (unsere Uumlbersetzung auf Deutsch)

Und Gott sprach zu Mose Ich bin derjenige der [ἐγώ εἰμι ὁ ὤν] ist Und er sprach So wirst du zu den Soumlhnen Israels sagen Derjenige der ist [ὁ ὤν] hat mich zu dir geschickt (Exodus 314 LXX)

Hier nennt sich Gott eindeutig nicht bdquoIch binrdquo sondern bdquodas existierende We-senrdquo Auch Brentons Septuaginta-Uumlbersetzung auf Englisch ist in dieser Hinsicht hilfreich

Und Gott sprach zu Mose bdquoIch bin der DER DA IST [ho ōn] und er sprach So sollst du zu den Kindern Israel sagen Er DER DA IST [ho ōn] hat mich zu dir geschicktrdquo (2 Mose 324 LXX Brenton uUuml)

Zu beachten ist was Brenton in Groszligbuchstaben geschrieben hat Was als Gottes bdquoNamerdquo bezeichnet werden koumlnnte ist das bdquoho ōnrdquo-Segment da das bdquoego eimirdquo der praumldiktive Identifikator ist Von einem Mann namens Thomas (als Beispiel) wird erwartet dass er bdquoego eimi Thomasrdquo sagt und niemand wuumlrde denken dass bdquoego eimirdquo sich auf irgendeinen anderen Name bezieht

- Daruumlber hinaus finden wir in den Werken anderer griechischspra-chiger Juden die um die Zeit Jesu herum lebten die gleiche Form wenn sie 2 Mose 314 zitieren sie zeigen offensichtlich ein Ver-staumlndnis dafuumlr dass Gottes Name oder Titel nicht der Teil von bdquoego eimirdquo ist sondern von bdquoho onrdquo Man beachte wie der Jude Philon (gest 50 n Chr) in seinem Werk bdquoUumlber das Leben Mosisrdquo den bdquoTitelrdquo gibt und sogar Gott durch verschiedene Variationen (u Uuml) von bdquoho onrdquo benennt

- ho Ōn bdquoEr der istrdquo (Philo Uumlber das Leben Mosis I 75)

- to Ōn bdquodas Wesen das istrdquo (Philo Uumlber das Leben Mosis II 67)

- tou Ontos bdquovon Ihm der istrdquo (Uumlber das Leben Mosis II 99)

1266 Es besteht kein Zweifel dass die Septuaginta (LXX) die Bibel der Zeit Jesu war Die protestantischen

Wissenschaftler Archer und Chirichigno listen 340 Stellen auf an denen das Neue Testament die Sep-tuaginta zitiert im Gegensatz zu nur 33 Zitaten aus hebraumlischen Texten (G Archer G C Chirichigno Old Testament Quotations in the New Testament A Complete Survey (Chicago Moody Press 1983) pp 25-32)

1267 L Perkins A New English Translation of the Septuagint Electronic Edition online verfuumlgbar httpccatsasupennedunetsedition Griechisch ho on wurde auch schon als bdquodas Wesenrdquo uumlber-setzt Septuaginta Version des AT mit einer Englisch-Uumlbersetzung (London Samuel Bagster and Sons 1879) p 73ff

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- tou Ontos bdquovon Selbst-Existierendenrdquo (Uumlber das Leben Mosis II 132)

- to Ōn bdquoder Selbst-Existierenderdquo (Uumlber das Leben Mosis II 161)

Der bekannte F F Bruce schreibt Waumlre in der vorliegenden Passage (Joh 858) ein direkter Bezug auf 2 Mose 314 beabsichtigt gewesen haumltte man eher ho on als ego eimi erwartetrdquo1268 Es ist falsch auf einer Interpretation des bdquoego eimirdquo als Zitat aus 2 Mose 314 oder als offenen Anspruch auf Goumlttlichkeit zu bestehen Sollte Jesus versucht haben sich selbst als den Gott des Exodus zu bezeichnen dann haumltte er einfach sagen koumlnnen bdquoIch bin GOTTrdquo Weit davon entfernt an-statt sich als bdquoselbstexistierendrdquo zu bezeichnen begnuumlgte sich Jesus damit sich persoumlnlich als einen Menschen darzustellen dessen Existenz vollstaumlndig auf einer anderen Quelle beruht bdquoIch lebe um des Vaters willenrdquo (Joh 657) Letztendlich of-fenbart der weitreichende Streit um das bdquoego eimirdquo den sehnlichen Wunsch den Jesus zu finden der im Neuen Testament woumlrtliche Prauml-Existenz und Goumlttlich-keit beansprucht Dieses Dogma wird so sehr angestrebt dass Apologeten die Worte Christi kaum begreifen und dann aber [was da steht] radikal missbrauchen Die einfache Botschaft des Neuen Testaments dass Jesus der Messias ist der Sohn Gottes Diese Botschaft wird durch diese volkstuumlmliche aber theologisch houmlchst problematische Interpretation grundlegend beeintraumlchtigt

Zusammenfassend sollten wir auf eine vernuumlnftigere Analyse von James Dunn zuruumlckgreifen der zugibt keine biblischen Beweise fuumlr die Behauptung zu entde-cken dass entweder Christus oder seine Apostel die Lehren der Prauml-Existenz oder der Inkarnation Jesu gefoumlrdert haben

Es gibt keinen Gedanken in irgendeinem der Abschnitte die wir studiert haben uumlber Jesus der vor seiner Geburt existierte ob als En-gel oder Erzengel als ein Geist(-wesen) oder als Geist Es gibt kei-nerlei Gedanken an Jesus auf Erden als die Inkarnation eines Engels oder Erzengels eines Geistes oder des Geistes1269

Hier muumlssen wir noch einmal betonen dass alle Juden von der Antike bis heute auf das Kommen eines gesalbten Menschen gewartet haben nicht eines Engels geschweige denn Gottes verkoumlrpert in menschlicher Gestalt Die Urspruumlnge des Messias als Mann aus Israel wurden eindeutig prophezeit bdquoEinen Propheten wie mich wird dir der HERR dein Gott aus deiner Mitte aus deinen Bruumldern erstehen lassen Auf ihn sollt ihr houmlrenrdquo (5 Mose 1815) Es gibt nirgendwo im Neuen Testament den ausdruumlcklichen und umfassenden Beweis der erforderlich waumlre um dieses leben-

1268 F F Bruce The Gospel of John (Grand Rapids Eerdmans 1983) p 193 1269 Dunn Christology in the Making p 159 (die Entwicklung der Christologie)

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dige Bild aus dem juumldischen Geist zu entfernen Wir werden Dunn daher erlau-ben dieses Kapitel mit einer bewegenden und schluumlssigen Beobachtung in dieser Richtung zu beenden

In den fruumlhen Phasen dieser Entwicklung [der Zeit der ersten Schriften des Neuen Testaments] waumlre es unrichtig zu sagen dass Christus als ein bereits existierendes inkarniertes Wesen verstanden wurde oder dass Christus angesehen wurde als anwesend bei und aktiv beteiligt an der Schoumlpfung Es gibt keinen Hinweis darauf dass Jesus von sich selbst dachte oder sprach dass er vor seiner Ge-burt oder vor seinem Auftreten auf Erden bei Gott bereits existiert haumltte1270

1270 Ebenso S 211 254 unsere Hinzufuumlgung

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DerSohnGottes

bdquoIch sagte sbquoIch bin Gottes Sohnrsquo rdquo mdash Jesus (Johannes 1036)

bdquoDenn er sagte sbquoIch bin der Sohn Gottesrsquo rdquo

mdash die Juden (Matthaumlus 2743)

THANASIUS UND SEINE PARTEI setzten waumlhrend den nicaumlnischen Querelen mit viel Aufwand die Schriftstelle in Johannes 1030 ein um ihr homoousianisches Dogma zu beweisen Dieser Vers beschreibt eine Aus-

einandersetzung zwischen Jesus und den Juden anlaumlsslich welcher Jesus sagte bdquoIch und der Vater sind einsrdquo Dieser Text wird auch heute noch oft von Christen zitiert die zeigen wollen dass Jesus eine und dieselbe Essenz oder die gleiche Substanz mit dem Vater teilt Allerdings wird diese exegetische Bedeutung hier nicht ge-fordert und die Behauptung erweist sich zudem im Lichte von Christi Unterord-nung und Unterwerfung unter Gott als immer problematischer

Wie wir bereits gesehen haben geben einige moderne trinitarische Kommenta-toren trotz der langandauernden Verwendung von Johannes 1030 in den Dis-kussionen um die Dreifaltigkeit zu dass diese Passage einfach eine Einigkeit der Zielsetzung zwischen Jesus und dem Vater widerspiegelt Es geht nicht um das Wesen die Substanz oder das Sein

A

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Somit steht diese Interpretation im Einklang mit der konsequenten Demonstra-tion des Evangeliums der EinheitEinigkeit von Willen und Funktion des Sohnes mit dem Vater1271 Kommentatoren erinnern uns daran dass

eine Einheit der Gemeinschaft des Willens und der Absicht zwi-schen dem Vater und dem Sohn ein haumlufiges Thema im Vierten Evangelium ist (vgl Joh 518-19 14923 und 171122) Es kommt hier treffend und kraftvoll zum Ausdruck aber die Worte so zu druumlcken und zu zwingen dass sie auf die Identitaumlt von bdquoousiardquo oder bdquoEssenzrdquo hinweisen bedeutet Gedanken einzubringen die den Theologen des ersten Jahrhunderts nicht gegenwaumlrtig waren1272

Waumlhrend die esoterische Anwendung der patristischen Kommentatoren in der volkstuumlmlichen Apologetik bei vielen auch heute noch sehr beliebt ist darf die Sehnsucht nach dem Obskuren [dem Mystischen] die Absichten Christi nicht be-eintraumlchtigen In den Versen 26-30 sehen wir dass Jesus seine Juumlnger mit Schafen verglich die Gott unter seine Aufsicht gestellt hatte bdquoNiemand wird sie aus meiner Hand reiszligen Mein Vater der sie mir gegeben hat ist groumlszliger als alle und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters reissen Ich und der Vater sind einsrdquo Sowohl Christus als auch sein Vater werden hier gezeigt dass sie fuumlr den Schutz der Schafe verant-wortlich sind sie sind in diesem gemeinsamen Ziel vollkommen einig1273

An anderer Stelle beschreibt Jesus mit derselben Wortwahl die Beziehung der Kirche zu sich selbst und zu Gott und betet dass bdquo sie alle eins seien gleichwie du Vater in mir und ich in dir auf dass auch sie in uns eins seien damit die Welt glaube dass du mich gesandt hastrdquo (Joh 1721) Christus bittet auch seine Juumlnger bdquoeins zu sein wie wir eins sindrdquo (Vers 22) und daruumlber hinaus dass sie auch bdquoeins seienrdquo mit Jesus und seinem Vater (Vers 23) Das erklaumlrte gemeinsame Ziel ist natuumlrlich die Verbrei-tung der Botschaft der Kirche oder bdquodamit die Welt glaubt dass du mich gesandt hastrdquo (Vers 21) Die gleiche Bildsprache wird auch von Paulus verwendet um die Be-ziehung zwischen ihm als Gruumlnder einer bestimmten Gemeinde und Apollos als Pfleger dieser Gemeinde zu beschreiben bdquoDer aber welcher pflanzt und der welcher begieszligt sind einsrdquo (1 Korinther 38) Es gibt also keinen Hinweis darauf dass die-selbe Wortwahl in Johannes 1030 eine Einheit von Substanz oder Sein impliziert

1271 R V G Tasker Tyndale NT Commentaries John (Grand Rapids Eerdmans 1975) p 136 J N

Sanders B A Mastin The Gospel According to John (London Randomhouse Publishers 1968) p 258 J H Bernard A Critical and Exegetical Commentary on the Gospel According to St John (Edin-burgh T amp T Clark 1928) pp 365-366 Karl Josef Kuschel Born Before All Time p 170

1272 Bernard pp 365-366 1273 Sogar der Reformator Jean Calvin erkannte dass bdquodie sbquoAumlltestenrsquo [Johannes 1030] falsch angewendet

haben um zu beweisen dass Christus von der gleichen Essenz wie der Vater ist Denn Christus diskutiert nicht uumlber die Einheit der Substanz sondern uumlber die Uumlbereinstimmung die er mit dem Vater hatrdquo (Jean Calvin Commentary on John John 1030) (Kommentar zu Johannes 1030)

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Diese Implikation waumlre eine durch und durch griechisch-metaphysische Vorstel-lung und weit weg vom Denken Jesu sowie von seiner juumldischen Zuhoumlrerschaft sowie von seinen unmittelbaren juumldischen Geschichtsschreibern [den Aposteln]

Experten unterschiedlicher Herkunft und aus anderen Epochen sind sich in die-sem Punkt einig auch wenn es in vergangenen oder modernen Zeiten viel Wirbel um das Thema gegeben haben mag Die Worte mit denen Christus seine [innige] Beziehung zum Vater beschreibt sind im christologischen Sinne leicht verstaumlnd-lich

Mit bdquoeinsrdquo wird das neutrale griechische bdquohenrdquo uumlbersetzt Dieser Vers wurde im Arianischen Streit von den Orthodoxen zur Unter-stuumltzung ihrer Lehre dass Christus mit dem Vater eine Substanz habe des Oumlfteren zitiert Der Ausdruck scheint jedoch auf die Hauptsache hinzudeuten dass der Vater und der Sohn im Willen und im Zweck vereint sind Jesus betet in Johannes 1711 dass seine Juumlnger alle eins seien (hen) dh ein einheitliches Ziel vor Au-gen haben wie er und sein Vater eins sind1274

Dass der Sohn und der Vater eins sind (hen) woumlrtlich einig in einer Sache wird nicht als metaphysische Behauptung angeboten son-dern einfach als Erklaumlrung warum ein Angriff auf den Sohn auch ein Angriff auf den Vater ist und daher a priori zum Scheitern ver-urteilt ist1275

Wie die Geschichte zeigt haben Trinitarier vielleicht aus Angst vor dem Sabelli-anismus schnell darauf hingewiesen dass das griechische Wort fuumlr bdquoeinsrdquo nicht bdquoheisrdquo ist Heis wuumlrde bedeuten dass der Vater und der Sohn bdquoeine Personrdquo sind Interessanterweise ist heis das Wort mit dem Jesus [den einen] Gott in Markus 1229 beschreibt Gott ist bdquoheisrdquo (masculin und in der Einzahl) eine Person

Das Aufspuumlren komplexer trinitarischer Theologie innerhalb der philosophisch anspruchslosen Aussagen Christi in Johannes 1030 sollte im Hinblick auf die sprachlichen und kontextuellen Beweise nicht als bloszlige Spekulation abgetan wer-den Als Studenten der Heiligen Schrift muumlssen wir stets darauf achten einen gesunden Respekt vor dem Kontext zu bewahren und noch mehr darauf dass wir keine anachronistischen Kontroversen inmitten der Worte Jesu heraufbe-schwoumlren

1274 Tasker John 1960 p 136 1275 Sanders Mastin Blackrsquos New Testament Commentaries The Gospel According to Saint John p 258

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bdquoSohnGottesrdquooderbdquoGottderSohnrdquoIn der gleichen Weise wie viele heute noch die Worte Christi missverstehen oder gar missbrauchen so haben manche in seinem feindlich gesinnten juumldischen Publikum blind vor Intoleranz seine Absichten auch nicht gesehen Nach Jesu Erklaumlrung seiner Einigkeit mit Gott in Johannes 1030 berichtet Vers 33 wie ei-nige der Juden versuchten Jesus zu steinigen bdquo weil du ein Mensch bist und machst dich selbst zu Gottrdquo Hier finden wir eine der meistzitierten Passagen die den An-spruch Jesu auf seine Goumlttlichkeit beweisen soll Aber das Argument basiert hier auf dem Zeugnis der Feinde Christi Sie sind eine wenig vertrauensunwuumlrdige Quelle Sie waren die Leute zu denen Christus bereits gesagt hatte bdquoIhr versteht meine Rede nichtrdquo (Johannes 843)

Wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln erwaumlhnt ist das Missverstehen von Jesus ein wiederkehrendes Hauptthema des Johannesevangeliums Episoden welche Fehlinterpretation von Jesu Aussagen durch seine Zuhoumlrerschaft beinhal-ten kommen in mindestens fuumlnfzehn der einundzwanzig Kapitel vor1276 Sowohl seine Gegner als auch die Juumlnger Christi verfehlten laufend seine Aussagen und waumlhrend Jesus diese Fehler manchmal korrigierte klaumlrte er viele seiner widerwaumlr-tigsten Kritiker uumlber den wahren Sinn seiner Aussagen absichtlich nicht auf Die Juumlnger die ihn liebten durften ihn jedoch oft [auch nicht immer] verstehen bdquoEuch ist es gegeben zu wissen die Geheimnisse des Himmelreichs diesen aber ist es nicht gegebenrdquo (Matthaumlus 1311) Interessanterweise verewigen viele der Zuhoumlrer Christi heute nicht nur dieses Versaumlumnis die wahre Bedeutung seiner Wahrspruumlche zu erfassen sondern wiederholen sogar die Einwendungen seiner Gegner der Ver-gangenheit Einige von Jesu Widersachern nahmen an dass er in Johannes 1030-33 behauptete (in gewissem Sinne) Gott zu sein oder zumindest mit Gottes Au-toritaumlt zu agieren Das allgemeine christliche Dogma hat diese Behauptung [viel-leicht in einem anderen Sinn] lautstark aufgegriffen Doch da wir wissen wie oft die Pharisaumler ihn falsch interpretierten muumlssen wir uns fragen ob diese [gegneri-schen] Zeugen wirklich die beste und zuverlaumlssigste Quelle fuumlr eine zutreffende theologische Auslegung der Lehren dieses Mannes sind Die Menge hatte ihn ja schon missverstanden und gemeint er erhebe Anspruch auf Goumlttlichkeit oder auf eine woumlrtliche Prauml-Existenz als er sagte bdquoEhe Abraham war bin ichrdquo (Johan-nes 858) Jesus ging davon aus dass sie absichtlich schwerhoumlrig waren bdquoWarum versteht ihr denn nicht was ich sage Weil ihr unfaumlhig seid mein Wort aufzunehmen hellip Wer Gott zum Vater hat houmlrt was Gott sagt Aber ihr houmlrt es nicht weil ihr ihn nicht zum Vater habtrdquo (Johannes 843a47b)

1276 Siehe Johannes 219-22 34-13 431-34 651-6171 733-36 818-1921-222733-3438-4451-5256-

58 939-41 101-626-36 1111-14 1123-25 121632-3440 136-1227-2933-37 142-57-11 1616-18 1625-29 209 2122-23 Siehe auch Matthaumlus 1310-17 1334-36 1511-20 165-12 2746-47 Markus 410-1333-34 Lukas 250 945 1834 Siehe auch Spruumlche 285 Jesaja 69

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Jesus antwortete ihnen Steht nicht in eurem Gesetz geschrieben bdquoIch habe gesagt Ihr seid Goumltterrdquo Wenn er jene Goumltter nannte an die das Wort Gottes erging - und die Schrift kann nicht aufgeloumlst werden - sagt ihr von dem den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat Du laumlsterst weil ich sagte Ich bin Gottes Sohnrdquo (Johannes 1034-36)

Wie brillant Jesus war zeigt sich in dieser eher zuruumlckhaltenden aber nichtsdes-toweniger stichhaltigen Widerlegung Christus zeigte in sachkundiger Weise dass in ihren eigenen Schriften die menschlichen Propheten und Richter Israels wie auch Mose (2 Mose 71) aufgrund ihres Empfangs der autoritativen Inspiration der Gottheit sogar als bdquoGottrdquo bezeichnet werden durften Wenn solche hohen Bezeichnungen fuumlr sie angemessen waumlren dann sollte Jesus der von Gott als Messias ausgewaumlhlt und damit [statusmaumlszligig] noch houmlher als Mose einzustufen war doch die Bezeichnung bdquoSohn Gottesrdquo genieszligen duumlrfen zudem implizierte dieser Titel seine eigene Abhaumlngigkeit [von Gott] Obwohl er den nachweislich angemessenen Titel bdquoGottrdquo fuumlr sich haumltte annehmen koumlnnen hat Jesus ihre An-schuldigung klugerweise zunichte gemacht indem er bewusst auf diesen grandi-osen Titel fuumlr sich selbst verzichtete und stattdessen seinen konsequenten An-spruch Gottes geliebter Sohn zu sein betonte

Es muss erneut darauf hingewiesen werden dass das Johannesevangelium eine Vielzahl von Episoden aufzeichnet in denen das Missverstaumlndnis der Feinde Christi offen zutage tritt Am Ende der Erzaumlhlung scheinen einige wenige unter ihnen seine Absichten erfasst zu haben Sie revidierten ihre Wahrnehmung des Anspruchs Jesu auf Goumlttlichkeit oder zumindest behaupteten sie nicht mehr dass er sich auf die gleiche Ebene wie die Gottheit selbst gestellt haumltte Als sich der Jesus-Zwischenfall in Jerusalem zuspitzte wurde bei seiner schicksalhaften Ge-richtsverhandlung die letzte Anklage gegen ihn erhoben bdquoBist du der Christus [der Messias der Gesalbte] der Sohn des Hochgelobtenrdquo (Markus 1461b ELB) Matthaumlus zeichnet es so auf bdquoUnd der Hohepriester sagte zu ihm Ich beschwoumlre dich bei dem leben-digen Gott dass du uns sagst ob du der Christus bist der Sohn Gottesrdquo (Matthaumlus 2663) Offensichtlich wurde ihm nicht vorgeworfen Jahwe zu sein der lebendige und gesegnete Gott selbst sondern er mache sich selbst zum Sohn Gottes Als Jesus beschuldigt wurde zuvor behauptet zu haben Gott zu sein hatte er ihre Auffas-sung nicht auf sich sitzen lassen sondern sie korrigiert (Johannes 1036) Nicht so bei dieser Verhandlung bei der Jesus beschuldigt wird behauptet zu haben der Sohn des Gottes ihrer Stammvaumlter zu sein Da antwortete er sofort mit Ja bdquoIch bin es und ihr werdet den Menschensohn zur rechten Hand der Macht sitzen sehenrdquo (Markus 1462a) Bei dieser verbalen Verifizierung [von Jesu Aussage] bdquozerriss der Hohepriester seine Kleider und sagte Er hat Blasphemie gesprochen Was brauchen wir noch mehr an Zeugenrdquo (Matthaumlus 3665) Er sollte also klar nicht mehr aufgrund der urspruumlnglichen Blasphemie verurteilt werden diese lautete dass er behauptet

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habe mit dem einen Gott identisch zu sein Dies wurde bei seiner Verhandlung vor Pilatus deutlich Der Roumlmer hatte keine Schuld in ihm gefunden aber die juumldischen Fuumlhrer beharrten darauf bdquoSie antworteten ihm Wir haben ein Gesetz und nach dem Gesetz muss er sterben weil er sich selbst zu Gottes Sohn gemacht hatrdquo (Johannes 197) Offensichtlich war jeder zuvor angeblich wahrgenommene Anspruch Jesu Jahwe zu sein aus dem Konsens seiner Feinde verschwunden der Vorwurf aumln-derte sich in einen Anspruch auf die Sohnschaft eine Beziehung von engster Ver-trautheit und houmlchsten Ranges mit dem Schoumlpfer Tatsaumlchlich hatte Jesus selbst seine Gegner vorher oumlffentlich zurechtgewiesen bdquoIch sagte Ich bin Gottes Sohnrdquo (Johannes 1036) Selbst waumlhrend der Vollstreckung seiner schrecklichen Strafe wurde die Begruumlndung fuumlr die er hingerichtet wurde von seinen Feinden genau wiederholt bdquoEr vertraute auf Gott der rette ihn jetzt wenn er ihn liebt denn er [Jesus] sagte Ich bin Gottes Sohnrdquo (Matthaumlus 2743) Die Juden die seine Hinrichtung forderten hielten nicht mehr am fruumlher erhobenen Vorwurf fest naumlmlich an der Behaup-tung mit Gott identisch zu sein sie klagten ihn nun an sich selbst fuumlr einen Menschen zu halten der in einer enorm engen Beziehung zum Goumlttlichen stand Als bei seinem dramatischen Hinschied die Erde bebte bezeugte dieses ausser-ordentliche Zeichen den von Jesus so oft erhobenen Anspruch bdquoWahrhaftig dieser Mensch war Gottes Sohnrdquo (Markus 1539)

Wenn dies tatsaumlchlich die praumlzise Aussage Jesu war was bedeutet uumlberhaupt bdquoSohn Gottesrdquo Bedeutet es wirklich bdquoGottrdquo wie es einige moderne religioumlse Wortfuumlhrer behaupten Was war die Bedeutung fuumlr die Juden Jesu haumlufige Ver-wendung dieses Titels in seinem juumldischen Umfeld des ersten Jahrhunderts muss nun eroumlrtert werden Wie die Religionswissenschaftler fordern bdquoEs ist offensicht-lich dass die von Jesus verwendeten messianischen Begriffe im Alten Testament und in der spaumlteren juumldischen Literatur zu finden sind und dort muumlssen sie selbst-verstaumlndlich in ihrem Kontext analysiert werdenrdquo1277

Die heutigen Verfechter der Trinitaumltsdoktrin repraumlsentieren den bdquoSohn Gottesrdquo bedingungslos als ewig prauml-existierende Gott-der-Sohn-Figur des post-nicaumlni-schen Christentums Tatsaumlchlich scheint die Ausuumlbung der kirchlichen Tradition die Augen vieler Studenten wirksam bdquopolarisiertrdquo zu haben so dass sie wenn sie die Beteuerung Christi lesen bdquoIch bin der Sohn Gottesrdquo (Johannes 1036) sie instink-tiv bdquoIch bin Gottrdquo oder bdquoIch bin Gott-der-Sohnrdquo [das zweite Gott-Wesen] den-ken Wie eine Quelle der trinitarischen Apologetik mit Nachdruck argumentiert bdquoJesus als Sohn Gottes zu bezeichnen bedeutet dass Jesus Gott ist der Begriff

1277 H Riesenfeld ldquoThe Mythological Background of New Testament Christologyrdquo The Background of

the New Testament and Its Eschatology (Cambridge CUP 1956) p 91 (Der Mythologische Hinter-grund des Neuen Testaments und seiner Eschatologie)

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Sohn Gottes bedeutet dass Jesus Gott im Fleisch istrdquo1278 Aber ist diese Behaup-tung korrekt In diesem Argument des Apologeten laumlsst sich keine umsichtige Beruumlcksichtigung der Religionsgeschichte erkennen Ein etwas vernuumlnftigerer anglikanischer Gelehrter erkennt richtig an dass bdquodas Neue Testament nie sugge-riert der Begriff sbquoSohn Gottesrsquo bedeute einfach nur sbquoGottrsquo rdquo1279 Viele haben in den allgemeinen Traditionen den Titel bdquoSohn Gottesrdquo als klare Bezeichnung fuumlr die Gottheit Jesu propagiert dies jedoch voumlllig zu Unrecht Inzwischen bekennen sich respektierte christliche Apologeten dazu dass bdquoweder das Judentum noch das Heidentum der Aumlra Jesu den Titel auf diese Weise verstanden haben auch die fruumlhe Kirche nichtrdquo1280 Wenn das wahr ist warum ist dann die inkorrekte Definition der Metapher bdquoSohn Gottesrdquo seit dem ersten Jahrhundert bis heute uns erhalten geblieben Ein katholischer Experte hat zu diesem Thema kuumlrzlich argumentiert dass

Die Forschung uumlber die goumlttliche Sohnschaft im Neuen Testament hat sich anachronistisch auf die philosophischen und theologischen Arten der Auslegung des Christentums des vierten Jahrhunderts gestuumltzt insbesondere auf die entscheidende [nicaumlnische] Doktrin bdquogezeugt nicht geschaffenrdquo In der roumlmischen Welt vor Nicaumla war die Zeugung eines Sohnes und die Geburt nicht grundsaumltzlich eine Sache der philosophischen Unterscheidung der [orthodoxe] Zu-gang zu biblischen Texten ist oft eine unbewusste Kombination von christologischen Auslegungen des vierten Jahrhunderts mit Texten des ersten Jahrhunderts1281

Wie wir gesehen haben waren diese Ansichten des vierten Jahrhunderts so durch und durch platonisch geworden so sehr wie sie sich von der juumldischen Weltan-schauung getrennt hatten So belegte Nicaumla nur die neutestamentliche Aussage uumlber die Sohnschaft mit Beschlag und wie Peppard bemerkt

mit der Vorherrschaft philosophischer Stroumlmungskategorien unter den christlichen Fuumlhrern aumlnderten sich die Begriffe bdquogezeugtrdquo und bdquogeschaffenrdquo in ihrer Bedeutung Sie houmlrten auf als Metaphern zu funktionieren die mit menschlichen Praktiken verbunden waren

1278 Matthew Slick ldquoWhat is Meant When It Says Jesus is the Son of Godrdquo Christian Apologetics and

Research Ministry Web 30 December 2014 lthttpcarmorgjesus-son-of-godgt (Was bedeutet es wenn es heisst Jesus sei der Sohn Gottes)

1279 Don Cupitt The Debate About Christ (London SCM Press 1979) p vii 4 1280 McCready p 56 1281 Michael Peppard The Son of God in the Roman World Divine Sonship in Its Social and Political

Context (Oxford OUP 2011) p 4 (Der Sohn Gottes in Roumlmischen Welt Goumlttliche Sohnschaft in ihrem socio-politischen Kontext)

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Sie wurden immer abstrakter bis die Debatten um den Wende-punkt der nicaumlnischen Aumlra sie schlieszliglich als das alleinige Eigentum der Theologen etablierten1282

Was bedeutete es dann fuumlr die fruumlheste Jesusgemeinschaft als sie Christus den bdquoden Sohn Gottesrdquo nannte Was hielt Jesus von dieser Bezeichnung seiner selbst Wir koumlnnen davon ausgehen dass die Juden des Neuen Testaments das Diktum entsprechend seinem historischen Gebrauch in ihren eigenen Schriften interpre-tierten dh als einen Titel der haumlufig auf maumlchtige menschliche Persoumlnlichkeiten angewendet wurde die besondere Begabungen von und enge Beziehungen zu Gott hatten Das Alte Testament insbesondere die Psalmen hatten die Koumlnige der Linie Davids dargestellt die dem Messias vorausgingen und ihn typisierten bdquoIch will ihm Vater sein und er soll mir Sohn sein Und ich will meine Gnade nicht von ihm weichen lassen wie ich sie von dem habe weichen lassen der vor dir warrdquo (1 Chronik 1713) Ein evangelikaler Gelehrter hat festgestellt dass bdquoim Alten Testament Koumlnige (besonders David) Gerechte und sogar Israel als Soumlhne Gottes bezeichnet wer-denrdquo1283 Konkret finden wir Salomo (1 Chronik 1713) Engel (Hiob 387) und besonders Adam (Lukas 338) so beschrieben Ein anderer Gelehrter postuliert dass bdquoJesus in der fruumlhesten [christlichen] Gemeinschaft auf der Grundlage von Psalm 2 in dem der israelitische Koumlnig durch die Verwendung der altorientali-schen Adoptionsformel als Sohn Gottes bezeichnet wird durchaus so genannt werden konnterdquo1284 Auf diese Weise so der deutsche Gelehrte Martin Noth (1902 ndash 1968) bdquowar der davidische Koumlnig in Jerusalem kein fleischgewordener Gott er war auch nicht goumlttlichen Ursprungs sondern er wurde durch die gnauml-dige Zustimmung seines Gottes als sbquoSohnrsquo bezeichnetrdquo1285 Diese Anwendung des Titels bdquoSohn Gottesrdquo auf einen normalen Menschen steht in scharfem Gegensatz zu seiner Verwendung im System des inkarnierenden dual-natuumlrlichen Koumlnig-tums das den Pharaonen des alten Aumlgypten zugeschrieben und in Teil I dieses Buches behandelt wurde Wie Noth abschlieszligend feststellt ist der Gebrauch un-ter den Hebraumlern bdquoein Hinweis auf eine Ablehnung der Ideologie eines echten

1282 Ebenso S 5 1283 McCready p 56 1284 Kuschel S 141 Siehe Peppard in seiner Untersuchung der synoptischen Verwendung von bdquoSohn

Gottesrdquo in seinem roumlmischen Kontext des ersten Jahrhunderts bdquoDie Resonanz von bdquoSohn Gottesrdquo hat sich mit der Zeit veraumlndert Viele Autoren des ersten und zweiten Jahrhunderts haben bei der Beschreibung der goumlttlichen Sohnschaft Christi und der Christen die gezeugten und adoptiven Meta-phern vermischt Aber im vierten Jahrhundert war die Adoption kein entscheidender sichtbarer Bestandteil der imperialen Ideologie mehr und verlor damit einen Teil (aber nicht alle) ihres Reizes als Metapher fuumlr Macht und Erhoumlhungrdquo (Peppard S 5)

1285 Martin Noth ldquoGod King and Nationrdquo in The Laws in the Pentateuch and Other Studies (Philadelphia Fortress 1966) pp 172-173 (Gott Koumlnig und Volk))

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Gott-Koumlnigsrdquo1286 Tatsaumlchlich unterscheiden Religionswissenschaftler sehr deut-lich zwischen dem aumlgyptischen Gott-Mensch-Koumlnigreich und der juumldischen Vor-stellung Ein Gelehrter kommt zu dem Schluss dass der Begriff des bdquoSohnes Gottesrdquo in Israel bdquoin erster Linie eine Moumlglichkeit war den Koumlnig gegenuumlber an-deren Menschen als uumlberlegen zu bezeichnen auch wenn der Koumlnig nicht auf Augenhoumlhe mit dem Houmlchsten warrdquo1287 Ein anderer Forscher folgerte dass bdquotrotz aller mythologischen Metaphern uumlber die Geburt eines Koumlnigs wir in Is-rael nie einen Ausdruck einer sbquometaphysischenrsquo Vorstellung von der Goumlttlichkeit des Koumlnigs und seiner Beziehung zu Jahwe findenrdquo1288

Der israelitische Brauch war es offensichtlich diesen Titel an [saumlkulare] Persoumln-lichkeiten zu verleihen die obwohl offensichtlich weltlich in bestimmten Aumlm-tern oder Beziehungen transzendent waren - besondere Personen die von Gott in eine unverwechselbare Position gewaumlhlt oder berufen wurden aufgrund ihrer einzigartigen Tugend oder ihrer Bedeutung in seinem [Gottes] groszligen Vorhaben oder seiner Regierung Die Verleihung des Titels im antiken Judentum erfolgte mit Sicherheit ohne jegliche Hypothese einer echten goumlttlichen Natur Ein einfa-cher Uumlberblick uumlber die breite biblische Anwendung der Phrase sollte daher den Wunsch nach impliziter Goumlttlichkeit zum Schweigen bringen

Adams Beschreibung als Gottes Sohn ist hier besonders interessant da wir be-obachten dass er in der Ahnentafel des Lukas als bdquoder Sohn Gottesrdquo bezeichnet wird gerade weil Gott sein Vater war (Lukas 338) In diesem Fall finden wir eine direkte und houmlchst angemessene Parallele zu Christi eigener Sohnschaft Adams erklaumlrter Status spiegelt eine auszligergewoumlhnliche Verbindung zum Vater wider Diese basierte nicht auf der Weitergabe von Gottes Essenz Ein Professor in E-dinburgh raumlumt ein dass bdquodie goumlttliche Sohnschaft - biblisch gesehen - nicht dazu diente Goumlttlichkeit kundzutun aber sie zeigte bestimmt den besonderen Status und die Beziehung zu Gott anrdquo1289 Sicherlich hat Jesus eine solche einzigartige Zugehoumlrigkeit in seinem Dienst aufzuweisen und auch die Autoren der Evange-lien schaumltzen sich gluumlcklich sie in ihren Berichten uumlber die Geburt anzuerkennen und zu foumlrdern Die Erklaumlrung der besonderen Beziehung Christi zum Vater fin-det sich deutlich in der Aufzeichnung der bedeutungsvollen Empfaumlngnis und Ge-burt des Menschen [Jesus] in der er zum Sohn Gottes ernannt wird bdquoUnd der Engel antwortete und sprach zu ihr Der Heilige Geist wird uumlber dich kommen und Kraft des Houmlchsten wird dich uumlberschatten darum wird auch das Heilige das geboren werden wird Sohn Gottes genannt werdenrdquo (Lukas 135 ELB) Seine direkte Erschaffung durch Gott in

1286 Ebenso 1287 Collins King and Messiah as Son of God p 204 1288 Mowinckel He That Cometh p 78 1289 Larry W Hurtado Lord Jesus Christ (Grand Rapids Eerdmans 2003) p 103

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Maria ist ausdruumlcklich das was ihm die unmittelbare Anerkennung einer auszliger-gewoumlhnlichen persoumlnlichen Beziehung zum Schoumlpfer ermoumlglicht hat Alle ande-ren Menschen nach Adam hatten offensichtlich ihre Sohnschaft durch einen menschlichen Vater erfahren aber die Existenz Christi die in Maria durch keine andere Handlung als diejenige Gottes vollbracht wurde berechtigte ihn zweifel-los zu dieser Bezeichnung Letztendlich wird Jesus der Sohn Gottes genannt nicht weil er irgendwie Gott selbst ist sondern wegen seiner engen Beziehung zu Gott weil Gott sein Vater ist1290

Fuumlr diese familiaumlre Beziehung eine Beziehung transzendenter Liebe erhaumllt der Sohn seine weitreichenden Rechte und Privilegien sogar die Vorrechte Gottes bdquoDer Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegebenrdquo (Johannes 335) Der angesehene lutherische Theologe der Franzose Oscar Cullman (1902 ndash 1999) liegt voumlllig richtig wenn er erkennt dass bdquoSohnrdquo und andere Titel von denen oft behauptet wird dass sie eine inhaumlrente Gottheit ausdruumlcken eher eine funktio-nale als eine ontologische Harmonie erklaumlren bdquoDie Titel sbquoLogosrsquo und sbquoSohn Got-tesrsquo zeigen nicht die Einheit im Wesentlichen [der Essenz des Seins] oder der Natur zwischen Gott und Christus sondern eine Einheit im Offenbarungs-werkrdquo1291 Eine ganze Reihe von christlichen Wissenschaftlern bestaumltigt ebenfalls dass der bdquoSohnrdquo nicht nur keine Einheit des Wesens foumlrdert sondern tatsaumlchlich die scharfe Unterscheidung zwischen Gott und dem einen so genannten bdquoSohnrdquo unterstuumltzt Professor Colin Brown vom Fuller Theological Seminary erklaumlrt dass dieser Titel tatsaumlchlich dazu dient jede Identifizierung von Jesus als den Gott der Bibel zu widerlegen

Der Titel bdquoSohn Gottesrdquo ist an sich keine Bezeichnung der persoumln-lichen Goumlttlichkeit oder Ausdruck metaphysischer Unterschiede innerhalb der Gottheit Tatsaumlchlich muss man um ein bdquoSohn Got-tesrdquo zu werden ein Wesen sein welches nicht Gott ist1292

Der Schweizer Alttestamentforscher und Gelehrte Herbert Haag (1915 - 2001) teilt uns auch mit dass bdquoIm Alten Testament und im fruumlhen Judentum bedeutet sbquoSohn Gottesrsquo also sbquogeschaffenrsquo zu sein Erwaumlhlung und Intimitaumlt zu haben viel weniger ist es beabsichtigt Goumlttlichkeit zu bedeutenrdquo1293 Der weit uumlber Deutsch-land hinaus beruumlhmte Rudolf Karl Bultmann (1884 ndash 1976) stimmte dem zu mit den Worten bdquoEs ist klar dass weder im Judentum noch in der christlichen Kirche dieser Titel die mythologische Bedeutung hatte die er im spaumlteren hellenistischen

1290 See Collins King and Messiah as Son of God p 209 1291 Oscar Cullmann The Christology of the New Testament (Philadelphia Westminister Press 1963) p

247 (Die Christologie des Neuen Testaments 1957) 1292 Colin Brown ldquoTrinity and Incarnationrdquo Ex Auditu Vol 7 (Eugene Wipf amp Stock 1991) p 90 1293 Herbert Haag ldquoSon of Godrdquo Concilium (Norwich SCM Press 1996) p 36

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Christentum hatte dh er bezeichnete den Messias nicht als uumlbernatuumlrliches We-sen das von Gott gezeugt wurde sondern war einfach sein koumlniglicher Titelrdquo1294 In der neutestamentlichen Aumlra war es in der Tat wie die moderne Wissenschaft nachdruumlcklich bestaumltigt ein koumlniglicher Titel - einer der sich speziell auf den Messias bezog der aus der Familie von Koumlnig David hervorgehen sollte Wie bereits erwaumlhnt interpretierten sowohl das Judentum der Aumlra des Zweiten Tem-pels als auch die urchristliche Gemeinschaft des Neuen Testaments Schluumlssel-passagen wie Psalm 27 8926-27 und 2 Samuel 714 als messianische Prophezei-ungen1295 Im Falle von 2 Samuel 714 wird der zukuumlnftige Sohn Davids (Salomo) ebenso als Sohn Gottes identifiziert und 4QFlor der Schriftrollen vom Toten Meer formuliert die Prophezeiung ebenfalls messianisch Mit anderen Worten der Titel bdquoSohn Gottesrdquo war in seinem messianischen Kontext des ersten Jahr-hunderts praktisch gleichbedeutend mit bdquoSohn Davidsrdquo und bdquoKoumlnig von Is-raelrdquo1296 Man beachte dass Lukas 135 Jesus ausdruumlcklich als bdquoSohn des Houmlchs-tenrdquo benennt und [in der Ahnentafel] als Nachkomme des Koumlnig Davids bezeich-net1297 Beachten wir auch die synonyme Parallelitaumlt im Ausruf von Nathanael bei der [ersten] Begegnung mit Jesus bdquoNathanael antwortete und sprach Rabbi du bist der Sohn Gottes du bist der Koumlnig Israelsrdquo (Johannes 149) Angesichts dieser Beweise gibt N T Wright zu bdquoWir muumlssen betonen dass die uumlbliche juumldische Bedeutung

1294 Bultmann Theology of the New Testament Vol I p 50 (Theologie des Neuen Testaments 1948-

53) 1295 Siehe Hebraumler 15 bdquoDenn zu welchem der Engel hat Gott jemals gesagt sbquoDu bist mein Sohn heute

habe ich dich gezeugtrsquo rdquo Und noch einmal bdquoIch werde ihm ein Vater sein und er wird mir ein Sohn seinrdquo Juden auszligerhalb der christlichen Gemeinschaft hatten diese Passagen sicherlich als messianisch interpretiert - die Qumran-Schrift 4QFlorilegium (4Q174) identifiziert den bdquoSprossrdquo der Davidfigur aus Jeremia und Sacharja mit 2 Samauel 712-14 und Amos 911 bdquo er wird ein Sohn fuumlr mich sein Er ist der Zweig Davids der sich mit dem Dolmetscher des Gesetzes erheben wird in Zion in den letzten Tagen wie es geschrieben steht sbquoIch werde das Zelt Davids aufrichten das gefallen istrsquo der sich erheben wird um Israel zu rettenrdquo Bemerkenswert ist auch das DSS-Dokument 1QSa das auf den Tag bdquowenn Gott den Messias zeugtrdquo (211) wartete und die LXX-Uumlbertragung des Psalms 1103 bdquoIch habe dich aus dem Mutterleib gezeugtrdquo Der davidische Messias sollte bdquogezeugtrdquo oder ins Leben gerufen werden nicht von einem menschlichen Vater sondern von Gott

1296 Bei seinem Prozess als Jesus von den Juden nach seiner Identitaumlt gefragt wurde fragten sie bdquoWenn du der Messias bist sag es unsrdquo (Lukas 2267) Jesus identifiziert sich dann als bdquoder Menschensohnrdquo (Vers 69) In ihrer Folgefrage draumlngen sie ihn bdquoDu bist dann der Sohn Gottesrdquo (v 70) Ihre ersten und zweiten Fragen sind daher voneinander abhaumlngig und bdquoMessiasrdquo bdquoDavidssohnrdquo bdquoMenschensohnrdquo bdquoGottessohnrdquo und bdquoKoumlnig von Israelrdquo sind daher alle im Evangeliumskontext als messianische Titel zu betrachten

1297 bdquoWie in Markus sind sbquoSohn Gottesrsquo und sbquoMenschensohnrsquo in Matthaumlus gleichwertig In Lukas wie in Markus und Matthaumlus ist es klar dass sbquoSohn Gottesrsquo (oder sbquoSohn des Houmlchstenrsquo) gleichbedeutend ist mit sbquoMessiasrsquo sbquoSohn Gottesrsquo und sbquoMessiasrsquo sind in Johannes ebenso gleichwertig genau wie sie in der Syn-optik sindrdquo (Collins Koumlnig und Messias als Sohn Gottes S 209-210) Siehe auch den Praumlzedenzfall DSS 4Q246 der eine Figur als bdquoSohn Gottes Sohn des Houmlchstenrdquo bezeichnet der bdquoals der davidische Messias identifiziert werden sollte wie auch in Lukas 13235rdquo (Ebenso p 206)

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dieses Titels [Sohn Gottes] im ersten Jahrhundert nichts mit einem beginnenden Trinitarismus zu tun hatte Er bezeichnete den Koumlnig als Vertreter Israelsrdquo1298

Die post-apostolische heidenchristliche Kirche jedoch mit ihrer sich auf breiter Basis an das Denken und dem Wirken der Griechen ausgeliefert hatte druumlckte ausgerechnet diesem Titel den Rahmen ihre mythischen Weltanschauung auf Be-dauerlicherweise interpretierten sie den Titel [Sohn Gottes] als virtuellen Beweis fuumlr die Goumlttlichkeit Christi und zwar im Wesen als auch in der Natur Das Epithet [der Beiname] den fruumlher juumldische Koumlnige genossen war zur exklusiven Marke eines Halbgottes aumlhnlich dem Herkules oder dem Dionysos geworden Er blieb eine uumlbernatuumlrliche Gestalt die aus dem Himmelreich kam um goumlttliche Privilegien unter den Menschen auszuuumlben Es ist leider augenfaumlllig dass ein Groszligteil des modernen Christentums dieses krasse Missverstaumlndnis verewigt hat Nichtsdestoweniger haben einige Gelehrte vorgeschlagen dass die neutestament-liche Perspektive auf bdquoSohn Gottesrdquo nicht von der historischen Interpretation der alten Israeliten abweichen sollte Der wertvolle Kommentar von Dr Kuschel sollte nicht vernachlaumlssigt werden

In Uumlbereinstimmung mit seiner juumldischen Herkunft wurde der Titel bdquoSohn Gottesrdquo nie mit einer himmlischen Existenz vor der Zeit oder mit der Goumlttlichkeit in Verbindung gebracht die Grundvo-raussetzung fuumlr das nachoumlsterliche Gespraumlch uumlber Jesus als Sohn Gottes liegt nicht in der bdquogoumlttlichen Naturrdquo Jesu bzw in einer be-reits existierenden goumlttlichen Sohnschaft sondern in der Praxis und Verkuumlndigung des irdischen Jesus selbst in seiner einzigartigen Be-ziehung zu Gott die er in einer beispiellos vertrauten Weise aus-uumlbte als er den Vater bdquoAbbardquo nannte in Israel verwies der Titel des Sohnes Gottes groumlszligtenteils auf die einzigartige Wuumlrde und Macht des obersten politischen Fuumlhrers1299

So wird Jesus bdquoSohn Gottesrdquo genannt weil Gott ihn in seiner Mutter ins Leben gerufen [gezeugt] hat und weil er der Thronfolger Davids uumlber Israel ist Aber wenn bdquoSohn Gottesrdquo tatsaumlchlich Gottheit anzeigt dann bricht das Neue Testa-ment sofort zusammen

Johannes schreibt bdquoGeliebte jetzt sind wir Kinder Gottes und es ist noch nicht offenbar geworden was wir sein werdenrdquo (1 Johannes 32) und Paulus sagt uns bdquoWir sind die Soumlhne Gottesrdquo mit der zusaumltzlichen Zusicherung dass bdquowenn wir Soumlhne sind dann auch Erben Erben Gottes und Miterben mit Christusrdquo (Roumlmer

1298 Wright Jesus and the Victory of God pp 485-486 1299 Kuschel p 238

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816-17) Angesichts des Werkes Gottes bdquoviele Soumlhne zur Herrlichkeit zu brin-genrdquo (Hebraumler 210) und in Verbindung mit dem Prolog des Johannes der vielen offenbart dass bdquoer das Recht gegeben hat Soumlhne Gottes zu werdenrdquo (Johannes 112) koumlnnen wir die Interpretation des Begriffs durch die [Dreifaltigkeits-]Dog-matiker nicht akzeptieren Waumlhrend bdquoder Sohnrdquo im Trinitarismus in einer seltsa-men Pseudo-Beziehung zum Vater allein dasteht oumlffnet der Jesus des Neuen Testaments allen die Tuumlr zu einer gemeinsamen Sohnschaft [Gottes] Die Sohn-schaft die Christus anbietet ist jedoch keine armselige Nachahmung einer ge-heimnisvollen unergruumlndlichen Vater-Sohn-Beziehung zwischen den Hyposta-sen der Trinitaumlt - vielmehr ist es der gleiche Beziehungsstatus Christi den er gerne teilt es ist nicht eine Verbindung der Substanz sondern ein Bund der Liebe

Das Johannesevangelium wird von den Trinitariern oft als der uumlberzeugendste Verfechter der Idee bezeichnet dass bdquoJesus Gott im Fleisch istrdquo Trinitarische Bibelverleger behaupten sogar dass die Vermittlung dieser dogmatischen Bot-schaft die ausdruumlckliche Absicht des johanneischen Werkes gewesen sei Sie sa-gen seine Mission war es kritische Informationen uumlber die Goumlttlichkeit Christi zu liefern welche die Berichte von Matthaumlus Markus und Lukas angeblich unzu-reichend weitergegeben haben1300 Doch Johannes machte seine eigenen Absich-ten ganz klar und fasste seine Botschaft in seinen letzten Kapiteln so zusammen bdquoDiese aber sind geschrieben damit ihr glaubt dass Jesus der Christus [Messias] ist der Sohn Gottes und damit ihr weil ihr glaubt das Leben habt in seinem Namenrdquo (Johannes 2031)

JesusalsbdquoGottrdquoDie christliche Verwendung des Wortes bdquoGottrdquo in unserer Zeit ist in der Regel ein Hinweis auf den einen Gott der Bibel und ist fuumlr ihn reserviert Doch in der Zeit der biblischen Autoren wurde der Begriff viel freier verwendet um auch Menschen oder Engel zu beschreiben Es gibt nur zwei Faumllle in denen das Wort bdquoGottrdquo (griechisch bdquotheosrdquo) im Neuen Testament sicher in Bezug auf Jesus ver-wendet wird1301 Es wird oft von Trinitariern ins Feld gefuumlhrt diese Faumllle seien

1300 Das Vorwort zum Johannesevangelium in der Bibelversion des Harvest House Publishers New Inductive

Study lautet bdquoGott im Fleisch Die Inkarnation waumlre fuumlr einige schwer zu glauben aber ihr Glaube oder Unglauben waumlre eine Frage von Leben oder Tod Drei andere Evangelien waren geschrieben worden und Jahre waren vergangen Es brauchte noch ein weiteres Evangelium eines das diese Fragen beant-wortet und noch mehr eines das Licht auf die sbquoSchatten des Zweifelsrsquo wirft So reagierte der Apostel Johannes auf Gottes Ruf ein viertes und letztes Evangelium zu schreiben rdquo (The New Inductive Study Bible (Eugene Harvest House Publishers 2000) p 1711)

1301 Es hat sieben weitere diskutable Verse (Johannes 118 Roumlmer 95 Titus 213 2 Petrus 11 1 Joh 520 Apg 2028 2 Thess 112) Diese wurden von Textanalytikern aus einer Vielzahl von Gruumlnden zur Identifizierung von Jesus als bdquoGottrdquo angezweifelt Der Triniatier Christopher Kaiser bemerkt hierzu dass bdquoes nur sehr wenige ausdruumlckliche Verweise auf Jesus als sbquoGottrsquo im Neuen Testament gibt und selbst diese wenigen sind im Allgemeinen mit Unsicherheiten hinsichtlich des Textes oder der Auslegung behaftetrdquo (Christopher Kaiser The Doctrine of God (London Marshall Morgan amp Scott 1982) p 29) Der Trinitarier William Barclay bestaumltigt bdquoBei fast jeder Gelegenheit im Neuen Testament bei der Jesus Gott

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der beste Beweis dafuumlr dass die biblischen Schreiber selber glaubten der Mensch [Jesus] sei kein geringerer als der eine und allmaumlchtige Gott Sie meinten dies waumlre die zentrale uumlberwaumlltigende Offenbarung des Neuen Testaments Dies er-weckt sogleich unsern Verdacht denn das Wort bdquoGottrdquo kommt im Neuen Tes-tament zwar 1327 Mal vor aber nur zwei Mal bezieht es sich erwiesenermaszligen auf Christus Dass schluumlssige Beweise fuumlr eine konsequente Anwendung des Wortes bdquoGottrdquo auf Jesus mangeln wird auch von manchen Trinitariern als prob-lematisch eingestuft Ein Gelehrter meint dazu

Jesus hat den Begriff bdquoGottrdquo nie verwendet wenn er von oder uumlber sich selbst redete Keines der synoptischen Evangelien (Matthaumlus Markus oder Lukas) schreibt Jesus ausdruumlcklich den Titel bdquoGottrdquo zu Keine Predigt in der Apostelgeschichte fuumlhrt den Titel bdquoGottrdquo auf Jesus zuruumlck Es gibt keine existierenden christlichen Bekennt-nise Jesu als bdquoGottrdquo vor den spaumlten 50er Jahren [des ersten Jahr-hunderts] und obwohl es siebzehn Texte gibt die als moumlgliche bdquoJe-sus-Gottrdquo-Passagen angesehen werden erscheinen nur vier von ihnen in den etwa fuumlnfzig neutestamentlichen Manuskripten des griechischen Neuen Testaments die vor dem vierten Jahrhundert entstanden sind Auch und vielleicht ist dies das groumlszligte Hindernis bei der Zuschreibung des Titels bdquoGottrdquo an Jesus unterscheiden sich die bestehenden neutestamentlichen Manuskripte in allen Passagen die moumlglicherweise oder ausdruumlcklich Jesus bdquoGottrdquo nen-nen1302

Uumlberdies wird festgestellt dass [der Titel] bdquoGottrdquo im Neuen Testament genauso oft fuumlr andere Personen verwendet wird einmal fuumlr Herodes (Apg 1222) und ein anderes Mal fuumlr Satan (2 Kor 44) Die gaumlngigen Lexika liefern diese Ver-wendungen des griechischen Wortes bdquotheosrdquo bdquoein Gott oder eine Goumlttin ein all-gemeiner Name von Gottheiten [Divinitaumlten] oder Goumlttern was auch immer in irgendeiner Hinsicht mit Gott verglichen werden kann oder ihm in irgendeiner Weise aumlhnelt [das Numinose] Gottes Vertreter oder Vizeregent Magistraten und Richterrdquo1303 Wenn wir auf das Alte Testament zuruumlckblicken stellen wir fest dass das hebraumlische Wort fuumlr bdquoGottrdquo (el oder elohim) gleicherweise fuumlr andere Menschen oder fuumlr Engel verwendet wird (Psalam 457-8 Psalam 821-6 2 Mose

genannt werden soll gibt es ein Problem entweder der Textkritik oder der Uumlbersetzungrdquo (William Bar-clay Jesus as They Saw Him (Grand Rapids Eerdmans 1978) p 21) Wir werden uns daher nur auf die weniger strittigen bdquotheosrdquo Texte konzentrieren Mehr zu den Textfragen rund um die anderen Passagen siehe Bart D Ehrmanrsquos The Orthodox Corruption of Scripture (Oxford OUP 1993)

1302 Brian J Wright ldquoJesus As Godrdquo Christian Research Journal Vol 31 No 4 (CRI 2008) unsere Hin-zufuumlgung (Jesus als Gott)

