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Integration durch Sport

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Der Sport bietet große Potenziale, wenn es darum geht, sozial anerkannt zu werden und kulturelle Grenzen zu überwinden. Er fördert den Zusammenhalt der Gesellschaft und unterstützt den Dialog zwischen Migrantinnen und Migranten und der einheimischen Bevölkerung. Wir zeigen Ihnen hier zahlreiche positive Beispiele, wie mit zielgruppen- und bedarfsorientierten Angeboten Integration durch Sport gelingen und weiterhin gefördert werden kann.

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Page 1: Integration durch Sport

Integration durch Sport

Page 2: Integration durch Sport

Integration durch Sport

Page 3: Integration durch Sport

W ir sind Stuttgart, ein Miteinan-

der von 170 Nationen. Rund

40 Prozent der Stuttgarterinnen und

Stuttgarter haben einen Migrations-

hintergrund, bei unseren Kindern ist es

fast jedes Zweite. Stuttgart – ein Mikro-

kosmos der Vereinten Nationen – profi-

tiert seit Jahrzehnten von der Einwan-

derung. Dies gilt für unser alltägliches

Leben miteinander, für die Kultur und

den Sport – und hier nicht nur für die

Profis. In allen Jugendmannschaften

spielen heute Kinder und Jugendliche

aus unterschiedlichsten Ländern.

Deshalb ist es mir wichtig, die Integra-

tion gerade durch den Sport zu fördern

und voranzubringen. Denn über alle

Grenzen hinweg sind zwei Sprachen

universal: die Musik und der Sport.

Beides begeistert Menschen,

verbindet sie und wird erst in der

Gemeinschaft richtig erlebbar. Daher

liegt es nahe, Musik und Sport für die

Integration zu nutzen. In Stuttgart tun

wir dies seit rund zehn Jahren ganz

konsequent. Vor allem das gemein-

same Sporterlebnis, sei es im Training,

im Erfolg oder auch in der Niederlage,

schweißt zusammen und schafft eine

Basis für die Verständigung.

Auch andere europäische Städte

machen diese Erfahrung, wie bei

unserem Kongress „Integration durch

Sport” am 22. und 23. Januar 2007 zu

hören war. Die fünf Werte Respekt,

Toleranz, Frieden, Solidarität und

Gerechtigkeit kann der Sport in beson-

derer Weise vermitteln. In diesem Sinne

verabschiedeten die Kongressteilnehmer

ein Manifest, das in dieser Broschüre

abgedruckt ist.

Eine Stadt hat nur dann eine gute

Zukunft, wenn sich alle Bürgerinnen

und Bürger mit ihr identifizieren, wenn

sie – unabhängig von ihrer Herkunft –

sagen: „Ich bin Stuttgarterin bzw.

Stuttgarter.“ Dabei sind weder die

Farbe der Haut noch der Pass aus-

schlaggebend, sondern die Frage, wie

32

Inhalt

Einführungvon Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster 3

ManifestIntegration durch Sport 5

Sprung aufs GymnasiumRingen kombiniert mit Sprachtraining speziell für Aussiedler 15

Sport und LebensberatungRosensteinschule: Sport-AG als Teil eines Gesamtkonzeptes 19

Hier zählt nicht die LeistungGemeinschaftserlebnis Sport: Fußball im Hallschlag 23

Der Trainer lernt mitSambo-Training beim SV Gold Blau Stuttgart e.V. 27

Georgios mag keine SchimpfwörterBei der Kinder-Fußball-Akademie ist gutes Benehmen wichtig 31

Internationale Sprache BallettIn Weilimdorf ist der Unterricht für fast alle erschwinglich 35

Jeder muss mal pfeifen„Die kleinen Zidanes“: Im Jugendhaus Anna steigt jeden Freitag ein Fußballturnier 39

Vertrauen lernenAmeisenbergschule:Kletterprojekt verbessert das Schulklima 43

Auch die Polizei kickt mit Einmal nachts Fußball spielen: Neugereut macht’s möglich 47

Nachtschicht am KorbStreetball – rasanter und lauter als Basketball 51

Durchbruch dank „La musica“ „Bewegter Kindergarten“ verbindet Musik und Tanz, Bewegung und Spaß 55

Sportlichen Horizont erweiternSport-Spektrum: alle zwei Wochen eine neue Sportart 59

Siegen durch NachgebenEine ganze Klasse lernt in einem halben Jahr gegenseitigen Respekt 63

Kicken auf dem SchulhofSchülermentoren als Vorbilder für die Jüngeren 67

Schule der SporteliteSchickhardt-Gymnasium: Hier ist es schwer, herausragend zu sein 71

Einführungvon Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster

Page 4: Integration durch Sport

4

sehr jeder Einzelne in diese Gemein-

schaft eingebunden ist und sich zuge-

hörig fühlt. Im „Stuttgarter Bündnis für

Integration“ bekennen sich alle Grup-

pen, die sich aktiv in unsere Stadtgesell-

schaft einbringen, zu diesem Prozess

der Integration und sehen ihn als Auf-

gabe für alle. Integration durch Sport ist

ein wichtiger Aspekt dieser Arbeit.

Diese Broschüre zeigt an 15 Beispielen,

wie Integration durch Sport gelingen

kann. Es sind Bürgerinnen und Bürger,

die diese Projekte durch persönliches

Engagement tragen und das freund-

schaftliche Miteinander über ethnische

Grenzen hinweg gestalten.

Die Beispiele zeigen aber auch, dass es

in der Regel nicht allzu schwierig ist,

durch Sport zueinander zu finden.

Seien es die übergewichtigen Jugendli-

chen, die dank einer Sport-AG nicht

nur Freude an der Bewegung erleben,

sondern auch Freundschaften knüpfen,

oder die Kindergartenkinder, die durch

gemeinsames Singen die deutsche

Sprache lernen und sich nun auch

trauen, mit anderen herumzutollen.

Mein Dank gilt allen, die sich dafür ein-

setzen, dass Integration durch Sport

gelingt. Die hohe Lebensqualität, die

niedrige Kriminalitätsrate und vor allem

die außerordentlich große Zufriedenheit

der Bürgerinnen und Bürger sind positi-

ve Ergebnisse dieses Wirkens. Daher

bitte ich alle, die sich im Sport engagie-

ren, weiterzumachen, zum Wohle für

uns alle und für eine gute Zukunft

unserer Stadt.

Wer mit Menschen spricht, die sich

engagieren, spürt, wie sie in ihrer Ar-

beit Erfüllung und Bestätigung finden;

dies ist zugleich eine Ermutigung für

uns alle. Deshalb würde ich mich freu-

en, wenn diese Broschüre Sportvereine

und Schulen anregen würde, sich an

den Beispielen zu orientieren und wei-

tere Projekte ins Leben zu rufen. Neue

Ideen sind immer willkommen. Ich

freue mich auf das weitere Miteinander.

ManifestIntegration durch Sport

Für ein aktives Miteinander in unseren Städten

Am 22. und 23. Januar 2007 fand im Stutt-garter Rathaus der Kongress „Integrationdurch Sport” statt. 350 Teilnehmerinnen undTeilnehmer aus Deutschland und ganzEuropa tauschten Erfahrungen aus undinformierten sich über Stuttgarter Projekte.Zum Abschluss verabschiedete Oberbürger-meister Dr. Wolfgang Schuster gemeinsammit ihnen das Stuttgarter Manifest zur„Integration von Migrantinnen und Migranten durch Sport in den KommunenEuropas”. Hier der Wortlaut:

Dr. Wolfgang SchusterOberbürgermeister der Landes-hauptstadt Stuttgart

Page 5: Integration durch Sport

EinleitungIn unserer Stadtgemeinschaft erleben

wir täglich einen vielfältigen Verände-

rungsprozess, der im Wesentlichen

Folge von vier Herausforderungen ist:

■ der Globalisierung

■ dem demographischen Wandel

■ den technischen Entwicklungen

■ dem Wertewandel.

1. Die Globalisierung verändert

unser berufliches Leben, unseren

Alltag und unsere Bevölkerungs-

struktur. Globalisierung öffnet Gren-

zen, nicht nur für Waren, Dienst-

leistungen, Finanzen und Informatio-

nen, sondern auch für Menschen

aus aller Welt. Deshalb wird die

Bevölkerung unserer Städte immer

internationaler.

Wir sind deshalb gefordert, die zu

uns Kommenden in unsere Stadtge-

sellschaften zu integrieren und ihnen

zugleich faire Chancen in unserer

Gesellschaft zu eröffnen. Damit das

Miteinander der Nationen gelingt,

bedarf es vielfältiger gemeinsamer

Anstrengungen gerade auch durch

den Sport.

2. Der demographische Wandelbedeutet für uns alle die Chance,

immer älter zu werden und dabei

immer länger gesund und fit zu blei-

ben; zugleich werden aber immer

weniger Kinder geboren.

Der demographische Wandel verän-

dert unter anderem die Nachfrage

nach Dienstleistungen gerade auch

im Sport. Die wachsende Zahl der

„jungen Alten“ möchte möglichst

lang ein selbst bestimmtes Leben

führen. Zugleich gilt es, auch ange-

sichts der kleiner werdenden Zahl

von Kindern, jedem Kind eine Förde-

rung und Bildung zuteil werden zu

lassen, die ihm faire Zukunftschan-

cen eröffnen.

Unsere Städte müssen daher für

unsere Kinder Freiräume zum Spie-

len und zum Sport anbieten. Her-

kömmliche Formen des Sports wie

neue Formen der Bewegungskultur

sollen die Gesundheit von Jung und

Alt fördern. Zugleich kann der Sport

vielfältige Wege des Miteinanders

der Generationen eröffnen.

3. Die technischen Entwicklungenbeschleunigen das berufliche wie

private Leben und führen zu einem

wachsenden Medienkonsum. Immer

neue Medientechniken eröffnen für

jeden eine immer größere Flut an

Informationen, Unterhaltung, Spielen,

Filmen und vernetzten Kommunikati-

onsmöglichkeiten. Dies führt zu viel-

fältigen Verhaltensveränderungen, vor

allem bei Kindern und Jugendlichen.

Das tägliche stundenlange Nutzen

dieser Medien führt häufig zu Kon-

zentrationsstörungen, Haltungsschä-

den, Passivität und Aggressivität

sowie zu sozialer Vereinsamung. Um

Kinder und Jugendliche weg vom

Fernseher und Computer zu bringen,

bedarf es Sportangebote, die zu

Gemeinschaftserlebnissen werden.

Zur Überwindung der Anonymität

und der Vereinsamung vor dem

Fernseher bedarf es aber auch

wohnortnaher Angebote für ältere

Mitbürgerinnen und Mitbürger zum

gemeinsamen aktiven Älterwerden.

Zugleich können solche Sportange-

bote auch Möglichkeiten für ein Mit-

einander von Jung und Alt eröffnen.

6

4. Der Wertewandel unserer

Gesellschaft führt zu einer immer

größeren Vielfalt der Lebensformen.

Wir erleben eine stärkere Individuali-

sierung mit der Folge, dass sich

immer weniger Menschen langfristig

binden wollen.

Dies betrifft nicht nur Ehe und Fami-

lie, sondern auch gemeinnützige

Organisationen wie Sportvereine.

Viele spinnen sich in ihre eigenen

Interessenssphären ein und leben in

„ihrer“ Welt. Mehr als die Hälfte der

Haushalte in großen Städten sind

inzwischen „Singlehaushalte“. Voll-

ständige Familien mit Kindern sind zu

einer kleinen Minderheit geworden.

