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Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit in soziale Diagnostik als Beitrag zur Zielorientierung in Klinischer Sozialer Arbeit Die Entwicklung der ICF Inclusion of the International Classification of Functioning, Disability and Health in social diagnosis as contribution for goal orientation in Clinical Social Work Development of the ICF Masterarbeit Zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts in Social Sciences der Fachhochschule FH Campus Wien Masterstudiengang: Klinische Soziale Arbeit Vorgelegt von: Patrizia Graf, BA Personenkennzeichen: 1610534011/ 01226515 ErstbetreuerIn / ErstbegutachterIn: FH-Prof. Dr. Heinz Wilfing ZweitbetreuerIn / ZweitbegutachterIn: Mag. Saskia Ehrhardt Eingereicht am: 20.09.2018

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Page 1: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit in soziale Diagnostik als Beitrag zur Zielorientierung

in Klinischer Sozialer Arbeit Die Entwicklung der ICF

Inclusion of the International Classification of Functioning, Disability and Health in social diagnosis as contribution for goal orientation in Clinical Social

Work Development of the ICF

Masterarbeit

Zur Erlangung des akademischen Grades

Master of Arts in Social Sciences

der Fachhochschule FH Campus Wien

Masterstudiengang: Klinische Soziale Arbeit

Vorgelegt von:

Patrizia Graf, BA

Personenkennzeichen:

1610534011/ 01226515

ErstbetreuerIn / ErstbegutachterIn:

FH-Prof. Dr. Heinz Wilfing

ZweitbetreuerIn / ZweitbegutachterIn:

Mag. Saskia Ehrhardt

Eingereicht am:

20.09.2018

Page 2: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

Erklärung:

Ich erkläre, dass die vorliegende Bachelorarbeit / Masterarbeit von mir selbst verfasst

wurde und ich keine anderen als die angeführten Behelfe verwendet bzw. mich auch

sonst keiner unerlaubter Hilfe bedient habe.

Ich versichere, dass ich diese Bachelorarbeit / Masterarbeit bisher weder im In- noch im

Ausland (einer Beurteilerin/einem Beurteiler zur Begutachtung) in irgendeiner Form als

Prüfungsarbeit vorgelegt habe.

Weiters versichere ich, dass die von mir eingereichten Exemplare (ausgedruckt und

elektronisch) identisch sind.

Datum: 20.09.2018 .............. Unterschrift: ...............................................................

Page 3: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

i

Vorwort

Ich möchte mich zu allererst bei meinen InterviewpartnerInnen bedanken, die sich

alle die Zeit genommen haben und mir Rede und Antwort bei all meinen Fragen

gestanden haben. Ohne euer Zutun und eure Initiative wäre die Arbeit so nicht

möglich gewesen.

Außerdem möchte ich mich bei meinem Freund Mirko bedanken, der mich immer

unterstützt und mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat.

Mein Dank gilt des Weiteren auch meinen Eltern, ohne deren Unterstützung und

Vertrauen ich das Masterstudium gar nicht studieren hätte können.

Außerdem vielen Dank auch an meinen Betreuer Prof. Dr. Wilfing, der so spontan

als Betreuer für mich eingesprungen ist und mir geholfen hat, mein

Forschungsinteresse zu strukturieren und umzusetzen.

Ich danke zudem Manfred und Gabriela, die ihr noch in allerletzter Minute euch

meine Arbeit angesehen habt.

Zuletzt auch noch vielen Dank an Amra, Katja, Marina, Angelina und Alexe für

eure immer lieben und unterstützenden Worte und unsere hilfreiche Lerngruppe!

Page 4: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

ii

Kurzfassung

Die Teilhabe am sozialen Leben hat nicht nur in der Klinischen Sozialen Arbeit

einen hohen Stellenwert, sondern rückt auch gesellschaftlich immer mehr in den

Vordergrund. Aus diesem Grund beschäftigt sich die vorliegende Masterarbeit mit

der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Gesundheit und

Behinderung der Weltgesundheitsorganisation, die auf dem Biopsychosozialen

Modell basiert. Es wird der Frage nachgegangen, mit welchen Schwerpunkten die

ICF in die Soziale Diagnostik einzubeziehen ist und wie sie zur Zielorientierung in

klinisch-psychosozialer Fallarbeit beitragen kann. Des Weiteren wird die Frage

beantwortet, wie sich die ICF entwickelt hat. Im theoretischen Teil der Arbeit

liegen die Schwerpunkte auf der Sozialen Diagnostik der Klinischen Sozialen

Arbeit, der Familie der Internationalen Klassifikationen der WHO und ihre

Referenzklassifikationen sowie der ICF. Für die empirische Forschung in der

Praxis wurden sechs leitfadengestützte ExpertInneninterviews mit

SozialarbeiterInnen oder ähnlichen Professionen aus dem sozialarbeiterischen

Bereich in Österreich und Deutschland durchgeführt. Die ExpertInnen wurden in

den Interviews zu ihrem Feld und der ICF Anwendung befragt. Das Datenmaterial

wurde anhand der Grounded Theory Methodology nach Kathy Charmaz

ausgewertet und interpretiert. Dabei wurde deutlich, dass die ICF sich als

besonders hilfreich erweist, um komplexe Fälle zu strukturieren und abzubilden.

Durch die Ressourcenorientierung der Klassifikation und die personenbezogen

und Kontextfaktoren rücken die Wünsche und Bedürfnisse der KlientInnen bei der

Zielorientierung in den Vordergrund. Hinsichtlich aktuellerer Entwicklungen der

ICF stand vor allem das neue deutsche Bundesteilhabegesetz sowie die dadurch

ausgelösten Veränderungen und Herausforderungen in vielen deutschen

Organisation und die mögliche Auswirkung auf Österreich im Fokus.

Page 5: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

iii

Abstract

Participation on social life has not only a high significance in Clinical Social Work,

but also comes to the fore in society. For that reason, this master thesis will deal

with the International Classification of Functioning, Disability and Health of the

World Health Organization, which is based upon the biopsychosocial model. The

work will respond to the question, with which emphasis the ICF can be involved in

social diagnosis and how it can contribute to goal orientation in clinical-

psychosocial casework. In addition, the question how the ICF developed will be

answered. In the theoretical part of this work, the emphasis will lay on social

diagnosis in Clinical Social Work, the Family of International Classifications and its

reference classifications as well as the ICF. For the empirical field research, there

were held six expert interviews with social workers and similar professions in the

field of social work in Austria and Germany. The experts have been questioned

about their field and the application of the ICF. The data set was evaluated and

interpreted based on the grounded theory methodology of Kathy Charmaz.

Hereby it became apparent, that the ICF is especially helpful to structure and

display complex cases. Through the resource orientation of the classification and

the personal and environmental factors, the needs and requests of the clients

come to the fore. Concerning the question of the development of the ICF, the

current German “Bundesteilhabegesetz” went into focus, as well as

accompanying changes and challenges in many german organizations and the

possible effects on Austria.

Page 6: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

iv

Abkürzungsverzeichnis

BTHG Bundesteilhabegesetz

Bzgl. bezüglich

Bzw. beziehungsweise

CC Collaborating Centers

CTS Classification, Terminologies and Standards

DIMDI Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information

DSM Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders

Et al. Und andere

Ebd. eben da

Etc. et cetera

FDRG Functioning and Disability Reference Group

GAF Global Assessment of Functioning Scale

GT(M) Grounded Theory (Method)

IA Interventionsassessment

ICD International Classification of Diseases

ICF International Classification of functioning, disability and health

ICHI International Classification of Health Interventions

ICIDH International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps

ICPM International Classification of Procedures in Medicine

IC3 Inklusionschart 3

OBDS Österreichischer Berufsverband der Sozialen Arbeit

ÖGSA Österreichische Gesellschaft der Sozialen Arbeit

OPD Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik

PIE Person-in-environment

UCR Update and Revision Committee

UN United Nations

UN-BRK United Nations Behindertenrechtskonvention

usw. und so weiter

WHA Weltgesundheitsversammlung

WHO World Health Organization

WHO FIC WHO Family of International Classifications

z.B. zum Beispiel

ZEA Zielerreichungsanalyse

Page 7: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

v

Page 8: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

vi

Schlüsselbegriffe

Klinische Soziale Arbeit

Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Gesundheit und Behinderung

WHO Family of International Classifications

Teilhabe

Psychosoziale Diagnostik

Zielorientierung

Page 9: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

1

Inhaltsverzeichnis

VORWORT ....................................................................................................... I

KURZFASSUNG ................................................................................................ II

ABSTRACT ..................................................................................................... III

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS .............................................................................IV

SCHLÜSSELBEGRIFFE .....................................................................................VI

1. EINLEITUNG ............................................................................................. 3

1.1 Forschungsrelevanz ......................................................................... 3

1.2 Forschungsfragen und Ziel der Arbeit ........................................... 5

1.3 Forschungsstand .............................................................................. 5

1.4 Aufbau der Arbeit ............................................................................. 7

2. PSYCHOSOZIALE DIAGNOSTIK IN DER KLINISCHEN SOZIALEN ARBEIT ........ 8

2.1 Verfahren psychosozialer Diagnostik .......................................... 11

2.1.1 Formen psychosozialer Diagnostik .............................................................. 11

2.1.2 Koordinaten psychosozialer Diagnostik ....................................................... 15

2.2 Zielorientierung in der psychosozialen Diagnostik .................... 17

2.2.1 Zielerreichungsanalyse ................................................................................ 21

3. DIE INTERNATIONALE KLASSIFIKATION FÜR FUNKTIONSFÄHIGKEIT, GESUNDHEIT UND BEHINDERUNG .................................................................. 25

3.1 WHO Family of International Classifications ............................... 26

3.1.1 ICD .............................................................................................................. 27

3.1.2 ICHI ............................................................................................................. 30

3.1.3 ICF .............................................................................................................. 31

4. ICF ....................................................................................................... 33

4.1 Struktur und Aufbau ....................................................................... 33

4.2 Die Entwicklung der ICF ................................................................. 38

4.3 Die ICF als globaler Standard und ihre Diffusion ........................ 41

4.4 Anwendungsbereiche der ICF ....................................................... 43

4.5 Grenzen und Kritik an der ICF ....................................................... 45

5. EMPIRIE ................................................................................................. 47

5.1 Herangehensweise und Zugang zum Forschungsfeld ............... 47

5.1.1 Zielgruppe ................................................................................................... 49

Page 10: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

2

5.2 Qualitative Forschung .................................................................... 50

5.2.1 Datenerhebung mittels leitfadengestützten ExpertInneninterviews .............. 52

5.2.2 Forschung und Auswertung nach Grounded Theory .................................... 54

6. ERGEBNISSE .......................................................................................... 58

6.1 Organisationen ............................................................................... 58

6.2 Die ICF in der Sozialen Arbeit........................................................ 67

6.3 Soziale Diagnostik .......................................................................... 74

6.4 Kritik an der ICF .............................................................................. 79

6.5 Die Entwicklung der ICF ................................................................. 86

7. RESÜMEE .............................................................................................. 94

7.1 Beantwortung der Forschungsfragen .......................................... 96

7.2 Ausblick ........................................................................................... 99

LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................. 101

ABBILDUNGSVERZEICHNIS .......................................................................... 106

ANHANG ..................................................................................................... 108

Page 11: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

3

1. Einleitung

Im Mai 2001 wurde die „International Classification of Functioning, Disability and

Health”, ICF von der Weltgesundheitsorganisation WHO verabschiedet. Ihre

Vorgeschichte erstreckt sich jedoch über 20 Jahre (vgl. Meyer 2004:9). Alle 191

WHO Mitgliedsstaaten haben sich in der Erklärung verpflichtet, die ICF zu

verwenden. Im Vergleich zu vorherigen Systemen wird in der ICF die

medizinische Perspektive erweitert. Damit werden nun auch soziale Aspekte von

Behinderung sowie Umweltfaktoren ins Auge gefasst. Die ICF wurde als eine

Mehrzweckklassifikation entwickelt. Demnach kann sie bspw. in Feldern der

Politik, zum Zwecke der Ausbildung, für Statistiken und im Gesundheitswesen

verwendet werden. Die ICF basiert, wie auch das Verständnis der Klinischen

Sozialen Arbeit, auf dem Biopsychosozialen Modell. Die internationale

Klassifikation der WHO wird zur Beschreibung von Krankheitskonsequenzen und

mit Gesundheitsproblemen assoziierten Phänomenen herangezogen. Damit dient

sie zur Ergänzung zur etablierten „Klassifikation der Krankheiten“, ICD. Sie kann

als gemeinsames Vokabular für die Kommunikation zwischen ÄrztInnen,

SozialarbeiterInnen, TherapeutInnen, WissenschaftlerInnen, PatientInnen und

anderen Gruppen fungieren (vgl. Ewert 2012:459ff.). Die Wichtigkeit des Themas

sowie das Interesse an der ICF, haben sich durch das Wahlpflichtfach im

Sommersemester 2017 „ICF gestützte Interventionen Sozialer Arbeit –

Systematisierung komplexer Fallarbeit“ von FH-Prof. Dr. Dettmers der

Fachhochschule Kiel herauskristallisiert.

1.1 Forschungsrelevanz

Das Thema der Inklusion von Menschen mit Behinderung rückt national und

international vermehrt in den Vordergrund. Die UN-Behindertenrechtskonvention,

UN-BRK, wird verstärkt als eine leitende Referenz für Inklusion in der aktuellen

Debatte herangezogen (vgl. Hopmann 2017:135). Die UN-BRK ist ein

Übereinkommen der United Nations, UN über die Rechte der Menschen mit

Behinderung. Durch diesen internationalen Vertrag verpflichten sich alle

Page 12: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

4

Unterzeichnerstaaten dazu, Menschen mit Behinderungen in ihren

Menschenrechten zu fördern, zu schützen und ihre Rechte zu gewährleisten. Die

UN-BRK ist in Österreich seit dem 26. Oktober 2008 in Kraft und muss aus

diesem Grund bei der Gesetzgebung und der Vollziehung, der Verwaltung und

Rechtsprechung berücksichtigt werden (vgl. Bundesministerium Arbeit, Soziales,

Gesundheit und Konsumentenschutz 2018). Neben den beigetretenen Staaten

verpflichtet die UN-BRK die Soziale Arbeit, Angebote, Rahmenbedingungen,

Zielgruppenansprachen und theoretische Ausarbeitungen zu hinterfragen und

weiterzuentwickeln. So enthält die systematische Exklusion aufgrund bestimmter

Lebensbedingungen eine menschenrechtliche Dimension, wonach die Exklusion

und Teilhabebehinderungen als Menschenrechtsverletzungen zu denken sind

(vgl. Günther 2015:51ff.). Die ICF kann hier als Instrument der Teilhabe in der

Sozialen Arbeit fungieren.

Während bisher bspw. in der Rehabilitation Therapieziele vor allem anhand von

Symptomen oder Defiziten definiert wurden, wird durch die ICF die Sichtweise um

die soziale Dimension „Teilhabe“ systematisch erweitert (vgl.

Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation 2008:19). Dementsprechend kommt

es mittlerweile bereits in Deutschland zu einer flächendeckenden Umsetzung der

ICF. So ist der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. Träger

des Projekts „Umsetzungsbegleitung Bundesteilhabegesetz“, das durch das

Bundesministerium für Arbeit und Soziales bis zum 31. Dezember 2019 nach dem

Beschluss des Deutschen Bundestages gemäß Art. 25 Abs. 2 BTHG gefördert

wird. Dieses Bundesteilhabegesetz, BTHG, hat zum Ziel, Teilhabe und

Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen zu stärken und enthält dafür

weitreichende Änderungen in den Sozialgesetzbüchern. Dafür stellt es

Leistungsträger und Leistungserbringer vor die herausfordernde Aufgabe, diese

komplexen Änderungen und neuen Regeln in die Praxis umzusetzen. Eines der

Themen, welches hierbei im Fokus steht, ist die Bedarfsermittlung von Menschen

mit Behinderungen, die sich an den Kriterien der ICF orientieren soll (vgl. Japing

et al. 2018:1). Aus diesem Grund ist das Thema der ICF nicht nur in Deutschland,

sondern in Europa und damit auch für Österreich und die Soziale Arbeit ein

aktuelles Thema. Aufgrund dessen stellt sich die Frage, wie die ICF in der

klinisch-sozialarbeiterischen Praxis angewendet werden kann.

Page 13: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

5

1.2 Forschungsfragen und Ziel der Arbeit

Die psychosoziale Diagnostik ist ein grundlegendes Element der Klinischen

Sozialen Arbeit. Gahleitner und Pauls (2013) zufolge ist es die Aufgabe der

psychosozialen Diagnostik, die Schnittstelle zwischen psychischen, sozialen,

physischen und alltagssituativen Dimensionen zu betrachten (vgl. Gahleitner/

Pauls 2013:14). Demnach stellt sich in dieser Arbeit die Frage, wie die ICF in die

sozialarbeiterische Arbeit und demzufolge auch in die psychosoziale Diagnostik

der Klinischen Sozialen Arbeit einbezogen werden kann. Damit lauten die

leitenden Forschungsfragen dieser Arbeit:

Mit welchen Schwerpunkten ist die Internationale Klassifikation der

Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit in die soziale Diagnostik

einzubeziehen; wie kann sie zur Zielorientierung in klinisch-psychosozialer

Fallarbeit beitragen? Wie hat sich die ICF entwickelt?

Die erste und primär relevante Forschungsfrage dieser Arbeit wird durch den

empirischen Teil der Arbeit, die Interviews, beantwortet werden. Die zweite und

untergeordnete Forschungsfrage wird überwiegend durch den theoretischen Teil

der Arbeit und ansatzweise durch das Datenmaterial beantwortet. Ziel der Arbeit

ist es, eine Antwort auf die Forschungsfragen zu geben sowie den theoretischen

Hintergrund der Forschungsfragen darzulegen. Des Weiteren ist es von Interesse,

einen wissenschaftlichen Beitrag zum aktuellen Diskurs über die ICF leisten zu

können, das Thema und seine Relevanz zu diskutieren und eine Aufklärung über

die derzeitige Situation in Österreich bzgl. der ICF Anwendung zu geben.

1.3 Forschungsstand

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der ICF in der Klinischen Sozialen

Arbeit, ihre Entwicklung, ihr Beitrag für die sozialarbeiterische Zielorientierung und

die Schwerpunkte, mit welchen sie in die soziale Diagnostik miteinbezogen

Page 14: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

6

werden kann. Hinsichtlich der ICF und ihrer Entwicklung gibt es bereits einige

Forschungsprojekte. Diese beschränken sich jedoch vorrangig auf die Medizin

und die Rehabilitation. Laufende und abgeschlossene Forschungsprojekte zur

ICF im deutschsprachigen Raum sind auf der Website des Deutschen Instituts für

Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI zu finden (vgl. DIMDI

2018a). Überdies gibt es einige internationale Projekte zur Entwicklung von ICF

Core Sets für die Bereiche „Neurological Conditions“, „Cardiovascular and

Respiratory Conditions“, „Cancer“, „Mental Health“, „Musculoskeletal Conditions“,

Diverse Situation“ und „Other Health Conditions“ (vgl. ICF Research Branch

2017). Jedoch konnten hier keine ICF bezogenen Projekte der Sozialen Arbeit

gefunden werden. Liefring (2015) schrieb in seinem Artikel „Rehabilitation und

Zielorientierung in der manuellen Medizin: Internationale Klassifikation der

Funktionsfähigkeit der WHO“ über die Rehabilitation und den Menschen in seiner

individuellen Lebenssituation, der trotz Beeinträchtigung an der Gesellschaft

teilhaben kann, weshalb in der Rehabilitation die individuelle

Bewältigungsstrategie einen wichtigen Ansatzpunkt beschreibt, der durch die ICF

beschrieben werden kann (vgl. Liefring 2015:112).

Ließem (2015) schrieb in seinem Artikel „ICF in der Soziotherapie“ über die

Möglichkeit für SoziotherapeutInnen, in ihrer Arbeit die ICF heranzuziehen und

wie sie herangezogen werden kann. Dabei erklärt er, wie die ICF als

Dokumentationssystem in der Soziotherapie eingesetzt werden kann, um eine

Erkrankung aus einer ganzheitlichen Sicht zu betrachten (vgl. Ließem 2015:4ff.).

Des Weiteren spricht Dettmers (2017) in seinem Text „ICF-orientierte Diagnostik

sozialer Teilhabe als konzeptionelle Begründung sozialtherapeutischer

Interventionen“ davon, dass die Klinische Sozialarbeit sich durch

sozialtherapeutische Interventionen nachhaltig etablieren kann. Damit sieht er mit

der Nutzung der ICF, als multiprofessionelle Klassifikationssprache, die

biopsychosoziale Perspektive in Diagnostik und Intervention als

erfolgsversprechend an. In seinem Text beschreibt er, wie durch ICF Items

Verbesserungen hinsichtlich sozialer Sicherheit, Unterstützung und persönlicher

Entwicklung dargestellt und überprüft werden können (vgl. Dettmers 2017:75).

Page 15: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

7

Durch die Nutzung der ICF können in der Zukunft klassifikatorische

Sozialdiagnostik und Instrumente in der Sozialen Arbeit entwickelt werden (vgl.

ebd.:88f.). Es gibt jedoch wenige Forschungen hinsichtlich der ICF in der Sozialen

Arbeit oder auch inwiefern die ICF zur Zielorientierung beitragen kann. Aufgrund

dessen stellt das Thema dieser Arbeit eine relevante Forschungslücke dar.

1.4 Aufbau der Arbeit

Nach der Einleitung, die in das Thema dieser Forschungsarbeit eingeführt hat,

beschäftigt sich das zweite Kapitel mit der Psychosozialen Diagnostik in der

Klinischen Sozialen Arbeit. Diese umfasst zum einen die Verfahren wie Formen

und relevante Koordinationen der psychosozialen Diagnostik und zum anderen

die Zielorientierung. Als Beispiel der Zielorientierung wird die

Zielerreichungsanalyse nach Reicherts und Pauls vorgestellt. Das dritte Kapitel

legt seinen Schwerpunkt auf die Familie der Internationalen Klassifikationen und

führt in diese und ihre Klassifikationen ein. Im Anschluss wird die ICF als

Klassifikation näher thematisiert. Dafür wird sie in ihrer Struktur und ihrem Aufbau

beschrieben und ihre Entwicklung skizziert. Anschließend wird erörtert, inwiefern

die ICF einen globalen Standard darstellt und sie sich verbreitet. In weiterer Folge

werden ihre Anwendungsbereiche aufbereitet sowie Kritik an ihr geäußert und

Grenzen aufgezeigt.

Nach dem theoretischen Teil dieser Arbeit wird im empirischen Teil die

Herangehensweise und der Zugang zum Forschungsfeld beschrieben. Hierfür

wird die Zielgruppe definiert. Darauffolgend wird die empirische Methodik

argumentiert und weshalb für die Arbeit die qualitative Forschung und das Führen

von leitfadengestützten Interviews gewählt wurde. Darauffolgend wird die

Auswertungsmethode Grounded Theory nach Kathy Charmaz vorgestellt nach

welchen die Interviews ausgewertet werden.

Page 16: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

8

Die Ergebnisse werden im sechsten Kapitel vorgestellt und interpretiert. Dabei

werden die fünf Kategorien beschrieben, sie sich bei der Auswertung des

Datenmaterials gebildet haben. Zuletzt werden im Resümee die Ergebnisse der

Interviews mit dem theoretischen Hintergrund verbunden und ein Fazit darauf

abgeleitet. Aus diesem Fazit werden weitere Schlüsse gezogen und ein Ausblick

gegeben.

2. Psychosoziale Diagnostik in der Klinischen Sozialen Arbeit

In diesem Kapitel der Arbeit wird zunächst auf die Grundlagen der psychosozialen

Diagnostik in der Klinischen Sozialen Arbeit eingegangen. Dafür werden zunächst

Verfahren und Formen von sozialer Diagnostik beleuchtet. Danach wird die

Zielorientierung als Arbeitsschritt beschrieben und die Zielerreichungsanalyse

nach Pauls herangezogen und genauer beschrieben.

Bereits zu Beginn der Entwicklung der Sozialen Arbeit als eine Profession

entstand die Erwartung eines wissenschaftlichen Fundaments und dem Wunsch,

der Sozialen Arbeit eine Diagnostik zu geben, die SozialarbeiterInnen unerlässlich

für das Wohlfahrtswesen macht. Mithilfe einer sozialen Diagnostik sollte eine

Einschätzung des Hilfebedarfs ermöglicht und Leistungen prognostiziert werden.

Die individualisierte Diagnostik führte demnach zu mehr effizienter und

effektiverer sozialer Unterstützung. Aus dieser Logik einer individualisierten

sozialen Diagnostik der Hilfsbedürftigkeit entwickelte sich die Disposition der

Beziehung durch Gespräche und Hausbesuche. Um diese individualisierten

Informationen zu erhalten, war die Entwicklung von Strategien vonnöten, um der

Lebenswelt der KlientInnen näher zu kommen. Erst aus der Beziehungsarbeit

heraus kann es zu einer ExpertInnendiagnose kommen (vgl. Pantucek 2012:13).

Psychosoziale Diagnostik hat Pauls (2013) zufolge die Analyse von Lebenslagen,

-weisen und -krisen sowie ihre Änderungen unter den jeweiligen

Kontextbedingungen, das Verstehen von Zusammenhängen und das fachliche

Begründen von psychosozialen Interventionen zum Ziel. So werden im Dialog

Page 17: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

9

zwischen KlientIn und SozialarbeiterIn die zu bearbeitenden Aufgaben

besprochen und Interventionen festgelegt, um in weiterer Folge

Veränderungsziele erreichen zu können (vgl. Pauls 2013:198). „In anderen

Worten, psycho-soziale Diagnostik muss die fallspezifische Komplexität erfassen,

strukturieren und der Bearbeitung sowie der Evaluation zugänglich machen.“

(ebd.)

In den letzten zehn Jahren wurden diagnostische Konzepte in der Sozialen Arbeit

entwickelt und somit an historische Überlegungen von Salomon und Richmond

angeschlossen (vgl. ebd.:198f.). Alice Salomon schrieb nach Mary Richmond im

Jahr 1926 den Text „Soziale Diagnose“ und wies darauf hin, dass anstatt des

Wortes ‚Ermittlung‘ der Begriff soziale ‚Diagnose‘ eingeführt werden sollte, weil in

dem Wort bereits eine methodische Anweisung liegt. Der Begriff würde betonen,

dass die erste Tätigkeit des Fürsorgers oder der Fürsorgerin eine geistige

Leistung benötigt, Material wie Beobachtungen und Aussagen zu untersuchen, zu

vergleichen, zu bewerten, Schlüsse daraus zu ziehen und sich ein Gesamtbild zu

erarbeiten, um einen Behandlungsplan erstellen zu können. Während der Begriff

‚Diagnose‘ bisher überwiegend in der Medizin, Zoologie und Botanik seine

Anwendung fand, soll die soziale Diagnostik soziale Schwierigkeiten möglichst

genau darstellen und ebenso ein vollständiges und zutreffendes Bild eines oder

einer Hilfsbedürftigen geben. Das Material der Ermittlung beinhaltet alle

Informationen aus der Lebensrealität des Klienten oder der Klientin und seiner

oder ihrer Familie (vgl. Salomon 1926:261 zit. n. ebd:201f.). Über 70 Jahre später

schrieben Germain und Gitterman, dass die soziale Abklärung einen

grundlegenden Bestandteil der Praxis darstellt. SozialarbeiterInnen müssen

bereits zu Anfang des Hilfsprozesses bestimmen, an welchen Punkten sie wie auf

den Klienten oder die Klientin, die Familie oder Gruppe eingehen, wie sie

Modalitäten oder zeitliche Regelungen festsetzen wollen, welchen Aussagen sie

nachgehen, an welchen Zielen sie arbeiten wollen und wie sie weitervorgehen

(vgl. Germain/ Gitterman 1999 zit. n. ebd.:202).

Page 18: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

10

An der sozialen Diagnostik wird häufig kritisiert, dass sie eine

expertInnenbestimmte Bevormundung der KlientInnen mit sich bringt und die

Selbstwahrnehmungen der KlientInnen nicht betrachtet. An Stelle dessen wurde

oftmals ein reines Aushandeln der zu behandelnden Problematik mit den

KlientInnen gefordert (vgl. ebd.:199). Gahleitner und Pauls (2013) bemerken,

dass ‚Diagnostik‘ über viele Jahrzehnte in psychosozialen Arbeitsfeldern einen

schlechten Ruf hatte und immer noch Fachkräfte KlientInnen aufgrund einer

eventuellen Etikettierung nicht begutachten oder diagnostizieren möchten. Jedoch

müssen im professionellen Alltag durchgehend Einschätzungen vorgenommen

werden, egal ob gewollt oder nicht (vgl. Gahleitner/ Pauls 2013:14).

Psychosoziale Diagnostik hat den AutorInnen Gahleitner und Pauls zufolge die

Aufgabe, den Fokus auf die Schnittstelle zwischen psychischen, sozialen,

physischen und alltagssituativen Dimensionen zu geben. Für den Umgang mit

Multiproblemlagen ist ein interdisziplinäres und mehrdimensionales Vorgehen

Voraussetzung. Die Klinische Soziale Arbeit hat zudem die Verantwortung sich in

Zusammenarbeit mit Professionen und Disziplinen, die bereits stärker im

diagnostischen Bereich etabliert sind, wie bspw. die Medizin und die Psychologie,

von diesen abzugrenzen und sich von einem biomedizinischen Modell zu

distanzieren (vgl. ebd.). Dazu kommt der organisationsbezogene Aspekt der

Diagnostik in der Klinischen Sozialen Arbeit. Klinische SozialarbeiterInnen sind

häufig Teil eines interdisziplinären Teams und arbeiten gemeinsam mit ÄrztInnen,

PsychologInnen, Pflegekräften, PädagogInnen, LogopädInnen,

ErgotherpeutInnen usw. an einem gemeinschaftlichen Konzept. Hierbei spielt es

eine sehr zentrale Rolle, dass Klinische SozialarbeiterInnen die interdisziplinäre

Terminologie und diagnostischen Klassifikationen beherrschen, um sich in die

disziplinübergreifenden Begrifflichkeiten integrieren zu können. Aufgrund sehr

begrenzten Zeitressourcen in der diagnostischen Praxis ist es zusätzlich nötig,

dass klinisch-sozialarbeiterische Diagnostik zielführend und ökonomisch ist (vgl.

Pauls 2013:202f.).

Page 19: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

11

2.1 Verfahren psychosozialer Diagnostik

Nach einer kurzen Einleitung in die psychosoziale Diagnostik der Klinischen

Sozialen Arbeit wird das folgende Unterkapitel den Fokus näher auf die Formen

psychosozialer Diagnostik und verschiedene Unterscheidungsarten

unterschiedlicher AutorInnen heranziehen und einander gegenüberstellen. Darauf

hin werden die Koordinaten von psychosozialer Diagnostik konkreter abgesteckt.

2.1.1 Formen psychosozialer Diagnostik

Bei den Formen psychosozialer Diagnostik können unterschiedliche

Differenzierungen vorgenommen werden. Pantucek (2012) unterscheidet bspw. in

Sichtdiagnosen, Kurzdiagnosen, Notationssystemen, Netzwerkdiagnostik,

biografische Diagnostik, Lebenslagendiagnostik, Klassifikationssysteme,

Kooperative und Black-Box-Diagnostik, Risikoabschätzung, Symptom- und

Risikofaktorenlisten, Typenbildungen sowie Voodoodiagnostik (vgl. Pantucek

2012:8f.).