1303 ldquotheosrdquo Strongrsquos

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71) In Psalm 85 bezieht sich der hebraumlische Text auf Gott aber im Zitat eben-dieser Stelle im Neuen Testament wird das Griechische bdquoEngelrdquo (ἄγγελος) ver-wendet Ebenso wurde in der Septuaginta-Version von Hiob 2015 das hebraumli-sche Wort bdquoGottrdquo (el) von den juumldischen Schriftgelehrten sogar durch den grie-chischen Begriff bdquoEngelrdquo (ἄγγελος) ersetzt Da der Titel bdquoGottrdquo oft in den bibli-schen Dokumenten zu finden ist die kurzum sbquokoumlnigliche Personen mit goumlttlicher Befugnisrsquo beschreiben wie zB die Richter Israels (Johannes 1034) oder Engel (Psalm 85) uumlbersetzen viele populaumlre englische Ausgaben der Bibel sogar bdquoGottrdquo als bdquoRichterrdquo oder bdquoHerrscherrdquo1304

Die Identifizierung anderer Wesen die nicht Jahwe waren als bdquoGottrdquo stellte we-der fuumlr die alten Hebraumler noch fuumlr die neutestamentlichen Juden ein bdquotheologi-sches Problemrdquo dar Wie bereits erwaumlhnt wird das hier uumlbliche biblische Prinzip als bdquodas Gesetz der Handlungsvollmachtrdquo bezeichnetrdquo1305 Wenn Gott seinem Agenten Autoritaumlt uumlbertraumlgt kann dieser Agent selbst bdquoGottrdquo genannt werden und in seinem Namen bdquoals Gottrdquo sprechen und handeln Oftmals wurden Mose und die Richter Israels als Gott angesprochen bdquoUnd der HERR sprach zu Mose Siehe ich habe dich fuumlr den Pharao zum GOTT eingesetzt und dein Bruder Aaron soll dein Prophet seinrdquo (2 Mose 71) bdquoIch sagte Ihr seid GOumlTTER Soumlhne des Houmlchsten seid ihr alle rdquo (Psalm 826) In 2 Mose 228 wird auch von den menschlichen Richtern Israels auf diese Weise gesprochen das Hebraumlische bezieht sich auf diese Perso-nen als bdquoGottrdquo oder bdquoGoumltterrdquo Die amerikanische Amplified Bible macht es deut-lich bdquoDer Hausbesitzer wird vor Gott erscheinen die Richter als seine Agenten um heraus-zufinden ob er das Eigentum seines Nachbarn gestohlen hatrdquo

Tatsaumlchlich werden viele bdquoGoumltterrdquo in der Schrift erwaumlhnt obwohl es fuumlr die Na-tion Israel eindeutig nur einen wahren Gott gibt die anderen sind offensichtlich Goumltter im gegenstaumlndlichen abgeleiteten oder sekundaumlren Sinne Der Apostel Paulus definiert sogar welcher Gott der wahre Gott der neutestamentlichen Ge-meinschaft ist bdquoObwohl es solche gibt die Goumltter genannt werden es sei im Himmel oder auf Erden wie es ja viele Goumltter und viele Herren gibt so haben wir doch nur einen Gott den Vater von dem alle Dinge sindrdquo (1 Korinther 85-6) In der Tat wie Christus zuge-stimmt hat ist bdquoder Vaterrdquo bdquoder einzige wahre Gottrdquo (Johannes 171a3) Es ist dieser

1304 In 2 Mose 228-9 28 wird das Wort bdquoRichterrdquo zB in den Uumlbersetzungen von KJV NIV NASB

HCSB ISV und NET verwendet waumlhrend bdquoGottrdquo in der ASV ESV JPS ERV und WEB verwendet wird In den meisten deutschen Uumlberstezungen wird Gott oder Gottesurteil uumlbersetzt

1305 Auch hier definiert die Juumldische Enzyklopaumldie das hebraumlische Gesetz der Handlungsvollmacht auch bekannt als bdquoSheliahrdquo auf diese Weise bdquoDas Gesetz der Stellvertreterschaft beschaumlftigt sich mit dem Status einer Person (bekannt als der Vermittler Vertreter) die auf Anweisung eines anderen (des Auftraggebers) handelt Das allgemeine Prinzip wird so formuliert Der Vertreter einer Person ist wie er selbstrdquo (Lewis N Dembitz ldquoLaw of Agencyrdquo Jewish Encyclopedia (1906) p 232)

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groszlige Gott der bestimmte andere Personen die er direkt autorisiert oder inspi-riert hat selbst als bdquoGottrdquo bezeichnet Christus erklaumlrt das Prinzip

Jesus antwortete ihnen bdquoSteht nicht geschrieben in eurem Gesetz (Psalm 826) sbquoIch habe gesagt Ihr seid Goumltterrsquo Wenn jene bdquoGoumltterrdquo genannt werden zu denen das Wort Gottes geschah ndash und die Schrift kann doch nicht gebrochen werden ndash wie sagt ihr dann zu dem den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat sbquoDu laumlsterst Gottrsquo ndash weil ich sage sbquoIch bin Gottes Sohnrsquo rdquo (Johannes 1034-36)

Jesus als bdquoSohn Gottesrdquo oder gar als bdquoGottrdquo zu bezeichnen bedeutet nicht ihn als Jahwe zu identifizieren Sicherlich ist Christus der ranghoumlchste Vertreter Got-tes aber Jahwe - im strikten Sinne des Wortes ndash ist weder er [Jesus] noch Mose Dennoch bleibt die [trinitarische] Behauptung bestehen dass das Neue Testa-ment Jesus klar als den einen Gott identifiziert da er mit dem Begriff von bdquotheosrdquo beschrieben wird

Hebraumler 18 der den klassischen Psalm 456 auf Jesus anwendet ist ein wichtiges Zitat in diesem beliebten Argument bdquoAber von dem Sohn (Psalm 457-8) sbquoGott dein Thron waumlhrt von Ewigkeit zu Ewigkeit und das Zepter der Gerechtigkeit ist das Zepter deines Reichesrsquo rdquo (Hebraumler 18) Sicherlich identifiziert der Autor in diesem Abschnitt Jesus als bdquoGottrdquo Das Psalmlied das der Schreiber hier zitiert richtete sich jedoch offensichtlich an den damaligen menschlichen Koumlnig von Israel1306

Einem Koumlnig will ich es singen holdselig sind deine Lippen darum hat dich Gott gesegnet ewiglich Gott dein Thron bleibt immer und ewig das Zepter deines Reiches ist ein gerechtes Zepter Du liebst Gerechtigkeit darum hat dich Gott dein Gott gesalbt mit Freudenoumll wie keinen deiner Gefaumlhrten In deinem Schmuck gehen Toumlchter von Koumlnigen die Braut steht zu deiner Rechten in Gold-schmuck (aus Psalm 45)

Als Koumlnig von Israel repraumlsentierte dieser Mann bdquoGottrdquo er saszlig auf Gottes Sitz der Autoritaumlt uumlber die Nation (siehe 1 Chronik 2923) Natuumlrlich gilt dieses Mus-ter direkt fuumlr Jesus als den Messias den ultimativen Koumlnig Israels (Johannes 149) Es ist auch wichtig zu beachten dass der naumlchste Vers im ersten Kapitel des Heb-raumlerbriefs besagt dass der Sohn tatsaumlchlich selbst einen Gott hat Die Hymne war an einen menschlichen Koumlnig gerichtet bdquoDeshalb hat Gott dein Gott dich mit dem Oumll der Freude uumlber deine Gefaumlhrten gesalbtrdquo (Hebraumler 19) Dieser Bezug auf den eigenen Gott des Koumlnigs dient als hilfreicher Mechanismus um einen besseren Eindruck uumlber seinen erhabenen Status zu gewinnen Jesus als Koumlnig von Israel kann als

1306 See Nancy L DeClaisse-Walford ldquoPsalm 45rdquo Psalms for Preaching and Worship A Lectionary Commentary

(Grand Rapids Eerdmans 2009) p 156 See also Graham Cole The God Who Became Human A Biblical Theology of Incarnation (Downerrsquos Grove IVP 2013) p 84

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bdquogoumlttlichrdquo erkannt werden aber diese bdquoGoumlttlichkeitrdquo wird durch das Prisma der Subordination (der Unterordnung) breit ausgestrahlt und schlieszliglich als repraumlsen-tative Goumlttlichkeit auf seinen Gott zuruumlckgespiegelt

Der Autor des Hebraumlerbriefs argumentiert hier des Weiteren dass weil Jesus bdquodie Gerechtigkeit geliebt hatrdquo sein Gott ihn nun hoch erhoben und ihn sogar uumlber die heiligen Engel gesetzt hat (Hebraumler 14) Im naumlchsten Kapitel des Briefes wird zudem argumentiert dass Jesus jetzt noch groumlszligerer Herrlichkeit und Ehre wuumlrdig befunden wurde als Mose (Hebraumler 33) Das Argument waumlre voumlllig sinnlos ge-wesen haumltten sowohl der Verfasser als auch die uumlbrigen Christen damals ge-glaubt dass Jesus Jahwe sei Selbstverstaumlndlich war Gott groumlszliger als Mose Sicher-lich beabsichtigte der Autor nicht den Mann Jesus als bdquoGottrdquo zu identifizieren in dem Sinne wie Jahwe Gott ist Dennoch werden wir hier den umgebenden Kontext im Hebraumlerbrief eingehend untersuchen um unseren Standpunkt bib-lisch zu belegen

Vor dem Vers 8 lesen wir dass der Sohn

- in fruumlheren Zeiten nicht zu den Vaumltern sprach (11-2)

- den Engeln uumlberlegen sein musste was bedeutet dass er es vor-her nicht war (14)

- eine Erbschaft erworben hatte die er vorher nicht besaszlig (14)

- als ein Sohn Gottes (nicht als Gott selbst) betrachtet wird (15)

- von Gott bdquogezeugtrdquo (15)

- ein Abglanz Gottes (nicht Gott selbst) ist (13)

- Jetzt nach Vers 8 lesen wir dass der Sohn

- einen Gott hat (19)

- uumlber seinen Gefaumlhrten gesalbt worden ist (19) (Gott hat keine Gefaumlhrten und es besteht keine Notwendigkeit dass ihn jemand salbe)

- niedriger gemacht wurde als die Engel (29)

- nun mit Herrlichkeit und Ehre gekroumlnt wurde weil er gestorben [und auferstanden] ist (29) (er war und wurde nicht vorher ge-kroumlnt)

- der Pionier der Erloumlsung des Menschen ist (210) (dh der Erste der die Erloumlsung erhielt)

- die Menschen seine Bruumlder nennt (211) (Gott hat keine Bruumlder)

- sagt dass er sein Vertrauen auf Gott setzen wird (213)

- in jeder Beziehung wie seine Bruumlder gemacht wurde (217)

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- versucht wurde (218) (Gott kann nicht versucht werden)

- jetzt als wuumlrdig fuumlr mehr Herrlichkeit angesehen wird als Mose (33) (waumlre er Jahwe waumlren Ehre und Herrlichkeit selbstverstaumlndliche Attribute)

Wie kann man angesichts des unmittelbaren Kontexts aus dieser Stelle ableiten dass der Verfasser den allmaumlchtigen Jahwe beschreibt den monolithischen Schoumlpfer aller Dinge nicht einfach einen erhabenen Menschen Jesus wird weder vom Schreiber des Hebraumlerbriefes noch von einem anderen biblischen Autor ex-plizit Jahwe genannt und er wird als bdquoein Menschrdquo beschrieben (Apg 222 1 Tim 25 Joh 840) der mit goumlttlicher Autoritaumlt ausgestattet ist (Matt 2818) Je-sus kann also sicherlich als bdquoGottrdquo in dem Sinne betrachtet werden dass er ein hoher Wuumlrdentraumlger ein heiliger Prinz und ein maumlchtiger Herrscher ist der Gott repraumlsentiert Der Vater selbst hatte Jesus diesen erhabenen Status gegeben (Apg 236 Phil 29) und der Verfasser des Hebraumlerbriefes stellt klar dass er gerade wegen seines grandiosen Dienstes Gott gegenuumlber bdquojetzt mit Herrlichkeit und Ehre gekroumlntrdquo ist (Hebraumler 29) Jesus ist damit im biblischen Sinne des Wortes bdquoein Gottrdquo geworden

Letztendlich bleibt die Interpretation des bdquoGesetzes der Handlungsvollmachtrdquo die beste Wahl um die Sichtweise der neutestamentlichen Gemeinschaft auf Je-sus zu verstehen und gleichzeitig Konflikte mit dem Juumldischen Monotheismus zu vermeiden

InJesusGottbdquosehenldquoDer andere Fall in dem das Wort bdquotheosrdquo in Bezug auf Christus vorkommt ist der Ausruf von Thomas in Johannes 2028 bdquoThomas antwortete und sprach zu ihm sbquoMein Herr und mein Gottrsquordquo Trinitarier lehren dieser Vers zeige eindeutig den Glauben von Thomas dass Jesus tatsaumlchlich der eine wahre Gott sei Oberflaumlchlich gese-hen mag die Aussage fuumlr den modernen Leser und die Leserin ziemlich einleuch-tend erscheinen Es steht hier ja schwarz auf weiszlig geschrieben Wird jedoch ein Vers aus seinem Zusammenhang gerissen kann die beabsichtigte Bedeutung leicht verloren gehen

Betrachten wir zunaumlchst was sowohl das Alte als auch das Neue Testament uumlber das bdquoSehen Gottesrdquo sagen Jahwe sagt zu Mose bdquoMein Angesicht kannst du nicht sehen denn kein Mensch wird leben der mich siehtrdquo (2 Mose 3320) Das Johannesevangelium beginnt mit den Worten bdquoNiemand hat jemals Gott gesehenrdquo (Johannes 118a) Auch nach dem oumlffentlichen Dienst Christi und seinem Aufstieg in den Himmel haumllt Johannes die Erklaumlrung in seinen folgenden Briefen woumlrtlich aufrecht bdquoNiemand hat jemals Gott gesehenrdquo (1 Johannes 412) Paulus stimmt in diesem Punkt mit Jo-hannes voumlllig uumlberein und beschreibt Gott als einen bdquoder da wohnt in einem Licht zu

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dem niemand kommen kann den kein Mensch gesehen hat noch sehen kannrdquo (1 Timotheus 616) Wenn Gott wirklich bdquounsichtbarrdquo ist (Kol 115) wie kann dann Jesus sagen bdquoWer mich sieht der sieht den Vaterrdquo (Joh 149) Auch hier spielt das Gesetz der Handlungsvollmacht eine Rolle

Da Gott nicht gesehen werden kann und weil Gott die Bitte der Israeliten am Berg Horeb gehoumlrt hatte nur durch Vertreter zu ihnen zu sprechen (2 Mose 2019) hat Gott in Israel das Amt der Propheten eingefuumlhrt Als er diesen Pro-pheten seine Worte in den Mund legte machte er diese Menschen zu bdquoGottrdquo fuumlr die Gruppe zu der sie gesandt waren (2 Mose 71) Dies erlaumlutert den Rahmen fuumlr die Darstellung Jesu im Johannesevangelium Christus wird als houmlchster Ver-treter Gottes eingesetzt der den persoumlnlichen Willen Gottes erfuumlllt (Joh 434) sowie Gottes eigene Worte spricht (Johannes 828) und mehr Wie Marianne Meye Thompson bereits fuumlr uns bestaumltigt hat

Jesus wird im Evangelium [des Johannes] vor dem Hintergrund des juumldischen Handlungskonzepts und daruumlber hinaus vor dem Hinter-grund dass es einen Hauptagenten gibt durch den Gott handelt [den Messias] wenn man ihm gegenuumlbertritt konfrontiert man Gott weil Jesus der Hauptagent Gottes ist1307

Eines der Hauptthemen des Evangeliums ist daher die Uumlberzeugung dass man Gott bdquosiehtrdquo wenn man Jesus sieht oder ihm begegnet bdquoJesus aber rief Wer an mich glaubt der glaubt nicht an mich sondern an den der mich gesandt hat Und wer mich sieht der sieht den der mich gesandt hatrdquo (Johannes 1244-45) Wenn wir uns dem Gespraumlch zwischen Jesus und Thomas in Johannes 14 zuwenden finden wir dass Jesus den Glauben an zwei verschiedene Individuen vorschreibt

bdquoEuer Herz erschrecke nicht Glaubt an Gott und glaubt an mich Spricht zu ihm Thomas Herr wir wissen nicht wo du hingehst wie koumln-nen wir den Weg wissen Jesus spricht zu ihm Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben niemand kommt zum Vater denn durch mich Wenn ihr mich erkannt habt so werdet ihr auch meinen Vater er-kennen Und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehenrdquo (Johannes 1415-7)

Jesus zu sehen und zu kennen bedeutet den Vater zu sehen und zu kennen Das Sehen mit den Augen hier ist eine einfache Metapher fuumlr das Wahrnehmen oder Erkennen Gottes mit dem Geist Aber nach Jesu Belehrung von Thomas stellen wir fest dass Philippus damit anscheinend nicht einverstanden war Er wollte jetzt den Vater bdquosehenrdquo und er unterbricht das Gespraumlch

1307 Thompson Dictionary of Jesus and the Gospels p 377

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Spricht zu ihm Philippus bdquoHerr zeige uns den Vater und es genuumlgt unsrdquo Jesus spricht zu ihm bdquoSo lange bin ich bei euch und du kennst mich nicht Philippus Wer mich sieht der sieht den Vater Wie sprichst du dann Zeige uns den Vaterrdquo (Johannes 146-9)

Und noch einmal erklaumlrt es Jesus ganz genau

Glaubst du nicht dass ich im Vater bin und der Vater in mir Die Worte die ich zu euch rede die rede ich nicht aus mir selbst Der Vater aber der in mir bleibt der tut seine Werke Glaubt mir dass ich im Vater bin und der Vater in mir wenn nicht so glaubt doch um der Werke willen (Johan-nes 1410-11)

Jesu Wunsch dass seine Juumlnger in ihm Gott erkennen ist klar Der Beweis fuumlr Gott sind seine Worte und Werke Es ist nicht moumlglich Gottes Unendlichkeit mit physischen Augen zu erfassen - wenn die Juumlnger wissen wollten wie Gott ist haumltten sie nicht weiter suchen muumlssen als Jesus Jetzt in Johannes 2025 nach der Grablegung und Auferstehung Christi laufen die Juumlnger zu Thomas und sagen zu ihm bdquoWir haben den Herrn gesehenrdquo Thomas aber sprach zu ihnen bdquoWenn ich nicht hellip sehe kann ichs nicht glaubenrdquo Dann erscheint Jesus dem Thomas und sagt zu ihm

bdquoReiche deinen Finger her und sieh meine Haumlnde und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite und sei nicht unglaumlubig sondern glaumlubigrdquo Thomas antwortete und sprach zu ihm bdquoMein Herr und mein Gottrdquo (Jo-hannes 2027-28)

Es war nicht das erste Mal dass Jesus Thomas aufforderte zu glauben Jesus hatte ihn schon fruumlher gelehrt bdquoWer an mich glaubt der glaubt nicht an mich sondern an den der mich gesandt hatrdquo (Johannes 1244) Durch das kraftvolle Zeugnis der Auferste-hung konnte Thomas nun bdquosehenrdquo was er zuvor verpasst hatte ndash beide seinen Herrn Jesus als auch seinen Gott

Die Stelle in Johannes 2028 ist weit davon entfernt ein trinitarischer Meistertext zu sein sondern sie bestaumltigt einfach die fruumlhere Lehre Christi von Johannes 14 Thomas meinte bdquomein Herrrdquo um sich auf Jesus zu beziehen der vor ihm stand und bdquomein Gottrdquo um sich auf den Vater zu beziehen der in ihm taumltig war Es gibt zwar eine trinitarische Meinung die uumlber Thomas Aussage aber nicht sicher ist jedoch unsere Interpretation bestaumltigt

Mit dieser Auslegung behaupte ich nicht dass Thomas auf einmal vom begruumlndeten Zweifel zum houmlchsten Grad des Glaubens uumlber-gegangen ist und dass er Christus ploumltzlich als den wahren Gott

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anerkannt hat Das erscheint mir zu viel fuumlr den damaligen Wis-sensstand der Juumlnger wir haben keine Ahnung ob sie die goumlttliche Natur Christi vor der Ausgieszligung des Heiligen Geistes erkannt ha-ben Ich bin daher geneigt diesen Ausdruck zu verstehen der vom erstaunten Thomas ausging und zwar im uumlbertragenen Sinne in-dem er sagte bdquoDerjenige den ich jemals in houmlchstem Maszlige vereh-ren werderdquo Wenn er sich nur an die Worte erinnert die er zehn Tage zuvor aus dem Mund Jesu gehoumlrt hatte (Kapitel 149-10) dann koumlnnte diese Erinnerung den Ausruf veranlasst haben den wahrscheinlich Thomas selbst nicht haumltte voumlllig erklaumlren koumlnnen wie es oft bei solchen spontanen Aumluszligerungen der Fall ist Worte die uns entweichen wenn wir unter dem Eindruck einer uumlberwaumllti-genden Uumlberraschung stehen Aber der Ausdruck koumlnnte doch gleichbedeutend sein mit dem Sprechen bdquoDu Mein Herr Gott ist am innigsten vereint mit dir und er ist in dir - in dir sehe ich Gott als waumlre er vor mir gegenwaumlrtigrdquo Oder man kann einen von den Toten auferstandenen Menschen als bdquogoumlttlichldquo betrachten das Wort sbquoGottrsquo wird ja nicht immer im streng dogmatischen Sinne ver-wendet1308

ChristusderHerrJesus wird im Neuen Testament oft als bdquoHerrrdquo bezeichnet In den Koumlpfen vieler moderner Christen ist das Wort bdquoHerrldquo zu einer Art Eigenname fuumlr den Gott der Bibel geworden Fast zwangslaumlufig denkt man nun dass wenn fuumlr Gott und Jesus der gleiche Ehrentitel verwendet wird dies tatsaumlchlich auf ein und dasselbe Wesen hindeute Dennoch ist bdquoHerrldquo streng genommen lediglich ein Titel aumlhnlich wie bdquoKoumlnigrdquo bdquoMeisterrdquo oder bdquoKapitaumlnrdquo Wie die Gelehrten bemerkt haben wurde dieser Titel und das Neue Testament bestaumltigt dies Jesus fuumlr seinen groszligen Ver-dienst verliehen Petrus erklaumlrt bdquoKlar und deutlich erkenne also das ganze Haus Israel dass Gott ihn zum Herrn und zum Gesalbten gemacht hat diesen Jesus den ihr gekreuzigt habtrdquo (Apg 236) Und gemaumlszlig Paulus erhielt Christus diesen Status insbesondere weil er sich freiwillig gedemuumltigt und bis zum Tod gehorsam geblieben war - so-gar bis zum Tod am Kreuz Aber bdquo hellip Gott hat ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen verliehen der uumlber alle Namen istrdquo (Phil 28-9)

Interessanterweise finden wir wie sich das Neue Testament unter diesem Titel sowohl auf Gott als auch auf Christus beziehen kann Schlachter uumlbersetzt richtig bdquo hellip welche die Gnade unseres Gottes in Zuumlgellosigkeit verkehren und Gott den einzigen Herrscher und unseren Herrn Jesus Christus verleugnenrdquo (Judas 14) Offensichtlich ist

1308 J D Michaelis Notiz zu Joh 2028 zitiert von J P Smith in Script Test Vol 2 pp 68-39

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bdquoHerrldquo nicht ein Eigenname sondern ein Ehrentitel Wir sollten uns daran erin-nern dass Jesus in Markus 1229 kurz und buumlndig erklaumlrte bdquoJahwe unser Gott ist ein einziger Herrrdquo Wenn wir also der Aussage Jesu glauben dass Jahwe ein Herr ist dann sollten wir wenn wir in einem Abschnitt des Neuen Testaments zwei Herren begegnen wohl zustimmen dass nur einer von den beiden Jahwe sein kann

Dennoch werden viele Leser immer noch durch die Benennung des bdquoHerrnrdquo Gott und des bdquoHerrnrdquo Messias [Jesus Christus] verwirrt Das Verstaumlndnis wird leider oft dadurch erschwert dass viele christliche Mainstream-Uumlbersetzungsko-mitees eine merkwuumlrdige juumldische Tradition aufrechterhalten Gottes persoumlnli-chen Namen bdquoJahwehrdquo (manchmal uumlbersetzt mit bdquoJehovardquo) in gedruckten Texten zu verdecken Seit etwa dem zweiten Jahrhundert n Chr vermeiden es die Juden das Tetragrammaton (die vier Buchstaben JHWH) laut auszusprechen und oft sogar zu schreiben aus Angst den heiligen Namen Gottes zu missbrauchen (2 Mose 207) Bis heute rezitieren glaumlubige Juden die Schrift und ersetzen Jahwe unter anderem durch das Wort bdquoHerrldquo (Adonai) Viele englische Ausgaben der christ-lichen Bibel folgen weiterhin dieser Methode und ersetzen Gottes Namen im Text durch den Begriff bdquoHERRNrdquo alles in Groszligbuchstaben geschrieben1309 Diese gaumlngige Praxis hat wahrscheinlich zur Vorstellung beigetragen dass Chris-tus aufgrund seiner Ernennung durch Gott zum bdquoHerrnrdquo im Neuen Testament (Apg 236) als der bdquoHERRldquo des Alten Testaments zu identifizieren ist Hinzu kommt dass sie bei den juumldischen Uumlbersetzungen des Alten Testaments des Heb-raumlischen ins Griechische (zB LXX) an ihrer zuruumlckhaltenden Tradition der Aus-sprache festgehalten haben und fuumlr jeden Fall des bdquoTetragrammsldquo (JHWH) das griechische Wort bdquokyriosrdquo hineinschrieben was bdquoHerr Meisterrdquo bedeutet1310 Die

1309 David Moses und andere biblische Autoren scheinen keine Bedenken gehabt zu haben wenn es um

das Schreiben und Aumluszligern des persoumlnlichen Namens Gottes geht Schlieszliglich scheint es sich um einen von Gott selbst stark propagierten Namen zu handeln dass er ihn benutzte Gott sprach auch zu Mose bdquoSag zu den Israeliten sbquoJahwe der Gott deiner Vaumlter der Gott Abrahams der Gott Isaaks und der Gott Jakobs hat mich zu dir geschicktrsquo Das ist mein Name fuumlr immer der Name den du mich von Generation zu Generation nennen wirstrdquo (2 Mose 315) Viele christliche Uumlbersetzungen haben die Verdunkelungspraxis umgekehrt und drucken nun eine Form des Namens im Text des Alten Testaments zB die Holman (2002) das Emphatic Di-aglott (1864) die ERV (1885) das NEB (1961) das NWT (1984) das Darby (1890) das WEB (2000) Versionen und andere Die Schlachter 2000 Bibel hat folgende Fussnote zu V 14 bdquoDer hebraumlische Name des Gottes Israels (in dieser Uumlbersetzung mit Herr wiedergegeben wahrscheinlich lautete er raquoJahwehlaquo) beruht auf dem hebr Wort hawa = seinexistieren von daher die Wen-dung sbquoIch bin der ich binrsquordquo

1310 Beweise deuten auf die fruumlhesten Versionen der LXX hin die den goumlttlichen Namen beibehalten Spaumltere Manuskripte die wir in unserem Besitz haben nahmen die Praxis der sbquoVerdunkelungrsquo auf Ein einziges Woumlrterbuch zeigt das bdquoJuumlngste textliche Entdeckungen haben die Idee in Frage gestellt dass die Uumlbersetzer der LXX das Tetragrammaton JHWH mit kyrios uumlbersetzt haben Die aumlltesten LXX MSS (Fragmente) die uns jetzt zur Verfuumlgung stehen haben das Tetragrammaton in Hebraumlischen Buchstaben im griechischen Text geschrieben Dieser Brauch wurde von spaumlteren juumldischen Uumlbersetzern des AT in den ersten Jahrhunderten n Chr beibehaltenrdquo (The New International Dictionary of New Testament Theology Vol 2 (1984) p 512)

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griechischen Texte des Neuen Testaments folgten dieser Praxis Die Auswirkun-gen im Neuen Testament ist es manchmal schwierig schluumlssig zu erkennen ob eine Erwaumlhnung des bdquoHerrnrdquo (kyrios) ein Ersatz fuumlr den Namen Gottes bedeutet oder ob es im typischen Sinne einfach als Ehrentitel fuumlr eine Respektsperson ein-gesetzt wird Der trinitarische Bestsellerautor Don Stewart glaubt persoumlnlich dass die Anwendung von bdquoHerrrdquo (kyrios) auf Jesus im Neuen Testament wahrscheinlich ein Hinweis auf seine Divinitaumlt sein koumlnnte raumlumt aber ein dass der Gebrauch nicht zwingend als Hinweis auf die Gottheit ausgelegt werden muss sondern dass der Begriff tatsaumlchlich ein gebraumluchlicher Beiname oder ein Titel fuumlr jemanden sein konnte die nicht unbedingt Gott war

Die Tatsache dass Jesus als sbquoHerrrsquo angesprochen wird bedeutet auch nicht unbedingt dass Menschen seine Goumlttlichkeit anerkannt haben Das griechische Wort fuumlr Herr kyrios kann fuumlr Gottes Na-men verwendet werden ndash Jahwe oder Jehova Kyrios kann aber auch lediglich die Houmlflichkeitsform sein jemanden anzusprechen Zum Beispiel gibt es neben Jesus Menschen die im Neuen Testament als kyrios betitelt werden Manchmal ist kyrios wirklich eine Houmlf-lichkeitsformel [lat honorificum] doch oftmals ist es tatsaumlchlich die Uumlbersetzung des goumlttlichen Namens fuumlr Gott Der Kontext muss bestimmen was gemeint ist1311

Wir fragen uns dann welche Art von bdquoHerrrdquo die Bibel Jesus wirklich beabsichtigt zu bezeichnen Ist er eine menschliche Respektsperson oder handelt es sich um Gott selbst Als Jesus den Ehrentitel zugesprochen erhielt [von Gott] was hat er selbst dazu gemeint

Es gibt einen Vers im Alten Testament auf den sich das Neue Testament des Oumlfteren bezieht und der die genaue Natur dieses Titels offenbart wie er auf Christus angewendet wird Psalm 1101 Dieser Abschnitt ist der am haumlufigsten zitierte alttestamentliche Vers im Neuen Testament entweder von Jesus oder sei-nen Juumlngern sage und schreibe mindestens 23 Mal In Psalm 110 hatte Koumlnig David die Rolle des Propheten uumlbernommen und prophezeite uumlber die Interak-tion zwischen Gott und dem zukuumlnftigen Messias

Der HERR sprach zu meinem Herrn bdquoSetze dich zu meiner Rechten bis ich deine Feinde zum Schemel unter deine Fuumlsse legerdquo Psalm 1101 zitiert von Jesus bei Markus 1237 (Luther 2017)

1311 Don Stewart ldquoWhy Was Jesus Called Lordrdquo The Blue Letter Bible Web 5 May 2013

lthttpwwwblueletterbibleorgfaqdon_stewartstewartcfmID=787gt (Warum wurde Jesus Herr ge-nannt)

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Allgemein wird angenommen David beschreibt den Messias als seinen bdquoHerrnrdquo die Frage ist in welchem Sinne1312 Einige Trinitarier haben mehrfach versucht diesen Vers in einen Beweis der Dreifaltigkeit umzuwandeln und geben vor hier zwei [ebenbuumlrtige] bdquoHerrenrdquo auszumachen einander gleichgestellt waumlren beide Jahwe Im Wesentlichen wird deshalb behauptet der Text laute bdquoAdonai sagte zu Adonairdquo oder bdquoJahwe sagte zu Jahwerdquo Aber laumlsst sich diese These aufrecht-erhalten Zeigt der Vers wirklich dass es zwei gibt die den Namen Jahwe tragen

Eine einfache Untersuchung der Worte wird sofort beweisen dass die beiden Herren in Psalm 1101 nicht gleich sind [Viele deutsche Uumlbersetzungen geben das erste mit HERR und das zweite mit Herr wieder Anm des Uuml] Der zweite Herr hier ist derjenige von dem Jesus in Markus 1237 ausgeht prophetisch damit ge-meint zu sein Der hebraumlische Begriff lautet hier eindeutig bdquoadonirdquo Der fuumlr Gott gebraumluchliche Name hingegen lautet bdquoadonairdquo Der minime Unterschied der Wor-tendungen (-ai versus -i) ist allerdings houmlchst signifikant In der hebraumlischen Bibel wird adoni 195 Mal verwendet und umschreibt jeweils wohl immer eine Person in vorgesetzter Stellung aber ohne Gottheitsanspruch Beispiele sind der Koumlnig Da-vid der Erzvater Abraham und verschiedene Engelswesen bdquoadonirdquo wird nie fuumlr Gott verwendet1313 Gewisse populaumlre Uumlbersetzungen (wie NGUuml GNB NLB und NeUuml) die meist von Trinitariern publiziert werden stellen die beide Worte bdquoadonairdquo und bdquoadonirdquo in Psalm 1101 absichtlich [gleichlautend] mit bdquoHerrrdquo dar Dies sieht dann so aus als ob [ein] Gott zu [einem] Gott spricht Die aumllteren Uumlbersetzungen hingegen geben den Vers in dieser Fassung wieder bdquoDer HERR sprach zu meinem Herrnrdquo (LUT ELB HFA SLT ZB und Menge

Sara nannte ihren Mann bdquoHerrldquo

Sara lachte in ihrem Innern und sagte Nachdem ich alt geworden bin sollte ich noch Liebeslust haben Und auch mein Herr (adon) ist ja alt (in 1Mose 1812)

1312 Obwohl der Messias der Nachkomme Davids und in der patriarchalischen hebraumlischen Gesellschaft

nicht groumlszliger als sein Vater ist wendet sich Jesus an Davids Vision ndash wohl als Beweis dafuumlr dass er mit mehr Respekt und Autoritaumlt als sein beruumlhmtester Vorfahre ausgestattet werden sollte bdquoWaumlhrend nun die Pharisaumler versammelt waren stellte Jesus ihnen eine Frage Was haltet ihr von dem ChristusMessias wessen Sohn ist er Sie sprachen zu ihm Der Sohn Davids Er sprach zu ihnen sbquoWie nennt ihn David im Geiste Herr und sprach Der Herr sprach zu meinem Herrn Setz dich zu meiner Rechten bis ich deine Feinde unter deine Fuumlszlige lege Wenn David ihn dann Herr nennt wie ist er dann sein Sohn Niemand konnte ihm ein Wort antworten und auch niemand wagte es von diesem Tag an ihm eine andere Frage zu stellenrdquo (Matthaumlus 2241-46 ebenfalls berichtet in Markus 1237 Lukas 2044) Siehe auch unsere Fuszlignote Nr 1309 in diesem Buch

1313 Anthony F Buzzard The One God the Father One Man Messiah Translation (McDonough Restoration Fellowship 2015) S 145 bdquo sbquoHerrrsquo im Alten Testament wird verwendet um Adonai zu uumlbersetzen wenn er sich auf das Goumlttliche Wesen bezieht Das hebraumlische Wort hat ein Suffix [eine Endung mit einem Vokal] vermutlich um zwischen goumlttlicher und menschlicher Bezeichnung zu unterscheidenrdquo (ldquoLordrdquo Hastingssbquo Dictionary of the Bible Vol 3 p 137)

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Eliezer nannte Abraham zwei Mal seinen bdquoHerrnrdquo

Jahwe Gott meines Herrn (adoni) Abraham lass es mir doch heute begeg-nen und erweise Gnade an meinem Herrn (adoni) Abraham (in 1 Mose 2412)

Abigail nannte David ihren bdquoHerrnldquo und kniete zu seinen Fuumlszligen nieder

Sie fiel ihm zu Fuumlszligen und sagte Auf mich allein mein Herr (adoni) falle die Schuld Lass doch deine Magd reden vor deinen Ohren und houmlre die Worte deiner Magd (in 1 Samuel 2524)

Josua nannte Mose seinen bdquoHerrnldquo

Und Josua der Sohn des Nun der schon von seiner Jugend an der Diener des Mose gewesen war antwortete Mein Herr (adoni) Mose halte sie zu-ruumlck (in 4 Mose 1128)

Es sei hier um der Klarheit willen nochmals wiederholt Die gemeinsame Wort-wurzel ist adon die Endung adonai wird angewendet wenn das Wort fuumlr oder im Zusammenhang mit Gott verwendet wird und die Endung adoni wird angewen-det wenn es fuumlr Menschen oder gelegentlich fuumlr Engel in Autoritaumltspositionen verwendet wird1314 Frederick Bruner obwohl ein engagierter Trinitarier erkennt dies an

bdquoDer Herr sagte zu meinem Herrnrdquo bedeutete bdquoGott sagte zu mei-nem Koumlnigrdquo Im Hebraumlischen heiszligt der Satz bdquoJahwe sagte zu Adonirdquo Adoni bedeutet bdquomein Meisterrdquo oder bdquomein Herrrdquo Der fromme Jude wuumlrde diesen Satz lesen indem er bdquoJHWHrdquo (Jahwe) bedeckte und stattdessen sagte bdquoAdonai sagte zu Adonirdquo Adonai (im Unterschied zu Adoni) bedeutet Jahwe der Gott der Israel of-fenbart wurde Die griechische Uumlbersetzung (LXX) des hebraumli-schen Textes schrieb hier einfach bdquoDer Kyrios sagte zu meinen Kyriosrdquo mit demselben Wort fuumlr beide hebraumlischen Begriffe [Aber] der zweitgenannte offenbar menschliche bdquoHerrrdquo im zweiten

1314 Das hebraumlische Lexikon von BDB macht den klaren Unterschied dass Adoni sich konsequent auf

Fuumlrsten bezieht die nicht der allmaumlchtige Gott sind bdquoein Hinweis auf die Menschen Mein Herr mein Meister (adoni) (a) Meister Bsp 215 (Buumlndniscode) 1 Mose 2412+ 445 (J 20t) 1 Sam 301315 2 Koumlnige 532022 615 (b) Mann 1 Mose 1812 (J) (c) Prophet 1 Koumlnige 18713 2 Koumlnige 219 41628 65 85 d) Prinz 1 Mose 4210 (E) 1 Mose 2361115 (P) 1 Mose 4320 4418 4718 + (J 12t) Richter 418 (e) Koumlnig 1 Sam 2212+ (SampK 75t) (f) Vater 1 Mose 315 (E) (g) 2 Mose 3222 4 Mose 1128 1211 3226-27 (J) 4 Mose 362 (2x) (P) (h) Priester 1 Sam 11526 (2x) (i) the-ophanischer Engel [ein Engel der Gott darstellt] Josua 514 Richter 613 (j) Hauptmann 2 Sam 1111 (k) allgemeine Anerkennung der Uumlberlegenheit 1 Mose 2418 325 338 447 (J 13t) Ruth 213 1 Sam 2524+ (15t)rdquo

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Substantiv des Psalms unterscheidet sich von der Divinitaumlt des ers-ten bdquoHERRNrdquo wie die strenge Exegese nahelegtrdquo1315

In diesem Zusammenhang ist es ratsam sich mit der bdquostrengen Exegeserdquo zu be-fassen Wenn der Wortlaut des zweiten Herrn eine sbquoNichtgottheitsbquo bezeichnet und Jesus selbst beteuerte persoumlnlich dieser Herr zu sein waumlre dann eine andere In-terpretation moumlglicherweise eisegetisch [Eisegese bezeichnet eine Textauslegung bei der etwas in den Text hineininterpretiert wird das entweder gar nicht darin steht oder nicht gemeint ist Im Deutschen spricht man auch vom bdquoHineinlesenrdquo bdquoHineindeutenrdquo oder bdquoHineininterpretierenrdquo Anm des Uuml] Im Lichte dieser Le-sung stellte sogar Jean Calvin die Frage bdquoHaumltte Gott nicht jemanden der mensch-lichen Rasse als Erloumlser auferwecken koumlnnen um gleichzeitig Davids Herr und Sohn zu seinrdquo1316 Wir muumlssen unter dem Druck der Schrift ausdruumlcklich mit bdquoJardquo antworten Natuumlrlich liefern Calvin und andere Ausleger die sich dem Interpre-tationsrahmen des Konzils von Chalcedon so bdquovorbehaltlos verpflichtetrdquo fuumlhlten die uumlbliche orthodoxe Antwortrdquo1317 bdquoNeinrdquo protestieren sie bdquoer [Jesus] muss mehr als das gewesen sein sogar Gott selbst obwohl der Text dies nicht aus-druumlcklich sagtrdquo Die Auswirkungen des biblischen Urtextes auf die traditionelle Doktrin werden als bedrohlich empfunden Anthony Buzzard der die Bedeutung einer korrekten Lesung des Psalms 1101 erkennt beschreibt den Abschnitt auf diese Weise

1315 Frederick Dale Bruner The Churchbook Matthew 13-28 (Grand Rapids Eerdmans 1990) p 423 (Das

Kirchenbuch Mt 13-28) 1316 Calvin 343 wie von Emil Brunner zitiert In Matthaumlus 2242ff Jesu Frage bdquoWas denkt ihr uumlber den

Messias Wessen Sohn ist errdquo scheint eine Umformulierung seiner fruumlheren Frage an seine Juumlnger zu sein bdquoWer ist eurer Meinung nach der Menschensohnrdquo (Mt 1613ff) In Matthaumlus 2242 befasst sich Jesus mit seinem sbquoPrimatsbquo als Gottes erwaumlhltem Vertreter Er stellt fest dass Gott einen Mann erweckt hat der gleichzeitig Davids Sohn und sein Herr ist Er stellt klar dass der davidische Messias nicht einfach ein anderer Prinz in einer langen Reihe von Koumlnigen war - ansonsten waumlre sein Vorfahre David [sta-tusmaumlszligig] groumlszliger als er angesehen worden Der Messias sollte auch der adamitische MeisterRegent der Erde sein der Sohn Gottes (siehe Lukas 338 1 Mose 315 Psalm 8 6 Roumlmer 413) Jesu Taktik bestand darin den davidischen Messias von Psalm 1101 mit dem eschatologischen adamischen Herrscher (Sohn des MenschenAdam) von Daniel 7 zu verbinden wie in Matthaumlus 2664 zu sehen ist In Matthaumlus 2242ff scheint er sich sogar auf eine aumlhnliche Polemik einzulassen Er macht sich zum bdquoSohn Davidsrdquo und zum Erben Davids uumlber Israel sowie zum bdquoSohn Gottesrdquo und zum Erben Adams uumlber die Erde Somit ist der Messias Davids Sohn aber er ist auch David rangmaumlszligig uumlbergeordnet Dass Jesus mit dieser Frage nicht impliziert irgendwie der einzig wahre Gott zu sein liegt auf der Hand Im Evangelium des Markus stellt Jesus fest dass bdquoJahwe unser Gottrdquo nur bdquoein Herrrdquo ist (Mk 1229) und zitiert dann sofort Psalm 1101 in dem es zwei Herren gibt bevor er seine Fragen zur Identitaumlt des Messias stellt Wenn Gott nur ein Herr ist was ist dann mit dem anderen Herrn in Psalm 1101 Er ist eine menschliche Figur (Adoni) die von Gott sogar uumlber seinen eigenen Vorfahren den groszligen Koumlnig David erhoumlht wurde

1317 bdquoWir haben uns hoffnungslos der chalcedonischen Formulierung verschriebenrdquo (Geivett Phillips Okholm McGrath Pinnock Hick Phillips Four Views on Salvation in a Pluralistic World p 74) (Vier Ansichten zur Errettung in einer pluralistischen Welt)

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Psalm 1101 ist der wichtigste Beweistext der Bibel um den Unter-schied zwischen dem Einen Gott und dem Messias [der Gesalbte der Christus] der nicht Gott ist zu erklaumlren Den Messias Adonai zu nennen fuumlhrt bdquozwei Goumltterrdquo in die Bibel ein und kaumlme dem Po-lytheismus gleich Psalm 1101 sollte uns alle davor bewahren an-zunehmen dass es zwei gibt die Gott sind Tatsaumlchlich ist der Mes-sias der ranghoumlchste Mensch und Vertreter des Einen Gottes Psalm 1101 ist der Haupttext der Bibel um den Sohn Gottes in der Beziehung zu dem Einen Gott seinen Vater klar zu definie-ren1318

Angesichts dieser fuumlr Trinitarier bedrohlichen Beweise haben einige versucht den Folgerungen des Psalms 1101 auszuweichen indem sie auf die unfundierte Spe-kulation zuruumlckgreifen dass die urspruumlnglichen hebraumlischen Texte im siebten Jahrhundert n Chr von den Masoreten geaumlndert worden sein koumlnnten da sie den konsonanten Text des Hebraumlischen mit dem so genannten Nikkud oder dem Vo-kalpunkt geschmuumlckt haben um die Aussprache zu konservieren Ohne Beweise vorzulegen wurde nun behauptet dass diese Juden den Text absichtlich forciert haben um darauf hinzuweisen dass der Messias ein bdquoadonirdquo also ein Wuumlrdentrauml-ger ohne Gottheitsanspruch war Sie wollten damit die christliche Vorstellung von der Divinitaumlt Christi kontern Das trinitarische Argument beinhaltet im Wesent-lichen dass weil die beiden bdquoHerrenrdquo ohne die bdquoVokal-Punktierungrdquo schriftlich gleich aussehen die urspruumlngliche Aussprache von Psalm 1101 bdquoJahwe sagt zu meinem Jahwerdquo oder bdquoJahwe sagt zu Adonairdquo lautete bevor die Manuskripte ma-nipuliert worden seien Aber dieser Vorschlag ist abzulehnen da er nichts anderes als eine Verschwoumlrungstheorie ist Die Behauptung einer Intrige der Schriftge-lehrten wuumlrde gar nicht erst aufkommen waumlre der Vers selbst nicht so destabili-sierend Wie wir feststellen koumlnnen gibt es keine Hinweise auf eine boumlswillige Veraumlnderung des Textes [durch die Masoreten oder irgendwen]

Die Septuaginta (LXX) die ins Griechische uumlbersetzte Hebraumlische Heilige Schrift die von juumldischen Weisen um 250 v Chr geschrieben wurde dh lange vor der Entwicklung der masoretischen Zeichen unterscheidet sehr wohl zwi-schen dem ersten und zweiten Herrn des Psalms 1101 Der erste Herr wird als bdquoho kyriosrdquo (der Herr) und der zweite als bdquoto kyrio mourdquo (zu meinem Herrn) uumlber-setzt Letzteres ist die foumlrmliche Floskel mit der in der LXX Persoumlnlichkeiten von houmlherem Rang auszligerhalb der Gottheit uumlblicherweise angesprochen wur-den1319 Wenn der zweite Herr eigentlich Jahwe bedeutet haben sollte bevor die

1318 Anthony F Buzzard ldquoAdonai and Adonirdquo Focus on the Kingdom Web 10 September 2014

lthttpwwwfocusonthekingdomorgarticlesadonaihtmgt 1319 In der LXX wird das hebraumlische ldquoadonirdquo in 1 Mose 2414363944 32519 1 Sam 247 252630 2

Sam 1828 1929 1 Koumlnige 1813 2 Koumlnige 1823 1 Chron 213 Jes 368 und mehr uumlbersetzt Es

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Masoreten das Manuskript angeblich verdorben haben bliebe rudimentaumlr der textlich anomale Satz bdquozu meinem Jahwerdquo Im Hebraumlischen gibt es keinen Fall dass der goumlttliche Name durch das schwache Praumlfix (bdquozu meinemrdquo) eingeleitet wird Wie Wissenschaftler gezeigt haben

Die Form bdquozu meinem Herrnrdquo wird im Alten Testament anderswo nie als goumlttliche Referenz verwendet [Diese Beobachtung] ver-leiht der allgemein anerkannten Tatsache dass die masoretischen Zeichen eine Unterscheidung zwischen goumlttlichen Beziehungen (adonai) von menschlichen Beziehungen (adoni) ermoumlglichen weite-ren Glauben1320

Auch im Griechischen wird die Form bdquoto kyrio mourdquo nie fuumlr Gott verwendet Diese Form bezeichnet immer einen menschlichen Obersten Beachten Sie die atembe-raubende Parallele zwischen Psalm 1101 und 1 Samuel 2530 die lautet bdquowenn Jahweh [kurios] meinem Herrn [kyrio mouladoni] nach all dem Guten das er uumlber dich gesagt hat tut rdquo Dieser zweite Herr ist der Menschenfuumlrst David So kom-men die Gelehrten in Psalm 1101 zum Schluss dass bdquoder Satz sbquoan meinen Herrnrsquo offenbar darauf hinweist dass David diese Aussage von Jahwe an einen mensch-lichen Gebieter gerichtet hatrdquo1321

All dies veranlasste offensichtlich die Trinitarier die unhaltbare Theorie voran-zutreiben dass die Masoreten im 7 Jahrhundert n Chr die Bedeutung des Textes

gibt drei seltene Ausnahmen in denen bdquokurio mourdquo (mein Herr) verwendet wird um sich in der LXX auf Gott zu beziehen In diesen Beispielen wird jedoch nur eine Person mit Doppeltiteln angesprochen In der griechischen Uumlbersetzung von 2 Mose 349 werden sowohl bdquoKyriosrdquo als auch bdquoKyrios mourdquo verwendet um das gleiche Thema zu beschreiben es ist eine Moumlglichkeit einen zweiten uumlberfluumlssigen Bezug zum gleichen Herrn zu formulieren In Psalm 162 wird bdquokurios mourdquo als zweiter Titel fuumlr bdquoJahwerdquo verwendet und in Psalm 3523 wird bdquokurios mourdquo auch als zweiter Titel verwendet - er ist bdquomein Gottrdquo und bdquomein Herrrdquo (kurios mou) In jedem dieser ungewoumlhnlichen Faumllle gibt es keinen zweiten kon-trastierenden Herrn Wir sollten Aumlpfel nicht mit Birnen vergleichen Diese Ausnahmen beziehen sich nur auf ein Thema waumlhrend Psalm 1101 beinhaltet dass Gott zu einem anderen Herrn spricht In der hebraumlischen Bibel wenn Jahwe neben einem anderen Fuumlrsten vorgestellt wird ist der zweite Fuumlrst immer die Nicht-Gottheit bdquoadonirdquo (siehe 1 Sam 2530 2 Sam 48 1 Mose 2427) So wird in der LXX bdquokurios mourdquo fuumlr jeden anderen Herrn verwendet der in der Beziehung zu Gott erscheint Es ist wahr dass Griechisch nur ein Wort fuumlr Herrn und Fuumlrst hat bdquoKyriosrdquo aber das aumlndert nichts daran dass die be-sondere Form in Psalm 1101 bdquoto kyrios mourdquo (zu meinem Herrn) nie als Bezugnahme auf Gott im LXX verwendet wird noch daran dass in den 6828 Faumlllen von Jahweh im Griechischen keiner von ihnen bdquokurios mourdquo uumlbersetzt wird Dieser Satz ist niemals ein Ersatz fuumlr den goumlttlichen Namen Auszligerdem wird Jahwe in der hebraumlischen Bibel nie bdquoadonirdquo genannt und bdquoladonirdquo (zu meinem Herrn) wird nie als goumlttliche Referenz verwendet Siehe auch Hermann Cremer Biblico-Theological Lexicon of New Testament Greek (Edinburgh T amp T Clark 1878) pp 382-384

1320 Herbert W Bateman ldquoPsalm 1101 and the New Testamentrdquo Bibliotheca Sacra Vol 149 (Dallas DTS 1992) p 448 See also G V Wigram The Englishmanrsquos Hebrew and Chaldee Concordance of the Old Testament 5th ed (Grand Rapids Zondervan 1970) p 22 See also O Eissfeldt ldquoadhon adhonairdquo The Theological Dictionary of the Old Testament Vol 1 (Grand Rapids Eerdmans 1974) p 62

1321 Bateman p 448

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veraumlnderten Aber die Geschichte wirkt dieser Spekulation entgegen Es steht au-szliger Frage dass der hebraumlische Text im ersten Jahrhundert n Chr noch nicht die Vokal-Punktierung hatte Vergessen wir nicht dass diese Punktierung nur einge-fuumlhrt wurde um eine Tradition der Aussprache von alters her zu bewahren und zu konservieren Psalm 1101 wurde in den hebraumlischen Gemeinschaften seit Jahrhunderten laut vorgelesen In juumldischen Schriften vor den masoretischen Tex-ten ist das Verstaumlndnis dieser hebraumlischen Gemeinschaften erhalten geblieben Der zweite Herr des Psalms 1101 galt nicht als Gott sondern stets als Mensch jedoch ohne Goumlttlichkeitsrang

Ende des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung wurden rabbinische Lehren gesammelt aus Angst dass juumldische Traditionen durch Krieg und Verfolgung verloren gehen koumlnnten Eine Sammlung die Mischna (zusammengestellt um 200 n Chr) erinnert an andere biblische Interpretationen aus der Aumlra des Zweiten Tempels (536 v Chr - 70 n Chr) in welcher der zweite Herr eindeutig als Ab-raham identifiziert wird Der babylonische Talmud (ca 300 n Chr) folgt diesem Beispiel1322 Der Rabbiner Zacharias aus dem dritten Jahrhundert spricht im Na-men des Rabbiners Ismael aus dem ersten Jahrhundert (90-135 n Chr) und be-zeichnet den zweiten Herrn ebenfalls als Abraham1323 Auch der grosse Rabbi Akiva (40-137 n Chr) kommt zu diesem Schluss1324 Akiva ist insofern bemer-kenswert als er ein enger Freund und Anhaumlnger von Gamaliel (gest 63 n Chr) war der auch der Tutor des Apostels Paulus war (Apg 223) Dies stellt die abra-hamitische (menschliche) Lesung des zweiten Herrn unmittelbar in die Welt der fruumlhesten Jesusgemeinschaft Ein weiteres aber etwas spaumlteres Werk das an diese fruumlheren Interpretationen erinnert bestaumltigt dass bdquounsere Rabbiner es so inter-pretiert haben dass sich der Vers auf Abraham unseren Vater beziehtrdquo1325 Die-ser Kommentar verbindet sogar den sbquoHerrnsbquo in Psalm 1101 mit dem adoni der von Abraham in 1 Mose 236 verwendet wurderdquo1326 Die Wissenschaftler kom-men zu dem Schluss dass dies bdquoeinen guten Uumlberblick uumlber die fruumlhe rabbinische

1322 Siehe Francis A Sullivan Robert Faricy Ignation Exercises Charismatic Renewal (Eugene Wipf amp Stock

1977) p 34 1323 Talmud b Ned 32b Die Rabbiner erklaumlrten dass das Priestertum von Melchisedek (identifiziert als

Noahs Sohn Shem) genommen und Abraham gegeben worden seihellip Siehe M McNamara ldquoMelchize-dek Gen 14 17-20 in den Targums in der Rabbinishen und fruumlhen Literaturrdquo Biblica Vol 81 (Rome Pontifical Biblical Institute 2000) pp 1-31 See also Gard Granerod Abraham and Melchizedek Scribal Activity of Second Temple Times in Genesis 14 and Psalm 110 (Berlin Walter de Gruyter 2010) pp 217-219

1324 Siehe Genesis Rabbah 465 Cf 556 7 Leviticus Rabbah 256 1325 Midrash Schocher Tov (Tehillim) Psalm 110 Siehe Maye Irwin Gruber Rashirsquos Commentary on Psalms

(Leiden EJ Brill 2004) p 645 1326 Gard Granerod Abraham and Melchizedek Scribal Activity of the Second Temple Times (New York

Walter de Gruyter 2010) p 218 (Abraham und Melchisedek Aktivitaumlten der Schriftgelehrten waumlhrend der Aumlra des zweiten Tempels) siehe auch Gerhard Bodendorfer bdquoAbraham zu Gottes Rechten Psalm 110 in der Rabbinischen Traditionrdquo Evangelische Theologie Vol 59 (1999) pp 252-266

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Interpretation dieses Psalms gibtrdquo In der Mitte des zweiten Jahrhunderts finden wir Tryphon den Juden der Psalm 1101 als eine Bezugnahme auf den Koumlnig Hiskija (750 ndash 696 v Chr) interpretiert1327 und andere als Hinweis auf Koumlnig Saul1328 Obwohl es klar ist dass bdquoder Leser der Periode des Zweiten Tempels eindeutig David als Sprecher des Psalms 110 annahmrdquo1329 argumentierten noch andere spaumlter folgende Interpretationen dass mit dem zweiten Herr tatsaumlchlich David selbst gemeint war1330 Alle diese Deutungen sind deshalb von Bedeutung weil die juumldischen Weisen nicht auf ihrer Auslegung beharrt haumltten dass der zweite Herr keine Gottheit war wenn der urspruumlngliche Text jemals [fuumlr den zweiten Herrn] bdquoJahwerdquo oder bdquoadonairdquo gelautet haumltte wie es die Verschwoumlrungs-theorie faumllschlicherweise wahrhaben will

