ips-preprints annual 1990 no. 2
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1Title:
Charles Sanders Peirce: Die pragmatische Theorie der Erkenntnis
Author:
Gerhard Schurz
IPS-PREPRINTS
Annual 1990 No. 2
Edited by Gerhard Schurz und Alexander Hieke
Vorveröffentlichungsreihe am Institut für Philosophie der Universität Salzburg
Prepublication Series at the Department of Philosophy, University of Salzburg
2GERHARD SCHURZ
CHARLES SANDERS PEIRCE:DIE PRAGMATISCHE THEORIE DER ERKENNTNIS
INHALT:1. Einleitung und Kurzbiographie2. Das pragmatische Kernsystem: "The Fixation of Belief" und "How to Make Our IdeasClear"2.1 Pragmatisches Erkenntnisziel, Methodenthese und Theorie-Praxis-These2.2 Die pragmatische Maxime2.3 Die pragmatische Definition der Wahrheit und der Realität2.4 Eine erste Übersicht und vier verbleibende Fragen3. Ethische Fundierung: Das Verhältnis von Wissenschaftstheorie und Ethik3.1 Die Rolle der Zwecke in der pragmatischen Maxime: experimentalistische und praktikalistischeVersion3.2 Wissenschaftstheorie und Ethik im Kontext des Peirceschen Gesamtsystems3.3 Wissenschaftstheorie als Methodenwissenschaft: Deduktion, Induktion und Abduktion3.4 Zwei ethische Voraussetzungen der Theorie-Praxis-These3.5 Das 'Geheimnis des Pragmatismus': der ethische Theorie-Praxis-Parallelismus3.6 Die normative Einbettung der Wissenschaftstheorie in die Ethik und die Begründung der Theorie-Praxis-These3.7 Eine zweite Übersicht4. Ontologische und methodologische Fundierung: Realismus und Empirismus4.1 Die Irreduzibilität des kontrafaktischen Konditionals in der pragmatischen Maxime und derModalitätenrealismus4.2 Die Ontologie der Erstheit, Zweitheit und Drittheit4.3 Der Empirismus und der empiristische Realitätsbegriff4.4 Die Synthese des empiristischen und des pragmatischen Realitätsbegriffs: Realität alsDispositionsbegriff4.5 Die Fundierung des Modalitätenrealismus durch den Hyperempirismus4.6 Abschließende Übersicht
1. Einleitung und Kurzbiographie1
"Die Wahrheit unserer Erkenntnis liegt in ihrer praktischen Nützlichkeit" - so
lautet die überwältigend simple These, die man populärphilosophisch mit der
Strömung des "Pragmatismus" verbindet. Im Gegensatz dazu hat ihr Begründer,
Charles Sanders Peirce, wohl eines der schwierigsten philosophischen Systeme
des 19. und 20. Jahrhunderts errichtet. Mit der erwähnten populärphilosophischen
These hat es in etwa so viel zu tun, wie Einsteins allgemeine Relativitätstheorie
mit der Behauptung, alles sei relativ. Dementprechend hat der spätere Peirce sich
von jenen Philosophen, wie William James, Ferdinand C. S. Schiller und John
Dewey, distanziert, die seinen Pragmatismus populär gemacht und ihn zugleich in
die erwähnte Richtung hin simplifiziert hatten2. Um diese Abgrenzung öffentlich zu
1 Anmerkung zu Peirce-Quellenangaben. Beispiel: [1905a] CP 5.414, [A] 432f bedeutet: eshandelt sich um die Schrift '[1905a]' (s. Literatur); Quelle in Band 5 der Collected Papers,Paragraph 414; deutsche Übersetzung in '[A]' (s. Literatur), Seite 432f. Alle Peirce-Zitateerfolgen in deutscher Sprache; falls keine Übersetzung zitiert wird, stammt die Übersetzungvom Autor. Nur wichtige Peirce-Schriften sind in der Bibliographie mit Jahresangabe angeführt;auf andere Peirce-Quellen wird durch direkte CP-Angabe verwiesen.
2 [1902a], CP 5.3, [A] 316; [1903a] CP 5.17, [A] 338f; [1905a] CP 5.414, [A] 432f; CP 8.239, [A]570f.
3dokumentieren, gab er seinem Pragmatismus sogar den neuen Namen
"Pragmatizismus" ([1905a] CP 5.414, [A] 432f). Der Vermeidung von
Häßlichkeiten halber sei aber im folgenden weiterhin vom 'Peirceschen
Pragmatismus' gesprochen.
Peirce vertrat alle 'guten alten' Ideen, die die Substanz des abendländischen
Geistes auf der Stufe seiner Zeit ausmachten. Als theoretischer Logiker und
praktizierender Experimentalwissenschaftler in einem, vertrat er mit Emphase den
Fortschritt in der Vernunft, den die exakten logischen und experimentellen
Methoden der Wissenschaften ermöglichten. Als Bewunderer von Duns Scotus,
des 'doctor subtilis' der Scholastik, hielt er unbeirrt fest an einem objektiven
Begriff von Wahrheit und Realität, gipfelnd in seinem Universalienrealismus. In
seinem Herzen schließlich ein Aufklärungsphilosoph Kantischer Prägung, baute er
seine philosophische Ethik auf den höchsten Wert einer sich zur Vernünftigkeit hin
entwickelten Menschheit auf. Alles dies klingt völlig 'unpragmatisch', gemessen
am 'Populärpragmatismus'. Was Peirce originell macht, sind weniger seine Thesen
als die Begründungen seiner Thesen. Sein tiefstes Anliegen - und hierin sieht er
das "Geheimnis des Pragmatismus" ([1903a], CP 5.130, [W] 169) - war es, die
Ideen von objektiver Vernunft und Wissenschaft in eine Einheit zu bringen mit der
menschlichen Handlungs- und Lebenspraxis. Sein philosophisches System will
einen umfassenden Sinnzusammenhang liefern, der weit genug ist, um das ganze
Lebensspektrum zu erfassen, aber streng und tief genug, um wissenschaftliche
Vernunft als seine Krone zu tragen.
Für unsere heutige Zeit des Auseinanderfallens von Wissenschaft und
Lenenspraxis ist dieser Syntheseversuch von Peirce, und die Frage seines
Gelingens, zweifellos höchst aktuell. Peirce wollte die theoretisch-methodischen
Konzepte wissenschaftlichen Denkens nicht, wie in so vielen philosophischen
Systemen, auf gewisse abstrakte und nicht weiter hinterfragte Postulate, wie die
der objektiven Realität und der Wahrheit, zurückführen, sondern sie in ihrer
Bedeutung für die menschliche Praxis erklären. Jede abstrakte These, soll sie
überhaupt sinnvoll sein, muß letztendlich in irgendeiner aufweisbaren Beziehung
zum menschlichen Leben stehen. Das heißt keinesfalls, daß das Wahre immer das
Nützliche sein muß. Im Gegenteil betont Peirce, wie im übrigen jeder 'orthodoxe'
Wissenschaftler, daß sich Wissenschaft primär mit unnützen Dingen beschäftigt
([1896], CP 1.75; [1898], CP 619). Um zur objektiven Wahrheit zu gelangen, muß
Wissenschaft von allen subjektiven Interessen abstrahieren. Doch die gesell-
schaftliche Entfaltung dieses objektivierenden Denkens ist unter allem, was die
Menschheit überhaupt zustande gebracht hat, das Nützlichste, und letztendlich
auch das ethisch und ästhetisch Bewundernswerteste. Das war Peirce'
Überzeugung, und sein ganzes Werk zielt schlußendlich darauf ab.
Charles Sanders Peirce, geboren 1839 in Cambridge (Massachusetts) geboren,
4entwickelte sehr früh eine vielseitige geistige Begabung.3 Mit 8 Jahren erwachte
Peirce' Interesse an Chemie, jenes Fach, in dem er 1862 den Master of Arts
absolvierte. Sein Vater, ein angeseheher Mathematikprofessor, machte ihn ab
dem 16. Lebensalter mit den Klassikern der Philosophie vertraut. Zugleich ent-
wickelte der junge Peirce sein ausgeprägtes Talent für Logik, mit deren Fragen er
sich Zeit seines Lebens beschäftigte. Kant's Kritik der reinen Vernunft nennt
Peirce die 'Muttermilch seiner Philosophie', deren Einfluß jedoch, wie er schreibt,
im Lauf der Jahre auf 'kleine Dimensionen' zusammenschmelzen sollte ([1909],
[A] 143).
Seiner Vielseitigkeit entsprechend betägtigte sich Peirce bis etwa 1890
zugleich als Naturwissenschaftler, Logiker und Philosoph. So war er von 1861 bis
1891 Angestellter des Küsten- und Landvermessungsamtes, ohne diesen Beruf
allerdings ständig auszuüben. An der Harvard Universität hielt er zwischen 1864
und 1870 Vorlesungen über Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie;
vorübergehend nahm er auch eine Assistentenstelle für Astronomie ein. Peirce
philosophische Frühschriften, insbesondere [1867], [1868 a,b,c] und [1871], fallen
in diesen Zeitraum. Sie enthalten bereits wesentliche Grundelemente seines
Pragmatismus. Die eigentliche Geburtsstunde des Peirceschen Pragmatismus
aber ist die Zeit von 1872-73, als Peirce zusammen mit anderen Wissenschaftlern
in Cambridge regelmäßig einen philosophischen Diskussionszirkel abhielt - den
'Metaphysical Club'. 1873 trug dort Peirce seine Ideen zusammenfassend und
unter der von ihm eingeführten Bezeichnung "Pragmatismus" vor. Der Inhalt
dieses Vortrags, am getreuesten in dem Manuskript [1873] enthalten, wurde von
Peirce dann weiterentwickelt zu seinen zwei populärsten - und bedauerlicherweise
auch am meisten mißverständlichen - Pragmatismusdarstellungen [1877] und
[1878a] (im Rahmen der Artikelserie [1877], ]1878 a-d]).
1879 gelang es Peirce, eine Stelle an der philosophischen Abteilung der John
Hopkins Universität einzunehmen. Sein logisch-philosophischen Genius war
damals bereits über die Grenzen der Universität hinaus bekannt war. Dennoch
wurde aus Gründen, die in sein Privatleben hineinspielten und bis heute
undurchsichtig sind, seine Anstellung 1883 gekündigt, was seinem Leben eine
tragische Wendung gab. 1991 zog er mit seiner zweiten Frau nach Milford
(Pennsylvania), wo seine finanzielle Situation wurde zunehemd schlechter wurde.
1903 verschuf ihm William James - sein lebenslanger Freund und philosophischer
Kontrahent - die Möglichkeit zu Vorlesungen am Lowell Institut in Boston und an
der Harvard Universität. Peirce starb 1914 an Krebs; er arbeitete bis zuletzt.
Seine gereiften philosophisches Arbeiten entstammen aus der Zeit nach 1900;
etwa die Pragmatismus-Vorlesungen [1903a] und weitere Arbeiten zum
Pragmatismus ([1905a,b], [1905c,d], [1907], u.a.). Peirce verfaßt in dieser Zeit
3 Ausführliche Peirce-Biographien finden sich in Murphey (1961) und Walther (1989).
5Schriften zu allen Themen der Philosophie; was ihm vorschwebte, war ein
zusammenhängendes philosophisches System. Doch aufgrund seines Naturells
und der Umstände schrieb Peirce seine Ideen sehr unsystematisch nieder,
weshalb der Großteil des Peirceschen Systems nur in Fragmenten vorliegt, was
die Interpretation beträchtlich erschwert.
Charles Sanders Peirce hat die Blüte seines philosophischen Werkes nicht
mehr erlebt. Erst 1931-35 erschien die von Hartshorne und Weiss herausgege-
bene sechsbändige Peirce-Ausgabe, die Collected Papers, welche 1958 durch zwei
weitere von Burks herausgebenene Bände ergänzt wurde. Diese Ausgabe
präsentiert Peirce' wichtigste philosophische Schriften in systematischer, nicht
chronologischer Ordnung. Seit 1966 gibt es an der Harvard Universität, welche
auch Peirce' Originalmanuskripte besitzt, eine unter der Leitung von Fisch
erstellte Mikrofilm-Edition der Peirceschen Manuskripte. An einer 20-bändigen
chronologisch-kritische Peirce-Gesamtausgabe wird erst seit einigen Jahren gear-
beitet. Die philosophische Auseinandersetzung mit Peirce erfaßte im anglosächsi-
schen Raum seit Beginn der 40er Jahre breitere Kreise (s. Literaturanhang). Bis
zur Mitte der 60er Jahre hatte Peirce allmählich den Rang eines der berühmtesten
amerikanischen Philosophen eingenommen, was sich 1965 in der Gründung einer
eigenen Peirce-Zeitschrift, Transactions of the Charles S. Peirce Society, nieder-
schlug. Zur gleichen Zeit begann auch im deutschsprachigen Raum eine lebhafte
und bis heute anhaltende Auseinandersetzung mit Peirce (s. Literaturanhang).
Dennoch liegt bis heute nur ein geringer Teil der Peirceschen Schriften in deu-
tscher Übersetzung vor (s. Literaturanhang).
Peirce Werk enthält eine imponierende Fülle zukunftsweisender Einzelideen.
Im folgenden geht es uns jedoch um eine Rekonstruktion des Peirceschen
Gesamtsystems. Weil Peirce' Philosophie ein gewaltiger Syntheseversuch war,
ist es nicht verwunderlich, wenn heute verschiedenste philosophische Richtungen
Peirce als einen der ihren auszuweisen suchen. Die Versuche, den Peirceschen
Pragmatismus als Spielart anderer philosophischer Strömungen auszuweisen,
reichen von der Buchlerschen Deutung als Empirismus bis hin zur Apelschen
Interpretation als Abkömmling Kantischer Transzendentalphilosophie. Wir
glauben dagegen, daß der Peircesche Pragmatismus als eigenständiges philoso-
phisches System aufzufassen ist, welches jedoch nicht in einer simplen Formel
besteht, sondern aus mehren untereinander vernetzten Teilen, die wir im
folgenden herauszuarbeiten versuchen. Im Kern dieses Systems steht der
Pragmatismus, den Peirce als die bedeutendste Frucht seiner Arbeiten ansah
([1907], CP 5.469, [A] 507). Wir beginnen mit einer systematischen Darstellung
des pragmatischen Kernsystems, so wie es in den beiden populären Aufsätze
[1877, 1878 a] und in anderen signifikanten Schriften dieser Periode enthalten ist.