Bei den Sichtdiagnosen handelt es sich ihm zufolge um die maßgeblichste Form

der Diagnosen. Während im Alltag jede Begegnung eine Einschätzung der

Person erfordert, um das eigene Verhalten dementsprechend abschätzen zu

können, ist diese auch bei bspw. Hausbesuchen erforderlich sowie bei

Beobachtungen von Personen in sozialen Settings (vgl. ebd.:129). Kurzdiagnosen

kommen zu Beginn eines sozialarbeiterischen Hilfeprozesses zum Einsatz, klären

die Ausgangssituation der Fallbearbeitung und helfen beim Übergang von der

Explorationsphase zur Konstruktionsphase (vgl. ebd.:145). Notationssysteme

stellen fallbezogene Informationen auf strukturierte Art zusammen und machen

sie einer Bewertung zugänglich. Sie befinden sich in der Konstruktionsphase, in

der ein möglichst gemeinsames Bild der Situation der KlientInnen entwickelt wird.

Sie leiten das systemische Sammeln bestimmter Daten an und blenden andere

Daten gezielt aus. Somit kann die Aufmerksamkeit auf einzelne Aspekte der

situationalen Komplexität gelegt werden (vgl. ebd.:156). Bei der

Page 20: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

12

Netzwerkdiagnostik geht es um die Erkundung und Einschätzung der Einbindung

eines Individuums in das Soziale und in die Gesellschaft. Bei der Einbindung sind

zum einen die Netzwerke und zum anderen die Inklusion in gesellschaftliche

Prozesse von Interesse. Diagnoseinstrumente sind bspw. die Ecomap oder die

Netzwerkkarte (vgl. ebd.:184). Die biografische Diagnostik rückt die Biografie der

KlientInnen in den Vordergrund, um ein Verständnis für den Klienten oder die

Klientin, ihr oder sein Selbstverständnis, ihre oder seine Erfahrungen, ihre oder

seine Weltsicht oder ihr oder sein Verhalten zu bekommen. Der biografische

Zeitbalken bspw. ordnet Erzählungsbestandteile der KlientInnen in einer

mehrdimensionalen Timeline mit Bezug auf die zeitliche Verortung und Nicht-

Erzähltem (vgl. ebd.:226). Um keine aktuellen Gefahren zu übersehen und

Interventionen ausfindig zu machen, die das Problem nicht direkt, sondern nur

indirekt behandeln, wird die Lebenslagendiagnostik herangezogen. Sie versucht

einen Überblick über die Lebenslage der KlientInnen zu bekommen, während sie

das Problem kurzzeitig außer Acht lässt. Möglich Instrumente sind das Inklusions-

Chart, IC3 und das integrachart (vgl. ebd.:238). Klassifikationssysteme werden

häufig in der Psychiatrie und Medizin verwendet und sind international anerkannt

und gebräuchlich. Durch sie wird das Strukturieren von Diagnosen sowie die

internationale Kommunikation durch universale Codes erleichtert. Sie leisten aus

diesem Grund einen Beitrag zur Entwicklung einer internationalen Kultur und

Wissensbasis. Zudem sind die Kriterien für die Terminologie international

einheitlich, was die international vergleichbare sowie vergleichende Forschung

und Statistik erleichtert. Klassifikationen sind bspw. der ICD, die ICF und das

Person-in-Environment-Classification-System, PIE (vgl. ebd.:282). Unter Black-

Box-Diagnostik werden Verfahren verstanden, die nicht das Ziel von

Informationsgewinnung für die SozialarbeiterInnen haben, sondern die

KlientInnen in ihrer Handlungsfähigkeit fördern. Sie strukturieren die Bewertungen

von Situationen unter Anleitung und Begleitung der SozialarbeiterInnen. Dennoch

haben die SozialarbeiterInnen keinen Einfluss oder Kontrolle über den Prozess.

Das Verfahren ist zur selben Zeit sowohl Diagnostik, als auch Intervention.

Konkrete Instrumente sind das Problemranking, Skalierungen und die 4-Felder-

Matrix des Motivational Interviewing (vgl. ebd.:310). Risikoabschätzungen sind

diagnostische Verfahren, die der Entscheidungsvorbereitung schwerwiegender

Page 21: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

13

Entscheidungen mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen, wie KlientInnen,

ihr Umfeld und die Organisation dienen sollen. Viele Organisationen wenden bei

solchen Interventionsentscheidungen verlangsamte Prozedere an, die mehrere

MitentscheiderInnen zwingend miteinbeziehen. Ein mögliches Instrument ist das

Interventionsassessment, IA (vgl. ebd.:321). Die Symptom- und

Risikofaktorenlisten haben die größte Nähe zu in der Medizin ähnlichen

Diagnosen. Sie enthalten ‚Verdachtsmomente‘, die, wenn sie häufig vorhanden

sind, Fallmuster nahelegen. Besonders häufig werden Symptomlisten in der

Jugendwohlfahrt zum Schutz von Kindern angewendet. Symptomlisten sind

hilfreich beim Finden von Fallmustern, zeigen aber die spezielle Konstruktion des

Einzelfalls kaum (vgl. ebd.:333). Das Verfahren der Typenbildung beschreibt in

einer Organisation oder auch einer Zielpopulation ‚typische‘ Situationen oder auch

‚typische‘ Verläufe, definiert Merkmale und ordnet Fälle solchen Typen zu.

Vorausgesetzt wird eine qualitative Untersuchung einer AdressatInnengruppe und

ihrer jeweiligen Fallverläufe. Daraus werden dann ‚typische‘ Verläufe extrahiert.

Die Typen werden gemeinsam mit erfahrenen PraktikerInnen gebildet, die aus

ihrem Handlungsfeld viel Erfahrung im Umgang mit KlientInnen haben. Die

provisorischen Typenbildungen werden dann anhand weiterer Fälle oder

vorhandenen Fälle auf ihre Gültigkeit hin überprüft und modifiziert (vgl. ebd.:339).

Zuletzt folgt die ‚Voodoo-Diagnostik‘, die Pantucek zufolge ‚magische‘ Anteile hat

und mit nennenswerten Showeffekten im Beratungsprozess eingesetzt wird. Der

‚magische‘ Anteil zeigt sich in einer Verabsolutierung des Verfahrens. Es kommt

zu einer Betonung der Einheit von Diagnose und Therapie und das ideologisierte

Verfahren hat Priorität vor der wirklichen Situation. Als Beispiel nennt er die

Familienaufstellung nach Hellinger (vgl. ebd.:343).

Im Vergleich zu Pantuceks Unterscheidung wird bei Heiner (2013) zwischen

Orientierungsdiagnostik, Zuweisungsdiagnostik, Gestaltungsdiagnostik und

Risikodiagnostik unterschieden. Während Orientierungsdiagnostik bereits zu

Beginn eines Hilfeprozesses helfen soll, einen Überblick zu bekommen,

unterstützt die Zuweisungsdiagnostik bei der Findung von geeigneten Hilfeformen

und Interventionen. Die Gestaltungsdiagnostik unterstützt bei der Überprüfung

Page 22: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

14

und Adaption von laufenden Interventionen und die Risikodiagnostik wird für die

kurzfristige Einschätzung einer möglichen Gefahrenlage verwendet (vgl. Heiner

2013:18).

Pauls richtet sich bei den Formen der Diagnostik nach Reicherts (1999), der

einmal intuitiv und methodenbasierte Diagnostik einander gegenüberstellt sowie

Status- und Prozessdiagnostik, Eingangs- und Interventionsdiagnostik,

Normorientierte und kriteriumsorientierte Diagnostik sowie individuumsorientierte

und systemorientierte Diagnostik. Er spricht davon, dass in der sozialen Praxis

häufig intuitive Formen der diagnostischen Vorgehensweise zur Anwendung

kommen. In der wissenschaftlich fundierten Klinischen Sozialen Arbeit hingegen,

besteht die Notwendigkeit für rational fundierte und methodenbasierte Diagnostik.

Nichtsdestotrotz muss erfahrungs- und wissensbasierte Intuition der

PraktikerInnen aufgrund der hohen Komplexität von klinisch-sozialen Aufgaben

einbezogen werden, solang sich die Diagnostik methodisch hinterfragen lässt. Bei

der Gegenüberstellung von Status- und Prozessdiagnostik hat Statusdiagnostik

zum Ziel, alle relevanten Dimensionen abzuklären wie bspw. die Ereignisse,

Kontextbedingungen und Beziehungsverhältnisse. Prozessdiagnostik legt den

Fokus auf Veränderungsprozesse, die im Verlauf einer Maßnahme auftreten,

erfasst und bewertet sie. Des Weiteren wird zwischen Eingangs- und

Interventionsorientierter Diagnostik unterschieden. Eingangsdiagnostik findet zu

Beginn einer Maßnahme statt und erfasst wichtige Merkmale. Besonders in

klinischen Arbeitsbereichen ist eine Diagnose voraussetzend für eine

Kostenübernahme vonseiten des Trägers. Darüber hinaus ist sie für eine

interdisziplinäre Kooperation notwendig. Zu Beginn einer Intervention ist ein

Abklärungsprozess nötig, um feststellen zu können, ob und inwiefern das Problem

der KlientInnen akkurat in der jeweiligen Organisation behandelt werden kann.

Interventionsorientierte Diagnostik hingegen erarbeitet Informationen für die

Zielbestimmung, die Strategie zur weiteren Vorgehensweise und die

Interventionsmethoden und -techniken. Bei der Unterscheidung zwischen

normorientierter und kriteriumsorientierter Diagnostik ordnet die normorientierte

Diagnostik die Merkmale eines Klienten oder einer Klientin ihrer Position in Bezug

Page 23: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

15

auf statistische Normen einer Vergleichspopulation zu. Dabei stellt sich die Frage,

inwieweit die Person von den Durchschnittsnormen abweicht. Die

Kriteriumsorientierte Diagnostik setzt die Merkmale der Personen mit bestimmt

gesetzten Soll-Kriterien ins Verhältnis. Zuletzt folgt die individuums- und

systemorientierte Diagnostik. Die individuumsorientierte Diagnostik stellt die

Person in den Mittelpunkt, während die systemorientierte Diagnostik sich die

Beziehungen zwischen Person und Umgebung anschaut (vgl. Reicherts 1999 zit.

n. Pauls 2013:203f.) Nach einer ausführlichen Beschreibung der unterschiedlich

definierten Diagnostikformen wird im nächsten Kapitel der Fokus auf Eckpunkte

und Koordinaten der psychosozialen Diagnostik gelegt.

2.1.2 Koordinaten psychosozialer Diagnostik

Psychosoziale Probleme gelten als sehr komplex und können in ihrer Entstehung

und Aufrechterhaltung von unterschiedlichsten Faktoren beeinflusst werden. So

ist bei einer Problemursache nicht von einem einzigen Kontextfaktor oder einer

einzelnen Person die Rede. Nach dem Ansatz der Person-in-environment handelt

eine Person auf ihre Umgebung antwortend und diese reagiert dieser Handlung

entsprechend. So kommt es zu reziproken Interaktions- und Handlungsprozessen

zwischen einem Individuum und seiner Umgebung. Ziel ist eine Mehrebenen-

Diagnostik, die interventionsorientiert ist, Grundlagen liefert und Maßnahmen

evaluiert. Für diagnostische Daten benötigt sie verschiedene Informationsquellen,

wie direkte Beobachtungen von (nonverbalem) Verhalten, Beobachtungen von

Interaktionsverhalten, Selbstbeobachtungen und -berichte der KlientInnen,

Fremdbeobachtungen, psychologische Testverfahren, Computerbasierte

Diagnostik, Erfahrungen und Beobachtungen in der Beziehung zwischen

Fachkraft und KlientIn sowie Informationen aus Akten. Zu den Dimensionen der

Problematik gehören mitunter Hinweise auf das Problem, involvierte Personen

und Systeme, aufrechterhaltende und verursachende Faktoren, unerfüllte

Bedürfnisse, der Entwicklungsstand, in welchem das Problem entstanden ist, die

Problemschwere und die Auswirkungen, mögliche Problembedeutungen, genaue

Eckdaten zum Problemauftreten, die Häufigkeit und Dauer und die Ressourcen

der KlientInnen. Diese Vielzahl an Dimensionen weist auf die Notwendigkeit eines

Page 24: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

16

strukturierenden und ordnenden Orientierungsmodells hin. Die Balance zwischen

schädigenden und krankhaften Bedingungen auf der einen Seite und protektiven

inneren und äußeren Bedingungen auf der anderen Seite entscheidet über

Adaptionserfolge im Entwicklungsprozess eines Individuums. Aus diesem Grund

legt die psychosoziale Fallarbeit ihren Fokus auf die Schnittstelle zwischen

Defiziten, Belastungen und Vulnerabilität sowie Ressourcen, Kompetenzen und

unterstützenden Kontextfaktoren (vgl. Pauls 2013:205f.).

Pantucek unterscheidet bei den Dimensionen in „Probleme der

Alltagsbewältigung“, „Relevanzstruktur“, „Normalität“, „mögliche Programme“,

„Einbindung in das Soziale“ und „Status des Unterstützungsprozesses“.

Abbildung 1: Diagnostische Dimensionen (Quelle: Pantucek 2012:126)

Die Grenzen zwischen den Dimensionen sind nur vage, so dass es zu

Überschneidungen und gegenseitiger Beeinflussung kommt. Jeder Dimension

können geeignete Diagnose- und Analyseverfahren zugeordnet werden. Jedoch

Page 25: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

17

ist es zunächst erforderlich, alle Dimensionen zu betrachten. Demnach können

Interventionsentscheidungen nicht basierend auf einem einzelnen Verfahren, das

eine Dimension abbildet, getroffen werden. Es ist erforderlich, nachfolgend

Einschätzungen zu machen, welche Interventionsstrategien basierend auf

anderen Dimensionen wie aussehen könnten (vgl. Pantucek 2012:126f.). Nach

einer Beschreibung der Koordinaten von psychosozialer Diagnostik wird im

Folgenden die Zielorientierung als wichtiger Arbeitsschritt der psychosozialen

Diagnostik in der Sozialen Arbeit näher erläutert.

2.2 Zielorientierung in der psychosozialen Diagnostik

Nach einer Situationsanalyse kommt es zur Hypothesenbildung und zur Annahme

dessen, was geändert werden muss, um störende Verhaltensweisen zu ändern

oder auch eine problematische Situation bewältigen zu können. Diesen

Annahmen nahe sind Zielvorstellungen. Bei Zielvorstellungen kann es sich um

das Erwerben von Fähigkeiten oder Kenntnissen handeln oder auch um die

bessere Kontrolle von monatlichen Aufgaben. Oftmals ist der Fall, dass der Klient

oder die Klientin bereits mit Zielvorstellungen kommt (vgl. Stimmer 2000:142).

In der Fachdiskussion wird jedoch häufig die Meinung vertreten, dass gewünschte

Ergebnisse nicht ins kleinste Detail geplant werden können, dass Entwicklungen

nicht vorhersehbar sind und sich jederzeit in eine andere Richtung verändern

können (vgl. Spiegel 1993 zit. n. Spiegel 2006:135). Spiegel (2006) bringt hierbei

an, dass menschliches Handeln intentional und damit auf eine Ursache, ein Motiv,

Anliegen, Ziel oder ein Ergebnis bezogen sei. Im Vergleich zum Handeln im Alltag

wird das methodische Handeln durch seine Zielbezogenheit gekennzeichnet. Das

ist nötig, um über fachliche und moralische Angemessenheit des

Wirkungszusammenhangs zwischen Ausgangslage, dem erwünschten Zustand

und den Interventionen reflektieren zu können (vgl. ebd.). Es besteht außerdem

die Gefahr, beim Formulieren von Hypothesen und Zielen Vorurteilen zu erliegen

oder durch eine begrenzte, vielleicht auch verzerrte Wahrnehmung oder ein

Page 26: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

18

unvollständiges Bild Vorurteile anzubieten. Aus diesem Grund ist es besonders

wichtig, methodisch sehr genau vorzugehen. In weiterer Folge werden in

Abstimmung zwischen Fachkraft und KlientIn möglichst klare und eindeutige Ziele

formuliert, auf welchen aufbauend Hypothesen entwickelt werden, die

richtungsweisend für weitere Interventionen sind (vgl. Stimmer 2000:142).

Die Ziele werden auf Grundlage einer Faktensammlung, der Interpretation und

Benennung des Problems sowie einer Situationsanalyse abgeleitet. Hierbei stellt

sich die Frage, was erreicht werden soll. In einem Arbeitsbündnis zwischen

KlientIn und Fachkraft wird ein Kontrakt geschlossen, in dem eine

Zielformulierung, Zielauswahl sowie Zielbegründung ausgehandelt werden. Dabei

hängen Ziele, die Soll-Situation und ebenso Urteile von der jeweiligen

Lebenssituation des Klienten oder der Klientin ab sowie von seinen oder ihren

Sichtweisen, Wertvorstellungen, der inneren Einstellung und den

Menschenbildern. Es ist außerdem von Wichtigkeit, dass Ziele immer wieder

überprüft und gegebenenfalls neu formuliert werden. Dabei kann zwischen

Global-, Grob- und Feinzielen sowie Fern- und Nahzielen unterschieden werden

(vgl. Limbrunner 2004:65).

Werden Ziele formuliert, kommt es zum Anstreben und zur Planung von

Veränderungen, die von Fachkräften meist als Verbesserungen der Ist-Situation

interpretiert werden. Das wird von KlientInnen häufig anders gesehen. Besonders

bei Problembereichen, die bspw. das Kindeswohl betreffen, haben Fachkräfte die

Aufgabe kontrollierend zu intervenieren. Fachkräfte haben fernerhin die Macht

und ein Instrumentarium, um zumindest vordergründig ‚Verbesserungen‘

definieren zu können. Es ist ihnen außerdem möglich, KlientInnen in eine

bestimmte Richtung von Zielen zu steuern und zu lenken. Jedoch ist klar darauf

hinzuweisen, dass es sich hierbei um Manipulation handeln kann, die ethische

und fachliche Postulate der Profession verbieten. Dennoch ist es nötig, sich

bewusst zu machen, dass jeder Eingriff in ein Prozessgeschehen manipulative

Elemente beinhaltet, die vor allem im Hinblick auf Ausmaß und Stärke kontrolliert

werden müssen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, sich am Charakteristikum der

Page 27: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

19

Koproduktion zu orientieren, denn auch in der Praxis erweist es sich als

schwierig, einen Klienten oder eine Klientin von etwas zu überzeugen, das nicht

seine oder ihre eigenen Ziele sind und sie oder ihn auf lange Sicht in diese

Richtung zu steuern. Stattdessen sollten KlientInnen bei der Findung und

Entwicklung eigener Ziele unterstützt und auf dem Weg mit geeigneten

Interventionen und Methoden begleitet werden. Die Fachkraft nimmt auf diesem

oft länger dauernden Weg die Rolle der Moderatoren ein. Hierbei werden

Personen, wie Familie, Gruppe, Gemeinwesen oder Einrichtung, die mitbetroffen

sind, miteinbezogen, indem Ziele zwischen KlientInnen und gesellschaftlichen

Gruppen und Instanzen ausgehandelt werden, was zusätzlich zu Zielkonflikten

führen kann. Mithilfe der Konzeptionsentwicklung oder der Hilfeplanung können

Ziele auf der Management- oder Fallebene ausgehandelt werden. Relevant für die

Zielfindung sind Perspektiven wie Bedürfnisse, Wünsche und Anliegen der

KlientInnen, aber auch Wertvorstellungen, Theorien, Methoden und

Interpretationen der Fachkräfte sowie Vorgaben durch Institutionen und

Kostenträger, als auch sozial- und kommunalpolitische Themen (vgl. Spiegel

2006:135f).

Um Ziele formulieren zu können, ist eine differenzierte Strukturierung vonnöten.

Wenn ein Ziel erreicht wurde, ist es möglich, dass sich daraus unerwünschte und

neue Probleme ergeben. Ebenso kann es sein, dass Ziele so vielfältig sind, dass

kein Überblick mehr vorhanden ist oder Ziele so hochgesteckt sind, dass sie nicht

mehr greifbar zu sein scheinen. Das macht es erforderlich, schon im Vorhinein

Folgen und Nebenfolgen zu bedenken, Ziele zu sammeln und zu strukturieren,

ihre Wechselwirkung zu erkennen und sie in einer Rangordnung zu

hierarchisieren. Ziele sollten so gewählt sein, dass sie für den Klienten oder die

Klientin zu einer Entlastung einer belastenden Situation führen, ein Problem lösen

oder vorsorglich wirken (vgl. Stimmer 2000:124). Hinzu kommt, dass Ziele so

genau wie möglich formuliert sein sollten, damit für den Klienten oder die Klientin

möglichst klar ist, wohin es geht, mit was sie rechnen können, was sie leisten

müssen und wie sie unterstützt werden. Wenn Ziele sehr konkret und realitätsnah

Page 28: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

20

formuliert wurden, können Interventionen kongruent geplant und konstruiert

werden (vgl. Spiegel 2006:136).

Aus diesem Grund wird bei der Zielformulierung auf die Form und Inhalte der

Formulierung geachtet. Oftmals tritt der Fall ein, dass Ziele sehr diffus

beschrieben werden, wie bspw. „Verbesserung des Sozialverhaltens“. Oder es

werden bereits eine Hilfeart oder Methode in das Ziel miteingeschlossen, wie

bspw. um den Schulabschluss zu bekommen, benötigt die Klientin eine intakte

Wohngruppe. Auf diese Weise werden andere und möglicherweise geeignetere

Methoden oder Hilfearten bereits im Vorhinein ausgeschlossen. Werden Ziele

bereits negativ formuliert, bleibt offen, wie der Zielzustand aussehen soll, was die

Umsetzung deutlich erschwert (vgl. ebd:138). Spiegel unterscheidet bei Zielen

zwischen Wirkungs-, Teil- und Handlungszielen. Bei Wirkungszielen handelt es

sich um wünschenswerte Verhältnisse für KlientInnen, die eine grobe Orientierung

geben. Aufgrund dessen, dass sich die Planungszeiträume über Jahre erstrecken

können, ist es sinnvoll, Teilziele zu bilden. Diese fungieren als Etappen auf dem

Weg zum Wirkungsziel und werden realitätsnah und konkret formuliert. Auf Basis

der Wirkungs- und Teilziele werden Handlungsziele konstruiert. Bei ihnen handelt

es sich um Arbeitsziele der Fachkräfte, die Vorstellungen über förderliche

Kontextbedingungen für eine Zielerreichung beschreiben, an denen die

Fachkräfte arbeiten können. Es wird zudem zwischen Handlungszielen als

Arbeitsziele für die Fachkräfte und Handlungsschritten für die KlientInnen zu den

Teil- und Handlungszielen unterschieden. Jedoch enthalten die

Zielformulierungen noch keine Handlungsschritte, da diese erst in weiterer Folge

konstruiert werden. Erste Ideen für Handlungsschritte können sich aber auch

schon im Vorab erfasst und notiert werden. Gearbeitet wird überwiegend mit

konkretisierten Teilzielen, die in einem vorab festgelegten Zeitrahmen erreichbar

sein sollten. Das ist häufig von großer Schwierigkeit, sollte aber ernst genommen

werden, da unerreichte Ziele sich in Frustrationen auf beiden Seiten auswirken

können. Teilziele werden so formuliert, dass sie von den KlientInnen selbst

umgesetzt werden können und fallen damit auch in ihren Verantwortungs- und

Zuständigkeitsbereich. Fachkräfte übernehmen die Verantwortung für

Page 29: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

21

Unterstützungsszenarien. Neben der Konkretheit, Machbarkeit und positiven

Formulierung der Zielvereinbarungen sollten diese zudem einfach und

verständlich formuliert sein ohne fachliche Termini und Begrifflichkeiten, die den

KlientInnen nicht geläufig sind (vgl. Brack 1997; Meinhold 1998; Walter/ Peller

1996; Heiner 1996 zit. n. ebd:138f.).

Nach einer Beschreibung der Zielorientierung als Arbeitsschritt in der Sozialen

Arbeit wird im darauffolgenden Unterkapitel die Zielerreichungsanalyse nach

Pauls und Reicherts als Beispiel und konkrete Methode zur Zielerreichung

herangezogen und genauer beschrieben.

2.2.1 Zielerreichungsanalyse

Pauls und Reicherts (2010) antworten auf die zunehmenden Forderungen von

unterschiedlichsten Kostenträgern und kommunalen Diensten und Jugendämtern

nach empirischer Überprüfung der Effektivität von Fallarbeit mit dem „Verfahren

einer systematischen, interdisziplinär einsetzbaren und schulenunabhängigen

Zielerreichungsanalyse“ (Pauls/Reicherts 2010:10), ZEA. Das evidenzbasierte

Verfahren erfasst und bewertet die Resultate diversifizierter Fallarbeit. Dabei

werden konkrete Veränderungsziele erarbeitet, während des Prozesses der

Zielerreichung erfasst, gesteuert und abschließend evaluiert. Innerhalb des

Prozesses werden zusammen mit dem Klienten oder der KlientIn Zielerreichung

und Evaluation erarbeitet und ausgemacht. Die „interventionsorientierte, erlebens-

und verhaltensnahe Diagnostik“ (ebd.:11) wird in Ergänzung zu anderen

Diagnostiken verwendet und dient als Indikation dafür, welche Maßnahmen

angebracht sind und ist somit Grundlage für die Verlaufskontrolle der

Interventionen. Die diagnostischen Daten geben Hinweise zur Wirkungskontrolle,

Steuerung und Anpassung der Interventionen. Der oder die KlientIn hat die

Möglichkeit, bei der Planung, Durchführung und Evaluation Einfluss zu nehmen

(vgl. ebd.:9ff.).

Page 30: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

22

Die Funktionen werden nach Pauls und Reicherts auf zwei Achsen beschrieben:

die psychologischen und die methodisch/sachlogischen Funktionen. KlientInnen

und PatientInnen, die psychosoziale Unterstützung annehmen, haben oft

Qualitäten wie „Gesundheit, Autonomie, Orientierung, ein Gefühl für persönliche

Gestaltungskraft und Wirkung, Kontrolle über das eigene Leben“ (ebd.:13)

verloren. Durch das Erschließen von persönlichen Zielen kann die Motivation für

eine Arbeitsbeziehung gestärkt werden. Mithilfe der Erarbeitung von Zielen und

Wegen zu ihrer Erreichung, wird die Problematik und schwierige Lebenssituation

des Klienten oder der Klientin in den Blick genommen und analysiert. Dabei

spielen auch die Wünsche und Bedürfnisse der Klientin oder des Klienten eine

wichtige Rolle, während der Fokus auf Fähigkeiten, Ressourcen, Optimismus und

sozialen Gelegenheiten liegt (vgl. ebd.:13). Methodische Funktionen sind Aspekte

wie der kooperative Prozess der Zielvereinbarung, bei welchem es die Vorgaben

gibt, dass neben den Zielen zielbezogene Vorgehensweisen entwickelt und

Kriterien zur Bewertung erarbeitet werden. Des Weiteren wird Struktur und

Bezugsrahmen angeboten sowie eine einzelfallbezogene Steuerung und

Verlaufskontrolle. Zuletzt steht im Vordergrund, dass sich der oder die KlientIn

antizipatorisch mit den Zielen durch genaueres Konkretisieren auseinandersetzt

(vgl. ebd.:14f.).

Das Instrument der ZEA ist vor allem bei einer partizipativen Zusammenarbeit mit

dem Klienten oder der Klientin sinnvoll. Im Anwendungskontext von

Einzelfalldiagnostik, Interventionsplanung und Arbeitskontrakt werden

Veränderungsziele wertschätzend und ressourcenorientiert formuliert. Dies kann

mit dem Vier-Phasen-Modell nach Ng und Tsang geschehen. Dieser Prozess hat

einen diagnostischen sowie einen fördernden Effekt. Durch psychosoziale

Interventionen kommt es zur Initiierung, Stabilisierung und Integration von

Veränderungen. Die Ergebnisse können sich innerhalb der Beratung oder auch

außerhalb derer zeigen. Jedoch sollte erst dann von einem Erfolg gesprochen

werden, wenn sich diese Ergebnisse fest in der Funktionsweise verankert haben.

Empirische Studien besagen, dass bei kleinen Erfolgen innerhalb des Settings die

Wahrscheinlichkeit auf einen Behandlungserfolg größer wird (vgl.

Page 31: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

23

Orlinsky/Howard 1987 zit. n. ebd.:21). Bei einem Arbeitskontrakt sollte früh genug

eine Formulierung der Ziele stattfinden. Es werden die Probleme identifiziert und

Ziele, Arbeitsschritte und eine Zielerreichungskontrolle abgeklärt (vgl. ebd.:21).

Werden von den KlientInnen keine Unterstützungen oder Veränderungen

gesucht, wird die Klinische Soziale Arbeit vor die Herausforderung gestellt, den

Kontakt und den Wunsch nach Veränderung zu bewirken. Das geht auch immer

mit ethischen Entscheidungen einher, jedoch auch mit einer möglichen Chance,

welche die Klientin oder der Klient sonst nicht bekommen hätte (vgl. ebd.:22).

Ein anderer Kontext sind die Verlaufskontrolle, Evaluation und Qualitätssicherung.

Eine Evaluation ist eine Bewertung, die Informationen über Zweck-Mittel-

Beziehungen, begründete Bewertungen der Nützlichkeit, Rechtfertigungsfähigkeit

der Maßnahmen und bestimmende Normen und Ziele gibt. Anhand dieser können

Umwelt und Lebensführung der Betroffenen verändert werden. Professionen der

Sozialen Arbeit und andere mit psychosozialem Schwerpunkt sind immer mehr

verpflichtet, qualitativ und quantitativ Problemlösungen, Zielerreichungen und

Veränderungen zu evaluieren. Dazu werden Ergebnisse erfasst, dokumentiert

und bewertet. Anhand einer Baseline können Indikatoren vor der Intervention

erfasst werden, um dann die eigentlichen Ergebnisse einschätzen zu können. Die

ZEA kann somit ein Evaluationsinstrument in Qualitätskontrolle und

Qualitätssicherung sein. Die Kontexte der Interventions- und Wirkungsforschung

brauchen die Informationen der ZEA. Bei der ZEA in der Einzelfallforschung wird

beim single-subject design durch eine Veränderung der unabhängigen Variable

und durch das Kontrollieren von anderen Bedingungen, die Veränderungen der

abhängigen Variable erfasst (vgl. Fichter 1989:61 zit. n. ebd.:25). Beim

Gegenstand kann es sich um eine Person, eine Gruppe oder auch eine

Organisation handeln. Im Gegensatz zur USA wird das Verfahren im

deutschsprachigen Raum in der Sozialen Arbeit nur sehr wenig benutzt. Beim

Multiple-Baseline-Design gibt es mehrere Zielverhaltensweisen als Gegenstand

von Interventionen. Zielrelevante Indikatoren werden regelmäßig gemessen.

Dadurch kann gezeigt werden, dass Interventionen die Zielvariablen beeinflussen

(vgl. ebd.:27). Weiters können auch vorgegebene, standardisierte Ziele benutzt

Page 32: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

24

werden, um die Zielerreichung im Interventionsprozess einschätzen zu können.

Sie werden mit dem Klienten oder der Klientin besprochen, operationalisiert und

dann danach beurteilt, ob sie erreicht wurden (vgl. ebd.:29).