Am weitesten verbreitet war die Ansicht in der vormasoretischen Welt dass Psalm 1101 ein klarer Hinweis auf Abraham sei Aber wie sind die Juden zu die-ser Uumlberzeugung gelangt Ein Gelehrter erklaumlrt dass eine bdquoBeobachtung der Le-ser der Periode des Zweiten Tempelsrdquo sie zu dieser Auslegung fuumlhrte Abraham wurde im 1 Buch Mose haumlufig als bdquoadonrdquo betitelt1331 So war es naheliegend dass schon in den Jahrhunderten vor den masoretischen Texten Psalm 1101 unveraumln-dert bdquoadonirdquo (mein Herr) gelautet hatte

Das krampfhafte Argument dass die Masoreten absichtlich und irrtuumlmlich die Standardaussprache geaumlndert haben wird durch die Tatsache widerlegt dass die fruumlheren Targums einen sbquozweiten Herrn ohne Gottheitsanspruchsbquo unterstuumltzen und die fruumlheren Rabbiner den zweiten Herrn als Abraham oder David interpre-tierten den Masoreten lag alles daran einfach eine ererbte juumldische Tradition zu konservieren Es gibt zudem keinen Beweis aus der Aumlra des Zweiten Tempels die fuumlr eine juumldische Interpretation des Psalms 1101 spricht den zweiten Herrn als Jahwe selbst zu identifizieren Es fehlt auch jeder Beweis dafuumlr dass die spauml-tere masoretische Lesung in irgendeiner Weise von der Lesung in der neutesta-mentlichen Gemeinschaft abgewichen waumlre In der Tat wenn Jesus Psalm 1101

1327 Justin Martyr Dialogue with Trypho Ch 32-33 83 (Dialog mit Tryphon) 1328 Granerod p 224 1329 Ebenso 1330 Midrash Psalm 110 Targum Psalm 110 See Granerod p 218 fn 14 Siehe auch David M Stec The

Targum of Psalms Translated with a Critical Introduction Apparatus and Notes (London T amp T Clark 2004) pp 202-203 (Targum der Psalmen uumlbersetzt mit einer kritischen Einfuumlhrung mit Referenzen und Anmerkungen)

1331 Granerod stellt fest dass Abraham im bdquo1 Mose 18 (Vers 12 von Sarah) und 24 (mehrmals von seinem Diener) bdquoadonirdquo genannt wird In 1 Mose 2465 wird Isaak bdquoadonirdquo genannt (von Abrahams Diener) Auszligerdem wird Josef in der Josef-Novelle mehrmals als bdquoHerrrdquo bezeichnet 1 Mose 42103033 4320 4481618-20222433 (von seinen Bruumldern) 1 Mose 445 (von seinem Verwalter) 1 Mose 458-9 (von ihmvon Jahweh) 1 Mose 471825 (von den Aumlgyptern)rdquo (Granerod S 224 fn 2) Rashis Kommentar zu Psalm 1101 der an fruumlhere rabbinische Traditionen erinnert lautet bdquoDas Wort des Herrn an Abra-ham den die Welt sbquomeinen Meisterrsquo nannte wie es geschrieben steht (1 Mose 236) sbquoHoumlre auf uns mein Meisterrsquo (Herr - adoni)rdquo

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in Markus 1462 zitiert und wenn Stephanus den Vers in Apg 756 erneut er-waumlhnt beziehen sie sich beide auf bdquoden Menschensohnrdquo nicht auf Gott [Jahwe] Oder sitzt etwa [noch] ein Gott zur Rechten Gottes bdquoMenschensohnrdquo bedeutet also einfach nur Mensch1332 Die Lesart unter den Urchristen muss ebenfalls bdquoadonirdquo gewesen sein nicht etwa bdquoJahwerdquo oder bdquoAdonairdquo Gott wird in der heb-raumlischen Bibel nirgendwo als bdquoMenschensohnrdquo bezeichnet und ausdruumlcklich nicht bdquoals Menschrdquo (4 Mose 2319) Es ist offensichtlich dass im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung Psalm 1101 weder Juden noch Christen glaubten der zweite Herr stelle Gott dar Hier spricht nicht bdquoGott zu Gottldquo was der Fall waumlre wenn der Text jemals vor einer angeblichen masoretischen Verschwoumlrung bdquoado-nairdquo gelautet haumltte Die metaphysische trinitarische Lesart von Psalm 1101 ist erwiesenermaszligen ein Anachronismus Diese unfundierte Theorie uumlber eine juumldi-sche Verschwoumlrung ist eine unnoumltige Ablenkung von den wahren Tatsachen

Letztendlich sollte der Trinitarier nicht hoffen dass der Originaltext bdquoJahwe sagte zu meinem Jahwerdquo gelautet habe dh eine Praumlsentation von zwei Jahwe macht nicht einmal gegenuumlber dem trinitarischen Glauben Sinn Wenn es heiszligen wuumlrde bdquoJahwe sagte zu meinem Adonairdquo haumltten wir immerhin zwei Goumltter von denen einer zum anderen spricht Die Idee von zwei Jahwe oder zwei adonai steht im Widerspruch zur Religion sowohl der alten Israeliten als auch der Juden des ers-ten Jahrhunderts (siehe Neh 96 5 Mose 435 64 Markus 1232) Psalm 1101 bleibt ein brillanter Maszligstab der Klarheit uumlber die Person des Menschen Messias und seiner Beziehung zu Gott Der Vers gibt der orthodoxen Lehre der Dreifal-tigkeit einen vernichtenden Schlag Abschlieszligend bemerkt bestaumltigt Hebraumler 13-413 uumlberdies dass kein Engel zur Rechten Gottes sitzt Eine engelhafte bdquoariani-scherdquo Sichtweise wird ebenso unmoumlglich gemacht wie die trinitarische Hypo-these1333

EinGottundeinHerrIm Judasbrief Vers 4 uumlbersetzt die englische KJV als einzige die griechischen Worte ldquodenying the only Lord God and our Lord Jesus Christrdquo zu Deutsch bdquo verleugnen den alleinigen Herrgott und unseren Herrn Jesus Christusrdquo Diese Worte sind in keiner deutschsprachigen Version so zu finden Wir haben bisher sicherlich genuumlgend Beweise dafuumlr erbracht dass die Ernennung Christi zum

1332 bdquoDie Bezeichnung sbquoSohn des Menschenrsquo bedeutet ganz einfach sbquomenschliches Wesenrsquo [oder] sbquoMenschrsquo

rdquo (W S Lasor D A Hubbard F W Bush Old Testament Survey The Message Form and Background of the Old Testament (Grand Rapids Eerdmans 1996 [1982]) p 581)

1333 bdquoNachdem er die Reinigung der Suumlnden bewirkt hat sich gesetzt hat zur Rechten der Majestaumlt in der Houmlhe indem er um so viel besser geworden ist als die Engel Zu welchem der Engel aber hat er je gesagt Setze dich zu meiner Rechten bis ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Fuumlszligerdquo (Hebraumler 13b - 4a13)

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bdquoHerrnrdquo nicht bedeutete dass er bdquozum alleinigen Herrgottrdquo geworden ist Ande-rerseits ist er deutlich von Gott unterscheidbar Wir muumlssen auch beachten dass wenn Jesus als bdquoHerrrdquo beschrieben wird dies oft in Verbindung mit einer Be-schreibung des Vaters als bdquoGottrdquo geschieht Es ist in der Schrift nicht nur uumlblich zwischen den einzelnen Personen sondern auch zwischen den Merkmalen der Ehrentiteltraumlger klar zu unterschieden Diese Unterscheidung wird von Paulus wie folgt hervorgehoben

bdquoDenn wenn es auch sogenannte Goumltter gibt im Himmel oder auf Erden - wie es ja viele Goumltter und viele Herren gibt - so ist doch fuumlr uns ein Gott der Vater von dem alle Dinge sind und wir auf ihn hin und ein Herr Jesus Christus durch den alle Dinge sind und wir durch ihnrdquo(1 Korinther 86)

Dies ist eine echt aufschlussreiche Erklaumlrung Paulus identifiziert hier zwei Kate-gorien bdquoGottrdquo und bdquoHerrrdquo und er definiert exakt auch wer zu diesen exklusiven Kategorien gehoumlrt indem er ihre Rolle und ihre Funktion naumlher erlaumlutert Der eine Gott der Christen ist ausschlieszliglich bdquoder Vaterrdquo von dem alle Dinge sind Die Rolle des Vaters ist die des Schoumlpfers - waumlhrend der Herr Jesus Christus derjenige ist durch den alle Dinge geschehen dh seine Rolle ist die eines Vermittlers zwi-schen Gott und der Welt 1 Timotheus 25 bdquoDenn es gibt einen Gott und einen Mittler zwischen Gott und den Menschen den Menschen Christus Jesusrdquo Waumlhrend die Rolle des Herrn Jesus also der kritische Mittelpunkt der Schoumlpfung ist finden alle Dinge ihre Quelle nur im bdquoeinen Gott dem Vaterrdquo Ein katholischer Gelehrter schreibt

Fuumlr diese fruumlhen Christen war der Titel bdquoHerrrdquo also keine Gleich-setzung von Jesus mit Gott Die Ernennung verband aber zwei Dinge gleichzeitig den auferstandenen Jesus so nah wie moumlglich mit Gott dessen Ehre er teilte und es unterschied ihn von Gott weil der ihn als Menschen vom Tod wieder zum Leben auferweckte Wegen der Rolle in die Gott Jesus [neu] eingesetzt hat indem er ihn von den Toten auferstehen liess dh durch Gottes Gabe hat der auferstandene Jesus Anspruch auf die Ehre die letztendlich Gott gebuumlhrt Diese Anschauung ist weit entfernt von den bdquochrist-lichenrdquo Glaubensbekenntnissen die im vierten und fuumlnften Jahr-hundert entwickelt wurden1334

1334 Jerome Crowe From Jerusalem to Antioch The Gospel Across Cultures (Collegeville The Liturgical

Press 1997) pp 114-115 (Von Jerusalem nach Antiochien Das Evangelium durchquert die Kulturen)

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Trotzdem behaupten viele evangelikale Gelehrte dass Paulus in 1 Korinther 86 tatsaumlchlich bdquodas Shema spaltetrdquo um Jesus dem einen Gott des Judentums einzu-verleiben1335 Aber eine solche Aktivitaumlt scheint fuumlr einen pharisaumlischen Mono-theisten wie Paulus undenkbar Jesus engagiert sich natuumlrlich nicht fuumlr eine solche Aufhebung und bekraumlftigt das Shema wie es bis heute unveraumlndert im Judentum steht als das bdquooberste Gebotrdquo (Markus 1229) Aber haumltte Paulus wirklich beab-sichtigt das Glaubensbekenntnis Israels zu bdquospaltenrdquo um Jesus darin [im Begriff Gott] mit einzubeziehen koumlnnten wir erwarten dass er sagt bdquoDenn es gibt einen Gott den Vater und den Sohnrdquo Stattdessen fasst Paulus das Shema-Bekenntnis praumlgnant zusammen bdquoEs gibt einen Gottrdquo und zusaumltzlich zu dieser Aussage legt er ein weiteres Bekenntnis ab bdquound es gibt einen Herrnrdquo Diese Information uumlber Jesus wird an die Seite des Glaubensbekenntnisses von Israel gebracht und zer-bricht oder spaltet es nicht James F McGrath der Religionswissenschaftler schreibt

Die Erwaumlhnung der bdquovielen Goumltterrdquo ist am besten als ein Hinweis auf die Goumltter zu verstehen von denen man annimmt dass sie im Himmel existieren die bdquovielen Fuumlrstenrdquo sind dann die Herrscher oder Fuumlrsten auf der Erde welche die Autoritaumlt der Goumltter im menschlichen Existenzbereich vertreten Die Aussage von Paulus in 1 Korinther 86 laumlsst sich am ehesten gegen diesen Aspekt des zeitgenoumlssischen griechisch-roumlmischen Glaubens interpretieren Fuumlr Christen gibt es sagt Paulus nur einen Gott im Himmel und es gibt nur einen Herrn als Agenten und Vermittler der in seinem Namen uumlber die ganze Schoumlpfung herrscht Paulus hat bereits bekraumlftigt dass es bdquokeinen Gott als einen einzigen gibtrdquo und Vers 6 erweitert und kommentiert diese Bekraumlftigung des monotheisti-schen Glaubens indem er hinzufuumlgt dass es auch eine von Gott bestimmte Persoumlnlichkeit als Herrscher uumlber alle Dinge gibt1336

Wir kehren zum parallelen Bekenntnis in 1 Timotheus 25 zuruumlck Hier finden wir eine weitere paulinische Aussage die den bdquoeinen Gottrdquo des Shema bestaumltigt und daneben bdquoeinen Vermittlerrdquo hinzufuumlgt Es wird hier keine Aufruumlstung des

1335 Siehe Andrew Y Lau Manifest in Flesh The Epiphany Christology of the Pastoral Epistles (Tubingen

Mohr Siebeck 1996) pp 73-74 (Manifestiert im Fleisch die Epiphanie-Christologie der pastoralen Epis-tel) Richard Bauckham God Crucified Monotheism and Christology in the New Testament (Grand Rapids Eerdmans 1999) p 31 37 (Gott gekreuzigte Monotheismus und Christologie im NT) James Dunn The Theology of Paul the Apostle (Grand Rapids Wm B Eerdmans Pub Co 1998) pp 267-268 Richard N Longenecker The Road from Damascus The Impact of Paulrsquos Conversion on His Life Thought and Ministry (Grand Rapids Eerdmans 1997) pp 127-128 (Die Straszlige nach Damaskus Die Auswirkungen von Pauli Bekehrung auf sein Leben seine Gedanken und seinen Dienst)

1336 McGrath The Only True God p 41

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traditionellen Monotheismus der Juden in Erwaumlgung gezogen oder gar notwen-dig Ebenso muss man in 1 Korinther 86 wie McGrath abschlieszligt bdquodurch Er-gaumlnzen des Shema etwas hinzuzufuumlgen es nicht sbquoaufspaltenrsquo Es sollte auch nicht so verstanden werden dass man die erwaumlhnte zusaumltzliche Person oder Sache der goumlttlichen Identitaumlt einverleibtrdquo1337 Die paulinische Christologie stellt zwar eine Entwicklung im Judentum dar aber die Neuigkeit ist die Hinzufuumlgung von Jesus als erhabenem Vermittler zwischen Gott und den Menschen Wie die Wissen-schaftler erkannt haben war dies eine Entwicklungsstufe bdquoinnerhalb der Grenzen des juumldischen Monotheismus nicht auszligerhalbrdquo1338 Das Novum des Paulus be-schaumlftigte sich damit wer der Mittler zwischen Gott und den Menschen ist nicht wer aktuell der Gott ihrer Vaumlter ist Waumlre dies nicht der Fall koumlnnte man in den paulinischen Briefen ganz sicher Beweise fuumlr die Kontroverse uumlber den Mono-theismus finden Wie wir gesehen haben waren aber Judentum und das fruumlheste Christentum untrennbar miteinander verbunden Juden und Christen besuchten gemeinsam die Synagoge wo das Shema oumlffentlich gelesen wurde Wie konnte der Jude das traditionelle Shema rezitieren waumlhrend sein Nachbar neben ihm angeb-lich ein neues bdquogespaltenesrdquo Shema proklamierte So wie es ist haben wir keinen Grund daraus zu schlieszligen dass Paulus dem Shema des Judentums etwas angetan hat sondern er hat es vollstaumlndig bestaumltigt

Was diese evangelikale Theorie uumlber 1 Korinther 86 letztlich auszliger Acht laumlsst ist die Tatsache dass Paulus wenn er anfaumlngt uumlber den bdquoeinen Herrn Jesusrdquo zu sprechen von der Rede uumlber den bdquoeinen Gottrdquo bereits zu einem anderen Thema uumlbergegangen ist Tatsaumlchlich wenn der Abschnitt durch die Linse der trinitari-schen Behauptungen gelesen wird faumlllt die vermeintlich Aussage des Paulus schnell auseinander Wird bdquoHerrrdquo als bdquoJahwerdquo definiert zwingt man Paulus zu sagen bdquoDenn es gibt einen Gott den Vater und einen Jahwe Jesus den Messiasrdquo Das ist wie wenn gesagt wuumlrde bdquoFuumlr uns gibt es einen Kaiser Konstantin und einen Theodosius den Bischof Ambrosiusrdquo Sicherlich hatte Paulus nicht die Ab-sicht eine solch fragmentierte verworrene Erklaumlrung abzugeben Stattdessen be-nutzt Paulus den Titel bdquoHerrrdquo fuumlr Jesus nicht um ihn als Jahwe zu identifizieren sondern lediglich als Titel so wie er bdquoGottrdquo als Bezeichnung fuumlr den Vater be-nutzt Der Vater ist natuumlrlich bdquoHerrrdquo des Universums aber er ist nicht bdquoHerrrdquo in dem Sinne dass er von einem anderen ernannt oder ins Amt eingesetzt wurde Da das Neue Testament ausdruumlcklich besagt dass Gott Jesus zum Herrn gemacht hat (Apg 236) ist Jesus lediglich in diesem besonderen Sinne als sbquoHerrrsquo zu be-trachten Gott hat ihm einen [Ehren-]Titel einen [hierarchischen] Rang verliehen

1337 Ebenso p 42 1338 Maurice Casey ldquoMonotheism Worship and Christological Developments in Pauline Churchesrdquo The

Jewish Roots of Christological Monotheism (Leiden Brill 1999) p 231

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bdquoGoumlttlicheIdentitaumltrdquoWir muumlssen uns einen Moment Zeit nehmen und untersuchen wie und mit wel-chem Argument Trinitarier Christus als bdquoHerrrdquo im Neuen Testament identifizie-ren Der trinitarische anglikanische Religionswissenschaftler Richard Bauckham hat eine heute populaumlre Theorie vorgeschlagen die als bdquoChristologie der goumlttli-chen Identitaumltrdquo bekannt ist und bestimmte Merkmale als nur Gott zugehoumlrig identifiziert Er kommt zum Schluss dass sollte Jesus ebenso diese Eigenschaf-ten besitzen Christus bdquoin die goumlttliche Identitaumlt einbezogen werden mussrdquo1339 Zum Beispiel Gottes Name Gottes Privilegien Gottes Ehre - wenn entdeckt wird dass Jesus an diesen einzigartigen Identifikationsmerkmalen teilhaftig ist dann muss er zwingend mit Gott identisch sein Aber eine solche Identitaumltsaussage zu etablieren ist nicht so einfach wie es scheint

Ein Problem das in Bauckhams Vorschlag gleich in die Augen springt ist dass zwei Dinge um identisch zu sein sich in keiner Weise unterscheiden duumlrfen Die-ses einfache und offensichtliche Prinzip wird manchmal als die bdquoUndeutlichkeit des Identischenrdquo bezeichnet1340 Tatsaumlchlich ist es unmoumlglich dass sich etwas von sich selbst unterscheidet wenn sich eine Person auch nur im Geringsten von ei-ner anderen unterscheidet kann sie nicht die gleiche Identitaumlt teilen1341 Natuumlrlich unterscheiden sich bdquoGottrdquo und bdquoJesusrdquo in vielerlei Hinsicht Selbst fuumlr den Trini-tarier ist bdquoGottrdquo eine tri-persoumlnliche Essenz aber bdquoJesusrdquo ist keine tri-persoumlnliche Essenz bdquoGottrdquo schickte seinen einzigen eingeborenen Sohn bdquoJesusrdquo schickte nicht seinen einzigen eingeborenen Sohn und so weiter1342 Zwei Evangelikale die Bauckhams These unterschreiben sagen dazu

Das Neue Testament unterscheidet zwischen [Jesus und Gott dem Vater] manchmal als Gott und manchmal als der Sohn Gottes Obwohl schwer zu verstehen unterscheidet das Neue Testament mal Jesus von Gott oder identifiziert ihn als Gott - manchmal in einem Atemzug1343

1339 See Bauckham Jesus and the God of Israel pp 24-25 130 1340 Philosophen haben das Prinzip so formuliert Wenn zwei Objekte tatsaumlchlich ein und dasselbe sind

haben sie alle die gleichen Eigenschaften Mit anderen Worten wenn x = y dann hat x alle Eigenschaf-ten die y hat (und umgekehrt) Das Identitaumltssymbol bdquo=rdquo in dieser Gleichung stellt bdquonumerische Iden-titaumltrdquo dar oder ist genau das Gleiche und nicht nur aumlhnlich Zwei Geraumlte die von derselben Fabrik hergestellt werden koumlnnen genau gleich sein sind aber numerisch nicht identisch (Vgl den Begriff Kongruenz ndash Deckungsgleichheit)

1341 Siehe Dale Tuggy ldquoOn Bauckhamrsquos Bargainrdquo Theology Today 702 (Los Angeles Sage 2013) pp 128-143

1342 Ebenso(Der bdquoHandelldquo von Bauckham) 1343 Robert M Bowman J Ed Komoszewski Putting Jesus in His Place (Grand Rapids Kregal Publications

2007) p 1 Dank an Dr Dale Tuggy dieses Zitat (Jesus seinen Platz geben)

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Aber lassen die Fakten wirklich den Schluss zu dass das Neue Testament Jesus gleichzeitig positiv als bdquoGottrdquo und als bdquonicht Gottrdquo identifiziert Ist diese Schluss-folgerung wirklich nur bdquoschwer zu verstehenrdquo wie diese Apologeten behaupten oder ist sie nicht ganz und gar unmoumlglich Dr Dale Tuggy schreibt als Antwort an diese Gelehrten

Wenn diese Autoren das Neue Testament lesen empfinden sie es selbst als von Widerspruumlchen zu den Themen Gott und Jesus durchzogen die doppeldeutig sagen oder klar andeuten dass die beiden anzahlmaumlszligig gleich sind und dass sie es nicht sind Aber sie bestehen darauf dass dieser Widerspruch kein Problem ist - weder fuumlr das Neue Testament noch fuumlr ihre Interpretationen davon - denn sie draumlngen darauf dass Gott per se bdquounverstaumlndlichrdquo ist Aus diesem Grunde sollte man bdquoParadoxien oder Geheimnisse erwar-ten entweder auf der ganzen Linie oder auch nur in Bezug auf die Attribute Gottesrdquo Wenn sie behaupten ihren Glauben an Jesus fest auf das Neue Testament zu stuumltzen wuumlrde man erwarten dass sie auf der Grundlage dieser Lesung sowohl bestaumltigen dass Jesus Gott ist wie auch dass Jesus nicht Gott ist Aber in der Tat be-haupten sie steif und fest dass er Gott ist Am Houmlhepunkt ihres Buches beteuern sie bdquozweifellos bewiesen zu haben dass Jesus Christus Gott istrdquo Dies ist eine offensichtlich inkohaumlrente Sicht-weise die beiden Autoren haben beschlossen nur die eine posi-tive Seite des Widerspruchs zu sehen1344

Diese Theorie ist einfach nicht stichhaltig und andere renommierte Neutesta-mentler fanden sie ebenfalls problematisch1345 Dennoch erfreut sich das System weiterhin groszliger Beliebtheit bei den Evangelikalen die nach einem Weg suchen den Glauben an einer dreifaltigen Gott neu zu formulieren ohne sich auf die religioumlse Sprache der Katholiken des vierten Jahrhunderts stuumltzen zu muumlssen1346

1344 Tuggy ldquoOn Bauckhamrsquos Bargainrdquo Theology Today pp 11-12 (seine Hervorhebung) 1345 See James Dunn Did the First Christians Worship Jesus (Louisville Westminster John Knox Press 2010)

p 144 1346 Moderne trinitarische Gelehrte haben sich manchmal gescheut sich auf die Sprache der auszligerbib-

lischen Glaubensbekenntnisse zu verlassen um ihre Theologie zu formulieren Dennoch werden ihre Systeme fast immer auf den Satz reduziert dass der Name bdquoJahwerdquo jedes Mitglied der Trinitaumlt identi-fiziert so dass der Vater Jahwe ist der Sohn Jahwe ist und der Heilige Geist Jahwe ist aber es gibt nicht drei Jahwe sondern nur einen Jahwe Dieser Satz kann nicht anders als das Athanasianische Glau-bensbekenntnis widerzuspiegeln das besagt bdquoDer Vater ist der Herr der Sohn ist der Herr und der Heilige Geist ist der Herr Und doch gibt es nicht drei Herren sondern einen Herrnrdquo Der Trinitarismus entwurzelt sich nicht aus dem philosophischen Boden des vierten und fuumlnften Jahrhunderts in dem er gewachsen ist

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Wir werden nun diese bdquoGoumlttliche Identitaumltrdquo [der Gleichheit der Drei in der Gott-heit] weiter unter die Lupe nehmen und gleichzeitig die Identitaumlt des geschichtli-chen neutestamentlichen Jesus sowohl durch die biblischen Daten als auch durch die Weltsicht auszligerbiblischer juumldischer Quellen rekonstruieren

Gemaumlszlig der Auffassung der bdquoGoumlttlichen Identitaumltrdquo wenn in den biblischen Do-kumenten der Name Gottes einer Person gegeben wird soll diese Person bdquoin die Goumlttliche Identitaumlt miteinbezogenrdquo werden1347 Wie der Trinitarier Charles Lee Irons behauptet bdquoGott teilt seinen Namen nicht mit Geschoumlpfenrdquo1348 Es wird argumentiert dass wenn sich Jesus erweist den Namen Jahwes zu teilen er in gewissem Sinne Jahwes selbst sein muss Einer der wichtigsten Texte die zeigen dass Jesus den goumlttlichen Namen traumlgt ist Roumlmer 1013 der sagt bdquoJeder der den Namen des Herrn anruft wird gerettet werdenrdquo Im Kontext scheint mit der bdquoHerrrdquo der Herr Jesus gemeint zu sein Aber Paulus zitiert Joel 232 wo es heiszligt bdquoJeder der den Namen des Herrn [Jahwe] anruft wird gerettet werdenrdquo Dies hat einige dazu veranlasst zu sagen dass der Herr Jesus den Namen Gottes traumlgt und somit bdquoin die Identitaumltrdquo Jahwes miteinbezogen ist Solche Passagen die bis zur Zeitenwende nur fuumlr Jahwe im Alten Testament galten jedoch im Neuen Testament auf Jesus angewendet werden sollen ihre Identifikation beweisen1349

Diese Art von Theorie koumlnnte man nachvollziehen wuumlrden nicht zwei kritische Tatsachen vorliegen Erstens verleiht Gott in der Hebraumlischen Bibel und in der Juumldischen Literatur des ersten Jahrhunderts seinen Namen auch anderen Figuren Zweitens weisen die Juden des ersten Jahrhunderts (einschlieszliglich der Apostel) die Tradition auf verschiedene alttestamentliche Passagen (einschlieszliglich der JHWH-Texte) ziemlich frei anzuwenden Das Argument der bdquoGoumlttlichen Identi-taumltrdquo beruht letztendlich auf einer falschen Praumlmisse Gott der seinen Namen mit einer Kreatur teilt wurde von den Juden nicht als Verletzung des Monotheismus angesehen und es gibt nichts ausschlaggebend bdquoChristlichesrdquo (dh Trinitarisches) daran

Zunaumlchst sollte die Frage der Weitergabe des Namens Gottes an Geschoumlpfe auf-grund der Hebraumlischen Bibel untersucht werden In 2 Mose 2320-21 befiehlt Gott Israel sich seinem Engel zu unterwerfen bdquoHuumlte dich vor ihm houmlre auf seine Stimme und widersetze dich ihm nicht Er wird euer Vergehen nicht vergeben denn mein Name ist in ihmrdquo Hier treffen wir auf ein weiteres Beispiel fuumlr das Hebraumlische bdquoGesetz der Handlungsvollmachtrdquo Der Engel ist von Gottes Autoritaumlt Gottes Befugnis

1347 See Bauckham Jesus and the God of Israel pp 24-25 130 1348 Smith Irons Dixon The Son of God p 19 1349 Siehe N T Wright bdquoDer Kontext macht deutlich dass sich [Roumlmer 109-13] auf Jesus selbst bezieht

denjenigen der als Kyrios [Herr] bekannt ist und dass Paulus die volle [Gleich-]Bedeutung von Kyr-iosJHWH beabsichtigt gegenuumlber Joels Aussage zu seiner eigenen zu erklaumlrenrdquo (N T Wright Paul and the Faithfulness of God (Minneapolis Fortress Press 2013) p 703) (Paulus und die Treue Gottes)

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zum Richten und Vergeben und sogar vom Namen Gottes erfuumlllt Wir muumlssen fragen Teilt der Engel dann auch die bdquoGoumlttliche Identitaumltrdquo Jahwes wie es die trinitarische bdquoRegelrdquo vorschreibt Ist der Engel Gott

Ein juumldisches Werk aus dem spaumlten ersten Jahrhundert n Chr (oder zweiten Jahrhundert) bietet ein weiteres Beispiel In der bdquoApokalypse Abrahamsrdquo befiehlt Gott dem Engel Yahoel bdquodurch die Vermittlung meines unaussprechlichen Namensrdquo (103) zu handeln McGrath notiert

Der Name Yahoel setzt sich eindeutig aus den beiden goumlttlichen Namen Yah(weh) und El zusammen Doch der Engel traumlgt seinen Namen nicht weil er mit Gott verwechselt oder in die Gottheit aufgenommen wurde sondern weil ihm von Gott der goumlttliche Name gegeben wurde1350

Der Name Gottes wird sicherlich auch von Jesus getragen bdquoHeiliger Vater Bewahre sie in deinem Namen den du mir gegeben hast rdquo (Johannes 1711) Wir sehen jedoch dass Jesus wie der Engel Yahoel tatsaumlchlich von Gott diesen Namen erhalten hat Bevor Gott ihnen beiden seinen Namen gab besaszligen sie ihn nicht Der Er-halt dieses Namens wuumlrde die Juden des ersten Jahrhunderts keinesfalls dazu ver-anlassen den Traumlgern unmittelbar und unausweichlich eine echte volle Goumlttlich-keit zuzuschreiben Die monotheistische (unitarische) Matrix des Judentums ist trotz der Existenz erhabener Nebenfiguren welche gewisse Attribute Gottes teil-ten erhalten geblieben

Richard Bauckham obwohl er einer der Hauptvertreter der Theorie der bdquoGoumlttli-chen Identitaumltrdquo ist gibt tatsaumlchlich zu dass in der Apokalypse Abrahams der Engel Yahoel wirklich bdquoden goumlttlichen Namen traumlgt und seine Autoritaumlt ausuumlbtrdquo1351 Aber wenn Bauckham und andere aus diesen Gruumlnden die Aufnahme Jesu in die bdquoIdentitaumlt Jahwesrdquo fordern sollten sie sich dann nicht dasselbe fuumlr die Kreatur Yahoel oder den Engel des 2 Mose 2320-21 leisten Was ist mit den Christen in der Offenbarung durch Johannes gemeint die bdquoerhobenrdquo [dh geehrt] wurden Christus selbst versprach dass fuumlr den Juumlnger der uumlberwindet bdquoich den Namen meines Gottes und meinen neuen Namen auf ihn schreiben werderdquo (Offb 312) Nein das Tragen des Namens Gottes sowohl nach der Bibel als auch nach der Juumldi-schen Literatur kann ihre Goumlttlichkeit in der Weltsicht der fruumlhesten zum Chris-tentum bekehrten Juden nicht erfordert haben

1350 McGrath The Only True God p 49 1351 Bauckham Jesus and the God of Israel pp 226-227

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Aber wie verhaumllt es sich mit der Anwendung der alttestamentlichen bdquoJHWH-Texterdquo auf Christus im Neuen Testament Identifiziert diese Praxis nicht eindeu-tig Jesus als den Gott den diese Originaltexte beschreiben

Wir muumlssen damit beginnen die Freiheit und Groszligzuumlgigkeit zu erkennen mit der die ersten Juumlnger Jesu die Hebraumlischen Schriften behandelt haben Longenecker identifiziert nicht weniger als vier Arten von alttestamentlicher Exegese die in der Zeit der fruumlhen Kirche verwendet wurden Woumlrtliche Interpretation Mi-drasch Pescher und Allegorie1352 Bei den bdquoMidraschrdquo und bdquoPescherrdquo Methoden koumlnnten die alttestamentlichen Passagen auf aktuelle Ereignisse zuruumlckgefuumlhrt werden ohne die urspruumlnglichen Absichten der Passage zu zerstoumlren Midrasch versucht uumlber die bdquoeinfache Bedeutungrdquo eines Textes hinauszugehen und eine zusaumltzliche Bedeutung zu liefern ohne das Original vollstaumlndig zu ersetzen eine Pescher-Interpretation ist eine besonders eschatologische Auslegung die davon ausgeht dass die Bedeutung einer Schrift in der gegenwaumlrtig lebenden Gemein-schaft erfuumlllt wird1353 Wie der Wissenschaftler Tim McLay erklaumlrt bdquoist das Ele-ment der Wiederanwendung der Schluumlssel zur Identifizierung von Pescherrdquo1354 Wissenschaftler zeigen dass bdquoMidraschrdquo-Interpretationen bdquooft Woumlrter des Alten Testaments oder Phrasen in neuen Kontexten lesen die aus anderen Teilen der goumlttlichen Offenbarung stammenrdquo1355 Mit anderen Worten Begriffe und Phra-sen die in alttestamentlichen Passagen gefunden wurden welche fruumlher eine ge-wisse Bedeutung hatten konnten aus diesem Kontext herausgenommen und auf neue Subjekte angewendet werden Sie konnten neue und zusaumltzliche Bedeutun-gen erhalten Es wird festgestellt dass die juumldischen Autoren des Neuen Testa-ments diese Techniken freizuumlgig angewandt haben besonders wenn sie das Alte Testament christologisch nutzten

Ein Beispiel fuumlr die Midrasch-Interpretation im Neuen Testament ist die Behand-lung von Hosea 111 durch Matthaumlus bdquoAls Israel jung war gewann ich es lieb und aus Aumlgypten habe ich meinen Sohn gerufenrdquo Obwohl es in dieser Passage urspruumlnglich um den Exodus der Israeliten aus dem Land Aumlgypten ging findet Matthaumlus in Jesus eine neue Bedeutung erfuumlllt bdquoUnd er war dort bis zum Tod des

1352 R Longenecker Biblical Exegesis in the Apostolic Period (Grand Rapids Eerdmans 1975) (Biblische

Exegese in der Apostolischen Periode) 1353 Tim McLay The Use of the Septuagint in New Testament Research (Grand Rapids Eerdmans 2003) p 34

Es ist interessant festzustellen dass das amerikanische evangelikale Christentum diese Interpretation in seiner populaumlren apokalyptischen Literatur die die Vereinigten Staaten oder andere gegenwaumlrtige Maumlchte darstellt die die Prophezeiungen der Endzeit erfuumlllen immer noch verwendet

1354 McLay p 34 1355 Martin Pickup ldquoNew Testament Interpretation of the Old Testament The Theological Rationale of

Midrashic Exegesisrdquo JETS Vol 51 No 2 (June 2008) p 355 (NT Interoretationen des AT Die Theologische Vernunft in der Midrasch-Exegese)

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Herodes damit erfuumlllt wuumlrde was von dem Herrn geredet ist durch den Prophe-ten der spricht Aus Aumlgypten habe ich meinen Sohn gerufenrdquo (Matthaumlus 215)

Wir finden diese Praxis der Wiederanwendung auch bei Paulus In Jesaja 426 und 496 hat Gott seinen Diener den Messias prophetisch dazu bestimmt bdquoein Licht fuumlr die Heidenrdquo zu sein bdquoblinde Augen zu oumlffnenrdquo bdquodie Gefangenen zu befreienrdquo und bdquodas Heil bis zum Ende der Erde zu bringenrdquo Aber in Apostelgeschichte 13 finden wir das

bdquoPaulus und Barnabas aber sprachen frei und offen hellip Denn so hat uns der Herr geboten (Jesaja 496) Ich habe dich zum Licht der Heiden ge-macht dass du das Heil seist bis an das Ende der Erderdquo (v 46a 47)

Paulus und Barnabas haben diese beruumlhmten Passagen vom bdquoleidenden Dienerrdquo tatsaumlchlich nicht auf Jesus sondern auf sich selbst angewendet Bedeutet das dass Paulus als der Messias (der Gesalbte) zu betrachten ist Keinesfalls aber Paulus und Jesus erfuumlllen die gleiche Funktion und nehmen an derselben messianischen Mission teil Wie ein Religionsgelehrter erkannte

Konnte sich der Diener aus Jesaja 49 auf [Paulus] beziehen ohne die Art und Weise zu verzerren wie die Prophezeiung seiner Mei-nung nach urspruumlnglich beabsichtigt gewesen sein koumlnnte Da er die Sendung Jesu des Dieners jedoch fortsetzte konnte er diese Dienerprophezeiung problemlos auf sich selbst anwenden1356

Ein weiteres Beispiel fuumlr die Wiederanwendung von Texten aus dem Alten Tes-tament ist die Anwendung des Psalms 10225-27 auf Jesus durch den Verfasser des Hebraumlerbriefes

bdquoDu Herr hast am Anfang die Erde gegruumlndet und die Himmel sind deiner Haumlnde Werk Sie werden vergehen du aber bleibst Und sie werden alle veralten wie ein Gewand und wie einen Mantel wirst du sie zusam-menrollen wie ein Gewand werden sie gewechselt werden Du aber bist der-selbe und deine Jahre werden nicht aufhoumlren Zu welchem Engel aber hat er jemals gesagt Setze dich zu meiner Rechten bis ich deine Feinde zum Schemel unter deine Fuumlsse legerdquo (Hebraumler 110-13)

Der originale Psalm bezog sich tatsaumlchlich auf Jahwe und seine urspruumlngliche Schoumlpfung am Anfang der Welt Nun jedoch wird die Passage auf Jesus den

1356 G K Beale ldquoThe Old Testament Background of Reconciliation in 2 Corinthians 5ndash7rdquo in The Right

Doctrines from the Wrong Texts (Grand Rapids Baker 1994) pp 230-231 (Der AT Hintergrund der Versoumlh-nung in 2 Kor 5-7 die Richtigen Doktrinen aus den Falschen Texten)

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Gruumlnder und Herrscher der neuen Schoumlpfung wieder angewendet (Offb 314)1357 Dass der Autor hier mit Sicherheit nicht von der Teilnahme Christi an der Schoumlp-fung der Genesis spricht macht er nur wenige Verse spaumlter deutlich

bdquoDenn nicht den Engeln hat er untertan gemacht die zukuumlnftige Welt von der wir redenrdquo (Hebraumler 25)

Am Ende der Zeit wird der Messias den Austausch dieser gegenwaumlrtigen Schoumlp-fung gegen eine neue leiten und einen bdquoneuen Himmel und eine neue Erderdquo gruumlnden (Jes 5116 Offb 211)1358 Der Hebraumlerbrief freut sich auf bdquodie guten Dinge die kommen werdenrdquo die bdquonicht von dieser Schoumlpfung sindrdquo (Hebraumler 911) und nicht auf die urspruumlngliche Schoumlpfung der Genesis Die Anwendung funktionaler Jahwe-Passagen auf Christus durch den Verfasser dieses Schreibens die sogar den heb-raumlischen Ersatz-Begriff bdquoHERRrdquo (adonai) und den mehrdeutigeren griechischen bdquoHerrrdquo (kyrios) [gegeneinander] ausspielen beweist nicht dass sie unwiderlegbar als ein und dasselbe Wesen betrachtet werden sollten Es gibt viele Gruumlnde zu glauben dass dies ausdruumlcklich nicht der Fall war

Um den historischen Gebrauch der alttestamentlichen Wiederanwendungs-tech-niken zu verstaumlrken koumlnnen wir ausserhalb der christlichen Welt des ersten Jahr-hunderts schauen und feststellen dass auch Juden aus anderen Gemeinschaften diese Interpretationsmittel gerne einsetzten Die Schriftrollen vom Toten Meer sind vielleicht das beste Beispiel Die Qumran-Gemeinschaft wandte verschie-dene bdquoJahwerdquo-Texte aus dem Alten Testament (wie Psalm 77-8 Psalm 821 Je-saja 611-3) erneut auf eine historische Figur an Melchisedek der Priester von Salem dem Abraham im Bericht in 1 Mose begegnete1359 Sprachwissenschaftler

1357 Der Autor der Hebraumler zitiert aus der Septuaginta nicht aus dem hebraumlischen Originaltext In der

hebraumlischen Version fehlt das Wort bdquoHerrrdquo In der LXX finden wir dass Psalm 10223-25 eine andere Bedeutung angenommen hat und durch eine Verschiebung des Vokals einen zweiten Herrn eingefuumlhrt hat der von dem einen Gott angesprochen wird Offensichtlich hat sich dieser Psalm zunehmend einer apokalyptischen messianischen Bedeutung erfreut Gott spricht nun zu einem anderen bdquoHerrnrdquo uumlber eine bdquoKuumlrze der Tagerdquo bis Gottes Werk vollendet sein wuumlrde also bis zur Ankunft des messianischen Koumlnigreichs Diese Lesung scheint die Meinungen in Markus 1320 und Matthaumlus 2422 beeinflusst zu haben und der Autor der Hebraumler stuumltzt sich auf diese eschatologische Interpretation um die Rolle Jesu bei der Gruumlndung der bdquokommenden Welt uumlber die wir sprechenrdquo (25) zu betonen

1358 Buzzard bemerkt dass Jesaja 5116 diese Erklaumlrung bestaumltigt Die Rede ist von einem Vertreter Gottes in den Gott seine Worte einbringt und den er benutzt um bdquodie Himmel und die Erde zu (be-)pflanzenrdquo Ein Bibelkommentar sagt bdquoDas wuumlrde keinen Sinn machen wenn es sich auf die urspruumlngliche [Genesis] Schoumlpfung bezoumlge In den anderen Faumlllen handelt Gott allein und ohne Mittler Hier ist derjenige den er unter seiner Hand versteckt hat sein Mittler Himmel und Erde muumlssen sich hier metaphorisch auf die Gesamtheit der Ordnung in Israel beziehen dh auf den Himmel der die umfassendere die uumlber-greifende Struktur des Reiches bedeutet waumlhrend das Landdie Erde die politische Ordnung in Israel selbst istrdquo (WBC Is 34-66 (Word Books 1984) p 212) So ist sowohl im Psalm 102 (aus der LXX) als auch im Jesaja der Messias der Agent mit dem Gott die neue politische Ordnung der kommenden Zeit aufbauen wirdrdquo (Anthony F Buzzard Jesus Was Not a Trinitarian McDonough Restoration Fellowship 2012) p 423) (Jesus war kein Trinitarier)

1359 Siehe 11QMelch 4QAmram und Songs of the Sabbath Sacrifice (Sabbat-Opferlieder)

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haben festgestellt dass auf Melchisedek mehrere Namen angewendet werden die normalerweise Namen fuumlr Gott sind wie das hebraumlische bdquoelrdquo und bdquoelohimrdquo und im Zitat des Autors aus Jesaja 612 wird Melchisedeks Name sogar direkt durch Gottes Namen Jahweh ersetzt Forscher haben daruumlber diskutiert ob Mel-chisedek in den Schriftrollen des Toten Meeres als Engel oder als erhabener Mensch dargestellt wird1360 Unabhaumlngig davon wurden juumldische Quellen aus dem ersten Jahrhundert entdeckt die alttestamentliche Passagen uumlber Jahwe auf ein Geschoumlpf (entweder Mensch oder Engel) in einem neuen und spirituellen Sinne anwenden

Was also ist mit Roumlmer 1013 und seiner Wiederanwendung des bdquower den Namen des Herrn anruftrdquo auf Jesus gemeint Wir wissen jetzt dass Paulus wie die an-deren neutestamentlichen Autoren oft alttestamentliche Passagen in neuen Kon-texten las und sogar messianische Prophezeiungen auf sich selbst anwandte weil er die gleichen Funktionen wie der Messias ausuumlbte Es sollte daher recht leicht zu verstehen sein wie Paulus Roumlmer 1013 auf Jesus anwendet In den Tagen des Alten Testaments sollten die Menschen den Namen Jahwes zur Erloumlsung anrufen (nach Joel 232) nach der Erhoumlhung Christi koumlnnen die Menschen nun jedoch den Namen des Herrn Jesus zum Heil und zur Erloumlsung anrufen Es geht hier nicht um eine Identifikation von Personen oder Wesen sondern um eine Uumlber-tragung oder eine Aufteilung von Pflichten oder Funktionen von Jahwe auf den erhabenen Messias1361 Wie in anderen Midrasch-Uumlbungen wird die urspruumlngliche Bedeutung von Joel 232 nicht durch ihre Wiederanwendung in Roumlmer 1013 er-setzt

1360 Siehe Michael Wise Martin Abegg Jr Edward Cook (ed) Dead Sea Scrolls A New Transla-

tion (Die Rollen vom Toten Meer eine neue Uumlbersetzung) (San Francisco Harper 1996) p 455 Waumlhrend Analysten wie Geza Vermes vorgeschlagen haben dass der Melchisedek der Schriftrollen vom Toten Meer mit dem Erzengel Michael identifiziert werden sollte (Geza Vermes The Dead Sea Scrolls in English (Sheffield JSOT Press 1987) S 300) sind viele Wissenschaftler der Meinung dass das Gewicht der Beweise in seiner Identifizierung als er-habener Mensch liegt David C Mitchell erklaumlrt dass die Art und Weise wie die Qumran-Schriftsteller Melchisedek neben anderen menschlichen Messias praumlsentieren bdquodeutlich zeigt dass ihr Melchisedek eine menschliche Priesterfigur istrdquo (David C Mitchell The Review of Rabbinic Judaism Altertum Mittelalter und Neuzeit Band VIII (Leiden Brill 2005) S 87) Natuumlrlich erfordert die weit verbreitete rabbinische Tradition die davon ausging dass Mel-chisedek tatsaumlchlich Shem der Sohn Noahs gewesen sei (vgl B Ned 32b Lev Rabbah 256) eine Theorie die selbst Martin Luther im 16 Jahrhundert unterschrieben hat einen Menschen (Siehe Martin Luther Lectures on Genesis 1418)

1361 Ein katholischer Gelehrter schreibt dass Psalm 1101 der den Messias zur Rechten Gottes beruft und der am Pfingsttag als in Jesus erfuumlllt erklaumlrt wird (Apg 234) darauf hinweist dass bdquoder erhabene Jesus nach der Auferstehung in Zukunft Funktionen erfuumlllen wird die wirklich Funktionen von Gott selbst sindrdquo (Kuschel S 269)

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Das Argument der bdquoGoumlttlichen Identitaumltrdquo von Bauckham und anderen Experten widerspricht essenziell dem wichtigsten Aspekt von Paulus Wiederaufnahme von AT-Texten mit der messianischen Geschichte im Hintergrund Einfach zu sagen Paulus identifiziere Jesus als Jahwe weil er Dinge tut die Jahwe tut uumlbergeht die Tatsache dass der Messias von Gott erhoumlht wurde und von ihm alle Autoritaumlt erhalten hat Paulus beabsichtigte in Roumlmer 1013 nicht zu sagen dass bdquoJesus Jahwe istrdquo - das seinem pharisaumlischen Judentum diametral zuwiderlaufen wuumlrde - sondern setzt einfach die neutestamentliche Erzaumlhlung voraus in welcher der eine wahre Gott den Menschen Jesus erhoumlht und ihm alle Autoritaumlt uumlbertraumlgt

Man beachte die Schwaumlche des trinitarischen Arguments In Joel 31 sagt bdquoGottrdquo bdquoIch werde meinen Geist ausgieszligen uumlber alles Fleischrdquo Aber spaumlter sagt Petrus dass bdquoJe-susrdquo den heiligen Geist in Apg 232-33 ausgegossen hat Daraus zieht der Trini-tarier den Schluss dass Jesus der Gott sein muumlsse der im Alten Testament ge-sprochen hat1362 Auch hier unterdruumlckt diese Art der Argumentation sowohl die biblische Erzaumlhlung als auch den wesentlichen mediatorischen Rahmen des Ju-dentums durch den diese Erzaumlhlung verlaumluft Wir koumlnnen nicht ignorieren dass der Monotheismus der Bibel von alters her klar auf einem Vermittlungssystem aufbaut in dem Gott mit und durch Mittler handelt die seine Aufgaben wahr-nehmen Sowohl das Alte als auch das Neue Testament gehen davon aus dass wir mit dieser Struktur vertraut sind Zum Beispiel lesen wir in Hesekiel dass bdquoJahwerdquo Israel die Gebote gegeben hat (Hesekiel 2011) Aber Josua gibt zu ver-stehen dass es bdquoMoserdquo war der die Gebote an Israel gab (Josua 225) Nach dem trinitarischen Argument muumlsste Mose in die Identitaumlt Jahwes aufgenommen wer-den Ebenso sagt Paulus dass die Gebote tatsaumlchlich von Engeln gegeben wur-den (Galater 319 Apg 753) Sollten die Engel dann nicht auch als Jahwe iden-tifiziert werden Natuumlrlich wird niemand fuumlr diese oberflaumlchlichen Interpretatio-nen plaumldieren Es versteht sich fast von selbst dass Gott das Gesetz Vermittlern gab die es dann dem Volk Israel weitergaben Auf die gleiche Weise gab Gott dem Vermittler Jesus seinen Geist (Johannes 334 Matthaumlus 1218) und Jesus gab ihn dann dem Volk (Apg 232-33)

Aber stellen wir uns ndash rein hypthetisch - fuumlr einen Moment vor dass die groumlsste und erstaunlichste Offenbarung die den Aposteln zuteilwurde darin bestand dass dieser Mann Jesus tatsaumlchlich der Gott Jahwe selbst war Man wuumlrde hoffen dass Paulus eine solch umwerfende atemberaubende Behauptung klarer ausdruuml-cken oder einen hilfreichen Kommentar hinzufuumlgen koumlnnte Wuumlrden sich die Leser des Paulus aus der haltlosen Anwendung dieser Jahwe-Passage in Roumlmer 1013 uumlberzeugen lassen dass ein vor kurzem von den Roumlmern gekreuzigter Mann dieser Nazarener ploumltzlich der angestammte unsterbliche Gott der Juden

1362 Siehe Bowman Putting Jesus in His Place pp 219-221

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sei Vor allem wenn Paulus uumlberall anderswo in seinen Episteln eine gegenteilige Meinung kundtat Wie einige trinitarische Gelehrte wiederholt zugegeben haben bdquounterscheidet Paulus Christus gewoumlhnlich von Gottrdquo1363 und bdquoPaulus setzt Jesus nie mit Gott gleichrdquo1364 Sollten wir angesichts dieser fairen Einschaumltzung schluss-folgern dass Paulus in Roumlmer 1013 ploumltzlich genau das Gegenteil behauptete

Fuumlr die Trinitarier die unbiblisch argumentieren dass bdquoHerrrdquo (kyrios) im Neuen Testament gleich dem bdquoJahwerdquo des Alten Testaments sei koumlnnten andere schwer-wiegende und wahrscheinlich unbeabsichtigte Folgen entstehen Erstens erklaumlren die Apostel die Einsetzung Jesu in die Position der bdquoHerrnrdquo bei der Einweihung der Kirche

Diesen Jesus hat Gott auferweckt wovon wir alle Zeugen sind Das ganze Haus Israel wisse nun zuverlaumlssig dass Gott ihn sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht hat diesen Jesus den ihr gekreuzigt habt (Apostelgeschichte 232a 36)

Nach Ansicht der Apostel machte Gott Jesus zum bdquoHerrnrdquo Wenn bdquoHerrrdquo jedoch bdquoJahwerdquo bedeutet hieszlige das dass Jahwe Jesus zu Jahwe gemacht hat Richtiger erscheint Jesus wurde von Gott Herrschaft verliehen (in dem Sinne dass er als der Meister und der Herrscher aller Dinge etabliert wurde) oder - so koumlnnte man auch argumentieren - Jesus wurde von Gott in den Status von Jahwe erhoben (er wurde in einem gewissen Sinn selbst zu Jahwe gemacht)

Einige Trinitarier haben vorgeschlagen dass Christus sich tatsaumlchlich seiner Jahwe-Eigenschaft bei der Inkarnation entledigt [entaumluszligert] und sie bei seiner Er-houmlhung einfach wieder zuruumlckgenommen habe somit er in diesem Sinne zu Jahwe gemacht wurde Aber die Apostel sagten nicht dass Jesus die Herrschaft zuruumlckgenommen hat sondern dass Gott ihn zu etwas gemacht hat was er zuvor nicht war Zweitens wie koumlnnte jemand der Jahwe ist seinen Jahwe-Rang bei-seitelegen ohne aufzuhoumlren Jahwe zu sein Das entspricht nicht der orthodoxen Lehre gemaumlszlig welcher der Sohn auch bei der Vereinigung mit der menschlichen Natur voll Gott geblieben sein soll So haben andere behauptet dass es seine Mitberechtigung an der Goumlttlichkeit gewesen sein muss der er sich entaumluszligerte habe indem er sich Gott dem Vater auf Erden unterwarf und es war seine Mit-berechtigung an der Goumlttlichkeit die er wieder aufgenommen habe als er zum Herrn gemacht wurde Aber das scheint sowohl fundamental unmoumlglich als auch im Widerspruch zur Orthodoxie Die drei Personen sind angeblich von Natur aus gleich-ewig gleichbedeutend und gleichberechtigt wenn die zweite Person

1363 C J Cadoux A Pilgrimrsquos Further Progress (London Religious Book Club 1945) p 40 42 (Eines Pil-

gersweiterer Forstschritt) 1364 W R Matthews The Problem of Christ in the 20th Century (Oxford OUP 1949) p 22 (Das Problem

Christus imn 20 Jahrhundert)

Der Sohn Gottes

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der Dreifaltigkeit fundamental ungleich zu den anderen gemacht wurde ndash auch nur voruumlbergehend - dann sind die drei Individuen von Natur aus nicht mehr gleichberechtigt sie sind nur durch Vereinbarung gleichberechtigt Auszligerdem wie koumlnnte der einzige Gott jeden Aspekt von sich selbst mit sich selbst ungleich ma-chen Sprechen wir nicht von einem Wesen Sicherlich fehlte es den juumldischen Aposteln sowohl an den Mitteln als auch an der Notwendigkeit die Kirchenmit-glieder uumlber eine solche tiefgreifende Abstraktion in Kenntnis zu setzen

Wir sollten nicht davon ausgehen dass Paulus damit sagen wollte der gekreuzigte Jesus sei in irgendeiner Weise Jahwe [Gott] geworden Wie Hastings schreibt bdquoWir muumlssen jede Art von Sprache vermeiden die darauf hindeutet dass fuumlr den heiligen Paulus die Himmelfahrt Christi die Vergoumlttlichung war Fuumlr den Juden waumlre die Vorstellung dass ein Mensch sbquoGottrsquo werden koumlnnte eine unertraumlgliche Blasphemie gewesenrdquo1365 Wenn Paulus nirgendwo Christus bdquoGottrdquo nennt dann scheint es offensichtlich dass Paulus ihn auch nicht als Jahwe identifizieren wuumlrde Aber wenn Paulus mit seiner Wiederanwendung dieser alttestamentlichen Pas-sage nicht meinte dass Jesus in irgendeiner Weise zu Jahwe mutiert habe sich verwandelte oder umgestaltet wurde was meinte er dann

Keinesfalls vergessen duumlrfen wir dass er nach der Auferstehung Christi von Gott zum bdquoHerrnrdquo gemachtberufen wurde (Apg 23236)1366 Der Grund fuumlr diese rangmaumlszligige Erhoumlhung war ausdruumlcklich der selbstlose Dienst als den er sich Gott gegenuumlber erwiesen hat (Philipper 28-9) Das ultimative Ziel der Anerken-nung Jesu als bdquoHerrrdquo ist nicht nur die Verherrlichung Jesu sondern auch des Gottes der ihn erhoumlht hat Damit bdquojede Zunge bekenne dass Jesus Christus Herr ist zur Ehre Gottes des Vatersrdquo (Philipper 211-12)

Nach dem Empfang seines hohen Amtes wurde ihm alle Autoritaumlt verliehen alle Angelegenheiten des Universums wurden in seinen Zustaumlndigkeitsbereich ge-stellt obwohl er Gott unterworfen blieb (1 Kor 127) Wie ein Gelehrter schreibt bdquoJesus ist nicht Gott sondern der Vertreter Gottes und als solcher han-delt er so vollstaumlndig im Namen Gottes dass er an der Stelle Gottes vor der Welt stehtrdquo1367 Ein anderer Gelehrter erklaumlrt in diesem Zusammenhang die Wieder-anwendung des Herrn durch Paulus bdquoAls die Apostel Jesus solche Ehrentitel wie