Doch individuelle Freiheit und soziale

Verantwortung gehören zusammen.

Zu diesem solidarischen Miteinander

gerade auch gegenüber Schwäche-

ren in unserer Gesellschaft, den

Behinderten, den Kindern und den

alten Menschen, kann der Sport

einen wesentlichen Beitrag leisten.

Dies vor allem dann, wenn die

Menschen ihre persönliche Freiheit

für ein freiwilliges ehrenamtliches

Engagement für das soziale und

sportliche Miteinander in unseren

Vereinen nutzen.

7

Bei der Eröffnung des Kongresses begei-

sterten die „Footwork Pioneers“ die Teil-

nehmer und Gäste, darunter (vorne von

rechts) Dr. Thomas Bach (Präsident des

Deutschen Olympischen Sportbundes

und Vizepräsident des Internationalen

Olympischen Komitees), Ministerpräsi-

dent Günther H. Oettinger, Oberbürger-

meister Dr. Wolfgang Schuster,

Dr. Wolfgang Schäuble (Bundesminister

des Innern der Bundesrepublik Deutsch-

land) und Ulrich Bohner (Generalsekretär

des Kongresses der Gemeinden und

Regionen Europas beim Europarat in

Straßburg.

Page 6: Integration durch Sport

8

ZieleWir verstehen unsere Städte als

Kommunen, als Gemeinschaften von

Älteren und Jüngeren, von Gesun-

den und Kranken, von Behinderten

und nicht Behinderten, von Men-

schen mit ausländischem oder inlän-

dischem Pass. Auch wenn unsere

Stadtgesellschaften immer interna-

tionaler, multikultureller, älter, indivi-

dueller und medial vernetzter wer-

den, so bleibt es unser Ziel, dass sich

unsere Städte als Kommunen, als

Gemeinschaften entwickeln.

Deshalb brauchen wir mehr denn je

das gelebte Miteinander der Genera-

tionen und der Nationen. Dazu kann

Sport wesentlich beitragen. Denn

Sport kann Werte vermitteln, die für

unser Zusammenleben zwingend

notwendig sind.

„Wie die Musik ist der Sport etwas

Universelles, das ungeachtet aller

sozialen, ethnischen und religiösen

Unterschiede global verstanden

wird. Nicht der Sport, sondern auch

seine Werte sind universell.“ (IOC-

Präsident Dr. Jacques Rogge). So wie

die olympischen Ringe miteinander

verbunden sind, so sind auch die fünf

Werte miteinander verbunden, die

der Sport in besonderer Weise vermit-

teln kann: Respekt, Toleranz, Frieden,

Solidarität und Gerechtigkeit.

Diese Werte sind für die Integration

in unseren Stadtgesellschaften von

zentraler Bedeutung. Die Vermittlung

dieser Werte gerade bei Kindern und

Jugendlichen gelingt nicht dadurch,

dass sie Werte abstrakt und isoliert

lernen, sondern im gemeinsamen

Erleben und Handeln konkret erfah-

ren werden. Sport kann diese Werte

in vielfältiger Weise erlebbar machen.

1. RespektDie Achtung vor dem anderen, vor

seiner Person, seinem Einsatz, sei-

nem Können, seinen Leistungen

erleichtert zugleich die Achtung vor

sich selbst.

Die Vielfalt der Sportarten, die Diffe-

renzierung nach Alter, nach Behinde-

rung und Nicht-Behinderung ermög-

licht jedem, dem anderen gegenüber

für seinen Einsatz Respekt zu zollen –

unabhängig vom Passport und vom

sozialen Status – entsprechend dem

Motto von Pierre Baron de Coubertin:

„Das Wichtigste ist nicht das Gewin-

nen, sondern das Teilnehmen, nicht

der Sieg, sondern das Erreichte.“

Der gegenseitige Respekt gilt den

Leistungen der anderen; Respekt ist

aber auch wichtig für sich selbst. So

erwächst die Selbstachtung z.B. aus

der Eigendisziplin und die Eigenver-

antwortung z.B. aus der Förderung

der eigenen Gesundheit durch Sport.

Sport trägt deshalb zu einer Kultur

der Achtung des anderen und der

Eigenverantwortung bei.

2. ToleranzDie Vielschichtigkeit der Lebensstile

und der Wertvorstellungen verschie-

dener Nationalitäten, die Verände-

rungsdynamik, die zu Anpassungs-

und Leistungsdruck führt, können zu

einer Aversion und Abwehrhaltung

gegenüber anderen, dem Anders-

sein und dem Fremden führen. Das

gemeinsame Sporterlebnis verbindet

nicht nur Menschen verschiedener

sozialer und nationaler Herkunft,

sondern hilft auch beim Abbau von

Vorurteilen gegenüber Fremden.

Dies erleichtert die Achtung gegen-

über dem anderen, seiner unter-

schiedlichen Lebens- und Kulturge-

schichte, seinen anderen Erfahrun-

gen und Lebensweisen. Das gesell-

schaftliche wie sportliche Leben in

unseren Sportvereinen erleichtert

das gegenseitige Verstehen.

Sport trägt deshalb zu einer Kultur

des Verständnisses von Fremden und

der Akzeptanz vom Anderssein bei.

3. FriedenNicht zuletzt durch die tausendfa-

chen medialen „Vorbilder“, in denen

Aggression und Gewalt gezeigt wer-

den, neigen Jugendliche dazu, Kon-

flikte durch Gewalt zu lösen. Sport

ist eine hervorragende Möglichkeit,

durch Bewegung mögliche Aggressi-

vität abzubauen. Zugleich ist der

sportliche Wettkampf ein wichtiges

Beispiel dafür, dass das andere Team

nicht der böse Feind, sondern der

faire Gegner ist, dem man in einem

mit klaren Regeln versehenen Wett-

streit begegnet. Da die Spieler aus

verschiedenen Nationen und sozia-

len Verhältnissen kommen, tragen

Mannschaftsspiele zum friedlichen

sozialen Miteinander bei.

Sport trägt deshalb zu einer Kultur

des sozialen Friedens und des friedli-

chen Miteinanders bei.

4. Solidarität Vor allem Mannschaftssportarten

schaffen einen Teamgeist über alle

gesellschaftlichen Schichten und

Nationalitäten hinweg. Dieses

Gemeinschaftserlebnis ist zugleich

eine wichtige Antwort auf das sich

Einspinnen in eigene Interessen und

die Vereinsamung vor den Medien.

Das gemeinschaftliche Ringen um den

Sieg, die gemeinschaftliche Anstren-

gung zur Erreichung eines Zieles för-

dert den Teamgeist und das Verant-

wortungsbewusstsein für andere.

Sport trägt deshalb zu einer Kultur

des gegenseitigen Helfens und Ver-

trauens bei.

9

Page 7: Integration durch Sport

1110

5. GerechtigkeitDas Einhalten von gemeinsamen

Regeln ist zwingende Voraussetzung

für ein gerechtes, friedliches Mitein-

ander. Zu den Grundregeln gehört

auch die Gleichheit; d. h. die Gleich-

behandlung bei der Einhaltung von

Regeln sowie das gleiche Recht auf

Teilhabe am Sport – unabhängig

vom sozialen Status und der Natio-

nalität.

Weil die Spielregeln für alle gelten,

ist die Teilhabe-Gerechtigkeit

zugleich eine Absage an Ausgren-

zung und Diskriminierung.

Sport trägt deshalb zu einer Kultur

des Fairplay und der sozialen Teilha-

be aller bei.

AufgabenSport kann und soll Heimat für alle

bieten. Deshalb ist es wichtig, dass

die Verantwortlichen in Politik,

Gesellschaft und in den Sportorgani-

sationen die integrative Funktion

des Sports nachhaltig unterstützen.

1. Entsprechend dem Grundsatz der

Subsidiarität sollen deshalb nicht der

Staat und die Kommune direkt, son-

dern vor allem die gemeinnützigen

Sportorganisationen und Sportverei-

ne in ihrer Arbeit unterstützt wer-

den. Sie sind wesentlich von bürger-

schaftlichem Engagement getragen.

Im Verein können ganzheitliche

Angebote umgesetzt werden, die

werteorientiert sind. Aber auch in

unseren Kindergärten, Schulen,

Betrieben, Jugendvereinen und

Generationenhäusern kann durch

Sport für die Integration Wichtiges

geleistet werden.

2. Die Städte sind deshalb gefordert,

die Sportvereine und andere

gemeinnützige Sportanbieter in ihrer

Arbeit zu unterstützen, vor allem

auch durch das zur Verfügungstellen

von Sportinfrastruktur, besonders

von Sporthallen, Sportplätzen,

Schwimmbädern sowie durch

öffentliche Bewegungsräume, z. B.

Schulhöfe, Bolzplätze, Joggingpfa-

de, Wanderwege, etc.

Öffentliche Zuschüsse sind auch not-

wendig, damit es gelingt Sportange-

bote sowohl von der sportfachlichen

wie sozialen Seite qualitätvoll zu

gestalten und eine Vielzahl von

Sportarten und Bewegungsformen

nachfrageorientiert zu berücksichti-

gen. Dazu gehören differenzierte

altersgerechte, wohnortnahe Ange-

bote für den Breitensport, vor allem

den Gesundheits-, Freizeit- und Erleb-

nissport ebenso wie differenzierte

Angebote für den Leistungssport bis

hin zum Spitzensport.

3. Die Integration durch Sport bleibt

ein dynamisch lernender Prozess, bei

dem Sportverbände und Sportverei-

ne ebenso wie die Politik, vor allem

die Städte aufgerufen sind, zu einer

zukunftsorientierten Sportentwick-

lung beizutragen. Dies auch ange-

sichts der sich verändernden Frei-

zeitgewohnheiten und neuer Trend-

sportarten wie einer wachsenden

Professionalisierung und Kommer-

zialisierung des Sports.

Damit Integration durch Sport

gelingt, darf Sport nicht als isoliertes

gesellschaftliches Subsystem, son-

dern als integraler Bestandteil der

Entwicklung unserer Stadtgesell-

schaft verstanden werden. Umso

wichtiger wird es künftig sein,

neben der Weiterentwicklung der

Infrastruktur und finanziellen Förde-

rung des Sports, den Erfahrungsaus-

tausch zu intensivieren, durch best

practice-Beispiele voneinander zu

lernen und immer wieder neue

Wege zu finden, damit ein aktives

Miteinander in unseren Städten und

damit Integration gelebt wird.

Page 8: Integration durch Sport

15 gute Beispiele, wie Integration durch Sport in

Stuttgart gelebt wird

12

Page 9: Integration durch Sport

Sprung aufs GymnasiumRingen kombiniert mit Sprachtraining

speziell für Aussiedler

Der Kraftsportverein Stuttgart1895 hat unter seinen Ringernviele Spätaussiedler. Gerade dieIntegration der Kinder sollte ver-bessert werden, indem Sporttrai-ning mit Sprachkursen und Nach-hilfe verbunden wird. Bei Kiril Dieser, der aus Kirgisistan nachDeutschland kam, hat es funktio-niert. In der Zwischenzeit geht eraufs Gymnasium.

14

Page 10: Integration durch Sport

Kontakt

1716Ohne die Unterstützung von Adolf Rager (rechts), dem Vorsitzenden des Kraftsportvereins 1895, hätte Kiril

Dieser (links) den Sprachkurs kaum erfolgreich beenden können.