Es gibt verschiedene Arten von Zielen nach Pauls und Reicherts wie: Problem-

und Defizitziele, Ressourcenziele, Individualziele und Umgebungsziele. In der

Arbeit mit KlientInnen sollte das Ziel auf diese/n bezogen sein und Wichtigkeit

haben. Zudem sollte es einen klaren Fokus auf bestimmte Situationen,

Verhaltensweisen oder Erlebensweisen und Kriterien sowie Handlungsfunktionen

haben (vgl. ebd.:30f.). Zur Ausführung der ZEA sollte sie im Diagnostik- und

Kontrakterarbeitungsprozess eingegliedert sein (vgl. Cournoyer 1996:247ff. zit. n.

ebd.:32). Beim Erarbeiten des Arbeitskontraktes werden die Problembereiche für

die Veränderungsarbeit durch die Reflexion von Seiten des Klienten oder der

Klientin, durch den Blickwinkel der Fachperson auf die Problematik, differenziert.

Darauffolgend können gemeinsam Ziele erarbeitet werden, die das Fundament für

weitere Interventionen, Hilfen und die Behandlung darstellen (vgl. ebd.:32).

Bei der Zielbeschreibung ist es grundlegend, dass Ziele in Form von Fähigkeiten

und Fertigkeiten erfasst werden. Sie sollten zugleich „klar, spezifisch und

überprüfbar“ (ebd.:22) sein. Die Kriterien, welche festlegen, ob ein Ziel erreicht

wurde oder nicht, werden von der Fachperson oder dem Klienten oder der Klientin

festgelegt und müssen vor allem verstanden werden (vgl. ebd.:33). Nach der

Festlegung der operationalisierten Ziele werden diese von der Klientin oder dem

Klienten nach ihrer Relevanz priorisiert. Das hat den Zweck, Verbesserungen

sowie Veränderungen in der Priorisierung der Ziele zu zeigen (vgl. ebd., S.35).

Konnten die Ziele formuliert, priorisiert und dokumentiert werden, wird darüber

hinaus diskutiert, wer in die Diagnostik und Interventionen miteinbezogen wird

und von welchen Ansatzpunkten bei den Veränderungen ausgegangen wird.

Hierbei haben KlientInnen sowie die Fachperson jeweilige Aufgaben. Zu den

KlientInnenaufgaben gehören Handlungen innerhalb und außerhalb des

Beratungsgespräches. Zu den BeraterInnenaufgaben gehören Handlungen in den

Beratungseinheiten sowie zwischen diesen (vgl. ebd.:36).

Page 33: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

25

Innerhalb der Zielerreichungsanalyse gibt es mindestens zwei Bewertungen. Die

Menge dieser und die genauen Zeitpunkte sind abhängig von der Interventionsart

und der Art der Anwendung von der ZEA. Gemessen wird meist als Erstmessung

in der zweiten oder dritten Einheit und die Endmessung in der vorletzten Einheit.

Je nach Länge der gesamten Beratung können diese zwei Messungen nah oder

weit weg voneinander stattfinden (vgl. ebd.:38).

Bei der Anwendung der ZEA kann sich außerdem die Gewichtung der Ziele

verändern oder auch neue Veränderungsziele hinzukommen. Die Ursachen dafür

können vielfältig sein, jedoch sollten neue Ziele hinzugefügt werden und

Gewichtungen verändert. Kommt es zu einer Veränderung der Gewichtung von

Zielen, werden alle Ziele noch einmal neu bestimmt und priorisiert (vgl. ebd.:39).

Die Bewertungen werden direkt in den Erhebungsbogen eingetragen, wodurch

Veränderungen bei einem Ziel sofort abgelesen werden können. Kommt es zu

mehreren Messungen, sind auch die Verläufe erkennbar. Der Veränderungsindex,

welcher zu jedem Messzeitpunkt bestimmt werden kann, zeigt die gewichteten

Veränderungen je nach Priorität der Ziele. Diese Auswertung wird zwischen

Fachperson und Klienten oder Klientin gemeinsam besprochen, damit jeder seine

Stellung beziehen kann. Vor allem wird jedoch auf Verbesserungen und

Fortschritte geachtet und diese betont (vgl. ebd.:40).

3. Die Internationale Klassifikation für Funktionsfähigkeit,

Gesundheit und Behinderung

Nach einer ausführlichen Beschreibung psychosozialen Diagnostik in der

Klinischen Sozialen Arbeit sowie dem Beispiel der Zielerreichungsanalyse von

Pauls und Reicherts wird dieses Kapitel den Fokus auf die „Internationale

Klassifikation für Funktionsfähigkeit, Gesundheit und Behinderung“ legen. Dafür

wird die „WHO Family of International Classifications“, WHO-FIC, aus welcher die

ICF entstammt sowie die weiteren dazugehörigen Klassifikationen näher definiert

Page 34: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

26

und beschrieben. Danach wird die Aufmerksamkeit auf die ICF gelegt und ihre

Struktur, ihr Aufbau, ihre Entstehung und Entwicklung, ihre internationale

Anwendung sowie die Anwendungsbereiche erläutert. Zuletzt werden ebenso

Kritik und mögliche Grenzen der ICF veranschaulicht.

Mit der Zugehörigkeit zur FIC hat die ICF eine familiäre Verbindung zur

„International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“,

ICD, einen Diagnoseschlüssel, welcher bspw. von ÄrztInnen und PsychologInnen

angewendet wird. Trotz überlappender Sachbereiche beider Klassifikationen

haben sie unterschiedliche Zielsetzungen, die jedoch miteinander in Ergänzung

stehen sollen. Während die ICD für ein Gesundheitsproblem nach einem

medizinischen Modell mit dem Ziel, eine Therapie für das Problem zu finden, eine

Diagnose stellt, stellt die ICF die sozialen Folgen einer Krankheit in den

Vordergrund. Die ICF erfasst die einzelnen gestörten Funktionen und die

Auswirkung auf Aktivitäten und Teilhabe (vgl. Meyer 2004:23).

3.1 WHO Family of International Classifications

Die WHO verwaltet mehrere Klassifikationen, die WHO-FIC. Die Internationalen

Klassifikationen der WHO zeigen eine Ordnung von Daten mit Bezug auf

Gesundheit im weitesten Sinne. Die WHO-FIC stellt ein Instrument dar, das den

Gesundheitszustand von Individuen und Populationen beschreibt und

international vergleicht. Durch die WHO-FIC wird angestrebt, in den WHO

Mitgliedsstaaten die Datenqualität zu erhöhen und die Gesundheit von ganzen

Populationen zukünftig genauer beobachten und fördern zu können. Zudem

sollen die Ursachen bestimmter Krankheitserscheinungen und die

Sterblichkeitsrate besser erkannt, eingeschätzt und bewertet werden (vgl. Kiuppis

2007:16f.).

So dient die Familie der internationalen, gesundheitsrelevanten Klassifikationen

als konzeptueller Rahmen und als gemeinsame Sprache für die

Page 35: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

27

Gesundheitsberichterstattung. Durch die Zusammenführung der diversen

Klassifikationen als Familie wird eine umfassende Darstellung der

unterschiedlichen Dimensionen von Gesundheit und der Gesundheitsversorgung

ermöglicht. Die Klassifikationen lassen sich in Kern- oder Referenzklassifikationen

ableiteten und zwischen verwandten Klassifikationen unterscheiden. So

thematisieren die Kernklassifikationen „Krankheit“, „Behinderung“ und „Eingriffe“,

während andere Klassifikationen der Klassifikationsfamilie „Arzneimittel“,

„Unfallursachen“ oder die Gründe für die „Inanspruchnahme des

Gesundheitswesens“ definieren (vgl. Jakob et al. 2007: 926).

Planungen und Aktivitäten, die die Klassifikationen der WHO betreffen werden

hauptsächlich durch das WHO-FIC-Network durchgeführt. Einmal im Jahr findet

ein Treffen statt, an dem alle von der WHO ernannten nationalen Collaborating

Centres anwesend und beteiligt sind (vgl. Schliehe/ Ewert 2013:42).

Die „United Nations Statistical Division“, UNSD hat die „UN Family of International

Economic and Social Classifications“ definiert und Grundsätze für standardisierte

statistische Klassifikationen veröffentlicht. Die WHO Familie der Internationalen

Klassifikationen ist dabei zu den Klassifikationen komprimiert worden, die

international als Richtlinien von der „United Nations Statistical Commission“ oder

anderen zwischenstaatlichen Gremien für Themen wie Ökonomie, Demografie,

Arbeit, Gesundheit, Bildung, Sozialfürsorge, Geographie, Umwelt und Tourismus

genehmigt wurden. Die WHO-FIC unterscheidet drei Referenzklassifikationen: die

“International Classification of Disease”, ICD-10, die “International Classification of

Functioning, Disability and Health”, ICF und die “International Classification of

Health Interventions”, ICHI (vgl. Kiuppis 2007:17f.). Diese drei Klassifikationen

werden im nächsten Kapitel in Kürze vorgestellt.

3.1.1 ICD

Die WHO stellt die ICD, einen Katalog zur Klassifikation von Krankheiten zur

Verfügung, derzeit gültig in der zehnten Revision. Im Vergleich zum

amerikanischen Klassifikationssystem das „Diagnostic and Statistical Manual of

Page 36: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

28

Mental Disorders“, DSM-IV wird bei der ICD weniger die wissenschaftliche

Fundierung in den Fokus gerückt als die Kompromissfindung und Anpassung an

unterschiedliche Weltkulturen. Im deutschsprachigen Raum und in den meisten

der europäischen Länder wird das DSM-IV überwiegend für Forschungszwecke

verwendet. Diese Länder verwenden stattdessen eher den ICD-10 der WHO,

während das DSM-IV in Amerika etablierter ist (vgl. Bauer et al. 2014:531). Die

ICD umfasst alle Krankheiten, nicht nur die psychischen. Das aktuell gültige DSM-

IV-TR wird besonders von Wissenschaftlern geschätzt, da es verstärkt auf

Forschungsergebnissen basiert. Es wird durch eine multiaxiale Diagnostik

gekennzeichnet, wodurch diagnostische Einschätzungen auf verschiedenen

Ebenen vornehmbar sind. Auf der ersten Achse erfolgt die Diagnostik der

klinischen Störungen. Auf der zweiten Achse befindet sich die Diagnostik von

geistiger Behinderung und Persönlichkeitsstörungen und auf der dritten Achse

medizinische Krankheitsfaktoren. Auf der vierten Achse liegt die Diagnostik der

psychosozialen Probleme und auf der fünften Achse die Diagnostik des globalen

Funktionsniveau. Das DSM-IV-TR definiert für jede Diagnose einen Zahlencode

zur Abkürzung und ist in diagnostische Kategorien unterteilt. Für ‚Schizophrenie

und andere psychotische Störungen‘ gibt es bspw. eine eigene Kategorie und für

‚Angststörungen‘ eine andere (vgl. Berking/ Rief 2012:12f.).

Abbildung 2: Beispiel für polyaxiale Diagnostik nach DSM-IV (Quelle: Baumann/ Perrez 1998:13)

Die ICD wird auf der ganzen Welt zur Verschlüsselung von Diagnosen verwendet.

Das WHO-Kooperationszentrum für das „System Internationaler Klassifikationen“

Page 37: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

29

sowie das „Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information“,

DIMDI beteiligen sich an der Pflege und Weiterentwicklung dieser und anderer

Klassifikationen. Während die ICD-10 weiterentwickelt wird, wurde ebenso an

einer 11. Revision der ICD gearbeitet. Am 18.06.2018 wurde die ICD-11 von der

WHO in Genf vorgestellt und soll 2019 durch die Weltgesundheitsversammlung,

WHA verabschiedet werden. Wann genau die ICD-11 eingeführt werden soll ist

noch offen (vgl. DIMDI 2018b). Neben der ICD gibt es außerdem noch weitere

Skalen wie bspw. die Global Assessment of Functioning Scale, GAF. Sie stellt die

Achse V des DSM-IV dar (vgl. Saß et al. 1998 zit. n. Lange/ Heuft 2002:257). Die

GAF Skala ist eine globale Ratingskala zum psychosozialen Funktionsniveau. Mit

ihr kann ein integrales Gesamturteil über die psychische, soziale und berufliche

Leistungsfähigkeit eines Klienten oder einer Klientin getroffen werden durch einen

Zahlenwert zwischen eins und 100. Sie enthält zehn Punktschritte mit zehn

Ankerpunkten, die Symptome, Leistungsfähigkeit, soziale Beziehungen und

Psychopathologie beschreiben. Es werden jedoch keine

Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund körperlicher oder umweltbedingter

Einschränkungen einbezogen. Angewendet wird die GAF-Skala als

Fremdbeurteilung für Erwachsene im klinisch-psychiatrischen Bereich sowie in

der empirischen Forschung für Diagnostik, Therapieplanung, Prognosestellung,

zur Wirksamkeitsmessung von Behandlungen und zur Validierung von

Messinstrumenten (vgl. ebd.:257f.). Als eine weitere Diagnostik kann die

Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik, OPD genannt werden. Die OPD

ist ein psychodynamisches Instrument, das über die Diagnostik und

Therapieplanung hinaus geht und weitere und für die Behandlung relevante

Aspekte erfasst. Bei diesen Aspekten kann es sich um das Strukturniveau,

typische Konflikte und Behandlungsvoraussetzungen wie die

Behandlungsmotivation oder der Leistungsdruck handeln. Die OPD ist nicht nur

im deutschsprachigen Raum weiter verbreitet, sondern auch international in

einigen Ländern ein fester Teil der psychodynamischen Forschung und

Ausbildung (vgl. Cierpka/ Seiffge-Krenke 2013:5).

Page 38: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

30

3.1.2 ICHI

Die ‚International Classification of Health Interventions’, ICHI wird seit 2007 vom

WHO Netzwerk WHO-FIC entwickelt, um eine einheitliche internationale

Klassifikation für Statistik und für Entgeltsysteme im Gesundheitswesen zu

erstellen. Inhaltlich beinhaltet sie Prozeduren aus dem medizinischen und

chirurgischen Bereich, aber auch Gesundheitsinterventionen aus einer Vielzahl

von Bereichen des Gesundheitswesens wie der Rehabilitation, Pflege, Prävention

und dem öffentlichen Gesundheitswesen (vgl. Zaiss/ Dauben 2018:3).

Die ICHI soll für einen internationalen Vergleich und statistischen Austausch

verwendet werden. Auch für Länder, die bisher keine eigene

Prozedurenklassifikation verwenden, soll die ICHI einfach erweiterbar sein. Über

die ICHI können auch Interventionen der traditionellen Medizin und Maßnahmen

des öffentlichen Gesundheitswesens abgebildet werden (vgl. DIMDI 2018c).

Eine Gesundheitsintervention ist der WHO zufolge eine Handlung, die für, mit

oder im Auftrag einer Person oder Bevölkerungsgruppe ausgeführt wird und

deren Zweck es ist, Gesundheit, Funktionsfähigkeit oder Gesundheitszustände zu

bewerten, zu verbessern, beizubehalten, zu fördern oder zu verändern. Die ICHI

deckt Interventionen ab, die von einer breiten Menge an AnbieterInnen im

gesamten Gesundheitssystem durchgeführt werden (vgl. WHO 2018).

Die ICHI wurde entwickelt nachdem lange Zeit auf der ganzen Welt Diagnosen

mit der ICD klassifiziert wurden, die internationale Situation bei

Prozedurenklassifikationen aber sehr verschieden war. Im Jahr 1978 wurde

zunächst die „International Classification of Procedures in Medicine“, ICPM

veröffentlicht. Im selben Jahr wurde jedoch die Pflege und Weiterentwicklung der

ICPM wiedereingestellt. Zwischenzeitlich entwickelten Länder eigene nationale

Prozedurenklassifikationen mit unterschiedlichen Strukturen und Inhalten. Im Jahr

2000 kam die Intention auf, eine simple internationale Prozedurenklassifikation

Page 39: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

31

mit einer groben Granularität zu entwickeln, von der WHO herauszugeben und die

vor allem für Länder ohne Prozedurenklassifikationen sinnvoll ist. Im Jahr 2005

entschied man sich anstatt des monoaxialen Ansatzes für einen multiaxialen.

Nach einer Entwicklung von zehn Jahren durch das WHO-FIC Netzwerk konnte

die Beta Version 2018 veröffentlicht werden. Die multiaxiale Klassifikation ICHI

hat drei Achsen: die Achse ‚Target‘, die Einheit, an der die Intervention

durchgeführt wird, die Achse ‚Action‘, die Intervention und die Achse ‚Means‘,

Methoden und Art der Interventionsdurchführung. Damit ICHI auch in Ländern

ohne Prozedurenklassifikation eingesetzt werden kann und ein Fundament für

internationale statische Vergleiche darstellt, wurde ICHI im Bereich der drei

Achsen nur wenig komplex gestaltet. Aus diesen drei Achsen können

Stammcodes gebildet werden, die mit Erweiterungscodes und damit

Detailinformationen ergänzt werden können für Entgeltsysteme im

Gesundheitswesen. Für die ICHI Beta 2018 ist die ICHI-Plattform verfügbar. ICHI

soll voraussichtlich im Jahr 2020 fertig gestellt werden und daraufhin den WHO

Mitgliedsstaaten frei verfügbar gemacht werden (vgl. Zaiss/ Dauben 2018:1ff.).

3.1.3 ICF

Als dritte Referenzklassifikation der WHO folgt die ICF, die für die Arbeit relevante

Klassifikation. Die ICF wurde im Mai 2001 auf der 54. Weltversammlung der WHO

verabschiedet. Damit löste sie ihre Vorgängerversion, die „International

Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps“, ICIDH ab. Im gleichen

Zug wurden die WHO-Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert, die ICF in Forschung,

Berichterstattung, etc. verbindlich anzuwenden. Leider wird die ICF im

deutschsprachigen Raum nur sehr zögerlich aufgenommen (vgl. Seidel 2005:80).

Die ICF hat das Ziel, eine einheitliche und standardisierte Sprache und einen

Rahmen zu geben, um Gesundheitszustände und Zustände, die eng mit

Gesundheit zusammenhängen, zu beschreiben. Die Klassifikation definiert

Page 40: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

32

Gesundheitskomponenten und Komponenten von Wohlbefinden, die in

Zusammenhang mit Gesundheit stehen wie bspw. Erziehung, Bildung und Arbeit

(vgl. ICF 2008:9).

Die ICF wurde für die Verwendung im Gesundheitsbereich konzipiert. Sie

klassifiziert Bereiche, in denen Behinderungen auftreten können und erstellt

negative, aber auch positive Bilder der Funktionsfähigkeit. Die ICF ist hierbei kein

Ersatz der ICD-10, sondern wird ergänzend zur ICD-10 verwendet. Während die

ICD-10 Gesundheitsprobleme nach dem medizinischen Modell als Basis für

medizinische Therapie klassifiziert, klassifiziert die ICF die mitunter sozialen

Folgen eines Gesundheitsproblems. Es wird aber nicht die jeweilige Person,

sondern ihre individuelle Situation klassifiziert. Sie ist auf ein Konzept der

funktionalen Gesundheit ausgerichtet, indem sie einzelne gestörte Funktionen,

Auswirkungen auf Aktivität und Teilhabe und die Wechselwirkungen mit der

sozialen und materiellen Umwelt abbildet (vgl. Pantucek 2012:286f.).

Nach der ICF gilt eine Person dann als funktional gesund, wenn ihre körperlichen

Funktionen und ihre Körperstrukturen vor ihrem gesamten Lebenshintergrund die

eines gesunden Menschen sind. Außerdem gilt sie dann als gesund, wenn sie alle

Aktivitäten ausüben kann, die von einem gesunden Menschen ausgeführt werden

können. Hinzukommend gilt sie als gesund, wenn sie sich in allen ihren

Lebensbereichen so entfalten kann, wie es von einem Menschen ohne

Beeinträchtigung der Körperfunktionen, -strukturen oder Aktivitäten erwartet wird

(vgl. ebd.:287). Die ICF will keine Klassifikation von Menschen sein, sondern

sogar einer Etikettierung von Menschen entgegenwirken und das Herabsetzen

und Stigmatisieren von Menschen verhindern. Anstatt einen Menschen zu

klassifizieren, wird seine individuelle Situation beschrieben mit einer neutralen

oder positiven sowie genauen Sprachformulierung (vgl. Meyer 2004:23).

Page 41: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

33

4. ICF

Nach einer Beschreibung der Einbettung der ICF in die WHO FIC und nach einer

kurzen Erklärung und Definition der anderen Klassifikationen wird im folgenden

Kapitel der Fokus auf die ICF an sich gelegt. Dafür wird die ICF in ihrem Aufbau

und ihrer Struktur beschrieben und ihre Entwicklung skizziert. Fernerhin wird auf

ihre internationale Diffusion sowie mögliche Anwendungsbereiche eingegangen.

Zuletzt werden ihre Grenzen und Kritik, der sich die ICF zu stellen hat, aufgezeigt.

4.1 Struktur und Aufbau

Der Aufbau der ICF Klassifikation ist Rentsch und Bucher (2005) zufolge

hierarchisch strukturiert und in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil umfasst die

„Funktionsfähigkeit“ und „Behinderung“ und der zweite Teil die „Kontextfaktoren“.

Die Teile wiederum werden in Komponenten untergliedert, die unabhängig

voneinander klassifiziert sind. Die Kategorien innerhalb einer Komponente sind

nach einem ‚Ast-Zweig-Blatt-Schema‘ aufgebaut. Die Komponenten wiederum

sind in Domänen unterteilt, die physiologische Funktionen, anatomische

Strukturen, Handlungen, Aufgaben oder Lebensbereiche zusammenfassen. Diese

Domänen bilden verschiedene Kapitel und Blöcke, während die Kategorien

innerhalb einer Domäne als Klassen oder Teilklassen bezeichnet werden (vgl.

Rentsch/ Bucher 2005:18f.).

Page 42: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

34

Abbildung 3: Struktur der ICF (Quelle: Rentsch/ Bucher 2005:19)

Die Komponenten der ICF sind: „Körperfunktionen“ (klassifiziert),

„Körperstrukturen“ (klassifiziert), „Aktivitäten und Teilhabe“ (klassifiziert),

„Umweltfaktoren“ (klassifiziert) und „Personenbezogene Faktoren“ (sind noch

nicht in der ICF klassifiziert). Personenbezogene Faktoren sind derzeit noch nicht

klassifiziert, damit gibt es für sie noch keine einheitliche Sprache, sie sind aber

miteinzubeziehen (vgl. Schuntermann 2007:66).

Die Teilklassifikationen werden nach Gliederungsprinzipien unterteilt. Bei der

Klassifikation der Körperfunktionen sind die Gliederungsprinzipien unter anderem

Organe, Organsysteme und psychologische Konstrukte. Bei der Klassifikation der

Körperstrukturen sind es ebenfalls Organe und Organsysteme. Bei der

Klassifikation der Aktivitäten und Teilhabe bilden die Lebensbereiche das

Gliederungsprinzip, wobei diese von den elementaren zu den komplexen

aufsteigen. Die Klassifikation der Umweltfaktoren bezieht sich auf die Ebene des

Individuums und auf die Ebene der Gesellschaft. Unter der Ebene des

Individuums versteht man die direkte und persönliche Umwelt einer Person, wie

der häusliche Bereich, die Arbeit und die Schule. Eingeschlossen sind hierbei die

physikalischen und materiellen Umstände und die persönlichen Kontakte zu

bspw. Familie, Bekannte, Freunde und Fremde. Unter der Ebene der Gesellschaft

werden formelle und informelle soziale Strukturen und übergreifende Ansätze

oder Systeme in der Gesellschaft, die das Individuum beeinflussen verstanden.

Page 43: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

35

Das umfasst zum einen Organisationen und Dienste in Bezug auf Arbeitsumwelt,

kommunale Aktivitäten, Behörden und das Kommunikations- und Verkehrswesen

und zum anderen Gesetze, Vorschriften, formelle und informelle Regeln,

Einstellungen und Weltanschauungen. Die Klassifikationen der Körperfunktionen,

-strukturen und Aktivitäten/Teilhabe besitzen Bereiche in denen

Beeinträchtigungen auftreten können, es gibt aber keine Bezeichnungen der

Beeinträchtigungen, selbst mit Ausnahme des Schmerzes. Somit sind

Kapitelüberschriften und Items neutral oder positiv geschrieben, wodurch die ICF

ressourcen- und defizitorientiert verwendet werden kann. Eine sinnvolle und

verwendungsfähige Anzahl an Items aus allen Teilklassifikationen der ICF werden

als Domäne bezeichnet. Diese Domänen sind bspw. Kapitel oder Blöcke.

Domäne wird häufig als Oberbegriff für Item-Mengen genannt (vgl. ebd.:66f.).

Die vier Teilklassifikationen Körperfunktionen, Körperstrukturen, Aktivitäten und

Teilhabe sowie Umweltfaktoren sind hierarchisch in Kapitel, Blöcke und

Kategorien aufgebaut. Die Kapitel sind die erste Gliederungsstufe. Sie haben

jeweils eine Überschrift, werden aber nicht zur Kodierung verwendet. Kapitel

werden wiederum in Blöcke untergliedert, die Zwischenüberschriften zur

Strukturierung des Kapitels haben. Blöcke bilden ebenso keine Codes. Zuletzt

folgen die Kategorien, die Items, die zur Kodierung verwendet werden. Sie sind

nach einem Ast-Zweig-Blatt-Schema angeordnet. Die Kategorien haben

wiederum Attribute, so dass Kategorien auf einer tieferen Gliederungsstufe die

Attribute mit Kategorien auf einer höheren Gliederungsstufe teilen. Eine Kategorie

schließt eine andere aus, wodurch zwei Kategorien auf derselben

Gliederungsstufe dieselben Attribute haben (vgl. ebd:67f.).

Page 44: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

36

Abbildung 4: Beispiel für das „Ast-Zweig-Batt“-Schema (AZB-Schema) (Quelle: Schuntermann

2007:68)

Die Item-Kodes sind in Alpha-Teil und numerischen Teil unterteilt und alpha-

numerisch aufgebaut. Der Alpha-Teil ist ein Buchstabe durch den zuordenbar ist

zu welcher Teilklassifikation das Item gehört. Er stellt die Klassifikationskennung

dar. Für die Klassifikation der Körperfunktionen ist die Klassifikationskennung b

von body functions. Für die Klassifikation der Körperstrukturen ist s von body

structures, für die Klassifikation der Aktivitäten und Teilhabe d von life domains

und für die Klassifikation der Umweltfaktoren e von environmental factors. Der

Numerische Teil setzt sich aus fünf Ziffern zusammen. Die erste Ziffer ist die

Nummer des Kapitels, zu dem das Item gehört. Die zweite und dritte Ziffer ist die

Nummer des Items innerhalb eines Kapitels. Die vierte Ziffer untergliedert ein Item

der zweiten Gliederungsstufe und die fünfte Ziffer, sofern sie vorhanden ist,

untergliedert ein Item der dritten Gliederungsstufe (vgl. ebd.:68f.).

Die Funktionsfähigkeit und Behinderung unterteilt sich in die Komponente des

Körpers und die Komponente der Aktivitäten und Partizipation. Die

Körperfunktionen werden als die physiologischen Funktionen von

Körpersystemen definiert. Nach der ICF werden Körperstrukturen als

anatomische Teile des Körpers definiert wie Organe, Gliedmaßen und ihre

Bestandteile. Schädigungen wiederum werden als Beeinträchtigungen der

Körperfunktion oder Struktur verstanden. Eine Aktivität bezeichnet die

Durchführung einer Aufgabe bzw. Handlung durch eine Person, die Partizipation

Page 45: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

37

meint das Einbezogen sein in eine Lebenssituation (vgl. Rentsch/ Bucher

2005:19f.).

Der Teil zwei der ICF beinhaltet die Kontextfaktoren, den gesamten

Lebenshintergrund eines Menschen. Sie umfassen die Umweltfaktoren und die

personenbezogenen Faktoren. Sie können einen Menschen mit

Gesundheitsproblem beeinflussen. Umweltfaktoren konstruieren die materielle,

soziale und einstellungsbezogene Umwelt eines Menschen, in welcher der

Mensch gestalten und sich entfalten kann. Die Faktoren befinden sich außerhalb

des Menschen und haben einen Einfluss auf seine Leistung als Mitglied der

Gesellschaft. Die personenbezogenen Faktoren sind spezieller

Lebenshintergrund und Lebensführung eines Menschen und schließen außerhalb

des Gesundheitsproblems oder -zustands liegende Gegebenheiten ein. Das

können bspw. das Geschlecht, Alter, Lebensstil, Bildung, Ausbildung, Beruf, der

Charakter und das Leistungsvermögen sein, die bei einer Behinderung relevant

sein können. Diese personenbezogenen Faktoren sind in der ICF nicht

klassifiziert. Die Umweltfaktoren und personenbezogenen Faktoren stehen in

Wechselwirkung mit den Körperfunktionen und -strukturen, den Aktivitäten und

der Partizipation. Aus der komplizierten Verbindung zwischen dem

Gesundheitsproblem, den personenbezogenen Faktoren und den externen

Faktoren resultiert Behinderung. Aus diesem Grund haben verschiedene Arten

und Ausprägungen der Verbindungen sehr verschiedene Einflüsse auf denselben

Menschen mit einem Gesundheitsproblem. Dabei hat die Umwelt mit Barrieren

eine einschränkende Wirkung auf die Leistung eines Menschen und fördernde

Umweltbedingung eine fördernde (vgl. ebd.:23ff.).

Page 46: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

38

Abbildung 5: Das biopsychosoziale Modell der Komponenten von Gesundheit der WHO (Quelle:

WHO 2018)

4.2 Die Entwicklung der ICF

Obgleich die ICF im Mai 2001 von der WHO verabschiedet wurde, hat sie eine

Entwicklung von 20 Jahren hinter sich. Der erste Versuch für eine internationale

Klassifikation und einer einheitlichen Definition von „Behinderung“ war die

„International Classification of Impairments, Disabilities, and Handicaps“, ICIDH

der WHO von 1980. Eine erste und vollständige deutsche Fassung kam 1990

heraus (vgl. Leistner/ Raspe 1995 zit. n. Meyer 2005:9). Nach ersten Erfahrungen

mit der ICIDH wurde 1993 eine leicht abgeänderte Neuauflage herausgegeben. In

Deutschland wurde erst gegen 1990 mit einer vermehrten Verwendung der ICIDH

begonnen. Im Jahr 1993 wurde ein internationaler Revisionsprozess parallel dazu

eingeführt, um die ICIDH zu verbessern. An diesem Revisionsprozess arbeiteten

mehrere regionale und internationale Arbeitsgruppen mit. In den Treffen konnten

mehrere Entwürfe für eine ICIDH-2 gemacht werden (vgl. Meyer 2005:9).

Im Vergleich zur ICIDH basiert die ICF auf einem Biopsychosozialen Modell der

Komponenten von Gesundheit. Die auf einem medizinischen Modell basierende

ICIDH begriff Behinderung vorrangig als ein Attribut der betroffenen Person und

es wurden Umweltfaktoren sowie personenbezogene Faktoren hinsichtlich ihrer

Page 47: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

39

(Wechsel-) Wirkungen in Bezug auf Behinderung nicht berücksichtigt (vgl.

Wenzel/ Morfeld 2016:1125).

Alle ICF betreffenden Planungen und Aktionen der WHO werden durch das WHO-

FIC-Netzwerk durchgeführt. Zu jährlichen Treffen sind ebenso von der WHO

ernannte nationale Collaborating Centres anwesend. Im Jahr 2013 gehörten dem

Netzwerk 13 stimmberechtigte nationale Collaborating Centres an. und sechs

Länder hatten den Status eines ‚Candidate‘ (vgl. Schliehe/ Ewert 2013:42).