1365 Hastings pp 707-708 unsere Hinzufuumlgung 1366 Die Verwendung des Titels bdquoHerrrdquo fuumlr den Jesus vor der Auferstehung im Evangeliumsbericht kann

als Identifikation seines koumlniglichen Status als Gottes Sohn verstanden werden Es kann aber auch die Perspektive des Autors nach der Auferstehung zeigen Dunn schreibt bdquoPremierminister Wilson hat in Oxford Wirtschaftswissenschaften studiert Niemand missversteht den Satz so dass Harold Wilson bereits in Oxford Premierminister war (obwohl es die natuumlrliche Bedeutung des Satzes ist) Jeder der es bewusst oder unbewusst liest interpretiert es so dass er sagt (in einer praumlziseren Sprache) bdquoHarold Wilson der spaumlter Premierminister wurde studierte Wirtschaftswissenschaft in Oxfordrdquo (Dunn Chris-tology p 334 n 121)

1367 Jacob Jervell Jesus in the Gospels (Minneapolis Augsburg Publishing House 1984) p 21

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Christus Menschensohn Gottessohn und Herr zuteilten waren das Wege nicht zu sagen dass er Gott sei sondern dass er Gottes Werk getan haberdquo1368 Deshalb wurde Gottes Rolle als Quelle des Heils auf Jesus uumlbertragen obwohl er sie vor-her nicht innehatte Das ist keine Spekulation sondern das einfache Zeugnis des Neuen Testaments

Dadurch wurde er zur Vollendung gebracht und ist zum Urheber ewigen Heils geworden fuumlr alle die ihm gehorsam sind (Hebraumler 59)

Hier sehen wir dass Jesus tatsaumlchlich eine groszlige Veraumlnderung eine Vervoll-kommnung eine Erhoumlhung erfahren hat erst nachdem dieser Prozess abge-schlossen war wurde er zu demjenigen an den sich die Menschen fuumlr ihre Erlouml-sung wenden koumlnnen Natuumlrlich waren die Menschen schon immer in der Lage Jahwe um Erloumlsung zu bitten und wer zu ihm ging empfing sie Aber jetzt im neuen Schema der Dinge ist die Erloumlsung im Menschen Jesus Christus zu finden Unter Hinweis auf die beispielhafte Beziehung zwischen Joseph und dem Pharao der ihn zum bdquoHerrnrdquo uumlber Aumlgypten gemacht hat (1 Mose 4140 Psalm 10521) stellen wir fest dass die Menschen zuvor zum Pharao gegangen waren um ihre Beduumlrfnisse zu befriedigen aber nach Josephs Amtseinfuumlhrung als Vizekoumlnig sagte der Pharao ihnen bdquoGeht zu Joseph rdquo (1 Mose 4155) In Roumlmer 1013 wie-derholt Paulus genau das Jeder der zu Jesus geht wird gerettet werden Ein wei-terer Gelehrter bestaumltigt Paulusrsquo Ansicht bdquoDer paulinische Christus der das Werk der Erloumlsung vollbringt ist eine Persoumlnlichkeit die sowohl menschlich als auch uumlbermenschlich ist nicht Gott sondern der Sohn Gottesrdquo1369

Letztendlich sollten wir daraus nicht den Schluss ziehen dass die Anwendung von Gottes Namen oder Titeln auf Jesus selbst in einem Zitat des Alten Testa-ments bedeutet dass sie ein und dasselbe Wesen sind Aus biblischer Sicht sind zwei Personen denen der gleiche Ehrentitel verliehen wird nicht als eine Identi-taumlt zu betrachten Auf Jesu Gewand und auf seiner Huumlfte steht der Name bdquoKoumlnig der Koumlnige und Herr der Herrenrdquo (Offbarung 1916) und Gott selbst hat in 1 Timotheus 615 der Titel bdquoKoumlnig der Koumlnigerdquo

Der persische Groszligkoumlnig Artaxerxes wird auch bdquoder Koumlnig der Koumlnigerdquo genannt (Esra 47 77) und Daniel gibt Koumlnig Nebukadnezar in Daniel 237 diesem Titel Die Verwendung von fuumlrstlichen Titeln fuumlr den erhabenen Christus und sogar die Anwendung von Jahwe-Texten auf ihn laumlsst sich leicht erklaumlren mittels der Midrasch-Interpretation der Schrift durch die Apostel ihr Verstaumlndnis des heb-raumlischen bdquoGesetzes der Handelsvollmachtrdquo (in dem ein Vertreter die Autoritaumlt

1368 G H Boobyer ldquoJesus as Theos in the New Testamentrdquo Bulletin of the John Rylands Library 1967-1968

Vol 50 (Manchester University Press 1968) p 250 (Jesus als theos im NT) 1369 Siehe Maurice Goguel Jesus and the Origins of Christianity (New York Harper 1960) p 109 (Jesus

und der Ursprung der Christenheit)

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und den Namen seines Auftraggebers offiziell traumlgt) und durch die Tatsache dass Gott Jesus ausdruumlcklich zum bdquoHerrnrdquo gemacht hat Da das Neue Testament bereits erklaumlrt dass Gottes Macht sein Name und die Autoritaumlt Jesus von seinem Gott gegeben wurden besteht keine Notwendigkeit nach einer anderen Erklaumlrung zu suchen Wir muumlssen nicht davon ausgehen dass Jesus irgendwie Jahwe selbst sein muss Im Lichte des 1 Korintherbriefes 1527-28 ist Jesus als der erhabene aber Gott stets unterworfene Agent des Houmlchsten zu betrachten Wie McGrath be-merkt bdquoDer Monotheismus bliebe nicht erhalten waumlre Jesus in Gott aufgenom-men oder wuumlrde er in die goumlttliche Identitaumlt einbezogen sondern weil Gott selbst nicht Christus sondern Christus Gott unterworfen ist und Jesus im Namen Got-tes uumlber absolut alles andere herrschtrdquo1370

Zum Abschluss muumlssen wir noch einmal betonen was viele Gelehrte bereits ein-gestanden haben bdquoWenn die neutestamentlichen Autoren uumlber Jesus Christus schreiben dann ist nie die Rede von einem Gott noch halten sie ihn fuumlr Gottrdquo1371 Ein Oxford-Professor bekraumlftigt vernuumlnftigerweise die Tatsache dass im gesam-ten Neuen Testament bdquowir nicht annehmen duumlrfen dass die Apostel Christus mit Jehova identifiziert haben es gab Passagen die diese Identifikation unmoumlg-lich machten zum Beispiel Psalm 1101rdquo1372 Eine unuumlberwindbare Barriere hin-derte die Apostel daran selbst den verherrlichten Messias als den Gott ihrer Vaumlter zu identifizieren Wir haben zu wenig Grund zu glauben dass sie ihn als etwas anderes angesehen haben als einen groszligartigen Menschen aus Fleisch und Blut der in Galilaumla mit ihnen umherzog Sie redeten mit ihm wie mit einem anderen Menschen und hatten ndash selbst nach seiner Auferstehung - Kontakt mit ihm Sie teilen sogar das Essen mit ihm

Um dieses Kapitel uumlber die angebliche Gottheit oder Goumlttlichkeit Christi [die Di-vintaumlt] abzuschlieszligen werden wir die zutreffende Beobachtung eines Professors fuumlr Bibelstudien beifuumlgen der unsere Erkenntnisse treffend zusammenfassts

Die Wahrheit ist dass juumldische Quellen des Mainstream-Judentums den Messias nie als goumlttlich oder vorexistent betrachteten Er ist der Nachkomme von Davids Buumlndnis wie im 2 Samuel 7 erwaumlhnt Wenn Jesus sich selbst als Messias betrachtete dann ist es diese menschliche Gestalt die er im Sinn hatte Die traditionellen Be-griffe wie bdquoder Sohn Gottesrdquo bdquoder Menschensohnrdquo bdquoder Herrrdquo wurden allesamt auch fuumlr menschliche juumldische Koumlnige im Psalm-buch (27 8018 1101 etc) verwendet Als Monotheist kann Jesus sich nicht in vernuumlnftiger Weise als Jahwe angesehen haben und in

1370 McGrath The Only True God p 50 1371 J M Creed The Divinity of Jesus Christ (London Fontana 1964) pp 122-123 1372 Charles Bigg International Critical Commentary on Peter and Jude (Edinburgh T amp T Clark 1910) p 99

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den fruumlheren Traditionen spricht er immer von sich selbst mit menschlichen messianischen Eigenschaften [Er dachte nicht] dass er Gott sei sondern dass er Gottes Stellvertreter sei Wegen Vorurteilen uumlbersieht die Orthodoxie laufend wichtige Bindeglie-der oder Mittelbedingungen Die fruumlheste Gemeinde sah ihn nicht als bdquoGott Sohnrdquo sondern als den Menschen den Gott erweckte mit dem Heiligen Geist ausstattete und beauftragt hat um diesen Geist auch auf die Gemeinde auszugieszligen (Apg 233)1373

1373 Micahel Goulder Incarnation and Myth the Debate Continued (Grand Rapids Eerdmans 1979) p

143 (Inkarnation und Mythos ndash der Fortgang der Debatte)

Die ldquoAnbetungrdquo des Herrn

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13

DiebdquoAnbetungrdquodesHerrn

bdquoWenn ich ein Wort benutzerdquo sagte Humpty Dumpty in einem eher veraumlchtli-chen Tonfall bdquobedeutet es genau das was ich meine - weder mehr noch wenigerrdquo

Lewis Carroll

IE ANBETUNG JESU CHRISTI IM NEUEN TESTAMENT wird oft als der staumlrkste Beweis seiner Goumlttlichkeit seiner Divinitaumlt vorgebracht Viele moderne Trinitarier besonders in evangelikalen Kreisen haben

den folgenden Gedankengang gemacht Praumlmisse 1 bdquoNur Gott darf angebetet werdenrdquo Praumlmisse 2 bdquoJesus wurde angebetetrdquo Schlussfolgerung bdquoJesus ist iden-tisch mit Gottrdquo Sind sowohl Praumlmisse 1 als auch Praumlmisse 2 richtig dann ist die Schlussfolgerung auch richtig Aber wenn eine der beiden Voraussetzungen falsch ist dann braucht es eine andere Loumlsung Beginnen wir einmal damit die Guumlltigkeit von Praumlmisse 2 anzuerkennen Es ist absolut wahr dass Jesus im Neuen Testament verehrt und angebetet wurde sowohl von verschiedenen Per-sonen waumlhrend seines irdischen Dienstes als auch spaumlter in der Offenbarung als der erhabene Christus von der ganzen Welt

Unsere Frage aber ist in welchem Sinne wurde Jesus angebetet War es als Gott oder als etwas anderes Wenn Jesus ein Geschoumlpf [Gottes] ist wie passte dann seine Anbetung zu dem etablierten Monotheismus

Faumllschlicherweise definieren Trinitarier den Monotheismus oft nicht als den Glauben an nur einen einzigen Gott sondern auch als den Glauben dass nur eine Einheit [eine Gottheit] angebetet werden kann Der Grund warum Trinitarier den Monotheismus auf diese Weise auslegen liegt in der Hoffnung die Anbetung Jesu als Beweis fuumlr seine Gottheit oder Goumlttlichkeit nutzen zu koumlnnen Wie

D

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Andrew Perry jedoch erklaumlrt wird der juumldische Monotheismus der Bibel nicht durch Verehrungspraktiken definiert sondern einfach durch den Glauben an das was die Schrift in Bezug auf Goumltter erklaumlrt bdquoEs gibt nur einen Gott den Vaterbdquo (1 Kor 86) bdquoIch bin Jahwe und es gibt keinen anderen auszliger mir gibt es keinen Gottrdquo (Jesaja 455)1374 Wie ein Gelehrter es ausdruumlckt ist der Monotheismus einfach bdquodie The-orie die Lehre oder die Uumlberzeugung dass es nur einen Gott gibtrdquo1375 Diese Lehre wird in der neutestamentlichen Gemeinschaft von den Judenchristen kom-promisslos aufrechterhalten waumlhrend gleichzeitig bdquodie Andachtspraxis fuumlr Chris-ten um das Bekenntnis zu Christus erweitert wurderdquo1376 Wie wir gesehen haben war das fruumlheste christliche Bekenntnis uumlber Jesus nicht das Bekenntnis dass er Jahwe ist sondern dass er der aus der Linie Davids stammende Herr und der Messias [der Gesalbte] Gottes ist Daher wird unser Vorschlag in diesem Kapitel sein dass die Verehrung Jesu im Neuen Testament keine Verletzung oder Aktu-alisierung des zeitgenoumlssischen juumldischen Monotheismus darstellte Jesus wurde nicht als Gott verehrt sondern erhielt die Anbetung in einem sekundaumlren Sinne als Gottes Sohn und als Gesandter den Gott erhoumlht hat Es gibt keine Anbetung des Menschen Jesus waumlhrend gleichzeitig Gott vernachlaumlssigt wird sondern die Anbetung oder Verehrung Jesu erfolgt im Gehorsam gegenuumlber Gott der sie befoh-len hat (Hebraumler 16 vgl Ps 977)

AnbetungnachdembiblischenWeltbildDie Praumlmisse 1 dass bdquonur Gott angebetet werden darfrdquo beweist die Bibel selbst unmittelbar als falsch Die Anbetung und Huldigung verschiedener Personen die offensichtlich nicht den Status des einen wahren Gott haben ist in der ganzen Schrift leicht zu finden Diese Persoumlnlichkeiten ohne goumlttlichen Rang erhalten Anbetung und Ehrerbietung ohne Einsprache Zurechtweisung oder Korrektur und einige werden sogar neben Gott verehrt Zum Beispiel wurde Daniel im Alten Testament durch den Koumlnig von Babylonien verehrt

Da fiel der Koumlnig Nebukadnezar auf sein Angesicht und warf sich nieder vor Daniel und befahl man sollte ihm Speisopfer und Raumlucheropfer dar-bringen Und der Koumlnig antwortete Daniel und sprach Wahrhaftig euer Gott ist ein Gott uumlber alle Goumltter und ein Herr uumlber alle Koumlnige der Ge-heimnisse offenbaren kann wie du dies Geheimnis hast offenbaren koumlnnen (Daniel 246-47)

1374 Andrew Perry ldquoJewish Monotheism in the First Centuryrdquo One God the Father (East Bolden Willow

2013) pp 40-55 Dank an Brian Wright fuumlr den Hinweis (Juumldischer Monotheismus im 1 Jh Ein Gott der Vater)

1375 G F Moore Zitat ebenda 1376 Ebenso p 55 unsere Hinzufuumlgung

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Daniel hat weder diesen Akt der Anbetung korrigiert noch hat er die Opfergaben abgelehnt Hat Daniel damit Blasphemie begangen Hat er zu Unrecht entgegen-genommen was Gott nur fuumlr sich selbst vorbehalten hat Anderswo im Alten Testament finden wir dass David der Koumlnig von Israel sogar gemeinsam mit Gott verehrt wurde

Und David sprach zur ganzen Gemeinde Lobet den HERRN euren Gott Und die ganze Gemeinde lobte den HERRN den Gott ihrer Vaumlter und sie neigten sich und fielen nieder vor dem HERRN und vor dem Koumlnig (1 Chronik 2920)1377

Obschon hier steht dass sowohl Gott als auch David vom Volk bdquoangebetetrdquo wurden glauben wir doch nicht dass sie auf die genau gleiche Art und Weise verehrt werden Wir finden auch dass das Volk Israel selbst von seinen Feinden bdquoverehrtrdquo und sogar bdquoangebetetrdquo werden soll (Jesaja 4514) Umgekehrt bdquover-ehrterdquo Abraham auch das heidnische Volk des Landes (1 Mose 237) Wurden diese Leute als bdquoGottheitrdquo wahrgenommen Als das Volk Israel den Koumlnig David anbetete hat es dann das Gebot Gottes vergessen bdquoDu sollst keinen andern Gott anbetenrdquo (2 Mose 3414) Sicherlich nicht Offensichtlich kann man autoritative Persoumlnlichkeiten die nicht den Rang des einen Gottes haben anbeten sie vereh-ren sie respektieren und ihnen huldigen ohne dabei einen Verrat am Monothe-ismus zu begehen

Was bedeutet denn bdquoAnbetungrdquo uumlberhaupt Im Hebraumlischen wird es durch das Wort bdquoshachahrdquo dargestellt ein Verb das woumlrtlich bdquoHuldigung durch Sich-Nieder-werfenrdquo1378 oder bdquoVerbeugungrdquo oder bdquoKniefallrdquo bedeutet1379 Das gleiche hebrauml-ische Wort wird verwendet um die Handlung zu beschreiben die von Menschen sowohl Gott (1 Mose 2448) als auch Nicht-Gottheiten (1 Mose 237) entgegen-gebracht wird Das Neue Testament folgt diesem Beispiel Das griechische Wort ist bdquoproskuneordquo ein Verb das woumlrtlich bdquodurch knienbdquo oder bdquosich niederwerfen zu Ehrenrdquo oder bdquosich verbeugen vorrdquo1380 bdquosich verneigenrdquo bedeutetrdquo1381 Wiederum wird das gleiche Wort verwendet um den Akt des Respekts zu beschreiben der sowohl Gott gezollt wird (Offenbarung 1612) als auch Nicht-Gottheiten gezeigt werden kann (Matthaumlus 1826)

1377 Die Septuaginta uumlbersetzt die bdquoAnbetungrdquo in 1 Chronik 2920 in Griechisch mit bdquoπροσεκύνησανrdquo oder

bdquoproskeynesanrdquo es besteht uumlberhaupt kein Zweifel dass die gleiche Handlung die Jesus in der Offen-barung entgegennimmt von David im Alten Testament empfangen wurde

1378 Brown-Driver-Briggs Hebrew and English Lexicon 2002 1379 NAS Exhaustive Concordance of the Bible with Hebrew-Aramaic and Greek Dictionaries 1981 The

Lockman Foundation (Ausfuumlhrliche Konkordanz) 1380 Thayerrsquos Greek Lexicon Strongrsquos NT 4352 1381 NAS Exhaustive Concordance 1981

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bdquoAnbetungrdquo ist daher im biblischen Sinne nicht etwas das ausschlieszliglich dem einen Gott gegeben werden kann oder darf Waumlhrend die devote koumlrperliche Po-sition die man einnimmt (der Kniefall oder der Fuszligfall) optisch gleich aussehen mag ist die Haltung des Herzens ausschlaggebend naumlmlich das innere Motiv Ehrerbietung kann auch ausgedruumlckt werden wenn ein Wuumlrdentraumlger oder eine Respektsperson den Raum betritt sei dies ein Bezirksrichter oder eine Person des Obersten Rates und wir uns erheben Wir erweisen auch Vorgesetzten - aus un-terschiedlichen Gruumlnden vielleicht - die Ehre Waumlre Jesus also zum Beispiel der ehrwuumlrdige Koumlnig von Israel ein Mensch also und nicht Gott waumlre es fuumlr einen Juden immer noch vertretbar ihn in aumlhnlicher Weise wie einst Koumlnig David bdquozu verehrenrdquo Inakzeptabel waumlre es gemaumlszlig 2 Mose 3414 irgendeinen Menschen in gleicher Weise wie den einen wahren Gott anzubeten Dieses Gebot ist konkret es scheint aber nicht dass Gott die Hochachtung den Respekt oder die Ehrerbie-tung von jemandem auszliger ihm grundsaumltzlich ausgeschlossen hat sondern dass er die bdquoAnbetungrdquo von jemand anderem als Gott verboten hat Gemaumlszlig Jesus soll die spezifische Anbetung und Verehrung Gottes von den wahren Anbetern an den Vater gerichtet werden (Johannes 421ff)

Dennoch wird uumlblicherweise von den Trinitariern behauptet dass Menschen im Neuen Testament Jesus ausdruumlcklich als Gott angebetet haumltten Anscheinend gibt es keine Aufzeichnungen dass er Leute die ihn auf diese Weise (proskuneo) ver-ehrt haben oumlffentlich zurechtgewiesen haumltte Im Fall dass Jesus Gottes eigene Herrlichkeit fuumlr sich selbst beansprucht haumltte waumlre er [der Blasphemie] schuldig auszliger er waumlre wirklich Gott gewesen Aber glaubte Jesus selbst dass ihm seine Mitmenschen die besondere Ehre geben sollten die sonst nur Gott gebuumlhrt Was wird in den Evangelien berichtet Jesus hat Menschen wiederholt aufgefordert nur den bdquoVater als Gott anzubetenrdquo (Johannes 423) Was Jesus privat uumlber ihre Handlungen gedacht haben mag wird nicht berichtet Haumltte er alles angenom-men was ihm angeboten wurde haumltte er sich zumindest [der Gotteslaumlsterung] mitschuldig gemacht Trinitarier geben zu dass die Lehren der Dreifaltigkeit oder gar der Goumlttlichkeit Christi den Juden zu dieser Zeit nicht bekannt waren So erscheint es [kulturell und religioumls] hypothetisch zu schlieszligen dass die Judenchris-ten beabsichtigten Jesus die besondere Ehre zu erweisen die nur dem allmaumlchti-gen Gott gebuumlhrt Oder hat er selbst diese Faumllle von Ehrerbietung als den ange-messenen Respekt gewertet welcher wichtigen Persoumlnlichkeiten erwiesen wurde Sein Publikum sprach stets von ihm als von einem Menschen Waumlhrend ihn viele seiner Nachfolger wohl fuumlr den prophezeiten Messias hielten geben sogar Trini-tarier zu dass sich kein Jude den Messias je als Gott waumlhnte oder vorstellte1382

1382 Die Anbetung Christi in den Evangelien ist eigentlich theologisch gutartig und beweist oder widerlegt

nichts uumlber eine hypothetische bdquoinnere goumlttliche Naturrdquo Viele Gelehrte haben bestaumltigt dass bdquoeine sol-che Anbetung keinen Beweis dafuumlr liefert dass Jesus ein goumlttliches Wesen war Sein Charakter muss

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Wir fragen uns ob Uumlbersetzungsvorurteile [translation bias auf Englisch] etwas mit der allgemeinen Vorstellung zu tun haben koumlnnten dass Jesus im Neuen Testa-ment als Gott angebetet wurde Welche wirklichen Beweise gibt es ausschlieszliglich in den biblischen Aufzeichnungen die eindeutig zeigen dass seine Anbetung durch die Juden die Art und Weise war die eigentlich einer Gottheit vorbehalten war und nicht die Art die anderen menschlichen oder engelsgleichen houmlheren Persoumlnlichkeiten angeboten wurde Gibt es welche

UumlbersetzungenwelchedieAnbetungderGottheitdurchsetzenVielleicht begegnen wir hier mehr als in jedem anderen Bereich der christologi-schen Forschung einem der treuesten Begleiter der orthodoxen Interpretation im Kampf um die Herzen und Sinne der Glaumlubigen wie bereits erwaumlhnt dem Vor-urteil in der Uumlbersetzung Wenn sich Uumlbersetzungskomitees insbesondere diejeni-gen die daran interessiert sind das postnicaumlnische Portraumlt Jesu zu verteidigen so eng auf eine einzige Interpretation eines Wortes konzentrieren und andere ver-tretbare Bedeutungen kategorisch ausklammern auszliger sie erscheinen als theolo-gisch sinnvoll wird dem Bibelstudenten viel Muumlhe bereitet Die an Bildung inte-ressierten Christen und Christinnen sind schon eifrig zu den Experten zu den professionellen Exegeten gekommen sie haben ihr Verstaumlndnis dem Engage-ment des Komitees fuumlr lexikalische Genauigkeit anvertraut und erwarteten eine moumlglichst sichere Interpretation von Sprachen die sich auszligerhalb ihrer eigenen Reichweite befinden Doch in vielen Faumlllen wurde die Kommunikation der Bibel durch eine starke Tendenz zu Uumlbersetzungs-entscheidungen vereitelt die eher dazu dienten bestimmte doktrinaumlre Investitionen zu rechtfertigen als die volle Bandbreite des Verstaumlndnisses hinter kulturell gepraumlgten historischen Begriffen anzubieten Der Bibel muss erlaubt werden frei zu atmen Die Autoren der Hei-ligen Schrift operierten nicht im Vakuum dh im luftleeren Raum sondern in einer lebendigen Kultur die uumlber den starren Rahmen der orthodoxen Interpre-tation hinausreichte

Nur wenige Faumllle veranschaulichen dieses Thema besser als das griechische Wort bdquoproskuneordquo das in den englischen Versionen des Neuen Testaments als bdquoworshiprdquo in der deutschen Sprache am ehesten mit bdquoAnbetungrdquo wiedergegeben wird Wenn

durch andere Beweise bestimmt werdenrdquo (Lucius Robinson Paige A Commentary on the New Testa-ment Vol 1 (Boston Benjamin B Mussey 1849) S 92) Ein anglikanischer Priester schreibt bdquoDie Juden praktizierten die buumlrgerliche Anbetung sowohl an Koumlnige als auch an Propheten entweder durch Beugen des Knies [Knicks] durch Niederwerfen oder durch Fussfall vor ihnen Woraus ich schlieszlige dass die Ehrerbietungen die unserem gesegneten Retter gegeben wurden von jenen Juden und Heiden die nichts von seiner Goumlttlichkeit wussten kein Argument seiner goumlttlichen Natur sein konnte sondern ihm als Messias als von Gott gesandter Prophet oder als Koumlnig von Israel gezollt wurderdquo (Daniel Whitby ldquoAnnotations on [Matthew] Chap VIIIrdquo A Critical Commentary and Paraphrase on the Old and New Testaments Vol 5 (London Richard Priestly 1822) p 103)

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wir die antike Welt der Bibel besuchen sind wir sofort mit einem Gefuumlge oumlffent-licher Hierarchie konfrontiert dh auch mit einer Koumlrpersprache die Uumlberlegenheit und Unterwerfung zwischen den Mitgliedern in dieser Umgebung sichtbar kom-muniziert Kuumlsst man jemandem die Fuumlszlige kniet man nieder verbeugt und ver-neigt man sich oder beruumlhrt man mit dem Gesicht die Erde druumlckt man mit die-sen Verhaltensweisen Ehrfurcht Respekt oder Hochachtung vor einer Person houmlheren Ranges aus Zu Jesu Zeiten waren solche Ausdrucksformen an der Ta-gesordnung Im Neuen Testament ist das wichtigste griechische Wort in diesem System das bereits erwaumlhnte bdquoproskuneordquo das Thayer definiert als bdquoEhrfurcht zei-genrdquo bdquoEhrerbietung erweisenrdquo den Boden oder den Saum des Kleides bdquokuumlssenrdquo und natuumlrlich bdquoanbetenrdquo Diese Anbetungsgesten oder damit verwandte Formen waren aber nicht nur Gott vorbehalten sondern wurden zwischen allen moumlgli-chen hierarchischen Parteien ausgetauscht Schuldner kuumlssten die Fuumlsse ihrer Glaumlubiger Diener verbeugten sich vor ihren Herren unterworfene Nationen hul-digten im Staub vor ihren Eroberern ndash mit anderen Worten ein Vollkoumlrperein-satz der eigenen Ehrerbietung

Wenn jedoch Christen heute das Wort bdquoanbetenrdquo (proskuneo) verwenden deuten sie fast immer auf eine religioumlse Verehrung hin die ihrer Meinung nach nur Gott vorbehalten ist Der Begriff bdquoAnbetungrdquo [lat ad-oratio] hatte in der Antike eine viel breitere Bedeutung die sie vom griechischen bdquoproskuneordquo uumlbernommen hatte Im Laufe der Zeit ist die Bedeutung jedoch enger geworden Aumlltere Uumlbersetzun-gen wie die von Martin Luther lagen sicher nicht falsch als sie das griechische Wort bdquoproskuneordquo mit bdquoanbetenrdquo uumlbersetzten In seiner Zeit wurden Koumlnige und Herren gemeinhin als Exzellenz Majestaumlt Hoheit oder Durchlaucht uauml angere-det Es waumlre unklug alle Faumllle von bdquoproskuneordquo mit bdquoanbetenrdquo zu uumlbersetzen vor allem da eine ganze Reihe von Synonymen zur Auswahl steht Aber noch schlim-mer ist es bdquoanbetenrdquo selektiv auf gewisse Stellen zu beschraumlnken die man in ein bestimmtes religioumlses Licht tauchen will Ein Begriff kann im Laufe der Zeit eine oder mehrere andere Bedeutungen annehmen Ist dies der Fall dann sollte ndash un-serer Meinung nach - eine solche Verschiebung in der Uumlbersetzung beruumlcksichtigt werden Wir duumlrfen erwarten dass moderne Uumlbersetzungen eine moderne Spra-che verwenden es sei denn es gaumlbe durch die Beibehaltung veralteter Sprachfor-men etwas zu gewinnen das heute theologisch Tiefgruumlndigeres suggeriert als fruuml-her

Unsere Kritik in dieser Hinsicht ist dass viele moderne Uumlbersetzer aufgrund christologischer Verzerrungen bdquoproskuneordquo bewusst als bdquosich niederwerfenrdquo oder bdquohuldigenrdquo uumlbersetzen wenn die Handlung an andere Menschen gerichtet ist Sie verwenden jedoch gezielt bdquoanbetenrdquo wenn die Taumltigkeit mit Jesus im Zusammen-hang steht Obwohl das Wort lediglich auf einen Akt der Unterwerfung hinweist wird der Begriff ploumltzlich durch eine tendenzioumlse Umkehrung zur bdquoAnbetungrdquo

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dh in eine oumlffentliche Anerkennung der Goumlttlichkeit umgewandelt [Nicht von ungefaumlhr wird die englische Bezeichnung worship service auf Deutsch mit Gottes-dienst uumlbersetzt Anm d Uuml]

Ein treffendes Beispiel fuumlr diese Verzerrung finden wir in der Geschichte des reichen Mannes in Matthaumlus 1826 Zu beobachten ist hier wie allgemein populaumlre Uumlber-setzungen nicht mehr die Wiedergabe des Wortes bdquoanbetenrdquo der Luther-Bibel 1912 verwenden sie vermeiden unseres Erachtens zu Recht die antiquierte Form bdquoan-betenrdquo aufgrund der modernen Bedeutungsverschiebung des Wortes

LUT 1912 Da fiel der Knecht nieder und betete ihn an und sprach Herr habe Geduld mit mir ich will dirrsquos alles bezahlen

LUT 2017 Da fiel der Knecht nieder und flehte ihn an und sprach Hab Geduld mit mir ich will dirs alles bezahlen

ELB Der Knecht nun fiel nieder bat ihn kniefaumlllig und sprach Herr habe Geduld mit mir und ich will dir alles bezahlen

Die Uumlbersetzer wollen offenbar nicht dass jemand den Fehler macht der Diener bringe dem reichen Mann die religioumlse Anbetung als Gott dar daher wird die tra-ditionelle Uumlbersetzung ersetzt

Ein weiteres Beispiel fuumlr diese wohl vernuumlnftige Praxis finden wir in Offenbarung 39 Da sagt der auferstandene Jesus der hier durch einen Engel spricht dass er am Ende des Zeitalters boumlse Menschen bdquoproskuneordquo zu den Fuumlszligen der Christen-menschen bringen werde Natuumlrlich argumentiert niemand dass Jesus die Gott-losen dazu bestimmt Christen und Christinnen auf eine Weise anzubeten die nur Gott vorbehalten ist zu Recht verzichten die Uumlbersetzer auf die traditionelle Wie-dergabe des griechischen bdquoproskuneordquo als anbeten eine Verwendung die wir (nur) noch in der Konkordanten Wiedergabe (1958) lesen koumlnnen

KNT Ich werde sie dazu bringen dass sie eintreffen werden und anbeten werden angesichts deiner Fuumlszlige

LUT 2017 Siehe ich will sie dazu bringen dass sie kommen sollen und zu deinen Fuumlszligen niederfallen und erkennen

ELB Siehe ich werde sie dahin bringen dass sie kommen und sich nie-derwerfen vor deinen Fuumlszligen und erkennen

Bisher erscheinen diese Uumlbersetzungsentscheidungen alle als angemessen Aber wir beobachten wie dieses gleiche Wort bdquoproskuneordquo von gewissen Uumlbersetzern im Zusammenhang mit Jesus verwendet wird (Matthaumlus 289)

Die ldquoAnbetungrdquo des Herrn

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SLT Und als sie gingen um es seinen Juumlngern zu verkuumlnden siehe da begegnete ihnen Jesus und sprach Seid gegruumlszligt Sie aber traten herzu und umfassten seine Fuumlsse und beteten ihn an

NLB Unterwegs begegneten sie Jesus Seid gegruumlszligt sagte er Und sie liefen zu ihm hin umklammerten seine Fuumlszlige und beteten ihn an

MENG Und siehe Jesus kam ihnen entgegen mit den Worten Seid ge-gruumlszligt Da gingen sie auf ihn zu umfassten seine Fuumlsse und warfen sich anbetend vor ihm nieder

Warum haben diese Uumlbersetzer das Beduumlrfnis hier ploumltzlich auf die antiquierte Bedeutung des Wortes bdquoproskuneordquo als bdquoanbetenrdquo zuruumlckzugreifen Obwohl das Wort im Neuen Testament 58 Mal verwendet wird weshalb erhalten nur die Faumllle in denen es fuumlr Jesus oder fuumlr Gott verwendet wird die veraltete Uumlberset-zung die auf eine bestimmte religioumlse Hingabe [an eine Gottheit] hinweist Dr BeDuhn erklaumlrt die Absicht dahinter

Es ist schon moumlglich dass die Interpretation der Bedeutung der Geste richtig ist (dass die Menschen Jesus als Gott anbeteten) Aber die einfache Uumlbersetzung bdquosich niederwerfenrdquo jemanden bdquohuldi-genrdquo bdquoverehrenrdquo oder bdquohochachtenrdquo ist sicherlich richtig Es stellt sich also die Frage warum von einer bestimmten genaueren Uumlber-setzung zu einer fragwuumlrdigen moumlglicherweise ungenauen uumlberge-hen Die Antwort ist dass wenn dies geschieht die Uumlbersetzer das Beduumlrfnis zu verspuumlren scheinen die Idee zu unterstuumltzen dass im Neuen Testament Jesus als Gott erkannt wurde Aber die Anwesen-heit einer solchen Idee kann nicht untermauert werden indem man ein Wort selektiv auf eine Weise uumlbersetzt wenn es sich auf Jesus bezieht und auf eine andere Weise wenn es sich auf jemand ande-ren bezieht Da solche bdquoHandlungen der Anbetungrdquo neben Jesus im Neuen Testament auch anderen Menschen gegenuumlber ausgeuumlbt werden und Jesus sogar eine Geschichte erzaumlhlt in der eine solche Geste an einen gewoumlhnlichen Menschen gerichtet wird koumlnnen wir die Vorstellung ausschlieszligen dass bdquosich niederwerfenrdquo im moder-nen Sinne des Wortes bdquoAnbetungrdquo bedeutet Wir beobachten also wie dieselben Uumlbersetzer bdquoanbetenrdquo schreiben wenn die Geste von bestimmten Personen an Jesus gerichtet wird Sie waumlhlen andere sy-nonyme Ausdruumlcke um den gleichen griechischen Begriff bdquopro-skuneordquo zu uumlbersetzen wenn die Geste an jemand anderen als Jesus gerichtet ist Ebenso umschreiben sie bdquoproskuneordquo wenn sie von je-mandem an Jesus gerichtet wird den sie als nicht als wahrhaftigen Glaumlubigen betrachten Dies alles legt ihre Inkonsequenz sowie ihre

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Vorurteile offen Sie moumlgen argumentieren dass der Kontext des Glaubens um Jesus herum mehr bedeute als eine bdquoVerbeugungrdquo oder bdquoHuldigungrdquo im landlaumlufigen Sinn Doch dies ist kein sehr gu-tes Argument denn in den meisten Schriftstellen wissen die Men-schen welche die Achtungsgesten machen fast nichts uumlber Jesus auszliger dass er einen oumlffentlichen Bekanntheitsgrad hatte oder dass es Geruumlchte gab er habe die Macht ihnen zu helfen1383

Die Aussage von Dr BeDuhn zur Tatsache dass trinitarische Bibelverleger das Wort bewusst anders wiedergeben ist bemerkenswert insbesondere wenn die Uumlbersetzer die jeweiligen Anbetenden nicht fuumlr wahre Glaumlubige mit der richtigen Theologie einordnen wollen In diesem Zusammenhang sind in Markus 1517-19 die roumlmischen Soldaten zu beachten die Jesus misshandeln

LUT1912 hellip und zogen ihm einen Purpur an und flochten eine dornene Krone und setzten sie ihm auf und fingen an ihn zu gruumlszligen Gegruumlszliget seist du der Juden Koumlnig Und sie schlugen ihm das Haupt mit dem Rohr und verspeiten ihn und fielen auf die Kniee und beteten ihn an

LUT2017 hellip und zogen ihm einen Purpurmantel an und flochten eine Dornenkrone und setzten sie ihm auf und fingen an ihn zu gruumlszligen Ge-gruumlszliget seist du der Juden Koumlnig Und sie schlugen ihn mit einem Rohr auf das Haupt und spien ihn an und fielen auf die Knie und huldigten ihm

ELB Und sie legen ihm ein Purpurgewand an und flechten eine Dornen-krone und setzen sie ihm auf und sie fingen an ihn zu gruumlszligen Sei gegruumlszligt Koumlnig der Juden Und sie schlugen ihn mit einem Rohr auf das Haupt und spien ihn an und sie beugten die Knie und huldigten ihm

Die trinitarischen Uumlbersetzer waren hier offensichtlich der Auffassung dass die Roumlmer diesen Menschen nicht im Sinne einer dreifaltigen Gottheit sahen das heiszligt sie glaubten nicht wirklich dass dieser Mensch [Jesus] eine goumlttliche Natur hatte oder dass er gar Gott sei So wird ihre bdquoAnbetungrdquo in der Uumlbersetzung als die Art gebrandmarkt die Nichtgottheiten gezollt wird Andererseits muumlssen die-jenigen die Jesus liebten ihn im trinitarischen Sinne betrachtet haben so wird ihre bdquoAnbetungrdquo von den Uumlbersetzern als ein Akt der [religioumlsen] Anbetung dar-gestellt der eben nur Gott vorbehalten ist Natuumlrlich ist dies keine Uumlbersetzung mehr Es ist keine schlichte Darstellung von biblischen Grunddaten mit der Ab-sicht die Glaumlubigen lesen zu lassen damit sie ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen Dies ist eine spekulative arrogante Theologisierung der schlimmsten Art

1383 BeDuhn pp 47-48 unsere Hinzufuumlgung

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Dr BeDuhn macht diesbezuumlglich eine pointierte aber auch tragische Beobach-tung

Die Reformation kaumlmpfte fuumlr den Zugang aller Glaumlubigen zur Bibel und das Recht des Einzelnen auf direkte Begegnung und Interpre-tation des Textes Moderne Uumlbersetzer untergraben diese Absicht wenn sie Interpretationen eher denn Uumlbersetzungen veroumlffentli-chen und versuchen immer noch den Lesern ein Verstaumlndnis zu vermitteln das fuumlr die Uumlberzeugungen und Vorurteile der Uumlberset-zer selbst akzeptabel ist1384

Eine weitere Episode im Evangelium des Matthaumlus sollte das Argument beheben dass bdquoproskuneordquo immer die religioumlse oder durch den Glauben induzierte bdquoAnbe-tungrdquo als Gott bezeichnen muss wenn es fuumlr Jesus benutzt wird

Die elf Juumlnger aber gingen nach Galilaumla an den Berg wohin Jesus sie be-stellt hatte Und als sie ihn sahen warfen sie sich vor ihm nieder [pro-skuneo] einige aber zweifelten (Matthaumlus 2816-17 ELB)

Soweit wir feststellen konnten uumlbersetzt keine der deutschsprachigen Bibeln diese Verse mit bdquoanbetenrdquo Trifft es jedoch zu wie die Trinitarier behaupten dass bdquoproskuneordquo im Zusammenhang mit Jesus immer Anbetung bedeute und dadurch ein Bekenntnis oder eine Anerkennung der Goumlttlichkeit [Jesu] war dann muumlssen wir fragen wie konnten die Juumlnger gleichzeitig bdquoanbetenrdquo als auch bdquozweifelnrdquo Dies ist ein Widerspruch und offensichtlich ein Ding der Unmoumlglichkeit Entwe-der haben Jesu Nachfolger kognitiv und uumlberzeugt Christus als ihren Gott aner-kannt oder sie haben daran gezweifelt dass er ihr Gott ist Ein Beispiel macht es klar Man kann nicht gleichzeitig behaupten eine bestimmte Person sei Praumlsident der Vereinigten Staaten und andererseits gleichzeitig diese Behauptung bezweifeln Es sollte daher offensichtlich sein dass das Wort bdquoproskuneordquo auch wenn es wie hier in eindeutigem Bezug auf Jesus verwendet wurde lediglich einen aumluszligeren Akt der Unterwerfung und der Ehrfurcht anzeigt Das bereitwillige Sich-Nieder-werfen sagt nicht unbedingt etwas uumlber die potenzielle Goumlttlichkeit der Zielper-son aus

Schlieszliglich waren im biblischen Modell auch wenn Jesus in der Schrift nirgends als Gott identifiziert wird oumlffentliche Gesten der Ehrerbietung und des Respekts an ihn waumlhrend seines irdischen Dienstes kulturell akzeptabel Durch die Verehrung des Menschen Jesus waumlre die Anbetung Jahwes durch die Juden als ihren einzigen Gott uumlberhaupt nicht beeintraumlchtigt worden Aber wie verhaumllt es sich mit der Anbetung des erhoumlhten und verherrlichten Jesus Das Buch der Offenbarung zeigt

1384 Ebenso

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Jesus als hoch erhaben auf einem Thron der Herrlichkeit sitzend als Weltrichter Verehrten die Urchristen Jesus etwa zu diesem Zeitpunkt als Gott im Himmel und beteten sie ihn an

DiebdquoErhoumlhungrdquoimJudaismusinderAumlradesZweitenTempelsJuumldische Menschen der spaumlten Periode des Zweiten Tempels so auch Jesus und seine Apostel waren ziemlich flexibel und freigiebig wenn sie Lob und Ehre an andere Geschoumlpfe verteilten Es ist leicht zu beobachten wie selbst eine himmli-sche Erhoumlhung von Persoumlnlichkeiten auszligerhalb der Gottheit in dieser Phase des Judentums nicht als blasphemisch empfunden wurde So wird beispielsweise im juumldischen Werk Das Testament Abrahams aus dem ersten Jahrhundert n Chr der erste Mensch Adam erhoumlht und bdquomit Herrlichkeit geschmuumlcktrdquo (111ff) ist Er sitzt auf einem goldenen Thron von wo aus er die Seelen der Menschen uumlberwacht Ebenso wird Mose in der juumldischen Tragoumldie Exagoge aus dem zweiten Jahrhun-dert vor unserer Zeitrechnung auf einen Thron gesetzt und von Gott zum Rich-ter der Welt gemacht Mose sagt bdquoIch hatte die Vision eines groszligen Throns ein edler Mann saszlig darauf Er gab mir das Zepter und wies mich an auf dem grossen Thron zu sitzen Dann gab er mir die Koumlnigskrone und stand vom Thron auf Eine Vielzahl von Sternen fiel vor meine Knierdquo (Vers 70-60) Ein anderer Charakter erklaumlrt die Bedeutung der Vi-sion bdquoDu wirst einen groszligen Thron errichten und ein Richter und Fuumlhrer der Menschen wer-denrdquo (Vers 85) In den Schriftrollen vom Toten Meer im Dokument 11Q13 haben wir die Melchisedek-Figur (entweder war er ein menschlicher Priester oder ein Engel) die als bdquodein Gottrdquo uumlber die Welt gesetzt und als groszliger Richter bezeich-net wird sogar als bdquoRichter der Heiligen Gottesrdquo Und in noch einem weiteren Werk dem Buch Henoch aus dem 1 bis 3 Jahrhundert v Chr das den Aposteln nachweislich bekannt war (da sie es sogar zitierten)1385 finden wir eine aumlhnlich erhabene Gestalt Ein Individuum namens Menschensohn sitzt auf dem bdquoThron der Herrlichkeitrdquo (513 554 618 usw) richtet die Menschheit (512-3) und wird verehrt - bdquoalle die auf Erden wohnen werden hinfallen und vor ihm anbetenrdquo (485) Es ist jedoch wichtig zu beachten dass hier bdquonicht impliziert wird dass der Menschensohn als houmlchster Gott verehrt wird sondern dass die Menschen vor ihm eine Proskynese in Anerkennung

1385 1 Henoch (je nach Ausgabe entweder 19 oder 21) wird in Judas 114-15 direkt zitiert Griggs schreibt

dass bdquodieses Werk das in vielen juumldischen und christlichen Kreisen ab dem zweiten Jahrhundert v Chr als inspirierend und kanonisch anerkannt wurde in Judas als sbquoSchriftrsquo zitiert wurde und laut Charles sbquomehr Einfluss auf das Neue Testament hatte als jedes andere apokryphe oder pseudepigraphische Werkrsquo rdquo (Griggs S 7) Nach der Veroumlffentlichung des DSS wurde deutlich dass Henoch das NT beeinflusste Betrachten wir zum Beispiel 1 Henoch 57 bdquoDie Auserwaumlhlten werden die Erde erbenrdquo und Matthaumlus 55 bdquoDie Sanftmuumltigen werden die Erde erbenrdquo 1 Henoch 6927 bdquoihm dem Menschensohn wurde das Gericht zugewiesenrdquo und Johannes 522 bdquoder Vater hat dem Sohn alles Gericht uumlbertragenrdquo 1 Henoch 1003-4 bdquodie Pferde werden durch das Blut waten es wird bis zu ihrer Brust kommenrdquo und Offenbarung 1420 bdquoBlut kam aus der Weinpresse und kam bis zu den Zaumlumen der Pferderdquo

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seiner Autoritaumlt durchfuumlhrenrdquo1386 Das alles soll fuumlr ihn geschehen bdquoweil der Herr der Geister sie ihm gegeben und ihn verherrlicht hatrdquo (513) Richard Bauckhams beliebte Sichtweise betitelt bdquoChristologie der Goumlttlichen Identitaumltrdquo scheint auch hier ins Stocken zu geraten denn selbst Bauckham muss zugeben dass Henochs Men-schensohn bdquodie Ausnahme ist welche die Regel bestaumltigtrdquo dass nur Gott verehrt werden kann1387

Es gibt noch eine weitere wichtige Quelle aus der Aumlra des Zweiten Tempels wel-che die Anbetung von Wesen die nicht Gott sind zeigt ohne gegen den juumldi-schen Monotheismus zu verstoszligen Das Leben von Adam und Eva (bzw Die Apo-kalypse des Moses) wurde im ersten Jahrhundert n Chr verfasst In den vorange-gangenen Kapiteln haben wir Paulus und die bdquoadamitische Christologierdquo anderer neutestamentlicher Autoren besprochen Hebraumler 26 hatte unter Berufung auf Psalm 84 Jesus als bdquoMenschensohnAdamrdquo beschrieben und sich dabei fuumlr Jesu Selbstidentifikation auf die eschatologische Stelle bdquowie ein Menschensohnrdquo von Da-niel 713 gestuumltzt1388 Der Apostel Paulus bezeichnete Jesus noch deutlicher als bdquoden zweiten Adamrdquo (1 Kor 1545) und identifizierte den ersten Adam auszliger-dem als bdquoeinen Typus von dem der kommen sollterdquo (Roumlmer 514) Paulus sah Gottes Inthronisation Jesu als eine spaumlte Erfuumlllung des urspruumlnglichen goumlttlichen Planes Gottes Herrschaft uumlber die Erde an Adam zu delegieren Fuumlr Paulus war Adam ein Wesen das bdquonach dem Ebenbild Gottesrdquo geschaffen worden war aber seinem Potenzial nicht gerecht wurde waumlhrend Jesus auch das bdquoEbenbild Got-tesrdquo jedoch erfolgreich war Im Leben von Adam und Eva finden wir Material das Paulus offensichtlich vertraut war welches die Anbetung Jesu des zweiten Adam als bdquoBild Gottesrdquo im Neuen Testament weiter beleuchtet Im Leben von Adam und Eva lesen wir von einem Gespraumlch zwischen Satan und Adam in dem Satan er-klaumlrt dass - weil er Gottes Befehl Adam anzubeten verweigerte - er in Ungnade fiel1389 Satan sagt

Als du geformt wurdest dann sagte Gott Siehe Adam ich habe dich nach unserem Ebenbild und uns aumlhnlich geschaffen Nach-dem Michael ausgegangen war rief er alle Engel auf und sagte Ver-ehret das Ebenbild des Herrgottes so wie es der Herrgott befohlen hat Michael selbst betete zuerst an dann rief er mir zu und sagte Bete das Ebenbild von Gott Jahwe an Dann antwortete ich Es liegt mir nicht Adam anzubeten Als Michael mich zur Anbetung

1386 Collins King and Messiah as Son of God p 206 1387 Bauckham p 171 1388 See Marcus ldquoSon of Man as Son of Adamrdquo Revue Biblique Vol 110 pp 38-61 1389 Diese Geschichte von Satans Ablehnung der Anbetung Adams wird auch im Koran nacherzaumlhlt was

die weit verbreitete Popularitaumlt der zum Ausdruck gebrachten Ideen belegt Siehe Koran 2 34 711-13 1761-62

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zwang sagte ich zu ihm Warum zwingst du mich dazu Ich werde denjenigen nicht anbeten der mir tiefer gestellt ist und weiter hin-ten steht Ich bin VOR dieser Kreatur Bevor er erschaffen wurde war ich bereits erschaffen worden Er sollte mich verehren Als ich das houmlrte waren andere Engel die unter mir waren auch nicht be-reit ihn anzubeten Da sagte Michael Verehre das Ebenbild Got-tes Wenn du nicht anbetest wird der Herrgott wuumltend auf dich werden Ich sagte Wenn er wuumltend auf mich wird werde ich mei-nen Thron uumlber die Sternen des Himmels platzieren und ich werde wie der Allerhoumlchste sein Dann wurde der Herrgott wuumltend auf mich und schickte mich mit meinen Engeln aus unserer Herrlich-keit hinaus Wegen dir wurden wir aus unserer Wohnung vertrieben Durch einen Trick habe ich deine Frau verfuumlhrt und durch sie deine Vertreibung verursacht so wie ich aus meiner Herrlichkeit vertrieben wurde (132-163)

Adam sollte verehrt oder gehuldigt werden weil er das bdquoEbenbild Gottesrdquo war (1 Mose 127) Fuumlr Paulus ist die ganze Menschheit tatsaumlchlich geschaffen worden um bdquodas Ebenbild und die Herrlichkeit Gottesrdquo zu repraumlsentieren (1 Kor 117) Aber der erste Adam war fuumlr Paulus symptomatisch fuumlr eine Menschheit die ihrem Ungehorsam dem Potenzial nicht gerecht wurde und klaumlglich versagte Jesus hin-gegen war auch bdquodas Ebenbild Gottesrdquo (Kol 115 2 Kor 44) aber er war derjenige welcher in Vertretung von Gottes Herrlichkeit erfolgreich und gehorsam die Menschheit anfuumlhrt So wie Adam als Gottes Ebenbild haumltte geehrt werden sol-len bevor er ungehorsam war so soll gemaumlszlig Paulus nun auch Jesus infolge seines Gehorsams und wegen seiner Aufrechterhaltung des Ebenbildes Gottes angebe-tet geehrt und gehuldigt werden (Phil 26-11)

Es ist moumlglich dass die Bilder des Lebens von Adam und Eva Paulus und seine Praumlsentation der Adam-Christologie beeinflusst haben Paulus scheint mit diesem Werk vertraut gewesen zu sein in 2 Korinther 1114 sagt Paulus dass Satan sich bdquoals ein Engel des Lichts verkleidetrdquo ndash vielleicht eine Anspielung auf das Leben von Adam und Eva wo steht dass Satan bdquosich in die Brillanz eines Engels verwandelt hatrdquo (91) Die neutestamentliche Gemeinschaft mag daher mit der Anbetung Adams als Gottes Ebenbild wie in diesem Buch berichtet vertraut gewesen sein Wissenschaftler haben postuliert dass auch wenn Paulus nicht direkt auf den Text verweist der Apostel und der Autor von Leben von Adam und Eva geschicht-lich in der Naumlhe von Menschen waren die sich bdquoim gleichen Ideenkreis beweg-tenrdquo1390 In diesem Kulturkreis sollte die Anbetung Adams dh eines Menschen

1390 Wells APOT Vol 2 p 130 zitiert von James H Charlesworth The Old Testament Pseudepigrapha Vol

2 (Peabody Hendrickson Publishers 1983) p 255

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den juumldischen Monotheismus nicht verletzen sondern einfach einen Befehl Got-tes befolgen Wie Perry abschlieszligend sagt bdquoDie Erhoumlhung Jesu in eine Position neben Gott ist moumlglicherweise schockierend wenn man die Menschheit [die Hu-manitaumlt] zu niedrig achtet Die Bestimmung des Menschen war jedoch ein Eben-bild Gottes zu sein und Herrschaft auszuuumlben (1 Mose 126-27) Die Erhoumlhung Jesu [zu diesem Rang] ist eine Erfuumlllung dieser goumlttlichen Absichtrdquo1391 Tatsaumlch-lich haben viele Christen die behaupten eine bdquoHohe Christologierdquo zu besitzen oft eine bdquoniedrige Anthropologierdquo Aber wie Perry empfiehlt

sollten wir im Hinblick auf das urspruumlnglich beabsichtigte Schicksal des Menschen eher eine bdquohohe Anthropologierdquo [eine hohe Meinung vom Wesen der Menschen] haben Die Uumlberzeugung dass Jesus zum Himmel erhoben wurde oder die Juden glaubten dass Persoumln-lichkeiten wie Henoch ebenso erhoben waren berechtigt uns nicht diejenigen in den Monotheismus einzuschlieszligen die erhaben sind solche Individuen waren [und bleiben] Menschen und die Visio-nen die sie beschreiben unterscheiden sie von Gott1392

IstdiebdquoAnbetungrdquoJesuIdolatrieWir haben bereits festgestellt dass Jesus im Neuen Testament in gewisser Weise angebetet wurde Deshalb steht Praumlmisse 2 aus unserem vorgenannten Argu-ment dass bdquoJesus angebetet wurderdquo noch immer aufrecht Allerdings droht die Praumlmisse 1 dass in der biblischen Weltanschauung bdquonur Gott angebetet werden kanndarfrdquo angesichts eines Uumlberblicks uumlber die Bibel und andere juumldische Lite-ratur zu fallen Dennoch werden viele zweifellos weiterhin behaupten und ver-schiedene Referenzen aus der Offenbarung und dem Exodusbuch zitieren um zu beweisen dass Jesus wenn er nicht wirklich Gott ist im biblischen Sinne nicht bdquoangebetetrdquo [proskuneo] werden kann oder darf

Es trifft zu dass im 2 Buch Mose (Exodus) klar festgehalten wird bdquoDenn du sollst keinen andern Gott anbetenrdquo (2 Mose 3414) und Jesus der ein guter Jude war stimmte dem ndash vor seiner Erhoumlhung - ausdruumlcklich zu bdquoDu sollst anbeten den Herrn deinen Gott und ihm allein dienenrdquo (Matthaumlus 410) Aber wir sollten verstehen dass sich hier beide Schriftstellen auf die rituelle bdquoAnbetungrdquo Gottes beziehen Be-trachtet man die Sprache in Matthaumlus 410 etwas naumlher faumlllt sogleich auf dass die bdquoAnbetungrdquo in diesem Abschnitt das uumlbliche griechische bdquoproskuneoproskyneinrdquo jedoch das Wort fuumlr bdquodienenrdquo das Jesus ganz eindeutig als Gott zugehoumlrig be-schreibt das griechische bdquolatreueinrdquo ist Auch dieses Wort kann als bdquoAnbetungrdquo uumlbersetzt werden bezieht sich aber auf eine bestimmte Art von bdquokultischem

