impuls i: professionelle kompetenz von lehrkräften · diese kompetenzen werden basierend auf...

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Impuls I: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften Prof. Dr. Christiane Meyer We teach who we are. Good teaching cannot be reduced to technique; good teaching comes from the identity and integrity of the teacher. Good teachers join self and subject and students in the fabric of life. (P. J. Palmer 2007) Hinter den vorangestellten Zitaten verbirgt sich ein riesiges, komplexes Gebäude, das die Planung, Gestaltung, Durchführung und Reflexion von Unterricht umfasst. Im Rahmen der universitären Ausbildung stellt sich in der Fachdidaktik die Frage, wie hierfür zumindest ein gutes Fundament gelegt werden kann. Das Fachpraktikum bildet die Brücke zwischen Theorie und Praxis und ist in der Metapher des Unterrichtsgebäudes ein erster Teil des Mauerwerks. Vor dem Hintergrund, dass Lehrer/innen vieles können müssen (vgl. Klippert, H. 2004, 119), wozu viele „Schlüsselkompetenzen“ wie Sachkompetenz, diagnostische Kompetenz, didaktische Kompetenz i. e. S., Methodenkompetenz, Instruktionskompetenz, Moderationskompetenz, Beratungskompetenz, emotionale Kompetenz, Klassenführungskompetenz und Kooperationskompetenz (ebd., 119f.) gehören 1 , stellt sich die Frage, welches Ziel mit dem Fachpraktikum in der ersten Ausbildungsphase angestrebt werden soll bzw. kann. Lee S. Shulman (2004), der u. a. über zehn Jahre der Präsident der Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching in Stanford (Kalifornien) war, betitelt einen Sammelband mit „The Wisdom of Practice“. Zur Professionalität kommentiert er: „To become a professional, one must learn not only to think in certain ways but also to perform particular skills, and to practice or act in ways consistent with the norms, values, and conventions of the profession. Thus, to learn to be a lawyer, one needs to think like a lawyer, perform like a lawyer, and act like a lawyer“ (Shulman 2002). Dies gilt gleichermaßen für Lehrkräfte, wobei domänenspezifische Einflüsse durch die jeweilige Philosophie des Faches zu berücksichtigen sind. Mit dem Namen „Shulman“ ist das Konzept „Pedagogical Content Knowledge“ (kurz: PCK) verbunden. Dieses hat er erstmals 1986 in einem Aufsatz „Those who understand“ vorgestellt. Er unterscheidet darin subject matter content knowledge, pedagogical content knowledge und curricular knowledge (Shulman, L. S. 1986 in Shulman, L. S. 2004, 201ff.). In einem Essay von 1987 über „Knowledge and Teaching“ differenziert er die Kategorien des Wissens von Lehrkräften noch weiter, indem er auch „general pedagogical knowledge“, „knowledge of learners and their characteristics“, „knowledge of educational contexts“ und „knowledge of educational ends, purposes, and values, and their philosophical and historical grounds“ ergänzt (Shulman, L. S. 1987 in Shulman, L. S. 2004, 227). Alle diese Wissensformen kommen in der bildungswissenschaftlichen bzw. fachdidaktischen Ausbildung mehr oder Diese Kompetenzen werden basierend auf Forschungsergebnissen z. B. aus pädagogischer Sicht von H. Meyer (2004) und aus psychologischer Sicht von A. Helmke (2009) genauer beleuchtet.

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Impuls I: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften

Prof. Dr. Christiane Meyer

We teach who we are.

Good teaching cannot be reduced to technique; good teaching comes from the identity and integrity of the teacher.

Good teachers join self and subject and students in the fabric of life.

(P. J. Palmer 2007)

Hinter den vorangestellten Zitaten verbirgt sich ein riesiges, komplexes Gebäude, das die Planung, Gestaltung, Durchführung und Reflexion von Unterricht umfasst. Im Rahmen der universitären Ausbildung stellt sich in der Fachdidaktik die Frage, wie hierfür zumindest ein gutes Fundament gelegt werden kann. Das Fachpraktikum bildet die Brücke zwischen Theorie und Praxis und ist in der Metapher des Unterrichtsgebäudes ein erster Teil des Mauerwerks. Vor dem Hintergrund, dass Lehrer/innen vieles können müssen (vgl. Klippert, H. 2004, 119), wozu viele „Schlüsselkompetenzen“ wie Sachkompetenz, diagnostische Kompetenz, didaktische Kompetenz i. e. S., Methodenkompetenz, Instruktionskompetenz, Moderationskompetenz, Beratungskompetenz, emotionale Kompetenz, Klassenführungskompetenz und Kooperationskompetenz (ebd., 119f.) gehören1, stellt sich die Frage, welches Ziel mit dem Fachpraktikum in der ersten Ausbildungsphase angestrebt werden soll bzw. kann.