62. Das pragmatische Kernsystem: "The Fixation of Belief" und "How to
Make Our Ideas Clear"
2.1 Pragmatisches Erkenntnisziel, Methodenthese, und Theorie-Praxis-These
Die Überlegungen der Arbeit [1877] kreisen um eine zentrale Ausgangsfrage,
die erst im Abschnitt IV deutlich wird: was ist das Ziel der Erkenntnissuche?
(bzw. des "Forschens", wie Peirce sagt; CP 5.374f, [A] 157). Die Vorgabe einer
solchen obersten Erkenntnisnorm, der Erkenntnis zu dienen hat, ist letztlich
natürlich bestimmend für alles, was man zur Richtigkeit oder Unrichtigkeit von
Erkenntnismethoden sagen kann. In der traditionellen Philosophie wird diese
Frage zumeist als von vornherein beantwortet angenommen durch die
selbstverständliche Ausgangsprämisse, das Ziel der Erkenntnissuche sei Wahr-
heit. Doch was ist Wahrheit? Gerade die Undurchsichtigkeit und Praxisferne der
traditionellen Wahrheitsdefinitionen ist ja, wie wir noch sehen werden, ein
Hauptkritikpunkt des Pragmatismus. So stellt sich Peirce diese fundamentale
Frage von neuem, und versucht, in ihrer Beantwortung von vornherein jene
Mängel traditioneller Philosophien zu vermeiden.
Die Antwort, die Peirce gibt, ist zunächst schockierend: Ziel der Erkenntnis-
suche ist nichts anderes als unsere Meinung festzulegen, was soviel heißt wie zu
einer festen Überzeugung zu gelangen. Man wird einwenden: das kann doch
unmöglich alles sein; die Meinung festlegen kann man auch, indem man sich etwas
hartnäckig genug einredet; was bloße Meinung von Erkennntis unterscheidet ist
doch gerade, daß letztere nicht bloß geglaubt wird, sondern auch wahr ist. Doch
halt! - schon haben wir wieder den verfänglichen Begriff der Wahrheit
eingeschmuggelt. Sehen wir zunächst zu, was Peirce mit 'Festlegung unserer
Überzeugung' eigentlich meint.
Eine Überzeugung, sagt er, ist weit mehr als eine bloß akademische These, die
man, nach Laune, einmal vertritt, das andere mal nicht. Sie ist etwas, wonach man
zu handeln bereit ist. Dabei muß uns eine Überzeugung keinesfalls sofort zu einer
Handlung veranlassen; sie bezieht sich auch nicht nur auf eine bestimmte,
singuläre Handlungssituation. Eine Überzeugung äußert sich in einer allgemeinen
Handlungsdisposition, einerVerhaltensgewohnheit bzw. Verhaltensregelmäßigkeit,
derzufolge wir unter all jenen Umständen und Zielsetzungen, wofür die
Überzeugung von Relevanz ist, gemäß der ihr folgenden Handlungsmaxime zu
handeln bereit sind.4 Sind wir beispielsweise davon überzeugt, daß Lob
lernförderlicher ist als Tadel, so müßten wir in allen Situationen, wo wir eine
Lehrerrolle einnehmen und die Ziele des Lehrers verfolgen, den Schüler durch Lob
statt durch Tadel zu verstärken versuchen. Andernfalls handelt es sich um keine
4 Vgl. [1877] CP 5.370-73, [A] 156f; ebenso [1878a] CP 5.394-398, [A] 187-192.
7echte Überzeugung.
An die bisherige Peircesche Charakterisierung einer 'Überzeugung' könnten wir
zwei kritische Fragen anschließen: Erstens, wenn jede Überzeugung in einer
Handlungsdisposition besteht, wie steht es dann um Überzeugungen, die keine
Handlungsrelevanz besitzen? Richtig geschlossen - hier liegt die Pointe des
Pragmatismus: eine Überzeugung, die überhaupt keine Handlungsrelevanz besitzt,
unter keinen zumindest möglichen Umständen, ist ohne Bedeutung. Zweitens,
unsere Überzeugungen können unser Handeln nur anleiten, wenn wir überlegt und
willentlich, im Sinne rationaler Wesen, handeln, und nicht von Instinkten und
Leidenschaften gegen unsere Vernunft getrieben werden. So kann ich als Lehrer
durchaus 'echt' davon überzeugt sein, daß Lob lernförderlicher ist als Tadel, und
dennoch in einem Anflug von Zorn dazu getrieben werden, meine Schüler zu
tadeln. Wieder richtig geschlossen: wie sich der spätere Peirce klarmachen wird,
ist praktische Rationalität ein tragender Wert seines Systems, sodaß seine
Definition von 'Überzeugung' nicht als psychologische Beschreibung des Durch-
schnittsmenschen, sondern als normative Charakterisierung rationaler Menschen
aufzufassen ist.5
Wir wissen nun, was eine Überzeugung ist; wann aber ist eine Überzeugung
fest ? Was Peirce hierzu in [1877, CP 5.375, [A] 157) sagt, klingt viel zu beiläufig,
um in seiner Tragweite gleich erkannt zu werden: wir würden nämlich nur dann
eine Überzeugung als fest annehmen, wenn wir zugleich davon überzeugt sind,
daß die in ihr enthaltenen Handlungsanweisungen tatsächlich zur Befriedigung
unserer Wünsche führen werden. Sobald wir erfahren, daß eine unserer
Überzeugungen nicht zum erwarteten Handlungserfolg führt, wird diese
Überzeugung vom entgegengesetzten Zustand, dem Zweifel, abgelöst, und unsere
Suche nach einer neuen, besseren Überzeugung muß aufs Neue beginnen. Eine
Überzeugung ist also nur dann fest, wenn sie unser Handeln so anleitet, daß es
seine Ziele tatsächlich erreicht. Das Peircesche Erkenntnisziel ist also alles
andere als 'gering', wie wir eingangs entrüstet glaubten - ist es eigentlich nicht das
Maximale, wonach wir trachten können? Doch noch immer sträubt sich in uns
etwas: es kann doch sein, daß ein Mensch sein Leben lang felsenfest von einer
Meinung überzeugt ist - z.B. daß es in seinem Land keine Erdbeben gibt, weshalb
er sein Haus nicht erdbebensicher baute - welche sich nach seinem Tode doch als
falsch herausstellt, sprich zum Einsturz seines Hauses führt, worunter allerdings
nicht mehr dieser Mensch, sondern nur mehr seine Kinder leiden werden. Die
Meinung dieses Menschen war dann doch sicher falsch; müßte man aber nach
Peirce nicht sagen, dieser Mensch hätte mit dieser Meinung Zeit seines Lebens
5 Vgl. auch [1903a], CP 5.28, [A] 340, wo sich Peirce gegen seine frühere psychologischeCharakterisierung von "Überzeugung" abgrenzt und die logisch-normative Grundlage diesesBegriffs betont.
8das Erkenntnisziel erreicht? Nein, denn Peirce dehnt das Ziel der festen
Überzeugung, wie wir gleich sehen werden, auf die gesamte Menschheits-
geschichte aus. Das, was Peirce unter einer ideal festen Überzeugung versteht, ist
eine, die sich die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch als stabil erweist.
Zugleich aber betont Peirce, daß für jeden Satz, mögen wir derzeit noch so fest
von ihm überzeugt sein, die Möglichkeit besteht, späterem Zweifel ausgesetzt zu
sein.6 Daraus folgt, daß unsere faktischen gegenwärtigen Überzeugungen immer
nur als 'vorläufig', nie als 'entgültig' fest angesehen werden können. Peirce vertrat
damit einen Fallibilismus, ganz im Sinne Poppers, von dem später noch die Rede
sein wird.
Peirce konfrontiert nun sein Erkenntnisziel mit dem klassischen Konzept der
Wahrheit. Er sagt, wer mit diesem Erkenntnisziel nicht zufrieden ist und verlangt,
unsere Überzeugung sollten über die Eigenschaft, langfristig stabil und praktisch
erfolgreich zu sein, hinaus , auch noch wahr sein, leide unter Einbildungen. Das
einzige, was man sagen kann, sei, daß wir nach Überzeugungen suchen, die wir -
langfristig und stabil - für wahr halten; aber dies sei eine bloße Tautologie, denn
wir halten jede unserer Überzeugungen für wahr ([1877, CP 5.375, [A] 157f). Ein
darüber hinausgehender Wahrheitsbegriff sei dagegen sinnlos, und erzeuge
lediglich Verwirrungen.
Nachdem das Erkenntnisziel abgesteckt ist, stellt Peirce sich die nächste
Frage: welche Erkenntnismethode ist es, die dieses Erkenntnisziel am ehesten,
oder besten, erreicht? Peirce diskutiert vier Methoden, in einer witzigen,
argumentativ allerdings unbefriedigenden Weise. Die erste Methode, die der
Beharrlichkeit - auch die 'Vogel-Strauß'-Methode - besteht einfach darin, seine
Meinung zu konservieren, indem man die Augen schließt, sprich jeden gegensätz-
lichen Einfluß von sich fernhält (sei es auch auf Kosten des eigenen Lebens). Als
Hauptgrund gegen diese Methode führt Peirce den Trieb zur Gemeinschaft an,
welcher jedem Menschen eigen ist - also das Bedürfnis, mit anderen Menschen zu
kommunizieren und die Meinung mit ihnen in Übereinstimmung zu bringen. Auch
erwähnt er nebenbei, daß diese Methode langfristig die menschliche Gattung
zerstören könnte ([1877], CP 5.377-8, [A] 159-161). Die nächste Methode,
welche Peirce unter Hinweis auf das mittelalterlich-kirchliche Glaubenssystem
bespricht, ist die Methode der Autorität , also der Fixierung einer sozial
verbindlichen Ideologie durch Gewalt oder Manipulation. Auch diese Methode
kann auf lange Sicht nicht wirklich unsere Wünsche befriedigen, wie Peirce
aufgrund verschiedener offensichtlicher Gründe ausführt; zudem könne keine
Ideologie langfristig das Auftauchen von weitsichtigeren und geistig
opponierenden Individuen verhindern (]1877], CP 5.379-81, [A] 161-4). Die dritte
Methode ist die Apriori-Methode, womit Peirce die Methode der traditionellen
6 Vgl. die 1893 hinzugefügte Anmerkung 26, [1877], CP 5.376, [A] 177.
9Philosophie meint, dasjenige, was uns die eigene Intuition als unbezweifelbar
bzw. notwendig einflößt, als apriorische Wahrheit anzusehen. Doch daß uns etwas
als notwendig erscheint, ist - wie Peirce in Auseinandersetzung mit Kant und
Leibniz erläutert7 - nicht im geringsten ein Grund für seine Wahrheit. Ein solcher
Grund kann überhaupt nicht 'drinnen', im "Oberstübchen des Schädels", sondern
nur 'draußen', in der Erfahrung gewonnen werden.
Die Apriori-Methode, so fährt Peirce fort, führt aufgrund ihres subjektiven
Charakters nur zu einem Chaos verschiedener Meinungen, somit infolge des
'sozialen Triebs' der Menschen nicht zu einer Festlegung unserer Überzeugung,
sondern zum Zweifel ([1877], CP 5.383, [A] 165f). Hier kann uns nur die vierte
Methode heraushelfen, um die es Peirce letztlich geht: die Methode der Wissen-
schaft. Peirce' Arbeiten zur wissenschaftlichen Methode können sich, das sei hier
vorweggenommen, durchaus an den Standards moderner Wissenschaftstheorie
messen. Was Peirce an dieser Stelle jedoch dazu ausführt, ist spärlich und zudem
sehr mißverständlich. Die grundlegende Arbeitshypothese der Wissenschaft
besage, es gäbe etwas von unseren Meinungen Unabhängiges, 'Reales', welches
auf unsere Sinne nach regelmäßigen Gesetzen einwirkt. An eben diesen Sinnes-
daten überprüft die wissenschaftliche Methode ihre Hypothesen, und kann so der
Subjektivität, die allen anderen Methoden anhaftet, entrinnen. Nur die
wissenschaftliche Methode kann eine stabile Unterscheidung zwischen dem
Wahren und dem Falschen liefern; nur sie führt langfristig dazu, daß unsere
Meinungen mit den realen Tatsachen übereinstimmen ([1877], CP 5.384-5, [A]
166-8).
Peirce' Ausführungen leiden an drei gravierenden Mängel. Erstens ist der
Begriff des Realen, wie ihn Peirce hier einführt, sehr mißverständlich: es klingt, als
fasse Peirce Realität im traditionell-metaphysischen Sinn, als eine
außermenschlich existierende Entität auf, die schlicht vorausgesetzt wird.
Tatsächlich korrigiert sich Peirce in derselben Passage, wenn er bemerkt, daß die
Wissenschaft strenggenommen keinen Beweis für die Existenz einer solchen
Realität liefern kann (CP 5.384, [A] 167). Was Peirce, wie der anschließende
Aufsatz [1878a] klarstellt, mit "Realität" eigentlich nur meint, ist folgendes: wenn
wir unsere Meinungen auf die Erfahrung beziehen, so zeigt sich, daß darin etwas
enthalten ist, was von subjektiven Einzelmeinungen unabhängig ist, also
Objektivität im Sinne von Intersubjektivität ermöglicht. Dieser empirische
Moment der wissenschaftlichen Methode ist zweifellos der entscheidende Punkt,
auf den es Peirce im gesamten Artikel [1877] ankommt. Hier sind wir aber schon
beim zweiten Mangel: Peirce gibt keine wirklich befriedigende Begründung dafür,
warum gerade die empirisch-wissenschaftliche Methode als einzige unsere
Meinungen erfolgreich festzulegen vermag. Seine historischen Hinweise auf die
7 S. 1878a], CP 5.382, [A] 178-80, Anm. 30, und [1877], CP 5.392, [A] 184.
1 0Erfolge der Naturwissenschaften reichen als Begründung allein nicht aus, und das
grundsätzliche Argument, demzufolge die empirische Methode Intersubjektivität
garantiert, wird viel zu wenig ausgeführt. Drittens schließlich müssen wir uns
daran erinnern, daß nach Peirce eine langfristig feste Überzeugung die Eigenschaft
haben muß, auch langfristig unsere praktischen Wünsche zu befriedigen. Zugleich
sagt er, sie könne nur durch die wissenschaftliche Methode gefunden werden. Daß
nun aber die aufgrund der wissenschaftliche Methode gefundenen Überzeugungen
langfristig auch am besten unsere praktischen Wünsche befriedigen, ist doch
keineswegs selbstverständlich, sondern bedarf einer Begründung, die uns Peirce
weitgehend schuldig bleibt.