1391 Perry p 52 1392 Ebenso

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Dienstrdquo der Gottheiten zukommt In der Bibel bezieht sich dieses Wort nur auf die besondere religioumlse Anbetung [den Gottesdienst] und wird nie verwendet um die Ehrungen an Jesus zu beschreiben (Joh 162 Roumlmer 94 Hebr 916) So erklaumlrt Dunn

bdquolatreueinrdquo bedeutet eigentlich bdquodienenrdquo In der Bibelliteratur wird je-doch immer auf den Gottesdienst die Erfuumlllung religioumlser Pflich-ten bdquoden kultischen Dienst leistenrdquo verwiesen So ist es nicht ver-wunderlich dass es in Verbindung mit bdquoproskyneinrdquo in der oft wie-derholten Antwort Jesu auf die Versuchung andere als Gott anzu-beten erscheint bdquo(Du sollst) den Herrn deinen Gott anbeten und nur ihm dienen (latreuseis)rdquo (Matt 410Lukas 48) Und in meh-reren Passagen wird bdquolatreueinrdquo in englischen Uumlbersetzungen als bdquoworshiprdquo uumlbersetzt (was auf Deutsch sowohl bdquoGottesdienstrdquo als auch bdquoAnbetungrdquo bedeuten kann Anm d Uuml) Es faumlllt auf dass in jedem Fall das Objekt des Verbs derjenige dem (gr to) gedient wird Gott ist Abgesehen von ein oder zwei Ausnahmen bezuumlglich einer falschen Anbetung bezieht sich der Verweis immer auf den kultischen Dienst den Gottesdienst In keinem Fall spricht das Neue Testament davon Jesus den bdquokultischen Dienstrdquo (latreuein) anzubieten1393

Diese Tatsache schwaumlcht den Vorschlag derer die weiterhin behaupten dass Ur-Christen die traditionelle bdquokultischerdquo Anbetung Jahwes nun an Jesus weitergege-ben haumltten Wir werden diese Behauptung bald weiter untersuchen sollten aber zuerst die Uumlbereinstimmung des Alten und des Neuen Testamentes erkennen dass nur Einer als Gott [religioumls] angebetet und verehrt werden sollte Der Gott von Mose und von Jesus fordert sicherlich den spezifischen religioumlsen Dienst und behaumllt ihn fuumlr sich selbst vor bdquoAnbetungrdquo [Verehrung Hochachtung oder auch Lobpreisung] ist jedoch auch fuumlr andere Wesen erlaubt wie die Tatsache zeigt dass sowohl in der Septuaginta-Version des Alten Testaments als auch im Neuen Testament viele andere Personen nicht nur Gott allein Anbetung (Proskynese) entgegengebracht wird

Interessant und sehr aufschlussreich ist auch dass in den Evangelien nie erwaumlhnt wird Jesus habe seine Zuhoumlrer aufgefordert ihn anzubeten oder zu verehren obwohl es ihm [von seiner gesellschaftlichen Stellung her] erlaubt gewesen waumlre Tatsaumlchlich erklaumlrt er ausdruumlcklich dass es nicht seine Absicht war von Men-schen Ruhm zu erhalten bdquoIch bin nicht darauf aus von Menschen geehrt zu werdenrdquo (Johannes 541 GNB) oder bdquoEhre von Menschen nehme ich nicht anrdquo (Menge) Die

1393 James Dunn Did the First Christians Worship Jesus p 13 (Haben die Urchristen Jesus als Gott

verehrt)

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Aussage erscheint seltsam denn Gott verlangt immer Lob und Preis von den Menschen Stattdessen bezeugt Jesus bdquoIch aber suche nicht meine Ehre Es ist einer der sie sucht und der richtetrdquo (Johannes 850 Elb) Alles was Jesus erwartet ist die Erfuumll-lung des Wunsches Gottes ihn [den Messias] zu verherrlichen insbesondere durch die bdquoErhoumlhungrdquo die dem Messias seit der Antike vorhergesagt wurde (Psalm 1101 Markus 1236) Dennoch wurde Jesus in seinem irdischen Leben von anderen Menschen oft Ehre erwiesen oder Achtung gezollt Gemaumlszlig der Er-zaumlhlung verzichtete er aber darauf die Menschen deswegen zurechtzuweisen Doch wie wir bereits gesehen haben wurde Jesus von den Juden houmlchst wahr-scheinlich nicht als Gott verehrt Wir wissen zumindest aus seinem eigenen Be-kenntnis dass der Empfang von Ruhm und Ehre durch Menschen weder seine Erwartung noch sein Ziel war Er glaubte jedoch dass er in Zukunft eine Herr-lichkeit erhalten werde die ihm von Gott bei der Erfuumlllung und Vollbringung seines Werkes also nach der Auferstehung verheiszligen und vorbereitet wurde

Mit der Erhoumlhung Christi dh mit seiner Aufnahme in den Himmel aumlnderten sich die Dinge drastisch Offensichtlich hat Gott von diesem Zeitpunkt an die bdquoAnbetung Christirdquo befohlen Die Apostel erklaumlrten in der Tat dass eine unglaub-liche Veraumlnderung im Himmel stattgefunden habe Fruumlher war dieser Mensch Jesus nicht bdquoerhoumlhtrdquo aber jetzt bdquonachdem Jesus Christus ein einziges Opfer fuumlr die Suumln-den dargebracht hat setzte er sich fuumlr immer auf den Ehrenplatz an Gottes rechter Seiterdquo (Hebraumler 1012 ) und bdquoGott hat alles der Herrschaft von Christus unterstellt und hat Chris-tus als Herrn uumlber die Gemeinde eingesetztrdquo (Eph 122) Es ist mit der Verleihung die-ses Status bei der Gott befiehlt bdquoAlle Engel Gottes sollen vor ihm huldigend sich neigenrdquo (Hebraumler 16) Offensichtlich war von ihnen nicht erwartet oder verlangt worden ihn [Jesus] vor seiner Erhoumlhung anzubeten Wenn Hebraumler 16 genau betrachtet wird heiszligt es [von einem bestimmten Zeitpunkt an] bdquoWeiter sagt er von der Zeit in welcher er den Erstgeborenen wiederum in die Menschenwelt einfuumlhren wird (Psalm 977) sbquoAlle Engel Gottes sollen vor ihm huldigend sich neigenrsquo rdquo (Menge) Die Zeit in der bdquoGott ihn wieder in die Welt einfuumlhrtrdquo ist offensichtlich ein Hinweis auf die von Gott gewirkte Auferstehung Jesu von den Toten1394 Paulus schreibt dass Gottes gewaltige Macht und aktive Staumlrke bdquodie er an Christus erwiesen hat als er ihn von den Toten aufer-weckte und ihn in der Himmelswelt zu seiner Rechten sitzen lieszligrdquo (Epheser 120) Petrus schreibt bdquoDurch die Auferstehung Jesu Christi der zur rechten Hand Gottes ist nachdem er in den Himmel gekommen ist nachdem ihm Engel und Autoritaumlten und Maumlchte unterworfen worden warenrdquo (1 Petrus 322) Es sollte augenfaumlllig sein dass mit der bdquoErhoumlhung Jesurdquo die Unterwerfung von Maumlchten unter Christus einherging und von diesem Moment an Gott die Verehrung Jesu forderte das war etwas Neues Derselbe

1394 Siehe Kol 118 bdquoUnd er ist das Haupt des Leibes der Gemeinde Er ist der Anfang der Erstgeborene

aus den Toten damit er in allem den Vorrang haberdquo bdquoJesus Christhellip der Erstgeborene der Toten rdquo (Offb 15)

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Gott der [einst] befohlen hatte bdquoDu sollst keine anderen Goumltter anbetenrdquo (2 Mose 3414) ordnete nun die bdquoAnbetungrdquo Jesu an Die Kernfrage jedoch bleibt ob Gott damit meinte dass der Mann Jesus analog dem einzigen wahren Gott verehrt und angebetet werden sollte

Die Offenbarung zeichnet ein herrliches Bild davon wie der erhabene Jesus neben Gott verehrt wird Angefangen bei der Anbetung des einen Gottes lesen wir

Alsbald wurde ich vom Geist ergriffen Und siehe ein Thron stand im Himmel und auf dem Thron saszlig Einer Und der da saszlig war anzusehen wie der Stein Jaspis und der Sarder [Karneol] und vor dem der auf dem Thron sitzt der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit fallen die vierundzwan-zig Aumlltesten nieder und beten den an der da lebt von Ewigkeit zu Ewig-keit und legen ihre Kronen nieder vor dem Thron und sprechen Herr unser Gott du bist wuumlrdig zu nehmen Preis und Ehre und Kraft denn du hast alle Dinge geschaffen und durch deinen Willen waren sie und wurden sie geschaffen (Offenbarung 42 3a-10b11)

Dieser Eine ist offensichtlich Jahwe derjenige den Jesus seinen Vater nennt und die gleiche uralte Gestalt [ein Hochbetagter ein ehrwuumlrdiger Greis] sitzend auf demselben himmlischen Thron der Visionen von Jesaja Michaja Daniel und an-deren1395 Aber jetzt erscheint jemand der neu in das Bild eingefuumlhrt wird

der Loumlwe aus dem Stamm Juda die Wurzel Davids um das Buch und seine sieben Siegel zu oumlffnen ich sah inmitten des Thrones und der vier lebendigen Wesen und inmitten der Aumlltesten ein Lamm stehen wie ge-schlachtet das sieben Houmlrner und sieben Augen hatte dies sind die sieben Geister Gottes ausgesandt uumlber die ganze Erde sie singen ein neues Lied und sagen Du bist wuumlrdig das Buch zu nehmen und seine Siegel zu oumlffnen denn du bist geschlachtet worden und hast durch dein Blut Menschen fuumlr Gott erkauft aus jedem Stamm und jeder Sprache und jedem Volk und jeder Nation die mit lauter Stimme sprachen Wuumlrdig ist das Lamm das geschlachtet worden ist zu empfangen die Macht und Reichtum und Weisheit und Staumlrke und Ehre und Herrlichkeit und Lobpreis Und jedes Geschoumlpf das im Himmel und auf der Erde und unter der Erde und auf dem Meer ist und alles was in ihnen ist houmlrte ich sagen Dem der auf dem Thron sitzt und dem Lamm den Lobpreis und die Ehre und die

1395 bdquoIm Todesjahre des Koumlnigs Ussija da sah ich den Herrn sitzen auf hohem und erhabenem Throne

und seine Schleppen erfuumlllten den Tempelrdquo (Jesaja 61) bdquoUnd er sprach Darum houmlre das Wort JHWHs Ich sah JHWH auf seinem Throne sitzen und alles Heer des Himmels bei ihm stehen zu seiner Rechten und zu seiner Linkenrdquo (1 Koumlnige 2219) bdquoIch schaute bis Throne aufgestellt wurden und ein Alter an Tagen sich setzte rdquo (Daniel 79a)

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Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit Und die vier le-bendigen Wesen sprachen Amen Und die Aumlltesten fielen nieder und bete-ten an (Offenbarung 55b6-912-14)

Zu unterscheiden sind hier eindeutig zwei verschiedene Adressaten der Anbe-tung das Lamm und derjenige der auf dem Thron sitzt Dieser ist der bdquoHERRrdquo der allmaumlchtige Gott Aufgrund dieses Textes postuliert der Historiker Larry Hur-tado dass die fruumlhesten juumldischen Christen sowohl Jesus als auch den Vater in vollem und gleichem Sinne verehrten Ist das so Diese Anbetung so argumen-tiert er sei nicht die Art gewesen die anderen Agenten Gottes gegeben wurde1396 Er schreibt

Diese beiden unterscheidbaren aber eng miteinander verbundenen Figuren werden als rechtmaumlszligige und alleinige Empfaumlnger der Art von Andachtaktionen [Anbetungsriten] bezeichnet und behandelt die fruumlhe Christen typischerweise ablehnten anderen Figuren an-zubieten ob dies Menschen (zB der roumlmische Kaiser) himmlische Wesen wie Engel oder mit groumlszligtem Nachdruck andere vermeint-liche Gottheiten waren fruumlhchristliche Kreise zeigten ihre Ablei-tung von und anhaltende Treue zu dem starken juumldischen religioumlsen Skrupel gegen uumlbermaumlszligige Ehrfurcht vor irgendetwas oder irgend-jemand anderem als dem einen Gott ein Skrupel den die christli-che Bewegung von ihrer juumldischen religioumlsen Matrix geerbt hat1397

Das ist es was Hurtado eine bdquobinitaumlrerdquo Sichtweise (Zwei-Gott-Glauben) unter den fruumlhesten Jesus-Gemeinschaften nennt er sieht vielleicht darin eine [Weiter-] Entwicklung des urspruumlnglichen juumldischen Monotheismus in welchen Jesus mit der vollen Ehrerbietung an Jahwe aufgenommen wurde1398 Aber es gibt einige grundlegende Probleme mit Hurtados binitarischer Anbetungs-These Wie wir bald feststellen werden weist diese bdquoererbte juumldische religioumlse Matrixrdquo genau die Eigenschaften auf die Hurtado als ausgeschlossen bezeichnete

Erstens behauptet Hurtado irrtuumlmlich dass das fruumlheste Christentum verboten hat den Menschen die hingebungsvollen Handlungen die Jesus in der Offenba-rung erhaumllt anzubieten Aber in diesem Buch von Hurtado ist der wichtigste hin-gebungsvolle Akt die rituelle bdquoProskyneserdquo der Welt oder das Sich-Niederwerfen vor Christus Es kann nicht behauptet werden dass diese Hingabe eindeutig die

1396 Hurtado Lord Jesus Christ p 592 (Herr Jesus Christus) 1397 Larry Hurtado ldquoThe Binitarian Pattern of Earliest Christian Devotion and Early Doctrinal Develop-

mentrdquo The Place of Christ in Liturgical Prayer (Collegeville Liturgical Press 2008) p 30 (Das Binitarische Muster der fruumlhchristlichen Verehrung und fruumlhe doktrinaumlre Entwicklungen

1398 Siehe Hurtado Lord Jesus Christ pp 29-53 see also p 592

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Art war die nur dem einen Gott und nicht anderen Agenten gezollt wurde da die Christen selbst auch von der Welt und durch den eigenen Befehl Christi bdquoPro-skyneserdquo erhalten werden (Offb 39) Auch hier wird bdquoProskyneserdquo an viele an-dere nicht nur Gott allein gerichtet waumlhrend bdquolatreueinrdquo (der kultische religioumlse Dienst) nur an Gott und nie an Jesus gerichtet wird Waumlhrend sowohl Gott als auch Jesus offenbar bdquoangebetetrdquo werden wurde Jesus nicht die besondere bdquovolle und gleicherdquo religioumlse Hingabe gezollt die ausschlieszliglich Gott gebuumlhrt alle neu-testamentlichen Autoren und Jesus selbst behalten diesen Dienst ausdruumlcklich dem Vater vor Daruumlber hinaus hat Hurtado die Bedeutung des Grundes den die Offenbarung fuumlr die Anerkennung Gottes und Jesu durch die Welt vorsieht of-fenbar uumlbersehen

Eine dieser Figuren wird explizit als bdquounser Gottrdquo (Offb 411) und als bdquoSchoumlpferrdquo verehrt Die andere Figur wird metaphorisch als bdquodas Lammrdquo verehrt und gerade wegen des groszligen Dienstes den dieses Individuum bdquounserem Gottrdquo erwiesen hat hoch gelobt Hier erhaumllt Jesus Herrlichkeit infolge seines Gehorsams gegenuumlber der anderen Persoumlnlichkeit dem Schoumlpfer nicht dadurch dass er irgendwie iden-tisch mit dem Schoumlpfer selbst waumlre Im gesamten Neuen Testament ist der Grund warum Jesus eine solche Ehre zuteilwird vor allem das

Er erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod ja zum Tod am Kreuz Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen verliehen der uumlber jeden Namen ist damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen und jede Zunge bekenne dass Jesus Christus Herr ist zur Ehre Gottes des Vaters (Philipper 28-10a11)

Es ist hier besonders bemerkenswert dass jede Anbetung die an Christus gerich-tet wird letztendlich der Ehre Gottes des Vaters und nicht (nur) Jesus selbst dient Dennoch haben viele Trinitarier Hurtados Argument uumlber die Anbetung Jesu in der Offenbarung widergespiegelt um seine Gottheit seine Divinitaumlt end-guumlltig zu beweisen erneut unter dem Vorwand der Praumlmisse 1 Nur Gott kanndarf angebetet werden Dieses Argument soll durch die Tatsache verstaumlrkt werden dass nicht nur Jesus in der Offenbarung angebetet wird sondern dass auch der Engel der dem Apostel Johannes die Vision Jesu vorstellt sich selbst verneint wenn Johannes ihn anbeten will und ihn instruiert bdquoBete Gott anrdquo (Offb 228b-9) Und so lautet das gaumlngige Argument bdquoJesus wurde angebetet und hat deswegen niemanden zurechtgewiesen oder korrigiert Aber als Johannes den En-gel anbeten wollte korrigierte dieser Johannes und sagte er solle nur Gott anbe-tenrdquo Ein Problem dabei ist dass der Engel einfach sagte bdquoBete Gott anrdquo - er sagte nicht nur Gott anbeten Das waumlre wohl inkonsistent gewesen wenn sbquoetliche Leutesbquo in diesem Buch nicht nur bdquoGottrdquo und die andere hier erwaumlhnte eigenstaumlndige Gestalt bdquodas Lammrdquo anbeten sondern auch vor vielen erhabenen Christen sich

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bdquoniederwerfenrdquo dh sie anbeten werden [proskuneo] (Offb 39) Natuumlrlich sollte Johannes Gott anbeten Die Entscheidung des Engels die Herrlichkeit weg von sich selbst auf Gott zu lenken hat nichts mit unserer Frage zu tun ob die Anbe-tung des Menschen Jesus innerhalb der uumlberlieferten juumldischen Matrix der Ur-Christen erlaubt war oder nicht Wie Hurtado bemerkte war bdquounangemessene Ehrerbietungrdquo sicherlich zu vermeiden aber groszliger Respekt und Hochachtung ja sogar ein Kniefall und das Sich-Niederwerfen muumlssen fuumlr jeden als zulaumlssig angesehen werden dem Gott das Privileg gewaumlhrt verehrt und angebetet zu wer-den Entweder besaszlig dieser Engel das Recht nicht oder entschied sich es nicht auszuuumlben Per Saldo aller Anspruumlche schaffte die Entscheidung des Engels die Ehre von sich selbst wegzuleiten nicht ploumltzlich eine Regel dass in der mono-theistischen Welt der Juden nur Gott verehrt werden kann und darf Wie wir bereits im Alten Testament und in der uumlbrigen juumldischen Literatur gesehen haben genossen auch Figuren die nicht Gott waren eine Anbetung oder Verehrung Es kann sogar ein gemeinsamer Akt der Anbetung neben Gott in einem religioumlsen Umfeld bedeuten (1 Chronik 2920) Der Vollstaumlndigkeit halber sei erwaumlhnt und wie wir bald feststellen werden haben andere Engel die Anbetung und Ehrenbe-zeugungen von Menschen erhalten und sie nicht abgelehnt

Dazu betrachten wir einige Beispiele um unseren Standpunkt darzulegen Im Al-ten Testament als Josua dem Engel in Gilgal begegnete lesen wir bdquoIch bin der Oberste des Heeres des HERRN gerade jetzt bin ich gekommen Da fiel Josua auf sein An-gesicht zur Erde und huldigte [shachah] ihm und sagte zu ihm Was redet mein Herr zu seinem Knechtrdquo (Josua 514) Das hebraumlische Wort fuumlr bdquoHuldigungrdquo ist hier das gleiche Wort wie in 1 Mose 2426 als Eliezer bdquosich verneigte und warf sich nieder [shachah] vor dem HERRNrdquo Die Septuaginta die Bibel der neutestamentlichen Gemein-schaft beschreibt diesen Akt an den Engel als das griechische bdquoproskuneordquo den gleichen Akt der Verehrung von Christus und von Christen in der Offenbarung Dieser Engel den Josua verehrte der sich als bdquoder Oberste des Heeres Jahwesrdquo be-zeichnete lehnte diese Anbetung nicht ab sondern lehrte Josua sogar bdquoZieh deine Sandalen von deinen Fuumlszligen aus denn der Ort an dem du stehst ist heiligrdquo (515) Dies ist dieselbe Aufforderung die der Engel im brennenden Busch benutzte als er von Mose angesprochen wurde (2 Mose 35)1399 Uumlberdies stellen wir in 1 Mose 191 fest dass auch Lot zwei Engel verehrte die ihn am Tor von Sodom besuchten

1399 Mose wurde angewiesen bdquoZiehe deine Sandalen von deinen Fuumlszligen denn der Ort auf dem du steht

ist heiliger Bodenrdquo (2 Mose 35) Dieser Engel im brennenden Busch sprach als Jahwe und wurde als Gott angesprochen er wurde mit der gleichen Ehrfurcht behandelt als waumlre er Gott selbst Aber wir sollten zu dem Schluss kommen dass es tatsaumlchlich ein Engel war denn 2 Mose 32 sagt uns ausdruumlck-lich dass es bdquoder Engel Jahwesrdquo war der ihm in den Feuerflammen erschien und Stephanus in Apostelgeschichte 730 bestaumltigt dass bdquoein Engel Mose in den Flammen erschienrdquo Der Text in 2 Mose pendelt tatsaumlchlich zwischen einer Identifizierung von bdquodem Engelrdquo und bdquoGottrdquo hin und her - so genau und vollumfaumlnglich wurde Gottes Vertreter mit Gott identifiziert dass die beiden [Persoumlnlichkeiten] austauschbar wurden

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als er sich bdquomit seinem Gesicht zur Erde verneigterdquo1400 Hurtados Behauptung dass in der juumldischen monotheistischen Welt die von Jesus empfangene Ehrerbietung und Anbetung wie in der Offenbarung beschrieben fuumlr jedes Wesen - auszliger dem einen Gott - streng untersagt und speziell fuumlr Menschen oder Engel sogar strikte verboten sei scheint ins Wanken zu geraten

Ein anderes Werk der Juumldischen Literatur gibt weitere Einblicke in die Kultur bdquoJoseph und Asenathrdquo Die Datierung dieser Arbeit war schwierig aber einige Ge-lehrte sind zum Schluss gekommen dass sie zwischen dem ersten Jahrhundert v Chr und dem zweiten Jahrhundert n Chr entstanden sein muss Einige haben es sogar als fruumlhchristliches Werk aus der Periode um die Entstehung der Offen-barung durch Johannes anerkannt1401 Im Mittelpunkt der Geschichte steht Asenath die Frau die der Pharao Joseph in 1 Mose 4145 angetraut hat Die Reise der Frau wird beschrieben vom Goumltzendienst und Polytheismus zum Mo-notheismus Als heidnische Prinzessin hatte sie viele Goumltter verehrt bevor Jahwe einen Engel schickte um sie zu erleuchten Interessanterweise nachdem sie sich bekehrt hatte und die juumldisch-monotheistische Theologie annahm verehrte Asenath tatsaumlchlich den Engelsboten Uumlberraschenderweise lehnte der Engel die Verehrung nicht ab In einem juumldischen Text der uumlber die Vernachlaumlssigung Jah-wes gegenuumlber anderen Goumlttern besorgt ist wuumlrde man erwarten dass die Anbe-tung des Engels verboten waumlre insbesondere wenn es wirklich zutraumlfe dass im juumldischen Monotheismus ausschlieszliglich Gott verehrt werden koumlnnte und duumlrfte Einige Gelehrte wie Hurtado und Bauckham haben versucht die Bedeutung die-ser Tatsache herunterzuspielen und sogar behauptet dass der Engel von Asenath nicht wirklich Anbetung erhalten habe Allerdings wie Andrew Chester bestaumltigt

ist es irrefuumlhrend von Hurtado (und Bauckham) zu spekulieren dass der Engel sich weigerte verehrt zu werden Tatsaumlchlich ist Asenath in bdquoJosef und Asenathrdquo 14-15 bereits niedergefallen und hat den Engel zweimal angebetet Wenn es dem Engel also wirklich

1400 Diese Engel scheinen dieselben beiden Engel zu sein mit denen Abraham in seinem Zelt gesprochen

hat Diese Engel unterscheiden sich sogar von Jahwe (1 Mose 1913) 1401 bdquoH F D Sparks und James H Charlesworth denken dass es aus fruumlhen oder sogar vorchristlichen

Zeiten stammt Pierre Batiffol datierte es auf das 1 Jahrhundert nach Christus Christoph Burchard behauptete dass die Schrift entweder im 1 Jahrhundert v Chr oder im 1 Jahrhundert n Chr Gid-deon Bohak den Ursprung des Werkes noch fruumlher als alle anderen legte datierend auf die Zeit der maccabeanischen Revolte im 2 Jahrhundert v Chr Alle Gelehrten sind sich einig dass Joseph und Asenath einen sehr alten Text darstellen dessen Urspruumlnge weit uumlber das in unserem Besitz befindliche syrische Manuskript aus dem 6 Jahrhundert hinausgehen Aber wie weit zuruumlck ist eine Frage die zur Debatte steht Viele denken dass das 1 Jahrhundert n Chr wahrscheinlich ist - das heiszligt zu fruumlhchristlichen Zeiten vielleicht zu Jesu Lebzeiten oder einige Zeit direkt nach seiner Kreuzigungrdquo (Simcha Jacobovici Barrie Wilson The Lost Gospel New York Pegasus Books 2014) p 33) Ein moumlglicher Hinweis darauf dass es sich bei dem Text um ein fruumlhchristliches Werk handelt das nach der Kreuzigung geschrieben wurde ist die Tatsache dass der Engel in einer eigentuumlmlichen rituellen Reinigung das Zeichen eines Kreuzes auf einer Bienenwabe macht

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darum ging unangemessene [blasphemische] Anbetung zu verhin-dern und bdquodie Skrupel des juumldischen Monotheismusrdquo zu schuumltzen und zu erklaumlren haumltte er ganz anders handeln muumlssen Das heiszligt er haumltte sehr deutlich sagen sollen dass er nicht verehrt werden duumlrfe und Asenath den schrecklichen Fehler erklaumlren sollen den sie gemacht hat er tat weder das eine noch das andere [in Asenaths] voller Akzeptanz des Judentums wird die Verehrung ei-nes Engels offensichtlich als unproblematisch dargestellt1402

Das Argument erweist sich unbegruumlndet mit welchem bewiesen werden soll dass in der Weltanschauung der bibeltreuen Juden ausschlieszliglich Gott angebetet und verehrt werden koumlnne und duumlrfe wenn dafuumlr die Umlenkung der Anbetung von Johannes durch den Engel in der Offenbarung angefuumlhrt wird Im spaumlten Juden-tum der Aumlra des Zweiten Tempels in dessen Kultur die Autoren des Neuen Tes-taments lebten wurde die monotheistische Anerkennung Jahwes als einzig wah-rer Gott weder durch die bdquoAnbetungsbquo Adams noch durch die Verehrung von Engeln oder anderen Menschenfuumlrsten in irgendeiner Weise beeintraumlchtigt Die Hochachtung und Anbetung Jesu Christi durch die fruumlheste juumldisch-christliche Gemeinschaft bedeutet also nicht dass sie ihn als Jahwe betrachteten oder dass seine Ankunft auf der Buumlhne eine bdquobinitaumlrerdquo Aktualisierung ihrer traditionellen [unitarischen] Sichtweise erforderlich machte bdquoEs gibt keinen Hinweisrdquo so Hur-tado abschlieszligend bdquodass er unter den Problemen mit denen Paulus zu kaumlmpfen hatte immer um die Hingabe an Jesus als moumlgliche Vernachlaumlssigung Gottes oder Bedrohung der Zentralitaumlt Gottes besorgt warrdquo1403 Das ist schon wahr aber un-sere Frage bleibt warum Paulus sich daruumlber keine weiteren Gedanken gemacht oder diesbezuumlglich zumindest nichts geschrieben hat Liegt es daran dass die Ur-Christen den Mann Jesus moumlglicherweise doch als Jahwe erkannt haben wie die Trinitarier behaupten Oder lag es einfach daran dass in ihrer fruumlhchristlichen Weltanschauung die Anbetung erhabener menschlicher oder engelsgleicher Mitt-ler [Gottes] grundsaumltzlich keine Bedrohung fuumlr ihren Monotheismus darstellte

EhreundHerrlichkeitNach diesen populaumlren Argumenten aus der Offenbarung kommt ein Zitat Christi aus Johannes 523 bdquoDamit alle Menschen den Sohn ehren so wie sie den Vater ehrenrdquo (ELB) Dieser Vers wird von Trinitariern vorgebracht die versuchen die Gleichheit die Ebenbuumlrtigkeit von Vater und Sohn herzustellen (und dem Heili-gen Geist nur damit dieser in der Dreifaltigkeitsdoktrin nicht vergessen wird)

1402 Andrew Chester Messiah and Exaltation Jewish Messianic and Visionary Traditions and New Testa-

ment Christology (Tubingen Mohr Siebeck 2007) pp 112-113 1403 Larry Hurtado ldquoThe Binitarian Shape of Early Christian Worshiprdquo The Jewish Roots of Christological

Monotheism (Leiden Brill 1999) p 208

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Sie meinen dass Christus das Ziel verfolgte gleichermaszligen mit dem Vater ver-ehrt zu werden Doch dieser Vers gibt keine Erlaubnis Gott dem Vater und dem Sohn eine ontologische Gleichheit zuzuschreiben denn weder Natur noch religi-oumlser Kult sind hier Gegenstand des Diskurses Christi Die Ehre auf die sich Jesus in diesem Abschnitt bezieht liegt nicht in der religioumlsen Verehrung sondern in der Annahme einer himmlischen Mission Es ist der Wunsch Gottes erklaumlrt Jesus dass alle ihn in der Funktion des Gesandten Gottes annehmen sollten ihn als goumlttlichen Abgesandten auf die Art und Weise zu empfangen wie sie Gott selbst empfangen wuumlrden Im Kontext sagte Jesus

Denn nicht der Vater spricht das Urteil uumlber die Menschen er hat das Richteramt vielmehr dem Sohn uumlbertragen damit alle den Sohn ehren ge-nauso wie den Vater Wer aber den Sohn nicht anerkennen will der ver-achtet auch die Herrschaft des Vaters der ja den Sohn gesandt hat Ich sage euch die Wahrheit Wer meine Botschaft houmlrt und dem glaubt der mich gesandt hat der hat das ewige Leben Ihn wird das Urteil Gottes nicht treffen er hat die Grenze vom Tod zum Leben schon uumlberschritten (Johan-nes 522-24 HFA)

Mit Bestimmtheit geht es Christus darum als Gottes designierter Vertreter emp-fangen und akzeptiert zu werden Jesus demonstriert dieses gleiche Prinzip der Handlungsvollmacht an anderer Stelle und sagt zu seinen Juumlngern bdquoWer euch houmlrt der houmlrt mich Und wer euch ablehnt der lehnt mich ab Aber wer mich ablehnt der lehnt damit Gott selbst ab der mich gesandt hatrdquo (Lukas 1016) Der Apostel Johannes greift diesen Gedankengang in seinen anderen Schriften auf bdquoDenn wer den Sohn ablehnt der ist auch nicht mit dem Vater verbunden Doch wer sich zum Sohn bekennt der hat auch Gemeinschaft mit dem Vaterrdquo (1 Johannes 223 HFA) Man kann das eine nicht ohne das andere haben oder tun wenn Christus nicht geehrt wird dann wird Gott nicht geehrt Das ist ohne Zweifel die Absicht Jesu in Johannes 522ff Er will empfangen und akzeptiert werden als waumlre er der Vater nicht dass man ihn tat-saumlchlich als den Vater oder den gleichen Gott wie der Vater betrachtet

Doch immer wieder wird argumentiert dass waumlre Christus nicht Gott die An-betung Jesu der Idolatrie und dem Goumltzendienst gleichkaumlme Andere zitieren Rouml-mer 125 wo Paulus diejenigen zurechtweist die bdquodem Geschoumlpf statt dem Schoumlpfer dienten gepriesen sei er in Ewigkeitrdquo (ZB) Wenn Jesus tatsaumlchlich ein Geschoumlpf ist argumentieren diese Leute dann sollte er uumlberhaupt nicht angebetet werden1404 Aber was sagt Paulus hier wirklich Die Elberfelder Bibel liest in Roumlmer 125 dass sie bdquodie Wahrheit Gottes in die Luumlge verwandelt und dem Geschoumlpf Verehrung [gr sebazomai] und Dienst [gr latreuo] dargebracht haben statt dem Schoumlpfer der gepriesen ist in

1404 Jesus gehoumlrt gemaumlss dem NT zur Sphaumlre der Schoumlpfung Er ist bdquoder treue und wahre Zeuge der

Anfang der Schoumlpfung Gottesrdquo (Offb 314) und bdquoder Erstgeborene aller Geschoumlpferdquo (Kol 115)

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Ewigkeitrdquo und in der Menge-Bibel lesen wir dass bdquosie Anbetung und Verehrung dem Geschaffenen erwiesen haben anstatt dem Schoumlpfer der da gepriesen ist in Ewigkeitrdquo Die Praumlposition anstatt bedeutet in Griechisch auch bdquonebenrdquo (Konkordanten Wieder-gabe KNT) oder bdquojenseitsrdquo Das heiszligt dass die erwaumlhnte Anbetung die Vereh-rung oder der Gottesdienst des Geschaffenen bdquodem Ausschluss des Schoumlpfers gleich-kommtrdquo1405 Ein Kommentar besagt dass die Ermahnung an bestimmte Men-schen ergeht die das Geschoumlpf verehren und nicht den Schoumlpfer den sie eigent-lich ehren und anbeten solltenrdquo1406 Ein anderer sagt diese Art von Anbetung bdquokommt der Vernachlaumlssigung der Ausgrenzung Gottes gleichrdquo1407 Weiter heiszligt es dass es sich um eine Anbetung bdquozur Missachtung oder Verachtung des Schoumlp-fers handeltrdquo1408 Tatsaumlchlich stellen viele respektierte Kommentare Roumlmer 125 als eine scharfe Kritik an denen dar welche die Geschoumlpfe [die Natur] bdquomehr als denjenigen verehrten der sie geschaffen hatrdquo1409 Dann koumlnnte man im Lichte von Roumlmer 125 als Goumltzendienst oder Idolatrie definieren alles was im Unge-horsam gegenuumlber Gott sowie in der Vernachlaumlssigung oder dem Ersatz Gottes angebetet oder verehrt wird1410

In Wirklichkeit geschah aber durch die fruumlhchristliche Anbetung des Menschen Jesus weder ein Ungehorsam gegenuumlber Gott noch wurde Gott vernachlaumlssigt sondern sie war in der Tat ein Ritus oder eine Praxis die aufgrund von Gottes Befehl erfolgte Jesus wurde nicht vorgezogen und der Vater hintenan gestellt Durch die Hochachtung vor seinem Geschoumlpf [Jesus] den Gott ausdruumlcklich als den geeigneten und wuumlrdigen Ehrentraumlger bezeichnet wird Gott der Vater ange-betet und geehrt Gott ist immer das ultimative Ziel jeder Anbetung auch wenn [vordergruumlndig] der Sohn verehrt wird Wie Paulus sagte wird sich die Welt eines Tages vor Christus beugen bdquozur Ehre Gottes des Vatersrdquo (Phil 211) Anstatt jeman-den als Ersatz zum Vater oder anstelle des Vaters anzubeten symbolisiert die Verehrung Christi eine Handlung die via den erwaumlhlten Vermittler an Gott den Vater gerichtet ist

1405 Henry Alford ldquoCommentary on Romans 125rdquo The New Testament for English Readers Vol 2 (London

Gilbert and Rivington 1865) p 13 1406 Heinrich Meyer ldquoCommentary on Romans 125rdquo Heinrich Meyerrsquos Critical and Exegetical

Commentary on the New Testament (Edinburgh T amp T Clark 1832) emphasis added 1407 ldquoCommentary on Romans 125rdquo Cambridge Greek Testament for Schools and Colleges (London Cambridge

Warehouse 1896) 1408 W Robertson Nicol ldquoCommentary on Romans 125rdquo The Expositorrsquos Greek Testament 1897-1910 Web

02 December 2015 1409 E W Bullinger ldquoCommentary on Romans 125rdquo E W Bullingerrsquos Companion Bible Notes 1909-1922

Web 02 December 2015 1410 bdquoDas erste Gebot ist keine Goumltter vor Gott zu haben (2 Mose 203 5 Mose 57) Goumltzendienst

ersetzte einen anderen fuumlr Gott rdquo (Walter A Elwell ldquoIdol Idolatryrdquo Evangelical Dictionary of Theology (Baker Pub Group 1996) p 3)

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Dennoch ist es fuumlr viele schwer zu glauben dass der verherrlichte Jesus im Neuen Testament nicht vielleicht doch als Gottheit dargestellt wird Aber biblisch gese-hen kann die Herrlichkeit die Jesus von Menschen erhalten hat die sich vor ihm niederwarfen und ihn verehrten nicht mit der Herrlichkeit von Jahwe verglichen werden Im Lichte des Kapitels 11 des vorliegenden Buches uumlber die Prauml-Exis-tenz sollten wir uns daran erinnern dass die Art der Herrlichkeit die Jesus ge-nieszligt ausdruumlcklich bdquoseine Herrlichkeit als eines Eingeborenen (Sohnes) vom Vaterrdquo (Jo-hannes 114) ist also die Herrlichkeit der Sohnschaft Christen werden in der Tat die gleiche Herrlichkeit erhalten bdquoDann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeitrdquo (Kol 34) Dies wird von Christus selbst ausgefuumlhrt bdquoIch habe ihnen die Herrlichkeit gegeben die du mir gegeben hastrdquo (Joh 1722) Christus besteht sogar darauf dass die Menschen die Herrlichkeit von Gott suchen sollen bdquoIhr sollt die Herrlichkeit suchen die von dem einen und einzigen Gott kommtrdquo (Joh 544 vgl Roumlmer 27) Das ist die gleiche Herrlichkeit die Jesus von Gott erwartet hatte bdquoIch suche nicht meine Ehre es ist aber einer der sie sucht rdquo (Joh 850) Christus besitzt ganz klar nicht die Herrlichkeit Gottes sondern er genieszligt die Herrlichkeit des Sohnes Gottes In dieser Eigenschaft wird er zu Recht verehrt und angebetet

Viele Christen glauben dass Jesus mit Gott identisch sein muumlsse weil das Lamm bdquoEhre und Herrlichkeit und Lobrdquo erhaumllt (Offb 512) Jedoch sind alle treuen Juumln-ger nach dem Neuen Testament dazu bestimmt einmal dieselben Ehrungen zu erhalten

Lob Ruhm und Ehre werdet ihr dann an dem Tag empfangen an dem Christus fuumlr alle sichtbar kommt (1 Petrus 17 HFA)

denen die mit Ausharren in gutem Werke Herrlichkeit und Ehre und Unverweslichkeit suchen ewiges Leben Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden jedem der das Gute wirkt (Roumlmer 27 10a ELB)

Sollte man zur [irrigen] Schlussfolgerung gelangen dass das Neue Testament Je-sus als den einzig wahren Gott darstellt weil Jesus mit Gott entweder auf seinem Thron oder zu seiner rechten Hand zusammensitzt (Offb 512-14 Psalm 1101) wie ist dann die Schriftstelle uumlber Salomo zu verstehen In 1 Chronik 2923 steht naumlmlich bdquoSo setzte sich Salomo auf den Thron des HERRN [JHWH] als Koumlnigrdquo Ebenso sind die eigenen Juumlnger Jesu eingeladen an diesem ehrenvollen Ort zu sitzen bdquoWer uumlberwindet dem werde ich geben mit mir auf meinem Thron zu sitzen wie auch ich uumlberwunden und mich mit meinem Vater auf seinen Thron gesetzt haberdquo (Offb 321) Wenn Jesus der eine Gott waumlre weil in Offenbarung 5 das Volk der Welt kommt und zu seinen Fuumlszligen anbetet wie verhaumllt es sich dann mit den anderen erhabenen und verherrlichten Dienern Gottes die ebenso verehrt werden Wie Gott der Welt befiehlt sich vor dem Messias dem Christus zu beugen so befiehlt Christus

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dass das Gleiche fuumlr andere Menschen geschieht (Offb 39) Es waumlre nicht plau-sibel wenn die Anbetung der verherrlichten von Gott mit Macht ausgestatteten Christen hier der Anbetung Gottes widerspraumlche Ebenso wenig greift die Anbe-tung des Menschen Jesus die Ehre des einen Gottes an sie ist eindeutig keine Anbetung Christi im Gegensatz zu Gott sondern geschieht in Hochachtung vor dem Gebot Gottes

Keine der vorliegenden Informationen uumlber die Erhoumlhung sowie die Verehrung und Anbetung Christi genuumlgt als Beweis dafuumlr dass das Neue Testament Jesus als identisch mit Gott oder von gleicher Substanz wie der Vater betrachtet Wie Perry abschliessend festhaumllt

Die Ehrfurcht und der Respekt vor Jesus die Anerkennung und Ehre die ihm zugeschrieben werden und die Ehrerbietung die Be-rufung auf ihn und die Erinnerung an ihn - all diese Handlungen sind Teil der christlichen Hingabe und spiegeln die Erhoumlhung Jesu als bdquoHerrrdquo und Koumlnig aus der Linie Davids wider Das ist mit dem Juumldischen [unitarischen] Monotheismus der damaligen Zeit durch-aus vereinbar denn es ist der Vater der von den Juden und den fruumlhesten Christen gleichermaszligen als der eine Gott bezeichnet wird1411

1411 Perry p 55

Im Anfang war das Wort

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14

AmAnfangwardasWort

bdquoWenn die Autoren des Neuen Testaments von Gott sprechen meinen sie den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus Wenn sie von Jesus Christus reden sprechen sie weder von Gott noch halten sie Jesus fuumlr Gott Er ist Gottes Christus Gottes Sohn Gottes Weisheit Gottes Wort Auch der Prolog des Johannes-Evangeliums welcher der nicaumlnischen Lehre am naumlchsten kommt muss im Lichte des ausgepraumlgten Gedan-kens der Subordination im Kontext des Evangeliums als Ganzem gelesen werden der Prolog ist im Griechischen mit dem ar-tikellosen formfreien sbquotheosrsquo [Gottheit] we-niger explizit als er im Englischen zu sein scheintrdquo

mdash John Martin Creed

N DER FORTSETZUNG UNSERER UNTERSUCHUNG der Lehren uumlber die Prauml-Existenz und Divintaumlt Christi ist es notwendig der beruumlhmten und umstrittenen Praumlambel des Johannesevangeliums ein Kapitel zu widmen

bdquoAm Anfang war das Wort Das Wort war bei Gott und das Wort war Gott Von Anfang an war es bei Gott Alles wurde durch das Wort geschaffen nichts ist ohne das Wort entstan-denrdquo (Johannes 11-3 HFA) Zweifellos hat sich dieser eine Text als die wichtigste Quelle exegetischer Auseinandersetzungen in der Geschichte der Heiligen Schrift

I

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erwiesen Es ist auch die Passage die sich am leichtesten in die platonische Inter-pretation des Neuen Testaments einzuordnen scheint Obwohl auch heute noch von groszligen Kontroversen umgeben wird der bdquoPrologrdquo verstaumlndlicher und klarer im Lichte des juumldischen Konzepts uumlber die Frage der Prauml-Existenz der Schoumlp-fung und der Verpflichtung zu einer strengen Exegese Ein Professor am Fuller Theologischen Seminar postulierte das so

Die heiklen Fragen spaumlterer Zeiten haumltten vermieden werden koumln-nen wenn die Kirchenvaumlter nicht die Sprache der bdquoewigen Zeu-gung des Sohnesrdquo uumlbernommen haumltten Die Dinge haumltten anders sein koumlnnen wenn sich die Vaumlter strikt an die Sprache von Johan-nes Prolog als ihr Paradigma gehalten haumltten1412

Betrachten wir zunaumlchst die traditionelle Uumlbersetzung von Johannes 11-3 In der bereits erwaumlhnten Darstellung der Passage in der englischen King James Version (1604) haben die Uumlbersetzer den griechischen Begriff bdquologosrdquo mit bdquoWortrdquo uumlber-setzt Dies ist nicht unbedingt eine falsche Uumlbersetzung1413 aber zu beachten ist dass die englischsprachigen Uumlbersetzer sich fuumlr die Grossschreibung des An-fangsbuchstabens von bdquoWordrdquo entschieden haben Offensichtlich ist dies ein nicht ganz so subtiler Versuch den Begriff [logos] als den richtigen Eigennamen einer Person darzustellen Dies wird durch die Tatsache belegt dass der Terminus bdquologosrdquo im Neuen Testament uumlber dreihundert Mal vorkommt aber in englischen Uumlbersetzungen wie in der NIV und der KJV bewusst nur sieben Mal groszlig ge-schrieben wird Nicht nur das sondern die Herausgeber sind sich auch nicht ei-nig in welchen Faumlllen genau bdquoWordrdquo groszlig geschrieben werden sollte Dies zeigt dass der Impuls zur Groszlig- oder Kleinschreibung (also wann soll man bdquologosrdquo als Person darstellen und wann nicht)1414 nicht unbedingt durch den Ur-Text sondern durch die persoumlnliche Interpretation bzw dem Vorurteil der Uumlbersetzer erzeugt wird

In Tat und Wahrheit sollte das bdquoWortrdquo (logos) nicht als eine Person betrachtet werden Der Begriff hat zwar einen groszligen Anwendungsbereich wird aber im Wesentlichen in der Bibel durch zwei allgemeine Bedeutungen repraumlsentiert bdquoLo-gikrdquo (oder Vernunft) und bdquoSpracherdquo bdquoWortrdquo Das groszlige Bauer-Lexikon liefert diese Beispiele fuumlr die breite Anwendung des Begriffs Logos

1412 Brown ldquoTrinity and Incarnationrdquo Ex Auditu Vol 7 p 90 1413 Die traditionelle Wiedergabe von bdquoWortrdquo in der King James Version (KJV) scheint jedoch eher der

lateinischen Uumlbersetzung von gr bdquologosrdquo als lat bdquoverbumrdquo aus der Vulgata zu verdanken sein als einer direkten Uumlbersetzung die den gesamten Umfang der Bedeutung des Begriffs beruumlcksichtigt Siehe BeD-uhn S 114

1414 Siehe ldquoJoh 11 ndash But What About John 11rdquo Biblical Unitarian Spirit and Truth Fellowship Interna-tional 2013 Web 25 November 2015 (Aber was ist mit Joh 11)

Im Anfang war das Wort

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- Sprechen gesagte Woumlrter (Roumlmer 1518 bdquowas ich gesagt und ge-tan haberdquo)

- eine Aussage die du machst (Lukas 2020 bdquosie koumlnnten ihn bei einer Aussage erwischen)

- eine Frage (Matthaumlus 2124 bdquoIch werde dir auch eine Frage stel-lenrdquo)

- Predigen (1 Timotheus 517 bdquobesonders diejenigen deren Werk Predigt und Lehre istrdquo)

- Befehl (Galater 514 bdquodas gesamte Gesetz wird in einem einzigen Befehl zusammengefasstrdquo)

- Sprichwort (Johannes 437 bdquoso lautet das Sprichwort Der eine saumlt der andere erntetrdquo)

- Botschaft Anweisung Verkuumlndigung (Lukas 432 bdquoseine Botschaft hatte Autoritaumltrdquo)

- Behauptung Erklaumlrung Lehre (Johannes 660 bdquodas ist eine harte Lehrerdquo)

- das Thema uumlber das wir sprechen Materie (Apg 821 bdquoDu hast keinen Anteil an diesem Dienstrdquo Apg 156 bdquoUnd die Apostel kamen zusammen um diese Angelegenheit zu untersuchenrdquo)

- Offenbarung von Gott (Matt 156 bdquoDu annullierst machst unguuml-ltig das Wort Gottesrdquo)

- Gottes Offenbarung die von seinen Dienern gesprochen wurde (Hebr 137 bdquoLeiter die das Wort Gottes gesprochen habenrdquo)

- eine Abrechnung ein Bericht (Matt 1236 bdquoDie Menschen werden Rechenschaft ablegen muumlssen am Tag des Gerichtsrdquo)

- eine Buchfuumlhrung oder Abrechnung (Finanzen) (Matt 1823 Die Menschen werden Rechenschaft ablegen muumlssen Phil 415 bdquoin Bezug auf Nehmen und Empfangenrdquo)

- ein Grund ein Motiv (Apg 1029 bdquoIch frage aus welchem Grund du nach mir geschickt hastrdquo)1415

- Obwohl es drei Dutzend Mal oder mehr verschiedenartig uumlbersetzt wird (einschlieszliglich bdquoBericht Antwort Ermahnung Botschaft Nachricht Materie Bericht Lehre Geschichte und Vernunftrdquo usw) fasst ein sprachlicher Leitfaden die Bedeutung

1415 William F Arndt and F Wilbur Gingrich A Greek-English Lexicon of the New Testament and Other

Early Christian Literature (The Bauer Lexicon) (Chicago University of Chicago Press 1957) p 480

Im Anfang war das Wort

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von bdquologosrdquo effektiv als bdquodurch Worte ausgedruumlckte Vernunftrdquo1416 zusammen Der Schwerpunkt liegt nicht auf den Worten selbst sondern auf der Argumentation oder den dahinter stehenden Gedanken und Ideen Ebenso definiert es die Strongs Concord-ance als bdquoein Wort (die Verkoumlrperung einer Idee)rdquo

Es ist anzumerken dass kein Lexikon bdquoLogosrdquo als bdquoeine Personrdquo definiert aber genau das verlangen die Trinitarier bei der Uumlbersetzung des Begriffs bdquoWortrdquo im ersten Kapitel des Johannesevangeliums Dennoch haben selbst orthodoxe Ge-lehrte die weit verbreitete Fehleinschaumltzung erkannt wobei sich ein katholischer Gelehrter pointiert wunderte bdquoWarum lesen wir einen Eigennamen Am Anfang war der Sohn und der Sohn war bei Gottrdquo1417 Kein geringerer als Dr Brown vom Fuller Seminar ermahnt uns sogar dass es natuumlrlich voumlllig falsch ist den Vers in Johannes 11 zu lesen als bdquoAm Anfang war der Sohnrdquo1418

MoumlglicherEinflussIn den vorangehenden Kapiteln dieses Buches wurde untersucht wie in den fruuml-hen christlichen Jahrhunderten die griechische Vorstellung des Logos innerhalb der Kreise der synthetisierenden Platoniker [sie versuchten von elementaren zu komplexen Begriffen zu gelangen Anm d Uuml] verschiedene Bedeutungen an-nahm Fuumlr Philon von Alexandria war der Logos eine Art Vermittler ein engels-gleiches Wesen fuumlr Justin den Maumlrtyrer war diese engelsgleiche Gestalt der praumlinkarnierte Jesus Diese Vorstellungen schoumlpften ihre Kraft aus den metaphy-sischen Lehren des Platonismus uumlber die Prauml-Existenz die Seelenwanderung und den Demiurg1419 Aber woher kommt die Darstellung des juumldischen Apostels Jo-hannes uumlber den Logos Haumltten er oder sein eigenes juumldisches Umfeld ein Logos-Konzept einfuumlhren koumlnnen das den Hellenisten wenig oder nichts zu verdanken hat Ein Theologe kommentiert diese Frage

1416 ldquo3056 (logos)rdquo Helps Word-studies Helps Ministries 2011 Web 01 November 2015 1417 Kuschel p 381 1418 Brown Ex Auditu Vol 7 p 89 1419 Wie wir in Teil I entdeckten hatte Philon von Alexandria das Konzept der Logos der Platoniker vor

ihm die etablierte Blaupause oder den Geist des Universums zusammengefasst und war angeblich der erste der es zu einer Art geschaffenem und ungeschaffenem Menschen machte (Lamson Abt S 68) Fuumlr Philon war der Logos sowohl Gottes goumlttliche Vernunft als auch ein Engel mitdurch dem er die Welt erschaffen hatte Der spaumltere Platoniker Justin Martyr im zweiten Jahrhundert postulierte dann dass der Logos-Engel nichts anderes sei als der vorgeborene praumlexistente Jesus Christus Auch Justin hatte das Neue Testament mit den gleichen Interpretationsmethoden gelesen mit denen Philon das AT gelesen hatte wo Philon die Septuaginta-Uumlbersetzung des hebraumlischen bdquodavarrdquo (Wort) gelesen und Pla-tons bdquologosrdquo gleichgesetzt da hatte Justin das Griechische Neue Testament gelesen und Philons Logos in Johannes Prolog gefunden

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Die [platonischen] Philosophen konzipierten die Idee von zwei oder drei goumlttlichen Wesen und fanden nachdem sie die Juden ken-nenlernten den Satz Logos des Herrn fragten aber nicht nach dem juumldischen Gebrauch So wurden sie in den irrigen Glauben gefuumlhrt dass der juumldische logos und ihr nous1420 ein und dasselbe bedeuten ndash naumlmlich eine goumlttliche Person1421

Ein Fehler den ein Groszligteil der christlichen Religionswissenschaft in diesem Punkt begeht ist die Darstellung eines fehlerhaften Entweder-oder-Paradigmas Viele gehen hastig davon aus dass Johannes entweder sein Konzept des Logos aus der parallelen platonischen Tradition erhalten habe oder dass sein Logos voumlllig original war Natuumlrlich ziehen trinitarische Apologeten oft die zweite Option vor dass die johanneische Vorstellung vom Logos als eine echte goumlttliche Person kei-nesfalls von heidnischen Quellen beeinflusst wurde Tatsaumlchlich haben trinitari-sche Gelehrte behauptet dass bdquoes keinen Beweis dafuumlr gibt dass Johannes seinen Logos von Philon erhalten hatrdquo Bei der Verwendung des Begriffs Logos folgte er weder dem gnostischen noch dem alexandrinischen noch dem neoplatoni-schen noch irgendeiner anderen Bedeutung auszliger seiner eigenen und der von Jesus Christus dem Gruumlnder des Christentums1422 Es gab einen gemeinsamen Versuch die bdquoLogos-Christologierdquo darzustellen die Johannes angeblich in sei-nem Prolog als eine brandneue trinitarische Offenbarung praumlsentierte Diese Be-hauptung wird oft unter dem Vorwand erhoben dass Philons Logos wirklich keine echte Person war der Logos des Johannes jedoch schon Tatsaumlchlich wur-den regelmaumlszligig Beurteilungen wie bdquoPhilons Logos ist nicht wirklich persoumlnlich bei St Johannes ist er es auf jeden Fallrdquo1423 wiederholt Trotzdem gibt es immer noch viele Diskussionen daruumlber wie Philons Logos richtig einzuordnen ist und nicht wenige glauben dass auch dieser Logos eben doch eine Person war Viel-leicht uumlben einige von denen die so uumlber Johannes argumentieren Zuruumlckhal-tung um nicht den Gedankenformen der Synthese [dem Versuch von elementa-ren zu komplexen Begriffen zu gelangen] zu nahe zu kommen Moumlglicherweise hegten sie den Wunsch das gesamte trinitarische Konzept als eine ausschlieszliglich christliche Lehre darzustellen die nicht auf platonischem Denken basiert Und

1420 Im neoplatonischen Denken dh bei Plotinus (204-270 n Chr) ist der nous ein Bild von Gott oder

der Demiurg verschieden von Gott (oder bdquodem Einenrdquo) Der nous wird als bdquoAusstrahlungrdquo [Emanation] vom Einen betrachtet Dieses Verhaumlltnis der Emanation wird sicherlich durch das trinitarische bdquoZeugnisrdquo des Gottes - des Sohnes von Gott dem Vater und das bdquoHervorgehenrdquo des Heiligen Geistes vom Vater (oder in westlichen Kirchen sowohl vom Vater als auch vom Sohn) ergaumlnzt

1421 Charles Upham quoted in The Baptist Quarterly Vol 10 (Philadelphia American Baptist Publication Society 1876) p 131

1422 Heuser p 229 unsere Hinzufuumlgung 1423 Hastings Dictionary of the Bible p 550

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warum sollten wir nicht wollen die Christologie des Johannes schnell und oumlffent-lich von jedem vorhergehenden heidnischen Einfluss zu distanzieren Schlieszliglich war Johannes kein griechischer Philosoph Indem sie jedoch behaupten dass Jo-hannes Logos unbedingt eine bdquoPersonrdquo ist und damit eine mysterioumlse ewig ge-zeugte Hypostase meinen sind die Trinitarier allen Bemuumlhungen zum Trotz ruumlck-waumlrts ins platonische Denken gefallen