Mittlerweile sind es 20 Collaborating Centres und vier “Collaborating Centres for

Classifications, Terminologies and Standards” (vgl. WHO 2017). Die Teams für

“Classification, Terminologies and Standards”, CTS der WHO, die regionalen

WHO Büros und die Collaborating Centres, CCs der FIC arbeiten mit einem

jährlich adaptierten Strategie- und Arbeitsplan. Die ICF-bezogenen Aufgaben des

Netzwerkes werden einer eigenen Referenzgruppe „Functioning and Disability

Reference Group“, FDRG zugeordnet. Für Aufgabenumsetzung gibt es wiederum

unterschiedliche Arbeits- und Projektgruppen, die sich in verschiedene Themen

und Kategorien untergliedern (vgl. Schliehe/ Ewert 2013:42).

Der „Strategy and Work Plan“ setzt ein kontinuierliches Update der ICF voraus.

Aus diesem Grund gibt es auf der Ebene des WHO-Netzwerkes ein

Planungskomitee mit verschiedenen Untergruppen, unter anderem das „Update

and Revision Committee“, UCR. Die FDRG hat alle ICF-bezogenen Aufgaben

übertragen bekommen und eine eigene Arbeitsgruppe für den ICF Update

Prozess erschaffen hat. Innerhalb dieser Arbeitsgruppe wurde eine

Internetplattform entworfen sowie ein Nutzerhandbuch. Auf dieser

Internetplattform können sich alle anmelden und Vorschläge zu Änderungen der

ICF machen. Aus Basis dieser Vorschläge kommt es zu begrenzten Anpassungen

der ICF, sogenannte Minor und Major Updates. Major Updates meinen bspw.

Änderung, Löschung oder Neueinführung von Codes. Zu direkten Änderungen

der Klassifikation an sich kommt es nicht. Jährlich werden dann

Updatedokumente nach Verabschiedung der WHO online veröffentlicht und

werden durch DIMDI übersetzt (vgl. ebd.).

Page 48: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

40

Abbildung 6: ICF Update Plaform (Quelle: WHO 2018)

Klassifikationen an sich erheben einen Anspruch auf Vollständigkeit. Dadurch

deckt die ICF als standardisierte Klassifikation mit 1400 Kategorien alle

gesundheitsbezogenen Domänen und den ganzen Gesundheitsbereich ab. Aus

diesem Grund ist die ICF sehr umfangreich und komplex, was die Verwendung

der ICF in der Praxis erschwert. Das führt zu einiger Kritik an der ICF, und viele

empfinden die ICF als zu kompliziert und nicht praktisch in der Arbeit (vgl. Ustun/

Kostanjsek 2004 zit. n. Bickenbach et al. 2012:21). Demzufolge hat die WHO

gemeinsam mit der „ICF Research Branch“ und zusammen mit dem WHO-

Kooperationszentrum für das System Internationaler Klassifikationen in

Deutschland begonnen, ICF Core Sets zu entwickeln (vgl. Stucki et al. 2008 zit. n.

ebd.). Unter einem ICF Core Set wird eine Liste an Kategorien verstanden, die in

einem intensiven und wissenschaftlichen Prozess aus der ICF Klassifikation

ausgewählt wird. Diese wird dann als Instrument in der Praxis zur Beschreibung

von Funktionsfähigkeit und Behinderung angewendet (vgl. ebd.). Verwendet

werden ICF Core Sets für unterschiedliche Bereiche der Gesundheitsversorgung

und für etliche Gesundheitsstörungen sowie Gruppen von Gesundheitsstörungen

(vgl. Stucki 2004 zit. n. ebd.). ICF Core Sets erleichtern insofern die ICF

Anwendung, da sie dem oder der BenutzerIn in seinem oder ihrem Arbeitsalltag

Page 49: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

41

eine Auswahl an ICF-Kategorien zur Verfügung stellen, die besonders wesentlich

für eine spezifische Gesundheitsstörung oder eine Gruppe von

Gesundheitsstörungen in einem spezifischen Versorgungsbereich sind. Das

erspart den NutzerInnen das Arbeiten durch die gesamte und komplexe ICF

Klassifikation (vgl. ebd.).

4.3 Die ICF als globaler Standard und ihre Diffusion

Wiegand und Reinhardt (2012) interpretieren die ICF als einen globalen Standard.

Die ICF gibt klare Regeln für ihre Nutzung vor, wobei ihre Implementation auf

Freiwilligkeit beruht. Es wird angenommen, dass globale Standards zu einer

Weltordnungsgenerierung beitragen und damit nicht Nationalstaaten, sondern

Weltorganisationen für das Organisieren von solchen Standards von großer

Wichtigkeit sind. Globale Standards können sich hauptsächlich über Expertise

legitimieren. Durch die über 20-jährige Entwicklung der ICF weist diese eine

einzigartige Wissensbasierung auf. Mit der Einführung der ICF wurde nicht nur ein

biopsychosozialer wissensbasierter Gesundheitsstandard eingeführt, sondern

auch ein Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik von einem kurativen zu

einem menschenrechtsbasierten Modell. Behinderung wird nicht mehr allein einer

diagnostizierten Gesundheitsstörung zugeordnet, sondern primär Umweltfaktoren

zugeschrieben. Zusätzlich konnte die UN-Behindertenrechtskonvention, UN-BRK

von 2006 das Modell institutionell manifestieren (vgl. Wiegand/ Reinhardt

2012:244). Die UN-BRK wird immer mehr als eine leitende Referenz für Inklusion

in der momentanen Debatte um eine ‚Inklusive Lösung“ herangezogen. Sie

kodifiziert (völker-) rechtlich und erzeugt explizit oder implizit wirkungsstarke

Maßgaben für fachliche Prämissen (vgl. Hopmann 2017:135).

Die ICF breitet sich auf der ganzen Welt aus. Nach dem sie im Jahr 2001

veröffentlicht wurde, wurde sie zusätzlich in die offiziellen WHO Sprachen

Arabisch, Chinesisch, Französisch, Russisch und Spanisch übersetzt. Mittlerweile

ist sie auch in weiteren 28 Sprachen veröffentlicht worden. Anwendung hat die

Page 50: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

42

ICF schon durch Nationalstaaten gefunden. Japan hat die ICF bereits in ihre

Gesetzgebung integriert und auch in Deutschland wurde der Begriff der

Partizipation als Teilhaberecht in die Sozialgesetzgebung eingeführt. Auch in den

nationalen Gesundheitsstatistiken kam es zu einer Einführung der ICF. 2003

hatten 74 Länder das ICF Modell in die nationalen Gesundheitsinstitute

implementiert (vgl. ebd.).

In Deutschland ist zudem die Einführung eines neuen Bundesteilhabegesetzes,

BTHG, aktuell. Dabei handelt es sich um ein umfassendes Gesetzespaket, das

für Menschen mit Behinderungen einige Verbesserungen plant. Es sollen mehr

Teilhabemöglichkeiten sowie mehr Selbstbestimmung für Menschen mit

Behinderungen umgesetzt werden. Menschen mit Behinderungen, die

Eingliederungshilfe beziehen, sollen die Möglichkeit bekommen, mehr von ihren

Einkommen und Vermögen zu behalten. Im selben Zug sollen Kommunen und

Länder entlastet werden, weil Grundsicherungs- und

Eingliederungshilfeleistungen getrennt und teilweise vom Bund übernommen

werden sollen (vgl. BMAS 2018). Dieses neue Gesetzespaket soll ebenso die ICF

als Grundlage für die Bedarfsermittlungsinstrumente im Eingliederungshilferecht

enthalten. Die ICF unterstützt hierbei die individuelle Ermittlung des

Rehabilitationsbedarfs und gleichwertige Lebensverhältnisse für Menschen mit

Behinderungen. Außerdem bildet die ICF neben der Funktion als Instrument zur

Bedarfsermittlung nach § 118 SCB IX-neu die Grundlage für den neuen

Behinderungsbegriff. Dem Biopsychosozialen Modell gleich, welches der ICF

zugrunde liegt, definiert das BTHG in § 2 Abs. 1 SGB IX-neu Behinderung als ein

Ergebnis der Wechselwirkung zwischen Gesundheitsproblem und den personen-

und umweltbezogenen Kontextfaktoren. Hieraus ist deutlich der Bezug zum

Verständnis von Behinderung nach der BRK der Vereinten Nationen deutlich (vgl.

Umsetzungsbegleitung Bundesteilhabegesetzt 2018).

Aus diesen Entwicklungen im Nachbarland Deutschland ist ersichtlich, dass die

Einführung der ICF nicht nur ein Thema einzelner Länder, sondern

möglicherweise sogar zu einem Thema der europäischen Union werden könnte,

Page 51: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

43

einerseits durch nationale Einführungen der ICF als Instrument und andererseits

durch die Umsetzung der UN-BRK. Da außerdem zu erwarten ist, dass in

Deutschland in den nächsten Jahren ausschließlich mit der ICF gearbeitet wird,

ist nicht ausgeschlossen, dass auch die österreichische Politik bald mit einer

entsprechenden Gesetzesänderung nachziehen könnte. Nach dem Hervorheben

der Relevanz und Wichtigkeit des Themas der ICF werden im folgenden Kapitel

die Anwendungsbereiche sowie mögliche Anwendungsarten der ICF erörtert.

4.4 Anwendungsbereiche der ICF

Mögliche Anwendungsbereiche der ICF sind dem DIMDI nach zu folgen bspw. die

Verwendung der ICF als statistisches Instrument für die Erhebung und

Dokumentation von Daten. Ebenso kann sie als Forschungsinstrument eingesetzt

werden, um Therapieergebnisse, Lebensqualität oder Umweltfaktoren zu messen.

Zudem fungiert sie als Instrument in der Gesundheitsversorgung, um den Bedarf

zu beurteilen, Behandlungen anzupassen, berufsbezogen zu urteilen und

Ergebnisse zu evaluieren. Die ICF kann als sozialpolitisches Instrument für die

Planung für Sicherheit, Entschädigungssysteme und die Politikgestaltung sowie

ihre Umsetzung eingesetzt werden. Zuletzt kann sie ebenso bei der

Curriculumsentwicklung, die Schaffung von Problembewusstsein und als Anstoß

für soziales Handeln als pädagogisches Instrument fungieren (vgl. DIMDI 2005

zit. n. Hagendorfer 2009:8). Die ICF wird vor allem im Gesundheitswesen

angewendet werden, wird aber auch z.B. im Versicherungswesen, der sozialen

Sicherheit, in der Arbeit, Erziehung und Bildung, Wirtschaft, Sozialpolitik, in der

Gesetzesentwicklung sowie der Umweltveränderung genutzt (vgl. ebd.).

Im sozialmedizinischen Anwendungsbereich bildet die ICF die konzeptionelle

Grundlage für Weiterentwicklungen in Versicherungszweigen. Das ist vor allem an

vielen Ausarbeitungen von Konzepten, Richtlinien, Leitlinien und Vordrucken zu

sehen. In einem Leitlinien Vergleich zur sozialmedizinischen Beurteilung der

Erwerbstätigkeit in 14 europäischen Ländern wurde herausgearbeitet, dass die

Page 52: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

44

ICF genutzt werden könnte, um den Harmonisierungsbedarf der Leitlinien

zwischen den Ländern zu beheben. Auch in der beruflichen Rehabilitation gewinnt

die ICF in Forschung und Praxis an Wichtigkeit. Die ICF wird zunehmend in der

beruflichen Rehabilitation für die Unterstützung Planungsprozessen und für die

Dokumentation genutzt. Bezüglich einer Anwendung der ICF in der

Berichterstattung propagiert der „World Report on Disability“ 2011 der WHO eine

weltweite Gesundheitsberichterstattung, die auf der ICF basiert (vgl. Schliehe/

Ewert 2013:47f.).

Aufgrund der Komplexität der ICF in der Anwendung wird die Klassifikation in

vielen Gesundheitsbereichen als nicht durchführbar gesehen. Aus diesem Grund

gibt es viele Projekte, die sich mit der Vorauswahl von ICF Kategorien für die

jeweiligen Einsatzgebiete beschäftigen. Die WHO-Konferenz 2002 in Triest

beschloss, dass die ICF Core Set Entwicklung prioritär ist für die Umsetzung der

ICF. Es gibt mittlerweile etliche Projekte zur Auswahl von ICF Kategorien für

spezifische Bereiche und Fragestellungen (vgl. Ewert/ Stucki 2007:959).

Buchholz (2015) gliedert die Anwendung der ICF in verschiedene

Umsetzungsebenen. Auf der ersten Ebene findet die Orientierung der

Fallkonzeption statt und die Behandlungsplanung am biopsychosozialen Modell.

Hierfür gibt es bereits von vielen Einrichtungen eigens entwickelte

Dokumentationsblätter. Die zweite Ebene umfasst die zusätzliche Anwendung der

ICF-Fachsprache. Die Fachsprache meint die Verwendung der Begrifflichkeiten

wie die ‚Aktivitäten‘, ‚Teilhabe‘, ‚Kontextfaktoren‘, etc. Die nächste Ebene wählt

Kategorien der ICF aus und beurteilt sie. Hier fallen vor allem die ICF Core Sets

hinein. Für eine solche Beurteilung der Beeinträchtigung gibt es mittlerweile einige

Messinstrumente. Eines davon stammt von der WHO selbst, „WHO Disability

Assessment Schedule 2“ und wird zur Verfügung gestellt (vgl. Buchholz 2015:5f.).

Aufgrund der Komplexität der ICF und der erschwerten Nutzung in der klinischen

Anwendung wurde außerdem die ICF-Mini-App entwickelt. Das Mini-ICF-Rating

für psychische Störungen ist ein kurzes Fremdbeurteilungsinstrument um

Page 53: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

45

Fähigkeitsstörungen zu operationalisieren und zu quantifizieren. Baron und

Linden (2005) testeten das Instrument erstmals empirisch an 125 PatientInnen

einer psychosomatischen Rehabilitationsklinik. Dabei erwies es sich als ein zur

Erfassung von Fähigkeitsstörungen geeignetes Instrument, für den Einsatz in der

klinischen Routine und der Rehabilitationsmedizin (vgl. Linden/ Baron 2005:144).

Die Mini-ICF-App ermöglicht die Beurteilung des Grads der Beeinträchtigung von

Aktivitäten und Partizipation. Es können jedoch keine ‚Funktionen‘ sowie

Personen und Umweltfaktoren erfasst werden (vgl. Linden/ Baron/ Muschalla

2015:4).

4.5 Grenzen und Kritik an der ICF

Obgleich die ICF wie in den Kapiteln zuvor beschrieben eine große Anzahl an

Vorteilen aufweist, hat sie auch Grenzen und muss sich einiger Kritik durch bspw.

AnwenderInnen stellen. Aus diesem Grund werden in diesem Unterkapitel die

Grenzen der Klassifikation sowie die Kritik, die ihr gegenüber geäußert wird

hervorgehoben.

Buchholz hebt in ihrem Text hervor, dass die ICF nicht in direkter Weise als

Messinstrument eingesetzt werden kann. Stattdessen geben die

Beurteilungsmerkmale stärker eine globale Orientierung über das Ausfallen einer

Beurteilung. Sie sind aber nicht konkret genug beschrieben, um eine exakte

Messung tätigen zu können. Hinzukommt, dass die ICF keine zusammengefasste

Diagnose der funktionalen Gesundheit erstellen kann wie es bspw. mit der ICD-10

möglich ist. Vor allem in der Praxis wird der Umfang der ICF kritisiert und ihre

Komplexität wird sogar oftmals als Anwenderbarriere von AnwenderInnen

bezeichnet (vgl. Buchholz 2015:5).

Meyer berichtet von einer Ärztin, die meinte, dass die Idee der Klassifikation

sinnvoll sei, um Vergleiche herzustellen, die ICF jedoch zu aufwendig sei und nur

Page 54: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

46

recht vage und ergänzungsbedürftige Aussagen mache. Ein Mitglied des

medizinischen Diensts der Spitzenverbände der Krankenkassen meinte zudem,

dass die ICF erhöhte Anforderungen an die AnwenderInnen stellen würde und an

die verschiedenen Anwendungsbereiche angepasst werden müsse (vgl. Meyer

2004:86).

Schuntermann (2002) war selbst an der Entwicklung der ICF beteiligt und

fungierte als Koordinator für die deutschsprachige Fassung. Er äußerte sich, dass

das biopsychosoziale Modell der ICF bereits hohe Anerkennung und Akzeptanz

im deutschsprachigen Raum gefunden hat. Vor allem die Einführung der

Umweltfaktoren und die personenbezogenen Faktoren werden gutgeheißen.

Außerdem erzählt er von positiven Erfahrungen mit der Beta-2 Version in der

Rehabilitation. Allerdings ist seiner Meinung nach auch schon bekannt, dass das

Kodieren mit der ICF sehr komplex und zeitaufwändig ist. Aus diesem Grund

sollte die Anwendbarkeit der ICF verbessert werden. Des Weiteren berichtet

Schuntermann, dass die neutrale Terminologie vor allem im

Rehabilitationsbereich auf Kritik stößt. AnwenderInnen in den Rehabilitationen

beklagen, dass sie restriktive Symptome und Anzeichen der Funktionsfähigkeit

mithilfe negativer Begrifflichkeiten beschreiben müssen, weshalb viele die ICIDH

als hilfreicher empfinden. Aufgrund dessen schlägt er vor die negative

Terminologie der ICIDH für Inklusion und Exklusion in die ICF zu integrieren (vgl.

Schuntermann 2002 zit. n. ebd.). Hollenweger hat ebenso an der Erarbeitung der

ICF mitgearbeitet und fungierte als Koordinatorin für die ICF in der Schweiz. Ihrer

Meinung nach besteht bei der ICF die Gefahr, dass man sich in ihr verliert, wenn

das Wissen darüber fehlt und dadurch die ICF falsch angewendet wird.

Nichtsdestotrotz hält sie die ICF für eine gute Grundlage für eine interdisziplinäre

Zusammenarbeit. Jedoch müssten noch Assessment-Instrumente entwickelt

werden (vgl. ebd.). Diese Meinungen weisen auf die Begrenztheit und auf

Schwächen der ICF hin. Dabei könnte es sich um Gründe für potentielle

AnwenderInnen handeln, die ICF in ihrer Arbeit nicht heranzuziehen. Hieraus

ergeben sich darauf basierend Aufgaben, die noch zu bearbeiten sind, um eine

Page 55: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

47

international, Bereichs- und Professionsübergreifende Anwendung zu

ermöglichen.

5. EMPIRIE

Nach einer ausführlichen Beschreibung des theoretischen Hintergrunds dieser

Arbeit sowie die Betonung der Wichtigkeit des Themas der ICF, wird im folgenden

Teil der Arbeit die empirische Herangehensweise an das Forschungsfeld, die

Definition der Zielgruppe, die herangezogen wurde und die Methodik erläutert.

Hierbei wird begründet weshalb im Zuge der Arbeit qualitativ gearbeitet und

qualitative ExpertInneninterviews durchgeführt wurden.

5.1 Herangehensweise und Zugang zum Forschungsfeld

Die Arbeit hat das Ziel eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis

herzustellen. Die ICF basiert auf dem Biopsychosozialen Modell, deckt als sehr

umfangreiches und komplexes Instrument viele Bereiche des Lebens ab und legt

den Fokus auf die Teilhabe des Menschen am alltäglichen Leben. Aufgrund der

noch geringen Diffusion der ICF in Österreich beschränkte man sich bei der Arbeit

auf keinen Bereich der Sozialen Arbeit, obgleich die ICF nicht in allen Bereichen

der Sozialen Arbeit angewendet wird und angewendet werden kann. Gesucht

wurden AnwenderInnen und ExpertInnen der ICF in der sozialarbeiterischen

Praxis. Mit ihnen sollten leitfadengestützte Interviews geführt werden. Ziel war es,

mindestens sechs ExpertInnen zu finden, die sich bereit erklären in einem

Interview Fragen zu beantworten.

Um diese ExpertInnen zu erreichen, wurden zunächst Anhaltspunkte durch ein

Gespräch mit dem Betreuer sowie Internetrecherchen gesucht, in welchen

Organisationen und Einrichtungen in Österreich, die ICF zur Anwendung kommen

könnten. Hierbei wurden zunächst die Kategorien „Case Management“,

„Entlassungsmanagements“, „(Privat-) Krankenhäuser“, „Kliniken“, „Psychiatrien“,

Page 56: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

48

„Rehabilitationsreinrichtungen“ und „Versicherungen“ gewählt. Mithilfe einer

Internetrecherche wurden mögliche Organisationen in und um Wien recherchiert

und Kontaktdaten gesammelt. In einem nächsten Schritt wurden mögliche

Kontaktpersonen, wenn möglich auch direkt SozialarbeiterInnen, per E-Mail oder

Telefon kontaktiert. In einem weiteren Schritt wurden für weitere Informationen

gegebenenfalls wichtige Verbände kontaktiert. Dabei handelte es sich bspw. um

den Österreichischen Berufsverband der Sozialen Arbeit, OBDS, einen

Behindertenverband, die Österreichische Gesellschaft der Sozialen Arbeit, ÖGSA,

etc. Durch Hinweise dieser Organisationen konnten mögliche weitere

Organisationen wie Jugend am Werk, die Lebenshilfe, Chance B, das Band, etc.

kontaktiert werden. Der letzte und effektivste Schritt war die Suche über soziale

Netzwerke im Internet. Hierbei wurde nach Gruppen im deutschsprachigen Raum

(Österreich, Deutschland, Schweiz) gesucht, die in direkter Verbindung oder

nahem Zusammenhang mit der Sozialen Arbeit standen. Dabei wurden einerseits

Gruppen von Universitäten und Fachhochschulen gewählt sowie Gruppen für

SozialarbeiterInnen und sozialarbeitsähnliche Professionen in der Praxis. Die

Gruppengrößen variierten zwischen 500 und 16.000 Mitgliedern. In diesen

Gruppen wurden mit einem Abstand von eineinhalb Monaten Beiträge

veröffentlicht, um potentielle ExpertInnen zu erreichen. Die Beiträge wurden so

formuliert, dass sie das Interesse für das Forschungsvorhaben wecken und es

InteressentInnen einfach machen sollte, sich zu melden. Vorteil dieser Methode

war es, möglichst viele SozialarbeiterInnen in einem großen geographischen

Raum durch verhältnismäßig wenig Aufwand direkt, ohne den Umweg über eine

Organisation, erreichen zu können.

Für die ExpertInneninterviews konnten sechs InterviewpartnerInnen gefunden

werden. Hierbei handelte es sich um einen Professor, welcher im Bereich ICF

Core Sets forscht und lehrt, einen Klinischen Sozialarbeiter einer ambulanten

Sozialpsychiatrie, eine Interviewpartnerin mit einem sozialen Kolleg als

Teamleiterin dreier Gruppen einer Behinderteneinrichtung, eine Fachberaterin für

Inklusion im Fachbereich Kindertagesstätten und Schulbetreuung, Absolventin

des Masters Beratung in der Arbeitswelt- Supervision, Coaching und

Page 57: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

49

Organisationsberatung und Dozentin sowie eine Sozialarbeiterin, Case

Managerin, Dozentin und Teamleitung einer sozialpsychiatrischen Einrichtung.

Von allen InterviewpartnerInnen sind zwei aus Österreich, wobei davon eine

Person in Deutschland lebt und arbeitet, und vier Personen aus Deutschland. Die

InterviewpartnerInnen in Deutschland lagen sehr verstreut. Die österreichische

Interviewpartnerin befand sich im Burgenland.

Aufgrund der örtlichen Distanz und der Schwierigkeit InterviewpartnerInnen in

oder um Wien zu finden, wurden alle Interviews als Telefoninterviews geführt und

mit einem Aufnahmegerät für die Transkription aufgenommen. Zuvor wurde den

InterviewpartnerInnen, falls gewünscht, Vertraulichkeitsvereinbarungen

zugeschickt, um eine Bestätigung einzuholen, dass das Interview aufgenommen

werden darf. Die Vertraulichkeitsvereinbarung versicherte ebenso, dass alle

persönlichen Daten wie Name, Ort, Einrichtung, KlientInnen, KollegInnen usw.

anonymisiert werden, sodass die Interviews nicht mehr auf die Personen

schließen lassen können. Zuletzt wurde die Freiwilligkeit des Interviews betont

und den InterviewpartnerInnen versichert, dass sie das Interview jederzeit

abbrechen oder die Berechtigung zur Verwendung des Materials zurückziehen

können. Bei InterviewpartnerInnen, die keine Vertraulichkeitsvereinbarung haben

wollten, wurden alle diese Punkte vor dem Interview nochmal mündlich

besprochen. Alle Interviews betrugen zwischen 30 und 90 Minuten. Im Durschnitt

dauerte ein Interview 45 Minuten.

5.1.1 Zielgruppe

Zielgruppe dieser Arbeit sind die AnwenderInnen der ICF in der

sozialarbeiterischen Praxis. Gewählt wurden vor allem SozialarbeiterInnen aus

teilweise unterschiedlichen Fachbereichen der Sozialen Arbeit sowie vereinzelt

andere soziale Professionen, die in der sozialarbeiterischen Praxis tätig sind.

Aufgrund der Schwierigkeit eine genügend große Stichprobe der Zielgruppe zu

finden, wurde sich auf keine Fachdisziplin oder einen sozialarbeiterischen Bereich

beschränkt. Zudem wurde die Zielgruppe im gesamten deutschsprachigen Raum,

Page 58: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

50

Österreich, Deutschland und Schweiz ohne regionale Begrenzungen gesucht. Bei

der Stichprobe handelte es sich um überwiegend studierte SozialarbeiterInnen

(Bachelor und Master Niveau), ein soziales Kolleg sowie fachähnliche soziale

Studiengänge. Die InterviewpartnerInnen fungierten als ExpertInnen der ICF in

ihrer Anwendung. Dabei lag der Fokus eher auf dem Expertentum in der

praktischen Anwendung als den theoretischen Kenntnissen um die ICF.

Voraussetzung war, dass die ExpertInnen in ihrer Praxis die ICF vollständig oder

auch teilweise in verschiedensten Schritten ihrer Arbeit heranziehen. Dabei war

es möglich, dass die ExpertInnen die ICF vollständig, teilweise oder bspw. auch

als Basis ihres in der Organisation verwendeten Assessment-Instruments

heranzogen. Als Voraussetzung galt, dass alle ExpertInnen die ICF oder ein

Erhebungsinstrument, welches auf der ICF basiert anwenden konnten und

möglichst regelmäßig anwendeten. Wünschenswert war, dass neben praktischen

Kenntnissen auch theoretisches Wissen zur Entstehung, Entwicklung sowie zu

Anwendungen in der Sozialen Arbeit vorherrschte. Das war nur bei der Hälfte der

InterviewpartnerInnen der Fall.

5.2 Qualitative Forschung

Die Klinische Soziale Arbeit ist den Sozialwissenschaften zugehörig und gilt damit

als Wirklichkeitswissenschaften. Das bedeutet, dass sie ihre theoretischen

Aussagen und Vorhersagen einer empirischen Prüfung unterziehen muss und

dieser Überprüfung standhalten. Ohne den Regeln der Methoden der empirischen

Sozialforschung zu folgen, ist es nicht möglich empirisch zu forschen. Diese

Regeln legen fest, wie Daten erhoben, mit Theorien verknüpft und danach

ausgewertet werden (vgl. Baur/ Blasius 2014:41). Der Begriff der qualitativen

Sozialforschung ist ein sehr breiter Begriff und umfasst unterschiedliche

methodologische Ansätze in Psychologie, Soziologie, Pädagogik und der

Sozialen Arbeit. Es gibt jedoch keine umfassende und fächerübergreifende

Methodologie. Setzt man qualitative und quantitative Methoden miteinander ins

Verhältnis, kann den qualitativen Methoden weder eine dienende Funktion, eine

Page 59: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

51

alternative Bestimmung, ihre Ausgrenzung, noch ihr Alleinvertretungsanspruch

begründet werden (vgl. Kleinig 1991:11ff.).

Der Grundgedanke der quantitativen Sozialforschung besteht in der Annahme,

dass die Welt nur über die menschlichen Sinne wahrgenommen werden kann.

Damit wird klar, dass keine grundsätzliche Unterscheidung zwischen natur- und

geisteswissenschaftlicher Methodologie besteht. Es wird angenommen, dass das

soziale Leben einer bestimmten Regelmäßigkeit folgend abläuft und

ForscherInnen das soziale Leben von außen betrachten und beobachten können

und sich erklären. Bei der qualitativen Sozialforschung besteht der Grundgedanke

darin, dass der Mensch nicht bloß ein Untersuchungsobjekt darstellt, sondern

auch ein erkennendes Subjekt. Eine objektivistische Sozialforschung wird einer

solchen Doppelrolle nicht gerecht. Aus diesem Grund liegt dem

Forschungsprozess nicht das Ziel zugrunde, Objektivität nach dem

naturwissenschaftlichen Sinn herzustellen, da hierbei eine Position außerhalb der

Kultur, Gesellschaft und Geschichte gebraucht würde. Um soziales Handeln

erforschen zu können, wird das Wissen um die Verwendung von (Sprach-)

Symbolen benötigt, das vom jeweiligen situativen Kontext abhängig ist. Um

Fremdes verstehen zu können, wird eine Grundlage an gemeinsamen Symbolen

eines Kulturkreises benötigt sowie die Annahme, dass es möglich ist, dass

ForscherInnen sich gedanklich in andere hineinversetzen können (vgl. Lamnek

2006:30). Aufgrund der Wichtigkeit des Sozialen Handelns wird die Arbeit

qualitativ vorgehen und forschen.

„Das Forschungsziel qualitativer Forschung besteht darin, die Prozesse zu

rekonstruieren, durch die die soziale Wirklichkeit in ihrer sinnhaften Strukturierung

hergestellt wird.“ (ebd.) Um das leisten zu können, muss sie sich bestimmten

Anforderungen stellen und bestimmte Merkmale haben. Lamnek zufolge sind die

Merkmale der qualitativen Sozialforschung interpretativ, naturalistisch,

kommunikativ, reflexiv und qualitativ zu sein (vgl. ebd.). Interpretativ meint hierbei,

dass die soziale Realität als gesellschaftlich und nicht objektiv vorgegeben

verstanden wird, die durch Interpretation und durch das Zuweisen von

Page 60: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

52

Bedeutungen konstruiert wird (vgl. Berger/ Luckmann 1974 zit. n. ebd.). Beim

Merkmal naturalistisch wird davon ausgegangen, dass das Untersuchungsfeld die

natürliche Welt ist, die mit naturalistischen Methoden untersucht, erfasst und

beschrieben wird (vgl. Schatzmann/ Strauss zit. n. ebd.). Unter kommunikativ wird

angenommen, dass die methodologischen Regeln nicht unabhängig von Regeln

des alltäglichen Kommunikationsprozesses festgelegt werden (vgl. Arbeitsgruppe

Bielefelder Soziologen 1776 zit. n. ebd.:31). Außerdem wird an die

Sozialforschung der Anspruch gestellt, sich selbst vielfach aus verschiedenen

Perspektiven kritisch zu reflektieren (vgl. Müller 1979 zit. n. ebd.). Zuletzt versucht

die Sozialforschung dem Forschungsgegenstand gegenüber offen zu sein,

weshalb sie sich von standardisierten Methoden der empirischen Sozialforschung

distanziert (vgl. Hopf/ Weingarten 1984 zit. n. ebd.).

5.2.1 Datenerhebung mittels leitfadengestützten ExpertInneninterviews

In der qualitativen Forschung werden verbale Daten meist mithilfe der Erzählung

oder des Leitfadeninterviews erhoben. Ist der Fallverlauf und der

Erfahrungskontext im Vordergrund der Forschungsfrage, so wird oftmals das

narrative Interview dem Leitfadeninterview vorgezogen. Werden jedoch konkrete

Aussagen über einen Gegenstand benötigt, so wird das Leitfadeninterview als

effektivere Methode angesehen (vgl. Flick 1999 zit. n. Mayer 2013:37). Da die

Befragung zur Anwendung der ICF verstärkt konkrete Aussagen zum

Forschungsgegenstand benötigt wurde sich bei dieser Arbeit für das

Leitfadeninterview entschieden.