Kraftsportverein 1895 Stuttgart e.V.Adolf Rager

Teufelswiesen 1

70569 Stuttgart

Telefon 0711/68 41 19

www.kv95.de

A ls die Aufnahmeprüfung fürs

Gymnasium geschafft war, kam

Kiril Dieser freudestrahlend zu Adolf

Rager, dem Vorsitzenden des Kraft-

sportvereins 1895: „Ohne den

Sprachkurs hätte ich das nie

geschafft!“ 1999 ist der blonde Junge

mit seinen Eltern aus Kirgisistan nach

Deutschland gekommen; fünfeinhalb

Jahre war er damals alt. Sein Vater

gehörte dort zur deutschen Minder-

heit, seine Mutter ist Russin. Kiril

konnte Russisch gut verstehen, auch

etwas sprechen, aber sein Deutsch

war besser. Allerdings haperte es mit

der Rechtschreibung. In der Schule

führte das schnell zu Schwierigkeiten.

Anfangs war die Familie in der Stö-

ckachstraße im Stuttgarter Osten

untergebracht. Der sportliche Junge

kam über einen Freund zum Ringen,

ging zum KV 95 und lernte den Sport

von der Pike auf. Zweimal in der

Woche war er fleißig dabei. Als die

Familie 2001 nach Neugereut zog,

wurde es schwierig. Wie sollte Kiril

von dort zum Dachswald nach Vaihin-

gen, seinem Trainingsort, kommen?

Anfangs brachte ihn seine Mutter hin

und holte ihn wieder ab.

Als an der Waldburgschule in Stutt-

gart-Rohr ein spezieller Kurs für Aus-

siedler angeboten wurde, der Ringer-

training mit einem Sprachkurs und

Nachhilfestunden kombinierte, war

Kiril dabei. Bezahlt wurden die Kurse

aus dem städtischen Projektmittel-

fonds „Zukunft der Jugend“ und

organisiert vom Kraftsportverein

sowie der Sportkreisjugend. Jeden

Freitag von 16.30 bis 18 Uhr wurde

gepaukt, von 18 bis 19.30 Uhr gerun-

gen. Der Sprachkurs half Kiril, die

deutsche Rechtschreibung zu verbes-

sern.

Doch dann fand Kirils Mutter eine

Arbeitsstelle in der Stadtmitte und

konnte den Jungen nicht mehr zu sei-

nem Training bringen. So musste der

Zehnjährige spätabends allein noch

lange mit der Stadtbahn unterwegs

sein. Seiner Mutter war das nicht

recht. Nun schlug die Stunde Adolf

Ragers. Er wollte dem vielverspre-

chenden Ringernachwuchs helfen:

Page 11: Integration durch Sport

Ein halbes Jahr lang fuhr er Kiril jeden

Freitag vom Stuttgarter Süden nach

Neugereut. „Ich tu das alles nur für

den Sport“, betont er, denn eigentlich

hat er es nicht so gern, wenn Aufhe-

bens um sein Engagement gemacht

wird.

Halten konnte er den Jungen letztend-

lich nicht. Nachdem Ende 2005 das

Projekt mit dem Sprachkurs auslief,

hörte Kiril mit dem Ringen auf. Heute

spielt er beim TSV Steinhaldenfeld Fuß-

ball – der Sportplatz liegt einen Stein-

wurf von seinem Zuhause entfernt.

Inzwischen geht er aufs Gymnasium, in

die siebte Klasse der Jörg-Ratgeb-Schu-

le. Er muss viel lernen, und das acht-

jährige Abitur führt dazu, dass nicht

mehr viel Freizeit bleibt.

Adolf Rager hat auch weiterhin mit

Spätaussiedlern aus Russland zu tun,

denn die meisten seiner Ringer stam-

men aus der ehemaligen Sowjetuni-

on. Die Männermannschaft des KV 95

hat zum zweiten Mal hintereinander

den Aufstieg geschafft; in der nächs-

ten Saison geht es in der Verbandsliga

weiter.

Der KV 95 ist in Stuttgart der einzige

Stützpunktverein der Initiative „Inte-

gration durch Sport“ des Deutschen

Olympischen Sportbundes. Er

bekommt einen Zuschuss, dafür

unterstützt er die etwa 30 Teilnehmer

des Programms bei der Suche nach

einer Lehrstelle oder einem Praktikum.

Sport und LebensberatungRosensteinschule: Sport-AG als Teil

eines Gesamtkonzeptes

Mal wird Sport getrieben, malgekocht und manchmal auch nurgeredet. Bei „Fit for Fun“ in derRosensteinschule ist nicht die Leistung das Entscheidende. Die Mädchen aus der siebten bisneunten Klasse genießen es viel-mehr, einmal die Woche in einerfesten Gruppe unter sich zu sein.

18

Page 12: Integration durch Sport

Kontakt

Unter der Bezeichnung „XXL“

Mädchen zu finden, die in einer

Sport-AG mitmachen, war schwierig

und erst der Namenswechsel in „Fit

for Fun“ brachte eine Gruppe zusam-

men. Bei den Jungs hatte das gleich

geklappt. Der Gedanke an der Rosen-

steinschule, einer Grund- und Haupt-

schule mit Ganztagesbetrieb, war,

gerade diejenigen zu mehr Sport zu

ermuntern, die sich sonst wenig

bewegen oder die Probleme mit

ihrem Körpergewicht haben.

In der Zwischenzeit treffen sich einmal

die Woche etwa zehn Mädchen aus

der siebten bis neunten Klasse. Neben

der Sportlehrerin ist auch eine Sozial-

arbeiterin dabei, die der Gruppe

zusätzlichen Halt gibt. Bei ihr können

die Mädchen auch mal ihr Herz aus-

schütten, beispielsweise wenn es Pro-

bleme mit der Schule oder daheim

gibt. Oft wird ein Treffen genutzt, um

einfach zu reden. Gemeinsames

Kochen steht ebenfalls hoch im Kurs.

„Sie wissen nicht unbedingt, was

gesund ist“, sagt die Sportlehrerin

Jenny Holland. Die Mädchen sollen

lernen, sich bewusster zu ernähren

und beispielsweise herausfinden,

wann sie zu Süßigkeiten greifen.

Dabei stellen sie fest: Häufig naschen

sie aus reiner Langeweile oder weil sie

Sorgen haben.

Im Schnitt wird jede zweite Woche

Sport getrieben – mal Volleyball bei

lauter Musik, Seilhüpfen oder Boden-

turnen mit Bändern. Den Mädchen

gefällt’s. Sie sind mit Begeisterung

dabei und gehen ausgesprochen

freundschaftlich miteinander um. Die

AG ist ihnen wichtig. Die Bewegung

führt vor allem bei denen, die sonst

wenig tun, zu einem positiveren Kör-

pergefühl.

Die Sport-AG der Jungs blieb bei

ihrem Namen „XXL“. „Dort haben

sich eher die Außenseiter gefunden“,

sagt Jenny Holland, „aber in der Zwi-

schenzeit bilden die Jungs eine feste

Clique.“

Die Programme „XXL“ und „Fit for

Fun“ der Rosensteinschule gehören zu

einem umfassenden pädagogischen

21

RosensteinschuleIngrid Macher

Nordbahnhofstraße 120

70191 Stuttgart

Telefon 0711/25 60 461

www.rosensteinschule.de

20Ob dick oder dünn – bei „Fit for Fun“ in der Rosensteinschule steht der gemeinsame Spaß im Vordergrund.

Einmal in der Woche treffen sich die Mädchen mit einer Lehrerin und einer Sozialarbeiterin.

Page 13: Integration durch Sport

Konzept. Die meisten der Schülerin-

nen und Schüler haben einen Migrati-

onshintergrund, auf körperliche

Bewegung und vernünftige Ernäh-

rung achten viele Eltern nicht. Des-

halb will man sie einbinden, lässt zum

Beispiel an Elternabenden Kinderärzte

und Ernährungsberater Tipps geben.

Das Konzept der „sozialwirksamen

Schule“ sieht einen klaren Verhaltens-

kodex vor. Wer gegen ihn verstößt,

muss mit einer Strafe rechnen, aber

die ist in den Regeln klar festgelegt,

die Einhaltung wird konsequent

beachtet. Höflichkeit und gute

Umgangsformen sind an der Rosen-

steinschule wichtig.

Eine besondere Anerkennung erhielt

die Schule kürzlich mit dem Sonder-

preis „Die gute Idee“ der Alfred-

Toepfer-Stiftung. Prämiert wurde das

Projekt „Freunde schaffen Erfolg“.

Ehemalige Schüler der Rosenstein-

schule mit Migrationshintergrund, die

in der Zwischenzeit erfolgreich im

Beruf stehen, kümmern sich über

zweieinhalb Jahre um die Schüler, die

kurz vor ihrem Abschluss sind.

Hier zählt nicht die LeistungGemeinschaftserlebnis Sport: Fußball im Hallschlag

In der Altenburgschule im Hallschlagkönnen Schüler jeden Freitag ineinem lockeren Rahmen und mit derimmer gleichen Bezugsperson Fuß-ball spielen. Ältere helfen Jüngeren,die Kinder sollen lernen, miteinan-der friedlich umzugehen.

22

Page 14: Integration durch Sport

Kontakt

D as Fußballangebot an der Alten-

burgschule ist kein Leistungs-

sport. Sein Leiter Thomas Krombacher

sagt, dass einige der Schüler, die bei

ihm spielen, sicher in keinem Fußball-

verein unterkommen würden – ihrer

Leistung wegen. Doch Ehrgeiz ist vor-

handen, und so rennen die Fünft- und

Sechstklässler wie wild dem Ball hin-

terher. Gewinnen ist angesagt, es gibt

schöne Szenen und vor allem werden

alle eingebunden – auch die Unsport-

lichen. Und als der Kleinste mit einer

spektakulären Aktion ein Tor erzielt,

nehmen ihn die Größeren in den Arm;

sie wissen, was sie an ihm haben.

Lange habe es gedauert, aber nun

organisiere sich die Gruppe ziemlich

selbstständig, sagt ihr Spielleiter

Krombacher. Die Mitspieler einer

Mannschaft seien jedes Mal schnell

gefunden, und auch der Aufbau klap-

pe reibungslos.

Das Programm „Gemeinschaftserleb-

nis Sport“ initiierten die Stadt Stutt-

gart und der Sportkreis Stuttgart in

ausgewählten Stadtbezirken für Kin-

der und Jugendliche, die nichts mit

ihrer Freizeit anzufangen wissen. In

der Altenburgschule – einer Haupt-

schule – können Kinder jeden Freitag

von 13.30 bis 15 Uhr kicken und so

„angstfrei Sport treiben“, so Kromba-

cher. Wichtig sei dabei, dass eine

feste Ansprechperson das Angebot

leite und die Gruppe einigermaßen

überschaubar bleibe.

Da es relativ früh am Nachmittag

stattfinde, seien die meisten Fußballer

Schüler der Altenburgschule. Dass

andere Kinder mitspielen, komme nur

sporadisch vor. Krombacher legt Wert

darauf, dass die Kinder das Spiel

selbst gestalten und selbst regulieren:

„Viele der Kinder kennen keine nor-

malen Verhaltensregeln. Das beginnt

schon mit dem Begrüßen.“

Ein Ziel ist, die Jugendlichen zusam-

menzubringen, unabhängig von der

sozialen Herkunft, ob mit Migrations-

hintergrund oder ohne. Zwar gebe es,

laut Krombacher, wegen der Nationa-

lität im Normalfall keinen Streit, Span-

nungen seien aber zu spüren, und bei

25

GemeinschaftserlebnisSportThomas Krombacher

Fritz-Walter-Weg 19

70372 Stuttgart

Telefon 0711/2 80 77-657

www.gemeinschaftserlebnis-

sport.de

24Schuss ... und Tor! Wenn der Kleinste im Team trifft, ist das immer etwas Besonderes. So wird man auch von

den Älteren schnell akzeptiert.