Ist der Logos des Johannes das Produkt des Platonismus oder ist er eine brand-neue Offenbarung im trinitarischen Sinn Was hinderte Johannes daran das Lo-gos-Konzept aus seinem uumlberlieferten Judentum zu gewinnen war dies doch seine einzige religioumlse Quelle Wir koumlnnen sicher alle zustimmen dass er eng mit dem Judaismus verbunden war So sind die meisten Wissenschaftler heute davon uumlberzeugt dass das Johannesevangelium durch einen grundlegend juumldischen Rahmen interpretiert werden muss1424 James McGrath bekraumlftigt das

Die Mehrheit der Gelehrten hat Recht das vierte Evangelium in den Kontext des Judentums zu stellen es ist keineswegs abwegig zu behaupten dass das Johannesevangelium korrekt als judeo-christ-lich eingestuft wird und keine Distanz zum Judentum zeigt die Beweislast liegt bei denen die versuchen einen urspruumlnglich juumldischen Rahmen fuumlr die judeo-christliche Gemeinschaft und das vierte Evange-lium des Evangelisten Johannes zu verleugnen1425

Unter bdquoJuden-Christenrdquo verstehen wir natuumlrlich die historischen Nazarener- und Ebionitengruppen die nicht an die woumlrtliche Prauml-Existenz des Sohnes [im Him-mel] glaubten In diesem Rahmen wollen wir das Johannesevangelium und damit das Logos-Konzept in seinem Prolog nochmals uumlberpruumlfen Haumltte der ausgespro-chen juumldische Johannes uumlberhaupt ein weniger persoumlnliches Konzept des Logos vertreten koumlnnen wie von manchen Forschern bisher angenommen wurde War es in der Tat ein Konzept das weder von den Hellenisten seiner Zeit noch von einer neuen trinitarischen Offenbarung hergeleitet wurde sondern basierte es ausschlieszliglich auf der althergebrachten Hebraumlischen Bibel selbst Ein Gelehrter machte einen Vorschlag und es lohnt sich diesen eingehend zu pruumlfen bdquoWir wissen dass Johannes von den alttestamentlichen heiligen Schriften durchdrun-gen war Wenn wir die historische Herkunft des Logos-Konzeptes des Johannes so verstehen wollen wie er sie selbst verstanden hat muumlssen auch wir zu diesen Schriften zuruumlckkehrenrdquo1426

1424 Siehe Severino Pancaro The Law in the Fourth Gospel (Leiden EJ Brill 1975) p 530 (Das Gesetz

in Vierten Evangelium) 1425 McGrath ldquoJohannine Christianityrdquo pp 14-15 unsere Hinzufuumlgung (Johanneisches Christentum) 1426 C J Wright ldquoJesus the Revelation of Godrdquo in The Mission and Message of Jesus An Exposition of

the Gospels in the Light of Modern Research (New York EP Dutton and Co 1953) p 677 unsere

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DerhebraumlischeLogosdesJohannesGeorge Ladd ein beruumlhmter baptistischer Professor fuumlr Theologie bemerkte dass bdquoWissenschaftler oft versucht haben die Quelle von Johannes Logos-Kon-zept im hellenistischen Denken zu findenrdquo Unsere Frage ist warum wohl1427 Nach allem was man houmlrt war Johannes wie Jesus ein uumlberzeugter praktizie-render Jude Wie in unserem fruumlheren Kapitel uumlber das Eindringen des Gnosti-zismus [ins Christentum] bereits erkannt schrieb Johannes selbst leidenschaft-lich um den Glauben vor hellenistischen Einfluumlssen zu schuumltzen welche droh-ten das Erbe des menschlichen Messias zu zerstoumlren Warum also zunaumlchst der Idee den Vorzug geben dass Johannes eher von den heidnischen Platonikern beeinflusst wurde als von seinem uumlberlieferten gottesfuumlrchtigen Judentum Ein presbyterianischer Gelehrter findet allerdings den Logos des Johannes in einer viel naumlher liegenden Quelle bdquoEs ist unbestreitbar dass die Lehre [des Logos] im Alten Testament wurzelt und dass ihr Hauptstamm das [Wort von] Jahwe ist das kreative und offenbarende Wort Gottes durch das die Himmel und die Erde geschaffen und die Propheten inspiriert worden sindrdquo1428

Tatsaumlchlich war das bdquoWort Gottesrdquo bereits ein wichtiger Artikel im Judentum des Johannes In der Juumldischen Schrift ist die ganze Schoumlpfung durch das gespro-chene Wort Gottes entstanden Gott bdquosprachrdquo und das Universum wurde er-schaffen (1 Mose 13) alle Dinge sind durch seine Rede entstanden Beachten wir den beruumlhmten Psalm bdquoDurch das Wort des Herrn wurden die Himmel geschaffen ihr sternenklares Heer durch den Atem seines Mundesrdquo (Psalm 336) Hier gibt die Sep-tuaginta-Uumlbersetzung tatsaumlchlich dieses bdquoDurch den Logos des HERRN wurden die Himmel geschaffenrdquo (Ps 326 LXX) wieder So sind das hebraumlische bdquoWortrdquo (davar) und der griechische bdquologosrdquo bei den Juden gleichbedeutend - sie zeigen die geaumluszligerten Vorstellungen Gottes Wie Dunn offenbart bdquoist nirgendwo in der Bibel oder in der auszligerkanonischen Literatur der Juden das Wort ein persoumlnlicher Vertre-ter Gottes oder sbquoauf dem Wegrsquo ein solcher zu werdenrdquo1429 In der Tat lesen wir in der Bibel durchwegs dass es ausschlieszliglich Gottes eigene Willensaumlusserung oder sein Befehl war die seine Schoumlpfung ermoumlglichte keine andere Person [war bei ihm]

Durch unseren Glauben verstehen wir dass die ganze Welt durch Gottes Wort geschaffen wurde dass alles Sichtbare aus Unsichtbarem entstanden ist (Hebraumler

Hinzufuumlgung (Jesus die Offenbarung Gottes in Die Mission und Message von Jesus Eine Darstellung der Evangelien im Licht der modernen Forschung)

1427 George Eldon Ladd A Theology of the New Testament (Grand Rapids Eerdmans 1974) p 274 1428 Thomas Walter Manson Studies in the Gospels and Epistles (Manchester University Press 1962) p

118 (Studien in den Evangelien und den Episteln) 1429 Dunn Christology in the Making p 219

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113 HFA oder bdquo hellip aus mit unseren Sinnen nicht Wahrnehmbaren geworden istrdquo ELB )

Da sprach Gott bdquoLicht soll entstehenrdquo und sogleich strahlte Licht auf (1 Mose 13)

Sie alle sollen den HERRN loben Denn auf seinen Befehl hin wurden sie erschaffen (Psalm 1485)

Denn er sprach und es geschah er gebot und es stand da (Psalm 339)

Wie wir im fruumlheren Kapitel uumlber das juumldische Konzept der Prauml-Existenz bemerkt haben hatte alles vormals in Gottes Denken und Verstand oder in seinem Plan existiert alles war bei ihm vor der Schoumlpfung gespeichert Als Gott schlieszliglich sprach machte sein Wort sein Befehl all diese Dinge sichtbar Jedes kriechende Getier und jedes sich bewegende Wesen entstand zuerst in Gottes Denken laumlngst bevor es gemacht wurde und sein gesprochenes Wort war das Mittel das diese Ideen in das Universum uumlbertrug Johannes folgte diesem Gedankengang Er schreibt dass alles durch das Wort gemacht wurde und auszliger dem Wort wurde nichts gemacht (Joh 13) Weit davon entfernt eine neuartige Offenbarung zu sein war dieselbe Formulierung jedoch von alters her bei den Juden verbreitet dh bei einem Volk das die Trinitaumltstheorie weder kannte geschweige denn an eine Dreifaltigkeit glaubte Beispiele fuumlr die weit verbreitete juumldische Weltan-schauung sind das Buch der Jubilaumlen aus den Jahren 200-150 v Chr in dem steht dass Gott bdquoalles durch sein Wort geschaffen hatrdquo (Jubilaumlen 124) Die Weisheit Salomos in griechischer Sprache aus dem ersten Jahrhundert vor Christus lautet bdquoO Gott der alle Dinge durch sein Wort [logos] und durch seine Weisheit die Menschheit geformt hatrdquo (Weisheit 91-2a) Eine der Schriftrollen des Toten Meeres enthaumllt die Linien bdquoDurch die Erkenntnis Gottes ist alles geschehen und alles was geschieht - er stellt es nach seinem Plan fest und ohne ihn wird nichts getanrdquo (DSS 1QS XI 11) und bdquodurch die Weisheit deines Wissens hast du ihr Schicksal begruumlndet bevor sie entstanden sind nach deinem Willen alles ist geschehen und ohne dich wird nichts geschehenrdquo (DSS 1QH 119-20) Hier wird Gottes Wort mit seinem bdquoWissenrdquo seiner bdquoWeisheitrdquo und seinem bdquoPlanrdquo identi-fiziert und gleichgesetzt

Das alttestamentliche Buch der Spruumlche folgt den oben genannten Quellen und praumlsentiert Gottes schoumlpferisches Wort als praktisch gleichbedeutend mit seiner Weisheit Waumlhrend die Schnittstellen in Spruumlche 1-9 sogar Gottes Weisheit als Frau beschreibt die lange Reden uumlber ihre Bedeutung und ihr Engagement als Mitarbeiterin in der Weltbildung Gottes haumllt ist es fuumlr uns angemessen dies als

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die literarische Technik der Personifizierung zu betrachten1430 Natuumlrlich hatten die

hellenisierenden Juden wie Philon frei uumlber die Natur dieser Weis-heit spekuliert Fuumlr Philon war der Logos eine Hypostasierung (In-dividualisierung) der Weisheit Gottes Er sah im Logos einen ver-mittelnden Engel den erstgeborenen Sohn Gottes1431 Dennoch gibt es innerhalb des Judentums einschlieszliglich des hellenistischen Judentums keine Beweise dafuumlr dass ein solches Gespraumlch uumlber Gottes (vorexistierende allgegenwaumlrtige) Weisheit jemals in den juuml-dischen Monotheismus eingedrungen waumlre1432 In der Tat bdquoPhilon ist religioumls ein wahrer Jude geblieben und hat immer an einem per-soumlnlichen Gott festgehaltenrdquo1433 Und wie Dunn bemerkt bdquoDer Weisheit wird keine Anbetung angeboten Weisheit hat keine Pries-ter in Israelrdquo1434 Letztendlich wurde bdquoWeisheit nie wirklich mehr als eine bequeme Art uumlber Gottes Handeln in Schoumlpfung Offen-barung und Erloumlsung zu sprechen Weisheit wurde nie mehr als eine Verkoumlrperung der eigenen Taumltigkeit Gottes gesehenrdquo1435 Si-cherlich wurde in der Tradition der Juden Gottes bdquoWortrdquo oder bdquoWeisheitrdquo als etwas empfunden das Gott gehoumlrte und bdquosicherlich nicht als persoumlnliches Wesen oder Hypostaserdquo1436

All dies deutet darauf hin dass Johannes um seinen Prolog zu vollenden keines-falls von den seit langem etablierten Ideen seines religioumlsen Hintergrunds abwei-chen musste Er brauchte nicht eine echte Persoumlnlichkeit um Gottes Wort auszu-weisen Keine der 1400 Anwendungen von bdquodavarrdquo (Wort) in der Hebraumlischen Bibel bedeutet eine Person Aber Trinitarier und Arianer behaupteten dass Jo-hannes in diesem Punkt tatsaumlchlich ein groszliger Innovator war der abrupt und

1430 Die sbquoFrausbquo Weisheit wird weithin nicht als eine reale Person sondern als Gottes Weisheit aufgefasst

bdquoDass diese Frau keine echte Person ist ist offensichtlichrdquo (Robert Kappelle Wisdom Revealed The message of Biblical Wisdom Literature Then and Now (Eugene Wipf amp Stock 2014) p 43) bdquoEs ist angebracht in der Weisheit keine reale Person zu verstehen sondern ein Attribut oder eine Eigenschaft welche mit einem persoumlnlichen Wesen versehen sind oder mit der eine imaginaumlre Persoumlnlichkeit vorgestellt wirdrdquo (Nathaniel Lardner Works Vol 5 (London T Bensley 1815) p 90) bdquoKeine echte Frau so Hausmann koumlnnte auf die extravagante Beschreibung passenrdquo (Michael V Fox Proverbs 10-31 Vol 2 (New York Yale University Press 2009) p 908)

1431 Philon verwendet die Worte bdquoWeisheitrdquo und bdquologosrdquo austauschbar See Sherwood Eddy Man Discovers God (New York Books for Libraries Press 1968) p 27

1432 Dunn Christology p 210 1433 Paine The Ethnic Trinities p 132 1434 Dunn Christology p 170 1435 Ebenso p 210 1436 Bruce Chilton Do Jews Christians and Muslims Worship the Same God (Nashville Abingdon Press

2012) p 57 (Beten Juden Christen und Muslime denselben Gott an)

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dramatisch von der historischen juumldischen Verwendung des Begriffs bdquoWortrdquo ab-gewichen sei Aber waumlre es nicht viel plausibler gewesen zu erklaumlren Johannes habe sich einfach auf seinen eigenen religioumlsen juumldischen Hintergrund berufen Christopher Wright erklaumlrt es

Als Johannes das ewige Wort vorstellte dachte er nicht an ein We-sen das in irgendeiner Weise von Gott losgeloumlst war auch nicht an eine bdquoHypostaserdquo Die spaumlteren dogmatischen trinitarischen Unter-scheidungen sollten nicht in den Geist des Johannes hineingelesen werden im Lichte einer Philosophie die ihm fremd war Wir duumlrfen Johannes nicht im Lichte der dogmatischen Entwicklungs-geschichte der drei Jahrhunderte nach dem Schreiben des Evange-listen lesen

Die Sprache des Johannes ist nicht die Sprache der philosophischen Definition Johannes hat einen bdquokonkretenrdquo Verstand und eine bdquobildlicherdquo Vorstellung Das Nicht-Verstehen von Johannes [in seinem Prolog] hat viele zum Schluss gefuumlhrt dass er bdquoVater der metaphysischen Christologierdquo und damit fuumlr die spaumltere kirch-liche Verdunkelung der ethischen und spirituellen Betonung Jesu verantwortlich ist Der Evangelist dachte nicht in Bezug auf die Kategorie der bdquoSubstanzrdquo - einer Kategorie die fuumlr den griechischen Geist so kongenial war 1437

Doch wir fragen uns vielleicht warum Johannes einen hellenistischen Begriff wie bdquologosrdquo verwenden konnte der bereits so lange schon in der philosophischen Arena eine Rolle gespielt hatte Wissenschaftler erklaumlren dass bdquoJohannes absicht-lich einen Begriff verwendete der sowohl in der hellenistischen als auch in der juumldischen Welt weit verbreitet war um die Bedeutung Christi hervorzuhe-benrdquo1438 In der hellenistischen Welt geht die Idee des Logos auf den Philosophen Heraklit (ca 500 v Chr) zuruumlck und wurde zunaumlchst als das fundamentale Ord-nungsprinzip der Welt angesehen Aber wie haumltte Johannes als Jude bdquologosrdquo richtig einsetzen koumlnnen Dazu erklaumlrt Wright

Die Sprache eines Autors mag uns verwirren es sei denn wir bauen ein Verhaumlltnis zu seinem Geist auf Der Evangelist Johannes

1437 C J Wright ldquoJesus the Revelation of Godrdquo p 707 711 (Jesus die Offenbarung Gottes) 1438 George Eldon Ladd Donald Alfred Hagner A Theology of the New Testament (Grand Rapids Eerdmans

1993) pp 275-276 In aumlhnlicher Weise schrieb er den Korinthern bdquoPaulus griff die Sprache der Weisheit auf Er griff auf die Weisheitstradition des hellenistischen Judentums und der stoischen Terminologie zuruumlck und entwarf eine Christologie die den Erfordernissen der Situation in Korinth entsprach hellip Er praumlsentierte eine Lobpreisung von Jesus innerhalb des Kontextes des juumldischen Monotheismus und als die Verkoumlrperung und Mittler der Macht Gottes welcher die Welt gemacht hat und auch erhaumllt hellip er sieht Jesus nicht als ein prauml-existierendes goumlttliches Wesen sondern als einen Menschen einen Juden dessen Gott der eine Gott ist hellip er kann identifiziert werden als sbquodie Kraft Gottesrsquo und sbquodie Weisheit Gottesrsquo rdquo (Dunn Christology p 211)

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nimmt einen bekannten Begriff wie logos definiert ihn aber nicht sondern entfaltet was er selbst damit meint Die Idee gehoumlrte zum Alten Testament und ist in den gesamten religioumlsen Glauben und die Erfahrung der Hebraumlischen Schriften eingebunden Es ist der passendste Begriff um seine Botschaft auszudruumlcken Denn das bdquoWortrdquo eines Menschen ist der Ausdruck seines [intelligenten] bdquoVerstandesrdquo und sein Verstand ist seine wesentliche Persoumlnlich-keit Jeder Geist muss sich ausdruumlcken denn Aktivitaumlt ist die ei-gentliche Natur des Geistes1439

Der allem zugrunde liegende Text von 1 Mose 11-3 bietet eine atemberaubende Parallele zu Johannes 11-3 In 1 Mose 11 finden wir dass bdquoam Anfangrdquo Gott durch sein Wort erschafft bdquoUnd Gott sagte Es werde Licht und es ward Lichtrdquo (1 Mose 13) Durch Gottes Wort daumlmmerte das Licht der Schoumlpfung das Licht des Lebens und der Weisheit und gebar die Welt im Universum Johannes 14 liest sich dementsprechend in der New Living Translation der Bibel bdquoDas Wort hat alles was geschaffen wurde zum Leben erweckt und sein Leben hat allen das Licht gebrachtrdquo (NLT) und in anderen Versionen bdquoIn ihm [oder im Logos] war das Leben und das Leben war das Licht der Menschenrdquo Der beruumlhmte evangelische Gelehrte F F Bruce (1910 ndash 1990) schrieb dass Johannes 13 zutreffend ist denn

[Johannes] fasst die Lehre von 1 Mose 1 zusammen wo die Auf-zeichnung jedes schoumlpferischen Tages durch den Satz bdquoUnd Gott sagterdquo eingefuumlhrt wird In Psalm 336 wird dies so interpretiert dass bdquodurch das Wort des Herrnrdquo die Himmel (und alles andere) ent-standen ist in der Weisheitsliteratur wird es aumlhnlich interpretiert dass alle Dinge durch seine Weisheit existieren (vgl Spruumlche 319 830 auch Psalm 10424)1440

Mit anderen Worten Johannes 11-3 praumlsentiert keine neuen Informationen uumlber das hinaus was von den glaumlubigen Juden seit 1 Mose 1 schon lange geschaumltzt wurde Die Verwendung von Logos (Wort) im Johannesevangelium korreliert da-her genau mit dem Wort [hebr davar] das Gott gesprochen hat um das Univer-sum zu erschaffen Es gibt darin keine sekundaumlre goumlttliche Person und keine Un-terscheidung [von Einheiten] innerhalb der Gottheit die bisher bewiesen oder notwendig waumlre Johannes spricht einfach aus seiner alttestamentlichen Weltan-schauung und rekrutiert einen alltaumlglichen und analogen Begriff aus der Kultur seiner Zeit das Wort

1439 C J Wright p 707 1440 F F Bruce The Gospel of John Introduction Exposition and Notes (Grand Rapids Eerdmans

Publishing 1983) p 32 (Das Evangelium Johannes Einfuumlhrung Dartstellung und Notizen)

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Aber hat Johannes nicht gesagt dass das Wort bdquoFleisch wurde und unter uns wohnterdquo als Jesus Christus (114) Wie koumlnnen wir dann behaupten dass der Logos des Johannes nicht der goumlttliche und praumlexistierende Sohn war der in menschlicher Gestalt inkarniert wurde dh ins Fleisch gekommen sei Nachdem wir den Ur-sprung des johanneischen Logos-Konzepts nicht in der Welt der Platoniker son-dern definitiv in der Welt des traditionellen Judentums gefunden haben sollten wir bereitwillig Informationen pruumlfen die uns verstehen helfen wie das Wort oder die Weisheit des Johannes bdquoFleisch werdenrdquo dh sich materialisieren konn-ten

In der juumldischen Weisheitsliteratur (chokmah ndash חכמה - Weisheit) werden Gottes Logos (Wort) Gottes Weisheit und Gottes Thora praktisch austauschbar ver-wendet Waumlhrend wir im Buch der Spruumlche lesen dass bdquoDer HERR hat durch Weis-heit die Erde gegruumlndet die Himmel befestigt durch Einsichtrdquo (Spruumlche 319) entnehmen wir den rabbinischen Quellen dass bdquoGott die Thora konsultierte und die Welt erschaffen hatrdquo (Genesis Rabba 11) Im Buch Weisheit von Sirach aus dem 1 bis 2 Jahr-hundert v Chr einem Werk das von Jesus und seinen Juumlngern anscheinend an-gedeutet wurde1441 wird Gottes Weisheit mit der Thora gleichgesetzt dem Ge-setz das Mose am Sinai uumlberliefert wurde

Sirach 24 ist die bekannteste Stelle in der Weisheit und Thora iden-tifiziert werden Die ersten 22 Verse sind parallel zur langen Hymne in Spruumlche 8 sowie zu Spruumlche 120-33 Hiob 28 und Weisheit 6-10 Der zweite Hauptabschnitt (Verse 23-29) identifiziert die Weisheit mit bdquodem Buch des Bundes des Allerhoumlchsten Gottes dem Gesetz das Mose uns befohlen hat (v 23)rdquo1442

In Vers 8 von Sirach 24 lesen wir bdquoDann gab mir der Schoumlpfer von allen seinen Befehl und mein Schoumlpfer waumlhlte den Ort fuumlr mein Zeltrdquo Er sagte bdquoIn Jakob mach deine Wohnung in Israel dein Erberdquo Die Idee dass Gottes Weisheit oder Thora herabkommtsbquo und ein Zelt in Israel aufbaut duumlrfte vertraut klingen In Johannes 114 lesen wir dass Gottes Wort bdquoFleisch geworden ist und unter uns wohntrdquo oder woumlrtlich bdquoEr hat ein Zelt unter uns aufgeschlagenrdquo In der Gleich-setzung von Gottes Wort Gottes Weisheit und Gottes Thora zusammen mit der Vorstellung dass man davon sprechen kann dass es bdquoherniederkommtrdquo und un-ter uns wohnt erkennen wir eine nicht-metaphysische Grundlage fuumlr den johan-

1441 Vergleiche Matt 619-20 mit Sirach 2911 Matt 71620 mit Sirach 276 Matt 1128 mit Sirach 5127

Jakobus 119 mit Sirach 511 Matt 716-20 mit Sirach 276 Matt 612 mit Sirach 282 1442 Ryan OrsquoDowd The Wisdom of Torah Epistemology in Deuteronomy and the Wisdom Literature

(Gottingen Vandenhoeck amp Ruprecht 2009) p 177 (Die Weisheit der Thora Epistemologie im 5 Nuch Mose und in der Weisheitsliteratur)

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neischen Logos Dieses Bild [Metapher] wird noch dadurch verstaumlrkt dass juumldi-sche Kreise in den Jahrhunderten vor und nach dem Dienst Jesu dieses Wort sogar als bdquoFleisch werdenrdquo oder in einem lebenden Rabbiner (Lehrer) verkoumlrpert beschrieben In Sirach 501-21 wird der historische Jude Simon ben Onias als Verkoumlrperung der Weisheit behandelt ohne woumlrtliche Prauml-Existenz Waumlre es auch moumlglich dass der historische Jude Jesus auch als Verkoumlrperung von Weis-heit ohne woumlrtliche Prauml-Existenz betrachtet wurde1443 Jacob Neusner verraumlt wie der Jerusalemer Talmud eine Reflexion uumlber das rabbinische Denken des zweiten Jahrhunderts juumldische Lehrer als bdquoInkarnationrdquo als das Fleisch gewordene Wort Gottes oder die Thora darstellte

Der Grund warum die Thora bdquoFleischrdquo wurde ist dass die Thora die Quelle des Heils war Als der Weise durch seine Beherrschung der Thora in die Gestalt eines Heilsbringers verwandelt wurde war es ein leichter Schritt den Weisen als die bdquolebende Thorardquo zu be-trachten1444

Philon selbst scheint einem sehr aumlhnlichen Denken zu folgen In seinem Leben von Mose I sagt Philon dass Mose die Verkoumlrperung oder Personifizierung der Thora war Da bdquoMose auch dazu bestimmt war der Gesetzgeber seines Volkes zu sein war er selbst ein lebendiges und vernuumlnftiges Gesetzrdquo (Philon Das Leben Moses I 28162) In Bezug auf Mose als Koumlnig schreibt Philon erneut dass bdquoder Koumlnig ein lebendiges Gesetz istrdquo (Das Leben Moses II 4) Weil Mose als sbquodie Leitungsbquo bezeichnet worden war durch die Gottes Wort Weisheit und Thora flieszligen sollten (siehe 2 Mose 41215 5 Mose 1818) wurde Mose selbst als eine Verkoumlrperung dieses goumlttlichen Wortes der Weisheit und der Thora angesehen Er wurde bdquodas gesetzgebende Wortrdquo genannt weil er selbst bdquogoumlttliche Kommu-nikationrdquo erhielt1445

1443 Simon J Gathercole The Preexistent Son Recovering the Christologies of Matthew Mark and Luke

(Grand Rapids Eerdmans 2006) p 197 (Der prauml-existierende Sohn Entdeckung der Christologien bei Matthaumlus Markus und Lukas)

1444 Jacob Neusner The Incarnation of God The Character of Divinity in Formative Judaism (Binghamton Global Academic Publishing 2001 [1998]) S 202 Die Inkarnation der Thora als ein Weiser sagt Neusner bdquowird durch die Behauptung repraumlsentiert dass ein Weiser (Mann) selbst einer Schriftrolle der Thora gleichkam - ein materieller rechtlicher Vergleich nicht nur eine symbolische Metapher Hier sind Aus-druumlcke dieser Vorstellung im Talmud des Landes Israel sbquoWer einen Schuumller eines verstorbenen Weisen sieht ist als ob er eine Schriftrolle der verbrannten Thora siehtrsquo rdquo (Ebenda S 203)

1445 O W Holmes ldquoCompeting Concepts of the Cosmos in the Sixteenth and Seventeenth Centuriesrdquo Phenomenology and the Human Positioning in the Cosmos (London Springer 2012) p 57 (rivalisie-rende Konzepte uumlber den Kosmos im 16 Und 17 Jh Phaumlnomenologie und Stellung des Menschen im Kosmos)

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Inwiefern koumlnnte all dies hilfreich sein um Johannes 11 besser zu verstehen Zu Beginn des zweiten Teils dieses Buches uumlberpruumlften wir wie Paulus der Zeitge-nosse des Johannes verstanden hat dass Jesus gekommen war um den Juumlngern Gottes Weisheit zu vermitteln bdquoChristus Jesus ist fuumlr uns zur Weisheit Gottes gewor-denrdquo (1 Kor 130) Gottes Weisheit die Thora oder sein Wort ist also keine be-reits existierende goumlttliche Person die spaumlter eine abstrakte menschliche Natur annahm Es ist der Mann Jesus der zur Weisheit Gottes wurde (vgl Lukas 252) Er war eine lebendige aktive Verkoumlrperung dieses Prinzips Tatsaumlchlich wohnte Gottes WeisheitGottes Wort in Jesus er war der Kanal durch den Gottes eige-nes Wort flieszligen sollte (Johannes 334 828) Wie wir zuvor bei Dunn gelesen haben

[Paulus] stellt die Herrschaft Christi im Kontext des juumldischen Mo-notheismus dar und Christus als jemanden den Christen wahrneh-men als jene Kraft Gottes zu verkoumlrpern und zu vermitteln welche die Welt erschaffen hat und erhaumllt [Paulus] sieht Jesus nicht als ein prauml-existierendes goumlttliches Wesen sondern als einen Men-schen als einen Juden dessen Gott der eine Gott ist und der doch so die schoumlpferische Kraft und rettende Weisheit Gottes verkoumlr-pert hat dass er als bdquodie Kraft Gottes und die Weisheit Gottesrdquo identifiziert werden kann1446

In der Tat war Jesus fuumlr die fruumlhen Christen bdquonicht nur die Erfuumlllung der mosai-schen Thora sondern auch die Verkoumlrperung der Weisheit Gottes die in der Offenbarung der geschaffenen Ordnung selbst zu sehen istrdquo1447 Und so sagt Pau-lus dass Jesus selbst bdquodie Weisheit Gottesrdquo ist (1 Kor 124) Und ebenso sagt Johannes in seinem Prolog dass Gottes Wort (oder Gottes Weisheit) bdquoFleisch gewordenrdquo war - im lebenden Menschen Jesus Christus (114) koumlrperlich und persoumlnlich

Wir werden in Kuumlrze durch eine textkritische Auseinandersetzung mit dem bdquoPro-logldquo feststellen dass Jesus fuumlr Johannes kein bdquoewig existierendes goumlttliches We-senrdquo war das Logos genannt wird Vielmehr war er einfach das was aus dem Logos Gottes spaumlter wurde Es gibt eine sorgfaumlltige Sequenz die Johannes in seiner Einleitung darlegt eine die bewusst vermeidet andere woumlrtliche vor allem gnos-tische Einheiten im Himmel zu platzieren und eine die Gottes unpersoumlnlichen Logos erst spaumlter in Vers 14 als eine Persoumlnlichkeit ausweist1448 Wie ein Gelehrter

1446 Dunn Christology in the Making p 211 1447 Daniel L Akin A Theology for the Church (Nashville B amp H Publishing Group 2007) p 109 unsere

Hinzufuumlgung bdquoDie Ketzerei des Doketismus [Jesus sei zwar Gottes Sohn gewesen habe sich aber eines Scheinleibes

bedient der am Kreuz gestorben sei] war fuumlr den Geist des Johannes immer praumlsent (obwohl sie in

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schreibt bdquoDie gaumlngige Vorstellung dass der Logos im Prolog unmittelbar mit Jesus zu identifizieren ist basiert bis zu einem gewissen Grad auf einer Lesung des Textes auf Griechisch die seiner offenbar beabsichtigten Reihenfolge nicht angemessen Rechnung traumlgtrdquo1449

bdquoAmAnfangwardasWortrdquoBeginnen wir also unsere Analyse mit einer ersten Untersuchung einiger populauml-rer Uumlbersetzungen von Johannes 11-3

bdquoIm Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort Dasselbe war im Anfang bei Gott Alle Dinge sind durch das-selbe gemacht ohne dasselbe ist nichts gemacht was gemacht istrdquo (LUT2017)

bdquoAm Anfang war das Wort Das Wort war bei Gott und das Wort war Gott selbst Von Anfang an war es bei Gott Alles wurde durch das Wort geschaffen nichts ist ohne das Wort entstandenrdquo (HFA)

Der Anfang auf den hier Bezug genommen wird ist normalerweise als der An-fang der Schoumlpfung anzusehen moumlglicherweise ein unbestimmter Zeitpunkt vor-her Viele Trinitarier die hier bdquodie ewige Zeugung des Sohnesrdquo finden wollen haben auf einer tiefgruumlndigeren Interpretation von bdquoAnfangrdquo naumlmlich als bdquoEwig-keitrdquo bestanden Aber der beruumlhmte unitarische Socinus (1539 - 1604 n Chr) aus der Reformationszeit stellte dies in Frage

Diejenigen die an dieser Stelle das Wort bdquoAnfangrdquo als Bezeichnung fuumlr die Ewigkeit Christi haben wollen werden des schwerwiegends-ten Irrtums uumlberfuumlhrt weil ihre Meinung von keiner Autoritaumlt un-terstuumltzt wird weder im Neuen Testament noch im Alten In Tat und Wahrheit wirst du in der Schrift fuumlr die Ewigkeit nirgendwo einen bdquoAnfangrdquo finden1450

Tatsaumlchlich impliziert bdquoAnfangrdquo einen Zeitpunkt nicht auszligerhalb der Dimension Zeit Einige wie Socinus waren sogar uumlberzeugt dass dieser Anfang der bdquoAnfang des Evangeliumsrdquo sei wie in der Parallele Markus 11 bdquoDer Anfang des Evangeliums

seinem ersten Brief am deutlichsten zu erkennen ist) die Vorstellung von Christus als blossem Phan-tasma ohne menschliches Fleisch und Blut war fuumlr das Evangelium zerstoumlrerisch die ausdruumlckliche Erklaumlrung dass sbquodas Wort Fleisch geworden istrsquo war notwendig um die Lehre des Doketismus auszuschlieszligen Ein charakteristisches Merkmal des vierten Evangeliums ist sein haumlufiges Beharren auf dem wahren Mensch-Seins Jesurdquo (John Henry Bernard International Critical Commentary St John Vol 1 (Edinburgh T amp T Clark 1999) p 20)

1449 Chilton p 58 unsere Hinzufuumlgung 1450 Paul C H Lim Mystery Unveiled The Crisis of the Trinity in Early Modern England (London OUP

2012) pp 296-297 (Des Raumltsels Loumlsung Die Krise der Trinitaumlt in England der fruumlhen Moderne)

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uumlber Jesus Christusrdquo erwaumlhnt wird1451 Aber die Meinung des vorliegenden Buches wie bereits erwaumlhnt ist dass der besagte bdquoAnfangrdquo in Johannes 11 tatsaumlchlich irgendwann vor der Schoumlpfung der Genesis gelegen habe

Eine weitere parallele Einfuumlhrung der Aufzeichnungen im Neuen Testament ist Apg 11 bdquoDer erste Bericht (andere Uumlbersetzungen sbquodas erste Buchrsquo) den ich verfasst habe Theophilus uumlber alles was Jesus zu tun und zu lehren begann rdquo Dieses Wort das einige mit bdquoBerichtrdquo andere mit bdquoBuchrdquo uumlbersetzt haben ist eigentlich bdquologosrdquo Der bdquologosrdquo wird als Ausdruck von Ideen und Gedanken dar-gestellt Eine weitere Einfuumlhrung diejenige des Briefes an Titus offenbart eine aumlhnliche Sichtweise Paulus schreibt dass die Hoffnung auf das ewige Leben bdquovor langer Zeit versprochen aber zur rechten Zeit manifestierte sich sogar sein Wort [Logos] in der Verkuumlndigung mit der ich betraut wurderdquo (Titus 13) Gottes bdquologosrdquo eine in Worten ausgedruumlckte Idee die einen Plan fuumlr das ewige Leben enthielt wurden im von Paulus verfassten Buch oder seinem Bericht offenbart Koumlnnte Gottes bdquologosrdquo in Johannes 11 ebenso eine ausdruumlckliche weise Absicht fuumlr die Welt enthalten

Wie wir in den vorangegangenen Kapiteln uumlber die juumldische Vorstellung von der Prauml-Existenz bemerkt haben umfasste das Sinnen und Trachten Gottes alles was mit den Zielen Gottes zusammenhaumlngt einschlieszliglich der zukuumlnftigen Werke Christi und der [von Gott geplanten] Verherrlichung der Menschheit Sein Wort war die Verkapselung die Kurzfassung seines Masterplans fuumlr das Universum sein einzigartiges und ureigenes intimstes Design Waumlhrend der juumldische bdquologosrdquo also keine eigenstaumlndige Person ist enthaumllt er sicherlich die persoumlnlichen Vorstellun-gen Gottes Diese Erkenntnis hilft uns den zweiten Teil von Johannessbquo Einfuumlh-rung zu verstehen bdquo und das Wort war bei Gottrdquo

bdquo und das Wort war bei Gott rdquo

Der Satzteil bdquobei Gottrdquo (gr pros ton theon) wird von den Trinitariern oft bean-sprucht um die einzigartige Personifizierung des Logos zu beweisen und zwar dadurch dass die Praumlposition ihrer Meinung nach eine Beziehung zwischen Gott und dem Wort als eine Relation zwischen einer Person und einer anderen Person

1451 Der unitarische Laelius Socinus (1525-1562 n Chr) bdquonutzte das hermeneutische Prinzip der analogia

fidei Denn die Evangelien von Markus und Lukas sowie die Apostelgeschichte beginnen alle mit einem Bezug auf den Anfang naumlmlich den Beginn des Evangeliums von Jesus Christus dem Sohn Gottesrdquo (Markus 11) sbquodie von Anfang an Augenzeugen warenrsquo (Lukas 12) und sbquodie fruumlhere Abhandlung von allem was Jesus zu tun und zu lehren begannrsquo (Apg 11) musste der im Johannesevangelium erwaumlhnte Anfang auch dasselbe bedeutenrdquo (Lim S 299) Socinus schreibt bdquoAus diesem Grund behaupten wir dass sich das Wort sbquoAnfangrsquo in diesem Abschnitt nicht auf die Ewigkeit bezieht sondern auf die Reihen-folge der Dinge die Johannes uumlber Jesus Christus als geliebten Sohn Gottes schreibt indem er in dieser Angelegenheit Mose nachahmt der dieses Wort indem er seine Geschichte schreibt auch die Oumlffnung von Genesis 11 zu sbquoAnfangrsquo machterdquo (Socinus zitiert in Lim S 297)

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illustriere Bei der genaueren Uumlberpruumlfung stellen wir jedoch fest dass es Johan-nes Gewohnheit war die Praumlposition bdquoparardquo und nicht bdquoprosrdquo zu verwenden um eine Person neben einer anderen Person zu beschreiben (Johannes 139 440 14172325 1925)1452 Einige Verse spaumlter wenn Johannes mit Sicherheit darauf hinweisen will dass es eine Person neben der anderen gibt schreibt er woumlrtlich uumlbersetzt bdquoder Einzige der von neben Gott kommt [para tou theou]rdquo (Johannes 114) Trinitarier waren wohl uumlberrascht wie Johannes in Kapitel 11-3 bdquoprosrdquo ver-wendete sie nannten es bdquoeine bemerkenswerte Wendung da wir normalerweise para mit dem Dativ erwarten wuumlrdenrdquo1453 Natuumlrlich glaubten sie nur dass Johan-nes eine bestimmte Ausdrucksweise benutzte da sie gewisse theologische An-sichten von ihm hatten die er nun nicht ohne weiteres erfuumlllte Wie koumlnnen wir also Johannes bdquoprosrdquo besser verstehen

An anderer Stelle im Neuen Testament werden die gleichen bdquoprosrdquo die Johannes benutzte tatsaumlchlich im Sinne eines Prinzips oder einer mentalen Idee verwendet In den anderen Schriften des Johannes lesen wir von bdquodem ewigen Leben das mit dem Vater war (pros ton patera) und uns offenbart wurderdquo (1 Johannes 12) Paulus schrieb bdquoDamit die Wahrheit des Evangeliums bei euch bleibtrdquo (Galater 25) Hier ist das Evan-gelium offensichtlich kein (Lebe-)Wesen neben den Juumlngern sondern bdquobeirdquo ihnen in dem Sinne dass es in ihrem Bewusstsein ideell praumlsent war

An einer andern Stelle im Alten Testament sehen wir dass im hebraumlischen Den-ken das Wort Gottes keineswegs eine eigentliche Person bezeichnet die sich oumlrt-lich bdquomitrdquo oder bdquobeirdquo einer anderen Person befindet bdquoWenn sie aber Propheten sind und wenn das Wort des HERRN bei ihnen ist dann sollen sie doch bei dem HERRN der Heerscharen Fuumlrbitte tunrdquo (Jeremia 2718) In Hiob werden Dekrete erwaumlhnt uumlber zukuumlnftige Ereignisse die Gott im Sinne in seine Absicht hat bdquoSo wird er denn auch vollfuumlhren was er mir bestimmt hat und dergleichen hat er noch vieles im Sinnrdquo (Hiob 2314 Menge) Dekrete Reden oder Befehle betreffend Gottes weisen Plan fuumlr Hiob sind aufbewahrt bdquomitrdquo oder bdquobeirdquo Gott Es scheint dass dies der Sinn ist in dem Johannes meint dass das bdquoWortrdquo [logos] (Dekrete oder Ratschluumlsse) bdquobeirdquo Gott war1454

1452 Colin Brown The New International Dictionary of New Testament Theology Vol 3 (Regency Reference Li-

brary 1979) p 1205 1453 Jean Borella Secret of the Christian Way (New York Suny Press 2001) p 137 (Das Geheimnis des

Christlichen Weges) 1454 Sirach 11 sagt aumlhnlich bdquoAlle Weisheit ist vom Herrn und bleibt fuumlr immer bei ihmrdquo Wenn wir Gottes bdquologosrdquo

als als seine Vernunft Plaumlne oder Weisheit verstehen beginnen andere Passagen sich eng miteinander zu verbinden In Spruumlche 8 steht dass Gott die Welt durch seine Weisheit erschaffen hat und dass Weisheit bdquovon Anfang anrdquo da war (v 30) Die griechische Septuaginta liest sogar dass Gottes Weisheit bdquobei ihmrdquo war Obwohl die hebraumlischen Dichter oft die literarische Methode der Personifizierung ver-wendeten waumlre kein juumldischer Leser zu dem Schluss gekommen dass Gottes Weisheit tatsaumlchlich eine echte Person war (Anmerkung Trinitaumlre Kommentatoren sind sich einig dass das Motiv bdquoLady Wisdom

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Auszliger in seinem Prolog findet sich dieselbe Praumlposition des Johannes bdquomit Gottrdquo (pros ton theon) tatsaumlchlich noch an zwei weiteren Stellen im Neuen Testament Beide Faumllle werden je nach Version unterschiedlich uumlbersetzt hier sind je drei Versionen zum Vergleich

Denn jeder Hohepriester der von den Menschen genommen wird der wird eingesetzt fuumlr die Menschen zum Dienst vor Gott [pros theou] damit er Gaben und Opfer darbringe fuumlr die Suumlnden (Hebraumler 51 LUT)

Denn jeder aus Menschen genommene Hohepriester wird fuumlr Menschen ein-gesetzt im Blick auf das Verhaumlltnis zu Gott [pros theou] damit er sowohl Gaben als auch Schlachtopfer fuumlr Suumlnden darbringe (Hebraumler 51 ELB)

Die Aufgabe eines Hohen Priesters ist es andere Menschen vor Gott [pros theou] zu vertreten Er bringt Gott ihre Gaben und die Opfer fuumlr ihre Suumlnden dar (Hebraumler 51 NLB) Darum kann ich mich ruumlhmen in Christus Jesus dass ich Gott diene [pros theos] (Roumlmer 1517 LUT)

Ich habe also in Christus Jesus etwas zum Ruumlhmen in den Dingen vor Gott [pros theos] (Roumlmer 1517 ELB)

In Christus Jesus darf ich mich daher meines fuumlr die Sache Gottes [pros theos] geleisteten Dienstes ruumlhmen (Roumlmer 1517 Menge)

In diesen Beispielen sehen wir dass derselbe Ausdruck [pros theou] der in Johan-nes 11bdquobeirdquo oder bdquomit Gottrdquo uumlbersetzt wurde um den trinitarischen Sinn zu ver-mitteln an anderen Bibelstellen mit anderer Wortwahl umschrieben und anders kommuniziert wird Es wurde zwar darauf hingewiesen dass die bdquoSacherdquo in Heb-raumler 51 und die bdquoDingerdquo in Roumlmer 1517 nicht bewusste Wesen bdquomitrdquo bdquonebenrdquo oder bdquobeirdquo Gott bedeuten sondern einfach Ideen die mit Gott in Verbindung stehen oder etwas mit Gott zu tun haben1455 Dies ist ein konsistenteres und an-

= Frau Weisheitrdquo in den Sprichwoumlrtern nicht eine tatsaumlchliche [weibliche] Person beschreibt geschweige denn einen aktiven mysterioumlsen Jesus Siehe Max Anders Holman Old Testament Commentary Proverbs (Nashville BampH Publishing Group 2005) Siehe ebenfalls bdquoWhy is wisdom referred to as a She in Proverbsrdquo Got Questions Ministries Web 24 July 2015)

1455 Die [richtungsweisende] Uumlbersetzung bdquozu Gottrdquo ist die beste woumlrtliche Uumlbersetzung dieses Satzteils John Wycliffes erste englischsprachige Bibel von 1370 stellt das bdquopros ton theonrdquo von Johannes 11-2 als bdquobeirdquo oder bdquomit Gottrdquo dar Auf diese Weise wird es als etwas gesehen das aktiv einen Dienst in Gottes Richtung reflektiert und sich an der Darstellung von Hebraumler 51 des Gottesdienstes eines Priesters in Bezug auf die Dinge bdquodie Gott gehoumlrenrdquo orientiert Dr Alfred Marshall (Interlinear Bible Diaglott) von 1968 uumlbersetzt bdquopros ton theonrdquo mit bdquoin Bezug auf Gottrdquo Flavius Josephus der Historiker des ersten Jahrhunderts in seinen Altertuumlmern (9236) verwendet auch das griechische bdquopros ton theonrdquo um Koumlnig Jotham anzuweisen bdquoin Dingen die Gott betreffen heilig zu seinrdquo (Steven Mason (trans) Flavius Josephus on the Pharisees (Leiden Brill Academic Publishers 2001) p 87)

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gemesseneres Verstaumlndnis dessen was uns Johannes in seinem Prolog sagt Got-tes Wort oder seine durch Worte ausgedruumlckte Idee sind etwas das sich auf Gott bezieht und das von Natur aus mit seiner Person verbunden ist Wenn wir dann erkennen dass die hier verbalisierten Ideen Gottes schoumlpferische Plaumlne seine Absichten und seine Ziele fuumlr die Welt beinhalten wird vieles klar

Die gesamte physische Schoumlpfung Gottes traumlgt den schoumlnen Eindruck ihres wei-sen Schoumlpfers (Psalm 191-4) Auch hier gilt Obwohl Gottes Weisheit keine ei-genstaumlndige Person ist spiegelt sie Gottes eigene persoumlnliche Eigenschaften wi-der Diese Attribute lassen sich in der Ausfuumlhrung seines Plans in der kreativen Manifestation seiner privaten Entwuumlrfe beobachten So erklaumlrt Paulus bdquoSeit Er-schaffung der Welt haben die Menschen die Erde und den Himmel und alles gesehen was Gott erschaffen hat und koumlnnen daran ihn den unsichtbaren Gott in seiner ewigen Macht und seinem goumlttlichen Wesen klar erkennen Deshalb haben sie keine Entschuldigungrdquo (Roumlmer 120 NLB) Wie Paulus sagt dass sich Gott selbst in allen bdquogeschaffenen Dingenrdquo widerspiegelt so wird derselbe Satz von Johannes im dritten Vers seiner Praumlam-bel dargestellt bdquoAlle Dinge wurden durch Gottes Logos geschaffen und abgesehen von diesem Logos wurde nichts gemachtrdquo (Joh 13) Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die trinitarisch motivierte Uumlbersetzung dieses Verses (Joh 13)

Durch ihn wurde alles geschaffen was ist Es gibt nichts was er das Wort nicht geschaffen hat (NLB)

Durch ihn ist alles entstanden es gibt nichts was ohne ihn ent-standen ist (NGUuml)

Alles ist durch ihn geworden und ohne ihn ist auch nicht eines geworden das geworden ist (ZB)

Zu beachten ist die unterschiedliche Verwendung des persoumlnlichen Fuumlrwortes fuumlr den Logos (In englischen Versionen wird das maskuline Personalpronomen zu-saumltzlich mit einem Groszligbuchstaben versehen Anm d Uuml) Natuumlrlich muss dieses Pronomen nicht unbedingt mit der 3 Person Einzahl maskulin bdquoerrdquo oder bdquoihmrdquo duumlrfte jedoch auch mit bdquoesrdquo uumlbersetzt werden Zwar wird hier das maumlnnliche grie-chische Pronomen bdquoautourdquo (er) verwendet aber nur weil es sich auf ein maumlnnli-ches Nomen naumlmlich den bdquologosrdquo bezieht Waumlhrend bdquologosrdquo grammatikalisch zwar maumlnnlich ist bedeutet dies nicht dass der Logos tatsaumlchlich in irgendeiner Weise eine maumlnnliche Person waumlre Wir duumlrfen nicht vergessen dass bdquologosrdquo durch die Lexika nirgends als Person definiert wird sondern immer nur als (unpersoumlnliche) Rede Sprache Sinn oder Vernunft Betrachten wir ein Beispiel aus dem Matthauml-usevangelium bdquoStecke dein Schwert wieder an seinen Platzrdquo sagte Jesus zu ihm denn alle die das Schwert ziehen werden durch das Schwert sterbenrdquo (Matthaumlus 2652) Das Subjekt (das Schwert) ist in der griechischen Sprache weiblich und trotzdem empfindet es niemand als Person Desgleichen ist das Wort bdquologosrdquo auch nie eine Person und

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wird in keinem Lexikon mit Bezug auf die Hunderte von biblischen Belegstellen als Person definiert Uumlbersetzer verwenden Personalpronomen da das gramma-tische Geschlecht je nach Sprache uumlblich und wichtig ist und in einer guten Uumlber-setzung beruumlcksichtigt werden muss Auch wenn das Substantiv wie zB der Baum maumlnnlich ist und wir den Baum als bdquoihnrdquo bezeichnen wird er dadurch keine Person So wie bdquodas Schwertrdquo (griechisch ein weibliches Substantiv) nicht als Person angesehen wird so sollte auch bdquologosrdquo nicht als Person gelten Die De-finition des jeweiligen Themas nicht unbedingt das grammatikalische Geschlecht des Wortes sollte unsere Interpretation des Textes unterstuumltzen Dabei muumlssen wir grundsaumltzlich hinterfragen ob es weise war ein so substanzielles und kriti-sches Dogma wie die wahre Persoumlnlichkeit des Logos auf der Uumlbersetzung des griechischen Textes in eine andere Sprache aufzubauen Selbst hier bedeutet dies nicht dass bdquologosrdquo ein maumlnnliches Pronomen erhalten muss Das grammatische Geschlecht darf nie mit dem sexuellem Geschlecht verwechselt werden Letzt-endlich koumlnnte (und sollte) das Pronomen in Johannes 12-3 mit bdquoesrdquo uumlbersetzt werden wie es bei einigen Versionen der Fall ist da kein Lexikon Logos als Per-son definiert Aus dieser Sicht scheint es eher theologische als textliche Gruumlnde zu geben um bdquologosrdquo bei Johannes als bdquoerrdquo zu bezeichnen (in englischen Versi-onen wird das persoumlnliche Fuumlrwort zur Hervorhebung wie bereits erwaumlhnt mit einem Groszligbuchstaben als bdquoHerdquo markiert)

Mit Ausnahme der oben erwaumlhnten deutschsprachigen Bibelversionen haben die folgenden Uumlbersetzer Joh 11-3 korrekt [saumlchlich] wiedergegeben Sie spiegeln auch drei englische Versionen aus dem 16 Jh wider1456

Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort Dasselbe war im Anfang bei Gott Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht was gemacht ist (LUT 2017)

Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort Dieses war im Anfang bei Gott Alle Dinge sind durch dieses (Wort) geworden und ohne dieses ist nichts geworden (von allem) was ge-worden ist (Menge)

Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott Dieses war im Anfang bei Gott Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts was geworden ist (EUuml)

Der Text sollte wohl am besten lauten bdquoAlle Dinge wurden durch es ge-macht und ohne es war nichts gemacht was gemacht wurderdquo da mit logos

1456 Siehe The Tyndale Bible (1535) Matthew (1535) Taverner (1539) Cranmerrsquos (1539) Whittingham

(1557) Geneva (1560) und die Bishoprsquos Bible (1568)

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keine Person gemeint ist und wie die drei englischen Versionen (Tyndale 1534 Bishoprsquos 1595 Geneva Bible 1599) schon vor der Herausgabe der King James Uumlbersetzung (KJV) von 1611 auch lauteten

bdquohellip und das Wort war Gottrdquo

Die gaumlngige Annahme ist dass im Prolog eine zweite Person vorgestellt wird die [auch] Gott ist Dieses Argument geht natuumlrlich davon aus dass das Wort not-wendigerweise eine [goumlttliche] Person ist sowie dass das Wort [logos] und Jesus gleichbedeutend sind woraus sich Schwierigkeiten ergeben Wenn der Logos je-doch als Ausdruck Gottes naumlmlich seines eigenen schoumlpferischen Wortes be-trachtet wird dann wird die Passage schnell weit weniger problematisch An an-derer Stelle verwendet Johannes das bdquoSeinrdquo-Verb um Attribute Gottes darzustel-len Er schreibt bdquoGott ist Geistrdquo (Joh 424) bdquoGott ist Lieberdquo (1 Joh 4816) und bdquoGott ist Lichtrdquo (1 Joh 115) Waumlhrend Gott Geist ist kann er natuumlrlich nicht total gleichbedeutend mit bdquoLichtrdquo oder bdquoLieberdquo im strikten Sinne der Worte sein Eine solche bildliche Sprache dient dazu die Eigenschaften des einen in dem anderen zu betonen Die Identifizierung der Liebe als Gott in 1 Johannes 48 sollte uns nicht glauben lassen dass bdquoLieberdquo eine persoumlnliche Einheit ist welche die Identitaumlt Gottes teilt Es versteht sich von selbst dass der Ausspruch bdquoGott ist Lieberdquo eine metaphorische Sprache ist die ausdruumlckt dass sich im Prinzip der Liebe etwas Wesentliches im Charakter Gottes erkennen laumlsst In dieser Hinsicht bedeutet bdquodas Wort war Gottrdquo dass das Wort vollkommen Ausdruck des Cha-rakters Gottes war so wie man Gott nicht von seiner Liebe trennen kann so kann man Gott nicht von seinem Wort trennen Wir finden heute aumlhnliche Sprichwoumlrter wie zB wenn wir sagen dass bdquoein Mann ein Wortrdquo ist oder dass bdquoein Mann sein Wort haumlltrdquo oder bdquoein Mann zu seinem Wort stehtrdquo Das Wort des Mannes artikuliert etwas Integrales an sich so sehr dass man es bildlich aus-gedruumlckt als seine ganze Persoumlnlichkeit bezeichnen kann So wie J A T Robertson schreibt bdquoGott und Liebe sind nicht Begriffe die austauschbar waumlren ebenso wenig wie die Begriffe Gott und Logosrdquo1457 Robertsons Erkenntnis dass Gott und Logos keine frei austauschbaren Begriffe sind ist sehr aufschlussreich So wie das Wort eines Menschen trotz seiner Identifikation mit ihm nicht wirk-lich er ist so ist auch nicht Gottes Wort wirklich Gott Es ist ein Abbild seines Charakters sowie seiner einzigartigen und goumlttlichen Persoumlnlichkeit Interessan-terweise spiegelt sich dieses Verstaumlndnis von alters her in der griechischen Spra-che selbst wider

1457 J A T Robertson A Grammar of the Greek New Testament in the Light of Historical Research

(Nashville Broadman Press 1934) pp 767-768 (Grammatik des Griech Neuen Testaments im Licht der Historischen Forschung)

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In fast allen seinen uumlber 1300 Einzelfaumlllen bezeichnet und umschreibt die Schrift mit dem Begriff bdquotheosrdquo [Gott] die Person des einen Gottes der Bibel Die Be-zeichnung erscheint sehr oft mit dem Artikel bdquoho theosrdquo Im dritten Satz in Johan-nes 11 hingegen steht eigentlich nur bdquotheos en ho logosrdquo dh bdquoGott war das Wortrdquo der Artikel bdquohordquo vor bdquotheosrdquo fehlt Diese Auffaumllligkeit kommentiert F F Bruce bdquoGinge der Artikel sowohl theos als auch logos voraus bedeutete dies dass das Wort voumlllig identisch mit Gott warrdquo1458 Das griechische Expositorrsquos Greek Testament stimmt zu dass das Wort nicht bdquomit allem identisch ist was man Gott nennen kann denn dann waumlre der Artikel angefuumlgt wordenrdquo1459 Was bedeutet das also Im Wesentlichen koumlnnten wir bdquoho theosrdquo als eine Art Eigenname fuumlr Gott betrachten Der artikellose bdquotheosrdquo ist jedoch qualitativ und beschreibt den Charakter Gottes Der beruumlhmte Kommentator William Barclay schreibt

Wenn man in der griechischen Sprache uumlber Gott spricht sagt man nicht einfach bdquotheosrdquo sondern bdquoho theosrdquo Jetzt ein Hauptwort ohne den bestimmten Artikel zu verwenden macht dieses Substantiv eher zu einem Adjektiv es beschreibt aber nichtsdestoweniger die Eigenschaft den Charakter die Qualitaumlt der Person Johannes sagte nicht bdquoho theosrdquo damit haumltte er naumlmlich gesagt dass das Wort mit Gott absolut identisch sei Er sagte aber das Wort bdquotheosrdquo sei - ohne den konkreten Artikel ndash und das bedeutet dass das Wort von gleichem Charakter der gleichen Qualitaumlt sowie von derselben Essenz ist wie Gott1460