Lee S. Shulman (2004), der u. a. über zehn Jahre der Präsident der Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching in Stanford (Kalifornien) war, betitelt einen Sammelband mit „The Wisdom of Practice“. Zur Professionalität kommentiert er:

„To become a professional, one must learn not only to think in certain ways but also to perform particular skills, and to practice or act in ways consistent with the norms, values, and conventions of the profession. Thus, to learn to be a lawyer, one needs to think like a lawyer, perform like a lawyer, and act like a lawyer“ (Shulman 2002).

Dies gilt gleichermaßen für Lehrkräfte, wobei domänenspezifische Einflüsse durch die jeweilige Philosophie des Faches zu berücksichtigen sind. Mit dem Namen „Shulman“ ist das Konzept „Pedagogical Content Knowledge“ (kurz: PCK) verbunden. Dieses hat er erstmals 1986 in einem Aufsatz „Those who understand“ vorgestellt. Er unterscheidet darin subject matter content knowledge, pedagogical content knowledge und curricular knowledge (Shulman, L. S. 1986 in Shulman, L. S. 2004, 201ff.).

In einem Essay von 1987 über „Knowledge and Teaching“ differenziert er die Kategorien des Wissens von Lehrkräften noch weiter, indem er auch „general pedagogical knowledge“, „knowledge of learners and their characteristics“, „knowledge of educational contexts“ und „knowledge of educational ends, purposes, and values, and their philosophical and historical grounds“ ergänzt (Shulman, L. S. 1987 in Shulman, L. S. 2004, 227). Alle diese Wissensformen kommen in der bildungswissenschaftlichen bzw. fachdidaktischen Ausbildung mehr oder

�� Diese Kompetenzen werden basierend auf Forschungsergebnissen z. B. aus pädagogischer Sicht von H. Meyer (2004) und aus psychologischer Sicht von A. Helmke (2009) genauer beleuchtet.�

weniger vor allem theoretisch vor. Im Fachpraktikum müssen sich Studierende dann mehr oder weniger in eigenen Unterrichtserprobungen mit allen Wissensformen auseinandersetzen bzw. werden mit diesen konfrontiert.

Eine „Sortierung“ der Wissensformen wird in dem Modell professioneller Handlungskompetenz von J. Baumert & M. Kunter (2006) vorgenommen (ebd., 482). Die Abbildung 1 ist eine leicht veränderte Darstellung dieses Modells, in der das Organisationswissen und das Beratungswissen nicht aufgenommen wurden.

Abbildung 1: Modell professioneller Handlungskompetenz mit Professionswissen von Lehrkräften (in Anlehnung an Baumert, J. & M. Kunter 2006, 482)

Im Fachpraktikum sind alle Felder des Modells von Bedeutung, aber der Fokus der fachdidaktischen Reflexion des Fachpraktikums liegt vor allem im unteren Feld. Im Hinblick auf die fünf Entwicklungsstufen mit den Kompetenzgraden: 1. novice, 2. advanced beginner, 3. competent performer, 4. proficiency, 5. expertise (Dreyfus und Dreyfus 1986, in Baumert, J. & M. Kunter 2006, 506) ist anzumerken, dass der Kompetenzgrad im Fachpraktikum eine Stufe 0 erfordern würde, da es den Studierenden zumeist an konkreten Lehrerfahrungen mangelt.

Fachdidaktische Beweglichkeit entsteht auf der Grundlage von Fachwissen. Dabei scheint Fachwissen eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für qualitätsvollen Unterricht zu sein (vgl. ebd., 496). Fachdidaktische Beweglichkeit zeichnet sich dadurch aus, dass viele Entscheidungen didaktischer und methodischer Art getroffen werden, die mehr oder weniger bewusst auf Norm- und Wertvorstellungen der Lehrperson gründen und somit das Urteilen und Handeln in der Planung, Durchführung und Reflexion von Unterricht leiten. In der Expertiseforschung ist daher eine Rückbesinnung auf unterrichtsrelevante Merkmale der Lehrperson festzustellen. Als Kern der Professionalisierung werden u. a. Selbstreflexion und epistemologische Überzeugungen angesehen, die den teacher as reflective practitioner (nach Schön 1983) charakterisieren (vgl. Helmke, A. 2009, 113f.). Es wird angenommen, dass die Vorstellungen darüber, wie Wissen generell oder in speziellen Domänen erworben wird, „die Art der Begegnung mit der erkennbaren Welt vorstrukturieren“ (ebd., 498) und dass dadurch Denken und Schlussfolgern, Informationsverarbeitung, Lernen und Motivation beeinflusst werden. Kurz: mentale Prozesse höherer Ordnung steuern die kognitiven Vorgänge. Die subjektiven Theorien und die Zielvorstellungen von Lehrkräften und die damit verbundenen Erwartungen an die Schüler beeinflussen die

