die amaterasu‐mythe im alten japan und die sonnenfinsternismythe in südostasien

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This article was downloaded by: [York University Libraries] On: 17 November 2014, At: 23:04 Publisher: Routledge Informa Ltd Registered in England and Wales Registered Number: 1072954 Registered office: Mortimer House, 37-41 Mortimer Street, London W1T 3JH, UK Ethnos: Journal of Anthropology Publication details, including instructions for authors and subscription information: http://www.tandfonline.com/loi/retn20 Die amaterasumythe im alten Japan und die sonnenfinsternismythe in Südostasien Taryo Obayashi a a University of Tokyo Published online: 20 Jul 2010. To cite this article: Taryo Obayashi (1960) Die amaterasumythe im alten Japan und die sonnenfinsternismythe in Südostasien, Ethnos: Journal of Anthropology, 25:1-2, 20-43, DOI: 10.1080/00141844.1960.9980879 To link to this article: http://dx.doi.org/10.1080/00141844.1960.9980879 PLEASE SCROLL DOWN FOR ARTICLE Taylor & Francis makes every effort to ensure the accuracy of all the information (the “Content”) contained in the publications on our platform. However, Taylor & Francis, our agents, and our licensors make no representations or warranties whatsoever as to the accuracy, completeness, or suitability for any purpose of the Content. Any opinions and views expressed in this publication are the opinions and views of the authors, and are not the views of or endorsed by Taylor & Francis. The accuracy of the Content should not be relied upon and should be independently verified with primary sources of information. Taylor and Francis shall not be liable for any losses, actions, claims, proceedings, demands, costs, expenses, damages, and other liabilities whatsoever or howsoever caused arising directly or indirectly in connection with, in relation to or arising out of the use of the Content.

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Page 1: Die amaterasu‐mythe im alten Japan und die sonnenfinsternismythe in Südostasien

This article was downloaded by: [York University Libraries]On: 17 November 2014, At: 23:04Publisher: RoutledgeInforma Ltd Registered in England and Wales Registered Number: 1072954Registered office: Mortimer House, 37-41 Mortimer Street, London W1T 3JH,UK

Ethnos: Journal ofAnthropologyPublication details, including instructions for authorsand subscription information:http://www.tandfonline.com/loi/retn20

Die amaterasu‐mytheim alten Japan und diesonnenfinsternismythe inSüdostasienTaryo Obayashi aa University of TokyoPublished online: 20 Jul 2010.

To cite this article: Taryo Obayashi (1960) Die amaterasu‐mythe im alten Japan unddie sonnenfinsternismythe in Südostasien, Ethnos: Journal of Anthropology, 25:1-2,20-43, DOI: 10.1080/00141844.1960.9980879

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Die Amaterasu-Mythe im alten Japanund die Sonnenfinsternismythein Südostasien

TARYO OBAYASHIUniversity of Tokyo

i. Einleitung

Amaterasu, die Sonnengöttin des alten Japans, hat zwei jüngereBrüder. Der eine heisst Tsukuyomi-no-mikoto (Mondgott) und derandere Susanoo-no-mikoto (Gott mit heftigem Temperament). Derletztere ärgert seine Schwester in verschiedener Weise: er zerstört ihreReisfelder und wirft ein gehäutetes Pferd in die Webhütte seinerSchwester, während sie gerade am Webestuhl sitzt, u. s. w. Traurigund angeekelt von seinem schlechten Benehmen versteckt sie sich ineiner Felsenhöhle. Dann herrscht Finsternis und alle bösen Geistersind am Werk. Den Göttern der »Himmlischen Welt« gelingt esaber, die Sonnengöttin wieder aus der Felsenhöhle herauszuholen.Das Licht tritt die Herrschaft wieder an. In der Zwischenzeit wurdeder schlechte Bruder, Susanoo, von der »Himmlischen Welt« nachder »Irdischen Welt« verbannt. Dies ist die bekannte Amaterasu-Mythe, die uns die alten japanischen Chroniken, Kojiki (7 n. Chr.)und Nihon-shoki (720 n. Chr.), erzählen.

Diese oben geschilderte Geschichte enthält viele Züge und Motive.Wir möchten hier zum Beispiel nur die Studien von Otto Maenchen-

1 Die vorliegende Arbeit stellt eine revidierte Version eines Teiles meines injapanischer Sprache publizierten Aufsatzes (Obayashi 1956) dar. Der Verfasserdankt an dieser Stelle Frl. Dr. Steffi Schmidt (Tokio) für die Verbesserung desDeutschen.

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Helfen erwähnen, der einerseits Zusammenhänge zwischen derAmaterasu-Mythe und Schwanenjungfrau-Märchen behandelt (1937)und andererseits die zirkumpazifische Verbreitung des Motives, dassdie Sonne aus einer Höhle oder einem Kasten durch List oder durchdas Zeigen eines bestimmten Gegenstandes herausgeholt wird (1936,vergleiche auch Ishida 1956:41—68), feststellte. Masao Oka vertrittnun die Meinung, dass die Amaterasu-Mythe ihre nächsten Variantenin Südchina (bei den Miao) bzw. in Hinterindien (bei den AngamiNaga und Khasi) hat. Dort spielen nämlich Hühner beim Heraus-holen der Sonne aus ihrem Versteck genau so eine grosse Rolle wiein der Amaterasu-Mythe. Ferner versucht Oka seine Ansicht zu er-härten, indem er anführt, dass die Etymologie von »tera« (Ableitungvon »ter« = scheinen) in »Amaterasu« austrischer Herkunft sei(Ishida, Oka, Egami, und Yahata 1958:47—48).

2. Sonnenschwester und Mondbruder

Auch meine Untersuchungen haben ergeben, dass die Amaterasu-Mythe ihre engsten Verwandten in Hinterindien hat, obwohl sichmeine Begründung von der Oka's unterscheidet. Mein Ausgangspunktist die Tatsache, dass man sich die Sonnengöttin, den Mondgott undSusanoo im alten Japan als Geschwister vorstellte. Leo Frobenius hatbekanntlich gezeigt, dass die Vorstellung von Sonnengatten undMondgattin eine ganz andere Verbreitung hat als die Vorstellungvon Sonnenschwester und Mondbruder. Die erste ist in Südasien, inder Südsee sowie in Mittelamerika zu Hause, während die letztereim weiten Gebiet vom Rhein bis Grönland (z. B. in der Edda, inLitauen, Russland, Serbien, Bulgarien, Mazedonien, bei den Samo-yeden, Ostjaken, Mongolen, Japanern, Tschuktschen, Nordwest-indianern, Eskimos und Algonkin) verbreitet ist (Frobenius 1904:346—347, 1929:256—262, 1938: 116). Selbstverständlich gehört dieAmaterasu-Mythe zur letzteren Kategorie der Konstellation. DieStudie von Frobenius ist freilich als eine grosse Pionierleistung zu

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werten;,sie ist aber noch sehr"lückenhaft, soweit sie'Os'tasien undHihterindien betrifft 'Tatsächlich kommt die Vorstellung' von Son-nerischwester und Mondbruder auch in den genannten Gebieten oftvor.