Page 15: Integration durch Sport

Auseinandersetzungen spiele die Her-

kunft eine Rolle. Krombacher: „Dann

ziehen die Türken die Griechen auf,

Osteuropäer und Aussiedler streiten

sich mit Schwaben.“ In der aktuellen

Mannschaft spielen 16 Jungen aus

zehn verschiedenen Ländern mit.

Da im Hallschlag auch viele sozial

schwache Familien leben, kommt die-

ses Sportprojekt gerade auch den

Jugendlichen zugute, deren Familie

sich keinen Vereinsbeitrag leisten wol-

len oder können. Für viele ist es die

einzige Gelegenheit, außerhalb der

Schule Sport zu treiben. Der Zugang

fällt leicht, weil das Angebot in der

vertrauten Schulturnhalle läuft. Die

Betreuung setzt dabei nicht nur auf

den Sport, sondern will auch „Team-

fähigkeit, Selbstbewusstsein, Fairness

und soziale Kompetenz verbessern“,

so Thomas Krombacher.

Der Trainer lernt mitSambo-Training beim SV Gold Blau Stuttgart e.V.

In der Vergangenheit blieben Spät-aussiedler in ihren Vereinen oftunter sich. Aber das hat sich geän-dert: Da Sportarten wie der Kampf-sport Sambo immer mehr Menschenanziehen, die kein Russisch können,setzt sich langsam Deutsch alsUmgangssprache durch. So profitie-ren alle, selbst die Trainer, die vonihren Schülern lernen können.

26

Page 16: Integration durch Sport

Kontakt

Sambo stammt ursprünglich aus der

Sowjetunion – Samosaschtschita

Bes Orushia ist die Langform und das

bedeutet: Selbstschutz ohne Waffen.

Erst seit in den neunziger Jahren viele

Spätaussiedler nach Deutschland ka-

men, etabliert sich dieser Kampfsport

auch hier. Die Rote Armee entwickelte

ihn als Nahkampfstil, der SV Gold Blau

trainiert die Wettkampfform, das heißt,

alle Schläge und Tritte fallen weg. Tech-

nisch ähnelt Sambo Judo und Ringen,

die Regeln jedoch unterscheiden sich.

Der SV Gold Blau ist der Sportverein

der Deutschen Jugend aus Russland. In

den Trainingsräumen in einem Feuer-

bacher Gewerbegebiet wird vor allem

Russisch gesprochen – oder Deutsch

mit starkem Akzent. Boriss Malkin,

amtierender Deutscher Sambo-Meister,

gibt beim Training für die Kinder seine

Anweisungen und Tipps auf Russisch.

Die Kleinen können ihn verstehen; sie

beherrschen beide Sprachen gut. Sie

üben Würfe und Beinhebel, die im

Gegensatz zu Judo erlaubt sind. Fällt

jemand, geht es im Bodenkampf wei-

ter.

So sehr Boriss Malkin körperlich

beeindruckt, fühlt er sich doch merk-

lich unsicher, wenn er Deutsch spre-

chen muss. Doch beim Training der

Erwachsenen bleibt ihm gar nichts

anderes übrig, als sich auf die fremde

Sprache einzulassen. Nach und nach

stießen immer mehr Leute zu der

Mannschaft, die kein Russisch ver-

standen. Sie bescheinigen Malkin

heute, dass sich sein Deutsch deutlich

29

Deutsche Jugend aus Russland e.V.Ernst Strohmeier

Landhausstraße 5

70182 Stuttgart

Telefon 0711/2 84 94 80

www.djr-stuttgart.de

28Der Kampfsport Sambo hat vieles mit Judo gemeinsam. Hier bringt Ruslan gerade Scharafutin zu Boden.

Abram guckt noch etwas skeptisch.

Makaev setzt zum Wurf an.

Page 17: Integration durch Sport

Georgios mag keine SchimpfwörterBei der Kinder-Fußball-Akademie ist

gutes Benehmen wichtig

Seit der Weltmeisterschaft im eige-nen Land wollen immer mehr Kinderim Verein Fußball spielen. Die Kin-der-Fußball-Akademie des MTVbringt dem Nachwuchs gleich vonAnfang an bei, dass es nicht nur umKampf und Sieg geht, sondern dassFußball als Mannschaftssportart vorallem auf gute Teamspieler ange-wiesen ist.

verbessert habe. Damit er auch in

Übung bleibt, spricht beispielsweise

Arthur Renz, Präsident des baden-

württembergischen Samboverbandes,

konsequent Deutsch mit Malkin,

obwohl die Kommunikation auf Rus-

sisch einfacher wäre.

Sambo- und Judoverband arbeiten

eng zusammen. Sie organisieren

gemeinsame Lehrgänge, Sambo-

kämpfer haben oft auch einen Gürtel

im japanischen Kampfsport. Immer

mehr Judoka entdecken den Reiz von

Sambo und allmählich verlässt dieser

die russlanddeutsche Nische. Das

zeigt sich auch in der Bundesliga:

Russisch ist längst nicht mehr vorherr-

schend.

Ernst Strohmeier, Geschäftsführer der

Deutschen Jugend aus Russland, ist

froh, dass die Integrationsarbeit neue

Wege geht. Anfangs war der SV Gold

Blau ein reiner Aussiedler-Verein, der

beispielsweise erfolgreich das Projekt

„Boxen im Osten“ organisierte. Dabei

ging es vor allem darum, Russland-

deutsche von der Straße zu holen,

ihnen Freizeitmöglichkeiten zu bieten.

Im Endeffekt blieben die Aussiedler

unter sich. Dies habe sich nicht

bewährt. Strohmeier heute: „Wir

brauchen keine Migrantenvereine,

sondern die Mitgestaltung der Gesell-

schaft ist wichtig. Deshalb freut es

mich, wenn in unserem Verein auch

immer mehr Nichtrusslanddeutsche

mitmachen.“

30

Trainer Boriss Malkin erklärt eine

Sambo-Technik.

Page 18: Integration durch Sport

Kontakt

G eorgios Metaxarakis ist ein lo-

ckerer Typ: Nach zwei Minuten

ist man mit ihm per du, die Einladung

zum Kaffee folgt auf den Fuß. Dass er

die Kinder, die bei ihm trainieren,

wirklich mag, merkt man sofort. Aber

nicht alles sieht er locker: So hat er

etwas gegen Trainer, die rauchend am

Platz stehen und quer über den Platz

schreien und damit kein gutes Vorbild

abgeben, oder Kinder, die sich mit

Schimpfwörtern anpöbeln. Das gibt

es bei ihm nicht.

Der gebürtige Kreter, der mit 23 Jah-

ren nach Deutschland kam und sich

selbst als „halben Schwaben“

bezeichnet, leitet die Kinder-Fußball-

Akademie des MTV Stuttgart. Sie

wurde 1993 gegründet und war die

Erste ihrer Art in Deutschland. Der

Titel „Akademie“ hört sich nach

Leistung und Elite an, aber grundsätz-

lich werden alle Kinder aufgenom-

men, die dort Fußball spielen möch-

ten. Allerdings gibt es unterschiedli-

che Gruppen, so dass jedes Kind sei-

ner Leistungsfähigkeit entsprechend

trainieren kann.

Auch soll die Mischung stimmen.

„Wenn zehn Türken bei mir anfan-

gen, dann kommen die nicht in eine

Mannschaft“, stellt Metaxarakis klar.

So liegt selbst bei der A-Jugend der

Anteil der deutschen Jugendlichen

noch bei 50 Prozent; das ist weit

mehr als bei den meisten Fußball-

vereinen.

Der Sport, sagt Metaxarakis, ist an

einer Fußball-Akademie keineswegs

das Wichtigste: „Erst kommen das

Soziale, die Umgangsformen und die

33

Kinder-Fußball-AkademieGeorgios Metaxarakis

Am Kräherwald 190 A

70193 Stuttgart

Telefon 0711/63 18 87

www.mtv-fussball-

akademie.de

32 Schon bei den Kleinsten wird hart um den Ball gekämpft.

Die Ersatzbank.

Page 19: Integration durch Sport

Gesundheit der Kinder. Wenn dies

alles stimmt, klappt es auch mit der

sportlichen Leistung.“ Weil dies seine

Maxime ist, sucht er auch die Trainer

mit großer Sorgfalt aus. Frühestens

nach einem halben Jahr Probezeit

werden sie übernommen, von einer

benachbarten Sportschule nimmt er

die besten zwei von 22 Absolventen.

„Die Trainer müssen vor allem mit

Kindern umgehen können“, betont

Metaxarakis, „und ein kindgerechtes

Training anbieten.“ Bei den Kleinsten

heißt das, dass auch viel getobt wird.

„Denen können Sie ja noch nicht die

Vierer-Kette beibringen.“ Für die Klei-

nen seien die Trainer natürlich die Hel-

den. „Die schauen sich genau ab, wie

sich einer verhält.“ Das Benehmen der

Kinder untereinander ist Georgios

Metaxarakis wichtig. Lachend erzählt

er, wie Neulinge bei der Akademie,

die andere Kinder beschimpfen, gleich

gewarnt werden: „Psst, Georgios mag

keine Schimpfwörter!“

Auf die Mitarbeit der Eltern legt er

großen Wert, verpflichtet sie auch mal

zu einem Treffen, will wissen, ob die

schulischen Leistungen seiner jungen

Kicker stimmen: „Die Schule ist wich-

tig, und sie geht vor.“Alle Altersgrup-

pen sind in der Akademie vertreten –

die Minis, deren Trikots noch bis zu

den Knien reichen, ebenso wie die A-

Jugend. Seit drei Jahren gibt es eine

Kooperation mit dem VfB Stuttgart.

Die Talente des MTV können probe-

weise zum Nachwuchs des Bundesligi-

sten wechseln. Wer aber dort schei-

tert – und das sind viele – dem stehen

die Türen beim MTV immer offen. Das

schafft Vertrauen.

Internationale Sprache BallettIn Weilimdorf ist der Unterricht

für fast alle erschwinglich

Anca Popescu, einst Solistin desBukarester Opernhauses, hat bei derSportgemeinschaft Weilimdorf eineBallett-Abteilung aufgebaut undgarantiert dort seit über 15 Jahreneine hervorragende Ausbildung. Die Hälfte ihrer Schülerinnen habeneinen Migrationshintergrund, wasdort aber kein Thema ist.

34

Georgios Metaxarakis mit seinen

Minis.

Page 20: Integration durch Sport

Kontakt

I ntegration durch Sport? Aber wir

machen doch gar keine Integrati-

on“, sagt der Leiter der Ballett-Abtei-

lung, Victor Popescu, verwundert und

beweist damit, wie selbstverständlich

hier das Miteinander ist. „Wir fragen

überhaupt nicht, ob jemand einen

Migrationshintergrund hat, schließlich

ist Ballett eine internationale Spra-

che.“ Viele der Mädchen und der

wenigen Jungen, die seine Frau Anca

unterrichtet, sind in Deutschland

geboren, die Eltern stammen häufig

aus anderen Ländern. Eine Rolle spielt

das nicht.

Anca und Victor Popescu kamen vor

über 20 Jahren aus Rumänien nach

Deutschland. Sie war Solistin des

Bukarester Opernhauses, und es war

ihr klar, dass sie dem Ballett auch in

Deutschland treu bleiben würde.