Fassen wir zusammen: In [1877] entwickelt Peirce drei Kernelemente seines
Systems: (1) Die Festlegung des Erkenntnisziels als langfristig stabile
intersubjektive Überzeugung, welches wir als das pragmatische Erkenntnisziel im
weiten Sinne (iwS) bezeichnen. (2) Die These, daß nur die wissenschaftliche
Methode es erreichen kann, welche wir die pragmatische Methodenthese nennen.
(3) Die These, daß die durch die wissenschaftliche Methode gefundenen
Überzeugungen zugleich unsere praktischen Wünsche am besten befriedigen,
welche wir die pragmatische Theorie-Praxis-These nennen. Während (1) recht
plausibel ausgeführt wird, sind betreffend (2) und (3) erhebliche
Begründungslücken offengeblieben.
2.2 Die pragmatische Maxime
Nur die wissenschaftliche Methode kann einen langfristigen Konsens der
Meinungen erreichen. Aber wie erreicht sie ihn? Meinungen werden in Sätzen
ausgedrückt, diese wiederum gebildet mittels Begriffen . Um einen Konsens der
Meinungen zu erreichen, muß man sich zuerst über die Bedeutung der Begriffe im
klaren sein. Wie klärt man die Bedeutung eines Begriffs? Diesem Problem widmet
sich Peirce im seinem zweiten populären Aufsatz [1878a], und seine Lösung ist
die berühmte 'pragmatische Maxime'. Vorweggenommen sei gleich, daß die
Bedeutung wissenschaftlicher Begriffe nicht schon damit geklärt ist, daß
Wissenschaft sich auf Sinnesdaten stützt. Peirce war sich im klaren darüber, daß
die theoretischen Begriffe der Wissenschaft über das direkt in den Sinnesdaten
enthaltene hinausgehen.8 Eine andere Methode der Bedeutungsbestimmung muß
gefunden werden, die der theoretischen Natur wissenschaftlicher Begriffe gerecht
wird und doch zugleich einen Bezug zum Empirisch-Praktischen herstellt.
Peirce beginnt mit einer Kritik traditioneller philosophischer Definitionen von
Klarheit. Er kommt auf Descartes und Leibniz zu sprechen. Für Descartes
bestand die Klarheit einer Idee in einem introspektiven Evidenzerlebnis. "Daß ein
8 Vgl. [1878d], CP 2.640, [A] 245, sowie Peirce' Kritik am Positivismus Comtes, CP 5.597.
1 1Unterschied bestehen könnte zwischen einer Idee, die klar scheint, und einer
solchen, die es wirklich ist, fiel ihm niemals ein" ([1878a], CP 5.391, [A] 184). Für
Leibniz seien Begriffe klar, wenn für sie eine Definition gegeben werde. Doch
durch das bloße Aufstellen und Analysieren abstrakter Definitionen kann nie
etwas Neues gelernt, also an Klarheit gewonnen werden (ebd., [A] 185). Wieder
kommt Peirce Kritik an der Apriori-Philosophie zum Ausdruck, die Bedeutung
durch rein verstandesimmanente Methoden klären zu wollen.
Peirce war ein leidenschaftlicher Kritiker abstrakter Definitionen: sie erwecken
das Gefühl von Klarheit, doch erweisen sich bei näherer Analyse als Leerformeln.
Zur Verdeutlichung wollen wir hier Peirce' Kritik an der traditionellen
korrespondenztheoretischen Wahrheitsdefinition erwähnen, derzufolge ein Satz
wahr ist, wenn er mit der Realität übereinstimmt. Nichts an echter Klarheit ist mit
dieser Definition gewonnen, sagt Peirce, da der unklare Begriffe der Wahrheit
durch den noch "okkulteren" Begriff der Realität ersetzt wird ([1902-3a], CP
1.578). Denn fragen wir: wie gewinnen wir denn von der Realität Kenntnis? Doch
nur mithilfe sprachlicher Aussagen, sodaß die Kenntnis des Realen schon
voraussetzt, daß wir wissen, wann eine Aussage wahr ist. Die Definition enthüllt
sich somit, sobald wir sie anwenden wollen, als zirkulär; wir sind so schlau als
wie zuvor (ebd., vgl. auch CP 5.553). Die Klarheit, um die es Peirce geht, muß im
Bezug von Begriffen auf den empirisch-praktischen Bereich gelegen sein, denn nur
so kann ein intersubjektiver Konsens der Forschenden erreicht werden. Die
Grundlage für einen solchen Begriff von Klarheit, bzw. einer solchen Methode der
Bedeutungsfestlegung, hat Peirce schon im ersten Aufsatz [1877] gelegt. Hier
hieß es, eine Überzeugung bestünde in gewissen Verhaltensgewohnheiten. Diese
Überlegung wird nun auf die Frage nach der Bedeutung von Begriffen bzw. Sätzen
übertragen. "Um die Bedeutung eines Gedankens zu bestimmen", sagt Peirce,
"haben wir ... einfach zu bestimmen, welche Verhaltensweisen er erzeugt"
([1878a], CP 5.400, [A] 193). Dabei ist eine Verhaltensweise, wie wir schon
wissen, keine Einzelhandlung, sondern eine Handlungsdisposition - "ihre Identität
… hängt davon ab, wie sie uns zum Handeln anleiten könnte, nicht nur unter
wahrscheinlichen, sondern auch unter bloß möglichen Umständen" (ebd.).
Dasjenige an einer Proposition, was die aus ihr folgenden Verhaltensweisen
bestimmt, ist die Summe der praktisch relevanten Wirkungen des von ihr
ausgesagten Sachverhalts. So gelangt Peirce zu folgender pragmatischen
Bedeutungsdefinition, die pragmatische Maxime genannt: "Überlege, welche
Wirkungen, die denkbarerweise praktische Relevanz haben könnten, wir dem
Gegenstand unseres Begriffs in unserer Vorstellung zuschreiben. Dann ist unser
Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes"
([1878a], CP 5.402, [A] 195).
Fügen wir hier einige logische Klärungen hinzu. Zunächst sind mit "Begriff"
1 2hier Allgemeinbegriffe (Art- und Eigenschaftsbegriffe) gemeint, wie z.B.
"Diamant", nicht indexialische Singulärausdrücke wie "dieser Diamant". Zweitens
ist natürlich nicht schon der Begriff selbst, sondern nur seine Anwendung in einem
Satz von praktischer Relevanz, also z.B. die Aussage "dies x ist ein Diamant".
Die Bedeutungsermittlung von Begriffen vollzieht sich nach Peirce über die mit
ihnen bildbaren Sätze. Drittens sind die praktischen Wirkungen W immer auf
gewisse mögliche Umstände U relativiert. Die Bedeutung einer Aussage der Form
"x ist ein F" liegt der gemäß pragmatischer Maxime also in einer Menge von
allgemeinen Konditionalen der Form "wenn U(x), dann W(x)".
Peirce illustriert seine Bedeutungstheorie anhand einiger Beispiele, von denen
wir hier eines erwähnen, das in späteren Überlegungen noch öfter wiederkehren
wird. Was bedeutet "x ist hart"? Gemäß der pragmatischen Maxime folgendes:
"wenn wir x mit einem spitzen Gegenstand zu ritzen versuchen, wird die
Oberfläche von x meistens - im Idealfall, beim Diamant, immer - unbeschädigt
bleiben". Eben das sind nämlich die sinnlich wahrnehmbaren Konsequenzen von "x
ist hart", gemäß der geologischen Härtebestimmungsmethode ([1878a, CP 5.403,
[A] 195). Inwiefern sind diese Konsequenzen "denkbarerweise praktisch
relevant"? Nun, trivialerweise, weil es mögliche praktische Situationen bzw.
Zwecksetzungen gibt, die einen Gegenstand mit einer Oberfläche erfordern, die
trotz intensiver Beanspruchung möglichst unbeschädigt bleibt (ein Bohrer, eine
Plattenspielernadel, usw.).
2.3 Die pragmatische Definition derWahrheit und der Realität
Im vierten Abschnitt von [1878a] wendet Peirce nun die pragmatischen
Maxime auf ein zentrales philosophisches Problem an: die Begriffe der Realität
und der Wahrheit. Peirce hat seine Theorie der Realität schon in zwei früheren
Arbeiten [1868b] und [1871] entwickelt, auf die wir ebenfalls Bezug nehmen. In
[1878a] gibt er zunächst eine neutrale Charakterisierung des 'Realen', d.h. eine,
worin die gegensätzlichen 'philosophischen Lager' und der Common Sense
übereinstimmen: das Reale ist etwas, das unabhängig davon ist, wie ich, du, oder
irgendwer über es denkt ([1878a], CP 5.405, [A] 202). Doch diese Charak-
terisierung ist unvollständig; sie beantwortet nicht die Frage, wo wir dieses Reale
finden (]1871], CP 8.12, [A] 114). Der traditionellen Antwort zufolge ist die
Realität etwas außerhalb unseres Verstandes, das über den Weg der Sinnesem-
pfindungen unser Denken beeinflußt (ebd.). Das Problem dieser Charakterisierung
ist ihre fehlende Klarheit im pragmatischen Sinn. Denn Realität erschöpft sich ja
keinesfalls in den Sinnesdaten; darüberhinaus besagt die Charakterisierung jedoch
nur, daß Realität irgendetwas außerhalb des Verstandes sei, was uns nicht nur
nicht weiterhilft,, sondern weitere konkrete Bestimmungen der Realität - die sich
1 3ja nur über unseren Verstand geben ließen - sozusagen per definitionem
ausschließt (s. [1871], CP 8.30, [A] 126). Von da aus ist es nur mehr ein kleiner
Schritt zu der Kantischen Lehre von der Realität als Ding-an-sich, die - weil
gänzlich außerhalb des Verstandes - letztlich unerkennbar bleibt. Die traditionelle
Realitätsdefinition hat also, so Peirce, "das Mißverhältnis zwischen Verstand und
Ding-an-sich geschaffen" (ebd.).
Damit bleibt natürlich auch der auf dem traditionellen Realitätsbegriff
aufbauende korrespondenztheoretische Wahrheitsbegriff unklar; ja er führt, wie
wir oben sahen, direkt in einen Zirkel. Die Einsicht in diesen unvermeidlichen
Zirkel ist nun das auslösende Moment für die pragmatische Wende, die Peirce in
[1878a] dem Problem der Realität und der Wahrheit gibt. Es ist methodisch
unzulässig, einen Realitätsbegriff abstrakt zu postulieren und darauf den
Wahrheitsbegriff korrespondenztheoretisch einzuführen, wenn die einzige
Möglichkeit, etwas über die Realität in Erfahrung zu bringen, in Form von
Aussagen besteht, die wir begründeterweise als wahr annehmen können.
Tatsächlich bestehen sinnlich-praktischen Wirkungen der Realität genau darin,
eine langfristig stabile Überzeugung hervorzubringen, d.h. eine Meinung, die wir
mit guten Gründen für wahr erachten ([1878a], CP 5.406, [A] 202f). Pragmatisch
gesehen müssen wir also den Begriff der Realität auf den der Wahrheit
zurückführen, und nicht umgekehrt. Wie aber definieren wir nun die Wahrheit?
Natürlich nicht wieder durch Rekurs auf die Realität, denn das wäre zirkulär.
Peirce greift hier zurück auf die Überlegungen des ersten Aufsatzes [1877] zurück.
Dort hieß es, das eigentliche Erkenntnisziel bestünde darin, zu einer stabilen
Überzeugung zu gelangen; ein darüber hinausgehender Wahrheitsbegriff sei
gehaltleer. Jetzt geht Peirce daran, einen pragmatisch sinnvollen Wahrheitsbegriff
auf die Einsicht aufzubauen, daß die praktischen Effekte der Wahrheitsfindung,
gemäß der pragmatischen Bedeutungsregel, eben im Finden einer langfristig
stabilen Überzeugung bestehen. Eine solche kann, wie Peirce in [1877] ausgeführt
hat, nur dann gefunden werden, wenn man nach der wissenschaftlichen Methode
vorgeht. Die öffentliche Gemeinschaft all jener, die nach dieser Methode vorgehen,
nennt Peirce die Forschergemeinschaft . Eine Meinung dieser Forscherge-
meinschaft kann nur dann in den Rang einer langfristig stabilen Überzeugung
gelangen, wenn sie zweierlei Merkmale besitzt: erstens muß es sich um einen
intersubjektiven Konsens handeln, d.h. jeder Forschende muß sich von ihr
überzeugen lassen, und zweitens muß sie gemäß den Regeln des empirisch-
wissenschaftlichen Verfahrens gefunden worden sein. So gelangt Peirce zu
folgender pragmatischer Definition der Wahrheit und der Realität: "Die Meinung,
die vom Schicksal dazu bestimmt ist, daß ihr letztlich jeder der Forschenden
zustimmt, ist das, was wir unter Wahrheit verstehen, und der Gegenstand, der
durch diese Meinung repräsentiert wird, ist das Reale". ([1878a, CP 5.407, [A]
1 4205).