Wenden wir uns nun den Beispielen aus Ostasien und Hinter-indien zu.

Korea

Obwohl in einer in klassischem Chinesisch verfassten Quelle (San-kuo-i-shih Bd. 1) aus dem 13. Jahrhundert die Sonne (Lang-Raben-Mann) und der Mond (Klein-Raben-Frau) als ein Ehepaar dargestelltwerden, erzählen rezente Märchen von Sonnenschwester und Mond-bruder: Der Bruder steigt in den Himmel auf und wird zum Mond,seine Schwester steigt in den Himmel auf und wird zur Sonne. Nacheiner anderen Fassung werden drei Schwestern zu Sonne, Mond undStern. Dieses Motiv stellt eins der allgemeinst verbreiteten in denVolksmärchen Koreas dar (Son 1930: j—9, und Anhang 1, Nishi-mura 1926: 204—213). Ich möchte annehmen, dass die Geschwister-Konstellation in Korea eingeboren und älter als die Ehepaar-Kon-stellation ist, und dass die Vorstellung von Sonne und Mond alsEhepaar in der alten, in klassischem Chinesisch geschriebenen Chro-nik dem konfuzianischen Einfluss zu verdanken ist.

China

Nach der offiziellen Doktrin des Konfuzianismus ist die Sonnemännlich und der Mond weiblich. Trotzdem erzählen uns Volks-märchen aus Südost-China (Chekiang, Hupei und Kwangtung): Inalten Zeiten war die Sonne männlich, der Mond aber weiblich. DerMond schämte sich sehr, weil die Menschen ihn anschauten, undwurde zur Sonne (Eberhard 1937:113). Also Sonne und Mondwechselten ihre Funktionen, und die Sonne ist seitdem weiblich! DasMotiv der wechselnden Funktionen von Sonne und Mond kommt

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auch in Korea (Son 1930: 8—9), Indochina und Assam vor, wo manfast einstimmig Sonne und Mond für Geschwister erklärt (Sieheunten). "Wahrscheinlich war auch in Südost-China die Sonne die•Schwester und der Mond der Bruder. Dort sind sie auch manchmalSchwestern (Siehe unten). Diese Annahme, dass Sonne und MondGeschwister seien, wird ferner durch die Überlieferung bekräftigt,dass Sonne und Mond aus demselben "Weltriesen geboren seien. AlsPanku, der "Weltriese Südost-Chinas, starb, wurden seine Augen zuSonne und Mond (Shui-i-chi aus dem 6. Jahrhundert). Dies weistauch darauf hin, dass man sich Sonne und Mond in Südost-Chinaals Geschwister vorstellte. Auch in Japan (Kojiki und Nihon-shoki)und auf der Insel Nias, Indonesien (Maass 1924: 46) sind Sonne undMond aus den Augen eines Weltriesens geboren und werden alsGeschwister angesehen.

Es liegt nahe anzunehmen, dass die Vorstellung von Sonnen-schwester und Mondbruder — bzw. — Schwester eigentlich zursüdostchinesischen Lokalkultur gehört, die ursprünglich nicht hoch-chinesisch und nicht konfuzianistisch war und vieles mit Süd-Korea,West-Japan und Hinterindien gemeinsam hatte.

Indochina

Der nördliche Teil Indochinas erfuhr im Laufe der Geschichtevielerlei Einflüsse der chinesischen Hochkultur, insbesondere des Kon-fuzianismus. Die Annamiten z. B. glauben, dass der Mond die Gattinder Sonne ist (Cabaton 1908: 538), auch die Tho sind Anhänger derYin-Yang-Lehre. Danach stellen Sonne und Himmel das männlichePrinzip des "Weltalls (yang) und Mond und Erde das weibliche (yin)dar (Abadie 1924: 54, vgl. auch das annamitische Yin-Yang System.Diguet 1906: 228—:23e).

Über den Einflussbann der chinesischen Hochkultur hinaus be-wahren jedoch die Moi Stämme ihre eigenen Vorstellungen. Den Sresind Sonne und Mond Schwester und Bruder: In alten Zeiten pflegtedie Sonne des Nachts auszugehen, der Mond aber am Tage. Der weiss

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gekleidete Stutzer, der Mond, war aber unzufrieden, da er fürchtete,beschmutzt zu werden, wenn er über die Dörfer ginge, wo die Frauenschmutzige Kleider wuschen und Schweine und Hühner die Strassenbeschmutzten. Deshalb nähme er sich vor, des Nachts auszugehen,und befahl seiner Schwester, der Sonne, am Tage spazierenzugehen.Die Röngao halten Sonne und Mond für Schwestern. Da es zu heisswar, als der Mond am Tage schien, warf man Asche auf den Mond,um sein Licht zu mildern. Seitdem scheint der Mond des Nachts unddie Sonne männlicher Mond ist bei allen Moi Stämmen weitver-breitet (Dam Bo 1949: 1131—1132).

Interessant ist, dass Sonne und Mond auch in Südost-China(Kwantung und Chekiang) Schwestern sind (Eberhard 1937: 113).Weiter finden wir diese Vorstellung noch bei den Semang (Skeatund Blagden 1906. II: 202—203) und bei den Mintra auf der malaii-schen Halbinsel (Tylor 1891. 1:356) und wahrscheinlich auf denNikobaren (siehe unten). Die genannte Verbreitung macht es klar,dass die Mon-Khmer Völker (Austroasiaten) sich Sonne und Mondals Geschwister, manchmal als Schwestern vorstellen. Andererseitsglauben die Miao (ein tibeto-birmanischer Stamm) in Thailand(Siam), dass die Sonne weiblich und der Mond männlich ist. Siesind aber ein Ehepaar, dem Sterne geboren worden sind. Sonne undMond sterben im Laufe der Jahre (Bernatzik 1947. I: 224—225).