„Wer das Tanzen so liebt wie ich,

kann einfach nicht ohne leben“, sagt

sie. 1990 entschloss sie sich, bei der

SG Weilimdorf eine Ballett-Abteilung

aufzubauen. Da es im Stadtbezirk

kein entsprechendes Angebot gab,

waren die Verantwortlichen im Verein

von der Idee begeistert. Heute unter-

richtet die Diplom-Ballettpädagogin

jede Woche 70 Kinder und Erwachsene.

„Ich bin sehr zufrieden, wie das alles

läuft“, sagt sie. Ihre Schülerinnen

müssen für den Ballettunterricht

lediglich den üblichen Vereinsbeitrag

bezahlen, so dass er auch für jene

erschwinglich ist, die sich keine Privat-

schule leisten könnten. So lassen sich

soziale und ethnische Barrieren ver-

meiden.

Der Unterricht kann neue Welten öff-

nen: Aus reinem Leistungsgedanken

fangen nur wenige das Tanzen an,

häufig geht es um die Freude an der

Bewegung, den Wunsch nach Ele-

ganz. Ballett steigert das Körperbe-

wusstsein, und nebenbei erleichtert es

den Zugang zur klassischen Musik,

die viele Jugendliche sonst gar nicht

kennen lernen würden.

Für Weilimdorf sind die Ballettgrup-

pen auch eine kulturelle Bereiche-

rung, denn häufig treten sie bei

Festen und Veranstaltungen auf.

37

SG WeilimdorfVictor Popescu

Solitudestraße 111

70499 Stuttgart

Telefon 0711/86 52 39

www.sgweilimdorf.de

36Etwa die Hälfte der Mädchen und Frauen, die Anca Popescu in Weilimdorf trainiert, hat einen Migrationshin-

tergrund. Gezählt hat das aber noch niemand.

Page 21: Integration durch Sport

Anca Popescu gelingt es dabei immer,

allen Jungen und Mädchen der Grup-

pe eine Rolle und damit einen eige-

nen Auftritt zu geben. Dies stärkt das

Gemeinschaftsgefühl und die Selbstsi-

cherheit jedes Einzelnen.

Damit die Präsentationen gelingen, hat

Anca Popescu die Eltern – vor allem die

Mütter – mit in die Pflicht genommen.

Zu Anfang nähten diese zusammen

mit ihren Töchtern die Kostüme selbst,

in der Zwischenzeit übernimmt dies

eine Schneiderin, die übrigens aus

Indonesien stammt. Auch für Fahr-

dienste und bei der Inszenierung sind

die Eltern eingespannt. So gelang es,

innerhalb des Stadtbezirks viele Netz-

werke zu knüpfen.

Apropos Netzwerke: Anca Popescu

hat den Kontakt zu Kolleginnen aus

ihrer Profizeit aktiviert, die in der Zwi-

schenzeit Leiterinnen verschiedener

Ballettschulen sind, und kann damit

den Weilimdorfern Kindern ganz

besondere Erlebnisse bieten. Ihre

Gruppen haben bei Austauschpro-

grammen schon Auftritte in Italien

und Frankreich absolviert.

Jeder muss mal pfeifen„Die kleinen Zidanes“: Im Jugendhaus Anna steigt

jeden Freitag ein Fußballturnier

Schiedsrichter zu sein und unpopu-läre Entscheidungen zu treffen, istgar nicht so einfach. Das erfahrendie Fußballer im Jugendhaus Annaschnell, denn jeder muss mal ranund den Unparteiischen spielen. Das kann auch bedeuten, gegen dieeigenen Freunde zu pfeifen. Undwer einmal in der Rolle des Schirisgesteckt hat, ruft beim nächstenMal vermutlich nicht gleich „Schie-bung“.

38

Perfekte Haltung: Anca Popescu

korrigiert die Details.

Page 22: Integration durch Sport

Kontakt

FC Biomüll gegen Aldi Süd: Einfalls-

reich sind sie, die etwa 20 Jungs,

die an diesem Freitag beim wöchentli-

chen Fußballturnier im Jugendhaus

Anna in Bad Cannstatt dabei sind. In

der Veranstaltungshalle wird jeweils

drei gegen drei auf kniehohe Tore

gespielt. Zunächst finden sich die

Teams, und dann geht es auch schon

los. Die Jungs im Alter von zwölf bis

16 Jahren geben alles. Hier schenkt

keiner dem anderen etwas, aber

trotzdem bleiben sie fair.

Der Schiedsrichter ist einer von ihnen.

Jeder muss mal ran und auch die

andere Seite kennen lernen und dafür

sorgen, dass die Regeln eingehalten

werden. Wer eine unpopuläre Ent-

scheidung trifft und deswegen ins

Kreuzfeuer der Kritik gerät, muss das

aushalten und lernt so, wie einsam

sich ein Schiedsrichter fühlen kann.

Droht trotzdem einmal Streit auf dem

Spielfeld, spricht Thomas Eisele, Mit-

arbeiter im Jugendhaus, ein Macht-

wort und entscheidet. Doch das

kommt nicht häufig vor.

„Wir haben einige unglaublich talen-

tierte Jungs dabei“, begeistert sich

Sabri Sakalli, der Leiter des Jugend-

hauses, der vor etwa vier Jahren die

Idee hatte, „Die kleinen Zidanes“ als

Projekt ins Leben zu rufen. Sie enga-

gierten sich sehr, denn ein paar wol-

len Profis werden. Durch die wö-

chentlichen Turniere seien auch jede

Menge Freundschaften entstanden.

Viele Jugendliche hätten sich erst im

Jugendhaus kennen gelernt. Etwa

30 Nationalitäten seien dabei, doch

Sakalli sagt: „Das sind alles Schwa-

ben. Die sehen sich als Cannstatter.

Und wenn wir hier mal kochen, dann

sind die Leibspeisen Maultaschen,

Spätzle und Saitenwürste mit Linsen.

Wegen der Moslems nehmen wir aber

Puten- oder Rindfleisch."

Manchmal kommt es zwischen den

Jugendlichen zu Streitigkeiten, dann

ist auch die unterschiedliche Herkunft

ein Thema. „Natürlich werden wir mit

Vorurteilen konfrontiert“, so Sakalli.

Das könne schon ein anderes Ausse-

hen sein. „Aber die Kinder sollen ler-

nen, dass sich durch Bewegung und

41

Jugendhaus AnnaThomas Eisele

Gnesener Straße 20

70374 Stuttgart

Telefon 0711/52 20 04

www.jugendhaus-anna.de

40Mehmet, Abdi, Serkan, Lokman, Zaim und Ingo (von links) sind regelmäßige Gäste im Jugendhaus Anna. „Das

sind alles Schwaben“, sagt der Jugendhausleiter.

Page 23: Integration durch Sport

durch ein gemeinsames Ziel ethnische

Barrieren überwinden lassen.“Auch

Thomas Eisele betont: „Die sollen sich

auf das Spiel konzentrieren.“ Die ver-

schiedenen Cliquen bildeten sich übri-

gens kaum nach Nationalitäten, son-

dern nach anderen Kriterien, zum Bei-

spiel nach Kleidung.

Die Aufgabe des Jugendhauses sieht

sein Leiter vor allem darin, die Lebens-

qualität der Jugendlichen zu verbes-

sern: „Für einige von ihnen ist Anna

das zweite Zuhause. Sie haben dort

Freiräume, die ihnen im Elternhaus oft

fehlen.“ Neben Fußball werden auch

andere Sportarten angeboten, zum

Beispiel Kickboxen und Tanzen, was

wiederum eher etwas für Mädchen sei.

Thomas Eisele fährt im Sommer mit

dem Fahrrad die verschiedenen Sport-

plätze ab, um auch Jugendliche, die

nicht mit dem Jugendhaus zu tun

haben, für die Turniere zu begeistern.

Wer eins gewinnt, bekommt zum Bei-

spiel Gutscheine für Angebote im

Jugendhaus; das kann dann etwa eine

halbe Stunde kostenloses Surfen im

Internet sein. So sollen die Kinder und

Jugendlichen hier ihren Platz finden,

statt auf der Straße herumzuhängen.

„Wir merken, die Kinder sind dank-

bar“, sagt Eisele. „Sie freuen sich,

dass Erwachsene sie in ihrer Freizeit

anleiten und sich um sie kümmern.“

Vertrauen lernenAmeisenbergschule: Kletterprojekt

verbessert das Schulklima

Einmal in der Woche erobert einekleine Gruppe von Schülern aus derAmeisenbergschule die Kletterhalleauf der Waldau. Der Sport fordertund fördert vor allem die kooperati-ven Fähigkeiten der Schülerinnenund Schüler. Sie müssen ihre Angstüberwinden und sich auf den ande-ren voll verlassen können.

42

Schiedsrichter Abdi entgeht nichts.

Page 24: Integration durch Sport

Kontakt

Ahmet hat sich weit vorgearbeitet:

Jetzt hängt er in zwölf Metern

Höhe an der Kletterwand und weiß

nicht recht weiter. Seine Mitschüler

geben von unten Tipps: „Mit dem Fuß

auf den Tritt rechts oben!“ Leichter

gesagt als getan! Vorsichtig und in

Zeitlupe schafft er es, einen sicheren

Stand zu erreichen, und kommt ganz

oben an der Wand an. Geschafft! Das

Herz klopft – mit deutlich erhöhtem

Puls kann er sich zurücklehnen und

langsam abseilen lassen.

Nach ein paar Sekunden schwebt er

knapp über dem Boden, noch immer

gesichert von zwei Mädchen aus seiner

Klasse. Er weiß, dass er sich auf sie ver-

lassen kann, dass sie auf ihn aufpas-

sen, solange er in der Wand ist und

sein Leben an einem „seidenen

Faden“, den die beiden Schülerinnen

in der Hand halten, hängt. Das Risiko

ist allen bewusst.

Sonja Oßwald leitet die Schüler der

fünften Klasse der Ameisenbergschule,

einer Hauptschule, an. Die Mathema-

tik- und Sportlehrerin ist selbst passio-

nierte Kletterin, und sie freut sich, dass

sie diesen Sport weitergeben kann.

Eine Schülerin aus der neunten Klasse

hilft bei der Aufsicht. Generell wird das

Kletterprojekt für alle Klassen von der

fünften bis zur neunten angeboten.

„Die rennen mir die Bude ein“, sagt

die Lehrerin. Deswegen trainiert sie

eine feste Gruppe für sechs bis acht

Wochen, danach kommt eine andere

an die Reihe. Für die Schüler ist das

Projekt nur mit geringen Kosten ver-

bunden. Tagsüber können sie die Halle

für nur 2,50 Euro benutzen; das ist

weit weniger als der Normalpreis.

Höchstens acht Schüler nimmt sie mit

ins Kletterzentrum – aus Sicherheits-

gründen. Nach einer kurzen Einfüh-

rung geht es dann schnell in die Verti-

kale, denn das Projekt setzt vor allem

auf Praxis. „Beim Klettern sind alle voll

dabei“, so Sonja Oßwald, „und ich

habe das Gefühl, dass sie dabei einen

anderen Umgang miteinander lernen.“

Das ist auch der pädagogische Ansatz:

Jeder lernt, seine Angst zu überwin-

den, lernt seine Fähigkeiten und auch

45

AmeisenbergschuleKarl-Erich Gommel

Ameisenbergstraße 2

70188 Stuttgart

Telefon 0711/216-31 25

www.abs.s.schule-bw.de

44Ahmet hat noch einen weiten Weg zu klettern. Seine Gesundheit hängt davon ab, dass Kristina und Erengül

ihn sorgfältig sichern. Lehrerin Sonja Oßwald (von rechts) kontrolliert, ob alles stimmt.