Wahrnehmung und Deutung von Unterrichtssituationen und letztlich auch das professionelle Handeln. „Zielpräferenzen scheinen auch auf überindividueller Ebene in der Kultur von Fächern und Lehrerbildungstraditionen institutionalisiert zu sein“ (ebd., 501). Diesbezüglich sollte auch der folgende Ausspruch in der fachdidaktischen Ausbildung und in der Vorbereitung des Fachpraktikums berücksichtigt werden: „Teachers teach as they were taught, not as they were taught to teach“ (Altman 1983 in Hascher 2011, 418). Wahl (2006) hebt für die konstruktive Weiterentwicklung der gesamten Persönlichkeitsstruktur des handelnden Subjekts in Lernumgebungen – und damit auch für die Weiterentwicklung der professionellen Handlungskompetenz von Lehrkräften – folgende Fähigkeiten hervor: Reflexivitätsfähigkeit, Autonomiefähigkeit, Kommunikationsfähigkeit und Handlungsfähigkeit (vgl. ebd., 38f.). Zudem gilt für alle, sowohl für Lehramtsstudierende als auch für Fachdidaktiker bzw. Ausbilder an der Universität, dass sie zum einen voneinander lernen (wenngleich vor unterschiedlichem theoretischen und praktischen Hintergrund) und dass sie zum anderen offen sein sollten für neue Lehr- und Lernerfahrungen, um sich dadurch weiterzuentwickeln.

Folgende Fragen könnten diskutiert werden:

1. Was soll und kann das Fachpraktikum hinsichtlich erster wirksamer Schritte zur professionellen Handlungskompetenz leisten?

2. Worauf ist mit dieser Zielbestimmung aus 1. bei der Vorbereitung, Durchführung, Reflexion und Nachbereitung des Fachpraktikums im Besonderen zu achten, damit eine möglichst stabile Brücke zwischen Theorie und Praxis bzw. Profession in der ersten Ausbildungsphase gebaut wird?

Literatur

Baumert, J. & M. Kunter: Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. – In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9(4) (2006), 469-520.

Hascher, T. (2011): Forschung zur Wirksamkeit der Lehrerbildung. In: Terhart, E.; Bennewitz, H. & M. Rothland (Hrsg.): Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf. Waxmann, Münster u. a., 418-440.

Helmke, A.: Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Klett/Kallmeyer, Seelze-Velber 2009.

Klippert, H.: Lehrerbildung. Unterrichtsentwicklung und der Aufbau neuer Routinen. Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2004.

Meyer, H.: Was ist guter Unterricht? Cornelsen Scriptor, Berlin 2004.

Palmer, P. J.: The Courage to Teach. Exploring the Inner Landscape of a Teacher’s Life. 10. Auflage. Jossey-Bass, San Francisco 2007.

Shulman, L. S.: Making Differences. A Table of Learning. (originally published in Change, 34 (6), (2002), 36-44, http://blog.vcu.edu/cte/TableOfLearning(Shulman).pdf (Stand 24.08.10).

Shulman, L. S.: The Wisdom of Practice. Essays on Teaching, Learning, and Learning to Teach. Jossey-Bass, San Francisco 2004.

Wahl, D.: Lernumgebungen erfolgreich gestalten. Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln. 2., erweiterte Auflage. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2006.

Impuls II:

Das Fachpraktikum an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis

Prof. Dr. Harald Gropengießer

These 1: Studierende erwarten von den fachdidaktischen Studienanteilen konkrete Anleitung für den

Unterricht.

Viele Studierende kommen in fachdidaktische Veranstaltungen mit der Erwartung, dort zu lernen, wie

man die Themen des Faches unterrichtet. Hätte das Studium tatsächlich die Form einer Meisterlehre –

wie es die Bezeichnungen »Bachelor« und »Master« nahe legen – könnte das Handwerk des

Schulmeisters ganz praktisch erlernt werden. Dagegen ist zu betonen, dass die Lehrerbildung aus gutem

Grund mit ihrer ersten Phase an einer Universität beginnt. Die anfänglichen Erwartungen der

Studierenden können also zunächst nur enttäuscht werden. Deshalb sind orientierende und sinnstiftende

Angebote notwendig, die die Lehrerbildung als einen Weg mit verschiedenen Phasen und Aufgaben

beschreiben, auf dem fachliche, fachdidaktische, erziehungswissenschaftliche und nicht zuletzt

persönliche und soziale Kompetenzen zu erwerben sind.