Robertson fuumlhrt weiter aus bdquoDie Absenz des Artikels hier ist beabsichtigt und wesentlich fuumlr die wahre Ideerdquo1461 Diese Idee ist dass der Logos und Gott nicht austauschbare und identische Begriffe sind sondern qualitativ miteinander ver-bunden sind Nun werden Trinitarier sagen bdquoJa sie sind verschieden aber sie sind in gewisser Weise auch gleich daher unsere trinitarische Sichtweiserdquo Aber das ganze Argument faumlllt sofort dahin wenn wir erkennen dass der Logos des Johannes in diesem Abschnitt keine zweite Person [einer Gottheit] ist

1458 F F Bruce The Gospel of John (Grand Rapids Eerdmans 1983) p 31 1459 Nicoll Roberston (ed) The Expositorrsquos Greek Testament Vol 1 (Grand Rapids Eerdmans 1983) p 684 1460 William Barclay The Gospel of John Vol 1 (Glasgow Saint Andrews Press) S 39 Barclay hat Recht

dass es sicherlich etwas uumlber Gottes Charakter und Qualitaumlt vermittelt aber es gibt keine metaphysische Konnotation von bdquoWesenrdquo oder bdquoSeinrdquo die dieser Text verlangt

1461 Robertson p 68

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GottesWortwirdschlieszliglichzurPersonEs gibt sicherlich eine kalkulierte Weiterentwicklung des johanneischen Logos von Gottes unpersoumlnlichem Wort zu einem realen persoumlnlichen Wesen Am An-fang steht das Wort Gottes Dann in ihm soll bdquodas Lebenrdquo wohnen bdquoIm Logos war das Leben und das Leben war das Licht der Menschenrdquo (Vers 4) Es ist das Licht das bdquoin der Dunkelheit leuchtetrdquo (Vers 5) Kritisch zu erwaumlhnen ist die Tatsache dass bdquodas Lichtrdquo (griechisch to phos) hier als Neutrum dargestellt wird Aber spaumlter in Vers 10 beginnt der Text ploumltzlich es als maumlnnlich darzustellen Dieser Uumlbergang erfolgt jedoch nach Vers 10 der Jesus in seinem spaumlteren irdischen Dienst be-schreibt Mit anderen Worten ist es grammatikalisch gesprochen sogar nur moumlg-lich irgendwann nach der Geburt Jesu es [das Licht] als Person zu betrachten Vor Vers 10 wird Johannes der Taumlufer als Zeuge uumlber bdquodas Lichtrdquo beschrieben und erst nach diesem Punkt zeigen die Pronomen die beschreiben dass das Licht einen markanten Wechsel von neutral zu maumlnnlich zeigt

Das war das wahrhaftige Licht das in die Welt kommend jeden Men-schen erleuchtet Er war in der Welt und die Welt wurde durch ihn und die Welt kannte ihn nicht Er kam in das Seine und die Seinen nahmen ihn nicht an (Johannes 19-11 ELB)

Waumlhrend der Zeit des Dienstes Jesu verschiebt sich die Sprache um gewisserma-szligen bdquodas Lichtrdquo persoumlnlich darzustellen Um diese Tatsache verstaumlndlich zu ma-chen schreibt Johannes dann

bdquodas Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns und wir haben seine Herr-lichkeit angeschaut eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater voller Gnade und Wahrheit (v 14 ELB)rdquo

Natuumlrlich haben Justin Martyr Irenaumlus Athanasius und andere Christen dies spauml-ter als einen Hinweis auf die Inkarnation einer bereits existierenden goumlttlichen Person betrachtet die als der Logos bezeichnet wird Aber auch wie Chilton be-kraumlftigt bdquosind all diese Lesarten und Konstrukte nur unter der Annahme moumlglich dass der Logos und Jesus austauschbar sind rdquo Das Problem bei einer solchen Exegese des johanneischen Textes ist die Sorgfalt [der Interpretation] mit der man umgeht denn in den Versen 1-13 wird Jesus nicht direkt als Logos identifi-ziert1462 Was sagt nun Vers 14 Offensichtlich wird die Person Jesus als die Ver-koumlrperung von Gottes Wort dargestellt Wir haben allerdings keinen Grund die Verkoumlrperung des Wortes Gottes durch Christus in einem streng woumlrtlichen Sinne zu verstehen als haumltte eine bereits [ewig] existierende und koumlrperlose Per-soumlnlichkeit namens bdquoWortrdquo beschlossen sich buchstaumlblich mit Fleisch und Blut

1462 Ebenso

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zu vereinen da Johannes den Logos selbst nicht als etwas anderes als das eigene schoumlpferische Wort Gottes dargestellt hat Es ist angemessener dass wir Jesus als die Manifestation von Gottes Wort uumlber das Licht verstehen Gottes Wahrheits-programm [die Erleuchtung] war nun im Menschen [Jesus] und seinen Werken zu sehen Tatsaumlchlich sollte Jesus Gottes eigene Worte der Welt verkuumlnden (Joh 1410) und in diesem Sinne verkoumlrpert Jesus den Logos Gottes In 5 Mose 1818 prophezeite Gott uumlber den zukuumlnftigen Messias und sagte bdquoEinen Propheten wie dich will ich ihnen aus der Mitte ihrer Bruumlder erstehen lassen Ich will meine Worte in seinen Mund legen und er wird zu ihnen alles reden was ich ihm befehlen werderdquo In der griechi-schen Septuaginta (LXX) ist Gottes Wort hier der Begriff bdquorhema - ῥῆμάrdquo Wis-senschaftler erkennen an dass bdquodie Septuaginta logos - λόγος und rhema - ῥῆμά als Synonyme behandeltrdquo1463 so koumlnnen wir sagen dass es Gottes Logos in 5 Mose 1818 ist den er dem Messias in den Mund legt Wenn der Messias spricht ist es der Logos Gottes Jahwes eigenes Wort das sich manifestiert (vgl Roumlmer 1017 und Lukas 137) Das genau ist Jesu Anspruch bdquoDenn ich habe nicht aus eigener Initi-ative gesprochen sondern der Vater selbst der mich gesandt hat hat mir ein Gebot gegeben was ich sagen und was ich sprechen sollrdquo (Joh 1249) Auch hier ist es Gottes bdquoGebotrdquo das beschrieben wird dass es in Hebraumler 113 das Universum geschaffen hat Daruumlber hinaus ist Gottes bdquoGebotrdquo gleichbedeutend mit seinem bdquoWortrdquo das wie die Schrift sagt Gott vom Himmel sendet bdquoEr sendet seinen Spruch auf die Erde sehr schnell laumluft sein Wortrdquo (Psalm 14715) Das hebraumlische Wort fuumlr bdquoBefehlrdquo wird hier in der Septuaginta als bdquologosrdquo uumlbersetzt So begegnen wir im Alten Testament uumlberraschend der johanneischen Sprache bdquoGott sendet seinen Logos auf die Erderdquo und wir sind in der Lage die Bedeutung fuumlr die Juden vollkommen zu verstehen Gott der seinen Logos in unsere Welt sendet ist gleichbedeutend mit der Uumlbermittlung seines Gebots seines weisen Wortes des Ausdrucks seines Wil-lens oder seiner Gedanken an uns

Jesus Christus beschreibt sich selbst nirgends als ein materialisiertes oder fleisch-gewordenes goumlttliches Wesen sondern als denjenigen der dieses Wort diesen Befehl oder den Logos Gottes an seine Mitmenschen weitergibt Er sieht sich als bdquoeinen Menschen der ich euch die Wahrheit gesagt habe die ich von Gott gehoumlrt haberdquo (Joh 840) Tatsaumlchlich war es Gottes ewige Weisheit und Wahrheit die in Form von Jesus zu ihnen kam Vers 17 des Johannesprologs gibt zu dieser Schlussfolgerung Anlass bdquoDie Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus gewordenrdquo (ELB) Das Licht des goumlttlichen Logos ist auf die Erde gekommen aber es war nicht wirklich als Jesus Christus sondern durch Jesus Christus Johannes selbst bekraumlftigt als er

1463 Gerhard Kittel Theological Dictionary of the New Testament Abridged in One Volume (Grand

Rapids Eerdmans 1985) p 508 See also Dwight Moody Smith Abingdon New Testament Commen-taries John (Abingdon Press 1999) p 50 Bangalore Theological Forum Vol 25-26 (United Theologi-cal College 1993) p 50 The Lutheran Quarterly Vol 5 (1953) p 214

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seinen Prolog schlieszligt dass es nicht wirklich Gott war der durch die Ankunft Christi buchstaumlblich sichtbar gemacht wurde und sagt bdquoNiemand hat Gott jemals gesehen der eingeborene Sohn der in des Vaters Schoss ist der hat ihn kundgemachtrdquo (Vers 18) oder bdquoder hat Aufschluss [uumlber ihn] gegebenrdquo (SLT) Auch nach der Geburt Jesu hatte noch niemand Gott [physisch] gesehen aber weil via den Logos Gottes das Licht durch den Menschen Jesus leuchten sollte konnte Gott [von den Men-schen] erkannt werden

Um all diese Informationen ins rechte Licht zu ruumlcken koumlnnte man sagen dass es am Anfang den Logos gab dh Gottes schoumlpferische Vernunft und sein aus-druumlckliches Dekret uumlber seinen persoumlnlichen groszligen Plan fuumlr die Welt Es ist nie etwas entstanden was nicht durch Gottes weises Gebot zur Realitaumlt wurde bdquoGott sprach Die Erde bringe lebende Wesen hervor nach ihrer Art Vieh Gewuumlrm und Tiere der Erde nach ihrer Art Und es geschah sordquo (1 Mose 124a) Natuumlrlich waren diese Kre-aturen nicht buchstaumlblich praumlexistent sondern entstanden erst als das Wort [der Befehl] erging Eines der Dinge das bis zum richtigen Zeit im weisen Plan Gottes pendent blieb war ein Prinzip das Johannes bdquodas Lichtrdquo nennt Es ist als das Sy-nonym fuumlr bdquodie Wahrheitrdquo zu betrachten und es war dieses Licht der Wahrheit die eigene Weisheit Gottes das vollkommen repraumlsentativ fuumlr den Charakter Gottes war und sich schlieszliglich im Wort und Werk Jesu Christi manifestierte Dass Jesus das bdquoLichtrdquo und das bdquoLebenrdquo und die bdquoWahrheitrdquo aus dem Prolog des Johannes ist macht er selbst viele Male deutlich bdquoIch bin das Licht der Weltrdquo (Joh 95) bdquoIch bin die Wahrheit und das Lebenrdquo (Joh 146) Im weiteren Zusammenhang mit dem Prolog des Johannes der bdquodas Licht das in die Welt kommtrdquo beschreibt das schlieszliglich als bdquoerrdquo (Jesus) verkoumlrpert wird beweist der Christus selbst dass dieses Licht das Licht das er jetzt manifestiert keine vorher existierende Person war [keine Prauml-Existenz hatte] - es war tatsaumlchlich ein Prinzip Jesus sagt

Dies aber ist das Gericht dass das Licht in die Welt gekommen ist und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht denn ihre Werke waren boumlse Denn jeder der Arges tut hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht damit seine Werke nicht blossgestellt werden wer aber die Wahrheit tut kommt zu dem Licht damit seine Werke offenbar wer-den dass sie in Gott gewirkt sind (Johannes 319-21)

Er spricht offensichtlich von sich selbst als dem Licht wie Johannes es von ihm getan hat zeigt aber auch dass das Licht ein Prinzip ist es ist das Gegenteil von Dunkelheit und Boumlsem es ist Gottes Weisheit Diejenigen die bdquozu Jesus kom-menrdquo sind in der Tat bdquozum Licht der Wahrheit gekommenrdquo die er vertritt Man sollte daher nicht glauben dass dieses Licht der Wahrheit die Weisheit Gottes ein vorexistentes Wesen war geschweige denn dass es eine zweite Person einer goumlttlichen Trinitaumlt war Nein der Sohn verkoumlrpert metaphorisch das Prinzip der

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Wahrheit Wie Johannes sagte bdquoDie Wahrheit kam durch Jesus Christusrdquo (Joh 117) das heisst sie kam durch sein Wort und seine Werke

AlternativeUumlbersetzungenDie traditionelle Uumlbersetzung von bdquohellip und das Wort war Gottrdquo kann im Lichte der vorhergehenden Informationen unseres Erachtens einfacher zu verstehen sein Da bdquotheosrdquo im dritten Satz den Artikel bewusst nicht enthaumllt wurden von Sprach-wissenschaftlern mehrere alternative Uumlbersetzungen vorgeschlagen Wir werden diese Optionen untersuchen um festzustellen welche am besten zu den von Jo-hannes vorgestellten Ideen passen

1) bdquoDas Wort war ein Gottrdquo

Diese Uumlbersetzung des artikellosen bdquotheosrdquo als bdquoein Gottrdquo findet sich vor allem in der Neue-Welt-Uumlbersetzung der Zeugen Jehovas (moderner Arianismus)1464 Es findet sich auch in den englischen Uumlbersetzungen von Becker1465 Wilson1466 Y-oung1467 und Jannaris1468 Natuumlrlich meiden trinitarische Kritiker diese Uumlberset-zung da sie so leicht die arianische Ansicht unterstuumltzt dass Christus zuerst als ein anderes goumlttliches Wesen oder ein Engel existierte bevor er ins Fleisch ge-kommen ist Ihre Kritik kommt vor allem in Form des Vorwurfs dass Anhaumlnger das Wort bdquoeinrdquo vor theos bdquohinzufuumlgenrdquo um bdquoeinen Gottrdquo zu machen Aber Dr BeDuhn erklaumlrt ihre Begruumlndung

Griechisch hat nur einen bestimmten Artikel wie [das englische] the es hat keine unbestimmten Artikel wie a oder an (ein oder eine) Wir fuumlgen kein bdquoWort hinzurdquo wenn wir griechische Substantive die den bestimmten Artikel nicht haben als englische Substantive uumlbersetzen und mit dem unbestimmten Artikel versehen Wir be-folgen einfach die Regeln der englischen Grammatik dass wir nicht bdquoSnoopy ist Hundrdquo sagen koumlnnen sondern bdquoSnoopy ist ein Hundrdquo sagen muumlssen1469

1464 Frederick Franz (ed) New World Translation of the Christian and Greek Scriptures Rendered from

the Original Language by the New World Translation Committee (Brooklyn Watchtower Bible amp Tract Society 1950) (Neue-Welt-Uumlbersetzung der christlichen und griechischen Schriften uumlbersetzt aus der Originalsprache)

1465 Johannes Becker Das Evangelium nach Johannes (GuumlterslohWuumlrzburg 1979) 1466 Benjamin Wilson The Emphatic Diaglot (New York Fowler Wells amp Co 1865) 1467 Robert Young Concise Commentary on the Holy Bible (Grand Rapids Baker 1885) p 54 1468 A N Jannaris Zeitschrift fur die Neutestamentliche Wissenschaft (London Macmillan 1897) p 20-21 1469 BeDuhn p 114

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Es gibt gute grammatikalische Gruumlnde diese Uumlbersetzung zu beruumlcksichtigen Im Hinblick auf andere plausible Uumlbersetzungen scheint diese jedoch von den Aria-nern unter der Annahme dass der Logos eine Person ist bevorzugt zu werden Wenn es sich nicht um eine Person handelt scheint es wenig Grund zu geben die Version so uumlber die anderen zu stellen

2) bdquoDas Wort war goumlttlichrdquo

Diese Uumlbersetzung die von Moffatt1470 Schonfield1471 Goodspeed1472 Temple1473 und mehreren anderen praumlsentiert wird scheint die qualitative Natur des Logos zu unterstreichen H Bruns und F Pfaumlfflin umschreiben es so bdquoDas Wort war von goumlttlicher Artrdquo1474 Hier ist das Wort von gleichem Charakter oder von der gleichen Natur wie der eine Gott Diese Uumlbersetzung wuumlrde zu unserer fruumlheren Einschaumltzung von Gottes Wort als etwas voumlllig Ausdrucksstarkem oder zu etwas Reflektierendem passen und einen ausgewogenen Mittelweg bieten Wie Murray J Harris bemerkt

Was die Wortverwendung betrifft so kann es keinen Zweifel daran geben dass das Wort bdquogoumlttlichrdquo [englisch divine] ein viel breiteres Anwendungsspektrum und eine schwaumlchere Bedeutung hat als der Begriff Gott Im modernen Sprachgebrauch kann bdquogoumlttlichrdquo bei-spielsweise auch eine Mahlzeit beschreiben die bdquouumlberaus gutrdquo ist oder bdquoGoumltterspeiserdquo genannt wird oder mit menschlicher Geduld die als bdquoEngelsgeduldrdquo gilt bdquovon erhabenem Charakterrdquo oder ein-fach bdquonicht zu uumlbertreffenrdquo ist1475

Dr BeDuhn unterstuumltzt die Uumlbersetzung nicht stellt aber fest dass bdquodas Grie-chische eine besondere Art hat die Natur oder den Charakter von etwas auszu-druumlcken das Praumldikatswoumlrter vor dem Verb und ohne den Artikel verwendet genau wie in Johannes 11 Die Natur oder der Charakter von ho logos (das Wort) ist theos (goumlttlich)rdquo1476 Nur wenn das Wort bdquogoumlttlichrdquo als Bedeutung verstanden wird dass das Subjekt eine persoumlnliche bdquogoumlttliche Naturrdquo hat die mit Gott iden-tisch ist nimmt der Satz eine orthodoxe Bedeutung an und zwar wiederum nur

1470 James Moffatt Jesus Christ the Same (Abingdon-Cokesbury 1945) p 61 1471 Hugh J Schonfield The Original New Testament (Rockport Element Books Ltd 1985) 1472 Edgar Goodspeed John M P Smith The Bible An American Translation (Chicago 1935) 1473 William Temple Readings in St Johns Gospel (London Macmillan 1933) 1474 Friederch Pfafflin Die Briefe des Neuen Testaments in der Sprache von heute (Heilbronn Salzer

1993) 1475 Murray J Harris Jesus as God The New Testament Use of Theos in Reference to Jesus (Eugene Wipf amp Stock

Publishers 1992) p 68 1476 BeDuhn pp 120-121

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unter der Annahme dass der Logos selbst eine Person ist Alles in allem ist dies eine gute Uumlbersetzung welche die Absicht von Johannes den Logos als etwas anderes als Gott zu praumlsentieren aber qualitativ [ihm] gleich zu verstehen scheint

3) bdquoWas Gott war das war das Wortrdquo

Diese Uumlbersetzung findet sich in der NEB 1477 und der REB1478 und wird von Dodd1479 Fuller1480 J A T Robinson1481 und anderen vorgeschlagen In diese Richtung gehen auch mehrere verwandte Versionen deren Wiedergabe wir hier verdeutschen

TEV bdquoWas Gott war war auch das Wortrdquo1482

Barclay bdquoDie Natur des Wortes war auch die Natur Gottesrdquo1483

Scholarrsquos Version bdquoEs war was Gott warrdquo1484

Hier wird der Logos als bdquowasrdquo Gott war nicht als bdquowerrdquo Gott war repraumlsentiert Wie die vorherige Uumlbersetzung scheint dies die Absicht von Johannes zu vermit-teln eine qualitative Beziehung zwischen Gott und seinem Logos darzustellen Andere Uumlbersetzungen haben auch versucht den Logos selbst als etwas das mehr auf das kreative Wort hinweist darzustellen

Heinfetter bdquoWie ein Gott war der Befehlrdquo1485

Faircloth bdquoUnd was Gott war so war der erklaumlrte Zweckrdquo1486

1477 The New English Bible (OUP 1961) 1478 The Revised English Bible (CUP 1989) 1479 C H Dodd ldquoNew Testament Translation Problems IIrdquo The Bible Translator Vol 28 No 1 (1977)

pp 103-104 (Uumlbersetzungsprobleme mit dem Neuen Testament II)) 1480 R H Fuller bdquoPre-existence Christology Can We Dispense with Itrdquo Word and World 2 (St Paul Luther

Seminary 1982) p 33 (Prauml-Existenz Christologie Wie gehen wir damit um) 1481 J A T Robinson The Human Face of God (Philadelphia Westminster Press 1873) (Das menschliche

Antlitz Gottes) 1482 The Good News Translation (Todayrsquos English Version) (American Bible Society 1966) 1483 William Barclay The Gospel of John Vol 1 (Edinburgh Saint Andrews Press 1956) p 38ff 1484 Robert W Funk The Five Gospels (Scholarrsquos Version) (New York Macmillian 1993) (Die fuumlnf

Evangelien) 1485 Hermann Heinfetter (Frederick Parker) A Literal Translation of the New Testament of our Lord and

Saviour Jesus Christ (London Evan Evans 1863) (Eine woumlrtliche Uumlbersetzung des Evangeliums unse-res Herrn und Retters Jesus Christus)

1486 Raymond C Faircloth The Kingdom of God Version (Lexington CreateSpace 2013)

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bdquoBefehlrdquo oder bdquoerklaumlrter Zweckrdquo scheinen den groumlszligeren Umfang des griechi-schen Begriffs bdquologosrdquo von Johannes zu beruumlcksichtigen

Entweder die zweite oder die dritte alternative Uumlbersetzung scheint der ersten vorzuziehen zu sein vor allem mit der Begruumlndung dass der Logos nicht von Johannes als [eine prauml-existente] Person vor der Geburt des Jesus dargestellt wird sondern grundsaumltzlich das eigene Wort Gottes Auch hier ist es nicht so dass die traditionelle Uumlbersetzung bdquound das Wort war Gottrdquo falsch waumlre aber entweder bdquodas Wort war goumlttlichrdquo oder bdquowas Gott war so war das Wortrdquo scheint die adjektivische Verwendung von Johannes bdquotheosrdquo besser zu vermitteln

Letztendlich finden wir im Prolog des Johannes keinen angeblich trinitarischen Meistertext wir finden nichts was den unitarischen Monotheismus der in der juumldischen Umgebung des Apostels Johannes und seiner Zeit leidenschaftlich praktiziert wurde gestoumlrt haumltte Das johanneische Logos-Konzept stammt defi-nitiv nicht aus platonischen oder gnostischen Quellen sondern kommt aus der inhaumlrenten juumldischen alttestamentlichen Vorstellung von Gottes schoumlpferischem Wort und seiner Weisheit In diesem Schema spielt das juumldische Konzept der Prauml-Existenz eine grundlegende Rolle es ist nichts entstanden was nicht zuerst in Gottes Sinn und Denken existierte einschlieszliglich Jesus Christus Wie der protes-tantische Exegete Paul Billerbeck erinnert bdquoDie Lehre von der ideellen Prauml-Exis-tenz des Messias in der Welt des hebraumlischen Denkens Gottes macht den Messias [den Gesalbten] zu einem wesentlichen Bestandteil der ewigen und damit unver-aumlnderlichen Ratschluumlsse und der weisen Plaumlne Gottes fuumlr die Weltrdquo1487 Wir fin-den daher in Johannes keine neu strukturierte Theologie die einem buchstaumlblich vorexistierenden und ewig gezeugten goumlttlichen Wesen Rechnung truumlge sondern lediglich eine poetische und tief juumldische Lobeshymne die an das Licht und die Wahrheit erinnert die dem urspruumlnglichen Zweck des ewigen Vaters innewoh-nen die Gott nun in der Person und dem Werk des Menschen Jesus Christus zum Ausdruck bringt

1487 Paul Billerbeck quoted in Kuschel p 218

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bdquoWir koumlnnen nicht widerlegen dass unsere Beweise fuumlr die unabhaumlngige Goumlttlichkeit des Heiligen Geistes sehr schwach sindrdquo

ndash C T Bretschneider (Bibliotheca Sacra October 1852 vol IX)

UM SCHLUSS DIESER UNTERSUCHUNG richten wir unsere Auf-merksamkeit auf das wichtige Thema des Heiligen Geistes Es ist fuumlr unser Buch durchaus verstaumlndlich dass die angebliche bdquoDritte Person der Drei-

faltigkeitrdquo beinahe ein nachtraumlglicher Gedanke ist selbst durch die Orthodoxie hat er die gleiche Marginalisierung erfahren Wie unsere fruumlher erwaumlhnte Umfrage im Mainstream-Christentum zeigte in welcher viele Evangelikale die Dreifaltig-keit bestaumltigen glauben mehr als die Haumllfte (51) dass der Heilige Geist eher eine Kraft und kein persoumlnliches Wesen ist1488 Sieben Prozent waren nicht sicher was sie antworten sollten Das bedeutet dass die Haumllfte aller Evangelikalen per definitionem eigentlich keine Trinitarier sind Eine derartige Unsicherheit oder Mei-nungsverschiedenheit kann eigentlich als eine theologische Krise von epischem Ausmaszlig bezeichnet werden

Tatsaumlchlich hat sich die bdquoNatur des Geistesrdquo durch alle christlichen Epochen hindurch als Stein des Anstoszliges erwiesen In der Fruumlhphase des religioumlsen bdquoWer-weiszligensldquo scheint der Geist jahrzehntelang in Ungewissheit vor sich hin ge-schmachtet zu haben und ist praktisch weitgehend umgangen worden Derweilen kaumlmpften die Heiden-Christen offensichtlich eher darum die Natur von Jesus einerseits und andererseits die Natur des Vaters naumlher definieren zu wollen In der Tat hat das beruumlhmt-beruumlchtigte Nicaumlnische Glaubensbekenntnis von 325 n

1488 Kevin P Emmert ldquoNew Poll Finds Evangelicalrsquos Favorite Heresiesrdquo Christianity Today 28 October

2014 Web14 November 2014 (Eine neue Umfrage entdeckt beliebte Evangelikale Haumlresien)

Z

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Chr die Sache bdquoGeistldquo fast voumlllig vernachlaumlssigt bis auf einen vagen Hinweis Offenbar haben selbst die bischoumlflichen Turnierkaumlmpfer des Konzils von Nicaumla es vermieden dogmatisch uumlber den Geist zu diskutieren weil sie eine biblische Ambivalenz zu diesem Thema wahrnahmen Wenn eine [theologische] Unsicher-heit besteht fragen wir uns wie die orthodoxe Kirchenleitung wider Vernunft und Logik die Akzeptanz des Dreierdogmas durchsetzen konnte Wurde das Dogma Kraft des Kirchenbanns und sogar durch die Androhung des Todes er-zwungen Einer der beruumlhmtesten Kirchenvaumlter und bedeutender Entwickler der trinitarischen Lehre der kappadokische Gregor von Nazianz hat 381 n Chr zu-gegeben

Von den Weisen unter uns halten einige den Heiligen Geist fuumlr eine Macht andere fuumlr ein Geschoumlpf wieder andere fuumlr Gott und wie-der andere sind nicht bereit sich aus Ehrfurcht (wie man so schoumln sagt) fuumlr die Schrift zu entscheiden da sie nicht klar daruumlber spricht1489

Wir muumlssen darauf hinweisen dass wenn die orthodoxe Doktrin der Trinitaumlt ja sogar die allgemeine fundamentale Idee der Dreifaltigkeit nach gruumlndlicher Pruuml-fung durch die Kirche seit der Zeit der Apostel bestanden haumltte dieser promi-nente Kirchenvater [Gregor] eine peinliche Unkenntnis ans Licht bringt Wir stel-len auch fest dass erst im Jahre 381 n Chr bdquobeim Konzil von Konstantinopel die Goumlttlichkeit des Geistes bekraumlftigt wurderdquo1490 Es ist interessant dass Gregors Kommentar uumlber die Verwirrung und die Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf den Geist in demselben Jahr gemacht wurde in dem das bdquooumlkumenische Kon-zilrdquo unterstuumltzt durch die Speere des gewalttaumltigen Kaisers Theodosius I fuumlr alle Christen verbindlich entschied dass der Heilige Geist zweifellos eine dritte gleichberechtigte Person [der Gottheit] sei Was ist mit denen die stets der Tra-dition folgten dass der Geist bdquoGottes Machtrdquo oder gar ein bdquoGeschoumlpf geringeren Rangesrdquo sei Obwohl die Gewalt der Zivilregierung die Akzeptanz der dritten Person der Gottheit mit Waffengewalt durchsetzte blieben die theologischen Schwierigkeiten unvermindert groszlig und verstaumlrkten sie sich sogar noch

Die gleich-ewige [co-eternal] Persoumlnlichkeit des Geistes war damals und ist heute noch fuumlr viele ein ernsthaftes Problem Wenn die Person des Heiligen Geistes gleich-ewiger Gott ist gilt sie als unerschaffen Doch der Geist konnte anderer-seits auch nicht als von Gott bdquogezeugtrdquo angesehen werden diese exklusive merk-

1489 F A Loofs ldquoMacedoniusrdquo The New Schaff-Herzog Encyclopedia of Religious Knowledge (Grand Rapids

Baker House 1963) p 112 1490 Howard Marshall Alan Millard JI Packer ldquoTrinityrdquo New Bible Dictionary (Downers Grove IVP

1996)

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wuumlrdige Daseinsform gehoumlrt dem bdquoeinzig gezeugtenrdquo Sohn Aber wenn die Per-son des Heiligen Geistes weder erschaffen noch gezeugt wurde und doch ewiger Gott ist wuumlrde dies ihn dann nicht zu einem zweiten bdquoZeugungsprinziprdquo machen Mit anderen Worten es gaumlbe [in der Gottheit] zwei Vaumlter Doch wenn er [der Geist] tatsaumlchlich von Gott dem Vater hervorgebracht worden ist dann haumltte er [der Vater] zwei Soumlhne1491

Viele moderne Christen selbst im trinitarischen Lager kaumlmpfen offensichtlich noch immer mit der Sache Diese Tradition der Unsicherheit setzt sich fort und wir fragen uns ob die Bibel die eingeschraumlnkte Interpretation der Orthodoxie unterstuumltzt dass bdquoder Geist Gottesrdquo ein anderes Selbst [ein anderes Ich ndash lat alter ego] Gottes ist Koumlnnte die biblische Sichtweise des Geistes viel weiter und kom-plexer sein Koumlnnte der Wunsch nach mehr Verstaumlndnis den Weg fuumlr eine ratio-nalere Theologie ebnen die im Einklang mit den ausdruumlcklichen Lehren Jesu Christi ist

Unsere Praumlmisse ist die folgende der bdquoGeist Gottesrdquo auch genannt bdquoder heilige Geistrdquo ist keine Gottheit Sie ist keine vom Vater oder vom Sohn [Jesus] unter-scheidbare Person Vielmehr ist der Geist meistens einfach die persoumlnliche Kraft und der Einfluss Gottes Er ist bdquoder Geist deines Vatersrdquo (Matt 1020) Der Geist ist Gottes persoumlnliches Wirken in der Welt und der Geist ermoumlglicht die Erfuumll-lung des Werkes Gottes Nach der Erhoumlhung Christi zur rechten Hand Gottes des Vaters kann der heilige Geist nun auch als der persoumlnliche Einfluss des ver-herrlichten Herrn Jesus beschrieben werden Christus Jesus ist bdquoder Fuumlrsprecher der Christen beim Vaterrdquo (1 Joh 21) Mittels des Geistes werden die Glaumlubigen mit der Kraft Gottes getauft (1 Kor 1545 Joh 1418 Matt 311) Sowohl Gott als auch sein Sohn arbeiten nun durch diese geistliche Kraft zum Nutzen und Wohl der Glaumlubigen

EingestaumlndnisdermangelndenbiblischenUnterstuumltzungEs gibt substanzielle Beweise dafuumlr dass der heilige Geist in Tat und Wahrheit keine [Gott] gleichgestellte Person ist Er ist keine Persoumlnlichkeit die sich von Gott dem Vater unterscheidet Ein trinitarischer Gelehrter gibt zu

Aus der ganzen Reihe von Passagen im Alten Testament in denen der heilige Geist erwaumlhnt wird laumlsst sich nicht nachweisen dass es sich um eine Person in der Gottheit handelt und es ist jetzt die fast allgemein akzeptierte Meinung der gelehrten Kommentatoren dass

1491 Siehe G W H Lampe Explorations in Theology Vol 8 (SCM Press 1981) p 30

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der bdquoheilige Geistrdquo in der Sprache der Juden nichts anderes bedeu-tete als die goumlttliche Inspiration ohne Bezug auf eine Person1492

Auch das Neue Testament unterstuumltzt diese sichtbare Abwesenheit einer bdquodritten Personrdquo So wird beispielsweise bdquoder heilige Geistrdquo nicht in der Anbetung einge-schlossen oder im Gebet angesprochen und weder Jesus noch seine Apostel schreiben eine Anerkennung einer weiteren Person auszligerhalb des Vaters und des Sohnes als notwendig vor Trotz der Argumente vieler [trinitarischer] Apologe-ten der Geist im Neuen Testament werde als einzigartiges Individuum klar dar-gestellt vertreten einige Gelehrte aus dem Lager der Dreifaltigkeitsdogmatiker eine gemaumlszligigtere Ansicht wie beispielsweise ein Theologie-Professor der Univer-sitaumlt Halle an einer Vorlesung

Autoren halten zu viel von einer Reihe von Texten und haben wahllos vieles gesammelt das nur einen scheinbaren Bezug zum Thema hat Es ist zweifelhaft in vielen dieser Texte in denen das Praumldikat bdquoGottrdquo angehaumlngt wird ob der Heilige Geist als Person beabsichtigt ist Viele der Texte lassen sich zumindest erklaumlren ohne notwendigerweise ein persoumlnliches Subjekt anzunehmen Einige haben versucht die Goumlttlichkeit des Heiligen Geistes durch einen Vergleich verschiedener Texte zu beweisen aber dabei haben sie oft auf erzwungene und unnatuumlrliche Interpretationen zuruumlck-gegriffen1493

Sogar einige klassische trinitarische Gelehrte haben erkannt dass der Geist als dritte Person eine Angelegenheit ist die bdquovoumlllig fremd von dem vom Apostel ver-folgten Gedankengang ist Es waumlre auch nicht moumlglich gewesen die Idee dort einzufuumlhren ohne Gewalt gegen die Denkgesetze und gegen das Konzept der Assoziation Verbindung anzuwendenrdquo1494 Wir muumlssen der Sache jetzt selbst auf den Grund gehen

DievernachlaumlssigteDrittePersonNoch heute finden wir ein gravierendes Defizit der biblischen Kommunikation uumlber die Identitaumlt und die Funktion dieser namenlosen Gott-Person Sie stellt eine der nachhaltigsten Herausforderungen fuumlr das gesamte trinitarische Raumltsel dar Einige moderne Trinitarier haben den Geist sogar humorvoll als bdquodas schuumlchterne

1492 J D Michaelis Note on John XVI 13-15 as quoted in John Wilson Uni Princ (Boston American

Unitarian Association 1888) p 477 (Notiz zu Joh 1613-15 zitiert von John Wilson) 1493 G C Knapp Lectures on Christian Theology (London Thomas Ward and Co 1831) p 128 1494 J D Knowles Barnas Sears Christian Review for June Vol 2 (Boston Gould Kendall and Lincoln amp

Utica 1837) p 212

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Mitglied der Dreifaltigkeitrdquo bezeichnetrdquo1495 Aber es duumlrfte eigentlich nichts Hu-morvolles geben an der Erfindung eines Gottes auch wenn diese nur angedeutet wird

Die Dreieinigkeitsdoktrin lehrt dass der Heilige Geist voll und ganz Gott ist dem Vater und dem Sohn im Status und in der Herrlichkeit gleichgestellt sowie ihnen in der Anbetung gleich wuumlrdig erachtet wird1496 Sollte diese Gleichwertigkeit oder Ebenbuumlrtigkeit wirklich zutreffen warum begegnen wir dann dieser spezifi-schen Lehre nicht aus dem Munde Jesu oder in den Schriften seiner Apostel Warum steht nichts uumlber eine unerlaumlssliche Hingabe an dieses einzigartige Indi-viduum Warum wussten die Juden nichts uumlber die goumlttliche Identitaumlt [eines Geist-Wesens] Diese haumltte sicherlich eine intensive religioumlse Ausbildung im Ju-dentum erfordert Was koumlnnte in der Tat fundamental kritischer gewesen sein als die Offenbarung der genauen Natur und die Anbetung der dritten Person eines selt-samen mysterioumlsen dreifaltigen Gottes

In den Schriften der Apostel begegnet uns durchwegs ein theologisches Weltbild das praktisch keine Wuumlrdigung des Geistes findet Dieser war keine vermeintlich so entscheidende Persoumlnlichkeit Im Gegenteil wie Johannes schreibt bdquoUnsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christusrdquo (1 Joh 13) Auch bdquoniemand der den Sohn verleugnet hat den Vater wer den Sohn anerkennt hat auch den Vater Wenn das was ihr von Anfang an gehoumlrt habt in euch bleibt werdet ihr auch im Sohn und im Vater bleibenrdquo (1 Joh 224) Aber was war von Anfang an mit der anderen gleichberechtigten mit der dritten Person Wenn nur reale Personen Beziehun-gen zueinander haben koumlnnen ist es dann mangelndes Verstaumlndnis weshalb Jo-hannes den heiligen Geist als einzigartige Person in seiner Darstellung stets aus-laumlsst

Vielleicht ist das beste und umfassendste Beispiel fuumlr die konsequente apostoli-sche Unterlassung die Gruszligformel in fast allen Episteln des Neuen Testaments Waumlhrend die Autoren bdquoGott den Vaterrdquo und bdquoden Herrn Jesus Christusrdquo anerkennen scheinen sie das angeblich wesentliche dritte Mitglied der Gruppe straumlflich zu unterschlagen

bdquoGnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christusrdquo (2 Korinther 12)

1495 Siehe ldquoThankful for the Shy Member of the Trinityrdquo Straight Thinking Reasons to Believe Web 02

November 2015 lthttpwwwreasonsorgpodcastsstraight-thinkingthankful-for-the-shy-member-of-the-trinitygt (Dankbar fuumlr das schaumlchterne Mitglied der Trinitaumlt)

1496 Siehe das Glaubensbekenntnis von Konstantinopel 381 n Chr bdquoWir glauben an den Heiligen Geist den Herrn den Lebensspender der mit dem Vater und dem Sohn verehrt und verherrlicht wirdrdquo

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bdquoPaulus Apostel durch Jesus Christus und Gott den Vater der ihn auferweckt hat von den Totenrdquo (Galater 11)

bdquoGnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christusrdquo (Epheser 12)

bdquoGnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christusrdquo (Philipper 12)

bdquoPaulus Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vaterrdquo (Kolosser 11)

bdquoPaulus und Silvanus und Timotheus an die Gemeinde der Thessalonicher in Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus Gnade sei mit euch und Friederdquo (1 Thessalonicher 11)

bdquoGnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christusrdquo (2 Thessalonians 11)

bdquo Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christusrdquo (2 Timotheus 12)

bdquo Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christusrdquo (Philemon 13)

bdquoAn die Berufenen die geliebt sind in Gott dem Vater und bewahrt fuumlr Jesus Christusrdquo (Judas 11)

Man muss sich schon fragen warum nur der Vater und der Sohn die Kirchen gruumlszligen Koumlnnte das daran liegen dass persoumlnliche Gruumlszlige nur von echten Perso-nen ausgehen koumlnnen und die Apostel den bdquoHeiligen Geistrdquo eben nicht als eine solche [Person] verstanden haben Wenn sie unwissend waren oder wenn die wahre Natur der Dreifaltigkeit der Kirche nur allmaumlhlich offenbart wurde waumlren sie dann nicht armselige Apostel gewesen die nur unzureichend und mit Halb-wahrheiten betraut wurden Andererseits wenn sie den heiligen Geist verstanden haben warum haben sie ihn ausgegrenzt Kritiker dieser Frage moumlgen aus dem Stillschweigen ein Argument ableiten und protestieren aber das apostolische Schweigen zu diesem Thema ist so umfangreich dass die daraus folgenden Im-plikationen geradezu beunruhigend sein sollten Ist es nicht fair sich zu wundern uumlber die andauernde Auslassung der angeblich unverzichtbaren dritten Person die in der fruumlhchristlichen Lehre und Kirchengeschichte den christlichen Gott bdquodreieinigrdquo machte Es stimmt allerdings dass Argumente uumlber Unterlassung al-lein nicht unsere Grundlage bilden sollten aber sie duumlrfen auch nicht vernachlaumls-sigt werden Anzunehmen ist dass die Apostel ganz natuumlrlich bestrebt waren die neuesten spannendsten Informationen der juumldischen Religionsgeschichte zu ver-deutlichen So haumltten sie zB verkuumlnden muumlssen dass der eine Gott [der Hebraumler]

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eigentlich aus drei verschiedenen Persoumlnlichkeiten bestand Waumlre dies der Fall gewesen haumltten die Apostel als Botschafter dieser drei einzigartigen Wesenheiten auftreten muumlssen Wie die Uumlbermittlung von Gruumlszligen von den zwei himmlischen Parteien [Vater und Sohn] jedoch zeigt verpassten sie die Gelegenheit den Kern ihres christlichen Glaubens und die einzigartige Offenbarung davon zu prokla-mieren

Trinitarische Uumlbersetzer haben mitnichten uumlbersehen dass die einzigen Perso-nen welche die Apostel als Ziele der erforderlichen Gemeinschaft identifizieren der Vater und der Sohn sind Trotzdem haben sie manchmal das Beduumlrfnis ver-spuumlrt dem Text die notwendige Gemeinschaft mit der vermissten dritten Person aufzuzwingen In der trinitarisch orientierten Zuumlrcher Bibel (ZB) wird Philipper 21-2 bewusst eine etwas andere Lesart uumlbersetzt naumlmlich dass wir bdquoGemein-schaft mit dem Geistrdquo haben sollen Die meisten anderen deutschsprachigen Uumlbersetzungen lauten richtig bdquoGemeinschaft des Geistesrdquo Die Uumlbersetzer der ZB haben anscheinend versucht bdquoden Geistrdquo als ein Individuum darzustellen mit dem Christen persoumlnliche Gemeinschaft haben sollten Dies widerspricht hinge-gen der ausdruumlcklichen apostolischen Anweisung an anderer Stelle dass bdquounsere Gemeinschaft mit dem Vater und seinem Sohn Jesus Christusrdquo besteht (1 Joh 13) Das Uumlbersetzungskomitee der englischsprachigen New International Version (NIV) hat ebenfalls angestrebt bdquoden Geistrdquo als eine Person darzustellen mit dem Christen eine persoumlnliche Verbindung haben koumlnnen Es ist aber interessant zu sehen dass die Lesung der bdquoGemeinschaft mit dem Geistrdquo in der Revision von 2011 der NIV eine ernsthafte Aumlnderung erfahren hat so dass sie nun lautet bdquoGe-meinsames Teilen im Geistrdquo Ungeachtet des Grundes fuumlr die drastische Veraumln-derung der NIV scheint diese neue Darstellung die apostolische Lehre besser zu vermitteln Die Nachfolger Christi sollten miteinander eines gemeinsamen bdquoGeis-tesrdquo sein dh sie sollten in Harmonie leben und handeln (siehe auch 2 Kor 1314 - die Gemeinschaft zwischen den Juumlngern soll eine Gemeinschaft bdquodes Geistesrdquo sein nicht bdquomitrdquo dem Geist)

Nicht nur in den Briefen begegnen wir der verbluumlffenden Vernachlaumlssigung der hypothetischen dritten Person die Visionen von Johannes in der Offenbarung zeichnen ein aumlhnliches Bild Im Laufe der Erzaumlhlung wird immer wieder ein mar-kanter Unterschied zwischen Jesus und Gott erkannt (Offb 710 513 1115 1210 206 2122) Jedem der beiden Persoumlnlichkeiten wird in Offenbarung 221-3 ein Thron zugesprochen Wo aber ist der Thron des angeblich gleichberechtig-ten Heiligen Geistes Wenn die Offenbarung das dramatische Ende der Zeitalter ausfuumlhrlich beschreibt und darstellt wo Gott und sein Christus nach dem totalen Sieg endlich zur Ruhe kommen bleibt die Frage unbeantwortet warum das ver-meintliche dritte Mitglied der Dreifaltigkeit in dieser glorreichen Schlussszene

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nicht ebenfalls seine ihm rechtmaumlszligig zustehenden Ehrungen erhaumllt Weshalb bleibt diese Einzelheit in der Schrift sogar unerwaumlhnt

Dies koumlnnte folgerichtig den Schluss zulassen die konsequente Unterlassung ei-ner dritten Person bestaumltige die einfache Lehre dass es nur zwei Individuen gibt denen die Christen verpflichtet sind sie anzuerkennen und in Gemeinschaft mit ihnen zu treten Den Vater bdquo den einzig wahren Gott und Jesus Christusrdquo (Joh 173) Doch es gibt noch weitere Argumente zu beruumlcksichtigen

DerbiblischeGebrauchdesWortesbdquoGeistrdquoWeit davon entfernt eine bdquoPersonrdquo zu bedeuten ist die biblische Anwendung des Wortes bdquoGeistrdquo (sowohl hebraumlisch bdquoruach - חור rdquo als auch griechisch bdquopneuma - πνεῦμαrdquo) weitreichend Es bezieht sich auf Wind (Dan 72) Atem (2 Thes 28) Vitalitaumlt (1 Mose 27) rationale Unterscheidung (Hiob 328) den Verstand (Mar-kus 28) Haltung (5 Mose 230) Disposition (Lukas 117) ein Individuum unter goumlttlicher Inspiration (1 Joh 41-6) eine unkoumlrperliche Einheit (Lukas 2439) ein Daumlmon (Matt 816) Kraft (Ps 336-9) goumlttliches Wissen (4 Mose 1129) Anweisung (Neh 920) uumlbernatuumlrlicher Impuls (Apg 166) und mehr

In dieser Auswahl koumlnnen wir mehrere allgemeine Anwendungsbereiche betrach-ten a) Wind oder Atem b) Leben oder Intelligenz c) Haltung oder Sinn und Geist und d) Macht oder Einfluss Professor Dunn beobachtet ebenfalls die weit-gefaumlcherte Bedeutung des Wortes und kommt zum Schluss dass die Juden bdquoden Geist Gottesrdquo oder bdquoden Heiligen Geistrdquo nie als eine einzigartige Person gesehen haben als ein Wesen auszligerhalb von Gott dem Vater

Es kann keinen Zweifel daran geben dass der bdquoGeistrdquo (ruach) von Anfang an die bdquoMachtrdquo bezeichnet hat - die schreckliche geheim-nisvolle Kraft des Windes (ruach) des Atems (ruach) des Lebens der ekstatischen Inspiration (induziert durch den Goumlttlichen Hauch ndash ruach) Mit anderen Worten nach diesem Verstaumlndnis ist der Geist Gottes in keiner Weise von Gott verschieden sondern ist einfach die Kraft Gottes sozusagen Gott selbst der in der Natur und auf die Menschen kraftvoll einwirkt1497

DerGeistalsAtemalsLebenoderalsGeisteshaltungDas Wort bdquoGeistrdquo leitet sich von einem hebraumlischen Verb ab das bdquoausatmenrdquo bedeutet und beschreibt so woumlrtlich den Atem oder Hauch einer Person oder eines Tieres Da der Atem dazu dient die Existenz eines Wesens zu produzieren und zu erhalten funktioniert der bdquoGeistrdquo natuumlrlich als das Lebensprinzip einer

1497 Dunn Christology in the Making p 133

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Seele [hebr nephesh] Erst als Gott Adam den bdquoAtemrdquo [Odem - ruach] des Lebens einhauchte wurde Adam zu einem rationalen Wesen bdquoDer HERR Gott bildete den Menschen aus Staub vom Erdboden und blies Lebensatem in seine Nase So wurde der Mensch ein lebendiges Wesenrdquo (1 Mose 27) Wie ein Lexikon erklaumlrt

Wenn es auf Lebewesen angewendet wird bezieht sich ruach auf die Essenz des Lebens und die Vitalitaumlt in Mensch und Tier die sich durch Bewegung und Atmung manifestiert (1 Mose 27 617 715 4 Mose 1622 Hesekiel 1017) So wie bdquoGeistrdquo als die Essenz des menschlichen Lebens angesehen wurde so analog wurde der Begriff bdquoGeistrdquo auf die Praumlsenz Aktivitaumlt und Kraft Gottes ange-wendet dh Eigenschaften die zeigen dass Gott wirklich ein bdquole-bendiger Gottrdquo ist (5 Mose 526 Josua 310 1 Samuel 726 Jesaja 374 Daniel 620 Matthaumlus 1616 Offenbarung 72)1498

Der [dem Menschen] vermittelte Geist ist daher auch der Intellekt die Vernunft oder der Verstand eines Wesens bdquoAber es gibt einen Geist im Menschen die Inspiration des Allmaumlchtigen gibt ihnen Verstaumlndnisrdquo (Hiob 328) Auf diese Weise bezeichnet bdquoGeistrdquo den Verstand oder die Vernunft einer bestimmten Person Geist ist nicht eine andere unterschiedliche Person Da sich das Wort auf das rationale Prinzip eines bewussten Wesens [sei es Gott oder Mensch] beziehen kann ist sicher

Denn wer unter den Menschen kennt das Wesen des Menschen wenn nicht der Geist des Menschen der in ihm ist So hat auch das Wesen Gottes niemand erkannt auszliger der Geist Gottes (1 Korinther 211)

Der Geist eines Menschen ist dem Geist Gottes aumlhnlich keine unterschiedlichen Intelligenzen an sich sondern einfach bdquoVerstandrdquo ob von Menschen oder von Gott Ausserdem kann der bdquoGeistrdquo mit dem eigenen Herzen oder Willen korrel-lieren

Beachten wir die Parallelitaumlt in den folgenden Versen

Der HERR dein Gott hatte seinen [des Koumlnigs] Sinn hart und sein Herz verstockt gemacht um ihn in deine Hand zu geben wie es heute der Fall ist (5 Mose 230) Das Opfer das Gott gefaumlllt ist ein zerbrochener [zerknirschter] Geist ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du Gott nicht verachten (Psalm 5117)

1498 Jacob Neusner William Scott Green (ed) Dictionary of Judaism in the Biblical Period (Peabody Hendrick-

son Publishers 1996) p 298

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Gottes bdquoGeistrdquo ist mit seinem Herzen verbunden dem Sitz des Willens und der [Geistes-]Haltung Gottes und beim Menschen ist es ebenso Auch hier be-schreibt das Wort nur die persoumlnliche Betaumltigungskraft einer Person bdquoDer HERR erweckte den Geist Serubbabels des Sohnes Schealtieumlls hellip und den Geist des ganzen Restes des Volkesrdquo (Hag 114) bdquoDa erweckte der Gott Israels den Geist Puls des Koumlnigs von Assur den Geist Tilgat-Pilnesersrdquo (1 Chron 526) Der Geist des Menschen hat die gleiche Beziehung zum Menschen wie der Geist Gottes zu Gott sein Geist ist etwas das ihm gehoumlrt nicht einem anderen Individuum

DerGeistalsKraftundalsEinflussnahmeIn der Schrift ist bdquoder Geistrdquo meist ein goumlttlicher Einfluss oder eine Energie Im Alten Testament wird der Geist Gottes als seine eigene Energie oder unterneh-merische Initiative in Aktion dargestellt In vielen Faumlllen ist es seine schoumlpferische Kraft bdquoDurch des HERRN Wort ist der Himmel gemacht und all sein Heer durch den Hauch seines Mundesrdquo (Psalm 336) Im Neuen Testament setzt der Engel bdquoden Heiligen Geistrdquo mit bdquoder Kraft des Houmlchstenrdquo gleich derdie uumlber Maria bdquokom-menrdquo und sie bdquouumlberschattenrdquo sollte um Jesus in ihrem Schoss zu erschaffen [zu zeugen] (Lukas 135) Doch weder der bdquoBefehlrdquo noch die bdquoMachtrdquo Gottes duumlrfen als eigenstaumlndige goumlttliche Person betrachtet werden

Biblisch gesprochen kann sich der bdquoGeistrdquo auszliger auf die schoumlpferische Kraft Gottes oder Energiequelle auch auf jegliche Art der Beeinflussung einer Person beziehen So kann man beispielsweise unter dem Einfluss des bdquoGeistes der Wahr-heitrdquo (Joh 1417) oder des bdquoGeistes des Irrtumsrdquo (1 Joh 46) handeln Offensichtlich sind diese unterschiedlichen bdquoGeisterrdquo keine eigenstaumlndigen Personen sondern Kraumlfte die das Denken und Handeln von Individuen beeinflussen

Daher ist es hilfreich den bdquoGeist Gottesrdquo oder bdquoden heiligen Geistrdquo in erster Linie als den persoumlnlichen Einfluss oder die Praumlsenz Gottes zu betrachten Waumlhrend Gott auf einem Thron im Himmel sitzend beschrieben wird (Dan 79) lesen wir dass der Himmel ihn nicht fassen kann (1 Koumlnige 827) Obwohl sich seine bdquoWohnungrdquo in einem anderen Reich [nicht von dieser Welt] befindet kann Gott durch seinen Geist oder seine Gegenwart die das Universum erfuumlllt und die auch seinen Dienern innewohnt jederzeit woanders [allgegenwaumlrtig] sein Dieser Ein-fluss wird in der Schrift auf verschiedene Weise charakterisiert Er wird als Gottes bdquoHandrdquo (Hes 314) oder sogar als Gottes eigener bdquoAtemrdquo beschrieben (Psalm 10429 Joh 338) In Sacharja 712 lesen wir von bdquoden Worten die der Herr der Heer-scharen durch seinen Geist gesandt hatterdquo Durch die Erweiterung der geistlichen Ener-giesphaumlre reicht Gott aus seinem Thronsaal heraus und beeinflusst die Welt

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In unzaumlhligen biblischen Episoden wird Gottes eigener Geist dargestellt der auf verschiedene Personen trifft damit diese Aufgaben erfuumlllen die Gott fuumlr sie be-stimmt hat Wenn dieser Einfluss eintritt fordert er dass die Aktivitaumlten im Na-men von oder auf die gleiche Weise wie der bdquoInfluencerrdquo durchgefuumlhrt werden um hier ein modernes Wort zu gebrauchen Propheten sprechen die Worte Got-tes bdquo der Geist Gottes kam uumlber ihn dass er in ihrer Mitte weissagterdquo (1 Sam 1010) Koumlnige fuumlhrten den Zorn Gottes aus bdquoDa geriet der Geist Gottes uumlber Saul als er diese Worte houmlrte und sein Zorn entbrannte sehr rdquo (1 Sam 116) Handwerker erfuumlllten die Plaumlne Gottes bdquoIch habe ihn mit dem Geist Gottes er-fuumlllt mit Weisheit Verstand und Koumlnnen und fuumlr jedes Kunsthandwerk Plaumlne zu entwerfen ich habe jedem der ein weises Herz hat Weisheit ins Herz gelegt damit sie alles machen was ich dir geboten haberdquo (2 Mose 3136b) Letztend-lich wie Jesus erklaumlrt besteht die Funktion des Geistes darin Gottes Werk durch den Empfaumlnger zu ermoumlglichen bdquoIhr werdet Kraft empfangen wenn der heilige Geist auf euch gekommen ist und ihr werdet meine Zeugen sein sowohl in Je-rusalem als auch in ganz Judaumla und Samaria und bis an das Ende der Erderdquo (Apg 18)

In den Evangelien lesen wir dass Jesus selbst befaumlhigt wurde unglaubliche Wun-der bdquodurch den Geist Gottesrdquo zu vollbringen (Matt 1228) Im parallelen Lukas-evangelium heiszligt es in den meisten Uumlbersetzungen bdquo durch den Finger Gottesrdquo (Lukas 1120) Gottes bdquoGeistrdquo und Gottes bdquoFingerrdquo sind in diesem Zusammen-hang gleichbedeutend und beschreiben einfach den ausgedehnten Wirkungsbe-reich der Kraft Gottes Tatsaumlchlich uumlbersetzen HFA NLB und andere sogar bdquodurch die Macht Gottesrdquo Es sollte offensichtlich sein dass der Geist lediglich ein persoumlnliches Attribut Gottes ist und es ist weder angezeigt noch besonders geistreich dem hier als bdquoFinger Gottesrdquo umschriebenen Geist Gottes eine Per-soumlnlichkeit zuzuweisen