Page 25: Integration durch Sport

Grenzen kennen, hat Erfolgserlebnisse

und muss sich vollkommen auf einen

anderen verlassen können.

Vor allem wegen zweier Internationa-

ler Vorbereitungsklassen hat die

Ameisenbergschule einen hohen

Ausländeranteil. Kinder, die aus dem

Ausland nach Stuttgart kommen,

werden hier mit speziellen Kursen und

Sprachtraining für die weitere Schul-

laufbahn fit gemacht.

Eine Besonderheit ist die Zusammen-

arbeit mit der John-Cranko-Schule.

Diese international renommierte Bal-

lettschule unterrichtet Schüler aus der

ganzen Welt, die zunächst in der

Ameisenbergschule Deutsch lernen.

Nach etwa einem Jahr wird die Schul-

leistung bewertet, viele wechseln

dann auf andere Schulen.

Gerade bei einer so unterschiedlichen

Schülerschaft fördert der Sport die

Integration untereinander, denn für

ihn sind Sprachkenntnisse nicht nötig.

Deshalb gibt es in der fünften und

sechsten Klasse vier Sportstunden pro

Woche. Auf Schwimmen wird großer

Wert gelegt, vor allem auch, weil die

Ballettschüler keinen anderen Schul-

sport machen dürfen – die Verlet-

zungsgefahr ist für sie zu groß.

Auch die Polizei kickt mit Einmal nachts Fußball spielen:

Neugereut macht’s möglich

Gute Lösungen müssen nicht teuersein: In Neugereut hat allein die Öff-nung einer Schulturnhalle fürJugendliche geholfen, den Kontaktzwischen Jugendlichen, Sozialarbei-tern und der Polizei zu verbessern.Kooperation statt Konfrontation –das funktioniert hier. Das Gefühl,ihre Anliegen werden ernst genom-men, ist den Jugendlichen wichtig.

46

Keine Panik! Auch wenn es anders

aussieht, hat Simone mithilfe von

Sena (von links) alles im Griff.

Page 26: Integration durch Sport

Kontakt

Auf dem Marktplatz in Neugereut

Fußball zu spielen, war keine

gute Idee: empfindliche Lampen,

große Fensterscheiben und natürlich

Passanten, denen das Gekicke auf die

Nerven ging. Eine Clique setzte sich

darüber hinweg, denn, so dachten

ihre Mitglieder, egal, wo sie am spä-

ten Abend spielen, Ärger gibt‘s

immer.

Der Ärger schaukelte sich hoch, Sach-

beschädigungen und Konfrontation

mit der Polizei folgten. Diese erhöhte

den Druck auf die Gruppe, die

Jugendlichen wiederum fühlten sich

provoziert und benahmen sich weiter

daneben.

Den Verantwortlichen war das Pro-

blem klar. Für Kinder gibt es ein

umfassendes Angebot im Stadtteil,

aber eben nicht für Jugendliche und

schon gar nicht abends. Dem sollte

abgeholfen werden. Die Lösung war

einfach: Die Jugendlichen dürfen nun

einmal die Woche spätabends in der

Sporthalle der Jörg-Ratgeb-Schule

Fußball spielen. Die zwei Betreuer der

Mobilen Jugendarbeit und des

Jugendhauses beaufsichtigen das

Fußballspiel, das ist Teil der Abma-

chung, und bekommen richtig guten

Fußball zu sehen. Denn die Jugendli-

chen spielen auf hohem Niveau und

mit vollem Einsatz. Einer hat sogar

schon Angebote aus der Regionalliga

bekommen. „Sie sind gemeinsam

besser geworden“, sagt Susanne Broß

von der Mobilen Jugendarbeit Neuge-

reut.

Mit diesem Projekt werden 40 Jugend-

liche und junge Erwachsene im Alter

von 16 bis 27 Jahren erreicht, Abitu-

rienten ebenso wie Hauptschüler.

15 Nationalitäten kommen hier

zusammen. Ein fester Kern von 15 bis

25 Spielern ist immer dabei. Vor allem

die Fairness beim Umgang der Spieler

miteinander fällt auf.

Das Projekt bringt Leute zusammen,

die sonst nichts miteinander zu tun

hätten – weil der Altersunterschied zu

groß wäre oder die Clique dazwi-

schen stünde. Wer aber mal zusam-

men in einer Mannschaft gekämpft

49

Gesellschaft für MobileJugendarbeit NeugereutIta Meister

Kolpingstraße 62

70378 Stuttgart

Telefon 0711/53 30 94

www.mobile-jugendarbeit-

stuttgart.de

48Aggressionsabbau mal anders: In Neugereut wird hart um jeden Ball gekämpft, aber trotzdem gehen die Spie-

ler sehr fair miteinander um.

Page 27: Integration durch Sport

hat, lernt sich schnell und vorurteils-

frei kennen.

„Die Jugendlichen haben durch das

Projekt das Gefühl, dass sie ernst

genommen werden“, sagt Susanne

Broß. Es habe sich bewährt, den

Jugendlichen entgegenzukommen,

ohne zunächst etwas zu fordern,

ohne Bedingungen zu stellen. Die

Situation in Neugereut hat sich ent-

spannt, und auch das Verhältnis zwi-

schen den Jugendlichen und der Poli-

zei ist besser geworden. Die schaut

immer mal wieder vorbei – aus Inte-

resse am Fußballspiel. Kürzlich trat sie

gegen die jungen Männer an – und

verlor 1:2.

Nachtschicht am KorbStreetball – rasanter und lauter als Basketball

Mitternächtliche Basketball-Turnierehaben in Stuttgart Tradition. ImDezember 2006 wurde in der Tivoli-Sporthalle der zehnte Geburtstaggefeiert. Die Besten der StuttgarterStreetballer trafen sich, um denChampion auszumachen; das Turnierendete mit einer Überraschung.

50

Foul oder nicht Foul – das ist hier die Frage. Die

Mitspieler haben eher eine „Schwalbe“ gesehen.

Page 28: Integration durch Sport

Kontakt

S treetball ist wie Basketball, nur

spielen zwei Mannschaften mit

jeweils drei Spielern auf einen Korb,

was die Sache unheimlich rasant

macht, denn jede Sekunde kann ein

Team punkten. Für die Zuschauer ist

das aus verschiedenen Gründen eine

echte Herausforderung: Da nur ein

Korb gebraucht wird, können mehre-

re Matches parallel laufen. Außerdem

tragen die Spieler keine Trikots; sie

wissen schließlich, wer zu wem

gehört. Das Publikum kann da schon

mal die Übersicht verlieren. Die laute

Hip-Hop-Musik lässt den ohnehin

hohen Adrenalinspiegel weiter stei-

gen, heizt die Stimmung an und treibt

die Spieler vorwärts.

Als Basketball um Mitternacht vor

zehn Jahren startete, sollten vor allem

Jugendliche, die abends herumhingen

und „dummes Zeug“ machten, von

der Straße geholt werden. Das Projekt

war von Beginn an erfolgreich.

Anfangs gab es meist ebenso viele

Zuschauer wie Spieler, die Cliquen

ganzer Stadtteile feuerten ihre Helden

an. „Das Publikum hat sich verän-

dert“, sagt Dominik Hermet, der für

das Gemeinschaftserlebnis Sport die

Turniere organisiert. „Damals ist es

sicher wilder gewesen.“ Über die

Jahre hat sich eine Szene hervorra-

gender Streetball-Spieler etabliert, die

nun etwa alle drei Wochen in ver-

schiedenen Hallen in Stuttgart gegen-

einander antreten.

Heute fällt bei einem Turnier vor allem

die gespannte Nervosität auf. Viele

Jugendliche können trotz demonstra-

tiver Coolness nicht verbergen, dass

ihnen das Gewinnen wichtig ist.

Begrüßungsrituale und Kleidung erin-

nern stark an Hip-Hop-Videos, der

Umgang ist sehr freundschaftlich, die

Mannschaften sind bunt gemischt.

Hauptschüler, Gymnasiasten, auch

Mädchen und junge Frauen sind dar-

unter und viele Nationalitäten, aber es

gibt keine „ethnischen“ Teams.

Wer hier problematische Jugendliche

erwartet, sieht sich getäuscht. Die

Spieler wirken hochmotiviert und

durchtrainiert. „Da sind auch Rowdies

dabei“, sagt Dominik Hermet offen,

53

GemeinschaftserlebnisSportDominik Hermet

Fritz-Walter-Weg 19

70372 Stuttgart

Telefon 0711/28 077-654

www.gemeinschaftserlebnis-

sport.de

52 Die „Fantastic 5“ lassen ihre Gegner alt aussehen. Am Schluss gewinnen sie das Turnier.

Page 29: Integration durch Sport

„aber eben nicht nur. Der Gedanke ist

ja auch, dass die schwierigen Fälle

hier mit anderen, vernünftigen

Jugendlichen zusammenkommen. Sie

sollen lernen, dass Gewinnen wichtig

ist, dass es aber ebenso wichtig ist,

auch verlieren zu können.“

Das Turnier geht los. Die „Fantastic

5“, ein Team aus drei jungen Frauen

und einem männlichen Auswechsel-

spieler, stehen einer reinen Männer-

truppe gegenüber. Klingt ungerecht

und ist es auch – für die Männer: Die

„Fantastic 5“ überrollen ihre Gegner

im Verlauf des Turniers, auch dank der

Unterstützung durch Kosta Karamats-

kos. Der 20-Jährige nahm früher

regelmäßig an den Turnieren teil und

spielt heute professionell beim Basket-

ball-Zweitligisten Kirchheim/Teck. Die

„Fantastic 5“ gewinnen das Turnier.

„Es war vor allem harte Arbeit“, sagt

Karamatskos rückblickend über seinen

Aufstieg zum Profi. Unter den Street-

ballern gebe es einige Jugendlichen

mit viel Talent, die auch schon kurz-

zeitig in professionellen Vereinen ge-

spielt hätten, aber bei den meisten

reichte dann die Disziplin nicht, um im

Profigeschäft zu bestehen, so Werner

Schüle, der Vorsitzende des Sportkrei-

ses Stuttgart.

Stolz sind die Verantwortlichen dar-

auf, dass einige der Jugendlichen das

Organisieren nun selbst in die Hand

nehmen wie bei der Basketball-Reihe

„Tha Shiznit“.

Durchbruch dank „La musica“ „Bewegter Kindergarten“ verbindet Musik und Tanz,

Bewegung und Spaß

Mehrere Bewegungsphasen überden Tag verteilt, jede Woche Sport –in der Kindertagesstätte Sattelstra-ße 73 in Untertürkheim ist diesselbstverständlich. Das tut vor allenKindern gut, die mit der SpracheSchwierigkeiten haben.

54

Page 30: Integration durch Sport

Kontakt

F ür den dreijährigen Marco muss

der erste Tag im Kindergarten die

Hölle gewesen sein: Fremde Kinder,

niemand sprach Italienisch, er bis jetzt

kaum Deutsch und eigentlich wollte

er gar nicht von zuhause weg. Sobald

seine Mutter sich nur ein paar Meter

entfernt hatte, begann der Junge zu

weinen – und das über Stunden.