Allerdings enthält die erste Phase der Lehrerbildung auch deutliche Praxisanteile. Gerade im

Zusammenhang mit dem Fachpraktikum im Masterstudiengang kommt es dann schnell zu einer

Aktualisierung dieser anfänglichen Erwartungen.

These 2: Lehrerstudenten müssen sich in zweifacher Weise umorientieren – von einer Laiensicht auf den

Unterricht hin zu einer Expertensicht und von der Schülerrolle hin zur Lehrerrolle.

Lehrerstudenten kommen mit einem gerüttelt Maß an Erfahrung mit erlebtem Unterricht an die

Universität und sind überzeugt, zu wissen, was Unterricht bedeutet. Diese lebensweltlichen Erfahrungen

und Überzeugungen teilen sie mit allen Bürgern und deshalb glaubt auch jeder mitreden zu können,

wenn es um schulische Themen geht. Demgegenüber ist festzuhalten, dass Wissenschaft in aller Regel

eine völlig andere und teilweise auch kontraintuitive Sicht auf die Dinge des täglichen Lebens erlaubt.

Lebensweltlich geht die Sonne auf, wissenschaftlich dreht sich die Erde aus ihrem Eigenschatten.

Lebensweltlich spielt die Lehrperson die Hauptrolle im Unterricht, wissenschaftlich sind es die Schüler.

Unterricht wird veranstaltet, um in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler Veränderungen zu

ermöglichen. Denn Lehren ohne Lernen ist vergeblich.

Weiterhin sind Perspektivwechsel notwendig. Die Lehrerrolle muss erlernt und schrittweise angeeignet

werden, ohne die Schülerrolle aus dem Blick zu verlieren. Zudem bleiben Lehrerstudenten – und nicht

nur die – ja lebenslang Lerner. Ziel der Lehrerbildung ist die Expertise für das Lernen und Lehren

zweier Fächer.

Solche Expertise wird in Deutschland üblicherweise in drei Phasen erworben: In der universitärer ersten

Phase geht es vor allem um generelle fachwissenschaftliche, fachdidaktische und

erziehungswissenschaftliche Grundlagen, in der zweiten Phase, dem Referendariat, werden

professionelle, berufspraktische Qualifikationen erworben und in der dritten Phase erfolgt das

lebenslange Lernen im Beruf.

These 3: Im Handlungsfeld des Fachunterrichts sollen Aspekte einer sorgfältig gestalteten eigenen

Praxis systematisch und theoriegeleitet reflektiert werden.

Das Fachpraktikum sollte weniger als eine Aufgabe verstanden werden, in der es vor allem darum geht,

erfolgreichen Unterricht zu machen und die Unterrichtssituation zu kontrollieren. Ein solches Vorgehen

steht immer in der Gefahr, Rollenvorbilder von Lehrpersonen und deren Gestaltung von Unterricht

unreflektiert zu übernehmen. Lehrer lehren dann, wie sie gelehrt wurden. Was von einer solchen Idee

allenfalls übrig bleibt, ist der Nachweis einer allgemeinen Berufseignung.

Das Fachpraktikum sollte dagegen vielmehr als Erkundung betrachtet werden, in der die Studierenden

theoriegeleitet verschiedene Aspekte des Unterrichts erfahren. Der Schwerpunkt sollte auf der

theoretischen Durcharbeitung dieser Erfahrungen liegen. Wichtige Aspekte bestehen beispielsweise

darin, die Perspektive der Lerner einzunehmen und deren diverse Lernpotentiale und Lernbedarfe zu

einem Thema evidenzgestützt einzuschätzen oder effektive Lernzeiten und Lerngelegenheiten zu

organisieren. Ausgangspunkt der Überlegungen sollte immer das Lernen sein, dem das Lehren zu dienen

hat. Das Fachpraktikum hat somit die Aufgabe, Aspekte einer sorgfältig gestalteten eigenen Praxis

systematisch und theoriegeleitet zu reflektieren. Auf diese Weise kann die Fähigkeit entwickelt werden,

Unterrichtssituationen professionell wahrzunehmen, zu beurteilen und Handlungsalternativen zu

entwickeln.