Das Leitfadeninterview wird oftmals auch als teilstrukturiertes oder

semistrukturiertes Interview bezeichnet. Bei der Ausführung der Interviews

können diese sehr verschieden sein. Ein Leitfadeninterview kann sich bspw. über

mehrere Termine ziehen, bei den Fragen oder Themenbereichen stark variieren,

sehr lang oder auch kurz sein können, den InterviewpartnerInnen viel Freiraum in

der Beantwortung der Fragen lassen, sehr unterschiedliche Frageformulierungen

Page 61: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

53

haben oder auch bei der Abfolge oder Auswahl der Fragen variieren. Das

Leitfadeninterview unterscheidet sich demnach vom standardisierten Interview,

dass die InterviewpartnerInnen keine vorgegebenen Antworten geben müssen

und dass sie die Freiheit haben, ihre Meinungen und Erfahrungen offen zu

erzählen (vgl. Hopf 1995:177).

Das Leitfadeninterview richtet sich an der Offenheit von qualitativer Forschung

aus, weshalb InterviewerInnen sich zwar an den Leitfaden halten, jedoch auch

Ausschweifungen zulassen. Bei zu weiten Ausschweifungen wird jedoch versucht,

wieder zum Thema zurück zu kommen, um die Interviewzeit nicht zu weit

auszudehnen und nicht für die Forschungsfrage und das Forschungsvorhaben

unnötiges Datenmaterial zu sammeln (vgl. Mayer 2013.:38). Für das

Forschungsvorhaben dieser Arbeit wurde schon vor der Durchführung der

Interviews ein Interviewleitfaden erstellt. Jedoch wurden im Gespräch auch

Änderungen des Gesprächsverlaufs zugelassen, die für die Arbeit von Interesse

waren.

Eine eigene Form des Leitfadeninterviews stellt das ExpertInneninterview dar.

ExpertInnen sind nicht so sehr als die Person interessant, sondern vielmehr in

ihrer Funktion als ExpertInnen für ihr Handlungsfeld. Das ExpertInneninterview

legt den Fokus auf einen konkret formulierten Wirklichkeitsausschnitt. Die

ExpertInnen werden zudem als RepräsentantInnen einer Gruppe gesehen und

weniger als Einzelpersonen. Der Interviewleitfaden hat aus diesem Grund die

Aufgabe, eine steuernde Funktion zu übernehmen hinsichtlich der Vermeidung

von unergiebiger Themen. Vielmehr steht im Vordergrund die ExpertInnen auf das

interessierende Expertentum hin zu befragen (vgl. Flick 1999 zit. n. ebd.). Die

InterviewpartnerInnen dieser Arbeit stellten ExpertInnen unterschiedlichster

Bereiche der Sozialen Arbeit dar. So waren manche Personen ausschließlich

ExpertInnen für den sozialpsychiatrischen Bereich, den Behindertenbereich oder

auch ExpertInnen im Bereich der sozialarbeiterischen Forschung. Aus diesem

Grund wurde der Fokus der Interviewleitfadenfragen von Interview zu Interview

Page 62: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

54

unterschiedlich gelegt. Unergiebige Themen wurden nur kurz angesprochen oder

sogar umgangen.

Um die Stichprobe zu bilden, wird bei den InterviewpartnerInnen Expertentum

vorausgesetzt. Ein Experte oder eine Expertin ist eine Person, die auf einem

begrenzten Gebiet ein klares und abrufbares Wissen besitzt. Die Ansichten und

Meinungen basieren auf sicheren Behauptungen (vgl. Meuser/ Nagel 1997 zit. n.

ebd.:41). Meuser und Nagen (1991) definieren als Experten oder Expertin eine

Person, die auf unterschiedliche Weise Verantwortung für den Entwurf, die

Implementierung oder Kontrolle einer Problemlösung innehat. Oder auch einen

privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder

Entscheidungen besitzt (vgl. Meuser/ Nagen 1991 zit. n. ebd.). Bei den

InterviewpartnerInnen dieser Arbeit handelt es sich um überwiegend

Teamleitungen verschiedenster Einrichtungen, die sich in ihrer Einrichtung

verstärkt mit der ICF, ihrer Anwendung und der zukünftigen Umsetzung

auseinandergesetzt haben. Das Expertentum der InterviewpartnerInnen war an

manchen Punkten heterogen, was auch den lokal unterschiedlichen

Entwicklungen der Einrichtungen oder auch den internationalen Unterschieden

zuzuordnen ist. Nichtsdestotrotz galten die InterviewpartnerInnen in ihren

Einrichtungen und Organisationen als eineR der ExpertInnen zur Anwendung der

ICF.

5.2.2 Forschung und Auswertung nach Grounded Theory

Barney Glaser und Anselm Strauss entwickelten in den 1960er Jahren den

Forschungsstil der Grounded Theory Metodologie, GTM und publizierten im Jahr

1967 das erste Mal. Veröffentlicht wurde die Theorie in einer Zeit des

intellektuellen und politischen Aufbruchs und war an junge Sozialforscher

gerichtet, die nach neuen Wegen suchten. Das Buch „The Discovery of Grounded

Theory“ (1967/1998) wurde damit zu einem Klassiker der empirischen

Sozialforschung. Jedoch handelt es sich bei diesem Buch eher um eine Art

grobes Skizzenbuch. Der Begriff der Grounded Theory führt oftmals zu

Page 63: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

55

Missverständnissen. Er verweist gleichzeitig auf Prozess und Ergebnis, auf das

Forschungshandeln zur Problemlösung und die gegenstandsbezogenen

Theorien, die dadurch hervorgebracht werden. Das Ergebnis ist demnach nur aus

dem Arbeitsprozess heraus zu verstehen, in welchem es erarbeitet wurde.

Theorie wird als Prozess verstanden, gleich wie bei Strauss (vgl. Strübing 2007

zit. n. Baur/ Blasius 2014:457). GT verweist darauf, dass es sich hierbei nicht um

eine Methode oder Methodologie handelt, sondern um einen Forschungsstil (vgl.

ebd.). Aus diesem Grund richtet sich nicht nur Auswertung der Interviews nach

der GT, sondern es wurde bereits im Stil der GT geforscht.

Zur Bearbeitung und Auswertung des Datenmaterials dieser Arbeit wurde die

Grounded Theory Methodoloy, GMT nach Kathy Charmaz (2006) herangezogen.

Hirbei werden Theorien auf Grundlage empirischer Daten formuliert (vgl. Charmaz

2006:4). Charmaz entwickelte auf Basis der objektivistischen GTM nach Strauß

und Glaser (1967) eine konstruktivistische GTM (vgl. Charmaz 2011:92). Mit ihrer

Forschung stellte sie die traditionelle Vorgehensweise in Frage und erweiterte

diese um ein konstruktivistisches Moment. Ihre Kritik wird im folgenden Zitat aus

einem Dialog zwischen Charmaz und Puddphatt (2011) deutlich gemacht:

„Es geht nicht, die Position des Beobachters bzw. der Beobachterin

auszuklammern, ebenso Fragen der Wahrheit und Exaktheit von Beobachtung.

Da gibt es immer Spannungen, weil Wahrheit ortsgebunden, relativ, historisch,

situativ und kontextuell sein kann.“ (Charmaz 2011:94)

Diese Positionierung trifft auf das Forschungsvorhaben dieser Arbeit zu. Im

Rahmen dieser Arbeit geht es um die ICF und ihre Anwendung und die Wahrheit

dazu ist individuell verschieden.

Die Methodologie nach Charmaz (2006) berücksichtigt die beschriebenen

Aspekte. Nach dieser Begründung, weshalb die Methode für die Arbeit

herangezogen wurde, wird im Folgenden der Auswertungs- und

Erhebungsprozess erläutert. Als Resultat dieses Prozesses soll ein theoretisches

Page 64: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

56

Modell entstehen, welches aus den empirischen Daten entwickelt wurde. Da der

Erhebungs- und Auswertungsprozess der GTM zirkulär verläuft, werden somit die

eigenen Annahmen anhand des Datenmaterials immer wieder überprüft (vgl.

ebd.:10). Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass sich gefestigte

Meinungen der Forscherin durchsetzen (vgl. ebd.:53).

Kathleen C. Charmaz promovierte an der University of California in San Francisco

und wurde während ihrer Dissertation von Anselm Strauss betreut. In ihren

Veröffentlichungen zur GTM hinterfragt sie objektivistische Tendenzen des

traditionellen Modells des symbolischen Interaktionismus und erweitert das

Anwendungspotential der GTM um ein Vielfaches (vgl. Charmaz 2011: 89). Der

grundlegende Wunsch der GTM ist es bereits zu Beginn die Verschränkung

zwischen empirischer Forschung und Theoriebildung. Die empirische Forschung

hat zum Ziel hat Theorie zu generieren, die wiederum in der Forschung begründet

sein soll und sich nicht von oben über die Forschung legen soll (vgl. Przyborski/

Wohlrab-Sahr 2014:192). Aus diesem Grund verlief bei diesem

Forschungsvorhaben die Arbeit an der Theorie und das Führen und Auswerten

der Interviews parallel zueinander. Weiters wurde darauf verzichtet, bereits im

theoretischen Teil dieser Arbeit genauestens auf die ICF in der Sozialen Arbeit

einzugehen, um mit möglichst wenig Vorannahmen in die Interviews zu gehen.

Um am Ende ein theoretisches Modell aufzuweisen, werden die

Interviewtranskripte wie folgt bearbeitet. Das Datenmaterial wird in einzelne

Segmente geteilt und den Segmenten werden passende Schlagwörter, Codes

zugeordnet (vgl. ebd.:43). Diesen Arbeitsschritt nennt Charmaz das Kodieren.

Das Kodieren der einzelnen Segmente hat den Zweck, dass zwischen

Datensammlung und theoretischen Annahmen eine Verbindung geschaffen

werden kann (vgl. ebd.:46). Die Daten werden demnach grob sortiert, um im

weiteren Verlauf allgemein beschreibende Kategorien ableiten zu können (vgl.

ebd.:50f.).

Page 65: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

57

Zum nächsten Schritt beginnt die Auswertungsphase. Hierbei wird das Tool „line-

by-line Coding“ (Charmaz 2006) verwendet. Es wird nicht jedes Wort bewertet,

sondern viel mehr der Kontext herangezogen, um einen Code für das Segment zu

finden. Diese Segmente werden durch die Codes übersichtlicher und lassen sich

miteinander vergleichen. Einzelne Abschnitte werden in Beziehung zueinander

gesetzt, welches auf eine erste Kategorienbildung abzielt, um darauffolgend eine

höhere Abstraktionsebene für ein allgemeingültiges Modell zu erreichen (vgl.

ebd.:53) Bei einer erneuten Analyse wird nochmals entschieden, welche Codes

zusammengehören. Dabei lassen sich vorher erstellte Kategorien auflösen. Durch

Neusortierung der Codes werden Subkategorien bzw. neue Kategorien entwickelt.

Dadurch, dass die Codes immer wieder miteinander verglichen werden, entwickelt

sich ein fokussiertes Kodieren auf vorherrschende Aspekte. Somit werden die

Kategorien immer ausgeprägter (vgl. ebd.:60). In einem letzten Schritt werden

theoretischen Vorannahmen und Standpunkte der Forscherin mit dem

Datenmaterial in Verbindung gesetzt.

Page 66: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

58

6. ERGEBNISSE

In diesem Kapitel werden die aus dem Interviewdatenmaterial herausgearbeiteten

Kategorien näher beschrieben und hinsichtlich der Forschungsfragen dieser

Arbeit interpretiert und analysiert. Die leitenden Fragestellungen dieser Arbeit

lauten:

Mit welchen Schwerpunkten ist die Internationale Klassifikation der

Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit in die soziale Diagnostik

einzubeziehen, wie kann sie zur Zielorientierung in klinisch-psychosozialer

Fallarbeit beitragen? Wie hat sich die ICF entwickelt?

Die darzustellenden Interviewpersonen werden aufgrund der Reihenfolge, in der

die Interviews geführt wurden im Folgenden als Person1, Person2, Person3,

Person4, Person5 und Person6 bezeichnet. Aufgrund der Anonymisierung der

Daten werden hierbei keine Namen genannt. Transkripte der Interviews werden

den Interviewpersonen entsprechend mit Interview1, Interview2 usw. zitiert. Die

Ergebnisse werden in folgenden Kategorien dargestellt, die anhand der

Auswertung nach der Methode der Grounded Theory nach Kathy Charmaz

herausgearbeitet wurden:

6.1 Organisationen

Die erste und grundlegende Kategorie des Datenmaterials ist die Kategorie

„Organisationen“, welche die verschiedenen InterviewpartnerInnen, ihre

Organisationen, Rollen und Aufgaben umfasst, ihre Anwendungsart der ICF sowie

mögliche Einschulungen zu ihrer Verwendung.

Die InterviewpartnerInnen in ihren Organisationen

Person1 arbeitet in einem Behindertenheim im Burgenland und ist in der

Tagesbetreuung für Menschen im Alter zwischen 16 und 70 mit schweren

Page 67: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

59

Behinderungen beschäftigt. Sie ist Teamleiterin von drei Gruppen mit insgesamt

12 BetreuerInnen (vgl. Interview1: 24-29). Person2 arbeitet in einer evangelischen

Stiftung mit 5000 MitarbeiterInnen, im Bereich „Betreutes Wohnen“ im

psychosozialen Zentrum. Sein Tätigkeitsbereich ist die ambulante

Eingliederungshilfe für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Weitere seiner

Zuständigkeitsbereiche sind das Aufnahmemanagement, die psychosoziale

Beratung und Qualitätssicherung (vgl. Interview2:48-87). Person3 ist tätig in einer

Lehrerkooperative und arbeitet im Bereich Kindertagesstätten und schulnahen

Betreuungen als Fachberaterin mit dem Schwerpunkt auf Inklusion und

Ganztagsschulentwicklung. Ihre Aufgabe ist die Betreuung und Begleitung von

Teams in Organisationsentwicklungsprozessen in 26 Kindertagesstätten und

Ganztagsschulen. Die Teams werden durch sie bei Themen wie Inklusion oder

Kinderschutz beraten und unterstützt (vgl. Interview3: 14-41). Person4 ist bei

einem örtlichen Sozialhilfeträger angestellt und arbeitet im Fachdienst Teilhabe

von Menschen mit Behinderung. Ihr Aufgabenbereich ist die Hilfeplanung und

Bedarfsermittlung von Eingliederungshilfen für Kinder und Jugendliche mit

körperlicher und oder geistiger Behinderung (vgl. Interview4:34-42). Des Weiteren

folgt Person5, die zur ICF und den ICF Core Sets forscht und lehrt. Zuvor war er

unteranderem in einer psychiatrischen Klinik tätig und betreute den

Konsiliardienst (vgl. Interview5:18-87). Person6 arbeitet als Sozialarbeiterin im

sozialpsychiatrischen Bereich in einer Organisation mit 70 MitarbeiterInnen, die

psychisch kranken Menschen Hilfe leistet. Hierbei gibt es in verschiedenen

Städten und Orten Kontakt- und Beratungsstellen, Tagesstätten, Gruppen- und

Freizeitangebote und ambulant betreutes Wohnen für psychisch kranke

Erwachsene von 18 bis ca. 90 Jahren. Den Hauptbereich stellt das ambulant

Page 68: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

60

betreute Wohnen dar für ca. 400 psychisch kranke Erwachsene. Person6 ist

hierbei Teamleiterin von einem Team mit 12 MitarbeiterInnen und hat zudem die

Aufgabe der Begleitung des Antragsverfahrens (vgl. Interview6:9-28).

Hierbei ist ersichtlich, dass zwei von sechs Personen in der Eingliederungshilfe

tätig sind und weitere drei Personen im psychosozialen bzw. psychiatrischen

Bereich der Sozialen Arbeit.

Die Anwendung der ICF in den Organisationen

Die Anwendungsarten der ICF in den Organisationen gestalten sich sehr

unterschiedlich. In den einen Organisationen wird die ICF vollständig in ihrer

ursprünglichen Form herangezogen, in anderen werden zugeschnittene

Instrumente verwendet, die auf der ICF basieren. Es ist zudem unterschiedlich, ob

nur die jeweilige Interviewperson in ihrer Organisation auf Basis der ICF arbeitet

oder eine größere Anzahl der MitarbeiterInnen.

In der Organisation von Person1 wird als Instrument das

Dokumentationsprogramm Vivendi seit März 2018 herangezogen, welches auf

der ICF basiert. Angewendet wird das Instrument von allen MitarbeiterInnen in der

Tagesbetreuung und im Wohnbereich (vgl. Interview1:35-54). Dem

Dokumentationsprogramm liegt die ursprüngliche Form der ICF zugrunde. Das

Instrument wird aufgrund der fehlenden Urteilsfähigkeit der KlientInnen allein von

den BetreuerInnen auf täglicher Basis angewendet (vgl. ebd.:80-103). Dabei

wurde es so angepasst, dass es in möglichst kurzer Zeit täglich als

Dokumentationssystem verwendet werden kann.

„Ah des is unterschiedlich, weil des kommt kommt drauf an wie viel Klienten man dokumentiert. Aber i sog jetzt wenn i meine zehn Klienten aus der Gruppe dokumentier, is es vielleicht a holbe Stund.“ (ebd.:99f.)

In der Organisation von Person2 wird die ICF in Form des Gesamtplans

herangezogen. Diese Gesamtpläne werden seit Beginn der 2000er Jahre in der

Organisation verwendet und wurden durch die verantwortliche Behörde für die

Eingliederungshilfe vorgeschrieben (vgl. Interview2:101-121). Diese Behörde bzw.

das Fachamt für Eingliederung koordiniert und bewilligt die Maßnahmen. Grund

Page 69: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

61

dafür ist das Ziel, die Eingliederungshilfe besser zu strukturieren, effektiver,

messbarer und überprüfbarer zu machen und damit die Kosten zu senken (vgl.

ebd.:154-164). Der Gesamtplan gliedert sich in verschiedene Lebensfelder:

Wohnen, alltägliche Lebensführung, Basisversorgung Grundpflege, psychische

Entwicklung, Gesundheitsförderung, Gestaltung sozialer Beziehungen, Teilnahme

am kulturellen gesellschaftlichen Leben, Kommunikation, Orientierung und

Teilhabe, Beschäftigung und Teilhabe. Diese Lebensbereiche werden wiederum

auf die ICF Items heruntergebrochen (vgl. ebd.:172-179). Der Gesamtplan wird in

der Erstplanung innerhalb der Gesamtplankonferenz durch die Behörde

gemeinsam mit dem Klienten oder der Klientin im Beisein des betreuenden

Sozialarbeiters oder der Sozialarbeiterin erstellt und verschriftlicht (vgl. ebd.:187-

192).

Person3 ist die einzige Person in ihrer Organisation, die die ICF in ihrer Arbeit

regelmäßig heranzieht (vgl. Interview3:77).

„Also dadurch - dadurch, dass die ganzen Maßnahmen und dieser dieser ganze Bereich - ausschließlich mein Tätigkeitsfeld ist -- äh - mach das grade ich (lacht).“ (vgl. ebd.:76f.)

Das argumentiert sie damit, dass Inklusion bzw. Teilhabe der Kinder in ihren

Arbeitsbereich einzuordnen sind.

„Ja äh - und dadurch, dass das einfach ganz klar als mein Arbeitsbereich äh äh als mein Arbeitsfeld definiert ist - äh - ist das sowas was ich selbstständig anwenden und äh äh entscheiden kann. Also natürlich - äh weiß das unsere Geschäftsführung, dass ich danach arbeite. Und ähm - im Sinne von Wissensmanagement ist auch klar so, dass wenn da jemand ne Frage hat oder ähnliches, dass ich da gefragt werde. Aber es ist halt einfach so mein fester Themenbereich (lacht).“ (ebd.:87-93)

Als Grund für die Verwendung der ICF nennt sie die Mitarbeit in einem

städtischen Modell und städtischen Arbeitsgruppen zum Thema Inklusion mit

folgendem Ansatz.

„Und da ist einfach so eine Prämisse das - ähm - ja - nicht dem Kind anpassen muss, sondern sich die Strukturen nach dem Kind richten. - So dieses vom Kind aus Denken so als Grundhaltung - und des probier ich so einzubringen und dafür ist auch der ICF ganz gut geeignet. Einfach weils ne ganzheitliche Sicht auf die Kinder gibt und einfachn

Page 70: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

62

Hilfsmittel ist, um mit dem Team zusammen auch sowas zu diskutieren.“ (ebd.:56-61)

Auf die Frage seit wann sie mit der ICF arbeitet erklärt sie, dass sie die ICF vor

einem dreiviertel Jahr kennengelernt hat (vgl. ebd.:72). Die Anwendungsart der

ICF unterscheidet sich bei Person3 zudem. Im Vergleich zu Person1 und Person2

verwendet sie kein auf die ICF abgestimmtes Instrument. Stattdessen zieht sie die

vollständige ICF heran und wählt die für sie relevanten Abschnitte aus.

„Ähh - des hängt immer davon ab von der Zielsetzung und wo wos halt auch äh - wirklich hakt, also ich kenn alle Listen und ich kenn den vollständigen ICF, aber ich such mir des raus was ich äh jetzt in der Situation für hilfreich - entscheide.“ (ebd.:145-147)

Darauffolgend wird bei ihrer Arbeit die ICF in unterschiedlichen Arbeitsschritten

und auf verschiedene Weise herangezogen. Zum einen zieht sie die ICF zur

eigenen Dokumentation und zum anderen zur Diskussion bei Fallbesprechungen

im Team heran.

„Ähh des hängt immer davon ab - also ob ich selbst den Bericht schreibe - dann schreib ich des einfach runter und und orientier mich da dran - oder ähm - ich hab auch - ähm ich hab auch ne einfache Schablone wo ich des dann zum Beispiel anwende wenn ich Diagnostik zusammen mit dem Team oder wenn ich Fallbesprechungen etc. mit dem Team dann mache um einfach auf die Art und Weise auf alle Bereiche ein kleines bisschen zu schauen.“ (ebd.:117-122)

Ein weiterer Arbeitsschritt bei welchem die ICF bei ihr zur Anwendung kommt, ist

die Betreuung und Begleitung der Teams in Kindertagesstätten und

Ganztagesschulen. Hierbei versucht sie auch SozialpädagogInnen und

ErzieherInnen zur ICF Anwendung in der Arbeit mit den Eltern zu befähigen.

„Ja, deswegen mach ich wirklich auch so ausführliche Fallbesprechungen, wenn sowas da ist - und wir über überlegen auch so wie man eben solche Dinge dann auch mit den Eltern besprechen kann. - Und - äh - mein großes Ziel hinter meiner Arbeit ist, dass jeder wirklich Erzieher, jeder Sozialpädagoge, der bei uns arbeitet in der Lage ist - ähm den ICF so anzuwenden, dass es die betroffenen Eltern als au äh auf Augenhöhe und als konstruktiv für die weitere Zusammenarbeit erleben.“ (ebd.:217-220)

Page 71: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

63

Person4 wendet in ihrer Bedarfsermittlung die ICF seit April 2018 an, wobei das

Arbeiten auf Basis der ICF bereits seit längerem in ihrer Organisation stattfindet

(vgl. Interview4:64-69). In ihrer Organisation wird dafür das

Bedarfsermittlungsinstrument BENi für die Hilfeplanung herangezogen.

„Das ist ein Instrument was wir wirklich in der Hilfeplanung und aber auch noch so ich sag mal ein Stück vorweg ähm - verwenden, um erst mal die Bedarfe des Kindes oder des Jugendlichen herauszufinden. Also das ist quasi so unsre Grundlage auf, die dann später eben noch eine Zielplanung erfolgt.“ (ebd.:148-151)

Aufgrund ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen spielt zudem die auf Kinder

und Jugendliche abgestimmte Form der ICF, die ICF-CY eine Rolle, die ebenfalls

versucht wird in der Praxis zu berücksichtigen.

„Und da kann ich dazusagen, es ist nich ganz so bekannt ich weiß nich ob es dir bekannt ist, es gibt ja das ICF-CY also CY am Ende

Interviewer: Ja ja

Person4: Das ist ja das ICF das wirklich nochmal ganz speziell auch für Kinder und Jugendliche und deren Entwicklungsschritte aufgebaut - oder entworfen wurde. Und das versuchen wir natürlich auch in unsrer Praxis und unsrer Arbeit zu berücksichtigen.“ (ebd.:137-147)

Der Bedarfsermittlungsbogen wird bei Person4 am Computer ausgefüllt. Er

enthält neun Lebensbereiche basierend auf der ICF.

„Ja das heißt wir gucken uns verschiedene Bereiche an das ist einmal Lernen und Wissensanwendung, dann der zweite Bereich sind allgemeine Aufgaben und Anforderungen, der dritte Bereich ist Kommunikation, der vierte Mobilität, der fünfte Selbstversorgung, der sechste ist dann ähm interpersonelle Beziehungen und Interaktionen, so heißt das glaub ich (lacht) ähm der siebte Bereich ist häusliches Leben, der achte bedeutende Lebensbereiche also das könnten zum Beispiel die Schulbildung sein und der neunte Bereich ist so Gemeinschaft und stark bürgerliches Leben also bei Kindern zum Beispiel Freizeitaktivitäten.“ (ebd.:170-178)

Zudem ist das Bedarfsermittlungsinstrument BENi in zwei Teile aufgeteilt. Im

ersten Teil werden die Diagnosen aufgeführt und im zweiten Teil werden Aktivität

und Teilhabe gemeinsam im Gespräch mit den Eltern erarbeitet.

„Der erste Teil ist im Grunde medizinischer Natur, nämlich da is äh - werden die Diagnosen des jeweiligen Menschen also die ICD-10

Page 72: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

64

Diagnosen festgehalten. Und dort wird eben aufgeführt welche Diagnosen gibt es welche Erkrankungen - ähm - und wo speziell sind eben auch Störungen der Körperfunktion und Körperstrukturen - gegeben. So das bekommen wir, das machen nicht wir, sondern das bekommen wir von Ärzten und des Gesundheitamtes bei denen die Kinder vorständig werden müssen. Dann bekommen wir diese Diagnosen diesen ersten Teil zugeschickt - und laden die Familien zum Gespräch bei uns ein. Und wir ermitteln eben aufbauend auf diesen Diagnosen so wie es ja im Grunde auch im Gedanke des ICF oder des Biopsychosozialen Modells ist, dann eben - wo liegen Ressourcen aber auch Einschränkungen hinsichtlich der Aktivität und Teilhabe - und das erfassen wir anhand neun Lebensbereichen mit diesem Bedarfsermittlungsinstruments.“ (ebd.:158-170)

Im Unterschied zu Person1 wird bei Person4 das auf der ICF basierende

Instrument gemeinsam mit den Familien ausgearbeitet. Person5 ist bereits das

erste Mal im Jahr 2004/2005 in Kontakt mit der ICF gekommen (vgl.

Interview5:14). Er hat unteranderem im Akutbereich gearbeitet, wo er bereits

versuchte passende Kodierungen für Krankheitsfolgen zu erkennen.

„Ja ich hab die insofern angewendet, dass ich damals äh überlegt hab äh welche Leistungsbezüge welche Fragestellungen spielen eigentlich hier im Akutkrankenhaus ne Rolle und äh mit welchen Folgen ist möglicherweise bei bestimmten Erkrankungen auch zu rechnen. Und hab versucht damals schon über eine Zuordnung selbst gestrickt ähm - Kodierungen oder Kodierungen zu erkennen, die da vielleicht ne Rolle spielen.“ (ebd.:55-60)

Jedoch hat Person5 zu dieser Zeit noch unabhängig vom System, aufgrund

fehlender Andockstationen hinsichtlich psychosozialer Folgen, alleine mit der ICF

gearbeitet. Er versuchte Core Sets in seiner Dokumentation einzubinden.

„Ja ich hab dann tatsächlich äh mit Core Sets gearbeitet, also ich hab mir angeguckt zu bestimmten Krankheitsbildern gibt es da Core Sets und sind die schon entwickelt und hab versucht die in meinem täglichen Arbeitskontext äh - Konsi Konsi äh also ich hab Konsiliardienst betreut also - äh in unterschiedlichen Kliniken mit Menschen gearbeitet und hab dann äh sozusagen über ne Dokumentation das eingebunden.“ (ebd.:84-89)

Konkret wendete er die ICF für die eigene Dokumentation und die Dokumentation

innerhalb des Teams an. Außerdem versuchte er die Komplexität in der Sozialen

Arbeit abzubilden.

Page 73: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

65

„Hm ne ich hab sozusagen äh ähm das eine war die Dokumentation, das andere waren eben äh die spätere Entwicklung von von also von Fallgruppen in der Sozialen Arbeit - wo eben nochmal deutlich wurde, was sind die Komplexitäten in der Beratung Sozialer Arbeit und wie lassen sich diese Komplexität ableiten und darstellen über die ICF.“ (ebd.:95-98)

In der Organisation von Person6 wird das auf der ICF basierende Instrument seit

2015 angewendet. Das Instrument wird bspw. für die Hilfeplanung herangezogen

(vgl. Interview6:66-76). Nebenbei kommt die ICF bei der Umsetzung der

Maßnahmen zum Tragen.

„Ähm ja -- in dem Sinne - kommts weiter zur Anwendung - weil wir - was da dieses Hilfeplaninstrument sozusagen ergibt - danach müssen wir 18 Monate lang arbeiten, das heißt wir müssen uns 18 Monate lang daran orientieren was dabei eben rumgekommen ist, also man guckt sich eben genau an wo hat der, wo braucht der Mensch Unterstützung wo hat er denn Bedarfe.“ (ebd.:78-82)

Hierbei zeigt sich die Ähnlichkeit zur Person2 und Person4, die ein ICF basiertes

Instrument für die Hilfeplanung heranziehen.

Einschulung in die ICF

Die InterviewpartnerInnen unterschieden sich zudem hinsichtlich der Einschulung

in das Arbeiten mit der ICF oder einem auf der ICF basierenden Instrument.

Person1 hatte einen Monat einen Einschulungsmonat in ihrer Organisation (vgl.

Interview1:58-59). Eingeschult wurden sie von MitarbeiterInnen des

Unternehmens, welches das Dokumentationsprogramm zur Verfügung stellt.

„Ähm – wir ham drei Helfer in der Gruppe, die san von der Firma, die des Programm zur Verfügung stellen. Die san dort eingeschult worden und die ham uns dann eingeschult in der Einrichtung selber am PC.“ (ebd.:68-70)

Aufgrund des digitalisierten Instruments wurde durch den Anbieter Hilfe bei der

Einschulung zur Verfügung gestellt. Über zwei Monate hinweg gab es kurze

Einführungen. Zudem standen die MitarbeiterInnen bei Fragen zur Verfügung.

Page 74: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

66

„Also insgesamt woarns 8 Stunden aber des hot sich über 2 Monate gzogen, also es wor immer in unregelmäßigen Abständen, aber es is so, wenn man Fragen hat, die Helfer san immer da, damit wir uns die Fragen stellen können und wenn die net weiter wissen gibt’s dann die X., des ist a Firma und die klärn das dann mit denen.“ (ebd.:74-77)

Bei Person2 hingegen hat es keine ausführliche Schulung gegeben (vgl.

Interview2:129). Er erzählt, dass vor allem ältere MitarbeiterInnen bei der

Anwendung helfen, von SozialarbeiterInnen jedoch auch erwartet wird Sozial- und

Verlaufsberichte erstellen zu können.