Assam

Bei den Stämmen von Nord-Assam an der tibetischen Grenze, d. h.bei den Abor, Miri und Mishmi, ist die Sonne männlich und derMond weiblich (Mills 1926: 227 bei Elwin 1949: 52). Diese Vor-stellung trifft man bis ins Nordost-Naga-Gebiet hinein an. DieNordost-Naga-Stämme vertreten eine ältere Kulturschicht Hinter-indiens, die vielfach Übereinstimmung mit Neuguinea zeigt (Heine-Geldern 1928:280, Fürer-Haimendorf 1938:215—216). Hier habenwir die männliche Sonne und den weiblichen Mond: bei den ThenduKonyak Naga (Mills 1935 d: 145), Thenkoh Konyak Naga (Mills

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1935 e: 146), Chang Naga (Mills 1935 c: 144), nördlichen SangtamNaga (Mills 1935 b: 131). Zu bemerken ist ferner, dass keine klareGeschwistervorstellung von ihnen berichtet wird. Vielleicht stelltman sich Sonne und Mond als ein Ehepaar vor; denn die ThenduKonyak Naga und Thenkoh Konyak Naga schreiben Finsternissedem Geschlechtsverkehr zwischen Sonne und Mond zu.

Sonst treffen wir in Assam eine Reihe von Vorstellungen an, nachdenen die Sonne als Schwester und der Mond als Bruder gilt. DieseVorstellung ist sogar aus dem Nordost-Naga Gebiete bekannt: Beiden Naga in der Patkoi Gegend erfuhr der bekannte Forscher Huttondie folgende Geschichte: Ursprünglich war die Sonne die Schwesterund der Mond der Bruder. Sie hatten aber Streit, und der Mondbrannte in plötzlicher Aufwallung alles auf der Erde nieder. EinBaum aber stürzte auf ihn, und er starb. Nachher starb auch dieSonne aus Trauer um ihren Bruder. Sie sind aber später mit um-gekehrten Geschlechtern wiedergeboren. (Mills 1926: 299 bei Elwin1949: 55). Die Konstellation von weiblicher Sonne und männlichemMond ist im zentralen Assam herrschend. Dieses Gebiet stellt einejüngere Kulturschicht Assams dar. Ich erinnere nur daran, dass dasMegalithentum bei den West-Naga Stämmen, zumal bei den Angami-Naga, sehr ausgeprägt ist (Heine-Geldern 1928: 280—281). Die SemaNaga betrachten die Sonne als weiblich und den Mond als männlich(Anmerkung von Hutton bei Mills 1922: 173): Ihre Funktionenwaren einst umgekehrt. Die Sonne schien des Nachts und der Mondam Tage. Seine Hitze war derart unerträglich, dass die ganze Erdeund alles darauf ganz versengt wurden. Endlich warf ein Mann eineHandvoll Kuhfladen auf das Mondgesicht. Dabei befahl er demMond, nur des Nachts zu scheinen, wo das Licht erträglicher seinwürde, und der Sonne, am Tage zu scheinen anstatt des Mondes. Dasist wirklich geschehen, und es ist noch zu sehen, wie der Kuhfladenam Mondgesicht klebt. Nicht zu übersehen ist die Tatsache, dass dieSema Naga die Sonne »tsükinhye« (? = »Auge des Himmelshauses«)nennen (Hutton 1921 b: 250). Die Lhota Naga kennen dieselbe Ge-schichte vom Wechsel der Funktionen von Sonne und Mond, aber

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über das Geschlecht von Sonne und Mond besteht keine Klarheit(Mills 1922: 172). Die Angami Naga halten die Sonne für die Gattinund den Mond für den Gatten. Die Miao in Siam aber behaup-ten, wie die Koreaner und die Südost-Chinesen, dass die weiblicheSonne wegen ihrer Angst, nachts auszugehen, am Tage scheint, undder Mond nachts (Hutton 1921 a:4ii—412). Die Lushei schreibenes auch der Angst der weiblichen Sonne, nachts auszugehen, zu, dasssie am Tage scheint und der männliche Mond nachts (Parry 1935:135). In Nord-Assam ist bei den Dafla die Sonne weiblich und derMond männlich (Mills 1926: 227 bei Elwin 1949: 52). Die KhelmaKuki im Nord-Cachar Hochland halten auch die Sonne für weiblichund den Mond für männlich (Mills und Fletcher 1935 b). Die BieteKuki vom genannten Gebiet erzählen, dass die Sonne ursprünglichweiblich und der Mond männlich war, aber später ihre Funktionenwegen der ausserordentlichen Hitze des Mondes ausgetauscht wurden(Mills und Fletcher 1935 a). Die Lakher, die südlich von den Kukiwohnen, sagen, dass die Sonne Gattin und der Mond Gatte sei, abereine Witwe, deren Kind wegen der übermässigen Hitze des Mondesgestorben war, habe aus Zorn auf das Kind des Mondes einen Speerund auf das Mondgesicht Reisbierhefe geworfen; so sei der Mondbeschmutzt und daher das Mondlicht vermindert worden (Parry1932:492—493).

In Zentral-Assam stellt man sich zwar die Sonne als weiblich undden Mond als männlich vor, aber es ist nicht klar, ob man sie fürGeschwister hält. In einigen Fällen (bei den Angami Naga undLakher) sind Sonne und Mond ein Ehepaar. In West-Assam treffenwir aber die ausgesprochene Geschwister-Konstellation wieder an.Einige Garo halten Sonne (Saljong) und Mond (Susime) für Brüder,aber andere Garo wiederum denken sie sich als Schwestern, währendeine dritte Gruppe behauptet, dass nur die Sonne weiblich sei. Dadie Sonne den Kuhfladen auf das Mondgesicht geworfen habe,scheine der Mond nicht mehr so klar wie früher (Walker 1935: 139,vgl. Playfair 1909: 81). Interessant ist es, dass die Mondflecken vonder Sonne gemacht worden seien. Damit stimmt überein, was die

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Khasi, der Mon-Khmer Stamm Assams, uns erzählen: Die Sonne (KaSngi) ist weiblich und der Mond (U Bnai) männlich. Sie sind zweivon vier Kindern eines reichen Herrn. Der Mond, der früher ebensoklar wie die Sonne schien, war ein übler Junge, der in seine eigeneSchwester Sonne (Ka Sngi) verliebt war. Als die Sonne auf seineincestuöse Absicht aufmerksam wurde, bedeckte sie aus Zorn seinGesicht mit Asche. Nachher strahlte er nur weisses Licht aus, dennsein früheres Licht war unter Asche verborgen (Bläh 1935: 141)."Wahrscheinlich lässt sich also die Geschwister-Vorstellung in Assamder austroasiatischen Schicht zuschreiben. Nun merkt Hutton, zu den»vier Kindern« eines reichen Herrn folgendes an: »Was ist aus denanderen zwei geworden? Es ist möglich, dass man sie sich als dieSchatten vorstellt, die manchmal als dunkle materielle Kugeln Son-nen- oder Mondfinsternis verursachen. Ein anderer Mon-KhmerStamm, d. h. die Palaung in Birma, bezeichnen die Sonne, denMond und den dunklen Himmelskörper, der vor ihnen geht, alsdrei Brüder« (Hutton bei Bläh 1935: 141). Diese Anmerkung ist des-halb sehr wichtig, weil sie auf ein bestimmtes Motiv bei den Mon-Khmer-Völkern hinweist. Ich habe bisher bei der Besprechung derGeschwister-Konstellation von einigen Beispielen bei den Palaungu.a. absicht l ich nicht gesprochen, da ich sie wegen ihrer "Wich-tigkeit gesondert behandeln will. Zuvor muss ich noch kurz aufZentral- und Ost-Indien eingehen.