Eine Reihe von Fragen ergeben sich aus dieser Definition. Zunächst ist mit
"vom Schicksal dazu bestimmt", wie Peirce erläutert, einfach gemeint, daß es sich
bei der Wahrheit um jene Meinung handelt, der mit Sicherheit letztlich jeder
Forschende zustimmt (ebd., Anm. 35, [A] 214). Was aber ist 'letztlich jeder
Forschender'? Heißt dies etwa, daß die Forschergemeinschaft, wenn sie einmal
einen Konsens gefunden hat, diesen Konsens beruhigt als Wahrheit ansehen und
sich um weitere Überprüfungsversuche einstellen kann? Mitnichten - würde diese
doch dem bereits erwähnten Peirceschen Fallibilismus krass widersprechen. Für
Peirce ist die Forschergemeinschaft räumlich wie zeitlich unbegrenzt ausgedehnt
zu verstehen. Daß einer Meinung letztlich jeder Forschende zustimmt, heißt
genau folgendes: Wenn die Forschung beliebig lange weiter betrieben werden
würde, dann würde irgendwann - sei es auch in Millionen Jahren, oder sei es, daß
die Menschheit ausstirbt und die Forschung von einer anderen intelligiblen
Spezies weiterbetrieben wird - diese Meinung zum entgültigen Konsens der
Forschergemeinschaft werden ([1878a], CP 5. 408-9, [A] 205-7). Dennoch können
wir von jederfaktisch vorliegenden Meinung, und bestehe über sie noch so großer
Konsens, nie mit Sicherheit wissen, daß sie wahr ist, d.h. sich mit dem entgültigen
Konsens deckt, da sie möglicherweise schon morgen durch die wissenschaftliche
Methode falsifiziert wird.9 Peirce Fallibilismus ist gekoppelt mit einem metho-
dischen Falsifikationismus, wieder ganz im Popperschen Sinn, demzufolge der
beste Weg, der Wahrheit näherzukommen, darin besteht, unsere gegenwärtigen
Überzeugugen ständig Widerlegungsversuchen in Form kritischer Tests auszu-
setzen. Auf diese Weise werden wir unsere Irrtümer am schnellsten los, während
nur das des Prädikats "wahr" würdig ist, was alle solche 'Härtetests' übersteht.10
Das Modell, das dem Peirceschen Wahrheitsbegriff zugrundeliegt, ist das des
Konvergenzpunktes bzw. Grenzwertes einer unendlichen Reihe - ein Modell, daß
der induktive Logiker Peirce von der Wahrscheinlichkeitstheorie entlehnt.11 So
wie die Wahrscheinlichkeit, z.B. eines Würfelwurfresultates, definiert ist als
Grenzwert der faktischen Häufigkeiten einer ins Unendliche verlängerten
Würfelwurfserie, so ist Wahrheit definiert als Konvergenzpunkt der faktischen
Meinungen einer ins Unendliche verlängerten Forschergemeinschaft. Und so wie
der Häufigkeitsgrenzwert einer Würfelwurfserie möglicherweise faktisch nie
erreicht wird, weil der Würfel nur endliche Lebensdauer besitzt, sondern aus dem
Konvergenzverhalten der faktischen Häufigkeiten nur approximativ erschlossen
werden kann, so wird auch die Wahrheit, aufgrund der endlichen Lebensdauer der
9 Vgl. [1877], CP 5.376, Anm. 26, [A] 177; [1873] CP 7.317; Grundsätzliches zum Fallibilismus in[1897].
10 [1873], CP 7.317; [1905b], CP 5.451, [A] 466; vgl. auch die zu [1877] später hinzugefügtenAnmerkungen 25 und 27, CP 5.376, [A] 176f.
11 Vgl. [1868c], CP 5.345-50, [A] 95-8, sowie [1903a], CP 5.170, [A] 399.
1 5Forschergemeinschaft, möglicherweise faktisch nie erreicht, sondern kann nur aus
dem historischen Konvergenzverhalten der faktischen Forschermeinungen hypo-
thetisch erschlossen werden. Peirce drückt diese mithilfe des kontrafaktischen
Konditionals, des Würde, aus: "Die entgültige Meinung, die sich mit Sicherheit als
das Ergebnis ausreichender Untersuchung einstellen würde, mag möglicherweise
in bezug auf eine gegebene Frage niemals tatsächlich erreicht werden, sei es, daß
das geistige Leben schließlich ausgelöscht wird" ([1885], CP 8.43, [A] 259).
Apel nennt diesen kontrafaktisch formulierten Wahrheitsbegriff den 'norma-
tiven' Wahrheitsbegriff.12 Um unsere Kritik daran bündig vorzutragen: diese
Formulierung ist 1. mehrdeutig, 2. inadäquat, und 3. involviert sie einen Irrtum. Ad
1: (1.1) Mit "normativer Wahrheit" kann gemeint sein, daß es sich bei der
Behauptung, eine Aussage sei wahr, um eine von der Forschergemeinschaft
festgelegten Norm handelt. Das wäre keinesfalls im Sinne von Peirce. Daß eine
Aussage wahr ist, sprich mit dem Konvergenzpunkt der Forschungsmeinungen
übereinstimmt, ist eine deskriptive Aussage, die etwas über das faktische
Konvergenzverhalten der Forschungsmeinungen besagt. Von ethischen
Willensentscheiden ist diese Wahrheit ganz unabhängig, sie wird vielmehr den
Forschenden, wie Peirce immer wieder betont, durch die Forschungsresultate
aufgezwungen.13 (1.2) Mit normativer Wahrheit" kann andererseits bloß gemeint
sein, daß die Konvergenz nicht notwendigerweise faktisch eintreten muß, sondern
kontrafaktisch formuliert wird, d.h. aus dem faktischen Konvergenzverhalten
heraus hypothetisch erschlossen werden muß. Doch das kontrafaktische Kondi-
tional macht aus einer deskriptiven Aussage noch keine normative. Wohl macht es
aus einer direkt verifizierbaren eine prinzipiell nur hypothetisch erschließbare
Aussage - und darin liegt eben Peirce' Fallibilismus. Aber daß Peirce Fallibilist ist,
macht seine Wahrheitstheorie noch zu keiner 'normativen'. (1.3) Mit "normativer
Wahrheits" könnte auch lediglich gemeint sein, daß Wahrheit das oberste Ziel der
Forschergemeinschaft ist. Aber das wäre offenbar trivial: natürlich können
deskriptive Sachverhalte zugleich normativ erstrebenswert sein - "Brot" ist ja
auch nicht schon deshalb ein 'normativer Begriff', weil alle Menschen gerne Brot
essen. Ad 2: Da keine Deutung von "normativer Wahrheit" einen rechten Sinn
macht, ist die Formulierung inadäquat. Ad 3: Mit der von ihm eingeführten
Dichotomie 'faktischer' versus 'normativ-idealer' Konsens scheint Apel die These
zu verbinden, daß Wahrheit als 'normativ-idealer' Letztkonsens im Sinne eines
kantischen regulativen Ideals faktisch nie erreicht werden könnte (vgl. Anm. 12).
Dementsprechend sieht er Peirce' Behauptung, in vielen Fragen hätten wir die
entgültige Meinung bereits erreicht14, einen 'Rückfall' (ebd.). Nach Peirce aber ist
12 Apel (1975), z.B. 120f; [A] Anm. 7, 136; Anm. 24, 175.13 Vgl. [1871], CP 8.12, [A] 114; [1873], CP 7.334; s. auch Kap. 4.3.14 [1871], CP 8.12, [A] 116; [1885], CP 8.43, [A] 260.
1 6es sehr wohl möglich, daß der Letztkonsens bzgl. einer gegebenen Frage faktisch
bereits erreicht ist - die Pointe ist lediglich, daß wir dies nie mit Sicherheit wissen
können.15 Dementsprechend basiert Peirce' Behauptung, in vielen Fragen hätten
wir den entgültigen Konsens bereits erreicht, lediglich auf einer Wahrscheinlich-
keitsüberlegung: selbst wenn viele unsere gegenwärtig nicht in Zweifel gezogenen
Überzeugungen sich als falsch erweisen, so muß es doch, mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit, darunter auch viele geben, die sich mit dem
Letztkonsens decken - Peirce erwähnt die zahllosen Fakten von Lexikas,
Atlanten, Geschichtsbüchern. Dennoch wissen nicht mit Sicherheit, welche
unserer gegenwärtigen Überzeugungen sich mit dem Letztkonsens decken; jede
ist möglicherweise falsch ([1885], ebd.).
Halten wir fest, daß "Wahrheit" gemäß Peirce' Definition der Konvergenz-
punkt der Forschungsmeinungen ist, welcher entweder faktisch, oder nur kontra-
faktisch - als hypothetische Verlängerung des Konvergenzverhaltens ins
Unendliche - existiert. Wann dieser Konvergenzpunkt eintritt, und ob er faktisch
oder bloß kontrafaktisch existiert, können wir nie sicher wissen. Doch wir können
aufgrund des bisherigen Konvergenzverhaltens gewisser Meinungen in der
Forschergemeinschaft induktive Hypothesen über ihre zukünftige Stabilität
anstellen. Umso größer der bisherige Forschungskonsens einer Theorie, umso
'bewährter' ist sie, umso 'eher' wahr. Dies ist das Peircesche Wahrheitskriterium.
Kommen wir nun zur philosophischen Natur des Peirceschen Realitätsbegriffs.
Die Realität, als Gegenstand des Letztkonsenses, ist unabhängig davon, was ich,
du oder irgendwer über sie denkt, und erfüllt insofern die eingangs gegebene
neutrale Charakterisierung. Aber sie ist nicht unabhängig davon,daß überhaupt
über sie gedacht wird, setzt sie doch die Existenz einer Gemeinschaft denkender
Subjekte voraus ([1878a, CP 5.408, [A] 205f). Die pragmatische Realitätstheorie
sei insofern kantisch, wie Peirce in ([1871], CP 8.15, [A] 118) ausführt, als sie die
Realität, qua Gegenstand des Letztkonsenses, vom Denken erzeugt sein läßt.
Zugleich sei sie aber ganz unkantisch, denn sie "zerstört sofort die Idee eines
Dings-an-sich" ([1871], CP 5.8.13, [A] 117), einer dem Denken jenseitigen
Realität, die letztlich unerkennbar bleibt. Da alles, was real ist, gemäß der
pragmatischen Definition von der Forschergemeinschaft letztlich erkannt werden
würde, folgt als Konsequenz, daß Erkennbarkeit und Sein synonyme Begriffe sind -
eine These, die Peirce bereits in [1868a] (CP 5.257, [A] 33) und [1868b] (CP
5.265, [A] 42) vertritt. Eine Konsequenz, die Peirce besonders am Herzen
liegt, ist der Universalienrealismus. Die Position des Nominalismus behauptet,
nur Einzelgegenstände, wie 'diese weiße Blume' existieren wirklich, Allgemein-
gegenstände dagegen, wie 'das Weiße im allgemeinen', existieren nur in den
15 [1885], CP 8.43, [A] 260; dieselbe Sicht findet sich beim späten Peirce, s. z.B. [1907], CP 5.494,[A] 530, insb. der Satz mit der "Anm. 41".
1 7Gedanken (oder Begriffen) der Menschen, nicht in realiter. Peirce war ein hartnä-
ckiger Bekämpfer des Nominalismus, die dominante Position in der der traditio-
nellen Philosophie (CP 1.15ff). Vertritt man die traditionelle Theorie der Realität
als ein Etwas außerhalb unseres Verstandes, das unsere Sinne beeinflußt, so muß
man, wie Peirce ausführt, zur nominalistischen Auffassung gelangen, denn was
unsere Sinne beeinflußt, sind immer nur raumzeitlich lokalisierte Einzeldinge
([1871], CP 8.12, [A] 114). Aus der pragmatischen Theorie der Realität folgt
dagegen zwanglos der Universalienrealismus, denn "daß in allen weißen Dingen
Weiße ist ... besagt nur ... daß alle weißen Dinge weiß sind. Aber da [dies - d.A.]
wahr ist, ... ist Weiße etwas Reales" ([1871], CP 8.14, [A] 118). Freilich gibt es
das Weiße nur, insofern es denkende Subjekte gibt, aber dies gilt ja nicht nur für
universelle Entitäten wie "das Weiße", sondern für die Realität insgesamt, gemäß
pragmatischer Auffassung. Dabei liegt es Peirce ganz fern, hiermit eine
platonistisch-metaphysische Position zu verbinden, derzufolge diese universellen
Entitäten in einer Idealwelt außerhalb von Raum und Zeit existieren (vgl. [1868b],
CP 5.312, [A] 77). Diese platonische Auffassung ist nur dann eine Konsequenz
des Universalienrealismus, wenn man die nominalistische These bereits
akzeptiert hat, derzufolge in der realen raumzeitlichen Welt nur Einzeldinge
existieren können. Die reale raumzeitliche Welt kennt jedoch, um Peirce'
Ontologie vorwegzunehmen (vgl. Kap. 4.2), mehrere Seinsweisen. Eine davon, die
'Zweitheit', ist die Seinsweise raumzeitlicher lokalisierter Dinge und Ereignisse;
eine andere, 'die Drittheit', ist die Seinsweise der Allgemeinheit. In diesem
Zusammenhang wird auch Peirce Bewunderung des Duns Scotus verständlich:
auch dieser hatte nämlich versucht, einen nichtplatonistischen
Universalienrealismus zu entwickeln16, wobei Peirce allerdings betont, daß sein
Universalienrealismus weit über Duns' Position hinausginge (CP 8.208, [A] 578;
[1909], [A] 143).
Da Realität als Gegenstand des Letztkonsenses ein Erzeugnis der Forscher-
gemeinschaft ist, kann man Peirce' pragmatische Realtitätsdefinition konstruk-
tivistisch nennen (worauf Scherer 1984 abzielt). Realität nach Peirce gibt es nur,
sofern ein solcher Letztkonsens zustandekommt, zumindest als
Grenzwertverhalten. Doch wie begründet Peirce eigentlich die Annahme, daß ein
solcher Letztkonsens überhaupt erreicht wird? - m.a.W., wie begründet er die
Annahme, daß Realität in seinem Sinne überhaupt existiert? Wieder weicht
unsere Interpretation von jener Apels ab. Apel glaubt, in Peirce' Realitätsdefinition
wäre vorausgesetzt, daß es einen Letztkonsens geben müsse, aufgrund der
apriorischen Voraussetzung des induktiven Schlußverfahrens (1975, 74f, 102).
Doch wie Peirce bemerkt, machen induktive Schlüsse überhaupt keine Postulate
im Sinne 'transzendentaler Voraussetzungen' ([1892], CP 6.40-1, [A] 293f). Und
16 [1868b], CP 5.312, [A] 77; [1871], CP 5.811, [A] 111.
1 8in [1902-3b] (CP 2.113) heißt es: "Ein Transzendentalist würde behaupten, es sei
eine unverzichtbare 'Voraussetzung', daß es auf jede vernünftige Frage eine wahre
behauptbare Antwort gibt". [Ebd., kurz davor:] "Aber alles was Logik verbürgen
kann, ist eine Hoffnung , nicht ein Glaube". Folgerichtig kann es nach Peirce auch
keinen strengen Beweis dafür geben, daß für jede praktisch relevante Frage ein
Letztkonsens gefunden werden wird, auch nicht, wenn die geistige Entwicklung
unbegrenzt fortdauert (vgl. Anm. 15). "Denken wir ..., daß einige Fragen niemals
gelöst werden können, so sollten wir zugeben, daß unser Begriff der Natur als
absolut real nur teilweise korrekt ist" ([1885], CP 8.43, [A] 262). Weil es aber
"keine Möglichkeit gibt, die unbeantwortbaren Fragen von den beantwortbaren zu
unterscheiden, [müssen wir] in der Untersuchung so verfahren..., als seien alle zu
beantworten" (ebd.).