These 4: Ein effektives Fachpraktikum erfordert die Abstimmung und Vernetzung der beteiligten

Fachpraktikanten, Dozenten der begleitenden Seminare, Tutoren und Mentoren

Erst wenn alle beteiligten Personen eine Zielkongruenz für das Fachpraktikum entwickelt haben, kann

sich der Erfolg im beschriebenen Sinne einstellen. Eine besondere Aufgabe besteht darin, die Mentoren

an die fachdidaktische Perspektive der Hochschule heranzuführen. Dies kann in regelmäßigen Treffen

und durch Angebote zur Teilnahme an fachdidaktischen Kolloquien geschehen. Ideal sind Mentoren, die

das Fachpraktikum als Quelle und Anregung für ihren eigenen Unterricht nutzen. Eine gute

Voraussetzung für ein erfolgreiches Fachpraktikum auf Seiten der Studierenden ist ein

forschungsorientiertes bildungswissenschaftliches Studium, in dem beispielsweise schon eine

Schattenstudie durchgeführt wurde oder Methoden wie Kurzinterviews bekannt sind.

Ein im Sinne der Lehrerbildung wirksames Fachpraktikum erfordert nicht zuletzt auch erhebliche

zeitliche und finanzielle Ressourcen.

Praxisbeispiel I: LA Berufsbildende Schulen

Durchführung des Moduls Schulpraktikum (incl. Begleitveranstaltung) in den drei Masterstudiengängen

- Lehramt an berufsbildenden Schulen – Bautechnik

- Lehramt an berufsbildenden Schulen – Farbtechnik und Raumgestaltung

- Lehramt an berufsbildenden Schulen – Holztechnik

-

Referent:

Dipl.-Ing., Dipl.-Berufspäd. Hans Rich, Inst. für Berufswissenschaften im Bauwesen

Regelung

Ordnung für das Fachpraktikum im Masterstudium Lehramt an berufsbildenden Schulen

(veröffentlicht im Verkündungsblatt der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität vom 31.03.2010)

Festgelegter Umfang in Wochen (Eine Woche entspricht mind. 20 Zeitstunden Praktikum in der Schule)

- In der beruflichen Fachrichtung 4 Wochen

- Im Unterrichtsfach 2 Wochen

Struktur und Inhalte Praktikum in der beruflichen Fachrichtung (8 CP/240h)

Teil Struktur

Inhalte

Workload

A Vorbereitung

im WS während der Vorlesungszeit

10 Seminartermine ca. 20 h

Student. Ausarbeitg ca. 40 h

Unterrichtsplanung - Input

Unterrichtsbeobachtung - Input

Auswahl von

Untersuchungsvorhaben: Inhalte

und Methoden (die Bearbeitung

60 h

erfolgt durch Studierende

möglichst im Team)

Workshop mit Vertretern der

zweiten Ausbildungsphase

B Durchführung

(Hospitation und Unterrichten)

in vorlesungsfreier Zeit

mit Teilnahme an Seminarterminen

4 Wo. Praktikum ca. 80 h

Student. Ausarbeitg. ca. 60 h

Unterrichtsplanung und

Durchführung,

Reflexion (möglichst durch

Betreuungslehrkraft und zweiten

Studierenden), Dokumentation

Bearbeitung der ausgewählten

Untersuchungsvorhaben und

Dokumentation

140 h

C Auswertung

Beginn SS

Student. Ausarbeitg. ca. 32 h

Auswertungs-Veranst. ca. 8 h

Abgabe der Dokumentationen,

Präsentation und Diskussion der

Untersuchungsergebnisse,

Evaluation, Ergebnisprotokolle

40 h

Durchführungsbedingungen

1. Teil A wird in Seminarform durchgeführt. Ein Teil des Seminars ist ein Workshop mit Vertretern

der zweiten Ausbildungsphase.

2. In der Regel wird Teil B geblockt während der vorlesungsfreien Zeit durchgeführt, da die

vorhandenen Belegungskapazitäten in berufsbildenden Schulen in der Region Hannover für die

Anzahl der Lehramtsstudierenden nicht ausreichen. Die Praktika müssen zum Teil weiter

außerhalb bzw. an den Heimatorten der Studierenden durchgeführt werden.

3. Eine Betreuung von Studierenden durch Hochschullehrende in Teil B ist nur ausnahmsweise

möglich. Zum Einen reichen die personellen Kapazitäten des betreuenden Instituts für eine

Teilnahme an jeder beteiligten Schule nicht aus; zum Anderen würde der Zeit- und

Kostenaufwand für die erforderlichen Unterrichtsbesuche in Niedersachsen und weiteren

Bundesländern den Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten sprengen.