Die Leiterin der Kindertagesstätte Sat-

telstraße 73 in Untertürkheim, Karla

Ulbrich, hatte das erste Mal seit lan-

gem wieder das Gefühl, ein Kind

würde es nicht schaffen, sich in der

Gruppe zu integrieren. „Ich hätte bei

Marco nicht gedacht, dass er gerne

Musik hört oder tanzt. Er war sehr

ängstlich und reagierte panikartig auf

die anderen Kinder.“

Doch wenn man ihn jetzt – gerade

drei Wochen später – beobachtet,

mag man gar nicht glauben, dass der

Anfang so schwer war: Wenn im Kin-

dergarten die Bewegungsphase

kommt, steht Marco im Mittelpunkt.

Er lacht, singt und tanzt und ist nicht

mehr zu halten.

Was ist passiert? Eines Tages sah

Marco die anderen Kinder beim Tan-

zen – und hörte das erste Mal auf zu

weinen. Gizem, ein türkischstämmi-

ges Mädchen, nahm ihn bei der

Hand, der Knoten war geplatzt. Wenn

Marco heute tanzen möchte, zeigt er

aufgeregt auf den Kassettenrekorder:

„La Musica!“

Bei der dreijährigen Maria, die griechi-

sche Wurzeln hat, lief es andersher-

um. Das lebhafte und sehr neugierige

Mädchen weinte, als sie als Neuling

nicht sofort ihren Stammplatz bei den

Bewegungsspielen bekam. Sie wollte

unbedingt dabei sein. Doch auch bei

ihr dauerte es nicht lange: Wenige

Wochen später tobte sie mit den

anderen Kinder herum.

Hinter alldem steckt natürlich ein pä-

dagogisches Konzept und das mit dem

hübschen Namen „Wie kommt Lisa

nach Pisa?“ Die Lieder, die die Kinder

heiß und innig lieben, verbessern auch

ihre Sprachkompetenz, denn sie lernen

dabei zu zählen, die Wochentage und

die Melodie der Sprache.

57

Forum„Gesunde Stadt Stuttgart“Heinz-Peter Ohm

Bismarckstraße 3

70176 Stuttgart

Telefon 0711/216-55 17

www.stuttgart.de/

gesunde-stadt

56Marco inmitten der anderen Kinder, die während der morgendlichen Bewegungsphase auf dem Boden

„Fahrrad fahren“. Singen und Tanzen verbessert die Konzentration der Kleinen.

Page 31: Integration durch Sport

Damit es nicht langweilig wird, kom-

men immer wieder neue Lieder dazu,

neue „Choreographien“ und ein

neuer Text. In der Kita-Gruppe haben

alle Kinder einen Migrationshinter-

grund, umso wichtiger ist es, dass die

Kommunikation auf Deutsch läuft.

Seit drei Jahren kooperiert die Kinder-

tagesstätte mit dem örtlichen Sport-

verein, dem TB Untertürkheim. Einmal

die Woche geht es in die Sporthalle –

zur „psychomotorischen Bewegungs-

einheit“, in der die Kinder sich bei

Geschicklichkeits- und Koordinations-

spielen austoben können. „Wir haben

deutlich mehr Bewegung im Kinder-

garten als vor vier Jahren“, so Karla

Ulbrich, „und die Kinder sind nach

dem Sport viel konzentrierter.“

Sportlichen Horizont erweiternSport-Spektrum: alle zwei Wochen

eine neue Sportart

Im Gottlieb-Daimler-Gymnasiumkönnen Sechstklässler beim „Sport-Spektrum“ ungewöhnliche Sportar-ten kennen lernen. Der Gedankedabei: Der Kontakt zu den örtlichenSportvereinen soll verbessert wer-den, und die Kinder sollen ihrenHorizont erweitern.

58

Marco und Maria, die beiden

Neulinge im Kindergarten.

Page 32: Integration durch Sport

Kontakt

Fußball, Handball, Basketball – das

sind Sportarten, die die meisten

Schüler kennen. Aber Wasserball,

Hockey und Fechten? Oder gar Akro-

batik in einem Zirkus? Davon haben

sie vielleicht gehört, aber es wohl

kaum ausprobiert. Beim Wasserball

geht es ruppig zu und die Badekap-

pen haben Ohrenschützer, beim

Segeln oder Rudern kann das Boot

schon ganz schön schwanken – neue

Erfahrungen, die das Projekt „Sport-

Spektrum“ ermöglicht. Ungewohnte

Bewegungsabläufe müssen geübt,

neue Regeln gelernt werden. Wer

weiß bei uns schon, wie ein Baseball-

Spiel genau funktioniert?

Die Schüler der sechsten Klassen des

Gottlieb-Daimler-Gymnasiums in Bad

Cannstatt können das Sport-Spek-

trum als AG wählen. Das bedeutet,

dass sie zwei Stunden lang alle zwei

Wochen eine andere Sportart kennen

lernen. Die meisten werden direkt vor

Ort angeboten, manchmal müssen

die Schüler aber auch zu den Verei-

nen. Zurzeit belegen 39 Schülerinnen

und Schüler diese Arbeitsgemein-

schaft, das sind zwei Drittel des Jahr-

gangs. Wer sich einträgt, verpflichtet

sich zur Teilnahme. Dieses Jahr war

die Nachfrage so groß, dass die Grup-

pe geteilt werden musste.

Lutz Arnold, Sportlehrer am GDG und

Vater des Sport-Spektrums, will seinen

Schülern mit der AG Erfahrungen mit-

geben, die sie später vielleicht einmal

nutzen können. Nur wenige Schüler

steigen, nachdem sie eine Sportart

ausprobiert haben, tatsächlich fest in

einem Verein ein. „Dafür gibt es viele

Gründe“, sagt Arnold. „Einige sind

schon fest in einem Sportverein, die

zeitliche Belastung durch das achtjähri-

ge Gymnasium ist hoch, und mancher

möchte seine Freizeit nicht verplanen.“

Kurzfristig, so ist Arnold überzeugt,

hat sich die AG für die Schüler auf

jeden Fall gelohnt: „Zwei Drittel des

Jahrgangs haben zwei zusätzliche und

außergewöhnliche Sportstunden in

der Woche gehabt und damit etwas

gegen das so oft beklagte Bewe-

gungsdefizit getan. Außerdem waren

nicht nur die Sportskanonen dabei,

61

Gottlieb-Daimler-GymnasiumLutz Arnold

Kattowitzer Straße 8

70374 Stuttgart

Telefon 0711/95 28 300

www.gdg-stuttgart.de

60 Beim Wasserballtraining mit dem SV Cannstatt. Die Schüler tragen Badekappen mit Ohrenschützern.

Page 33: Integration durch Sport

sondern auch viele, die sich motorisch

etwas weniger geschickt anstellen.“

Daneben soll das Projekt auch die

Kooperation mit den örtlichen Sport-

vereinen fördern. Diese stellen sich

und ihre Sportarten vor. Die Hoffnung

ist, dass dadurch langfristig auch die

Vernetzung innerhalb des Stadtbe-

zirks verbessert werden kann.

Am Gottlieb-Daimler-Gymnasium

werden 27 „Abstammungsländer“

gezählt, Sprach- und Integrationspro-

bleme gibt es nicht, was sicherlich

auch an der Schulart und ihrem Bil-

dungsniveau liegt.

Als Sport-Gymnasium hat die Schule

eine lange Tradition. Konsequent neh-

men ihre Schüler am Wettbewerb

„Jugend trainiert für Olympia“ teil,

und einige waren auch schon bei

Bundesfinalen dabei. Zurzeit ist die

Basketballmannschaft des Gymnasi-

ums Vizelandesmeister. Bei der Verlei-

hung des deutschen Schulsportpreises

ist das Sportkonzept des Gymnasiums

unter die besten zwölf gekommen.

Für die Schüler, die keine herausra-

genden Sportler sind, hat das Sport-

Spektrum einige Vorteile: „Da kann

jeder etwas finden, bei dem er mit

den anderen mithalten kann oder

sogar besser ist“, sagt Lutz Arnold.

„Beim Rudern brauchen sie Koordina-

tion und Kraft, im Hochseilgarten und

beim Zirkusprojekt Geschicklichkeit.

Da ist für jeden etwas dabei.“

Siegen durch NachgebenEine ganze Klasse lernt in einem halben Jahr

gegenseitigen Respekt

Kämpfen mit festen Regeln, Medita-tion, Rituale – das sind die Bausteinevon „Wertevermittlung und Orien-tierung durch Kampfsport“, kurz:WOK. In der Grund- und Hauptschu-le Gablenberg wird seit Frühjahr2006 damit gearbeitet.

62

Page 34: Integration durch Sport

Kontakt

N ein, ihr werdet unsere Königin

niemals gefangen nehmen!“,

ruft Peter Besenfelder und kniet sich

auf die Matte. Der Polizist vom Polizei-

revier Ostendstraße im Stuttgarter

Osten ist einer der Trainer beim Projekt

WOK. Die gegnerische „Königin“ sitzt

auf der anderen Seite der Judomatten

und muss besiegt werden. Die sieben

Schüler der Klasse 9 b der Grund- und

Hauptschule Gablenberg nehmen den

Kampf auf. Tapfer kämpfen auch die

Mädchen mit, die zunächst den Angriff

stoppen, indem sie sich an den Judoan-

zügen der gegnerischen Jungs festkral-

len. Doch trotz der Unterstützung

durch die Polizei geht diese Runde für

die Mädchen verloren.

Immer eine Klasse, aufgeteilt in Grup-

pen, damit der Gymnastikraum nicht

zu voll wird, hat ein halbes Jahr einmal

wöchentlich Training. Kooperations-

partner dieses Projekts sind das Polizei-

revier Stuttgart-Ost, die Schule, die

Mobile Jugendarbeit Stuttgart-Ost und

das Jugendhaus Stuttgart-Ost. Die Lan-

desstiftung Baden-Württemberg

bezahlte die Trainingskurse für die Aus-

bilder. Kooperationspartner und Spon-

soren stellten das Geld für die Matten,

Ausrüstung und Anzüge bereit. Für die

Schüler entstehen keine Kosten, ledig-

lich ein Pfand für ihre Judoanzüge müs-

sen sie hinterlegen. Die Teilnahme am

Kurs ist Pflicht.

Warum läuft dieses Projekt gerade in

Gablenberg? „Man erwartet immer,

dass es für so etwas einen konkreten

Anlass geben muss“, sagt Eddy Götz

von der Mobilen Jugendarbeit, „aber

das ist nicht der Punkt. Es geht um

Respekt, der vielen Schülern verloren

gegangen ist. Schon ihre Sprache ist

gewalttätig. Wir wollen ihnen beibrin-

gen, sich an klare Regeln zu halten und

Werte zu verinnerlichen.“

Deshalb besteht das Training nicht nur

aus Kampfsport. Zwar lernen die Schü-

ler Elemente aus Judo und Jiu-Jitsu,

aber auch Tai Chi und Meditation sind

im Programm enthalten. Regeln und

Rituale sind wichtig und allein zu ler-

nen, dass man still ist, wenn jemand

spricht, ist für einige Schüler eine He-

rausforderung.

65

Verein Mobile JugendarbeitStuttgart-OstEddy Götz

Hackstraße 89

70190 Stuttgart

Telefon 0711/26 08 77

E-Mail:

[email protected]

www.mobile-jugendarbeit-

stuttgart.de

64 Auch die Mädchen lernen bei dem Projekt, sich zu behaupten und ihre körperliche Kraft einzusetzen.

Page 35: Integration durch Sport

Bei den Entspannungsübungen am

Anfang wird gekichert, was die Trai-

ner mit strafenden Blicken quittieren.