Zentral- und Ost-Indien

Zentral- und Ost-Indien stellen ein Gebiet Indiens dar, wo insprachlicher, physisch-anthropologischer und ethnologischer Hinsichtvielerlei Beziehungen mit Hinterindien zu beobachten sind. Auch dieGedanken über Sonne und Mond machen keine Ausnahme. Die Vor-stellungen von Sonne und Mond sind in Zentral- und Ost-Indien sehrverschieden von denen des hinduistischen Gebietes einerseits und dessüdindischdrawidischen Gebietes andererseits. Aber es gibt auch einenUnterschied zwischen Zentral- bzw. Ost-Indien und Hinterindien:

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Im zuerst genannten Gebiet herrscht nämlich die Vorstellung vonmännlicher Sonne und weiblichem Mond, aber die Geschwister-Kon-stellation ist beiden Gebieten gemeinsam.

Wie Elwin sagt, ist die Vorstellung von männlicher Sonne undweiblichem Mond in Zentral-Indien allgemeiner Glaube, obwohl esnicht an Ausnahmen fehlt. Die Santal meinen, dass die Sonne einMann und der Mond seine Gattin sei. Die in den benachbartenHügeln wohnenden Sauria schliessen sich dieser Auffassung an. DieBhuiya, die die männliche Sonne mit dem Höchsten Wesen identi-fizieren, halten den Mond nicht für die Gattin der Sonne sondernfür einen jüngeren Bruder der Sonne. In diesem Fall sind Sonne undMond beide männlich. Aber die Sterne stellen die Töchter des Mon-des dar, die wahrscheinlich von einer unbekannten Lebensgefährtindes Mondes geboren worden sind. Bei den Kharia sind Sonne undMond ein Ehepaar, dessen Kinder die Sterne sind. Bei den Birhor istdie Sonne der Bruder und der Mond die Schwester (Elwin 1949: 52).Interessant ist, dass die Munda und die Turi glauben, Sonne undMond seien beide weiblich, und zwar Schwestern (Rahmann 1936:55). Wie wir schon oben gesehen haben, sind Sonne und Mond inSüdost-China und in Hinterindien manchmal Schwestern, und so istes wahrscheinlich auch auf den Nikobaren (siehe unten). Es fragt sichnun, ob die Austroasiaten eine Neigung haben, die beiden Himmels-körper als zwei Schwestern aufzufassen.

Die Erzählungen bei diesen ost- bzw. zentralindischen Stämmenzeigen auch Faden, die nach Hinterindien weisen. Die Buna in Ben-galen erzählen: Die Sonne ist der Bruder und der Mond die Schwes-ter. In alten Zeiten schien der Mond heller als die Sonne. EinesTages kam es zwischen ihnen zum Streit. Die Sonne nahm einbisschen Schlamm und warf ihn auf das Gesicht der Schwester. Dader Mond sein Gesicht nicht waschen konnte, wurde sein Lichtschwächer als das der Sonne. Die Flecken auf dem Mond sind dieverstreuten Stücke des Schlammes (Elwin 1949: 55). Dasselbe Motivhaben wir schon bei den Khasi und den Naga in Assam kennen-gelernt.

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Nach der Erzählung der Santal sind Sonne und Mond ein Ehepaar,dessen Kinder Sterne waren. Die Sterne schienen damals am Tage.Aber dem Mond gelang es durch List, die Sonne ihre Kinder auf-fressen zu lassen und ihr die Macht zu rauben, die Erde zu verbren-nen. Der Mond (Ninda Ch do) liess aber nachts seine eigenenKinder aus einem Korb frei und warnte sie vor dem Zorn derSonne, sobald diese auf den Schwindel aufmerksam würde. Als dieSonne (Sing Chando) die Mondeskinder noch lebendig wiedersah,flog sie wild vor Zorn zum Mond. Die Kinder flogen vor dem Vaterin alle Richtungen auseinander. Sie sind deswegen überall am Him-mel verstreut, obgleich sie sich ursprünglich zusammen an einem Ortaufhielten. Den Sternen ist es gelungen, vor ihrem Vater zu fliehen,der Mond aber wurde von der Sonne entzwei geschnitten, weil dieSonne ihren Zorn nicht beherrschen konnte. Dies ist der Grund,warum der Mond abnimmt und zunimmt. Er war früher ebenso vollwie die Sonne jetzt ist (Elwin 1949: $5). Die Oraon (Uraon) habeneine ähnliche Geschichte. Es schienen früher 7 Sonnen, und die ganzeWelt wäre geschmolzen, wenn der Mond es nicht verhindert hätte.Er ass eine Bel-Frucht angesichts einer der Sonnen. Diese Sonnefragte die Schwester (den Mond), was ihr so köstlich schmeckte. DieSchwester antwortete darauf, dass es einer der Sterne, d. h. einesihrer eigenen Kinder sei, und wies darauf hin, dass es genau soschmecken würde, wenn die Sonne ihrer Brüder Fleisch kochenwürde. Die Sonne tötete darauf ihre Brüder und ass sie auf. Esschmeckte ihr aber anders. Die betrogene Sonne stürzte sich mitgezogenem Schwert auf den Mond. Der Mond verbarg sich schnellin der Höhle eines Banyan-Baumes. Sein Leben wurde dadurchzwar gerettet, aber ein Stück seines Körpers abgeschnitten. Seithergibt es nur eine einzige Sonne, und der Mond hat zweimal in jedemJahr Finsternis und einen schwarzen Flecken, der die Höhle desBanyan-Baumes darstellt (Elwin 1949: 53). Dieser Typus der Mond-finsternismythe, wonach die vom Monde betrogene Sonne ihre Kin-der ( = Sterne) tötet, ist, wie schon Tylor bemerkte, nicht nur inZentral-Indien, sondern auch auf der malaiischen Halbinsel ver-

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breitet (Tylor 1891, 1:356). Später wurde dieses Motiv von Kühneingehend behandelt und eine Verbreitung bei den Batak auf Su-matra, auf Java und in Afrika festgestellt (Kühn 1936: 74. vgl. auchRahmann 1936: 56—57). Neuerdings hat Rahmann das Vorkommendieses Motives auf den Philippinen im Rahmen verschiedener Sonne-Mond-Streit Mythologien in Zentral-Indien, Assam, auf den Anda-manen, auf der malaiischen Halbinsel und auf den Philippinen be-handelt (Rahmann 1955).