4. Die grundsätzlich angestrebte Zusammenarbeit von Lehrkräften der Hochschule und Lehrkräften

an den Schulen findet aus den angeführten Gründen nur punktuell statt. Bei der Vorbereitung

durch den Workshop. Bei der Durchführung der Praktika in den Schulen durch einzelne

Unterrichtsbesuche (aus Kapazitätsgründen nur im Bereich Farbtechnik und Raumgestaltung) in

Niedersachsen.

5. Vor dem Auswertungstermin werden die Dokumentationen abgegeben. Am Auswertungstermin

werden die Untersuchungsergebnisse von den Bearbeitungsteams vorgestellt. Es findet

zusätzlich ein Erfahrungsaustausch über interessante, ungeplante Beobachtungen und

Erkenntnisse statt.

Bewertung der aktuellen Situation

- Mehr personelle Kapazität an den Hochschulen könnte eine Betreuung der Studierenden

zumindest in Niedersachsen ermöglichen.

- Die Bereitschaft der Schulen, die Studierenden zu betreuen, ist sehr stark von den einzelnen

Lehrkräften abhängig. Eine stärkere Einbindung der Lehrkräfte in die Vorbereitungs- und

Auswertungsphase ist von den Schulen bislang nicht vorgesehen. Die Zusammenarbeit von

Hochschule und berufsbildender Schule wäre optimierbar, aber mit einem relativ hohen

Aufwand für die beteiligten Schulen und Lehrkräfte verbunden.

Praxisbeispiel 2: Englisches Seminar und Studienseminar Hannover II

Prof. Dr. Rita Kupetz und Studiendirektor Ulrich Salden

Praxisbericht zum Fachpraktikum Englisch: PraktikantInnen und Referendare planen, unterrichten und reflektieren gemeinsam -- Konzeption zur Verzahnung der beiden Ausbildungsphasen

Beteiligte:

Englisches Seminar der LUH: Prof. Dr. Rita Kupetz und als abgeordnete Lehrperson Frau Studienrätin Nicole Vinals-Stein

Studienseminar Hannover II für das Lehramt an Gymnasien: Herr Studiendirektor Ulrich Salden

Ziele:

1. Beide Zielgruppen können besser unterrichten durch peer group learning and teaching mittels fokussiertem Austausch:

Es werden theoriegeleitet Erkundungsaufträge im Handlungsfeld des Englischunterrichts erteilt (vgl. Gropengießer) und Studierende erhalten einen Einblick in die zweite Phase der Ausbildung anhand einer konkreten Zusammenarbeit mit einem/r Referandaren/in. Referendare/innen festigen und sichern erworbene Schlüsselkompetenzen, wie didaktische, methodische, diagnostische Kompetenz (vgl. Mayer) durch ihre Beraterrolle innerhalb des Teams (learning by teaching)

2. Fachleiter und Mentorin betreuen das Projekt gemeinsam und tauschen sich so über die phasenspezifische Gestaltung der Professionalisierung aus.

3. Tutorinnen der Schulen sind in die Seminarveranstaltungen einbezogen, so dass die Professionalisierung auch in der dritten Phase fortgesetzt wird.

4. Es wird angestrebt, Referendarinnen, die sich erfolgreich am Kooperationsprojekt beteiligt haben, perspektivisch für die Tutorentätigkeit zu gewinnen.

Umsetzungsformen:

Während des Fachpraktikums (Blockform) gibt es eine gemeinsame Auftakt- und eine gemeinsame Abschlussveranstaltung zur Beratung der Zielsetzung dieser Kooperation. Die Themenschwerpunkte werden für jeden Durchgang von der Vertreterin der Universität und dem Vertreter des Studienseminars beraten.

Thematisch war das Projekt im Februar/März 2011 der Kompetenzorientierung und der Gestaltung von Interaktion im Fremdsprachenunterricht mittels kreativer Methoden gewidmet. Die Inhalte wurden bereits von den Referendaren mittels Kurzvortrag und den PraktikantInnen mittels Erkundung zu einer Methode in das Seminar eingebracht.

Die Unterrichtsbesuche sind Teil der Studienleistung bzw. werden als Ausbildungsleistung innerhalb des Referendariats anerkannt.