„Ne das waren immer so interne Schulungen. Das heißt das waren dann immer die langjährigen Mitarbeiter, die die mit diesem neuen System konfrontiert wurden und die haben sich das dann angeeignet und in die Teams getragen. Aber wir haben keine ausführliche Schulung erhalten. Wie ich die Sozial- und Verlaufsberichte zu erstellen habe, das wird vorausgesetzt.“ (ebd.:126-130)

Da Person3 die ICF in eigener Initiative heranzieht und als einzige Mitarbeiterin

ihrer Organisation die ICF verwendet, hatte sie ebenso keine Einschulung. Aus

diesem Grund hat sie sich selbst Wissen zur ICF angeeignet.

„Also dadurch, dass ich ja viel so äh ähm äh so Entwicklungsbeobachtungen und Dokumentation war schon immer so eins meiner Fachthemen - und ähm - Meilenstein in der Entwicklung und was es da so gibt. Also ich kenn da ziemlich viele andere Diagnostiken äh und Systeme, deswegen war des jetzt nicht so, dass die Einarbeitung da jetzt besonders umfangreich ist. Ich glaub des hängt immer davon ab auf welches Vorwissen äh - man da zurückgreifen kann.“ (ebd.:106-112)

Bei Person4 kam es zu einer Einführung in das Bedarfsermittlungsinstrument

mittles eines im Bundesland eingeführten Handbuchs. Außerdem hatte sie zwei

Seminartage zum Bundesteilhabegesetz. Die Anwendung der ICF hat sie sich in

ihrer Praxis selbst beigebracht.

„Also es gibt für dieses Bedarfsermittlungsinstrument wurde jetzt ganz aktuell ein Handbuch - entworfen hier in Niedersachsen und veröffentlicht ähm. Das wurde uns allen zur Verfügung gestellt, das soll uns eine Arbeitshilfe sein. Wir haben mit unserem ganzen Fachdienst auch zwei Seminartage gehabt nochmal speziell zum Bundesteilhabegesetz. Ähm dort wurde ICF auch nochmal erwähnt und auch nochmal der Grundgedanke, der sich dahinter versteckt äh son bisschen benannt und auch vorgestellt. - Ja das würde ich sagen, das

Page 75: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

67

war son bisschen, als Vorbereitung kann man das vielleicht ansehen. Ähm auf die praktische Arbeit damit aber ansonsten muss man sich ganz viel in der Praxis auch - ähm ja ausprobieren damit. Ähm - ja und das einfach einüben nach diesem Kerngedanken arbeiten.“ (ebd.:106-117)

Person5 ist vor allem durch das Masterstudium der Klinischen Sozialarbeit in

Kontakt mit der ICF gekommen (vgl. Interview5:15). Ähnlich wie bei Person3 hat

sich Person5 die ICF teilweise selbst angeeignet. Er erzählt, dass er auch selbst

die ICF zu Beginn falsch verstanden hat.

„(räuspert sich) also bis ichs so einigermaßen gecheckt hab hat es sicherlich sechs Monate gedauert so ähm - und ähm ich hab das am Anfang immer auch ähm möglicherweise nicht erkannt als Klassifikation sondern eher als äh als Pool oder Zugang und hab erst später verstanden, dass das falsch ist, weil es geht ja irgendwie um ne Klassifikation und dass für viele Kontexte in der Sozialen Arbeit bestimmte Diagnoseinstrumente auch fehlen, die gibts noch gar nicht.“ (ebd.:63-68)

Auch bei Person6 hat es keine Einschulung durch die Organisation gegeben. Sie

wurde durch im Rahmen der Jobeinführung auch in die ICF Anwendung

eingeschult.

„Ähm nee - also die einzige Einschulung in dem Sinne - war als ich da angefangen hab in der Organisation äh - war ich halt auch dabei bei so Hilfeplangesprächen und auch - bei der Antragsstellung, weil da muss davor schon ein bisschen Vorarbeit sozuagen leisten - wir haben da auch so ein Raster - welches wir da auch verwenden und schon mal Eintragungen machen. Und dann gehn wir mit dem Klienten hin zu diesem - Hilfeplangespräch. Und machen das dann mit der Person von XY dann auch gemeinsam - und da wirst du dann auch in das Konzept schon mal eingeführt im Rahmen - wenn du bei uns anfängst zu arbeiten kann man sagen.“ (Interview6:56-63)

Demzufolge hat die Einschulung von Person6 eher in der Einarbeitungszeit

stattgefunden.

6.2 Die ICF in der Sozialen Arbeit

Die zweite Kategorie, die sich aus der Analyse und Auswertung des

Interviewmaterials herauskristallisiert hat, umfasst die ICF im gesamten Bereich

Page 76: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

68

der Sozialen Arbeit. Das meint zum einen die Soziale Arbeit als Studium und

Wissenschaft an der Hochschule, die ICF als eine Klassifikation der Sozialen

Arbeit und zum anderen die sozialarbeiterischen Bereiche und Organisationen,

die ICF in Verwendung haben sowie ihre Zusammenarbeit untereinander mittels

der ICF.

Die ICF im Studium Sozialer Arbeit

Es haben alle InterviewpartnerInnen ein Studium absolviert bis auf Person1, die

eine Ausbildung zur Diplomsozialbetreuerin für Behindertenarbeit in Österreich

gemacht hat. Erst durch die Einführung des Dokumentationsprogramms ist sie in

Kontakt mit der ICF gekommen (vgl. Interview1:56). Person2 hat ein Duales

Studium an der damals noch Berufsakademie Sozialwesen studiert mit dem

Abschluss des Sozialpädagogen. Des Weiteren trägt er den durch die Hochschule

Coburg und Alice Salomon Hochschule Berlin anerkannten Titel des „Klinischen

Sozialarbeiters“ (vgl. Interview2:18-32). Person2 studierte in den Jahren 1990 bis

1993 an der Dualen Hochschule. Während des Studiums ist ihm die ICF nicht

begegnet (vgl. ebd.:152). Zu dieser Zeit war die ICF noch in ihrer Entwicklung und

wurde erst 2001 von der WHO verabschiedet (vgl. Kapitel 4). Person3 studierte

im Bachelor Sozialpädagogik, Interkulturelle Handlungskompetenz und Spanisch

und absolviert zurzeit den Master in Beratung in der Arbeitswelt, Supervision,

Coaching und Organisationsberatung (vgl. Interview3:5-9). Sie lernte die ICF

ebenso nicht im Studium kennen. Im Rahmen eines Vortrags einer

Unterarbeitsgruppe erfuhr sie von der ICF als neue gängige Praxis und Sprache

der Stadt.

„Und zwar bin ich da drüber gekommen, weil ich ähm Mitglied von der Unterarbeitsgruppe Integration bin. Das ist ne Unterarbeitsgruppe vom äh Kinder- und Jugendausschuss. - Und äh - und da haben wir einen Vortrag dafür bekommen und wurden dafür sensibilisiert, dass das jetzt einfach zunehmend - in der Stadt X - ja - die gängige Praxis und Einschätzungsmöglichkeit is und dann war einfach klar, dann hat sich mir die Notwenigkeit erschlossen sich mich da drin einzuarbeiten.“ (ebd.:78-84)

Page 77: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

69

Person4 hat Soziale Arbeit im Bachelor und Master studiert. Im Vergleich zu

Person1, Person2 und Person3 hat sie bereits in ihrem Masterstudium von der

ICF gehört. Dort lernte sie die ICF vor allem theoretisch kennen.

„Ähm ja, also ICF das hat ich schon bereits im Masterstudium äh also dass ich da äh schon davon gehört hatte und wir sozusagen theoretisch das ganze durchgenommen haben, was ist das, äh - welche Bestandteile hat das auch, mit grade mit diesem Biopsychosozialen Modell und dann eben damit auch Fälle so mit bearbeitet haben. Ja genau. Wir haben es theoretisch halt angewendet. Nicht in der Praxis, aber im Studium halt, ja sehr theoretisch gehalten in äh - in Form von Vorlesungen und dann halt auch Seminaren und Übungen dazu, ähm genau.“ (Interview4:26-32)

Person5 ist ebenfalls im Masterstudium Klinische Sozialarbeit in Kontakt mit der

ICF gekommen.

„(räuspert sich) ähm 2004 oder 2005 glaub ich bin ich in dem Kontext auf die ICF gekommen im Rahmen meines Masterstudiums.“ (Interview5:14-15)

Person6 hat ebenfalls wie Person4 Soziale Arbeit im Bachelor und Master

studiert. Sie ist hat die ICF ebenfalls bereits im Studium behandelt.

„Ähm - ja. Pantucek hat uns das mal gelehrt glaub ich. In irgendeiner Lehrveranstaltung zur sozialen Diagnostik bin ich da in Kontakt gekommen, aber ich glaub wir haben nie wirklich - ähm jetzt damit gearbeitet. Das einzige mit dem wir gearbeitet haben was das Inklusionschart.“ (Interview6:94-98)

Hierbei ist herauszulesen, dass die ICF vor allem, wenn auch nicht im großen

Umfang, bereits im Studium der Sozialen Arbeit thematisiert wird. Jedoch ist

auffällig, dass es sich dabei um Masterstudien handelt. Daneben wurde die ICF

vor allem theoretisch erarbeitet und weniger praktisch in ihrer Anwendung geübt.

ICF als Klassifikation der Sozialen Arbeit?

Als weiterer Punkt der Kategorie „Die ICF in der Sozialen Arbeit“ hat sich die

Frage gestellt, inwiefern die ICF als eine Klassifikation der Sozialen Arbeit

gesehen wird. Person1 erläutert, dass es den Vorteil hätte, dass alle

Organisationen auf dem gleichen Stand wären.

Page 78: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

70

Okay, ja des wär wirklich super, wenn alle mit der ICF arbeiten würden, weil dann hat man einen Überblick über olle Einrichtungen und das bei allen sozialarbeiterischen Institutionen, das alle am gleichen Stand san. Weil dann weiß man okay, da san alle auf dem gleichen Stand und verstehen bei manchen Dingen auch das gleiche. (Interview1:152-156)

Person4, die die ICF bereits im Masterstudium theoretisch erarbeitet hat meint,

dass die ICF sich als Instrument zur Bedarfsermittlung eignet.

„Letztendlich in meiner praktischen Arbeit, benutz ich ja die ICF und auch die Items, um meine Bedarfsermittlung vorzunehmen. Also ich glaube die ICF ist schon geeignet, - weil es eben auch so viele verschiedene Möglichkeiten hat und man dann eben genau gucken kann, okay was ist jetzt grade für welche Person wichtig. Also ich glaube schon, dass es sich grundsätzlich - ähm eignet so hinsichtlich der Bedarfsermittlung.“ (Interview4:472-482)

Sie schließt überwiegend Schlüsse auf ihren Arbeitsbereich der

Bedarfsermittlung. Person5 geht auch darauf ein, dass es durch die ICF eine

gemeinsame Sprache in er Sozialen Arbeit gäbe und diese transparenter werden

würden. Die ICF gibt die Möglichkeit Netzwerkstrukturen und Alltagsaktivitäten

darzustellen.

„Ich glaube erstens ist sie uns äh äh ermöglicht sie eben auch Umweltfaktoren und ähm - soziale Netzwerkstrukturen abzubilden, sie ermöglicht äh Dinge also Tätig Tätigkeiten des alltäglichen des Alltags Alltagsaktivitäten und solche Dinge abzubilden. Und das sind genau die Fragestellungen die Menschen ja betreffen, wenn sie gesundheitlich eingeschränkt sind, die ja leiten, organisieren und gestalten können. Und ich glaube das ist eine zentrale Frage in der Sozialen Arbeit, ähm Menschen dabei zu unterstützen in ihrer Lebenswelt äh ihren Alltag so zu organisieren, dass sie das auch kompensieren trotz der schwierigen gesundheitlichen Lagen. Und es es gibt eben ne Möglichkeit, dass sie sich das zu koppeln mit den Einschätzungen von Angehörigen, von Netzwerkstrukturen und äh und diesen Dingen. Und es lassen sich auch Ressourcen beschreiben ne, es ist ja nicht so problemlastig is, sondern es lassen sich ja auch äh durchaus Ressourcen darstellen und ähm wie gesagt es wird damit auch möglich sein immer wiederkehrende Aspekte deutlicher zu beschreiben auszuwerten und darauf auch - äh die Entwicklung von diagnostischen Instrumenten auszurichten. Und ich glaub von daher, erst mal das und zweitens wird die Soziale Arbeit nochmal transparenter - äh in der multiprofessionellen Zusammenarbeit, also man hat dann eine gemeinsame Sprache und kann dann über ICF die eigenen Zugänge nochmal besser erläutern.“ (Interview5:139-157)

Page 79: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

71

Person5 beschreibt er vor allem die Relevanz der ICF für die Soziale Arbeit. Er

folgert, dass die ICF bereits fast überall in der Klinischen Sozialen Arbeit adaptiert

hat, obgleich es noch Unklarheiten gibt wann die ICF anzuwenden ist. Dennoch

sind die Chancen hoch, dass die ICF adaptiert wird und zugeschnittene

Instrumente entwickelt werden.

„Ja, die hat sich glaub ich in großen Teilen der Klinischen Sozialen Arbeit etabliert die sich ja schon. Also die ähm, ich glaube die in der Klinischen Sozialarbeit ist die ICF als Klassifikation relativ unumstritten. Ne, also die ist ja da, das ist ja ne Klassifikationsmöglichkeit äh gleichwohl gibts kritische und Diskussion äh inwieweit wann an welcher Stelle man was benutzt und ähm - das ist völlig klar, aber ich glaube in der in der Community Klinischer Sozialarbeit is äh die Chance sehr groß ICF zu adaptieren, die Chancen zu erkennen insbesondere - und eben auch äh Instrumente äh äh zu entwickeln, sozusagen (räuspert sich) die ähm das Alleinstellungsmerkmal der Sozialen Arbeit erkannt hat und und Behinderung eben darzustellen. Und da kann uns die ICF helfen.“ (Interview5.:293-302)

Ebenso Person6 bestätigt die ICF als eine Klassifikation der Sozialen Arbeit,

jedoch auch als eine Bereichs- und Berufsgruppen übergreifende Klassifikation.

„Ja eigentlich - ja denke schon. - Also nicht nur der Sozialen Arbeit aber auch anderen Bereichen und Berufsgruppen - aber ja definitiv. Aber ich find schon, dass man - wenn man ne klinisch sozialarbeiterischen Bereichen unterwegs ist sollte man da schon Bescheid wissen.“ (Interview6:299-302)

Bereiche in der Sozialen Arbeit und mögliche Zusammenarbeit

Als nächster Punkt folgen geeignete oder mögliche Bereiche in der Sozialen

Arbeit für eine Anwendung der ICF und die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit

der Organisationen und Bereiche.

Person1 befürwortet hierbei eine bereichsübergreifende Anwendung der ICF in

der Sozialen Arbeit, da es leichter werden würde Dokumentationen usw. über die

Organisationen hinweg zu besprechen.

„Genau. Würd i wirklich gut finden, wenn das so gemacht is, weil wenn ma da Vorabtreffen hat, weil dann trifft man ja Kollegen aus anderen Institutionen und dann red ma sich vül leichter über Dokumentationen und das ganze wenn olle des selbe hom.“ (Interview1:158-161)

Page 80: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

72

Person2 betont vor allem die Herausforderung zwischen den verschiedenen

Berufsgruppen innerhalb einer Organisation und der Arbeit mit der ICF. So glaubt

er, dass sich AkademikerInnen leichter tun beim Aneignen von Manualen.

Aufgrund dessen, dass in seiner Organisation auch Nicht-SozialarbeiterInnen

Sozial- und Verlaufsberichte erstellen müssen, sieht er die Herausforderung bei

den anderen Berufsgruppen.

„Ich hab auch das Gefühl, dass sich die Akademiker beim Aneignen des Manuals relativ leicht tun und dann gibt es ja noch andere Berufsgruppen - Krankenpflege, Heilerziehung - für die ist das dann auch wirklich eine Herausforderung. - Die kommen auch meist immer aus Arbeitsbereichen. Normalerweise sind es nur die Sozialarbeiter, die Sozial- und Verlaufsberichte erstellen. Hier ist es nicht so, hier ist dann jeder verantwortlich für seine Klienten und muss diese Berichte dann auch schreiben. Und - das ist dann für die anderen Berufsgruppen - echt nochmal eine Herausforderung.“ (Interview2:136-143)

Bei Person2 kommt es vor allem durch die Behörde zu einer Kommunikation

mittels der ICF, die die ICF basierende Arbeit zum einen vorschreibt und

gemeinsam mit der Eingliederungshilfe die Erstplanung in der

Gesamtplankonferenz durchführt (vgl. ebd.:187-190)

Ähnlich wie bei Person2 kommt es auch bei Person3 zur Kommunikation mittels

ICF mit der Stadt. Sie spricht vor allem davon, dass die Verwendung der ICF die

Kommunikation mit der Stadt erleichtert aufgrund der Verwendung der gleichen

Sprache. Das führt dazu, dass ihre Anträge leichter bewilligt werden.

„Also definitiv mit der Stadt äh - wenns um Antragsstellungen für Unterstützungen und ähnliches geht - da weiß ich einfach - wir sprechen die gleiche Sprache.

Interviewer: Mhm.

Person3: Und äh das führt dann einfach dazu, dass meine Anträge äh leichter dann auch genehmigt werden. Weil ich entsprechend - auf ne Art und Weise wie die Stadt das so richtig einordnen kann äh - nen Förderbedarf von nem Kind erhebe und auch entsprechend weiß was ich an ergänzenden Unterlagen noch be besorgen muss.“ (Interview3:96-103)

Person4 erwähnt weitere Organisationen, die in ihrer Gegend auf Basis der ICF

arbeiten. Dabei handelt es sich um die in ihrem Landkreis angesiedelten

Jugendhilfen.

Page 81: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

73

„Genau, ansonsten kann ich auch sagen, ich arbeite ja bei dem örtlichen Sozialhilfeträger hm genau hab ja schon viel erzählt. Ich weiß aber auch, das ist ja auch bei uns beim Landkreis angesiedelt Jugendhilfe auch, die örtliche Jugendhilfe. Und die arbeiten in ihrer Grundlage auch nach ICF.“ (Interview4:268-271)

Des Weiteren erläutert sie inwiefern Organisationen über die ICF miteinander

kommunizieren könnten. So wäre es zwischen den Organisationen leichter sich

über Fälle auszutauschen.

„Das is ja son bisschen - eine Art Sprache, die man da spricht und wenn das natürlich andere Organisationen ähm - oder Institutionen auch wissen und auch sozusagen damit arbeiten glaub ich hätte man sozusagen eine gemeinsame Sprache im Sozialbereich. Mit der man sich dann eben auch über verschiedene Fälle kommunizieren könnte und es nicht mehr so is, dass jeder in seinem Fachbereich zwar Experte is und dann auch so ne, ich sag mal so ne fachspezifische Sprache spricht, sondern man eben eine Sprache eben hat, mit der man kommunizieren kann.“ (Interview4:294-301)

Person5 erwähnt ebenfalls Bereiche in denen die ICF noch nicht so etabliert ist.

Vor allem in Akutkrankenhäuser ist die ICF noch nicht bekannt. Im Vergleich dazu

hat sie sich in der medizinischen Rehabilitation schon etabliert.

„Also das ist bis heute so, dass im Akutkrankenhausgeschehen, auch in Psychiatrien in ner Bundesrepublik Deutschland eben das Thema ICF gar nich so auf dem Zettel is. Äh und ja was ich damals erkannt hab is es eher ein Thema in der Rehabilitation. In der medizinischen Rehabilitation.“ (Interview5:30-35)

Person5 betont des Weiteren, dass die ICF auch nur herangezogen werden kann,

wenn tatsächlich auch gesundheitliche Folgen beschrieben werden. Damit ist die

ICF nicht im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung anzuwenden. Er fügt

hinzu, dass er besonders in den Akutkrankenhäusern großen Bedarf sehen

würde. Vor allem in der medizinischen und beruflichen Rehabilitation ist die ICF

bereits etabliert. Er sieht aber in den nächsten Jahren eine große Entwicklung.

„Also die ist ja erstmal nur dann geeignet, wenn gesundheitliche Folgen beschrieben werden ja, weil also es muss ein Schadensereignis vorliegen. Ähm also wir könnens wir könnens nicht verwenden im Kontext Prävention und Gesundheitsförderung. Ähm wir können nur sozusagen aus den Erfahrungswerten Schlüsse ziehen für ähm - für die Entwicklung von Präventionsgesundheits äh

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74

Gesundheitsförderungsmaßnahmen. (räuspert sich) Ich sehe ein großen Bedarf tatsächlich im Akutbereich, also Akutkrankenspi äh Spitäler und so weiter. Äh weil da is das, da spielt das noch überhaupt keine Rolle und des werden die die gesundheitlichen ähm Folgen insgesamt noch nicht abgebildet und mitgedacht, schon in der Akutbehandlung um sozusagen die Weichen zu stellen für die künftige Weiterbehandlung. Das ist ja medizinisch ähm dominiert und auch äh ignoriert häufig eben auch ander andere Aspekte. Ähm in der Rehabilitation im medizinischen beruflichen Rehabilitation spielt das tatsächlich schon ne deutlichere größere Rolle und äh ich geh davon aus, dass äh in wenigen Jahren das auch ähm - noch viel weiter entwickelt ist auch in ambulanten Settings Sozialer Arbeit also im Gesundheitskontext, gesundheitsbezogene Soziale Arbeit, weil - die ähm Ausrichtung der Vergütung, die Ausrichtung der Teilhabekonstruktion sich auch abbilden muss und da wird die ICF natürlich die Rolle spielen.“ (ebd.:118-135)

Von allen Personen wurde eine breite Verwendung der ICF in der Sozialen Arbeit

gutgeheißen. Ebenso wurde von mehreren die Sinnhaftigkeit einer

Kommunikation zwischen den Organisationen auf Basis der ICF betont. Vor allem

Person5 ist auf die Bereiche, die bisher vermehrt die ICF anwenden,

eingegangen, wie bspw. vorrangig den Bereich der medizinischen Rehabilitation.

6.3 Soziale Diagnostik

Eine weitere Kategorie, die sich herauskristallisiert hat, ist die „Soziale Diagnostik“

in der Sozialen Arbeit und die ICF als Teil dieser. Diese Kategorie umfasst zum

einen die Schwerpunkte, mit welchen die ICF in die Soziale Diagnostik der

Sozialen Arbeit miteinbezogen werden kann. Zum anderen beinhaltet sie wie die

ICF im Zuge der Zielorientierung innerhalb der Sozialen Diagnostik eingesetzt

werden kann.

Schwerpunkte der ICF

Person1 hat hierbei vor allem mögliche Themenbereiche genannt, die ihrer

Meinung noch mehr in der ICF betont werden sollten. Ihrer Meinung sollte die

Selbständigkeit verstärkt hervorgehoben werden, die Förderung sowie die

Wissensanwendung.

Page 83: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

75

„Äh- also für mich wärs wichtig, wenn man die Selbstständigkeit noch mehr hervorheben könnte, dass mit die Leit, weil wir ja auch mit jungen Leit zusammenarbeiten und die immer selbstständiger werden könnten wie se jetzt san und dass man auf des bissl besser eingehn und auch die Förderung, des is halt relativ wichtig. Was dann die Wissensanwendungen, rechnen schreiben lesen betrifft, des is für mi noch wichtig, grad des Thema.“ (Interview1:104-111)

Person2 betont vor allem die strukturierende Funktion der ICF von komplexen

Fällen in der Sozialen Arbeit. Er sieht darin die Möglichkeit effektiver arbeiten zu

können und dadurch Eingliederungsmaßnahmen überprüfbar und messbar zu

machen (vgl. Interview2:158-164). Person3 geht vor allem die auf die

Ressourcenorientierung in der ICF ein. Dadurch ist es möglich das

Entwicklungspotential der KlientInnen verstärkt zu betrachten.

„Ähm gerade bei Kindern ist auch das Entwicklungstempo oft auch sehr unterschiedlich. Da da äh äh ist vielleicht ein Kind da was in seiner Feinmotorik deutlichen Nachholbedarf hat. - Aber - ähm - und einfach was aufholen muss - ist aber ein körperlich völlig gesundes Kind, das einfach noch was lernen muss, dann muss ich mir den körperlichen Bereich net so anschauen.

Interviewer: Mhm. Ja - ja verstehe.

Person3: Des ist einfach - äh äh - also ich finds wichtig halt ressourcenorientiert Kinder zu betrachten.“ (Interview3:332-339)

Person4 rückt vor allem die ganzheitliche Sicht nach dem Biopsychosozialen

Modell als Schwerpunkt bei der ICF für die Soziale Diagnostik in den Fokus.

Dadurch ist es möglich die Teilhabe und Aktivitäten des Menschen zu betrachten

und zu fördern.

„Dieses Biopsychosoziale Modell der ICF. - Und ähm für mich ist eben der wichtigste Bereich, den wir eben auch für unsere Bedarfsermittlung in den Fokus setzen, der der Aktivitäten und Teilhabe. - Weil wir natürlich gucken, wo ist die Teilhabe des Menschen ähm - gegeben (lacht) am Leben der Gemeinschaft oder wo ist sie auch beeinträchtigt - oder wo ähm sieht der Mensch es selber vielleicht auch als beeinträchtigt, weil er vielleicht aufgrund einer Behinderung - oder auch Erkrankung nich mehr in der Lage is an seinem Hobby teilzunehmen oder etwas ihm sehr wichtig ist. - Also ich glaube wirklich dieser Teilhabebereich.“ (Interview4:327-335)

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76

Person6 betont ebenso die Möglichkeit durch die ICF komplexe Strukturen

erfassen und abbilden zu können. Sie empfindet es jedoch als sinnvoll die ICF in

ihrer Anwendung auf die verschiedenen Bereiche herunterzubrechen.

„Also für mich - ist das eher son - Assessmentinstrument würd ich mal behaupten, sich da mal nen Überblick zu verschaffen - was ist denn so los bei dem Klienten bei dem Patienten - also was wir damit machen - dafür find ich das sehr gut geeignet - wobei man da ja auch unterscheiden muss -- also der Bereich wo ich arbeite - das wurde ja konkret angepasst. So so son System sozusagen auf den Arbeitsbereich. Und ich glaub das muss man sich immer so runterbrechen für welchen Bereich man das eben braucht. Klar ist eben für mich, dass das im Gesundheitsbereich - Anwendung - ähm angewendet werden kann oder soll.“ (Interview6:106-113)

Bei den Personen ist vor allem der Fokus auf die Verschränkung des

Biopsychosozialen Modells zu erkennen sowie der Schwerpunkt auf die Teilhabe

des Menschen am gesellschaftlichen Leben. Ebenso stand, vor allem bei der

Arbeit mit Kindern der Wunsch nach Ressourcenorientierung im Vordergrund.

Des Weiteren sind viele Bereiche der Sozialen Arbeit mit sehr komplexen Fällen

konfrontiert. Die ICF gibt hier die Möglichkeit, diese Fälle zu strukturieren und zu

ordnen und dadurch in der Arbeit effektiver sein zu können. Dies erfordert jedoch

die ICF auf verschiedene Bereiche speziell herunterzubrechen.

ICF zur Zielorientierung

Zusätzlich wurde, wie auch in der leitenden Forschungsfrage zentral ist, das

Augenmerk auf die Zielorientierung gelegt und die hierbei mögliche Anwendung

der ICF. Diese Thematik ist innerhalb der Kategorie der Sozialen Diagnostik, die

sich herauskristallisiert hat, sehr zentral für die Arbeit.

Person2 nennt hierbei ein Beispiel einer Zielformulierung im Rahmen der ICF

Anwendung. Die ICF kommt innerhalb der Gesamtplankonferenz durch die

Behörde gemeinsam mit dem Betreuer zur Anwendung. Dabei wird sich ein Bild

von der Situation gemacht, woraus eine Hilfe und ein Ziel abgeleitet werden. Die

Zielformulierung basiert auf dem jeweiligen Item und bestimmte die weitere

Richtung der Hilfe.

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77

„Das heißt wir begleiten unsre Kollegen zu dieser Gesamtplankonferenz in Beisetzung und kriegen dann auch nochmal mit, so äh ja - wie schaut die Situation aus. Und das wird dann nochmal verschriftlicht. Und bei dieser Geldproblematik gehts dann gehts dann darum ne Hilfe abzuleiten, also ein Ziel dass da heißen kann, dem Klient sein Ziel oder Wunsch ist, dass das Geld eingeteilt wird, dass man Haushaltspläne führt, dass man ein Gefühl für Geld bekommt. Also das ist dann immer ganz individuell. Das was für den Klient als als die geeignete Maßnahme erscheint äh das wird es dann. Das wäre jetzt für das Item Geld verwalten, Finanzen pauschal. Jemand ist damit überfordert und dann würde man daraus Ziele formulieren. - Ziel könnte sein Herr XY möchte einen Überblick über seine Finanzen äh herstellen und sich wöchentlich von unserem Träger sein Geld ausbezahlen oder einteilen lassen. Dann wär das die Zielformulierung beruhend auf dem Item Geldverwalten und joa - das wär dann die Marschrichtung für die Eingliederungshilfe.“ (Interview2:190-202)

Jedoch betont Person2 auch, dass die Zielformulierung zwar gemeinsam mit den

KlientInnen stattfindet, aber die Kontextfaktoren sich nur bedingt förderlich auf das

Mitbestimmungsverhalten der KlientInnen auswirken. So sind KlientInnen in

manchen Fällen nur passiv bei der Zielformulierung beteiligt, was der

herausfordernden Situation und den Beeinträchtigungen geschuldet sein könnte.

Außerdem erzählt er, dass seit zwei Jahren die Ziele nach den SMART-Kriterien

formuliert sein müssen, was dazu führen soll, dass die Ziele für die KlientInnen

leichter umsetzbar sind.

„Genau die Zielformulierung - die wird den Klienten - so bisschen in den Mund gelegt. Klar fragt man in der Gesamtplankonferenz wie können Sie sich eine Hilfe vorstellen, aber du kannst dir vorstellen manche sind mit dem Thema Behörde eh so überfordert - lass die dann noch tatsächlich akut depressiv erkrankt sein und sie haben Konzentrationsstörungen, sie sind tiefbeeinträchtigt und sitzen dann in einer Gesamtplankonferenz und sagen jaja jaja. Das heißt das ist dann eher so unsere Aufgabe. Diese Maßnahmen gelten dann immer ein halbes Jahr und dann ist es immer unsere oder genauer gesagt meine Herausforderung mit dem Klienten engmaschiger an diesen diesen Items und Zielen zu arbeiten. Und sie dann auch so formulieren, dass sie ihm entsprechen und ähm und dass er dahinterstehen kann. Und es ist ein relativ neues Ding bei uns, die sogenannten SMART Ziele. Spezifische, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert. Das ist seit 2 Jahren sehr wichtig (lacht). Das wird von uns als Träger von der Behörde gefordert. Auch jetzt müssen unsere Berichte diese SMART Ziele aufgreifen und umsetzen, damit es für den Klienten möglichst kleinschrittig und terminiert und dadurch natürlich messbarer für alle ist.“ (Interview2:208-222)

Page 86: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

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Im Vergleich zu Person2 greift Person3 diesen partizipativen Charakter nochmal

näher auf. Dementsprechend hält sie es für wichtig, dass die Ziele zu den

KlientInnen passen. Dazu kann es kommen, wenn die ICF als Instrument im

Dialog mit den KlientInnen zur Anwendung kommt.