Wenn es aber keinen Beweis für die Existenz des Letztkonsens, und damit die
Existenz der Realität im Sinne der pragmatischen Definition gibt, so muß es doch
zumindest gute philosophische Gründe dafür gegen. In der Tat gibt es sie, und sie
hängen mit Peirce' Empirismus und seinem empiristischen Realitätsbegriff
zusammen, wie wir in Kap. 4.3 sehen werden.
2.4 Eine erste Übersicht und vier verbleibende Fragen
Unsere bisherigen Ausführungen können wir zu einer schematischen
Darstellung des Kernsystems der Peirceschen pragmatischen Erkenntnistheorie
wie folgt zusammenfassen:
Bild
Legende:PrErkZiwS (Pragmatisches Erkenntnisziel im weiten Sinn): Festlegung der Meinung in Formlangfristig stabiler ÜberzeugungPrMethT (Pragmatische Methodenthese): Nur die wissenschaftliche Methode kann PrErkZiwSerreichen.PrMax (Pragmatische Maxime): Bedeutung = Summe empirisch-praktischer Wirkungen untermöglichen Umständen.PrDfW (Pragmatische Definition der Wahrheit): Wahrheit = Letztkonsens der Forscher-gemeinschaft.
1 9PrDfR(Pragmatische Definition der Realität): Realität = Gegenstand des LetztkonsensesPrErkZieS (Pragmatisches Erkenntnisziel im engen Sinne): Wahrheit gemäß PrDfW.Bezeichnung der Pfeile: Aw Anwendung, Vf Verfeinerung.
PrErkZiwS und PrErkZiwS stammen aus [1877], der Rest aus [1878a] (und
früheren Schriften). Die zentralen Elemente stützen sich wechselseitig. Einerseits
ergab sich PrMax heuristisch als Verfeinerung von PrErkZiwS und PrMethT (man
erinnere sich an den Übergang von [1877] zu [1878a]). Umgekehrt kann
PrErkZiwS aus [1877] streng als Anwendung der PrMax begründet werden (der
praktische Effekt der Wahrheitssuche ist die Festlegung der Überzeugung).
Ebenso ergibt sich PrDfW streng aus PrMax, womit natürlich auch pragmatische
Wahrheit als das Erkenntnisziel im 'engeren Sinne', PrErkZieS, etabliert ist.
Zugleich wurde auch PrErkZieS schon heuristisch durch PrErkZiwS und PrMethT
aus [1877] nahegelegt. (Der Unterschied zwischen PrErkZiwS und PrErkZieS
liegt darin, daß PrErkZieS bereits auf der Annahme PrMethT beruht - i.e. daß nur
die Wissenschaft unsere Überzeugung langfristig festzulegen vermag - während
PrErkZiwS von dieser Annahme unabhängig ist). PrDfR folgt schließlich aus
PrDfW. Ferner haben wir in unserer Übersicht noch 4 Fragezeichen vermerkt.
Einmal ist unklar geblieben, welchen Status die Theorie-Praxis-These in Relation
zu diesem Kernsystem besitzt, derzufolge die Verfolgung von PrErkZieS
langfristig unsere praktischen Ziele befriedigt, und wie diese These begründet
wird. Dann haben wir gesehen, daß weder Peirce' Methodenthese PrMethT noch
Peirce' Optimismus bzgl. des Zustandekommen eines Letztkonsenses bisher eine
befriedigende Begründung erfahren hat. Schließlich sahen wir, daß in PrMax ein
kontrafaktisches Konditional, ein "Würde" eingeht, über dessen pragmatische
Bedeutung wir uns noch nicht Rechenschaft abgelegt haben.
3. Ethische Fundierung: Das Verhältnis von Wissenschaftstheorie und Ethik
3.1 Die Rolle der Zwecke in der pragmatischen Maxime: experimentalistische und
praktikalistische Version
Gemäß der pragmatischen Maxime liegt der Bedeutungsgehalt eines Begriffes
bzw. einer Proposition in den praktischen Wirkungen. Das kann so verstanden
werden, daß die Bedeutung in den aus der Proposition folgenden praktischen
Handlungsanleitungen besteht (und etlicheIn Peirce-Passagen legen diese Lesart
nahe). Eine praktische Handlungsanleitung ist natürlich immer relativ zu einem
vorausgesetztem Zweck. Heißt dies, daß der Bedeutungsgehalt wissenschaft-
licher Theorien gebunden ist an praktische, also wissenschaftsexterne Zwecke
oder Interessen? Angenommen ja. Da unsere Handlungszwecke subjektiv und
historisch-gesellschaftlich variabel sind, wäre ein extremer Subjektivismus und
2 0Relativismus die Folge. Die Bedeutung der Atomphysik beispielsweise würde
dann davon abhängen, welche Interessen, z.B. friedliche oder kriegerische, damit
verfolgt werden. Von dort aus ist es nur mehr ein kleiner Schritt zu jener
vielkritisierten Version des Pragmatismus, welche das Wahre mit dem Nützlichen
identifiziert. Zu allem Überdruß gibt es tatsächlich auch Peirce-Stellen, die auf den
ersten Blick diese Interpretation stützen. Schon in [1877] hieß es ja, daß wir von
einer Proposition nur dann überzeugt sind, wenn die aus ihr folgenden Handlungs-
anleitungen unsere Wünsche befriedigen, und in einer 1903 hinzugefügten
vielzitierten Anmerkungen sagt Peirce: "Denn die Wahrheit ist weder mehr noch
weniger als der Charakter eines Satzes, der darin besteht, daß die Überzeugung
von diesem Satz uns bei genügender Erfahrung und Reflexion zu einem Verhalten
führen würde, das darauf abzielen würde, die Wünsche, die wir dann haben
würden, zu befriedigen" ([1877], Anm. 24, CP 5.375, [A] 175). Also wäre Peirce
doch ein 'verkappter' James?
Langsam. Obiges Zitat gibt genau wieder, was wir die Peircesche Theorie-
Praxis-These nannten. Die entscheidende Frage, die es zu klären gilt, ist nur
folgende: handelt es sich bei jener These um einen Bestandteil der pragmatischen
Wahrheitsdefinition - nur dann nämlich wäre die wissenschaftsimmanente
Wahrheit interessensgebunden - oder aber handelt es sich um eine von der
pragmatischen Wahrheitsdefinition unabhängige These, die Peirce separat begrün-
den muß, und die wahr oder falsch sein kann, ohne die pragmatische
Erkenntnistheorie zu zerstören? Wir glauben, daß letztere Alternative zutrifft, und
wollen dies nun begründen.
Man trifft bei Peirce auf zwei Versionen der pragmatischen Maxime, die wir die
experimentalistische und die praktikalistische Version nennen wollen, und die
Peirce ganz offenbar als äquivalent ansieht. Die praktikalistische Version wird in
[1903a], CP 5.18, [A] 339) wie folgt formuliert: die Bedeutung jedes theoretischen
Urteils in Indikativform liegt "in seiner Tendenz ..., einer entsprechenden
praktischen Maxime Geltung zu verschaffen, die als ein konditionaler Satz
auszudrücken ist, deren Nachsatz in Imperativform steht". Und in ([1905b], CP
5.438, [A] 454) heißt es: "Der volle intellektuelle Bedeutungsgehalt irgendeines
Symbols besteht in der Gesamtheit aller allgemeinen Formen rationalen Ver-
haltens, die aus der Annahme des Symbols konditional in bezug auf alle möglichen
verschiedenartigen Umstände und Bestrebungen folgen". Der springende Punkt
dabei ist, daß sich die Bedeutung qua rationales Verhalten nicht auf bestimmte
faktische Zwecke ("Bestrebungen") bezieht, sondern konditional auf beliebige,
bloß mögliche Zwecke; ebenso nicht auf bestimmte faktische, sondern beliebige
bloß mögliche Handlungsumstände. Dies bedeutet, in Peirce' Worten, daß "der
Zweck ... nur willkürlich unterstellt und das Eintreten der Umstände ... nicht allge-
mein erwartet wird" (CP 5.517; vgl. [A] Anm. 28, 484). Dadurch, daß Peirce die
2 1Bedeutung konditional auf alle möglichen Zwecke bezieht, abstrahiert er die
Bedeutung von aller bestimmten Zweckbezogenheit, und macht sie, und damit die
Wahrheit, objektiv. Aber noch mehr: es folgt daraus direkt die Äquivalenz mit der
experimentalistischen Version. Die experimentalistische Version hat Peirce schon
in [1878a] nahegelegt, wo er die Bedeutung mit der Gesamtheit aller
möglicherweise praktisch relevanten Wirkungen identifiziert, und erläuterte, daß
es sich bei den möglicherweise praktisch relevanten Wirkungen im Grunde um die
empirischen handelt. In [1905a] heißt es, etwas verwickelt: jener Satz, der als die
Bedeutung eines anderen Satzes verstanden werden soll, "muß ... einfach die
allgemeine Beschreibung all der experimentellen Phänomene sein, die ... [der
andere Satz - d.A.] virtuell voraussagt" (CP 5.427, [A] 442).17 Dabei versteht
Peirce unter einem experimentellen Phänomen nicht ein vorausgesagtes
Einzelereignis, sondern eine vorausgesagte empirische Gesetzmäßigkeit, von der
Form "immer, wenn wir durch unser Handeln die und die Bedingungen
herbeiführen, wird der und der Effekt eintreten" ([1905a], CP 5.425-6, [A] 441-2).
Kurz, der experimentalistischen Version zufolge liegt die Bedeutung eines Satzes
in den von ihm vorausgesagten experimentellen Gesetzmäßigkeiten
Die Äquivalenz der praktikalistischen und der experimentalistischen Version
ergibt sich aus der Überlegung, daß die Menge aller rationalen Verhaltensweisen,
die aus einem Satz folgen, durch nichts anderes definiert ist als durch die Menge
der von ihm implizierten experimentellen Gesetzmäßigkeiten. "Die Summe der
experimentellen Phänomene, die ein Satz impliziert, [macht] seinen ganzen Bezug
auf menschliches Verhalten aus" ([1905a], CP 5.427, [A] 443). Dies folgt aus
zwei simplen Tatsachen: Erstens ist jede Handlung (sofern sie der Bezeichnung
"Handlung" würdig ist), auf irgendein sinnlich wahrnehmbares, somit ein
experimentelles Resultat bezogen; und daher ist jede Handlungsregelmäßigkeit,
sprich rationale Verhaltensweise, auf eine experimentelle Regelmäßigkeit, sprich
ein experimentelles Phänomen, bezogen. (ebd., sowie [1878a], 5.401, [A] 194).
Daraus folgt die eine Richtung der These, daß nämlich alle Verhaltensimpli-
kationen bezüglich möglicher Zwecke in den experimentellen Phänomenen
enthalten sind. Die andere Richtung der These folgt aus dem Umstand, daß jedes
mögliche experimentelles Resultat zum Gegenstand eines möglichen Zweckes
werden kann.18
Erläutern wir dies abschließend an einem Beispiel. Die experimentalistische
Bedeutung von "x ist weich" liegt in folgendem experimentellen Phänomen: "wann
immer auf x Druck ausgeübt wird, wird sich die Oberfläche von x verformen". Die
17 Peirce spricht hier von 'dem anderen Satz', dessen Bedeutung 'jener Satz' ist, als "die Aussage desSatzes". Für weitere Belege der experimentalistischen Version vgl. [1907], CP 5.465,[A] 502 undCP 5.468, [A] 504.
18 [1903a], CP 5.196, [A] 408: "jede [experimentelle - d.A.] Erwartung [mag - d.A.] denkbarerweiseunser praktisches Verhalten betreffen".
2 2praktikalistische Bedeutung gewinnt man daraus, indem man das Hinterglied, das
den experimentellen Effekt beschreibt, im Vorderglied zu einem angenommenen
Zweck macht, und im Hinterglied eine entsprechende den bezweckten Effekt reali-
sierende Handlung als Norm hinzufügt. D.h: "wann immer du bezweckst, daß sich
die Oberfläche von x verformt, übe auf x Druck aus". Die praktikalistische
Bedeutung von "x ist weich" kann sich aber auch auf kompliziertere Weise
ergeben, z.B.: "wann immer du in Umständen bist, in denen du auf einen
Gegenstand Druck ausüben mußt, und du bezweckst, daß seine Oberfläche
verformt, dann nimm x". Man kann noch andere Formulierungen geben (vgl.
Scherer 1984, 95), und eine genaue logische Explikation wäre wohl eine Aufgabe
für sich; hier müssen wir uns mit dem Grundsätzlichen begnügen.
Da die Bedeutung einer wissenschaftlichen Hypothese in ihren experimen-
tellen Konsequenzen liegt, entspricht der pragmatische Erkenntnisbegriff ganz
dem Selbstbild empirisch-objektiver Wissenschaft. Die pragmatische Methode der
Bedeutungsermittlung sei nichts anderes als die experimentelle Methode der
Wissenschaft, sagt Peirce in [1907] (CP 5.465, [A] 502). Pragmatische Wahrheit
wird also, unter Absehung von allen praktischen Interessen, allein dadurch
gesucht, daß wissenschaftliche Hypothesen an ihren experimentellen
Konsequenzen überprüft werden. Daher sagt Peirce auch, "der wahre
Wissenschaftler sieht nicht auf die Nützlichkeit dessen, was er tut" ([1898, CP
1.619; vgl. ebenso in CP 1.75ff).