In zentralindischem Gebiet schreiben sonst die Ho, ein Munda-Stamm, Finsternisse dem Geschlechtsverkehr zwischen Sonnengattenund Mondgattin zu (Elwin 1949: 70). Weil Sonne und Mond beiden Munda-Stämmen vorwiegend als Geschwister angesehen werden,könnte dieser Gedanke der Ho vielleicht Inzucht bedeuten. Wärediese Auffassung richtig, so kommt die Ho-Vorstellung der der Khasiund der Siamesen (Siehe unten) nahe. Die Vorstellung, dass Finster-nisse durch Geschlechtsverkehr entstehen, sind sonst bei den ThenduKonyak (Mills 1935 d: 145), Thenkoh Konyak Naga (Mills 1935 e:146), auf den Ryukyu-Inseln (Sakima 1923: 113, Nevsky 1928), beiden Atjeh, auf Sumatra (Blutschande zwischen dem Sonnenbruderund der Mondschwester) (Maass 1924: 12—13), auf Aru, (Maass1925:353), auf Keiser oder Makisar, Ost-Indonesien (Maass 1925:354—355) und auf Tahiti (Ehrenfels-Siecke 1915:65) bezeugt.

Die Geschwistervorstellung von Sonne und Mond kommt fernerauch in Nordindien vor (leider macht Elwin keine eingehenden Orts-angaben). Der Mond war eine Tochter, die ihrer Mutter sehr ergebenwar. Sie hat ihrer Mutter Wasser gereicht, damit diese ihren Durststillen konnte. Die pietätlose Sonne dagegen kümmerte sich nicht umdie Mutter; deshalb wurde sie dazu bestimmt, immer zu brennen(Elwin 1949: 54). Nach einer ähnlichen Überlieferung aus den Cen-tral Provinces heisst es: Die Sonne war Bruder und der MondSchwester. Sie wurden zu einer Hochzeit eingeladen. Die habgierigeSonne ass alles auf, was ihr geboten wurde, und bewahrte nichts fürihre Mutter auf. Der Mond dagegen dachte an die Mutter undbrachte von diesem Bankett etwas heim. Als die Mutter erfuhr, dass

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die Sonne für sie nichts mitgebracht hatte, sprach sie eine Ver-wünschung: Die Sonne solle immer brennen, da sie den Wunscheihrer Mutter nicht berücksichtigt hatte, aber der Mond müsse immerkühl bleiben, da er die Mutter befriedigt hatte (Elwin 1949: 54). Hierhaben wir zwei Mythen von böser Sonne und gutem Mond.

Fassen wir kurz das indische Material zusammen: Von Sonne undMond als Ehepaar ist nur bei den Santal, Ho und Kharia von denMunda (austroasiatisch) — sprechenden Stämmen die Rede. Die Ge-schwister-Konstellation ist aber bei den übrigen Munda-Stämmen(Bhuiya, Birhor, Munda, Turi) und auch in Nordindien und bei denOraon (einem drawidasierten Munda-Stamm) anzutreffen. Die böseoder faule Sonne (Mond) kommt auch innerhalb der Varianten derGeschwister-Konstellation vor. Es liegt also nahe anzunehmen, dassdie Vorstellung von Sonne und Mond als Geschwister, von deneneines böse oder faul und das andere gut und artig ist, in Vorderindienden Austroasiaten (Munda-Stämmen) zuzuschreiben ist.

3. Der dritte Mann

Soweit haben wir festgestellt, dass die Vorstellung von Sonne undMond als Geschwister sowohl in Hinterindien als auch in Vorder-indien als ein austroasiatisches Kulturgut aufzufassen ist. In Vorder-indien und bei den Khasi haben wir ferner die Vorstellung von böserSonne und gutem Mond oder von bösem Mond und guter Sonnekennengelernt. Nun müssen wir uns jetzt mit einer Variante diesesVorstellungskreises beschäftigen.

Die Palaung sind ein Mon-Khmer Stamm in den Shan States,Birma. Sie halten Sonne und Mond für Brüder. Wichtig ist, dassdiese Himmelskörper noch einen anderen Bruder haben sollen: Esgab einmal drei grosse Brüder. Der älteste war der Tag oder dieSonne, der zweite die Nacht oder der Mond. Und der dritte —jüngste — ein Dämon. Einmal assen sie zusammen. Der Dämon nahmmehr Curry (-Reis), als ihm zugeteilt wurde. Da Sonne und Mond

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hungrig waren, erbosten sie sich über die Gierigkeit des jüngstenBruders. Die Sonne griff einen Reisschöpflöffel (rice-ladle) undschlug mit Hilfe des Mondes auf den Kopf des jüngsten Bruders.Bevor ihr Streit beendet war, wurden die drei am Himmel aufge-hängt und wurden zu Sonne, Mond und dem »dunklen Planeten«.Sie sind, glaubt man, dort immer noch lebendig. Noch manchmalstreiten sie sich, und so entsteht ein Finsternis (Milne 1924: 365).Eine Fassung dieser Geschichte bei den benachbarten Shan (einemTai-Stamm) lautet: Es gibt einen dunklen Himmelskörper namensSura, der nur bei Sonnen- bzw. Mondfinsternis zu sehen ist. Er stehtmanchmal zwischen unserer Welt und der Sonne oder dem Mond.Sonne, Mond und Sura waren drei grosse Brüder und brachten demGott Reis dar. Die Sonne stand am Morgen früh auf, brachte gut-gekochten Reis aus dem oberen Teil des Kessels dar und sagte: Ach,der grosse Gott! Möge ich glänzend warm die Welt bescheinen! DerMond nahm den Reis aus dem mittleren Teil des Kessels und wartetebis der Reis kühl wurde. Dann brachte er dem Gott den Reis undsagte: Ach, der grosse Gott! Möge ich immer kühl, sanft und schönsein! Sura verschlief die Zeit und brachte dem Gott den Reis ausdem unteren Teil des Kessels und schimpfte darüber, dass Sonne undMond alle guten Teile des Reises für sich weggenommen hatten, undsagte: Ach, der grosse Gott! Lass mich edler und grosser als meineBrüder sein! Seitdem ist Sura böse auf die Brüder. Eines Tages be-suchte Sura den Höchsten Gott auf dem Meruberg. Der Gott gabSura drei Pillen und lehrte ihn: Wer eine Pille hinunterschluckt, be-kommt ein unsterbliches Leben. Sura schluckte gleich eine herunterund verbarg die übrigen unter seinem Kissen. Bald darauf wolltenSonne und Mond Sura besuchen, aber dieser war abwesend. Diebeiden Neugierigen entdeckten die Pillen unter dem Kissen undschluckten jeder eine herunter. Dies ist der Grund, warum Sonne,Mond und Sura unsterblich sind. Nach der Heimkehr entdeckte Suraden Diebstahl und verfolgte die Brüder in einem schwarzen Wagen,damit er ihnen nicht auffalle. Dies ist der Grund, warum Sura denBrüdern immer folgt. Manchmal erreicht er die Sonne, manchmal den

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Mond, und kämpft mit ihnen. Dann wird das Gesicht der Sonneoder des Mondes schwarz. Aber am Ende verliert Sura immer, unddie Brüder gehen siegesstolz ihren Weg weiter. Einige Leute sagen,dass die Sonnen- und Mondfinsternisse durch das Verschlingen einergrossen Kröte verursacht werden, aber in Wahrheit werden sie durchdiesen grossen Himmelskörper Sura bewirkt (Milne 1910: 200—201).