Grenzen: Neben den anderen Unterrichtsprojekten beteiligen sich die PraktikantInnen und Referendare je nach Machbarkeit an dem Projekt. In diesem Durchgang gab es für alle Praktikantinnen gemeinsame Projekte, in denen Praktikantinnen an der Schule der Referendare unterrichteten. Der logistische Aufwand ist nicht zu unterschätzen und dem Gewinn der Erfahrung an einer weiteren Schule gegenüber abzuwägen.

Vorschlag für zukünftige Projekte

Es ist anzustreben, das Projekt an einer Schule anzusiedeln, an der sowohl PraktikanntInnen als auch Referendare tätig sind. Denkbar wären auch ein gemeinsames Blockseminar, welches in beiden Ausbildungsphasen fest verankert ist und die Nutzung des Seminartages für das kooperative Unterrichtsprojekt. Die Mentorentätigkeit sollte unbedingt anerkannt und stundenplantechnisch ermöglicht werden.

Berichterstattung zum Panel „Lehrerbildung“:

Das Fachpraktikum als Brücke zur Profession

Iris Baumgardt (Zentrum für Lehrerbildung)

Die Frage, wie das Fachpraktikum als gelungene Brücke hin zu der Profession der Lehrerin bzw. des Lehrers gestaltet werden kann, wurde in drei Schritten beantwortet:

1) Prof. Christiane Meyer (Didaktik der Geographie) stellte einleitend mögliche Zieldimensionen der Lehrerausbildung – die professionelle Handlungskompetenz von Lehrkräften im Anschluss an das Modell von Baumert & Kunter (2006) - zur Diskussion: Was sollten ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer können und wissen, welche Fähigkeiten und Werthaltungen sind relevant?

2) Prof. Harald Gropengießer (Didaktik der Biologie) erörterte vor diesem Hintergrund Thesen zum Fachpraktikum an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis: Im Fachpraktikum berühren sich auf der einen Seite die fachdidaktischen, fachwissenschaftlichen und bildungswissenschaftlichen Perspektiven mit den in der Regel hochmotivierten Studierenden, die sich in ihrer Lehrerrolle in der konkreten Schulwirklichkeit endlich praktisch ausprobieren möchten, auf der anderen Seite.

3) Im dritten Schritt wurden zwei konkrete Praxisbeispiele präsentiert: a) Herr Hans Rich (Institut für Berufswissenschaften im Bauwesen) erläuterte die aktuellen

Inhalte, Strukturen und Durchführungsbedingungen für das Modul Schulpraktikum im Masterstudiengang „Lehramt an berufsbildenden Schulen“ (Bautechnik, Farbtechnik und Raumgestaltung sowie Holztechnik).

b) Prof. Rita Kupetz (Englisches Seminar: Didaktik des Englischen) und Ulrich Salden (Studiendirektor vom Studienseminar Hannover II für das Lehramt an Gymnasien) stellten einen Ansatz zur Verzahnung der ersten und zweiten Ausbildungsphase zur Diskussion: In diesem Projekt planen, unterrichten und reflektieren Praktikanten und Referendare gemeinsam.

Passend zum Thema der Veranstaltung waren nicht nur bei den Referenten sowohl Vertreter der Hochschule als auch der Schulen vertreten – auch bei den circa 60 Gästen meldeten sich neben Studierenden und Lehrenden der LUH ebenfalls Vertreter der zweiten Ausbildungsphase sowie Herr Dr. Venzke vom niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur zu Wort. Die beiden jeweils 20minütigen Diskussionen wurden von Iris Baumgardt (Zentrum für Lehrerbildung) moderiert. Die Ergebnisse können wie folgt zusammen gefasst werden:

• Prinzipiell wurden die spezifischen Ausgangslagen und Besonderheiten der verschiedenen schulformbezogenen Studiengänge deutlich: So muss z. B. die Praxisphase für das Lehramt an berufsbildenden Schulen teilweise aufgrund von fehlenden Belegungskapazitäten weit außerhalb von Hannover durchgeführt werden – was eine konkrete Betreuung der Studierenden durch die Hochschule schwierig bis unmöglich machen kann. Demgegenüber gibt es für die Studierenden des Englischen Seminars prinzipiell eine ausreichende Anzahl an Gymnasien in der Region Hannover – allerdings ist die absolute Zahl der Studierenden, die betreut werden müssen, in diesem Fach ungleich höher als beispielsweise im Bauwesen.