Wenn die pragmatische Methode mit der experimentellen Methode der
Wissenschaft zusammenfällt, wozu benötigt dann Peirce überhaupt die
praktikalistische Version seiner Maxime? Nun, sie ist der Angelpunkt von Peirce'
Theorie-Praxis These. In [1905c] (CP 5.499, [A] 487) heißt es dazu emphatisch:
"Weil der Pragmatizist also weiß, daß die Substanz ... seines Denkens ... in
konditionalen Entschließungen liegt, ... weiß er auch, daß die Wahrheit selbst zu
erfahren der Weg ist, seine tiefsten Wünsche zu erfüllen". Diese Theorie-Praxis-
These ist aber, wie wir jetzt deutlich sehen, keinesfalls schon in der
pragmatischen Bedeutungs- und Wahrheitsdefinition enthalten, welche an rein
wissenschaftsimmanenten Kriterien der empirischen Überprüfung orientiert ist und
von allen bestimmten praktischen Zwecken abstrahiert. Sie bedarf einer eigenen
Begründung. Um diejenige, die Peirce gibt, tiefer zu verstehen, müssen wir uns
das Verhältnis von Logik und Ethik bei Peirce näher ansehen.
3.2 Wissenschaftstheorie und Ethik im Kontext des Peirceschen Gesamtsystems
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Architektur des Peirceschen
Gesamtsystems. Peirce wollte Philosophie als Wissenschaft etablieren. Wie jede
andere Wissenschaft hat auch die Philosophie einen Beobachtungsteil (CP 1.133):
2 3die Phänomenologie.19 Sie sucht nach universalen, also überall anzutreffenden
Eigenschaften der Phänomene. Dabei ist unter einem Peirceschen Phänomen alles
zu verstehen, was der Inhalt einer Wahrnehmung sein kann, einschließlich der
Innenwahrnehmung des Bewußtseins. Ziel der Phänomenologie ist es, zu
gewissen grundlegensten Begriffen, oder Kategorien, zu gelangen, welche die
grundlegensten Arten von existierenden Entitäten beschrieben, auf die alle
weiteren Disziplinen der Philosophie sowie der Einzelwissenschaften aufbauen.
Die Phänomenologie muß daher so voraussetzungslos als möglich sein; das
einzige, was die Phänomenologie ihrerseits noch voraussetzt, sind die Formal-
wissenschaften der deduktiven Logik und reinen Mathematik (ebd.; [1903a] CP
5.40, [W] 39). Das Hauptresultat der Peirceschen Phänomenologie sind die an
allen Phänomenen aufweisbaren ontologischen Grundkategorien der Erstheit,
Zweiheit und Drittheit, auf die wir in Kap. 4.2 zu sprechen kommen.
An die Phänomenologie schließen sich dann die drei normativen Wissen-
schaften an, wie Peirce sie nannte, nämlich: Ästhetik, Ethik, und Logik. Dabei ist
zu beachten, daß Peirce mit "Logik" nicht bloß die deduktive Logik meint, sondern
den Gesamtbereich der Wissenscha f t s theor ie . Über den normativen
Wissenschaften erhebt sich schließlich, als Spitze des Peirceschen Systems, die
Metaphysik, welche sich mit allgemeinen Fragen der Realität beschäftigt.20
Was uns hier interessiert, sind Peirce' drei normativen Wissenschaften. Wie
wir sahen, baut architektonisch die Logik (resp. Wissenschaftstheorie) auf die
Ethik, und diese auf die Ästhetik auf. Heißt dies, bei Peirce würde die Logik durch
die Ethik begründet - wie man es oft hört? Gehen wir mit Vorsicht ans Werk.
Zunächst: warum bezeichnet Peirce überhaupt Ästhetik, Ethik und Logik mit ein-
und demselben Namen "normative Wissenschaft"? Weil in allen diese Disziplinen
bewertet wird ([1903a] CP 5.126f, [W] 165ff). Die Ästhetik bewertet
Gegenstände in Bezug auf den Zweck der Schönheit (oder Expressivität); die
Ethik bewertet Handlungen in Bezug auf die Zwecke der Wahrhaftigkeit und
Gerechtigkeit; die Logik schließlich bewertet Erkenntnisse in Bezug auf den
Zweck der Wahrheit.21 Alle drei Wissenschaften sind also insofern normativ, als
sie ihre Gegenstände in Bezug auf charakteristische Zwecke bewerten. Und
dennoch steckt in dieser Definition von "normativ" eine fundamentale
Zweideutigkeit, welche wir durch folgende Begriffsdifferenzierung zum Ausdruck
bringen: Wir nennen eine normative Wissenschaft (in Peirce' Sinn) eine
Methodenwissenschaft, wenn sie zwar auf gewisse, von ihr selbst nicht weiter
begründete Normen bezogen ist, ihre Tätigkeit aber lediglich darin besteht,
19 Zu Philosophie als Wissenschaft s. [1903a], CP 5.61, [W] 71 und CP 1.133. Zur Phänomenologie s.[1903a], CP 5.41, [A] 344; CP 5.53f, [A] 354f; [1903a], CP 5.121, [A] 383.
20 Zu den normativen Wissenschaften s. [1903a], CP 5.129, [W] 169. Peirce' zahlreiche Beiträge zurMetaphysik finden sich in CP 6.
21 [1903a], CP 5.121, [A] 383; CP 5.129, [A] 385; CP 5.140-2, [A] 391.
2 4herauszufinden, durch welche Mittel (Methoden, Strategien) diese Normen am
besten zu realisieren seien. Eine solche Methodenwissenschaft betreibt primär
deskriptive Forschung; sie erhebt faktische Gesetzmäßigkeiten und wertet sie in
Form von Zweck-Mittel-Behauptungen aus: "B ist ein geeignetes Mittel zur
Erreichung des Zwecks A". Dagegen nennen wir eine Wissenschaft genuin
normativ, wenn sie nicht nur nach Mitteln zur Realisierung gegebener Normen
fragt, sondern selbst Normen explizit behauptet, und voralledem auch begründet.
Wir fragen nun: verstand Peirce "normative Wissenschaft" im Sinne von "Metho-
denwissenschaft" oder von "genuin normativer Wissenschaft"?
Tatsächlich sind Peirce' Ausführungen hierzu zweideutig. Wenn Peirce
definiert, "die normative Wissenschaft handelt von den Gesetzen der Relation der
Phänomene auf Zwecke hin"22, so spricht dies eher für die Auffassung als
Methodenwissenschaft. Dem entspricht auch Peirce Charakterisierung des
Unterschiedes zwischen den normativen Wissenschaften und der reinen
Mathematik: im Gegensatz zur letzteren "sollen die Hypothesen, aus denen die
Deduktionen der Normativen Wissenschaften hervorgehen, der positiven Tat-
sachenwahrheit entsprechen " ([1903a], CP 5.126, [W] 165). Diese Behauptung
kann sinnvollerweise nur so verstanden werden, daß die den Zweck-Mittel-
Beziehungen unterliegenden Gesetzmäßigkeiten, die von der Metho-
denwissenschaft erforscht werden, den Tatsachen entsprechen müssen. Dennoch
gibt es auch andere Äußerungen, die darauf hindeuten, daß Peirce sich der
Zweideutigkeit nicht bewußt war. So schreibt er: "Die Ethik ist das Studium der
Frage, welche Zwecke des Handelns wir überlegtermaßen willens sein sollten,
anzunehmen. D.h. [sie ist - d.A.] das Studium richtigen Handelns, das in
Übereinstimmung mit Zwecken steht, die wir willens sind, überlegtermaßen
anzunehmen." ([1903a, CP 5.130, [A] 386). Der ersten Behauptung zufolge ist
Ethik genuin normativ, insofern sie nach den richtigen Zwecken fragt. Der zweiten
Behauptung zufolge ist sie stattdessen methodisch, insofern sie nach dem
richtigen Handeln in bezug auf gegebene Zwecke fragt. Zusammenfassend können
wir festhalten, daß Peirce seine normativen Wissenschaften zwar überwiegend als
Methodenwissenschaften, teilweise aber auch als genuin normative
Wissenschaften konzipiert.
3.3 Wissenschaftstheorie als Methodenwissenschaft: Deduktion, Induktion und
Abduktion
Peirce' Logik verfährt, wie wir nun zeigen wollen, primär als Methoden-
wissenschaft. Die Begründung ihrer Methoden erfolgt ganz 'wahrheitsimmanent':
sie basiert ausschließlich auf deren Effektivität in der Erreichung des
22 1903a], CP 5.123, [A] 384; vgl. auch CP 5.121, [A] 383.
2 5wissenschaftlichen Wahrheitszieles, ohne dabei auf wahrheitsexterne Wert- oder
Nützlichkeitsgesichtspunkte Bezug zu nehmen. Im Zentrum von Peirce' Logik23
steht seine Theorie der drei grundlegenden Typen wissenschaftlichen Schließens:
Deduktion, Induktion, und Abduktion, welche er bereits in seinen Frühschriften
entwickelt ([1968b,c], [1978d]) und sie in den Grundzügen auch in seinen
Spätschriften beibehält (z.B. [1903a], CP 5.151-179), mit dem terminologischen
Unterschied, daß er in seinen Frühschriften statt von "Abduktion" von "Hypo-
these" spricht. Peirce entwickelt diese Theorie anhand eines Schlußschemas, das
in der Gegenwart als das 'Popper-Hempelsche' deduktiv-nomologische
Schlußschema bekannt wurd: "Regel: Alle F sind G. Fall: Dies ist ein F. Resultat:
Dies ist ein G". Nehmen wir das Peircesche Beispiel: "Regel: Alle Bohnen in
diesem Sack sind weiß. Fall: Diese Bohnen stammen aus diesem Sack. Resultat:
Diese Bohnen sind weiß". Die Deduktion, so Peirce, schließt von der Regel und
dem Fall auf das Resultat, gemäß dem deduktiv-nomologischen Schlußschema.
Die Induktion dagegen schließt vom Resultat und dem Fall auf die Regel - also:
diese Bohnenstichprobe entstammt diesem Sack, und alle Bohnen dieser
Bohnenstichprobe sind weiß; daher vermuten wir, alle Bohnen in diesem Sack sind
weiß. Die Abduktion (bzw 'Hypothese') schließt schließlich vom Resultat und der
Regel auf den Fall - also: diese Bohnen sind weiß, und wir wissen, alle Bohnen
dieses Sacks sind weiß; daher vermuten wir, daß diese Bohnen diesem Sack
entstammen.24 Die Abduktion schließt somit retrodiktiv zurück auf die mögliche
Ursache eines gegebenen Resultats, bezogen auf eine Regel (CP 8.228-30).
Nur das deduktive Schließen ist "analytisch", bzw. folgert mit Notwendigkeit.
Die beiden anderen Schlußarten sind dagegen "synthetisch", ihre Geltung ist bloß
"wahrscheinlich", wobei es sich bei der Abduktion allerdings um eine viel
"schwächere" Schlußart handelt als bei der Induktion.25 Weil deduktive Schlüsse
analytisch, induktive und abduktive synthetisch sind, haben diese, wie erwähnt,
topologisch einen ganz anderen Stellenwert im Peirceschen System: die Deduktion
kommt noch vor der Phänomenologie, Induktion und Abduktion dagegen erst nach
Ästhetik und Ethik, im Herzen der 'Logik' qua Wissenschaftstheorie. Auf Peirce'
umfangreiche Arbeiten zur Logik (sie füllen Bände 2-4 der CP) können wir hier
freilich nicht näher eingehen; uns interessiert nur folgende Frage: wie begründet
Peirce seine logischen Methoden? Nimmt er dabei auf ethische Prinzipien Bezug?
Die deduktive Logik hält Peirce für so evident, daß jedoch Versuch, sie durch
andere Prinzipien zu begründen, eine "petitio principii darstellen" müßte ([1903a],
23 Peirce' Logik im weiteren Sinne umfaßt auch noch seine Semiotik oder Zeichentheorie. Was davonfür Peirce' Pragmatismus relevant, wird in Kap. 4.2 zu Sprache kommen. Zur Semiotik s. CP2.233ff; Pape (Hg., 1983); vgl. auch [1903a], CP 5.73ff; [A] 362ff), sowie Scherer (1984).
24 [1968b], CP 5.270-274, [A] 44-47; [1978d] CP 2.619-625, [A] 229-233.25 [1868b] , CP 5.270, [A] 44; [1878d], CP 2.623, [A] 232; [1903a], CP 5.145, [A] 393f, CP. 5.171, [A]
400.
2 6CP 5.166, [A] 399). Im Grunde, meint er, beruht die deduktive Logik auf der
Tatsache, daß in einem Zeichensystem, worin jedes Zeichen genau eine
Bedeutung besitzt, bedeutungsgleiche Zeichen ersetzt werden können ([1968c],
CP 5.323). Doch "die Schwierigkeit zu zeigen, inwiefern das Gesetz des
deduktiven Schlußfolgerns gültig ist, beruht auf unserer Unfähigkeit, uns
vorzustellen, es sei nicht gültig" ([1868c], CP 5.341, [A] 91).
Peirce' Begründung der Gültigkeit induktiven Schließens, die in [1868c]
entwickelt wird, ist noch heute wissenschaftstheoretisch aktuell. Peirce'
Ausgangsargument besagt, daß in jedem Universum, wie immer es auch beschaf-
fen sein möge, eine unendliche Zahl von Regelmäßigkeiten vorhanden sein
müssen, was durch subtile Wahrscheinlichkeitsüberlegungen nahegelegt wird
(ebd., CP 5.342, [A] 92f; CP 5.345, [A] 95f). Wenn es in unserem Universum aber
solche Regelmäßigkeiten gibt, so müssen sie, so Peirce, durch das induktive
Schließen auf lange Sicht entdeckt werden, wobei er sich im wesentlichem auf das
zentralen Grenzwerttheorem der Statistik beruft, demzufolge die
Stichprobenhäufigkeiten von Zufallsstichproben auf lange Sicht gegen die
Grundgesamtheitshäufigkeit konvergieren ([1868c], CP 5.349-50, [A] 97f). Die
einzig vorstellbare Möglichkeit, daß die Menschen aus ihren induktiven Schlüssen
auf lange Sicht nichts lernen würden, wäre dann gegeben, wenn "aufgrund einer
allgemeinen Regel nach der Durchführung einer jeden Induktion die Ordnung der
Dinge … einen Umsturz durchmachen würde" (ebd., CP 5.352, [A] 99). Aber
selbst eine solche Regel, so lautet nun Peirce' Pointe, "würde selbst wieder durch
Induktion zu entdecken sein", sodaß es, wenn die Induktion nur weit genug
angewendet wird, unmöglich ist, aus der Induktion nichts zu lernen.
Wissenschaftstheoretisch am wichtigsten ist Peirce' Theorie der Abduktion.