Konzentrierter ist die Mitarbeit bei

Kampftechniken, auch wenn die

Mädchen offensichtlich Hemmungen

haben, körperliche Kraft auszuüben.

Anders bei den Kata, stilisierten

Kampfabläufen gegen imaginäre

Gegner, die synchron ausgeführt wer-

den: Dabei wird geschrieen; auch die

Mädchen sind deutlich zu hören.

Eine Auswertung des Projekts durch

die Fachhochschule Esslingen ergab,

dass besonders die Stillen und Zurück-

haltenden profitierten. Sie bekommen

ein besseres Körpergefühl, können

sich besser wehren und lernen vor

allem, Grenzen zu setzen. Auch das

Schreien bei der Kata wirkt befreiend.

Gerade für die männlichen Schüler ist

es auch eine besondere Erfahrung,

beim Bodenkampf mit Erwachsenen

ihre Kräfte zu messen. „Unter Realbe-

dingungen ist so etwas ja ausge-

schlossen“, sagt der Polizist Besenfel-

der.

Wer das Projekt durchhält und regel-

mäßig, pünktlich und aktiv mitarbei-

tet, bekommt am Schluss ein Zertifi-

kat, das sich auch für Bewerbungen

eignet.

Kicken auf dem SchulhofSchülermentoren als Vorbilder für die Jüngeren

Einmal in der Woche bieten Acht-klässler der Grund- und HauptschuleOstheim für die Grundschüler Fußballtraining an. Jungen undMädchen bolzen gemeinsam aufdem Schulhof. Das Schülermen-toren-Programm stärkt den Zusam-menhalt in der Schule, und die Älte-ren übernehmen Verantwortung.

66

Das Training mit dem Stock verbes-

sert die Geschicklichkeit und die

Konzentration.

Page 36: Integration durch Sport

Kontakt

G udrun Greth gerät richtig ins

Schwärmen, wenn sie von ihren

Schülern erzählt. Drei von ihnen, die

Achtklässler Henok, Faruk und Onur,

haben vor kurzem bei einem Klein-

feld-Fußballturnier den dritten Platz

erreicht und 1000 Euro gewonnen.

Als die Direktorin der Grund- und

Hauptschule Ostheim die Schüler

fragte, was die denn jetzt mit dem

Geld machen wollten, ob es durch

drei geteilt werde oder ein größeres

Fest mit der Klasse geplant sei, ant-

worteten die drei erstaunt: „Wieso,

das ist doch für unsere neue Sporthal-

le.“ Da war Gudrun Greth sprachlos.

Die soziale Kompetenz ihrer Schüler

zeigt auch ein anderes Beispiel: Die

drei waren Mitglied einer Mannschaft,

die bei einem anderen Turnier zwar

den letzten Platz belegte, dafür aber

den „Fair Play“-Pokal bekam.

Henok, Faruk und Onur haben als

typische „Straßenfußballer“ angefan-

gen. Sie spielten in keiner Fußball-

mannschaft, sondern kickten bei

jedem Wetter auf dem Schulhof.

Damit sie ihr Talent weiterentwickeln

können, schlug ihnen Gudrun Greth

vor, sich einem Verein anzuschließen.

Onur und Faruk, deren Eltern aus der

Türkei stammen, spielen in der Zwi-

schenzeit im Fußballverein, Henok –

er wurde in Eritrea geboren – ließ sich

zum Schülermentor ausbilden. Einmal

jährlich bietet das Kultusministerium

im Programm „Schulsportmentoren

Hauptschule“ diese Ausbildung an.

Nachdem die bisherigen Schülermen-

toren die Schule nach der neunten

Klasse verlassen haben, ist Henok nun

als Einziger übrig.

Gudrun Greth wünscht sich für das

nächste Jahr weitere Mentoren, denn

einer allein sei zu wenig, um sich um

die Kleinsten zu kümmern. Gerne

hätte sie auch wieder Mädchen dabei.

Wenn die Mentoren ihre Aufgabe ver-

lässlich erledigen, erhalten sie ein Zer-

tifikat, das sie ihren Bewerbungen

beilegen können.

Die 600 Schüler der Grund- und

Hauptschule Ostheim kommen aus 76

69

Grund- und HauptschuleOstheimGudrun Greth

Landhausstraße 117

70190 Stuttgart

Telefon 0711/26 19 18

www.ghs-ostheim.de

Landesinstitut für SchulsportBaden-Württembergwww.lis-in-bw.de/mentoren

68Faruk, Henok und Onur (von links): Die drei Achtklässler haben 1000 Euro, die sie bei einem Kleinfeld-Fußball-

turnier gewannen, für den Neubau der Schulsporthalle gespendet.

Page 37: Integration durch Sport

verschiedenen Ländern. Mit großem

Einsatz arbeiten Gudrun Greth und ihr

Kollegium daran, den Schülern Werte

mitzugeben und ihnen bei der Inte-

gration zu helfen. Projekte wie „Inspi-

ration Ostheim“ gehören dazu. Hier

erzählen Migranten wie der Rapper

Afrob und der Soulsänger Fetsum, die

beide ihre Karrieren in Stuttgart

begannen, wie sie erfolgreich ihren

Weg gemacht haben. Gemeinsam mit

einigen Schülern nahmen sie einen

Song auf und bereiten zurzeit ein

Theaterstück über Migration vor.

Gudrun Greth möchte, dass sich ihre

Schüler möglichst schon im Grund-

schulalter an Sportvereine binden.

Sie sieht darin eine große Chance,

sich in dieser Gesellschaft zu integrie-

ren. Deswegen bemüht sie sich auch

um erfolgreiche Sportler, die in der

Schule für den Vereinssport werben.

Die Jungs wünschen sich jemanden

vom Fußball-Bundesligisten VfB Stutt-

gart. Absoluter Favorit: Trainer Armin

Veh.

Schule der SporteliteSchickhardt-Gymnasium: Hier ist es schwer,

herausragend zu sein

Für Schüler, die hervorragendeSportler sind, gibt es die „Elite-Schulen des Sports“. Hier werdensie speziell gefördert, die Schulepasst sich den individuellen Bedürf-nissen der Schüler an, wie dasSchickhardt-Gymnasium.

70

Bei dem Fußball-Training für die

Grundschüler sind alle Jungen und

Mädchen dabei.

Page 38: Integration durch Sport

Kontakt

W ie gut Anita Tischtennis spielt,

zeigt sie am besten, wenn sie

gefordert wird. Als ihre chinesische

Trainerin Ma Kun einen scharf gespiel-

ten Ball nach dem anderen knapp

über das Netz spielt, dreht sie richtig

auf. Die Sechstklässlerin mit kambo-

dschanischen Eltern spielt ebenso prä-

zise zurück; es wird ein richtig span-

nendes Match.

Zwei chinesische Tischtennisprofis,

Ma Kun und ihr Lebensgefährte Mu

Hao, trainieren die Tischtennis-AG am

Schickhardt-Gymnasium. Sie spielen

in der Regionalliga für den Sportbund

Stuttgart, ihr Vertrag umfasst auch

den Unterricht hier. Ihre Schülerinnen

und Schüler kommen vor allem aus

der fünften und sechsten Klasse, eini-

ge sind älter, über 30 Prozent haben

einen Migrationshintergrund. Das zei-

gen auch einige selbstbewusst, indem

sie Trikots in den Farben ihrer Natio-

nalmannschaft tragen.

Am Anfang kümmern sich die beiden

Trainer um jeden einzelnen ihrer

Schützlinge. Damit diese die richtigen

Techniken verstehen und auch lernen,

spielen Ma Kun und Mu Hao mit,

indem sie in die Schläger der Schüler

greifen und deren Hand führen. Nach

einigen Ballwechseln stellen sich die

ersten Erfolgserlebnisse ein. Nochmals

die Haltung korrigieren und dann

wird’s ernst: Beim Turnier spielt jeder

gegen jeden, auch die Großen gegen

die Kleinen. Die Anforderung ist hoch,

steigert aber den Lerneffekt.

Für sportlich talentierte Schüler ist das

Schickhardt-Gymnasium eine bevor-

zugte Adresse, denn hier können sie

damit rechnen, entsprechend geför-

dert zu werden. Das gilt auch für die-

jenigen, die nicht den Sportschwer-

punkt wählen und sich ihrer Bega-

bung vielleicht auch gar nicht sicher

sind. Hier wird geschaut, dass sie,

sofern Interesse vorhanden, sich

einem Sportverein anschließen.

1989 gab sich die Schule ein Sport-

profil und Jugendliche, die sich dafür

entscheiden, haben automatisch

Sport als ein Hauptfach. Einige Schü-

ler gehören in ihren Sportarten zu

73

Schickhardt-GymnasiumLudwig Dietzfelbinger

Schickhardtstraße 26

70199 Stuttgart

Telefon 0711/216-85 92

http://server.sgs.s.bw.schule.de

72Die chinesische Trainerin Ma Kun, eine professionelle Tischtennisspielerin, zeigt die richtige Haltung, indem sie

in den Schläger greift. Nach einigen Schlägen sitzt die Technik.

Page 39: Integration durch Sport

75

Landes- oder sogar Bundeskadern.

Denn in „normalen“ Schulen gibt´s

immer wieder Probleme. Häufige

Wettkämpfe und zeitintensives Trai-

ning wirken sich oft auf die schuli-

schen Leistungen aus. An der „Elite-

schule des Sports“ hat man sich da-

rauf eingerichtet. Freistellung für

Wettkämpfe ist hier eine Selbstver-

ständlichkeit. Lernen müssen die

Jungen und Mädchen allerdings auch

hier. Sie pauken den Stoff dann in

ihren freien Minuten im Sportcamp.

In den Hauptfächern geben die Lehrer

so genannten Nachführunterricht,

wenn die jungen Sportler von ihren

Wettkämpfen oder aus Trainingsla-

gern zurück sind. Daneben gehört die

Hausaufgabenbetreuung mit zu ihrem

Programm.

Von der fünften bis zur achten Klasse

sind vier Stunden Sport in der Woche

obligatorisch. Dass hier so viele her-

ausragende Sportler aufeinandertref-

fen, hat für die Sportlehrer einige Vor-

teile: „Wir können mit den Schülern

im Sportunterricht Dinge machen, die

woanders gar nicht möglich sind. Dort

müssen oft erst noch die Grundtech-

niken vermittelt werden, wir arbeiten

hier schon an fortgeschrittenen Takti-

ken“, sagt der Sportlehrer Knut

Radke. „Die Schüler werden von den

anderen mitgezogen und entwickeln

viel Ehrgeiz, denn hier ist es schwer,

herausragend zu sein und mit seinen

sportlichen Leistungen aufzufallen.“

74

Bei den Turnieren spielt jeder

gegen jeden.

Landeshauptstadt Stuttgart

SportamtMarkus Rieger

Telefon 0711/216-85 89

E-Mail:

[email protected]

StabsabteilungIntegrationspolitikMartha Aykut

Telefon: 0711/216-76 40

Fax: 0711/216-5640

E-Mail:

[email protected]

Herausgeberin:

Landeshauptstadt Stuttgart,

Stabsabteilung Kommunikation

Text: Dietmar Gustke

Redaktion: Regina Willner

Fotos: Christian Hass, Horst

Rudel (Seite 7), Britt Moulien

(Seite 19 und 20), Gottlieb-

Daimler-Gymnasium (Seite 60)

Gestaltung: Uli Schellenberger

© Januar 2007

Ansprechpartner

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