In einem Bericht aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts ausSiam heisst es: Phra-Athit und Phra-Chan, das sind Sonne undMond. Die beiden Götter waren einst Menschen. Sie waren Brüder.Als sie auf der Erde waren, gaben sie Mönchen Almosen. Der ältereBruder gab ihnen jeden Tag viel Gold und der zweite Bruder Silber.Sie hatten noch einen Bruder. Er gab Mönchen wohl Almosen, abernur Reis in einem sehr schmutzigen Gefäss. Die Brüder wurden nachdem Tod zu Göttern: der ältere Bruder zur Sonne, und der zweiteBruder zum Mond. Der dritte Bruder hatte nicht solches Glück. AlsStrafe für seinen Geiz wurde er in einen schwarzen Dämon ver-wandelt. Er erhielt nur Arme, Nägel und Ohren. Er wurde Phra-Rahu genannt. Die Strafe konnte ihn aber nicht besser machen. Erwar eifersüchtig auf das Wohlergehen seiner Brüder. Seitdem warteter auf die Gelegenheit, sie zu töten. Er kämpft oft mit ihnen. Diesist die Ursache der Finsternisse. Die Siamesen sind traurig, wenn siesehen, dass ihre Sonne und ihr Mond gefressen werden sollen. Siemachen grossen Lärm, damit Sonne und Mond von Phra-Rahu frei-gelassen werden. Während der Finsternis hört man nur Schreie undHeulerei (Brugière 1831: 103, bei Frazer 1939: 10, vgl. Bastian 1866—71 III: 242—243, Young 1898: 368). Nach einem anderen Berichtlautet die Mythe etwas anders: Den Siamesen ist Rhaou (= Rahu)nie dämonisch. Im Gegenteil, er ist der Herr der Sonne (Chao Athit).Wenn die (weibliche) Sonne morgens aufsteigt, hält er sie tröstendin den Armen und legt sie in einen Wagen. Er liebt den Mond, denBruder der Sonne, zärtlich, und wenn Rahu dem Mond begegnet, sohält er den Mond in den Armen und überschüttet ihn mit Lieb-kosungen und Küssen. So wird das Licht währenddessen vorüber-gehend verdunkelt (Bastian bei Delaporte 1880:77). Dieser Er-

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Zählung fehlt die Vorgeschichte, wo die Himmelskörper noch alsMenschen auf der Erde weilen. Rahu als Herr der Sonne bedeutetvielleicht, dass Rahu ein Doppelgänger der Sonne ist. Man könntevermuten, dass deshalb nur von Mondfinsternis in dieser Erzählungdie Rede ist. Man bedenke, dass es auch bei den Oraon in Vorder-indien die Sonne ist, die Mondfinsternis verursacht. Diese Erzählungder Siamesen ähnelt andererseits stark der der Khasi, bei denen voneiner incestuösen Absicht des Mondes zur Sonne die Rede ist.

Eine Variante, die der ersten siamesischen Fassung näher steht, istaus Kambodscha bekannt: Sonne, Mond und Planeten drehen sichum den Meruberg. Wenn die Sonne hinter dem Berg ist, ist es Nacht.Sonne und Mond (beide männlich) hatten einen grossen furchtbarenlichtlosen Stern zum Bruder. Er hiess Rahu. Bevor die drei Brüderzu Himmelskörpern wurden, waren alle drei junge, sehr frommePrinzen. Keinen Tag versäumten sie, Mönchen Reis als Almosen zugeben. Die Sonne brachte den Reis in einer goldenen Schüssel, derMond in einer silbernen Schüssel, aber Rahu in einer grossen Schüsselaus Zinn. Dies ist der Grund, warum Rahu zu einem grossen Sterngeworden ist und nicht so hell scheint wie seine Brüder. Einige sagen,dass dieser Stern die zwei Brüder aus Neid verschlingen will. Das istnicht wahr. Aus Liebe zu Sonne und Mond will Rahu ihnen nichtnachlaufen; denn er weiss, dass seine Gestalt die anderen zwei Brüdererschrecken würde. Wenn er sie trifft, kann er nicht umhin, sie zuumarmen, und er vergisst dabei, dass er einen viel zu grossen Mundhat und dazu neigt, seine Brüder zu verschlingen. Er spuckt sie aberwieder aus. Dies ist der Grund, warum schwangere Frauen zu ihmum eine leichte Niederkunft beten (Porée und Porée-Maspéreo 1938jap. Übers: 229).2

2 In Kambodscha heisst »ra(rahu) čap čap« (es vollzieht sich eine Mond-finsternis) wörtlich »der Dämon greift den Mond« (Cabaton 1911: 159). InKambodscha betet ein Mädchen, das zu ihrer ersten Menstruation abgesondertwird, zu Rahu um Glück (Cabaton 1911: 163, Frazer 1911-16: X: 7o). Dieschwangere Frau betet zu ihm um leichte Niederkunft und Gesundheit ihresKindes (Cabaton 1911: 159, Marchai 1932: 199). Rahu war in Kambodscha schonzur Angkor-Zeit bekannt (Coedès 1948: 276, vgl. 296, 303). Ich möchte annehmen,

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Soweit haben wir verschiedene Fassungen desselben Motives ineinem geographisch kontinuierlichen Gebiet von Birma bis zu Kam-bodscha kennengelernt. Das Grundmotiv besteht aus folgenden vierElementen:

1. Sonne und Mond sind Geschwister. Sie haben noch einen Bruder.2. Dieser letzte Bruder benimmt sich sehr schlecht.3. Deshalb wird er zu einem Dämon oder einem verhängnisvollen

Stern.4. Sonnen- bzw. Mondfinsternis wird von ihm verursacht.