„Ja - hm - - ich finds wichtig ähh - das des parti partizipativ mit den Betroffnen gemacht wird -- ich finde ähh - insgesamt ähm - Diagnostik wichtig mit den Betroffnen selbst zu machen. Und dann und und es muss einfach zu den Zielen, die der Betroffne für sich selbst hat passen. Und dem gemäß sein. - Und - ich ich finde schon, dass man den ICF auch schon als Dialoginstrument ein kleines bisschen auch anwenden kann. Jetzt vielleicht nicht mit Krippenkindern - oder mit Dreijährigen äh - die verstehn des nicht. Aber mit den Eltern zum Beispiel in meinem Fall.“ (Interview3:198-204)

Person4 hebt ebenso hervor, die KlientInnen auf Bedürfnisse und Wünsche

hinsichtlich Veränderungen zu befragen. Diese werden dann in die

Zielformulierung miteinbezogen.

„Ich versuche ICF oder diesen Gedanken bei meiner Bedarfsermittlung anzuwenden, um dann nich nur zu gucken ist die beantragte Hilfe die richtige - oder halt erst mal die Leistung zu ermitteln. Welche Leistung welche Hilfe braucht das Kind oder der Jugendliche, sondern das ist ja dann auch ne Grundlage wenn ich weiß, okay wo bestehen Wünsche, was soll sich verändern, wo ist die Teilhabebeeinträchtigung, das sind so ganz wichtige Faktoren, die ich dann später auch in der Zielvereinbarung ähm - mitberücksichtige oder was auch ne Grundlage ist für die spätere Zielvereinbarung, die ich dann mit dem Leistungserbringer und der Familie treffe. - Nämlich die Ziele die die Eingliederungshilfe bewirken sollen.“ (Interview4:338-349)

Person5 betont bei der Zielformulierung in der Sozialen Arbeit mithilfe der

ICF vor allem die Wichtigkeit der Verschränkung des Biopsychosozialen.

Hierbei hat die Klinische Soziale Arbeit die Aufgabe körperliche und

psychische Einschränkungen in ihrer Bedeutung auf das Soziale zu

übertragen.

„Ähm in dem sie sozusagen ähm Zieloption ist ja zusagen die biopsychosoziale Verschränkung. Biopsychosoziale Verschränkung ist ja eine zentrale äh Aussage auch, dass man das nicht als isolierte Faktoren jeweils be äh betrachtet und die große Chance besteht auch hier äh die Verschränkung der Faktoren deutlich nochmal herauszuarbeiten und auch äh deutlich zu machen, dass die Klinische Sozialarbeit durchaus in der Lage ist eben auch körperliche psychische

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Einschränkung ähm sozusagen in ihre Bedeutung zu übertragen in den sozialen Kontext also zur, was bedeutet ne gewisse Einschränkung für das soziale Leben. Und dieser Zusammenhang äh der sozusagen nur lösbar über die Klinische Sozialarbeit.“ (Interview5:193-201)

Ähnlich wie Person2 betont auch Person6 die Art der Zielformulierung nach

den SMART Kriterien. Für die Zielformulierung wird ein Raster verwendet,

das in sechs Lebensbereiche untergliedert ist. Innerhalb der Lebensbereiche

wird geschaut welchen Hilfen vonnöten sind und hinsichtlich dessen Ziel

formuliert.

„Konkret haben wir da ein Raster. Dieses Raster ist in sechs Lebensbereiche aufgeteilt - die so diesen Alltag betreffen - und jeder Lebensbereich wird sich angeschaut - wo braucht denn der - Betroffene Unterstützung und auch welche Form der Unterstützung wird da angeschaut. Also gehts da jetzt nur um Motivierung, Beratung - oder muss da jetzt wirklich ne Assistenz - erfolgen - oder wirklich ne Übernahme dieses Bereiches. Muss man ja auch unterscheiden. Und dann werden in diesem Bereich, in den Lebensbereichen immer Ziele formuliert.“ (Interview6:118-131)

Bei mehreren Personen kam die Wichtigkeit der partizipativen Erarbeitung

von Zielformulierungen hervor. Hier ist es für mehrere Personen relevant,

dass die Wünsche der KlientInnen und auch ihre Veränderungswünsche

miteinbezogen werden. Des Weiteren wurde die Zielformulierung nach

SMART-Kriterien genannt. Außerdem wurde die biopsychosoziale

Verschränkung innerhalb der Zielformulierungen unterstrichen.

6.4 Kritik an der ICF

Als weitere und vierte Kategorie stand in den Interviews auch Kritik an der ICF im

Vordergrund. Diese gliederte sich in Schwächen der Klassifikation, die sich durch

Schwierigkeiten in der Anwendung äußerten sowie mögliche Gefahren, die die

Verwendung der ICF in sich bergen kann.

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Schwächen und Schwierigkeiten

Person1 nennt vor allem die Schwierigkeit sich am Anfang in die neue

Klassifikation einzuarbeiten.

„Also am Anfang wars sehr schwierig, bis mer uns mol einglesen hom. Wir hom vor oln Dingen net gewusst wos die ICF sei. Des wor für alle neich. (niest)“ (Interview1:56-57)

Des Weiteren nennt sie verstärkt Schwächen des Programms, welches auf der

ICF basiert und in der Organisation als Dokumentationsprogramm herangezogen

wird (vgl. ebd.:114-118). Zudem geht sie auf die Menge an Items ein, die ihrer

Meinung nach für Unübersichtlichkeit sorgen (vgl. ebd.:170-175). Person2 geht

vermehrt auf die Art der KlientInnen ein mit welcher sich die Arbeit anhand der

ICF für ihn schwierig gestaltet. Hierbei nennt er besonders KlientInnen mit

Persönlichkeitsstörungen. Aufgrund der zwischenmenschlichen Schwierigkeit

lässt sich die ICF mit ihren Items nur schwer anwenden.

„Schwierig wirds immer daa in der Zusammenarbeit - das betriff eher den Bereich - Gestaltung sozialer Beziehungen - also insbesondere Menschen mit Persönlichkeitsstörung, die sich oftmals so ein bisschen schwer tun - äh - da sie ja auch zum Teil das - Problem sind, wenn es immer zwischenmenschlich schwierig wird. Äh klassischerweise - äh äh kommunizieren die dann eher äh - eskalierend aber sehen immer so den Aggressor im Aus also - ja klassisch Borderline und diese Diagnosen. Wo die Menschen zwischen menschlich einfach - viele Probleme haben und sich da einfach isolieren, weil immer die anderen Schuld sind, da -- find ichs dann schwierig -- da wenn man den ICF -- ja zum Beispiel allgemeine Beziehungskompetenz ne - klaar reflektieren wir das dann hier mit unseren Klienten - aber wenn der immer sagt ne ne ne, mein mein Gegenüber war ja wieder ungeduldig mit mir und ist dann irgendwie laut geworden und der Klient gar nicht merkt, dass das seine Anspruchslage ist weshalb es da immer wieder zu Konflikten im Umfeld kommt - da ist es oftmals schwierig. Da merk ich - das sind ja alles schöne Items und so - auch Familienbeziehung - so dass da Klienten Unterstützung brauch. Aber grad beim Klientel Persönlichkeitsstörung, da ist es oftmals find ich schwer. -- son Weg finden, vor allem wenn sie austherapiert sind. Da gibt es Situationen, da helfen einem die Items dann auch nicht mehr wirklich. Da da ist es einfach schwierig - mit solchen Menschen einfach Ziele zu formulieren oder einen Weg zu finden der einfach mehr in Richtung Entspannung geht.“ (Interview2:293-312)

Page 89: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

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Person3 spricht vor allem die Wichtigkeit an, die ICF zu reflektieren und verstärkt

als eine Grundlage und nicht als Instrument zu verstehen sowie die ICF in

Kombinationen mit weiteren Diagnostiken zu verwenden.

„Äh - also mit Sicherheit kann man das Ganze auch nochmal weitersetzen und man muss halt auch nochmal - also das ist eine Grundlage, das ist kein äh - Instrument glaub ich das umfassend und für jede Situation auch einfach passt. Und ich glaub schon, dass es einfach dann großes Wissen äh äh auch hat und jedes Diagnostikinstrument ist auch abhängig davon ääh wie es angewendet wird.“ (Interview3:294-298)

Person4 kritisiert vor allem die Komplexität und Länge der Klassifikation sowie die

Dauer einer Anwendung. Als Beispiel führt sie an wie sie nach einer

Bedarfsermittlung mit einem Jungen herausfanden, dass sie keine Hilfen für ihn

haben. Besonders aufgrund des großen Aufwands der ICF Anwendung führte

dieser Vorfall zu Enttäuschung auf beiden Seiten.

„Es gab aber auch schon mal einen Fall vor den Sommerferien. - Das war auch ein Junge mit Behinderung im jugendliche Alter - und - äh - wir haben natürlich BENi schön und gut nach ICF sind wir vorgegangen haben die ganzen Bedarfe, haben so seine Beeinträchtigungen, seine Ressourcen alles aufgenommen, verschriftlicht. Dann hat sich aber herausgestellt, dass wir im Grunde - gar keine Hilfe für den Jungen haben. -- Also er hat ne Beeinträchtigung, er hat ne geistige Behinderung, aber aus unsrem Leistungskatalog ist dann letztendlich rausgekommen, haben wir gar keine Leistungen - für den Jungen.

Interviewer: Mhm.

Person4: Und das ist dann natürlich manchmal auch dafür is es auch da, dass man auch guckt, welche Leistung is die richtige. Aber das is dann auch so niederschmetternd und auch für die Familie glaub ich, weil die Gespräche zur Bedarfsermittlung auch nich eben in ner halben Stunde so gemacht sind. Sondern die dauern - ja ich sag mal so, die dauern zwischen - ein und zwei - zweieinhalb Stunden. Ähm - das heißt nich nur wir, sondern auch die Familie steckt da Arbeit rein und wenn man dann aber am Ende feststellt man ist gar nicht der Richtige, der helfen kann - dann - ist das - nicht so schön.“ (Interview4:410-430)

Dies stellt nicht nur eine Schwäche dar, welche die AnwenderInnen der ICF

betrifft, sondern ebenso die KlientInnen. Person5 nennt ebenso die hohe

Komplexität der ICF als eine weitere Schwäche. Er betont den Bedarf an Core

Sets und Instrumenten für eine besser Anwendbarkeit. Das wäre besonders

aufgrund der kleinen Zeitfenster vieler SozialarbeiterInnen in der Praxis sinnvoll.

Page 90: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

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„Ja. Die Schwäche is dass es sehr komplex is also die die eine das eine eine Schwäche is auch, dass die (räuspert sich) die ICF sich ähm - also es muss mehr investiert werden, um das weiter zu entwickeln also auch die Instrumente dazu entwickeln, aber äh auch noch um neue Core Sets zu entwickeln, um äh - um das etwas schlanker zu halten. Also man kann - das Problem is äh sie bietet viel an, aber wenn man sie ungefiltert benutzt und ähm und ohne große, also sie ist nicht ohne Bedingung, man muss sich redlich vorbereiten. Und äh sie ist dann natürlich dann auch zeitintensiv, wenn man das in komplexen Fällen einsetzt. (hustet) Das ist möglicherweise etwas das was was in einer getakteten Praxis problematisch ist, wenn das äh zu wenig Zeitfenster gibt, die dann verwendet werden müssen.“ (Interview5:206-215)

Als eine weitere Schwäche, die sich auch als Schwierigkeit in der Anwendung der

ICF niederschlägt ist seiner Meinung nach der Zeitaufwand. Aus diesem Grund

müssten AnwenderInnen den Mut zur Begrenzung haben.

„Das ist das eine, dass man ähm (räuspert sich) die den Zeitaufwand reduzieren muss über möglichweise auch äh den Mut zu zur Begrenzung also dass man nicht in jedem Fall und in jeder Fallkonstruktion komplett alles abfahren muss, sondern das sind zentrale Themen, die auch sozusagen aus Sicht der äh Patientinnen und Patienten genannt werden.“ (Interview5:228-232)

Person6 geht ähnlich wie Person1 auf die Schwierigkeiten ein die ICF zu

verstehen. Sie glaubt ähnlich wie Person2, dass sich das Erarbeiten der ICF für

Nicht-SozialarbeiterInnen oder SozialpädagogInnen schwieriger gestalten könnte,

aufgrund fehlenden Wissens bspw. zum Gesundheitsbegriff oder dem

Biopsychosozialen Modell

„Also das ist glaub ich so ne Schwierigkeit. Oder dass die - Mitarbeiter Mitarbeiterinnen da vielleicht nicht das notwendige Knowhow haben - wobei es vielleicht nicht in der Ausbildung oder im Studium gelehrt wird beziehungsweise - arbeiten in meinem in meiner Organisation, wir haben zwar hauptsächlich Sozialarbeiter Sozialpädagogen aber wir haben auch Heilerziehungspflege paar wir haben auch paar Familienpfleger, wir haben Ergotherapeuten, aber die arbeiten die kenn sich vielleicht nicht damit aus - aber ich kann mir vorstellen, dass nicht alle Berufsgruppen das in ihrer Ausbildung irgendwie hatten oder generell auch dieses Verständnis dass man eben - und ich finde eben Gesundheit, dieser Begriff was ist Gesundheit und Biopsychosoziales Modell.“ (Interview6:231-240)

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83

Person6 thematisiert außerdem ähnlich wie Person5 die hohe Komplexität der

ICF, sowie die Herausforderung der NutzerInnen die ICF speziell für sich

herunterzubrechen wie es benötigt wird.

„Und ich glaub das ist einfach so ein Nachteil - das das ist nicht so einfach erfassbar. - Ich glaub des ist alles, also wenn man du das so komplett so anwendest wies eigentlich soll, ist das total umfangreich und auch nicht - ähm - ja - nicht für jeden Fall irgendwie geeignet. Wie ich schon erwähnt hab ist, dass man das eben runterbrechen muss genau auf seine Arbeit - oder das eben so verpacken muss - wies für den Arbeitsalltag passt. Und ich kann mir auch vorstellen, dass - wenn man das im Rahmen des Assessments oder so verwendet, - dass das dann - ja - sehr überfordernd und kompliziert sein kann. Und gerade des mit ähm - Körperfunktionen, Körperstrukturen - was da auch noch alles mit dabei ist, das fällt dann ja auch oft in das medizinische rein. Und des passt ja auch nicht immer in die Soziale Arbeit oder da denkt man sich wahrscheinlich als Sozialarbeiter hm was mach ich denn jetzt damit.“ (ebd.:171-181)

Alles in allem wurde von mehreren Personen die hohe Komplexität der

Klassifikation als Schwäche genannt und damit der hohe Zeitaufwand, den die

Anwendung der Klassifikation im Arbeitsalltag mit sich bringt. Damit ging einher,

dass das auch zu Enttäuschungen bei AnwenderInnen und KlientInnen führen

kann, wenn die Organisation von vorn herein keine Hilfe anbieten kann. Des

Weiteren wurde angesprochen, dass ein gewisses Vorwissen vonnöten sein

könnte und das Verständnis gegeben, die Klassifikation auf den eigenen Bereich

und den jeweiligen Bedarf anzuwenden.

Gefahren

Neben den Schwächen und Anwendungsschwierigkeiten wurden durch die

InterviewpartnerInnen immer wieder potentielle Gefahren der ICF genannt.

Person2 geht hierbei vor allem auf die administrativen und behördlichen Gefahren

ein, die die ICF Anwendung mit sich bringen könnte. So warnt er davor, dass der

Erfolg seiner Arbeit abhängig von den bearbeiteten Items und Lebensfelder der

KlientInnen werden könnte und es damit auch zu einer Rangfolge der

Einrichtungen kommen würde.

„Also Schwächen, da fällt mir grad - also eine Gefahr die - also das ist jetzt etwas globaler gedacht - also inwieweit der Kostenträger die

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Behörde den Erfolg einer Eingliederungshilfe davon abhängig macht - äh - wie viel von den ICF Items äh - dann auch wirklich - äh - zum guten betreut werden können, also wirklich effektiv und zielführend ne? Also zum Beispiel der Haushalt läuft. Und wenn das dann alles ein Qualitätsmerkmal für meine meine Arbeit ist, dass man dann da sagt aha - in in dieser Einrichtung erreichen viele äh äh viele Klienten ne ne ne hohe Score, weil alle diese Lebensfelder zur höchsten Zufriedenheit der Klienten beackert werden können. Und dass das auch den Erfolg darstellt und äh äh möglichst Ziele der Items im im Alltag erfüllt werden. Da da wärs dann bedenklich. Aber wie gesagt, das wär ja dann eher so ein Politikum. Wenn daran der Erfolg der Arbeit abhängig ist, weil ein Erfolg kanns schon sein, dass der Klient überhaupt einmal in der Woche seine Wohnung verlässt, ne Gruppe besucht oder dadurch Gesellschaft oder Teilhabe einmal in der Woche erlebt hat, dann ist das gut. Das sollte nicht davon abhängig sein. Wenn es weiterhin Defizite gibt, weil wir die nicht mit ihm bearbeiten können, ja dann ist das so.“ (Interview2:318-332)

Das ergänzend kommt Person3 auf die mögliche Gefahr einer Etikettierung von

KlientInnen zu sprechen. Aus diesem Grund ist es wichtig für sie, dass mit

Diagnostiken und Etikettierungen vorsichtig umgegangen und ihre Anwendung

reflektiert wird.

„Und grade bei Diagnostik und Etikettierungen - gerade im Heilbereich sehr sensibel und vorsichtig auch umzugehen. - Da äh äh ist es halt auch wichtig, dass richtige Maß dann auch zu finden und abzuwägen - brauchts des jetzt. - Und welche - welche anderen Fragen darüber hinaus - sind vielleicht auch noch wichtig, um die Situation von dem Kind zu verstehen.“ (Interview3:298-303)

Um einer Etikettierung entgegenzutreten spricht sie davon, sich nicht nur auf ein

Instrument zu stützen, sondern mehrere Instrumente und Klassifikationen

heranzuziehen und ihre Anwendung zu diskutieren und zu reflektieren.

Ähnlich wie Person2 sieht auch Person5 die Gefahr einer nicht adäquaten

Heranziehung der ICF. Er sieht die Gefahr, dass die ICF als ein

Diagnostikinstrument missverstanden wird und es damit zu einer falschen

Anwendung kommt. Aus dem Grund wäre es wichtig für ihn valide Instrumente zu

entwickeln.

„Man darf das nur nicht missbrauchen also als ein wirkmächtiges Instrument, ne wirkmächtige Klassifikation. Des Problem was ich seh in der Praxis, dass das häufig eben falsch verstanden wird als ein Diagnoseinstrument. Also als wenn man einfach mit dem Finger

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Diskurs oder die die Punkte abgeht und dann überlegt ähh - fehlt da jetzt was oder ist da ein Problem. So kann man damit nich arbeiten, man muss schon irgendwie auch valide Instrumente entwickeln und damit auch ar äh auch darstellen wo dann, wie man auf die Erkenntnisse dann kommt, dass jemand zum Beispiel in nem bestimmten Alltagsbereich eingeschränkt ist.“ (Interview5:165-172)

Eine missbräuchliche Verwendung der ICF sieht ebenso Person6 als eine

potentielle Gefahr. Sie sieht die Gefährlichkeit darin, dass die ICF als eine Art

Qualitätsmerkmal verwendet werden könnte und damit alles was ICF basiert ist

als richtig betitelt wird.

„Ja also ich sehe da, dass man da son Stempel aufdrückt und sagt - okay das ist jetzt vernünftig, weil das ist ICF basiert. Und das ist so ne Rechtfertigung. So wir machen das jetzt alles neu und des läuft jetzt unter dem Namen - ähm ICF basiert und deswegen ist das jetzt gut oder so.“ (Interview6:219-222)

Des Weiteren bringt sie ähnlich wie Person2 die Kritik an Menschen nach einer

Klassifikation Hilfe zu genehmigen und zu entscheiden in welche Form und

welchem Ausmaß Hilfe genehmigt wird.

„Oder was auch - ähm - was ich generell kritisch sehe ist, bei uns auf der Arbeit ist das ja ein Instrument - um Hilfe zu genehmigen oder um Hilfe zu bezahlen. - Also das wird ganz klar, dafür angewendet - um die Bedarfe zu ermitteln - und auch zu gucken, wird ihm jetzt die Hilfe gewährt, bekommt er überhaupt Unterstützung und in welcher Höhe in welcher Form bekommt er Unterstützung, das heißt das ist eigentlich ein gate keeping System.“ (ebd.:253-263)

Um dem zu begegnen bringt sie wie Person3 an, dass Instrumenten kritisch

und reflektierend begegnet werden sollte. Hinzukommt, dass standardisierte

Abläufe ebenso regelmäßig hinterfragt und evaluiert werden sollten.

„(seufzt) -- Ja, also ich find generell, dass man da bei Instrumenten immer recht kritisch sein - muss. Und auch ein bisschen aufpassen muss. Auch bei standardisierten Abläufen, dass man die immer wieder evaluiert und praktisch hinterfragt. Und dass die Mitarbeiter oder alle die das anwenden geschult sind, was ich so als Problem bei uns auf der Arbeit seh - weil - wenn man da keinen Hintergrund zu hat fällts einem vielleicht auch schwer das korrekt anzuwenden. Ja das sind so die Verbesserungsvorschläge und einfach ja - dieses Instrument nicht zu zweckentfremden.“ (ebd.:266-273)

Page 94: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

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Einige der Personen bringen bei ihrer Kritik die potentiellen Gefahren eines

Missbrauchs der Klassifikation oder ihre Zweckentfremdung an. Ein weiterer

Punkt ist die Gefahr Menschen zu etikettieren und ihnen einen Stempel

aufzudrücken. Dem wird vor allem durch Person6 aber auch Person5 und

Person3 entgegengetreten, indem eine Klassifikation, aber auch andere

Diagnostiken und standardisierte Abläufe immer hinterfragt und reflektiert und

mehrere Instrumente miteinander in Relation gesetzt werden sollten.

6.5 Die Entwicklung der ICF

Als nächste und letzte Kategorie, die sich bei der Datenanalyse herauskristallisiert

hat, folgt „die Entwicklung der ICF“. Diese Kategorie schließt zum einen die

Entwicklung und Unterscheidung zwischen Deutschland und Österreich mit ein,

aber auch die ICF als europäische Thematik. Eingeschlossen in die Kategorie ist

ebenfalls das Potential der ICF.

Die Entwicklung der ICF international

Person1 aus dem Burgenland erzählt, dass sie in ihrer Organisation, das auf der

ICF basierende Dokumentationsprogramm im März 2018 eingeführt wurde und

verwendet wird (vgl. Interview:35). Sie spricht außerdem von den Vorteilen, wenn

mehr Organisationen die ICF heranziehen würden, um in der Kommunikation

untereinander auf dem gleichen Stand sein zu können (vgl. ebd.:158) Person2

aus Norddeutschland berichtet hingegen von einer fließenden Entwicklung bei der

Einführung des ICF basierten Instruments. Die Gesamtplankonferenzen und die

Hilfethemen gibt es ihm zufolge seit dem Jahr 2000. In den Gesamtplänen haben

sich die ICF Items langsam seit dem Jahr 2010 entwickelt und werden seit 2018

so verwendet. Er arbeitet seit dem Jahr 2012 ICF basiert.

„Dieses sogenannte Gesamtplanverfahren wie wirs jetzt haben - das gibt es noch nicht sooo lang. Das kann ich jetzt wirklich gar nicht in ne Zeit packen. Ich hab hier angefangen - äh - 94 in der Einrichtung und da war das alles noch anders organisiert. Und ich versuch jetzt, dass

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die Gesamtplankonferenzen mit den Hilfethemen, das existiert seit den frühen 2000ern. Und da in diesen Gesamtplänen sind die ICF Items in den Vordergrund gerückt.“ (Interview2:102-107)

„Ja dann auch (seufzt), auch -- so seit - also ich muss sagen diese Gesamtpläne wurden auch zunehmend differenzierter so dass dann irgendwann auch diese ICF Items mit dieser Klassifizierung, diesem Kürzel aufgetaucht sind, - das ist tatsächlich eine Entwicklung, die noch gar nicht so - lang zurückliegt. Dann würd ich jetzt sagen mit 2018, die Entwicklung geht jetzt seit den 2010ern. Du musst dir das so vorstellen, das wurde hier nicht so als Manual eingeführt, sondern es wurde an uns über die Gesamtpläne eingeführt - und da ist man dann der ICF nähergekommen. Ich arbeite damit - strukturiert - seit 2012.“ (Interview2:114-121)

Person3 ist im Vergleich zu Person1 und Person2 die einzige Mitarbeiterin in ihrer

Organisation, die die ICF heranzieht. Sie spricht davon, dass die ICF sich in ihrer

Stadt in Mitteldeutschland zu einer allgemeinen Sprache entwickelt hat.

Außerdem erzählt sie, dass in ihrer Stadt das Thema der Inklusion sehr aktuell ist

mit der Prämisse einer ganzheitlichen Sicht auf die KlientInnen.

„Genau. -- Und des is so hier ist es im Bereich Inklusion ziemlich weit. Wir hatten so äh - so so auf struktureller Ebene. Ich hab - ich nehm viel an städtischen Arbeitsgruppen teil und - äh hab unter anderem ein Modell zur städtischen Inklusion begleitet. - Und da ist einfach so eine Prämisse das - ähm - ja - nicht dem Kind anpassen muss, sondern sich die Strukturen nach dem Kind richten. - So dieses vom Kind aus Denken so als Grundhaltung - und des probier ich so einzubringen und dafür ist auch der ICF ganz gut geeignet. Einfach weils ne ganzheitliche Sicht auf die Kinder gibt und einfachn Hilfsmittel ist, um mit dem Team zusammen auch sowas zu diskutieren.

Interviewer: Mhm.

Person3: Und dadurch, dass die Stadt X auch immer weiter auf die äh die ICF äh so einstellt, ist es da total wichtig ne einheitliche Sprache zu sprechen. Und wenn klar is, dass sie äh auf Förderbedarfe mit der ICF draufschauen ist es auch einfach hilfreiche um schnelle Hilfen und Unterstützung zu beantragen, wenn man die gleiche Sprache spricht.“ (Interview3:53-67)

Ebenso wie Person2 stellt Person4 das Bundesteilhabegesetz in den Vordergrund

und erzählt von den Auswirkungen dieser Entwicklung auf ihre Organisation in

Mittel-Norddeutschland. Sie erzählt, dass es erst durch das Gesetz zur Schaffung

ihrer Stelle kam und es ab dem Jahr 2020 zur vollen Umsetzung des Gesetzes

kommen soll.

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„Genau und was ich vielleicht noch dazu sagen kann. Bei uns ist im Moment grade das Bundesteilhabegesetz. Ich weiß nicht, ob du davon schon mal gehört hast.

Interviewer: Ja ja.

Person4: Genau und ähm das is wirklich so im Moment in aller Munde und speziell im Bereich Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung. Da gibt es ja öh spezielle Vorgaben, die dieses Gesetz macht, die bis zu einem gewissen Zeitpunkt umgesetzt werden sollen. Und das is äh zwar Anfang 2020, Anfang 2020 soll alles was im Bundesteilhabegesetz steht und ja auch speziell den Menschen mit Behinderung zugutekommen soll, umgesetzt werden. Und deswegen wurde zum Beispiel bei uns beim Landkreis ähm ja auch eingeführt auch Hilfeplanung bei Kindern und Jugendlichen vorzunehmen und so wurde eben auch meine Stelle geschaffen.“

Folgend erwähnt sie andere Organisationen, die mit ähnlichen Entwicklungen

konfrontiert sind. So stellt das neue Gesetz momentan auch viele andere

Sozialhilfeträger vor neue Herausforderungen.

„Aber ansonsten ist das, das merkt man auch bei ganz vielen anderen Sozialhilfeträgern im Moment, da haben ganz viele noch Fragezeichen, wie soll man das alles bis 2020 umsetzen, was das Bundesteilhabegesetz auch fordert.“ (Interview4:125-127)

Bei Person6 wurde das neue Hilfeplaninstrument im Jahr 2015 eingeführt. Dieses

Instrument wird kontinuierlich weiter entwickelt und an die ICF angelehnt. Sie

selbst verwendet es seit zweieinhalb Jahren. Bereits diesen Oktober soll es zu

einer weiteren Anpassung kommen sowie zu einer darauf bezogenen Schulung.

„Ähm da haben wir extra auch ein Hilfeplanverfahren - das hab ich dir auch geschickt dieses Hilfeplaninstrument - und das wurde das wurde 2015 - eingeführt. Das ist aktuell mit dem wir aktuell arbeiten. Da gabs vorher was anderes - kann sein dass das auch ICF -- gestützt war - das weiß ich leider nicht, aber aktuell ist es eben auch ähm - darauf angelegt - des wird sich jetzt aber auch wieder verändern - dieses Instrument, das wir ab Oktober wieder weiterentwickelt und soll anscheinend - noch mehr angelehnt werden - an den ICF. - Und da hatten wir auch schon - die ersten Schulungen diesbezüglich. -- Ja genau - es wird seit 2015 bei uns angewendet und ich verwends jetzt auch seit äh seit genau seit zweieinhalb Jahren wend ich das an.“ (Interview6:45-53)

Person5 geht zusätzlich auf vergangene politische Entwicklungen ein. So wurde

im Jahr 2000 ein neues soziales Gesetzbuch zu Behinderten- und

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Schwerbehindertenrecht, das SGB9 eingeführt. Hier war bereits eine Verbindung

mit dem Biopsychosozialen Modell und der ICF zu sehen.

„Und das zweite wo ich drübergefallen - also die ICF is - es gab damals son ähm also ähm - im Jahr 2000, aber ich hab erst später sozusagen den Zusammenhang erkannt. Es gab eine Einführung eines neuen Gesetzbuches, sozialen Gesetzbuches in Deutschland. Ähm das SGB9 da gehts um Behindertenrecht und Schwerbehindertenrecht und solche Fragestellungen. Und die haben sich damals schon ähm mit dem Thema, also die Koppelung an ICF war da ne zentrale Fragestellung.

Interviewer: Mhm.

Person5: Also die Gesetzgebung orientierte sich schon an diesem Biopsychosozialen Zugang und dann und hat damals schon diese gesundheitliche äh funktionale Gesundheit thematisiert. - Und das war neu, also das war neu in der deutschen Gesetzgebung, das is eben nich nur medizinisch dominiert äh und definiert wird was Gesundheit und Krankheit und Folgen sind sondern dass eben auch dieser biopsychosoziale Ansatz erstmalig, ernsthaft in der Gesetzgebung ne Rolle gespielt hat.“ (Interview5:37-51)

Darüber hinaus spricht er über eine für ihn nötige Entwicklung der ICF, um ihren

Schwächen, wie die hohe Komplexität und die zeitliche Dauer, entgegenzuwirken.

Dafür muss das Verfahren zukünftig digitalisiert werden, um das Teilhabethema

einfach in das System einführen zu können.

„Deswegen muss das in Zukunft (räuspert sich) über äh bestimmte ähm - Verfahren digitalisiert werden, dass man eben hier die Chance kriegt ähm - die - Teilhabeeinschränkungen kurz und knackig sozusagen erst mal in das System einzuführen.“ (ebd.:217-220)

Er führt bei der weiteren Entwicklung bezüglich des neuen

Bundesteilhabegesetzes in Deutschland jedoch auch potentielle Probleme auf. So

ist der Zeithorizont seiner Meinung nach sehr kurz. Hinzukommt, dass im

Gesetzestext keine Definition der Fachübergänge und Aufgabenbereiche der

verschiedenen Professionen erfolgt ist.