Ihre klassifikatorische Beschreibung als Schluß von Resultat und Regel auf den
Fall machte ihre eigentliche Bedeutung noch keineswegs erkennbar. Sie ist
nämlich, wie Peirce in [1903a] (CP 5.171, [A] 400) ausführt, "das einzige logische
Verfahren, das irgendeine neue Idee einführt". Schon in [1978d] erkannte Peirce,
daß die Funktion der Abduktion in der Wissenschaft primär darin liegt,
theoretische Begriffe und Modelle zu entwickeln, welche die empirischen Gesetze
auf physikalische Entitäten und Strukturen zurückführen, die der Beobachtung
nicht direkt zugänglich sind - sein Beispiel ist die theoretische Erklärung der
empirischen Gasgesetze durch die statistische Mechanik (CP 2.637-40, [A] 240-
5). Peirce nimmt damit Carnaps Entdeckung der empirisch nicht definierbaren
theoretischen Terme vorweg. "Jedes einzelne Stück wissenschaftlicher Theorie ...
ist der Abduktion zu verdanken", heißt es später ([1903a], CP 5.172, [A] 400).
In sich ist die Abduktion durch nichts gerechtfertigt, ist bloße 'Spekulation'. Ihre
einzige Rechtfertigung, so Peirce, liegt darin, daß "die Deduktion aus ihrer
Annahme eine Vorhersage ziehen kann, die durch die Induktion getestet werden
2 7kann" (ebd., CP 5.171, [A] 400). Damit entwirft Peirce ein Bild der Logik der
Forschung, das in seinen Grundzügen genau dem Popperschen
falsifikationistischen Programm entspricht. Ausgehend von einem gegebenen
empirischen Wissen entwickeln wir theoretische Hypothesen, die das direkt
Beobachtbare übersteigen und zunächst rein spekulativ sind. Aus diesen können
wir aber empirische Konsequenzen deduktiv ableiten, deren Zutreffen wir
experimentell überprüfen. Erhalten wir den theoretischen Prognosen
widersprechende experimentelle Resultate, so ist die Theorie falsifiziert oder
zumindest geschwächt, stimmen die Experimente jedoch mit den theoretischen
Prognosen überein, so ist unser Vertrauen in die Theorie gestiegen, die Theorie
ist, wie Popper sagt, bewährt (vgl. auch CP 8.209, [A] 579f). In der Bewährung
einer Theorie durch die Bestätigung ihrer empirischen Konsequenzen ist der
induktive Schluß enthalten, daß eine bisher gut bewährte Theorie sich auch in der
Zukunft gut bewähren wird (1903a], CP 5.170, [A] 399). Auf diese Weise muß
auch die Abduktion sich auf lange Sicht der Wahrheit nähern (ebd.).
Peirce' und Poppers Forschungslogik decken sich also weitgehend - allerdings
mit dem Unterschied, daß Popper die Peircesche Abduktion nicht als
wissenschaftsmethodisches Verfahren akzeptieren würde, da sie nicht den
Begründungszusammenhang einer Hypothese, sondern ihren Entdeckungs-
zusammenhang betrifft, und nur der Begründungszusammenhang wissenschafts-
theoretische Relevanz besitzt. Peirce dagegen hat mit der Abduktion in seine
Wissenschaftstheorie auch den Entdeckungszusammenhang miteinbezogen;
womit er der heutigen, von Kuhn inspirierten Auffassung von
Wissenschaftstheorie sehr nahe kommt. Allerdings bleibt auch bei Peirce die
Abduktion ein spekulatives Verfahren, daß im Gegensatz zur Deduktion und
Induktion keiner angebbaren Regel folgt.26 Ihre einzige Rechtfertigung gewinnt
sie, wie oben erwähnt, mithilfe von Deduktion und Induktion, durch die
Überprüfung der empirischen Konsequenzen der von ihr konstruierten Theorien.
Dennoch gibt es bei Peirce zumindest ein systematisches Prinzip, der die
Abduktion unterliegt. Es handelt sich dabei um - nichts anderes als die
pragmatische Maxime (!). In [1903a] (CP 5.196, [A] 407) definiert Peirce diese
Maxime als die Logik der Abduktion, die der Kreation von neuen Begriffen und
Hypothesen folgende Restriktion auferlegt: kreiere nur solche neue Begriffe und
Hypothesen, die mögliche praktisch relevante Wirkungen besitzen, denn allein
darin liegt ihre Bedeutung. Der topologische Sitz der pragmatischen Maxime liegt
also, wie wir jetzt sehen, im Zentrum des Peirceschen Systems, in der Logik der
Abduktion. Da alle Begriffe und Ideen, die nicht unmittelbar in der Wahrnehmung
enthalten sind, der Abduktion entstammen, ist klar, daß die pragmatische Maxime
26 Peirce führt die abduktiven Fähigkeiten des Menschen auf 'natürliche Instinkte' zurück; s. [1903a],CP 5.47, Anm. 12, [A] 422; 5. 1724, [A] 400-403; 5.212, [A] 419f.
2 8aus dem Zentrum heraus auf das gesamte Peircesche System ausstrahlt und alle
grundlegenden philosophischen Begriffe bestimmt.
Rekapitulieren wir: Die deduktive Logik ist schlicht evidentes Prinzip jedes
bedeutungsdefiniten Zeichensystems; die induktive Logik als Grundprinzip
empirischen Lernens muß sich auf lange Sicht der empirischen Wahrheit nähern;
die abduktive Logik schließlich führt neue Begriffe und Ideen unter der Restriktion
der pragmatischen Maxime ein, und rechtfertigt sich allein durch die induktive
Überprüfung ihrer deduktiven Konsequenzen, wodurch auch sie auf lange Sicht zur
Wahrheit führt. Peirce' Begründung der wissenschaftlichen Methoden macht also
nirgendwo von außerwissenschaftlichen ethischen Maximen Gebrauch, sondern
orientiert sich einzig an dem wissenschaftsimmanenten Wahrheitsziel der
Forschergemeinschaft, und zeigt, gemäß dem Prinzip der Methodenwissenschaft,
daß diese Methoden auf lange Sicht zur Wahrheit führen werden.
Wir können damit nun genau sagen, worin das mögliche Mißverständnis
besteht, wenn man sagt, Peirce begründe seine Logik durch die Ethik. Was Peirce
ethisch begründet, ist nicht die Logik, sondern derWert der Logik. Anders
gesprochen: Als Methodenwissenschaft macht Peirce' Logik nirgendwo von Ethik
Gebrauch. Als genuin normative Wissenschaft jedoch - wenn es darum geht,
Wahrheit als ethischen Wert zu begründen - muß Logik sich auf die Ethik berufen.
Wir wollen dies als die normative Einbettung der Logik in die Ethik bezeichnen.
Die Grundlage dieser normativen Einbettung ist aber nichts anderes als Peirce'
Theorie-Praxis-These. Genau dann, wenn gezeigt ist, daß die Verfolgung des
wissenschaftlichen Wahrheitsziels langfristig auch unsere Wünsche befriedigt, ist
Wahrheit auch als ethischer Wert etabliert und die normative Einbettung
vollzogen. Damit kommt Peirce' Theorie-Praxis-These eine entscheidende
Funktion im Gesamtsystem zu.
3.4 Zwei ethische Voraussetzungen der Theorie-Praxis-These
Der Angelpunkt von Peirce' Theorie-Praxis-These ist, wie wir oben sahen, die
Äquivalenz zweier Versionen der pragmatischen Maxime: der experimenta-
listischen und der praktikalistischen. Es folgt daraus, daß, wenn wir die
wissenschaftliche Methode verfolgen, wir zugleich unser Wissen darüber
vermehren, wie wir handeln müssen, um gegebene Zwecke zu realisieren. Daher,
so könnte man weiterschließen, wird uns das wissenschaftliche Wissen auf lange
Sicht genau zu jenen Handlungen anleiten, die die ihnen unterliegenden Zwecke
tatsächlich realisieren und somit zur Befriedigung unserer Wünsche führen. Doch
diese Begründung ist lückenhaft, und Peirce ist sich dessen bewußt. Tatsächlich
wird nämlich die Orientierung an wissenschaftlicher Wahrheit nur dann die
praktischen Wünsche des Menschen befriedigen, wenn er zumindest einige
2 9ethische Grundwerte bereits angenommen hat und sich auch praktisch daran hält.
Die erste dieser Voraussetzungen hat Peirce schon in [1868c], im
Zusammenhang seiner Theorie induktiven Schließens, ausgeführt. Induktive
Schlüsse führen ja nur auf lange Sicht zur Wahrheit, d.h. nur unter der
Voraussetzung, daß sie beliebig oft wiederholbar sind. Brechen wir eine
statistische Untersuchungsreihe nach einer relativ kurzen Zeit ab, so kann es
durchaus sein, daß - 'weil es der Zufall so wollte' - ihre Resultate und die daraus
induktiv gezogenen Schlüsse uns völlig in die Irre geführt haben. In genau dieser
Situation, so Peirce, befindet sich aber der Mensch als Einzelindividuum ([1868c],
CP 5.350, [A] 98; 5.354f, [A] 101f). Sein Leben ist zu kurz, um Erfahrungen
beliebig lange wiederholen und variieren zu können; die induktive Methode kann
ihm keine Sicherheit gewähren, und er muß mit der Möglichkeit rechnen, daß sie
ihn in seinem persönlichem Leben in die Irre führt (ebd.). Nur für die gesamte
Gesellschaft bringt die induktive Methode auf lange Sicht den gewünschten Erfolg,
denn dadurch, daß Generation auf Generation immer wieder neue Individuen den
empirisch-induktiven Lernprozess fortführen, und dabei aus den - möglicherweise
auch tödlichen - Fehlern ihrer Vorfahren lernen, wird sich die soziale Gemeinschaft
im Ganzen der Wahrheit nähern. Daß die induktive Methode auch für den
Einzelnen erstrebenswert wird, setzt also voraus - so Peirce' zentrales Argument
- daß der Einzelne sich mit den Interessen der sozialen Gemeinschaft gedanklich
identifiziert, und die Interessen der anderen auch zu seinen eigenen macht. Wer in
seinem Herzen Egoist bleibt, für den ist die induktive Methode, zumindest
lebenspraktisch, nicht überzeugend. Es folgt daraus, so Peirce emphatisch, "daß
die Logik vor allem mit Strenge verlangt, daß ... nichts, was mein Selbst treffen
kann, mir wichtiger als alles übrige sein sollte. Wer seine eigene Seele nicht
opfert, um die ganze Welt zu retten, ist in all seinen Schlüssen insgesamt
unlogisch. So ist das soziale Prinzip tief in der Logik verwurzelt" ([1868c], CP
5.354, [A] 101). Aber selbst die Identifikation mit der sozialen Gemeinschaft ist
nicht hinreichend dafür, daß die Verfolgung der wissenschaftlichen Methode
unsere Wünsche befriedigt, denn es könnte sein, daß irgendwann alle Lebewesen
für immer vernichtet werden, sodaß die empirisch-induktive Methode nie mehr
fortgesetzt werden kann ([1868c], CP 5.357, [A] 103). Obzwar wir es nicht
wissen und durch nichts rechtfertigen können, so müssen wir alle von der Hoffnung
ausgehen, daß die Entwicklung der Menschheit unbegrenzt fortdauern wird.
"Diese unendliche Hoffnung, die wir alle besitzen ... ist so bedeutend und erhaben,
daß alles Schlußfolgern in bezug auf sie eine läppische Anmaßung ist" (ebd.). In
[1878b] faßt Peirce seine Überlegungen zusammen. Drei Gefühle, bzw. praktische
Werte, seien "unerläßliche Forderungen der Logik": "das Interesse an einer unbe-
schränkten Gemeinschaft, das Anerkennen der Möglichkeit, dieses Interesse zum
höchsten überhaupt zu machen, und die Hoffnung auf die unbegrenzte Fortdauer
3 0geistiger Aktivität (CP 2.655, [A] 220).
In seinen späteren Schriften bringt Peirce eine ganz analog gelagerte, aber
noch subtilere Überlegung ins Spiel. Er greift hier eine zweite, tieferliegende
Voraussetzung der Theorie-Praxis-These auf. Das Wissen um die praktisch
relevanten Folgen unseres Handelns, das uns die wissenschaftliche Methode auf
lange Sicht liefert, wird nur dann der Befriedigung unserer Wünsche dienlich sein,
wenn wir uns in unserem Handeln tatsächlich von diesem Wissen anleiten lassen,
also bewußt, willentlich und kontrolliert handeln, und uns nicht etwa von
unüberlegten Affekten und Instinkten treiben lassen. Mit anderen Worten, eine
weitere und noch grundlegendere Voraussetzung der Theorie-Praxis-These ist die
Fähigkeit zur Selbstkontrolle ([1903a], CP 5.130, [A] 385f).
3.5 Das 'Geheimnis des Pragmatismus': der ethische Theorie-Praxis-
Parallelismus
Wie begründet Peirce nun diese zwei ethischen Werte der Selbstkontrolle und
der Identifikation mit der unbegrenzten Gemeinschaft, welche Voraussetzungen
der Theorie-Praxis These sind? In [1868c] ist die Art der Begründung noch nicht
eindeutig. Wenn Peirce von "Forderungen der Logik" spricht, oder davon, daß der
Egoist "unlogisch" sei, so deutet dies darauf hin, daß der ethische Wert der
Identifikation mit der Gemeinschaft als Folgerung der Logik qua genuin normativer
Wisenschaft aufgefaßt wird. Aus dem Oberstwert der Wahrheit, so könnte man
argumentieren, folgt zusammen mit den Erkenntnissen der induktiven Methode,
daß auch die Identifikation mit der Gemeinschaft ein abgeleiteter Wert (bzw.
'Mittel-Wert') sein muß, weil nur so Wahrheit erreichbar ist. Insofern scheint es
hier also, als leitet Peirce aus der Logik eine Ethik ab. Doch hier ist eine wichtige
Differenzierung angebracht. Das Ziel der Wahrheit betrifft doch nur das Denken,
nicht das Handeln. Zwar liegt die Bedeutung unserer Gedanken, in laxer Ausle-
gung der pragmatischen Maxime, 'im Handeln', aber eben, wie Peirce betont, nur
im "gedachten Handeln", unter denkmöglichen Umständen ([1878a], 5.402, Anm.