Vergegenwärtigt man sich noch einmal die am Anfang geschilderteAmaterasu-Mythe, so fällt die Ähnlichkeit zwischen ihr und denhinterindischen Finsternismythen zwingend auf! Dem Izanagi sinddrei Geschwister, Sonne, Mond und Susanoo geboren. Aber Susanoo,der letzte Bruder, benimmt sich sehr schlecht. Deswegen verbirgt sichdie Sonnengöttin Amaterasu in einer Felsenhöhle. Also haben wirdie Elemente 1, 2 und 4 im alten Japan. Was Element 3 anbetrifft,so steht die japanische Fassung zumindest in ihrer Gesamtidee denhinterindischen Varianten sehr nahe. Diese merkwürdige Überein-stimmung kann nicht zufällig sein, sondern muss als Resultat histori-scher Beziehung aufgefasst werden.

Betrachten wir alle Fassungen als eine historische Einheit, so ergibtsich die Frage, ob dieses Mythologem überhaupt auf die indischeHochkultur zurückzuführen sei. Die Palaungfassung spricht vonCurry, die Shan sprechen vom Meruberg und nennen den DämonSura. Sura ist zweifellos der altindische Sonnengott Surya. Fernererinnert uns die Unsterblichkeitspille, ihr Diebstahl und ihr Zusam-menhang mit Finsternis stark an indische Überlieferungen bezüglichRahu. Bei den Siamesen und in Kambodscha ist nicht nur von Mön-chen und Almosen die Rede, sondern auch von einem, der Rahuheisst. Diese Gegebenheiten scheinen wohl für eine indische Herkunft

dass die Vorstellung von Rahu in südindischem Kulturmilieu entstanden ist undvon dort aus nach Südostasien wanderte (Obayashi 19J6: 250—253, 262—264).

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der hinterindischen Finsternismythen zu sprechen. Jedoch möchtenwir diese Auffassung aus folgenden Gründen ablehnen.

Vor allem fehlt bei indischen Rahu-Mythen die Geschwister-Konstellation (vgl. Mahabharata I: 17—19, über Sonne und Mondin indischer Hochkultur, vgl. auch Frobenius 1938: 114, Elwin 1949:51 und Hutton 1951:224, 226), infolgedessen die Elemente 1, 2und 3. Ein blosses Sonnen- oder Mondverschlingen durch Rahu odereine Schlange (Elwin 1949: 68, Macdonell 1897: 160, Thurston 1906:289) kann kaum als der Urtypus der hinterindischen Finsternis-mythen angesehen werden.

Zieht man die japanische Fassung in Betracht, so findet man hierkeine Spur von indischer Beeinflussung. Das spricht selbstverständ-lich gegen eine indische Derivation dieser Mythen.

In dieser Beziehung muss hier eine Überlieferung auf den Niko-baren (Mon-Khmer Stamm auf der Kar Nikobar Insel im Benga-lischen Golf) angeführt werden: Es lebte früher einmal eine Witwemit vier Kindern. Drei Kinder waren erwachsene Mädchen, dasvierte war noch ein kleines Kind namens Tö-mi-röök. Die ersteTochter hiess Tö-ken (die Fleissige), die zweite Tochter Tö-pet-ngen( = die, die ihre Arbeit besorgt und die dritte Tochter To-mî-rô(Lügnerin). Sie hatten einen Garten etwas entfernt von ihrem Haus.Eines Tages wurden drei Töchter auf Befehl der Mutter zum Jätenin den Garten geschickt. Die Mutter blieb zu Hause, um das kleineKind zu pflegen. Die letzte Tochter war faul und arbeitete nicht.Allein die älteren Schwestern arbeiteten. Die jüngste Schwester kamfrüh nach Hause und gab der Mutter an, dass die älteren Schwesternnicht arbeiteten und nur sie arbeitete. Die Mutter glaubte dem Berichtder jüngsten Tochter. Die älteren Töchter wollten aus Enttäuschungvon dieser Welt nach dem Mond die Flucht nehmen. Als sie ver-mittelst eines Spinnenkreuzes schon unterwegs nach dem Mondwaren, erinnerten sie sich daran, dass sie ihre kleinen Körbe vergessenhatten mitzunehmen. Die ältere Schwester schickte die zweite darumnach Hause; diese wurde aber dort von der Mutter erwischt. DieMutter lief der ältesten Tochter nach und zog sie an einem Fuss. Der

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Tochter gelang es aber, sich von der Mutter loszureissen und denMond zu erreichen. Aber ihr Knöchel blieb verrenkt (Whitehead1921:249—250). Diese Geschichte steht im Zusammenhang mitunseren Elementen i, 2 und 3. Auf derselben Insel (Kar Nikobar)glaubt man, dass Sonnen- und Mondfinsternisse von einer Riesen-schlange, die einst Mensch war, verursacht werden. DieseSchlange verschlingt nämlich Sonne und Mond, und man bemühtsich die Himmelskörper durch grossen Lärm zu befreien (Stevenson1935: 190, vgl. Kloss 1903: 308). Ein Zusammenhang zwischen derFlucht nach dem Mond und der Vorstellung von den Finsternissenist wohl nicht ganz offensichtlich, aber man darf auf jeden Fallnicht ausser acht lassen, dass auf der Insel Kar Nikobar alle vierElemente vorhanden sind, und die Schlange, die Sonnen- und Mond-verschlingerin, einst Mensch gewesen sein woll. Noch ein bekanntesElement der Amaterasu-Mythe kommt auf Kar Nikobar vor: Alsdie Sonnengöttin Amaterasu in der Felsenhöhle war, stellten dieGötter einen sakaki-Baum (eurya japonica) mit einem Spiegel vor dieHöhle, um die Sonnengöttin herauszulocken. Auf der Insel KarNikobar stellt man lange Bambusstämme, die von verschiedenenBlättern umwickelt sind, in die Mitte des Dorfes, wenn es mehrereTage lang regnet. Man nennt diese Bambusstämme »rods inviting thesun to shine« (Solomon 1902:213). Nicht zu verkennen ist alsoÄhnlichkeit zwischen der Amaterasu-Mythe im alten Japan und denVorstellungen von Sonne und Mond auf Kar Nikobar.

Bekanntlich stellen die Eingeborenen der Nikobar-Inseln einealtertümliche Kulturschicht Südostasiens dar, die weder Körnerbaunoch Rinderzucht kennt und auf Knollen- und Fruchtbaumbau sowieauf Schweinezucht angewiesen ist. Es ist daher kaum anzunehmen,dass die Vorstellungen von Sonne und Mond auf Kar Nikobar aufdie indisch-hochkulturliche Beeinflussung zurückzuführen seien.