„Ich sehe da (räuspert sich) ein Problem ist, dass das sehr sportlich ist von der Zeit - ähm vom Zeithorizont - ein zweiteres Problem ist, dass die die äh Definition der Fachübergänge nicht erfolgt ist im Gesetz. Also es gibt keine ausführliche Idee wer an welcher Stelle was tut um Teilhabe zu ermöglichen - ähm die Relation Ehrenamt und professionelles Arbeiten ist nicht geklärt.“ (ebd.:251-255)

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Als weiteres Problem nennt er, dass die Soziale Arbeit außerdem nicht die

Ressourcen besitzt, um flächendeckend mit Klassifikationen zu arbeiten.

Hinzukommt, dass die Evidenzbasierung in der Sozialen Arbeit noch einen

Diskussionspunkt darstellt.

„das zweitere Problem ist, dass die Soziale Arbeit selber noch gar nich so ähm - ja äh noch gar nich so aufgestellt is fachlich um flächendeckend äh mit solchen Klassifikationen arbeiten zu können. -- Und die Teil das Bundesteilhabegesetz mit den ganzen Eingliederungshilfe und Frage wie die zu verändern sind, das wird ja in Zukunft ja eben auch die Evidenzbasierung wird damit ne größere Rolle stellen spielen als bisher und Evidenz ist ja im Moment noch ein Zugang der nicht flächendeckend in der Sozialen Arbeit akzeptiert wird.“ (ebd.:258-264)

Hinsichtlich der Bereiche, die sich zukünftig verstärkt mit der ICF

auseinandersetzen müssen, nennt er die Eingliederungshilfe als Bereich, der sich

zuerst damit beschäftigen muss. Danach folgt die Rehabilitation und zuletzt die

Akutversorgung in der er das Thema jedoch erst in zehn Jahren erwartet.

„Also die ICF Weiterentwicklung sehe ich schneller als die Umsetzung in der Praxis. Und äh äh es werden ambulante Eingliederungsdienste sich zuerst dort damit äh beschäftigen müssen und dann äh weiter die Rehabilitationsbereiche und ich glaube ganz am Schluss irgendwann in zehn Jahren wird vielleicht das Thema auch nochmal an ankommen bei der Akutversorgung in Spitälern.“ (ebd.:284-288)

Des Weiteren geht er auf die Entwicklung der ICF im europäischen Raum ein. So

ist die Teilhabe im deutschsprachigen Raum, wie bspw. die Schweiz durchaus ein

Thema. Jedoch nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern in ganz Europa

wird sich mit Inklusion beschäftigt. Er sieht dabei die Chance, dass über Grenzen

hinweg gemeinsam Konzepte ausgearbeitet werden.

„Also es gibt da schon sozusagen auch im deutschsprachigen Raum, in der Schweiz sehen wir das auch durchaus das Thema Teilhabe, istn großes Thema. - (hustet) Das bildet sich aber über unterschiedliche Gesetzgebungen und Verfahren ab, aber Inklusion Teilhabe äh sind gesellschaftlich große Themen im ähm auch im auch europäischen Kontext. Also ich ich würde das das ist ein europäisches Thema. Ähm und ähm und äh zeigt sich durch äh Gespräch mit Kollegen und Kolleginnen in anderen Ländern, in Schweden übrigens auch. Auch die beschäftigen sich grade mit diesen mit diesen Fragestellungen, dass ähm dass durchaus es ne gute Chance besteht auch mal ähm über die

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91

Grenzen hinweg gemeinsame Konzepte zu entwickeln, um Teilhabe auch mal abzubilden.“ (ebd.:306-316)

Über eine mögliche zukünftige Entwicklung in Österreich erläutert er, dass es

über Länder hinweg zu Wechselwirkungen kommen kann, dass Hochschulen

über Grenzen hinweg neue Erkenntnisse und Themen aufnehmen oder, dass

politische Entscheidungen in anderen Ländern übernommen werden.

„Ich glaube es gibt da, ne es gibt ja immer so gewisse Suchwirkungen, wenn in einem Land sowas entwickelt wird was sozusagen ne große Bedeutung hat, dann hat das auch Einfluss auf andere Länder, aber manchmal kommt das eben verzögert. - Ja. Also ich glaube das wird ein Thema werden in Österreich, aber das ist noch nich so ganz erkannt. (…) Ja, weil wenn das, wenn dann sozusagen, also wenn das irgendwann damit gebunden, also Forschungsergebnisse gibt oder auch Förderung äh Förderlinien und sozusagen nur zum Beispiel in Deutschland ist ICF bezogene Forschung gibtsn Teilhabekonstruktion Sozialer Arbeit (räuspert sich) und da auch ähm Mittel freigegeben werden im größeren Stil, dann wird auch irgendwann äh in andern Ländern möglicherweise und äh andere Länder sind Schweden, aber Skandinavien ist auch ein Stück weiter als wir. Dann werden solche, über die Grenze hinweg wird ja wahrgenommen, dass es da Erkenntnisse gibt und äh das werden auch die Hochschulen aufgreifen in anderen Ländern und gucken, dass sie das au auch für sich etablieren. Und in ner Praxis äh des kommt ja, weil sich die Gesetzgebung verändert hat, das kann in Österreich ja auch passieren.“ (ebd.:338-354)

Alle InterviewpartnerInnen in Deutschland gingen auf das neue

Bundesteilhabegesetz und die Folgen innerhalb ihrer Organisationen ein, wie

etwa die allmähliche Einführung der ICF. Das brachte einige Veränderungen mit

sich, wie die Einführung neuer auf der ICF basierenden Instrumente und deren

kontinuierliche Weiterentwicklung, die Kommunikation mit Behörden oder der

Stadt oder sogar die Einführung neuer Stellen. Im gleichen Zug wird jedoch die

schnelle Entwicklung kritisiert, die dazu führt, dass Sozialhilfeträger überfordert

sind und nicht wissen wie sie sich den neuen Herausforderungen stellen können.

Auf der politischen Ebene wird ebenso der sehr kurze Zeithorizont für die

weitreichenden Veränderungen kritisiert. So gab es schon im Jahr 2000 die

Einführung des SGB9 und auch der biopsychosoziale Ansatz rückte im politischen

Geschehen zunehmend in den Vordergrund. Gleichzeitig wird die nötige

Page 100: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

92

Digitalisierung des Verfahrens angesprochen, damit in Zukunft die Klassifikation

weniger zeitaufwendig und komplex ist. Neben einem sehr sportlichen

Zeithorizont des neuen Bundesteilhabegesetz, kommt auch die fehlende

Definition der Fachübergänge zu sprechen und damit eine fehlende Festlegung

der Aufgabenbereiche. Zudem würden der Sozialen Arbeit die Ressourcen fehlen,

um flächendeckend mit Klassifikationen zu arbeiten. Bei der Entwicklung der ICF

Einführung in die Bereiche werden die Eingliederungshilfen an erster Stelle

gesehen, danach kommen die Rehabilitationseinrichtungen und in zehn Jahren

folgend die Akutversorgung. Vor allem wird die Situation, dass die ICF und das

Thema Teilhabe zu einem europäischen Thema werden, wird angesprochen.

Hierbei könnte es zu Wechselwirkungen unter den Ländern kommen,

Hochschulen können die neuen Erkenntnisse aufgreifen und es kann auch in

Österreich, ähnlich wie in Deutschland zu politischen Veränderungen kommen.

Potentiale

Person1 erzählt vor allem von der Möglichkeit durch die ICF mehr Zeit für die

KlientInnen selbst zur Verfügung zu haben, wenn durch die Instrumente Zeit bei

der Dokumentation eingespart werden kann.

„Aber wir san alle im Moment relativ zufrieden mit der Dokumentation, -- weils viel einfacher geht, viel schneller geht – und mehr Zeit für die Betreuung vom Klienten is.“ (Interview1:64-66)

Person2 betont vor allem die Sinnhaftigkeit der ICF hinsichtlich der Erhöhung der

Lebensqualität der KlientInnen und die Möglichkeit Informationen zu strukturieren.

Durch die Strukturierung der Lebensfelder fällt es ihm leichter Mauern der

KlientInnen zu durchbrechen.

„Absolut gut, weil es strukturiert in einem hohen Maße den Prozess - nämlich indem man sich an dem Gesamtplan und den Items entlanghangelt - äh - des bildet einfach so das ab - ich sag mal die Vielfältigkeit der Problemfelder die find ich kriegt man dadurch immer sehr äh äh vor Augen geführt. Gerade in unserem Klientel ist es oftmals auch so, dass die mauern und gar nicht irgendwie sofort preisgeben was alles so im argen liegt und dadurch, dass man sich immer wieder durch den Gesamtplan hangelt und die Lebensfelder Problemfelder, ich find das strukturiert im hohen Maße die Arbeit und darum geht es ja um

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93

Lebensqualität, die zu erhöhen und dafür ist die ICF echt ein gutes Instrument.“ (Interview2:334-342)

Person3 geht hinsichtlich des Potentials vor allem auf die Möglichkeit einer

einheitlichen Sprache ein. Dadurch könnte die Hilfebeantragung vereinfacht

werden.

„Also - also ich finde - also des Potential, das ich sehe ist das man hoffentlich mit dem ICF die Chance ne einheitliche Sprache zu sprechen, weils vielleicht - dann Hilfebeantragung und ähnliches leichter macht.“ (Interview3:350-354)

Person5 beleuchtet überwiegend die Möglichkeiten für die Soziale Arbeit

hinsichtlich der ICF und ihrer Entwicklung. Er glaubt, dass es für die Klinische

Soziale Arbeit noch einiges zu tun gibt, diese den Anforderung aber gerecht

werden kann.

„Ich glaub da haben wir noch ein paar Baustellen in der Sozialen in der Klinischen Sozialarbeit und äh aber die Klinische ist dahingehend so gut vorbereitet, dass sie das auch tatsächlich entwickeln kann.

Interviewer: Mhm.

Person5: (hustet) So das ist glaub - ähm da seh ich große Chance.“ (Interview5:176-180)

Es wird von den InterviewpartnerInnen angeführt, dass ein auf der ICF

basierendes Dokumentationsinstrument den Arbeitsprozess vereinfachen kann

und damit mehr Zeit für die KlientInnen bleiben könnte. Des Weiteren kann der

Arbeitsprozess strukturiert und ein besserer Überblick über die Lebensfelder der

KlientInnen gegeben werden. Hinzukommt die Möglichkeit, dass übergreifend

eine einheitliche Sprache gesprochen werden könnte, die die Kommunikation

bereichsübergreifend simplifiziert. Das könnte dazu führen, dass nicht nur in der

Praxis, sondern auch in der Forschung und politisch die Klinische Soziale Arbeit

eine federführende Rolle bei der ICF Entwicklung sowie der Behandlung von

Fragestellungen und Themen zur Teilhabe spielen könnte.

Page 102: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

94

7. RESÜMEE

Nach einer Darstellung der Ergebnisse der empirischen Forschung werden im

Folgenden der Forschungsarbeit die wesentlichen Aussagen der Forschung

zusammengefasst und in den theoretischen Kontext dieser Arbeit eingebettet. Im

weiteren Verlauf kommt es zu einer konkreten Beantwortung der beiden zentralen

Forschungsfragen. Darüber hinaus werden Schlüsse gezogen und die

Konsequenzen auf der Metaebene erörtert und diskutiert. Zuletzt wird ein Ausblick

gegeben.

Aus den Interviewdaten konnten fünf Kategorien herausgearbeitet werden:

„Organisationen“, „Die ICF in der Sozialen Arbeit“, „Soziale Diagnostik“, „Kritik an

der ICF“ und „Die Entwicklung der ICF“. Hierbei konnten folgende wesentliche

Aussagen herausgezogen werden:

Von den InterviewpartnerInnen waren zwei Personen in einer Eingliederungshilfe

und drei Personen im psychosozialen bzw. psychiatrischen Bereich tätig. Daraus

könnte sich gegebenenfalls ableiten lassen, dass sich vor allen in diesen

Bereichen viel mit der ICF und ihrer Implementierung in der Organisation

beschäftigt wird. Darüber hinaus unterschieden sich die Anwendungsarten

zwischen den Organisationen. Vor allen in den Organisationen, in denen mehrere

Personen mit der ICF arbeiteten, gab es eigens angepasst Instrumente, die auf

der ICF basieren. In diesen Organisationen waren die MitarbeiterInnen

verpflichtet, die ICF basierten Instrumente in ihrer Arbeit zu verwenden. Die

Personen, die als Einzelperson in ihrer Organisation die ICF heranzogen, taten

dies freiwillig aus eigenem Interesse und verwendeten die vollständige

Klassifikation. Ebenso unterschied sich der Anwendungszweck. So wurde die ICF

oder die ICF basierten Instrumente bspw. für die Dokumentation, die Hilfeplanung

oder zur Diskussion bei Fallbesprechungen herangezogen. In wenigen

Organisationen gab es Schulungen. Informationen wurden sich überwiegend

durch Tagungen usw. geholt. Es zeigte sich jedoch, dass die Fähigkeit mit

Klassifikationen und Manualen zu arbeiten bei SozialarbeiterInnen und

SozialpädagogInnen vorausgesetzt wird.

Page 103: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

95

Die SozialarbeiterInnen unter den InterviewpartnerInnen hatten im

Bachelorstudium keine Berührung mit der ICF. Diese wurde lediglich in

Masterstudien der Sozialen Arbeit theoretisch vorgestellt und bei einer Person

auch theoretisch in der Anwendung erlernt. Vor allem in der Bedarfsermittlung

wurde die ICF als geeignet empfunden. Zudem kam es zum Schluss, dass die

ICF sich bereits in großen Teilen der Klinischen Sozialen Arbeit etabliert hat und

auch in der Community eine große Bereitschaft vorhanden ist, die ICF zu

adaptieren und Instrumente zu entwickeln. Zur Sprache kam ebenfalls, dass es

für MitarbeiterInne im klinischen sozialarbeiterischen Bereich als voraussetzend

empfunden wird, sich mit der ICF auszukennen. Für eine Kommunikation

zwischen den Organisationen wurde angemerkt, dass eine übergreifende

Anwendung der ICF zu einer einheitlichen Sprache und besseren Kommunikation

untereinander führen könnte. Es wurde jedoch auch diskutiert, dass Nicht-

SozialarbeiterInnen sich schwerer mit der Aneignung der ICF tun könnten. Wie

auch bereits in der Theorie erörtert, kommt die ICF überwiegend in der

medizinischen und beruflichen Rehabilitation zur Anwendung (vgl. Kapitel 2.2.4).

Vor allem Akutkrankenhäuser und Psychiatrien hätten jedoch einen großen

Bedarf. Allerdings macht eine Anwendung der ICF nur dann Sinn, wenn es sich

um eine Beschreibung von gesundheitlichen Folgen handelt. Damit ist sie für den

Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung nicht geeignet. Neben dem

Bedarf in der Gesundheitsversorgung, der durch die InterviewpartnerInnen

nochmal bestätigt werden konnte, kann die ICF, wie bereits im theoretischen Teil

der Arbeit erörtert auch in anderen Bereichen, wie der Forschung, der

Sozialpolitik, der Curriculumsentwicklung und der Berichterstattung, Anwendung

finden. Wie auch durch die Interviews ersichtlich, kann die ICF bspw. als

Instrument für die Erhebung, Dokumentation, Fallkonzeption,

Behandlungsplanung, als eine Art Fachsprache oder als Messinstrument

fungieren (vgl. Kapitel 2.2.4).

Als Kritikpunkte wurden vor allem die Unübersichtlichkeit, Komplexität und Länge

der Klassifikation genannt. Außerdem wurde immer wieder betont, dass sich die

Page 104: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

96

ICF zu Beginn sehr unübersichtlich darstellte und es Zeit brauchte sich in die

Klassifikation einzuarbeiten. Hinzu kommt, dass die ICF aufgrund ihrer hohen

Komplexität als sehr zeitaufwändig empfunden wird und diese Zeit in der Praxis

oftmals nicht gegeben ist. Hier ergeben sich neue Aufgabenbereiche für die

Klinische Soziale Arbeit neue ICF basierte Instrumente zu entwickeln, die sich

leichter in die Praxis der Sozialen Arbeit integrieren lassen. In weiterer Folge

wurde es als eine potentielle Gefahr bezeichnet, die Bearbeitung der

identifizierten Items an den Erfolg einer Eingliederungshilfe zu knüpfen und damit

Einrichtungen in eine Rangfolge zu setzen. Eine weitere potentielle Gefahr wurde

in einer Etikettierung von KlientInnen und dem Stellen von „Diagnosen“ und damit

einem Missbrauch der ICF gesehen. Hinzu kam die Sorge in einer Einrichtung

erst dann Hilfen gewährleisten zu dürfen, wenn es der ICF entsprechend ist.

Zuletzt wurde die Angst geäußert, dass alles, was ICF basiert ist, als „vernünftig“

bezeichnet werden könnte und demnach alles ICF basierte als „gut“ betitelt wird.

Die Ergebnisse der Interviews bestätigen und erweitern die Ergebnisse des

theoretischen Teils. So wurde überwiegend im Rehabilitationsbereich die Kritik

geäußert, dass die neutrale Terminologie der ICF dazu führt, dass sich restriktive

Symptome und Anzeichen der Funktionsfähigkeit nicht beschreiben lassen

können. Aus diesem Grund bevorzugen manche AnwenderInnen die ICIDH, die

auf einem medizinischen Modell basiert (vgl. Kapitel 4.5). Das durch die

Interviews nicht bestätigt werden, obgleich hinzuzufügen ist, dass keine

InterviewpartnerInnen aus dem Rehabilitationsbereich vertreten waren.

7.1 Beantwortung der Forschungsfragen

Die vorliegende Masterarbeit hatte vor allem mit ihrer leitenden Forschungsfrage

das Ziel, in den Blick zu nehmen mit welchen Schwerpunkten die ICF in die

Soziale Diagnostik miteinbezogen werden und wie sie zur Zielorientierung in der

Fallarbeit beitragen kann. Außerdem stand die Entwicklung der ICF im

Vordergrund.

Page 105: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

97

In Bezug auf die erste Forschungsfrage lässt sich sagen, dass die befragten

Personen die ICF als besonders sinnvoll empfanden, um komplexe Fälle zu

strukturieren und abzubilden. Daneben ermöglicht sie einen ganzheitlichen Blick

auf den Klienten oder die Klientin. Der biopsychosoziale Ansatz richtet außerdem

den Blick auf die Aktivitäten und die Teilhabe des Menschen. Dadurch werden

auch die Bedürfnisse und Wünsche der KlientInnen bzgl. einer Teilhabe am

gesellschaftlichen Leben in den Vordergrund gerückt. Des Weiteren können die

KlientInnen ressourcenorientiert betrachtet werden. Das stellten Schwerpunkte für

die InterviewpartnerInnen dar, nach welchen sie die ICF in ihre soziale Diagnostik

einbeziehen.

Hinsichtlich eines Beitrags zur Zielorientierung in klinisch-psychosozialer

Fallarbeit, ist die ICF für die InterviewpartnerInnen insofern hilfreich, dass aus der

Hilfeplanung mithilfe der ICF, Hilfen und damit auch Ziele für die KlientInnen

abgeleitet wurden. Betont wurde hierbei das Formulieren der Ziele nach den

SMART-Kriterien, das vor allem von den Behörden gefordert wurde. Durch die

Ressourcenorientierung der ICF ist es zudem möglich, die Wünsche und

Bedürfnisse sowie wie die jeweiligen Veränderungswünsche der KlientInnen in die

Zielformulierungen miteinzubeziehen. Außerdem wurde die Wichtigkeit einer

biopsychosozialen Verschränkung innerhalb der Zielformulierung betont und

damit einhergehend das Verständnis dafür, wie sich bspw. körperliche Zustände

auf psychische und soziale auswirken.

Wie bereits in Kapitel zwei erörtert wurde, kommt es nach einer Situationsanalyse

der KlientInnen zur einer Hypothesenbildung hinsichtlich dessen, was geändert

werden muss. Diese Situationsanalyse kann mithilfe der ICF erfolgen. Bei den

Zielvorstellungen spielen vor allem die Wünsche, Bedürfnisse und Vorstellungen

der KlientInnen eine wichtige Rolle, die durch die Ressourcenorientierung sowie

den Einbezug der personenbezogenen und Kontextfaktoren der ICF in den

Vordergrund rücken. Aus den ICF Items können damit zum einen Ziele und zum

anderen daraus folgernd Interventionen abgeleitet werden. Durch die ICF können

Page 106: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

98

diese Interventionen und Ziele immer wieder überprüft, reflektiert und adaptiert

werden (vgl. Kapitel 1).

Die zweite Forschungsfrage dieser Arbeit befragt die Entwicklung der ICF. Diese

Frage lässt sich vor allen Dingen anhand des theoretischen Teils der Arbeit

beantworten, zu Teilen aber auch durch die Ergebnisse der Interviews. Wie in

Kapitel zwei beschrieben, wurde die ICF im Mai 2001 nach einer 20-jährigen

Vorgeschichte von der WHO verabschiedet. Bereits vor der ICF gab es einen

Versuch eine internationale Klassifikation einzuführen, die ICIDH. Im Vergleich

zur ICIDH basiert die ICF jedoch auf dem Biopsychosozialen Modell und zieht

personenbezogene und Umweltfaktoren ebenso in Betracht. Alle weiteren

Planungen und Aktionen hinsichtlich der ICF, werden durch das WHO-FIC-

Netzwerk durchgeführt. Bei jährlichen Treffen wird über Updates entschieden, die

veröffentlicht und durch das DIMDI ins Deutsche übersetzt werden. Vorschläge

für diese Updates kann jedermann auf der Online ICF Update Plattform in Form

von Minor und Major Updates machen, die bei diesen Treffen diskutiert werden.

Aufgrund der hohen Komplexität und Länge der ICF, hat die WHO zusammen mit

dem ICF Research Branch und dem WHO-Kooperationszentrum für das System

Internationaler Klassifikationen in Deutschland angefangen ICF Core Sets zu

entwickeln, die die Anwendung spezifizieren und vereinfachen sollen (vgl. Kapitel

2.2.2). In den Interviews kam hinsichtlich der ICF Entwicklung besonders das

Bundesteilhabegesetz in Deutschland auf. Bereits die Suche der

InterviewpartnerInnen zeigte, dass die ICF in Deutschland ein aktuelleres und

verbreiteteres Thema als in Österreich darstellt. Die Umsetzung des

Bundesteilhabegesetzes führte zur Einführung und stetigen Weiterentwicklung

von ICF basierten Instrumenten. Damit kam es in manchen Organisationen zur

Schaffung neuer Stellen. Außerdem führten manche Behörden und Städte eine

Sprache nach der ICF ein. Obgleich das auch zu Vorteilen führt, stellt es die

Sozialhilfeträger auch vor neue Herausforderungen. So wurde eine nötige

Digitalisierung der ICF angesprochen sowie fehlende Ressourcen der Sozialen

Arbeit bzgl. einer flächendeckenden Anwendung der Klassifikation. Überdies hat

Page 107: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

99

sich die ICF nicht nur als ein österreichisches oder deutsches Thema entwickelt,

sondern Teilhabe und damit die ICF sind ein europäisches Thema.

7.2 Ausblick

Bei der Suche nach InterviewpartnerInnen konnte festgestellt werden, dass noch

keine flächendeckende Anwendung der ICF in Österreich vorhanden ist und die

ICF in vielen sozialarbeiterischen Organisationen noch nicht bekannt zu sein

scheint. Es ist jedoch zu erwarten, dass durch die internationalen Entwicklungen,

vor allem in Deutschland durch das Bundesteilhabegesetz, sich auf Österreich

auswirken werden. So kann gegebenenfalls erwartet werden, dass größere

Forschungsprojekte hochschul- und länderübergreifend stattfinden oder sich die

politischen Veränderungen auch auf die österreichische Politik auswirken

könnten. Für die konkrete Anwendung der ICF wird es jedoch erforderlich sein,

auf der ICF basierende, digitalisierte Instrumente zu entwickeln, die in der Praxis

leichter angewendet werden können. Hierbei könnte der Klinischen Sozialen

Arbeit eine besondere Funktion zukommen. Indes ergibt sich die Aufgabe für die

Klinische Soziale Arbeit, ICF basierte Instrumente zu entwickeln, die sich für eine

einfache Anwendbarkeit in der sozialarbeiterischen Praxis eignen und diese an

verschiedene Bereiche der Sozialen Arbeit zu adaptieren.

Page 108: Die Einbeziehung der Internationalen Klassifikation der

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Interventions (ICHI). http://www.who.int/classifications/ichi/en/ [19.09.2018]

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Diagnostische Dimensionen (Quelle: Pantucek 2012:126) ......................... 16

Abbildung 2: Beispiel für polyaxiale Diagnostik nach DSM-IV (Quelle: Baumann/ Perrez

1998:13) .................................................................................................................. 28

Abbildung 3: Struktur der ICF (Quelle: Rentsch/ Bucher 2005:19) .................................. 34

Abbildung 4: Beispiel für das „Ast-Zweig-Batt“-Schema (AZB-Schema) (Quelle:

Schuntermann 2007:68) .......................................................................................... 36

Abbildung 5: Das biopsychosoziale Modell der Komponenten von Gesundheit der WHO

(Quelle: WHO 2018) ................................................................................................ 38

Abbildung 6: ICF Update Plaform (Quelle: WHO 2018) ................................................... 40

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Person5: Hallo Frau Graf. Ich bin äh - doch noch unterwegs gewesen und bin jetzt

gut erreichbar. Wir können jetzt gerne starten, wenn das für Sie geht.

Interviewer: Ja geht bei mir, passt super.

Person5: Sehr schön.

Interviewer: Perfekt. Dann erst mal vielen Dank, dass es geklappt hat, dass Sie sich

die Zeit nehmen.

Person5: Ja das ist doch schön. Ja meinetwegen können wir loslegen.

Interviewer: Perfekt, also nur noch im Vorhinein ich werd das Interview aufnehmen,

damit ich es eben transkribieren kann und ich werd eben alle persönlichen Daten

wie Namen, etc. ähm anonymisieren.

Person5: Ja passt.

Interviewer: Perfekt, ja genau - ja dann hät mich interessiert wann Sie das erste mal

überhaupt in Kontakt mit der ICF gekommen sind?

Person5: (räuspert sich) ähm 2004 oder 2005 glaub ich bin ich in dem Kontext auf

die ICF gekommen im Rahmen meines Masterstudiums.

Interviewer: Ah okay, also - auch Klinische Sozialarbeit an der

Person5: (räuspert sich) genau. Ich bin über die Klinische Sozialarbeit und über

meine Tätigkeit damals hab ich in einer psychiatrischen Klinik gearbeitet bin ich an

das Thema ran gekommen.

Interviewer: Ah okay - und sind Sie da auch praktisch rangekommen oder nur über

die Uni also FH?

Person5: Über die FH aber tatsächlich gabs damals parallel ne (räuspert sich)

Fortbildung äh in ner Uniklinikum wo äh eben das auch tatsächtlich thematisiert

wurde, dass das möglicherweise auch irgendwann ein Thema wird. - Und dann bin

äh hab ich mich am Anfang meines Masterstudiums auch damit vermehrt

beschäftigt.

Interviewer: Mhm. - Okay.

Person5: Und dann festgestellt. Ich hab ja im Akutbereich gearbeitet und (räsupert

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sich) da hat das bis dato gar keine Rolle gespielt.

Interviewer: Mhm.

Person5: Also das ist bis heute so, dass im Akutkrankenhausgeschehen, auch in

Psychiatrien in ner Bundesrepublik Deutschland eben das Thema ICF gar nich so auf

dem Zettel is.

Interviewer: Mhm ja -

Person5: Äh und ja was ich damals erkannt hab is es eher ein Thema in der

Rehabilitation. In der medizinischen Rehabilitation.

Interviewer: Mhm.

Person5: Und das zweite wo ich drübergefallen - also die ICF is - es gab damals son

ähm also ähm - im Jahr 2000, aber ich hab erst später sozusagen den

Zusammenhang erkannt. Es gab eine Einführung eines neuen Gesetzbuches, sozialen

Gesetzbuches in Deutschland. Ähm das SGB9 da gehts um Behindertenrecht und

Schwerbehindertenrecht und solche Fragestellungen. Und die haben sich damals

schon ähm mit dem Thema, also die Koppelung an ICF war da ne zentrale

Fragestellung.

Interviewer: Mhm.

Person5: Also die Gesetzgebung orientierte sich schon an diesem Biopsychosozialen

Zugang und dann und hat damals schon diese gesundheitliche äh funktionale

Gesundheit thematisiert. - Und das war neu, also das war neu in der deutschen

Gesetzgebung, das is eben nich nur medizinisch dominiert äh und definiert wird was

Gesundheit und Krankheit und Folgen sind sondern dass eben auch dieser

biopsychosoziale Ansatz erstmalig, ernsthaft in der Gesetzgebung ne Rolle gespielt

hat. - Und dadurch, dass ich in meinem Job viel mit sozialrechtlichen Dingen noch

arbeiten musste in der Beratung bin ich auch darüber gefallen.

Interviewer: Mhm - das heißt Sie haben damals in Ihrem Job die ICF auch schon

angewendet?

Person5: Ja ich hab die insofern angewendet, dass ich damals äh überlegt hab äh

welche Leistungsbezüge welche Fragestellungen spielen eigentlich hier im

Akutkrankenhaus ne Rolle und äh mit welchen Folgen ist möglicherweise bei

bestimmten Erkrankungen auch zu rechnen. Und hab versucht damals schon über

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eine Zuordnung selbst gestrickt ähm - Kodierungen oder Kodierungen zu erkennen,

die da vielleicht ne Rolle spielen.

Interviewer: Mhm. Wie lang hat das bei Ihnen gebraucht bis Sie sich da in die ICF

eingearbeitet haben?

Person5: (räuspert sich) also bis ichs so einigermaßen gecheckt hab hat es sicherlich

sechs Monate gedauert so ähm - und ähm ich hab das am Anfang immer auch ähm

möglicherweise nicht erkannt als Klassifikation sondern eher als äh als Pool oder

Zugang und hab erst später verstanden, dass das falsch ist, weil es geht ja irgendwie

um ne Klassifikation und dass für viele Kontexte in der Sozialen Arbeit bestimmte

Diagnoseinstrumente auch fehlen, die gibts noch gar nicht.

Interviewer: Mhm. - Hm. Wenn Sie das im Studium hatten, haben Sie das auch

wirklich gelernt. Also was das ein fester Bestandteil Ihres Studiums?

Person5: Das war ein Bestandteil in nem Seminar und da war ein ein

Lehrbeauftragter von der WHO - in WHO Europa - aus Schweden. Der war

eingebunden und der hat das vermittelt. Die WHO hat sich ja damals extrem mit

beschäftigt.

Interviewer: Mhm.

Person5: Und das hat mich sehr beeindruckt, weil ich fand das war ne Möglichkeit

für die Soziale Arbeit ähm ihre eigenen Zugänge ähm aufzubereiten und auch zu

koppeln mit den konkreten Fragestellungen, die ähm mit den Folgen der Erkrankung

auch gebunden sind.

Interviewer: Mhm.

Person5: Also von da da da war das für mich an der theoretischen Aufarbeitung

nachvollziehbar.

Interviewer: Mhm. - Hm. - Und Sie haben dann ähm während des Studiums

beziehungsweise nach des Studiums nach auch praktisch mit der ICF gearbeitet?

Person5: Ja ich hab dann tatsächlich äh mit Core Sets gearbeitet, also ich hab mir

angeguckt zu bestimmten Krankheitsbildern gibt es da Core Sets und sind die schon

entwickelt und hab versucht die in meinem täglichen Arbeitskontext äh - Konsi Konsi

äh also ich hab Konsiliardienst betreut also - äh in unterschiedlichen Kliniken mit

Menschen gearbeitet und hab dann äh sozusagen über ne Dokumentation das (…)

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