• Einigkeit zwischen Lehrenden und Studierenden bestand darüber, dass im Hinblick auf die Ausgestaltung des Fachpraktikums als eine gelungene Brücke in die Profession nicht zwangsläufig die Quantität, sondern die Qualität der Praxisphasen zentral ist. Als Voraussetzung für ein qualitativ hochwertiges Fachpraktikum werden funktionierende Netzwerke zwischen Schulen und Hochschulen, ggfs. auch den Studienseminaren angesehen. Die zentrale Währung einer solchen Qualität heißt „Zeit“: Zeit der Mentoren, die Unterrichtsversuche der Praktikanten nicht zwischen Tür und Angel, sondern in Ruhe zu reflektieren. Zeit für die Mentoren, ggfs. den eigenen fachdidaktischen, fachwissenschaftlichen oder bildungswissenschaftlichen Wissens- bzw. Könnens-Stand in einer – wieder neu – einzuführenden Mentoren-Schulung zu aktualisieren. Zeit für die Lehrenden an der Hochschule, einen solchen Austausch mit ‚ihren‘ Mentorinnen und Mentoren herzustellen. Zeit für die Praktikumsverantwortlichen der Hochschule, die konkreten Unterrichtsversuche der Studierenden an den Schulen nicht nur vor- und nachzubereiten, sondern auch zu begleiten und zu reflektieren. Einigkeit bestand ebenfalls darin, dass diese Zeit, d. h. die Voraussetzung für eine verbesserte Qualität der Praxisphasen, nicht ohne die Bereitstellung von erheblichen finanziellen Ressourcen zu haben ist – wie das Beispiel der Reform der Praxisphasen in NRW zeigt.

• Unterschiedliche Ansichten waren jedoch im Hinblick auf die Quantität des Fachpraktikums zu konstatieren: Die Studierenden wünschen sich längere, auch frühere und häufigere Praxisphasen für ihr Studium. Dieses frühe und systematische Ausprobieren der Lehrerrolle wird von den Studierenden für notwendig erachtet, um Antworten auf Fragen wie „Bin ich als Lehrer überhaupt geeignet?“ bzw. „Ist das hier überhaupt noch meins?“ zu finden. Wenn diese zentralen beruflichen Fragen offen bleiben – so die Studierenden – fällt es schwer, die Motivation für den langen Ausbildungsweg zum Lehrer oder zur Lehrerin (Bachelor – Master of Education – Referendariat) aufrecht zu erhalten. Die Lehrenden jedoch verbinden mit der Forderung nach frühen und ausgeweiteten Praxisphasen die – nicht unbegründete – Befürchtung, dass lediglich individuelle, biografisch geprägte Unterrichtserfahrungen unreflektiert wiederholt werden – im Gegensatz zum systematischen, wissenschaftlich begründeten Kompetenzaufbau. Letztlich ist diese Einschätzung der Lehrenden auch im Zusammenhang mit den aktuell fehlenden finanziellen Möglichkeiten, auch frühe und häufige Praxisphasen systematisch reflektieren zu können, zu sehen – denn ein Ausbau der Praxisphasen mit einer besseren Betreuung würde den Erwartungen der Studierenden entgegenkommen und könnte gleichzeitig die Gefahr verringern, dass die Praktikanten nur so unterrichten, wie sie selber in der Schule unterrichtet wurden.

• Das Praxisbeispiel (Prof. Kupetz/Studiendirektor Salden) zur Zusammenarbeit zwischen der ersten und zweiten Phase der Lehrerausbildung wurde in verschiedener Hinsicht als sehr positiv bewertet: Auch wenn beide Ausbildungsinstitutionen ihre spezifischen Qualifizierungsaufgaben behalten, konnten durch diese Zusammenarbeit die Schnittstellen verbessert werden. Gleichzeitig werden Brücken zum Referendariat hin gestaltet, so dass möglicherweise eher die Ängste der Studierenden vor der zweiten Ausbildungsphase abgebaut werden können. Insbesondere die Schaffung eines idealerweise sich ‚wie von selbst erweiterndes‘ Netzwerkes wurde als fruchtbar angesehen: Die Studierenden, die heute zusammen mit den Referendaren gemeinsam Unterrichtssequenzen planen, stehen potenziell ‚morgen‘ als Referendare bzw. ‚übermorgen‘ als berufserfahrene Lehrer, d. h. als Mentoren für Praktikanten zur Verfügung.

Deutlich wurde – als Fazit dieser Veranstaltung - jedoch auch, dass solche beispielhaften Projekte, in denen neue Wege beschritten werden, zwar immer wieder möglich und auch durchführbar sind –

jedoch von allen Beteiligten ein Maß an Engagement voraussetzen, das weit über das übliche Maß hinaus geht und unter mit den aktuellen Ausgangsbedingungen daher nicht für den Regelbetrieb geeignet sind.