Es fragt sich nun, welcher Kultur- bzw. Völkerschicht dieseMythen zuzurechnen sind. Ich nehme an, dass es eine austroasiatischeSchicht ist. Vor allem kennen wir Varianten bei verschiedenenaustroasiatischen Völkern, wie bei den Palaung, den Kambodschanern

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und den Kar-Nikobar-Eiländern. Die Überlieferung bei den Khasikann wohl auch als eine Fassung dieses Mythologems interpretiertwerden, wie Hutton schon angedeutet hat. Ferner haben wir Varian-ten bei den Shan und den Siamesen. Diese Völker sind bekanntlichEinwanderer in den Gebieten, die früher von austroasiatischer Be-völkerung besiedelt waren. Nimmt man also an, dass die Shan unddie Siamesen dieses Mythologem von austroasiatischer Vorbevölke-rung übernommen hätten, so erstreckt sich die Verbreitung desMythologems fast über das ganze Gebiet der Mon-Khmer Völker,des östlichen Zweiges der austroasiatischen Familie. Ausserdem istdie Geschwister-Konstellation von Sonne und Mond durchaus uni-versal bei den Mon-Khmer-Völkern. Hingegen ist das Mythologemkaum bei tibeto-birmanischen Völkern Hinterindiens und austronesi-schen Völkern Indonesiens anzutreffen. Damit ist die Zugehörigkeitder Mythe in Südostasien zur Mon-Khmer-Schicht nachgewiesen.Was Japan anbetrifft, so hat man in japanischen Vokabularenmanche austroasiatischen Elemente vermutet (Matsumoto 1928,Schmidt 1930). Wenn auch die austroasiatischen Elemente in japani-scher Sprache nicht so stark gewesen sind, wie Matsumoto undSchmidt angenommen haben, so sind doch manche vorhanden(Haguenauer 1956:445). Ich möchte die Amaterasu-Mythe zu denaustroasiatischen Elementen in der japanischen Kultur rechnen.

In Vorderindien sind wir bisher noch keinem typischen Fall diesesMythologems begegnet. Aber hier herrscht die Vorstellung von Sonneund Mond als Geschwister bei den meisten Munda-Völkern. Fernerhaben wir in Nordindien und in den Central Provinces die Geschichteüber die geizige Sonne und den guten Mond kennengelernt, wo sichmindestens Munda-Schicht oder Beeinflussung durch diese vermutenlässt. Wie wiederholt von verschiedenen Autoren behandelt wurde,ist das Motiv der Streitigkeit zwischen Sonne und Mond stark inZentral-Indien ausgeprägt. Daher ist diesem Gebiet das hinterindi-sche Mythologem nicht ganz fremd. Allein das Mythologem selbstscheint dort zu fehlen.

Daraus ergibt sich, dass das Mythologem wohl in einer gemein-

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samen (oder ur-) austroasiatischer Vorstellungswelt wurzelt, aber dieAusbildung des Mythologems selbst erst nach der Trennung vonMunda und Mon-Khmer Gruppen stattfand. Vermutlich war derUrtypus vielleicht so: Sonne und Mond sind Geschwister. Eines istschlecht und das andere ist gut. Sie streiten miteinander oder habeninzestuösen Verkehr. Dadurch entsteht Finsternis. Zwei Entwick-lungslinien scheinen aus dieser gemeinsamen Basis erkennbar zu sein.In Vorderindien trat das Element der Stern-Kinder-fressenden Sonnein den Vordergrund. Von dort aus wanderte dieses Motiv nach dermalaiischen Halbinsel und Indonesien, wie Kühn schon mit Rechtvermutete. Andererseits erschien auf der hinterindischen Bühne derdritte Mann. Sonne und Mond haben noch einen Bruder oder eineSchwester. Er oder sie ist sehr schlecht, wird zu einem Dämon undverursacht Finsternisse. Die japanische Amaterasu-Mythe gehört zudieser Gruppe. Die Ausbildung dieses Mythologems erfolgte wahr-scheinlich in der Zeit, als Hinterindien noch keine nennenswerteBeeinflussung von indischer Hochkultur erfuhr, da die japanischeFassung keine Spur indischer Beeinflussung aufzeigt.

4. Zusammenfassung

Fassen wir also zusammen: In Hinterindien hört man bei denPalaung, Shan, Siamesen, Kambodschanern und, wenn auch nicht soausgeprägt, ebenfalls bei den Khasi und bei den Kar-Nikobar-Eilän-dern die folgende Geschichte:

Sonne und Mond sind Geschwister. Sie haben noch einen Bruderoder eine Schwester. Er oder sie benimmt sich sehr schlecht. Daherwird er oder sie nach dem Tode zu einem Dämon, während seine(ihre) Geschwister zu Sonne und Mond werden. Er oder sie verur-sacht Sonnen- bzw. Mondfinsternisse. Die Amaterasu-Mythe Alt-Japans gehört zu diesem Mythologem. Dieses Mythologem ist derVerbreitung nach den Mon-Khmer Völkern zuzurechnen. Es ist aberaus einer gemeinsamen austroasiatischen Basis hervorgegangen, die

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durch die Vorstellung von Sonne und Mond als Geschwister (wovoneins schlecht und das andere gut ist) gekennzeichnet ist.

Zum Schluss soll hier noch eine Frage aufgeworfen werden. DieVorstellung von Sonnenschwester und Mondbruder verbreitet sichsehr weit in Nordeurasien und Nordamerika. Die Frage ist nun: Hatdie Vorstellung von Sonne und Mond als Geschwister bei den austro-asiatischen Völkern in Hinter- und Vorderindien eine Beziehung zuder Vorstellung im nördlichen Raum.3 Interessanterweise hat Wil-helm Schmidt in einem seiner posthumen Werke auf eine Beziehungzwischen der Tauchmythe bei den austroasiatischen Völkern einer-seits und bei den nordeurasiatisch-nordamerikanischen Völkern(Schmidt 1955: 40—42) andererseits hingewiesen. Rahmann hat auchdarauf aufmerksam gemacht, dass Mythen über die Streitigkeitzwischen Sonne und Mond nicht nur bei austrischen Völkern Süd-ostasiens und Vorderindiens, sondern auch bei den finnisch-ugrischenVölkern vorkommen (Rahmann 1955: 211—212). Also scheinen Be-ziehung zwischen nordeurasiatischen Völkern und austrischen Völ-kern Südostasiens zu bestehen. Eine Lösung dieses Problems musseiner späteren Gelegenheit vorbehalten bleiben.

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3 In diesem Zusammenhang darf auch das Motiv von Blutschande zwischenSonne und Mond nicht ausser acht gelassen werden. Dieses Motiv ist verbreitetbei den Khasi (siehe oben, vgl. auch Gurdon 1907: 172-173, Latham 1859 I: 119),Semang (Skeat und Blagden 1906 11: 203), in Polynesien, Deutschland, bei denTürken, Eskimos und anderen nordamerikanischen Stämmen (Frobenius 1904:346-349, idem 1929: 259-261), bei den Guarani, Sipaya, Guarayú und denCanelo in Südamerika (Lowie 1940: 421).

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