DerGeistalsdasDenkenGottesWenn das Neue Testament sagt dass der bdquoGeist Gottes weiszlig was Gottes Gedanken sindrdquo (1 Kor 211) koumlnnte man sich aus der Perspektive des Trinitarismus fragen ob dieser Geist tatsaumlchlich eine andere Person ist die sich von Gott dem Vater unterscheidet Die Antwort gibt Jesus der im Widerspruch zu dieser trinitari-schen Idee erklaumlrt dass der Heilige Geist eigentlich bdquoder Geist des Vatersrdquo ist (Matt 1020) In keiner Weise kann daraus eine andere Person als der Vater abgeleitet werden so wenig wie im Buch der Koumlnige bdquoder Geist des Eliardquo eine andere Per-son als Elia war Das Alte Testament berichtet dass bdquoder Geist des Elia auf Elisa ruhtrdquo (2 Koumlnige 215) und im Neuen Testament soll auch Johannes der Taumlufer bdquoim Geist und in der Kraft Eliasrdquo gewirkt haben (Lukas 117) Damit ist natuumlrlich gemeint dass Elisa und Johannes beide mit dem gleichen rationalen Denken und

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Verstand der gleichen Leidenschaft oder dem gleichen Einfluss auftraten wie der groszlige Prophet Elia Wenn Jesus seinen Nachfolgern versichert bdquoDenn nicht ihr seid es die reden sondern der Geist eures Vaters der in euch sprichtrdquo (Matt 1020) meint er nicht dass ein anderes Individuum jemand [der Geist also] der nach der trinita-rischen Doktrin nicht der Vater ist ihnen seinen operativen Verstand verleiht sondern einfach dass der Vater selbst sie befaumlhigen wuumlrde Derselbe bdquoGeistrdquo aus Gottes Mund (Psalm 336) wird nun ihnen in den Mund gelegt Mit anderen Wor-ten zu einem gewissen Grad wird die Mentalitaumlt Gottes fuumlr sie intim verfuumlgbar gemacht

DerGeistalsdasDenkenChristiIn gleicher Weise wenn gesagt wird dass die Juumlnger einen Geist haben der auf gute Dinge ausgerichtet ist einen Geist also der das Boumlse ablehnt und sich dem Gesetz Gottes unterwirft bedeutet dies dass sie bdquoden Geist Christi habenrdquo (Roumlmer 85-9) Den Geist Jesu zu besitzen bedeutet wiederum nicht dass Jesus oder eine andere Person buchstaumlblich in ihrem Koumlrper praumlsent ist sondern dass sie dieselbe Denkweise haben an derselben spirituellen Wirkungsweise teilnehmen wie Jesus selbst Paulus fordert die Glaumlubigen auf bdquohabt diese Gesinnung in euch die auch in Christus Jesus warrdquo (Phil 25) und in der Tat bestaumltigen die Apostel bdquoWir aber haben Christi Sinnrdquo (1 Kor 216) So wie die Praumlsenz des Geistes von Elia darin bestand in Elias charakteristischer geistiger und rationaler Manier zu handeln so bedeutet die Anwesenheit des Geistes Christi auch mit demselben Denken Koumlnnen und Verstand wie Jesus zu handeln (Matt 1820) [Man vergleiche dazu auch Dan 64 bdquoDaniel hellip ein auszligergewoumlhnlicher Geist in war ihmrdquo Anm d Uuml]

Nach der Aufnahme Christi in den Himmel wurde der heilige Geist in der christ-lichen Gemeinschaft sowohl als bdquoGeist Christirdquo als auch als bdquoGeist Gottesrdquo aner-kannt da er sowohl die geistliche Denkweise Jesu als auch die gleiche Kraft und Faumlhigkeit ist durch die Jesus selbst wirkte naumlmlich die Kraft Gottes Paulus sagt bdquowir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen sondern den Geist der aus Gott ist damit wir die Dinge kennen die uns von Gott geschenkt sindrdquo (1 Kor 212) Der Geist der von Gott ist ist derselbe Geist durch den Jesus wirkt Dieser Geist wird jetzt so ausgeteilt dass die Teilnahme an den Dingen Gottes fuumlr alle offen ist bdquoEin natuumlrlicher Mensch [ohne den Geist Christi] aber nimmt nicht an was des Geistes Gottes ist denn es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen weil es geistlich zu beurteilen istrdquo (1 Kor 214)

DerGeistalsGeschenkGottesIn der Bibel wird der Geist Gottes als bdquoeine zu verteilende Sacherdquo eine Kraft an der man teilhaben kann dargestellt Gott sagt bdquoich werde von dem Geist nehmen der auf dir ist und auf sie legenrdquo (4 Mose 1117 ELB) In der GNB steht bdquovon dem Geist

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den ich dir gegeben habe einen Teil nehmenrdquo Und in der EUuml sowie NLB heiszligt es bdquoIch nehme etwas von dem Geist der auf dir ruht und lege ihn auf sierdquo Um die orthodoxe Sichtweise zu verteidigen praumlsentieren einige trinitarische Uumlbersetzungen wie zB die amerikanische NASB den Text bdquound ich werde den Geist der auf dir ist nehmen und ihn auf sie legenrdquo Dies ist insofern problematisch als bdquoeine Personrdquo nicht ge-nommen geteilt oder verteilt werden kann Trotz dieses Aktivismus der NASB stellen die meisten deutschsprachigen Bibelversionen die Natur dieses Geistes richtig dar In Uumlbereinstimmung mit anderen Passagen wie Joel 28 zitiert vom Apostel Petrus in Apg 217 bdquoekcheo apo tou pneumatosrdquo (uumlbersetzt ich werde von mei-nem Geist ausgieszligenausteilen) Es macht wenig Sinn zu sagen dass eine Person ein einzigartiges Individuum in Portionen bdquoaufgeteiltrdquo werden koumlnnte Aber es ist viel einleuchtender den Geist als die Kraft Gottes die eigene Energie Gottes die in seinem Volk innewohnt anzuerkennen Niemand darf von einer Person bewohnt (oder bdquobesessenrdquo) werden 1 Johannes 413 macht dies ganz klar bdquoHieran erkennen wir dass wir in ihm bleiben und er in uns dass er uns von seinem Geist gegeben hatrdquo (ELB)

DieVerwirrungumdenGeistWenn Bibelpassagen uumlber den Geist Gottes herausgenommen und die Be-

griffe durch trinitarische Interpretationen ersetzt werden wird in praktisch jedem Text der sich mit dem Geist beschaumlftigt sofort ein heilloses Durcheinander ver-ursacht Die trinitarische These von bdquoGott der Heilige Geistrdquo oder bdquodie dritte Person der [heiligen] Dreifaltigkeitrdquo wurde zwar mit der Absicht eingefuumlhrt Klar-heit zu schaffen doch nimmt man die Interpretation fuumlr bare Muumlnze wird statt der Wahrheit die Verwirrung komplett

In den Evangelien behauptet Jesus Daumlmonen bdquodurch den Geist Gottesrdquo auszutreiben (Matt 1228) Trinitarier verstehen das so dass er mit dem Geist bdquodie dritte Per-son der Trinitaumltrdquo meint Jesus stellt jedoch fast routinemaumlszligig klar dass es bdquoder Vaterrdquo ist der die Werke [durch ihn] tut (Joh 1410) Ebenso sagte der Engel [Gabriel] zu Maria dass bdquoheiliger Geistrdquo sie uumlberschatten und Jesus in ihrem Schoszlig hervorbringen dh zeugen wuumlrde (Lukas 135) und es wurde spaumlter auch Josef bestaumltigt bdquoDenn das in ihr Gezeugte ist von dem Heiligen Geistrdquo (Matt 120 ELB) [Mit Ausnahme der Menge und der Zuumlrcher Bibel versehen die meisten deutschen Versionen den heiligen Geist mit einem Groszligbuchstaben] Fuumlhrt man nun eine trinitarische Lesung durch muss man sich unweigerlich fragen wer der wahre Va-ter Jesu ist [wenn der Heilige Geist eine Person ist] Nach der Dreieinigkeitslehre sind der Vater und der Heilige Geist zwei voumlllig verschiedene Personen Wenn die bdquodritte Personrdquo [im Triumvirat] diejenige ist die auf Maria kam warum rufen wir dann einen anderen als Vater an der gemaumlszlig der trinitarischen Sichtweise nicht auf Maria kam Nicht-Trinitarier verstehen den Heiligen Geist in erster Linie als

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die Kraft die Energie und den Einfluss Gottes Gott der Vater ist der Vater Jesu und die Sache ist leicht verstaumlndlich Buzzard und Hunting stellen es so dar das

Kaumlmmt man durch die uumlblichen biblischen Woumlrterbuumlcher sind of-fensichtlich 98 Prozent der biblischen Daten erfuumlllt aber nur wenn man den Geist definiert als Gott in wirksamer Aktion als Gott in Kommunikation als Seine Kraft und als seine Persoumlnlichkeit als Gott der seinen Einfluss ausdehnt um die Schoumlpfung auf verschie-dene Weise zu beruumlhren Koumlnnte der Geist Gottes wirklich etwas anderes sein als die Energie Gottes welcher die Menschen zu au-szligergewoumlhnlichen Tapferkeitsleistungen inspiriert indem er sie mit besonderen kuumlnstlerischen Faumlhigkeiten oder wundersamen Kraumlften ausstattet und vor allem die goumlttliche Wahrheit vermittelt1499

PersonifizierungdesGeistesIm Neuen Testament wird in Beschreibungen manchmal die literarische Technik der Personifizierung verwendet Da der heilige Geist also persoumlnlich Einfluss feststellbarer ist wird er oft personifiziert Der Geist spricht (Joh 1613) lehrt (Joh 1426) kann empoumlrt sein (Hebr 1029) kann gelaumlstert werden (Matt 1232)1500 kann belogen werden (Apg 54)1501 und kann eintreten (Roumlmer 826) Leider haben trini-tarische Apologeten diese sprachliche Personifikationen zu ihrem wichtigsten

1499 Buzzard Hunting The Doctrine of the Trinity p 226 Eine weitere Anmerkung Wenn man davon

ausgeht dass der bdquoGeist Gottesrdquo in der Bibel tatsaumlchlich die einzigartige Person der orthodoxen Theol-ogie nach dem Konzil von Konstantinopel ist schafft man sich Probleme mit dem Alten Testament Sacharja 65 zeigt bdquodie vier Geister des Himmelsrdquo und Offenbarung 14 erwaumlhnt bdquodie sieben Geister Gottesrdquo Offenbarung 14 scheint mit Jesaja 112 zu korrelieren der bdquoden Geist des Herrn den Geist der Weisheit den Geist des Verstehens den Geist des Rates den Geist der Macht den Geist der Erkenntnis und den Geist der Angst vor dem Herrnrdquo enthaumllt Ist dies ein Hinweis auf multiple Persoumlnlichkeiten oder einfach nur sieben Kraumlfte und Einfluumlsse

1500 Finnegans Notiz ist hier nuumltzlich bdquoGelegentlich behaupten die Menschen dass die Leugnung der Persoumlnlichkeit des Heiligen Geistes die unverzeihliche Suumlnde ist den Geist zu laumlstern Um der Sache auf den Grund zu gehen muumlssen wir uns an den Kontext der Bemerkungen Jesu uumlber die Laumlsterung des Heiligen Geistes erinnern Ein daumlmonisierter Mensch wurde von Christus geheilt und die Pharisaumler beschuldigten Jesus Daumlmonen durch Beelzebub den Herrscher der Daumlmonen vertrieben zu haben (Vers 24) Christus wies auf die Absurditaumlt des sbquoSatans der den Satan vertriebrsquo hin und gestand dann dass er durch Gottes Geist Daumlmonen vertrieb Dann machte er die Aussage sbquoWer ein Wort gegen den Menschensohn spricht dem wird es vergeben aber wer gegen den heiligen Geist spricht dem wird es nicht vergeben werden weder in diesem noch in dem kommenden Zeitalterrsquo (Matthaumlus 1232) Die Blas-phemie gegen den heiligen Geist hier ist Gottes Handeln durch Seinen menschlichen Messias zu sehen und zu erklaumlren dass seine Macht eher eine daumlmonische als eine goumlttliche Quelle hatte Im Wesentlichen nannten sie Gott den Prinzen der Daumlmonen Diese Art von reueloser hartherziger vorsaumltzlicher Blas-phemie gegen Gott an der Arbeit durch seinem Messias ist unverzeihlichrdquo (Finnegan S 5)

1501 Ein trinitarischer Gelehrter gibt unumwunden zu bdquoDer Begriff sbquoGottrsquo wird nie ausdruumlcklich dem Heili-gen Geist zugeschrieben obwohl es uumlblich ist ihn aus Apostelgeschichte 54 abzuleiten wo Petrus der im 3 Vers Ananias gefragt hatte sbquoWarum hat Satan dein Herz erfuumlllt um den Heiligen Geist zu beluumlgenrsquo sagt er sbquoDu hast nicht die Menschen angelogen sondern Gottrsquo Aber unserer Meinung nach ist diese

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Ansatzpunkt gemacht und folgen mit den meisten Argumenten derselben Argu-mentationslinie

bdquoUnd betruumlbet nicht den Heiligen Geistrdquo ist die Anweisung des Paulus an die Glaumlubigen in Ephesus (Eph 430) Waumlre der Heilige Geist einfach nur eine Macht oder eine Kraft und nicht eine Person koumlnnte er nicht traurig sein1502

Vertreter der Trinitaumltsdoktrin argumentieren dass der Heilige Geist allerdings in der Schrift als eine Person oder ein Etwas praumlsentiert wird das sich sowohl von Gott als auch von Jesus manchmal auch in persoumlnlicher Hinsicht unterscheidet Nach ihrem Dafuumlrhalten muss er [der Heilige Geist] eine separate Person sein die weder der Vater noch Jesus ist Aber in der Bibel wird der Geist gewisser Men-schen mit derselben literarischen Technik der Personifizierung beschrieben wo-raus jedoch keine andere Person impliziert wird Ein Beispiel lesen wir im Alten Testament (2 Sam 1321) Dazu zitieren wir aus dem Kommentar von Adam Clarke seine Uumlbersetzung der griechischen Septuaginta-Version (LXX)

Aber er wollte den Geist [gr pneuma ndash hebr ruach] seines Sohnes Amnon nicht betruumlben denn er liebte ihn weil er sein Erstgeborener war (2 Samuel 1321)1503

War demnach Amnons Geist eine andere Person [in Amnon] Keinesfalls diese Art von Sprache ist einfach nur ein hebraumlisches Idiom Wir finden diesen Hebra-ismus auch in juumldischen Schriften des ersten Jahrhunderts wie beispielsweise im Evangelium der Hebraumler Der katholische Uumlbersetzer Hieronymus (347-420 n Chr) erinnert sich an ein Zitat aus diesem Dokument

Folgerung nicht guumlltig denn durch den sbquoHeiligen Geistrsquo sind die Gaben des Heiligen Geistes zu ver-stehen mit denen die Apostel ausgestattet wurden und im Namen Gottes sprachen Menschen welche die Apostel beluumlgen die durch den Heiligen Geist Gottes sprechen werden daher zu Recht gesagt dass sie den Heiligen Geist beluumlgen wie diejenigen welche die Apostel verachten unmittelbar den Herrn verachten und diejenigen die den Herrn Jesus verachten verachten Den der ihn gesandt hatrdquo (Philip Limborch Theol Christiana lib II Cap 17 amp 23 quoted in Wilson Uni Princ p 477)

1502 ldquoHow Can We Grieve the Holy Spiritrdquo Bible Answers Ranelagh Christian Church 2015 Web 27 December 2015 lthttpwwwbibleanswersieshort-bible-studies62-the-holy-spirit102-how-can-we-grievegt emphasis added

1503 Siehe Adam Clarkes Kommentar bdquo sbquoΚαι ουκ ελυπησε το πνευμα Αμνων του υιου αυτου οτι ηγαπα αυτον οτι πρωτοτοκος αυτου ην sbquoAber er wollte die Seele (dh den Geist - pneuma) seines Sohnes Amnon nicht betruumlben denn er liebte ihn weil er sein Erstgeborener warrsquo Die gleiche Ergaumlnzung findet sich in der Vulgata und bei Josephus und es ist moumlglich dass sie einst Teil des hebraumlischen Textes warrdquo (Adam Clarke ldquoCommentary on 2 Samuel 132rdquo The Adam Clarke Commentary 1832 Web 27 December 2015)

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Im Evangelium an die Hebraumler das die Nazarener zu lesen pfleg-ten wird zu den schwersten Vergehen gezaumlhlt bdquoWer den Geist seines Bruders betruumlbtrdquo1504

Die Juden scheinen sich der trinitarischen Regel nicht bewusst gewesen zu sein dass der Geist von Personen nicht bdquobetruumlbtbdquo werden oder metaphorisch an einer Reihe von persoumlnlichen Aktivitaumlten teilnehmen koumlnne wenn dieser Geist nicht selbst eine bestimmte Person waumlre Demgegenuumlber lesen wir im 2 Samuel 1339 dass bdquoder Geist des Koumlnigs sich danach sehnte zu Absalom hinauszugehenrdquo Trauer Sehn-sucht usw - das sind die gleichen emotionalen Eigenschaften die von den Trini-tariern als eindeutiger Beweis dafuumlr genannt werden dass der Geist Gottes eine eigenstaumlndige Person sein muss Aber der Geist Elias ist keine von Elias separate Person Auch der Geist des Vaters ist kein vom Vater getrenntes oder unter-schiedliches Individuum Es ist schlicht und einfach kein biblisches Argument das der theologischen Uumlberpruumlfung standhaumllt

DererhoumlhteJesusDermitdemGeisttauftEine interessante Passage im Johannesevangelium lautet bdquoDies aber sagte er von dem Geist den die empfangen sollten die an ihn glaubten denn noch war der Geist nicht da weil Jesus noch nicht verherrlicht worden warrdquo (Joh 739) Natuumlrlich wissen wir dass der Geist Gottes bereits im Alten Testament auf unzaumlhlige Menschen gekommen war und Jesus selbst empfing bei seiner Taufe (Joh 132-33) den Geist Johannes kuumlndigte offensichtlich an dass sich einer zukuumlnftigen Kraftausgiessung etwas Auszligergewoumlhnliches ereignen werde

Jesus erklaumlrt in Johannes 13 bis 17 dass diese vorangekuumlndigte Manifestation des Geistes eng mit seiner eignen Verherrlichung verbunden sein wird Er versprach dass dieser Geist die Juumlnger aktiv instruieren und erleuchten werde und insbeson-dere ihnen all das was Jesus gesagt hatte in Erinnerung rufen werde (Joh 1426) Christus beteuerte sogar dass sich diese neue Ordnung fuumlr sie als besser erweisen werde als wenn er selber physisch noch bei ihnen bliebe (Joh 167) und dass dieser Geist seinen Nachfolgern Christus alles offenbaren wuumlrde (Joh 1614-15) Dies zeigt eine bisher nie dagewesene Aktivitaumlt des Geistes Gottes waumlhrend der Geist fruumlher nur den Einfluss des Vaters kommunizierte (wie es der Fall war bevor Jesus zum Himmel auffuhr wie Matthaumlus 1020 beschreibt) wird nun auch der Einfluss Jesu durch den Geist auf die Glaumlubigen uumlbertragen

Im Kapitel 7 kuumlndigt Johannes die Ankunft dieses bdquoneuenrdquo Geistes an Zu diesem Zeitpunkt stand die Erhoumlhung Christi noch bevor waumlhrend Jesus physisch unter

1504 Hieronymus Kommentar zu Hesekiel 187

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den Juumlngern weilte konnte der Geist noch nicht gegeben oder ausgegossen wer-den Der Aufstieg Christi in den Himmel ermoumlglichte jedoch seine Verteilung oder die Ausgiessung Denn der bdquoGeistrdquo der zu ihnen [an Pfingsten] kommen sollte repraumlsentierte in gewisser Weise den in den Himmel aufgenommenen Jesus selbst

Als die Juumlnger wegen seines bevorstehenden Weggangs traurig waren versicherte er ihnen bdquoIch werde euch nicht verwaist zuruumlcklassen ich komme zu euchrdquo (Joh 1418) Als bdquoHelferrdquo [gr παράκλητος ndash paraacuteklētos Fuumlrsprecher Beistand] Vers 26 ist in der Tat Jesus mit oder bei ihnen anwesend der bdquoGeistldquo beeinflusst die Juumlnger Christi und fuumlhrt sie genauso wie Jesus waumlre er physisch praumlsent Der bdquonach-pfingstlicherdquo Geist ist Jesus selbst der seither in der Welt im Auftrag und zur Ehre Gottes wirkt und durch die groszlige Kraft Gottes zu jedem seiner Juumlnger kommt

So wie Gott in den Himmeln wohnend und doch durch den Geist allgegenwaumlrtig sein kann1505 ist der erhabene Jesus der zur Rechten Gottes sitzt derjenige der bdquomit dem heiligen Geist tauftrdquo (Markus 18 Apg 1116) er ist es der den Glaumlubigen die Kraft Gottes vom Himmel sendet So wie Gott in der Antike die Menschen durch diesen Geist beruumlhrt und ermaumlchtigt hatte so kann auch der auferstandene Herr Jesus bdquo denen helfen die versucht werdenrdquo (Hebr 218) waumlhrend er zur Rech-ten der Majestaumlt im Himmel sitzt

Wenn Jesus sagt dass er den Vater bitten wird bdquoeinen anderen Helferrdquo zu schicken (Joh 1416) bezieht sich das Griechische auf bdquoeinen anderenrdquo (gr allos) tatsaumlchlich auf bdquoeinen anderen der gleichen Artrdquo Es ist eine andere Version von Jesus oder wie F F Bruce schreibt sein bdquoalter egordquo [quasi sein anderes Ich]1506 Ein biblisches Woumlrterbuch hilft uns weiter

Der Geist ist nun definitiv der Geist Christi der bdquoandererdquo Ratgeber der die Aufgabe Jesu auf der Erde uumlbernommen hat Das bedeutet dass Jesus jetzt lediglich noch im und durch den Geist fuumlr den

1505 Gott bdquositzt auf seinem Thron im Himmelrdquo (Psalm24) aber sein Geist erlaubt es ihm jederzeit uumlberall zu sein bdquoWohin sollte ich gehen vor deinem Geist wohin fliehen vor deinem Angesicht Stiege ich zum Himmel hinauf so bist du da Bet-tete ich mich in dem Scheol siehe du bist da Erhoumlbe ich die Fluumlgel der Morgen-roumlte liesse ich mich nieder am aumluszligersten Ende des Meeres auch dort wuumlrde deine Hand mich leiten und deine Rechte mich fassen Und spraumlche ich Nur Finsternis moumlge mich verbergen und Nacht sei das Licht um mich herrdquo (Psalm 1397-11) 1506 Bruce The Gospel amp Epistles of John p 302

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Glaumlubigen gegenwaumlrtig ist und dass das Zeichen des Geistes so-wohl die Anerkennung des gegenwaumlrtigen Status Jesu als auch die Reproduktion des Charakters seiner Sohnschaft und seines Aufer-stehungslebens im Glaumlubigen ist1507

Wir sehen im ganzen uumlbrigen Neuen Testament dass der bdquoGeist Christirdquo von der Kirche immer noch oft als bdquoGeist Gottesrdquo bezeichnet wird Das liegt daran dass es derselbe Geist ist der von beiden [Vater und Sohn] gemeinsam genossen und betrieben wird Wie bereits erwaumlhnt ist nun sowohl bdquoder Geist Christirdquo als auch als bdquoder Geist Gottesrdquo zu erkennen der gleicherweise die geistliche Gesinnung Jesu und die gleiche Kraft und Faumlhigkeit ist durch die Jesus selbst wirkte dh die Kraft Gottes Wie ein Theologe es so praumlgnant ausdruumlckte bdquoDer Geist der Jesus waumlhrend seines Dienstes auf Erden inspiriert hat ermoumlglicht es ihm nun in sei-nen Juumlngern auf eine neue vorteilhafte Weise praumlsent zu seinrdquo1508 Er faumlhrt fort

Der Geist Gottes der Geist Christi und Christus selbst sind alle gleichwertige Wege um die gleiche wesentliche Wahrheit zu ver-mitteln Paulus konzentriert sich nicht auf ontologische und meta-physische Unterschiede sondern sieht den Geist vor allem in funk-tionalen Begriffen innerhalb der Erfahrung des Christen Aus die-ser Perspektive ist der Geist Jesus1509

Im ersten Kapitel der Apostelgeschichte weist Jesus seine Nachfolger an bdquo sich nicht von Jerusalem zu entfernen sondern auf die Verheiszligung des Vaters zu war-ten - wie ihr von mir gehoumlrt habt denn Johannes taufte mit Wasser ihr aber werdet mit heiligem Geist getauft werden nach diesen wenigen Tagenrdquo (Apg 14-5) Am Pfingsttag ist der bdquoneue Geistrdquo tatsaumlchlich uumlber die Urkirche gekommen Die Juumlnger erklaumlrten dass es gerade darum ging dass Jesus bdquonachdem er nun zur Rechten Gottes erhoumlht worden ist und die Verheiszligung des heiligen Geistes emp-fangen hat von dem Vater hat er dies ausgegossen was ihr jetzt seht und houmlrtrdquo (Apg 232-33) Weil Jesus der Besitzer des Geistes ist (nachdem er ihn von Gott empfangen hat) und Jesus der Verteiler des Geistes (der bdquoTaumluferrdquo) kann der Geist ihm persoumlnlich zugeschrieben werden Zu Recht kann er bdquoder Geist Jesurdquo ge-nannt werden Jesus erklaumlrt dass sowohl er als auch der Vater durch die Kraft des Geistes fuumlr den Glaumlubigen wirken bdquoWenn jemand mich liebt so wird er mein Wort befolgen und mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen

1507 D G Douglas New Bible Dictionary (Tyndale House Publishers 1962) pp 1140-1141 1508 Sean Finnegan ldquoA Unitarian View of the Holy Spiritrdquo 21st Century Reformation 2006 Web 28

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und Wohnung bei ihm machenrdquo (Joh 1423) Wo bleibt die hypothetische bdquodritte Personrdquo in den Ausfuumlhrungen des Juumlngers [Johannes] Auch hier kann der Geist als ein Einfluss betrachtet werden der sowohl dem Vater als auch dem Sohn gehoumlrt und von ihnen ausgeht Eine angemessene Analogie koumlnnte zu einem Va-ter vorstellen der seinem Sohn erlaubt sein Auto in der Oumlffentlichkeit zu fahren Jeder der es sieht wird es als das Auto des Sohnes bezeichnen weil er es besitzt aber es ist letztlich immer noch das Auto des Vaters Jeder der weiszlig auf wen das Auto zugelassen ist wird es immer noch das Eigentum des Vaters nennen Aber es waumlre nicht falsch es als im Besitz des Sohnes zu bezeichnen So ist es auch mit der Kraft Gottes die Jesus anvertraut wurde um sie nach Belieben zu verteilen

Einige Trinitarier argumentieren gegen die Idee dass ein Vertreter Gottes jemals anderen Individuen den Geist Gottes geben koumlnnte mit der Begruumlndung dass eine solche Aktivitaumlt bdquobeispiellosrdquo sei und dass es fuumlr Gott unmoumlglich waumlre die Sendung Gottes bdquoselbstrdquo zu delegieren1510 Ein Mangel an Praumlzedenzfaumlllen duumlrfte jedoch kein Thema sein der Sohn wird im Neuen Testament deutlich als der erste Mensch dargestellt der diesen Status erreicht hat (siehe Hebr 1-2) Er ist der einzige auf der Ebene der bdquodelegierten Autoritaumltrdquo Was Gottes Delegation von bdquosich selbstrdquo betrifft so muumlssen wir zunaumlchst erkennen dass Gottes bdquoGeistrdquo nicht immer voumlllig gleichbedeutend ist mit der gesamten bdquoPersoumlnlichkeitrdquo Gottes Wie bereits erwaumlhnt hat Gott bei Mose bdquovon dem Geist genommen der auf Mose war und auf sie gelegtrdquo (4 Mose 1117) Der Geist muss nicht unbedingt als die ganze bdquoPersoumln-lichkeitrdquo Gottes identifiziert werden da er wie eine Substanz oder eine Eigen-schaft geteilt verteilt und in unterschiedlichen Portionen oder von verschiedenen Parteien in unterschiedlichem Mass empfangen werden kann Was die Faumlhigkeit die Befugnis eines Handlungsbevollmaumlchtigten betrifft diese Verteilung ebenso durchzufuumlhren so koumlnnen wir die Kanalisierung des Geistes Gottes beobachten die nach Ansicht dieser Apologeten fuumlr menschliche Agenten in der Apostelge-schichte angeblich unmoumlglich sei In Apostelgeschichte 816ff stellen wir fest dass einige Christen den Heiligen Geist nicht empfangen hatten bis die Apostel kamen und ihnen die Haumlnde auflegten bdquoAls aber Simon [Magus] sah dass durch die Handauflegung der Apostel der Heilige Geist gegeben wurde rdquo (Apg 818) Als Simon sah dass die Apostel in der Lage waren den Geist zu delegieren bat er darum auch er diese Macht zu erhalten und sagte bdquoGebt auch mir diese Vollmacht damit jeder dem ich die Haumlnde auflege den Heiligen Geist empfaumlngtrdquo (Vers 19) Aber die Apos-tel beschrieben ihre Autoritaumlt als bdquodie Gabe Gottesrdquo und als ihr bdquoAmtrdquo eine Beru-fung an der Simon nicht teilnehmen konnte weil er nicht anerkannt war (Verse 20-21) Paulus erklaumlrt dass die bdquoGabe Gottesrdquo bdquoin euch durch das Auflegen meiner Haumlnderdquo (2 Tim 16) ist und Apg 818 sagt ausdruumlcklich dass der Geist erst beim Auflegen der Haumlnde der Apostel diesen Menschen bdquogegebenrdquo wurde Dieses Wort

1510 Siieh Bowman Putting Jesus in his Place pp 219-221

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fuumlr bdquogegebenrdquo im Griechischen (bdquodidomirdquo) ist das gleiche Wort das in Joh 334 von Jesus verwendet wird Es beschreibt wie Gott selbst den Geist bdquogibtrdquo Dieses Wort wird von anderen Uumlbersetzern auch als bdquoverliehenrdquo bdquoanbefohlenrdquo bdquoge-waumlhrtrdquo und sogar bdquoausgegossenrdquo uumlbersetzt Es ist deshalb nicht unmoumlglich dass ein menschlicher Agent [mit Befugnis] als bdquoKanalrdquo fuumlr den Geist Gottes fungiert Das vom Neuen Testament vorgestellte Modell ist einfach und vermeidet ge-schickt die Fallstricke der trinitarischen Identitaumltstheorien Gott gab seinem Agenten Jesus das Recht den Geist zu geben zu verleihen auszuteilen oder aus-zugieszligen und Jesus wiederum gibt dieses Recht seinen eigenen bevollmaumlchtigten Aposteln weiter

VerwirrunginderBibelstiftenEin interessantes Problem fuumlr Trinitarier ergibt sich hier wenn sie die neue intime Beziehung des Geistes zum verherrlichten Jesus betrachten die Verwechslung oder Vermischung von bdquoGott-der-Heilige Geistrdquo mit bdquoGott-der-Sohnrdquo Die Lehre der Trinitaumlt besagt dass es [in der Gottheit] drei verschiedene Personen gibt von denen jede ihre eigene Rolle und ihre Funktion hat Dies ist insofern richtig als der Vater und der Sohn sicherlich nicht die gleiche Person sind und mit Bestimmtheit unterschiedliche Rollen spielen - der Vater ist zum Beispiel der bdquoZeugerrdquo und der Sohn ist der bdquoVermittlerrdquo zwischen Gott und den Menschen Aber Trinitarier bestehen darauf dass sich die drei Personen der Trinitaumlt nicht nur in ihrer Identitaumlt sondern auch in ihrer funktionalen Rolle innerhalb dieser Dreifaltigkeit nicht unterscheiden Der populaumlre trinitarische Theologe Charles Stanley schreibt dass der Vater der Sohn und der Geist

alle gleichermaszligen allwissend allmaumlchtig allgegenwaumlrtig ewig und unveraumlnderlich sind waumlhrend jeder seine eigenen Funktionen hat Die Schrift zeigt wie jedes Mitglied der Dreifaltigkeit eine spezifi-sche Rolle erfuumlllt Vater Sohn und Geist sind zwar in ihren goumltt-lichen Attributen gleich doch jeder bezieht sich auf die Menschheit in einer anderen Weise weil er eine bestimmte Rolle spielt Es ist sehr wichtig diesen Unterschied zu verstehen1511

Dieser Ansicht gegenuumlber macht die Bibel keine Unterscheidung zwischen den Rollen und Funktionen des Geistes und des auferstandenen Jesus Auch der hei-lige Geist wird in Johannes 1426 als bdquoder Fuumlrsprecherrdquo [bdquoparakletosrdquo] bezeichnet und als der Vermittler der in unserem Namen bei Gott interveniert (Roumlmer 826-27) Aber Johannes schreibt dass bdquoso haben wir einen Fuumlrsprecher bei dem Vater [und

1511 Charles Stanley ldquoThe Truth About the Trinityrdquo In Touch with Dr Charles Stanley InTouch Minis-

tries 16 February 2010 Web July 21 2015 (Die Wahrheit uumlber die Trinitaumlt)

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zwar] Jesus Christus den Gerechtenrdquo (1 Joh 21) Die Frage ist [trinitarisch] verwir-rend Welche Person ist nun der Fuumlrsprecher zwischen uns und dem Vater Ist es die dritte Person oder die zweite Person [der Gottheit] Sind es beide Keinesfalls beide denn es gibt nur einen Vermittler zwischen Mensch und Gott und es ist ausdruumlcklich der Mensch Jesus Bestimmt ist es keine nicht-menschliche dritte Person die eindeutig nicht Jesus ist bdquoDenn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen der Mensch Christus Jesusrdquo (1 Tim 25) Nach der Auffahrt Jesu in den Himmel wird der Geist im christlichen Denken offensichtlich austauschbar mit Jesus verwendet wie Roumlmer 89-11 zeigt Aber diese Klippe wird von ortho-doxen [trinitarischen] Uumlbersetzern oft umschifft So sah sich Augustinus gezwun-gen zu schreiben um die Unterscheidung der Personen der Dreifaltigkeit zu wah-ren bdquoDer Sohn ist nicht der Heilige Geistrdquo1512 Der Apostel Paulus hingegen hatte geschrieben dass bdquoder Herr [Jesus] der Geist istrdquo (2 Kor 317) Paulus spekulierte nicht uumlber die metaphysische Unterscheidung von Personen er glaubte auch nicht dass mit bdquoder Geistrdquo eine andere Person bezeichnet als Jesus Fuumlr Paulus ist der Geist der Herr Jesus durch den die [geistliche] Kraft Gottes wirkt

Nichts belegt eine konsequente Trennung der Funktionen der Personen durch die Apostel hier zeigt sich eine grundlegende Diskrepanz zwischen der Bibel und der orthodoxen Interpretation Trinitarier sagen dies beweise dass sie alle drei bdquoderselbe Gottrdquo seien Was koumlnnte die Einzigartigkeit ihrer Theorie ausmachen so fragen wir uns was koumlnnte sie zB gegenuumlber dem rivalisierenden Modalismus abheben Diese Theologie besagt naumlmlich dass Vater Sohn und Geist einfach drei Modi [drei Manifestationen von modus] desselben goumlttlichen Wesens seien Doch genau das ist es nicht was die Orthodoxie lehrt sie verlangt eine echte Un-terscheidung zwischen den Personen - drei voumlllig verschiedene Personen mit un-terschiedlichen Rollen die an einer goumlttlichen Essenz teilhaben Es scheint dem orthodoxen Glaumlubigen ein gefaumlhrlicher Weg zu sein das wichtigste Merkmal der Dreifaltigkeit praktisch aufzugeben und die Linien zwischen den Personen zu verwischen Wenn die Lehre im Text verloren geht riskiert man uumlber bdquoder Flamme der Ketzere zu baumelnrdquo Tatsaumlchlich droht das Athanasianische Glau-bensbekenntnis mit der sicheren Verdammnis fuumlr jeden der die [drei] Personen vermischt oder durcheinander bringt1513 Demgegenuumlber scheint die Bibel selbst unablaumlssig die drei hypothetischen Gott-Personen zu bdquovermischenrdquo sollte es sie in Wirklichkeit geben So ist die dritte Person ist mal diejenige die begreift wann sie die erste Person spielen sollte (Lukas 135) dann wieder plaumldiert die dritte Person wann sie die Rolle der zweiten Person uumlbernehmen sollte (Joh 1426)

1512 Augustine On Christian Doctrine 1 5 5 1513 bdquoOhne dabei die Personen zu vermischen und ohne die Wesenheit zu trennen Denn eine Person ist

die des Vaters eine andere die des Sohnes eine andere die des Heiligen Geistes Nur wer dies aufrichtig und fest glaubt wird selig werden koumlnnenrdquo (Athanasianisches Bekenntnis ca 500 n Chr)

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und die dritte Person tut die Werke fuumlr welche eigentlich die erste Person zu-staumlndig sein muumlsste (Joh 1410) usw Waumlre es nicht viel praktischer zu sagen dass der Geist lediglich den Einfluss des Vaters und des Sohnes in ihren verschie-denen Faumlhigkeiten ausuumlbt Damit wird das ganze Durcheinander vermieden

Zusammenfassend laumlsst sich sagen dass wir die Voreingenommenheit vieler mo-derner Bibeluumlbersetzer und ihre Verschleierungsversuche der Natur des Geistes feststellen koumlnnen Waumlhrend das literarische Werkzeug der Personifizierung des Geistes als unwiderlegbarer Beweis fuumlr die selbstaumlndige Persoumlnlichkeit des heili-gen Geistes vorgebracht wird ignoriert man die Beispiele der literarischen Perso-nifikation des Geistes an anderen Stellen in der Bibelliteratur Ohne die Froumlm-migkeit oder die Absichten eines Uumlbersetzers beurteilen zu wollen faumlllt selbst bei einer oberflaumlchlichen Untersuchung der mutmaszliglichen bdquodritten Personrdquo des drei-einigen Gottes ein schwerwiegender theologischer Notstand auf Die orthodoxe [trinitarische] Vorstellung von Gott bewegt sich prekaumlr am Rande der Nachlaumls-sigkeit vielleicht sogar des Missbrauchs der Bibelsprache Eine radikale Neube-trachtung der Theologie des Neuen Testaments des Gottes von Jesus ist drin-gend erforderlich Da bereits mehr als die Haumllfte aller Evangelikalen gemaumlszlig der Umfrage die dritte Person nicht anerkennen1514 stellt sich die Lehre von der Gottheit oder Divinitaumlt des heiligen Geistes als das schwaumlchste Glied des traditi-onellen Systems dar Die uumlberlieferte orthodoxe Trinitaumltstheorie droht zusam-menzubrechen

1514 Kevin P Emmert ldquoNew Poll Finds Evangelicalrsquos Favorite Heresiesrdquo Christianity Today 28 October

2014 Web 14 November 2014

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bdquoZu oft halten wir an Klischees unserer Vorfahren fest Wir unterwerfen alle Fak-ten einem vorgefertigten Auslegungswerk Wir genieszligen die Bequemlichkeit der Mei-nung ohne das Unbehagen des Denkensrdquo

ndash John F Kennedy (Yale June 11 1962)

M LAUFE DIESER UNTERSUCHUNG haben wir versucht zu beantwor-ten ob das trinitarische Dogma die beste Erklaumlrung fuumlr die historische The-ologie Jesu liefere oder nicht und ob es eine praktikablere Alternative gaumlbe

Wir haben unvoreingenommen die wesentlichen Merkmale des Dreifaltigkeits-Dogmas untersucht das Drei-in-Eins-Paradoxon die Prauml-Existenz die Inkarna-tion und die Dualitaumlt Christi die persoumlnliche Gottheit des heiligen Geistes - und wir haben die eigenartigen Ansichten der Metaphysik gefunden die diese Sicht-weisen nicht mit den Worten der biblischen Autoren sondern mit den verschie-denen Philosophien der Geschichte ermoumlglichten

Es ist klargeworden dass das Problem des christlichen Dogmas im subversiven hellenistischen Synkretismus liegt der in den fruumlhen Jahrhunderten stattfand und in der Frage wie diese Verschmelzung von Religionen die urchristlichen Lesarten der [Hebraumlischen] Bibel beeinflusste Wie Anthony Buzzard vermutet bdquoDie fruuml-hen Kirchenvaumlter begeistert vom Gnostizismus haben die Schriften des Johan-nes missverstanden die Untersuchung der Beweise im uumlbrigen Neuen Testament und im gesamten Alten Testaments vernachlaumlssigt sich auf eine Handvoll schwie-riger paulinischer Verse gestuumltzt und einen buchstaumlblich prauml-existenten Jesus prauml-sentiert Aber das war nicht mehr der Jesus der Bibelrdquo1515

1515 Buzzard Jesus Was Not a Trinitarian p 336 (Jesus war kein Trinitarier)

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Die Kirchenvaumlter kaumlmpften Jahrhunderte lang um die duale [Gott-Mensch] Na-tur dieses vorexistenten Jesus in einem nicht-gnostischen Sinne aufrecht zu er-halten Sie arbeiteten unermuumldlich daran den drei-persoumlnlichen Gott in einer Weise auszudruumlcken welche die griechische Philosophie und den Monotheismus gegenseitig schuumltzte Sie versuchten diese Leistungen zu vollbringen um weder der Heiligen Schrift noch der Vernunft Gewalt anzutun Dennoch hallt der ge-waltige Zusammenbruch ihres klaumlglichen Versagens bei jedem dieser Punkte bis in unsere heutige Zeit nach

Wahrlich der wachsende Dissens der ersten christlichen Jahrhunderte ist nie mehr verschwunden er ist nur verinnerlicht und gedaumlmpft worden Viele Glaumlu-bige tragen die groszligen Kontroversen immer noch voumlllig unbewusst mit sich herum waumlhrend diejenigen welche die konziliaren Normen ablehnen verurteilt werden obwohl ihre Richter selber verurteilungswuumlrdige Ansichten vertreten Im Mainstream-Christentum finden wir dass weiterhin starker Druck ausgeuumlbt wird und ein Christus mit einer Weltanschauung gepredigt wird die ihm und seinen Aposteln fremd waumlre Der biblische Gott selbst wird in einem religioumlsen Rahmen betrachtet der nicht von ihm vermittelt wurde So wird festgestellt dass die Bibel nur noch ein praumlchtiges Lippenbekenntnis ist ihre populaumlren und beliebten Leh-ren sind wirklich unzureichend Sie erfordern auch heute noch die Faumlhigkeit von Philosophen die sie fuumlr den richtigen [orthodoxen] rettenden Glauben nuumltzlich und verstaumlndlich machen

Im Ruumlckblick haben sich die Platoniker und Gnostiker die sich in den ersten Jahrhunderten an den christlichen Glauben klammerten von ihren Philosophien nie ganz losgeloumlst Ihre Philosophien uumlberlebten wandelten sich und verbanden sich mit dem Herzen und mit der Seele der katholischen Kirchenfuumlhrung So mutierten die groszligen Mystiker der Antike Sie wurden die geistlichen Fuumlhrer die Helden die vertrauenswuumlrdigen Doktoren des Glaubens welche ndash bildlich gespro-chen - theologische Heilmittel vertrieben fuumlr Beschwerden die der wahre biblische Glaube gar nie hatte An unseren Universitaumlten werden immer noch Vorlesungen gehalten die von ihrem Geist durchdrungen sind Sie sitzen in unseren Kirchen-baumlnken und predigen von unsren Kanzeln die formalen Glaubensbekenntnisse entstammen ihrem Denken und ihrer Feder Doch in jedem bdquochristlichenrdquo Zeit-alter hat sich ihre Fuumlhrung fuumlr die Glaumlubigen als wenig hilfreich ja sogar als ver-wirrend erwiesen Ein evangelischer Professor fuumlr Kirchengeschichte schreibt

Meine Schlussfolgerung uumlber die Lehre von der Dreifaltigkeit ist also dass es sich um ein kuumlnstliches Konstrukt handelt Es er-zeugt eher Verwirrung als Klaumlrung und waumlhrend die Probleme mit denen sich die Doktrin beschaumlftigt real sein moumlgen sind die Louml-

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sungen die sie bietet nicht aufschlussreich Sie hat bei vielen Chris-ten dunkle und mysterioumlse Ansichten hervorgerufen die letztlich bedeutungslos sind1516

Die Trinitaumltslehre mag tatsaumlchlich ein Konstrukt sein aber sind die Probleme die sie anspricht wirklich real Besteht eine groszlige Kluft zwischen dem Alten und Neuen Testament die nur die Dreieinigkeit uumlberbruumlcken kann Unterscheidet sich die Sprache des biblischen Jesus so sehr von seinem zeitgenoumlssischen Juden-tum dass er zwingend als Allmaumlchtiger Gott aufgebaut und seine Lehre als neue Religion akzeptiert werden muss die [mit dem Judentum] letztendlich unverein-bar ist

Das Athanasianische Glaubensbekenntnis das heute noch so oft wiederholt wird sagt uumlber den Glauben an die Lehre der Dreifaltigkeit bdquoWir werden von der christlichen Wahrheit gezwungenrdquo1517 und wenn man christliche Wahrheit sagt gehen wir davon aus dass sie die Heiligen Schriften beinhaltet Aber zwingt uns die Bibel wirklich Jesus Christus und den heiligen Geist als mit Gott dem Vater gleichbe-rechtigte ihm ebenbuumlrtige Mitglieder der Gottheit anzuerkennen als gaumlbe es keine andere Alternative Nein wie wir gesehen haben gibt es einen anderen zufriedenstellenden Ansatz fuumlr die vorliegenden biblischen Beweise der die Re-geln der Sprache und die Vernunft gleichermaszligen beruumlcksichtigt einen Ansatz dessen Quelle und Ratschlaumlge direkt auf den historischen Jesus Christus zuruumlck-gehen

Was wir also hier als abenteuerliche Geschichte der orthodoxen Theologie uumlber-blickt haben ist wirklich nur eine Seite in der bewegten Geschichte der mensch-lichen Religion Der moderne Trinitarismus ist nur ein Strom der in ein riesiges Meer religioumlsen Austauschs flieszligt und in ein Meer muumlndet in dem alle heidni-schen Spekulationen auftauchen die versuchen eine groszlige Leere zu fuumlllen Die-ses Vakuum das auch die Dreifaltigkeitsdoktrin so verzweifelt zu fuumlllen suchte ist der bodenlose Abgrund zwischen Gott und dem Menschen Aber fuumlr diejeni-gen welche die Botschaft der Bibel uumlber alles andere wertschaumltzen ist dies eine Kluft die nur durch die Lehren Christi uumlberbruumlckt werden kann Wie wir gesehen haben gibt es in diesen Lehren Christi nichts anderes als einen ungeteilten und unbestreitbaren Monotheismus In der Trinitaumlt ist nicht der Gott von Jesus

Die feierliche Schlussfolgerung dieses Buches das im Lichte der vorangegange-nen Beweise zu Recht zu betrachten ist lautet dass weder Jesus noch seine fruuml-hesten Anhaumlnger ihn als identisch oder kongruent mit dem einen wahren Gott Israels sondern als den Menschensohn des einen wahren Gottes darstellen Jesus

1516 Richardson The Doctrine of the Trinity pp 148-149 1517 Athanasianisches Bekenntnis ca 500 n Chr

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Christus ist ein einzigartiger uumlbernatuumlrlich gezeugter Mensch der von Gott ge-salbt und ermaumlchtigt wurde als Gottes Vertreter das rettende Werk zu vollenden Jesus war der Mensch den Gott von den Toten auferstehen lieszlig und den er zur Quelle der Erloumlsung fuumlr alle gemacht hat die ihm gehorchen Der Gott der juumldi-schen Schriften ist daher nicht ein seltsames tri-persoumlnliches Wesen der post-apostolischen trinitarischen Theologie Gott ist die monolithische Identitaumlt einer Person beschrieben in den Glaubensbekenntnissen unitarischer Christen und Ju-den die Entitaumlt die Jesus ausschlieszliglich als seinen eigenen Gott und Vater iden-tifizierte Der heilige Geist ist ebenfalls keine selbstaumlndige dritte Person in der Gottheit der bdquoDritte im Bunderdquo Er ist die Kraft und der persoumlnliche geis-tiggeistliche Einfluss des Vaters Nach der Verherrlichung ist der Geist auch die Kraft und der Einfluss Christi Die neutestamentliche Sprache die sich auf diese Informationen bezieht ist eine Sprache die das spaumltere orthodoxe Christentum waumlhrend Jahrhunderten als Hinweis auf trinitarische Prinzipien umfunktioniert hat Diese Sprache reflektiert zwar tief juumldische Traditionen die im Alten Testa-ment und in der juumldischen Literatur der Aumlra des Zweiten Tempels zu finden sind Die Meinungen der neutestamentlichen Autoren wurden jedoch durch die syste-matischen Interpretationen der antiken Philosophen in grober Weise missver-standen oder anderweitig missbraucht Ihre kuumlhnen wenn auch heute kaum ver-standenen oder aufoktroyierten Schlussfolgerungen sind heute noch in den meis-ten christlichen Kreisen in den Textbuumlchern zu finden Aber wenn all diese Dinge wie in diesem vorliegenden Buch so leicht demontriert werden koumlnnen aus welchem Grund muumlssten wir uns weiterhin mit den abstrusen Systemen der sogenannt christlichen Dogmatik herumschlagen Letztendlich sehen wir uns veranlasst mit Professor Kaiser uumlbereinzustimmen dass bdquodie Lehre der Kirche von der Dreifaltigkeit etwa am weitesten vom Denken Jesu und von der Autoren des Neuen Testaments entfernt zu sein scheintrdquo Wir sind ferner gezwungen uns zu fragen bdquoob es uumlberhaupt hilfreich ist auf ein solches Dogma zu verweisen um die Theologie des Neuen Testaments zu erfassenrdquo1518 In Wirklichkeit stellt das Neue Testament kein Chalcedonisches bdquoGeheimnisrdquo dar sondern eine menschliche Christologie die vor dem Hintergrund des juumldischen Monotheismus steht und durch das Objektiv des Hebraumlischen Gesetzes der Handlungsvollmacht projiziert wird Wir sind dann nicht gezwungen das mysterioumlse Trinitaumltsdogma wie es das Athanasianische Credo beinhaltet zu akzeptieren Wir haben eine klare Wahl

Unsere Kritik an der Trinitaumltslehre ist zugegebenermaszligen aufwendig und an-spruchsvoll Sie findet ihre Motivation nicht in der Angst vor einem nur schwer verstaumlndlichen theologischen Rahmen Die von der Orthodoxie vorgeschlagenen

1518 Christopher B Kaiser The Doctrine of God (Eugene Wipf amp Stock 2001) p 27 (Die Doktrin von

Gott)

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Formulierungen der christlichen Bekenntnisse ob sie nun von den Heiden geerbt wurden oder nicht stellen uumlberhaupt keine verstaumlndlichen Ideen dar Im Lichte unserer Abhandlung fragen wir uns nur ob der moderne Christ und die Christin sich bewegen lassen werden sich aus ihrer gegenwaumlrtigen geistlichen Zwangsja-cke zu befreien Werden sie das unverfaumllschte Zeugnis des historischen Jesus Christus uumlber Gott seinen Vater als die unverfaumllschte und notwendige Lehre schaumltzen oder werden sie die aus der Antike stammende Verwirrung mit pseudo-biblischem Anstrich weiterhin als wesentlichen Begleiter der christlichen Bot-schaft halten

Wie bereits gesagt wurde gleicht die Theologie einer Festung Kein Riss in der Mauer einer Festung darf als klein oder zu unbedeutend angesehen werden1519 Der treue Anhaumlnger kann sein Bestes tun um die Schwaumlchen des Dogmas zu uumlbertuumlnchen um seine bdquoLoumlcherrdquo mit peinlichen Argumenten zu fuumlllen die mehr Streitereien um Worte als dauerhafte Loumlsungen hervorrufen Aber letztendlich sollte bdquoneuer Wein nicht in alte Schlaumlucherdquo gefuumlllt werden Ein aufwendiger Ab-bruch der Festung und ein kostspieliger Wiederaufbau sind manchmal noumltig und angebracht Wie W R Inge einmal sagte ist die platonische Philosophie integra-ler Teil der bdquovitalen Strukturrdquo der christlichen Theologie geworden Es wird un-moumlglich sein den Platonismus aus dem Christentum zu verbannen ohne die ge-samte Religion in Stuumlcke zu reiszligen1520 Doch die Dekonstruktion des geliebten Dogmas muss nicht ganz so schmerzhaft sein wie es klingt Uns bleibt der Spiel-raum der Reflexion eine Moumlglichkeit das Beste aus dem christlichen Glauben zu retten und die Dinge zu erhellen die allen Menschen helfen mehr wie Jesus Christus zu sein und die nutzlosen verwirrenden unbiblischen und schaumldlichen Dinge zu verwerfen die ihn und seine Lehre behindern Unabhaumlngig vom sozia-len Wert muss alles was erschuumlttert werden kann erschuumlttert werden Was dann von der landlaumlufigen christlichen Lehre noch uumlbrig bleibt wird nicht weniger als die Wahrheit sein die Gott selbst vorgegeben hat Daruumlber hinaus gibt es keinen groumlszligeren Schatz Wie ein Dichter meinte

Es ist ein Vergnuumlgen am Ufer zu stehen und Schiffe zu sehen die auf das Meer hinausfahren ein Genuss am Fenster einer Burg zu stehen und eine Schlacht und deren Kampfverlauf da unten zu se-hen Aber kein Vergnuumlgen ist vergleichbar mit der Beobachtung vom Aussichtsturm der Wahrheit aus und dem Anblick der Irrun-gen und Wirrungen im Sturm oder im Nebel des Tals darunter1521

1519 Arthur Miller The Crucible 1953 (Der Schmelztiegel die Feuerprobe) 1520 W R Inge The Philosophy of Plotinus (London Longmans 1918) p 12 14 (Die Philosophie des

Plotinus) 1521 Sir Francis Bacon Essays Of Truth 1625

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Doch die Menschen haben im Laufe ihrer Geschichte nichts so sehr geschaumltzt wie die Behaglichkeit des ihnen Vertrauten Wenn Wahrheit und Brauchtum kol-lidieren erweist sich der Brauch fast immer als staumlrker Tradition hat in allen Al-tersgruppen und uumlber alle Grenzen hinweg viele Anhaumlnger die ihr Gewicht ver-leihen Institutionen geben der Uumlberlieferung die Kraft den Vormarsch von neuen und unpopulaumlren Fakten zu stoppen Aber wie viel mehr Wasser von Gott muss durch die vielen Risse im Staudamm des offiziellen Dogmas sickern bevor er bricht Wie groszlig muss die wachsende Flut der Beweise noch werden Egal welche Wichtigkeit dieser Damm auch haben mag ungeachtet der vielen Jahr-hunderte seiner Konstruktion oder wie sehr er auch bewundert wird wenn seine Basis fehlerhaft konstruiert ist wird der Deich den Strom der Wahrheit nicht aufhalten koumlnnen

Letzten Endes sind es die Menschen die sich am meisten um solche Dinge kuumlm-mern muumlssen Es braucht eine direkte Konfrontation versehen mit den Bewei-sen die der Gott von Jesus selber liefern wird

Wie Christus selbst verspricht

Doch es kommt die Zeit ndash ja sie ist schon da ndash in der die Menschen den Vater uumlberall anbeten werden weil sie von sei-nem Geist und seiner Wahrheit erfuumlllt sind Von solchen Men-schen will der Vater angebetet werden Denn Gott ist Geist Und wer Gott anbeten will muss von seinem Geist erfuumlllt sein und in seiner Wahrheit leben

(Johannes 423-24)

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WeitereInformationen

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Christian Monotheism

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21st Century Reformation httpwww21stcrorg

Trinities Blog ndash Dr Dale Tuggy

httptrinitiesorg

TheGodofJesuscom httpthegodofjesuscom

The Human Jesus

httpthehumanjesusorg

Buried Deep Blog ndash Kegan A Chandler httpburieddeepblogwordpresscom

OtherPublicationsofRestorationFellowship

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Jesus Was Not a Trinitarian (2007) The Law the Sabbath and New Testament Christianity (2005)

The One God the Father One Man Messiah Translation (2015) Our Fathers Who Arenrsquot in Heaven (1999) They Never Told Me This in Church (2010) What Happens When We Die (booklet)

Who is Jesus (booklet) Focus on the Kingdom (free monthly magazine)

Restoration Fellowship wwwrestorationfellowshiporg

Atlanta Bible College (800-347-4261)

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