20, [A] 212). Was die Logik vom Menschen qua Denker also abverlangt, ist die
Identifikation mit der Gemeinschaft nur im Denken, nicht im Handeln. Anders
ausgedrückt, in der Tat folgt aus der Logik qua normativer Wissenschaft eine
Ethik, aber es ist eine rein wissenschaftsimmanente Ethik, eine Ethik des
Denkens, nicht des Handelns. Daß jene Werte, die von der Logik qua normativer
Wissenschaft im Denken gefordert werden, zugleich die führenden Werte in
unserem Handeln und Leben bilden sollen, das wird von dieser
wissenschaftsimmanenten Ethik nicht mehr impliziert. Aber genau dies wäre zur
Begründung der Theorie-Praxis-These nötig.
Daß Peirce zu dieser Sicht der Dinge tendiert, wird bereits in einer Passage in
3 1[1868c] deutlich, wo er davon spricht, daß für den Logiker qua Denker die bloße
Erkenntnis genügt, daß man sich, um logisch zu handeln, mit der unbegrenzten
Gemeinschaft identifizieren muß - auch wenn der Logiker "diese
Selbstidentifikation selbst nicht fertigbringt" (CP 5.356, [A] 102). Später, etwa in
[1898], wird die Unterscheidung zwischen theoretischen Fragen des Denkens und
praktischen Fragen des Handelns explizit vollzogen. Das Problem stellt sich für
Peirce nun also so: Einerseits impliziert die Logik qua normativer Wissenschaft
eine Ethik, aber nur eine Ethik des Denkens. Als Denkethik verlangt sie vom
Denker Identifikation mit der Forschergemeinschaft und Selbstkontrolle. Um
jedoch die Theorie-Praxis-These zu begründen, muß gezeigt werden, daß jene
Werte, die die Logik von uns im Denken verlangt, zugleich die richtigen Werte für
die praktischen Ethik darstellen. Genau dies will Peirce in seinen späteren
Schriften zeigen; und wir sprechen hier von seinem 'ethischen Theorie-Praxis-
Parallelismus'.
Peirce' Ausgangspunkt ist die zweite Voraussetzung der Theorie-Praxis-
These: der Wert der Selbstkontrolle. Genau an diesem Punkt", sagt Peirce,
"stoßen wir auf die erste Spur des Geheimnisses des Pragmatismus" ([1902a],
CP 5.130, [A] 385). Hier handelt es sich nämlich um einen Wert, der zugleich in
der wissenschaftlichen Methode wie auch in der praktischen Ethik als Grundwert
fungiert. Denn das logisches Schließen involviert durch und durch gedankliche
Selbstkontrolle, nämlich die bewußt-willentliche Durchführung eines Denkaktes
(das Ziehen einer Konklusion) mit anschließender Bewertung als korrekt und
inkorrekt (ebd., 386). Zugleich ist die Fähigkeit zur Selbstkontrolle in unserem
praktischen Handeln Grundlage jeglicher rationalen Ethik. "Der rechtschaffene
Mensch ist derjenige, der seine Leidenschaften kontrolliert und sie mit solchen
Zwecken in Übereinstimmung bringt, die er willens ist, überlegtermaßen als
letztgültige anzunehmen" (ebd.). So erweisen sich also "die Phänomene des
Denkens in ihren allgemeinen Eigenschaften als parallel zu jenen des moralischen
Verhaltens. Denn Schließen ist im wesentlichen selbstkontrolliertes Denken, so
wie moralisches Verhalten im wesentlichen selbstkontrolliertes Verhalten ist"
([1903b], CP 1.606). In [1903b] spricht Peirce von einem "perfekten Paralle-
lismus" zwischen der Denk- und der Handlungsethik (ebd., CP 1.610). Insofern,
sagt Peirce in [1903a], sei "das logisch Gute einfach eine besondere Art des
moralisch Guten" (CP 5.130, [A] 386).
3.6 Die normative Einbettung der Wissenschaftstheorie in die Ethik und die
Begründung der Theorie-Praxis-These
Die Brücke, die Peirce zwischen Theorie und Praxis baut, beruht also letztlich
auf dem Argument, daß rationales Denken und rationales Handeln grundlegend
3 2artverwandt sind, und auf gleichen bzw. parallelen Grundwerten basieren, nämlich
Selbstkontrolle und Identifikation mit der Gemeinschaft. Indem dies gezeigt wird,
wird zugleich die Theorie-Praxis-These begründet. Anhand der Selbstkontrolle hat
uns Peirce dies bereits gezeigt. Damit ist die zweite Voraussetzung der Theorie-
Praxis-These begründet. Aber die Begründung der ersten, und viel
weitreichenderen Voraussetzung der Theorie-Praxis-These - die praktische
Identifikation des Einzelmenschen mit der unbegrenzten Menschheit - steht noch
aus.
In seiner Ethik versucht Peirce nun Gründe dafür zu geben, warum diese vom
Wert der Wissenschaft vorausgesetzte Identifizierung mit der gesamten Mensch-
heitsentwicklung auch aus der Sicht der praktischen Ethik als oberster Wert
anzusehen ist. Peirce geht von der Ausgangsfrage aus, welches Ziel überhaupt als
objektiv bzw. ethisch allgemeinverbindlich begründet bzw. 'nahegelegt' werden
kann ([1903a], CP 5.133, [A] 387). Ein solches Ziel darf nicht an spezifische
subjektive Interessen gebunden sein, wenn Ethik als objektive Wissenschaft
überhaupt möglich sein soll. Das Problem der Ethik, führt Peirce weiter aus, liegt
also darin, zu ermitteln, "welcher Zweck möglich ist" (ebd., CP 5.134, [A] 388) -
gemeint ist ein objektiver, für die gesamte Menschheit verbindlicher Zweck.
"Welches Ziel [ist] so beschaffen ..., daß es uns die Möglichkeit bietet, es zu
verfolgen, selbst wenn der Handlungsverlauf unbegrenzt verlängert wird?" (ebd.,
CP 5.135, [A] 389). Das letzte, objektives Ziel darf nicht von weiteren Zielen
abhängen, es muß sich "an sich unabhängig von jeder darüber hinausgehenden
Überlegung [empfehlen - d.A.]. Es muß ein bewundernswertes Ideal sein" (ebd.,
CP 5.130, [A] 387). Das heißt aber, so Peirce, daß dieses Ziel letztlich aufgrund
seiner ästhetischen Güte angenommen wird. Derart gelangt er zu der Überlegung,
daß die Frage nach einem letzten Ziel unseres Handelns im Grunde nicht von der
wissenschaftlichen Ethik, sondern von der wissenschaftlichen Ästhetik beant-
wortet wird (ebd., CP 5.132, [W] 173). Zur Vermeidung terminologischer
Mißverständnisse sei jedoch hinzugefügt, daß die Frage nach einem Letztziel des
Handelns - auch wenn Peirce darin Recht hätte, daß es seiner Natur nach
'ästhetisch' ist - zum traditionellen Bereich der Ethik zählt.
Zunächst kann ein solches Ziel nicht in einzelnen Handlungen liegen27, denn
das Ziel einer Handlung ist mit jeder Handlung erreicht. Bei dem letzten Ziel muß
es sich dagegen um ein allgemeines, wiederholbares und unbegrenzt verlänger-
bares Ziel handeln. Dieser Punkt ist also schnell abgehandelt. Was Peirce viel
schwerer fällt, ist die Auseinandersetzung mit dem ethischen Hedonismus bzw.
Utilitarismus. Dessen Antwort auf die Frage nach einem letzten,
allgemeinverbindlichen Ziel lautet nämlich, dieses läge im - persönlichen oder
27 Dies hat Peirce auch immer wieder gegen James' Version des Pragmatismus vorgebracht. Vgl.[1902a], CP 5.3, [A] 316, [1905a], CP 5.429, [A] 444.
3 3kollektiven - Glück des Menschen. Peirce kritisiert dieses Ziel mit dem Argument,
daß es sich bei Glück und Zufriedenheit nur um ein 'Beigefühl' handelt, das sich
einstellt, wenn man sein Ziel erreicht hat, aber nicht um ein eigentliches, inhaltlich
bestimmtes Ziel.28 "Eine ... Handlung könnte nach der hedonistischen Lehre kein
anderes Ziel haben als das, ihr eigenes Ziel zu befriedigen; das ist aber absurd"
(CP 5.561, [A] 495).
An diese Überlegungen knüpft nun Peirce' Hauptargument an: das einzige Ziel,
das unbegrenzt lange von allen Menschen verfolgt werden kann, ist die Evolution
der menschlichen Vernünftigkeit selbst ([1903b], CP 1.615; CP 8.141; [1903a], CP
5.433, [A] 448). Und dieses Ziel ist auch, wie Peirce eher emphatisch als
argumentativ nahelegt, das einzige Ziel, das wirklich an sich bewunderswert ist.
"Ich sehe nicht, wie man ein bewundernswerteres Ideal haben kann als die so
verstandene Entwicklung der Vernunft" ([1903b], CP 1.615). Man mag dieses
Ideal annehmen oder nicht; wesentlich ist, daß sich damit das Peircesche System
schließt. Die Identifikation mit der unbegrenzten Fortdauer der geistigen
Menschheitsentwicklung, die im Wert der Wissenschaft vorausgesetzt ist, wird
zum obersten Grundwert der Ethik unseres Handelns. Die Begründung der
Theorie-Praxis-These ist vollendet.
3.7 Eine zweite Übersicht
Wir fassen unsere bisherigen Einsichten in einer zweiten Übersicht
zusammen.
Bild
Legende:PrErkZiwS, PrMethT, PrMax, PrErkieS, PrDfW und PrDfR wie in der Abb. aus Kap. 2.4EV (experimentalistische Version der pragmatischen Maxime): Bedeutung = Summe vorausgesagterexperimenteller Gesetzmäßigkeiten.
28 [1877], CP 5.382, Anm. 31 (Zusatz 1903) [A] 180; CP 5.560-3, [A] 494; [1903b], CP 1.614, [1902-3a].
3 4PV (praktikalistische Version der pragmatischen Maxime): Bedeutung = Summe abgeleiteterHandlungsanweisungen unter möglichen Zwecken und UmständenWthMeth, D/I/A (Wissenschaftstheorie als Methodenwissenschaft, Deduktion, Induktion undAbduktion).WthNorm, WiEth (Wissenschaftstheorie als genuin normative Wissenschaft, wissens-schaftsimmenante Ethik).EthThPraxP (ethischer Theorie-Praxis-Parallelismus): Denken + Handeln basiert auf gleichenGrundwerten: Selbstkontrolle + Identifikation mit der rationalen Menschheit.ThPraxT (Theorie-Praxis-These): Die Verfolgung von PrErkZieS befriedigt langfristig auch diepraktischen Ziele der Menschen qua ethisch rationaler Wesen.Ästh, PrakEth (Ästhetik und praktische Ethik).Bezeichnung der Pfeile: Aw Anwendung, Vf Verfeinerung, St Stützung, Imp Implikation, BgrBegründung, Äq Äquivalenz, ZiVor Zielvorgabe, AngP Angelpunkt, normE normativeEinbettung.
Das Kernsystem aus Kap. 2.4. ist nun angewachsen zu einem vollständigen Bild
der Peirceschen pragmatischen Erkenntnistheorie. Darüber erhebt sich die
ethische Fundierung. Ausgehend von der Darstellung des Kernsystems in Kap.
2.4, spaltet sich PrMax nun in die beiden äquivalenten Versionen EV und PV auf.
EV, PrMethT sowie die Zielvorgabe PrErkZieS konstituieren zusammen Peirce'
Wissenschaftstheorie als Methodenwissenschaft WthMeth, also die Lehre von
der Deduktion, Induktion und Abduktion D/I/A. PV ist andererseits der
Angelpunkt für die Theorie-Praxis-These ThPraxT. ThPraxT wird auf komplexe
Weise begründet. Zunächst folgt aus PrErkZieS zusammen mit den Einsichten der
WthMeth eine wissenschaftsimmanente Ethik WiEth, i.e. eine Ethik des
Denkens, welche Peirce' Wissenschaftstheorie als genuin normative
Wissenschaft WthNorm konstituiert. Die Tatsache, daß die Grundwerte dieser
Ethik des Denkens - nämlich Selbstkontrolle und Identifikation mit der rationalen
Menschheitsentwicklung - sich als identisch erweisen mit den Grundwerten der
Peirceschen praktischen Ethik und Ästhetik, PrakEth und Ästh, begründet Peirce'
These des ethischen Theorie-Praxis-Parallelismus EthThPraxP. Dieser wiederum
liefert die Begründung der ThPraxT, derzufolge die Verfolgung des wissenschafts-
immanenten Ziels PrErkZieS zugleich die praktischen Ziele der Menschen
befriedigt, freilich nur unter der Voraussetzung, daß die Menschen als ethisch
rationale Wesen agieren, also die Werte der Selbstkontrolle und der Identifikation
mit der rationalen Menschheitsentwicklung in ihrem Handeln als Oberstwerte
akzeptieren. Zugleich wird auf diese Weise die wissenschaftsimmanente Ethik,
wie wir sagten, 'normativ eingebettet', d.h. deren 'Denkwerte' als Teile einer prak-
tischen Ethik ausgewiesen. An dieser normativen Einbettung sind alle drei
Elemente Ästh/PrakEth, EthThPraxP und ThPraxT gleichermaßen beteiligt. Übrig
bleiben die drei schon in Kap. 2.4 erwähnten Fragen an der methodologisch-
ontologischen Basis des Systems. Ihnen wenden wir uns nun zu.
4. Ontologische und methodologische Fundierung: Realismus und
Empirismus
3 54.1 Die Irreduzibilität des kontrafaktischen Konditionals in der pragmatischen
Maxime und der Modalitätenrealismus.
Der Verzicht auf den traditionellen erfahrungstranszendenten Realitätsbegriff
und die daran anknüpfende pragmatische Maxime haben es Peirce ermöglicht, den
großen Bogen zwischen Theorie und Praxis zu spannen, demzufolge der Theore-
tiker letztendes das im Denken tut, was der ethische Mensch im Handeln tut.
Doch kann die pragmatische Maxime dem typischen realistischen Weltbild der
Wissenschaften wirklich gerecht werden? Sobald man sie näher analysiert,
enthüllt sich eine fundamentale Schwierigkeit.
Bereits in [1878a] wird sie offenkundig. Gehen wir zurück zum Peirceschen
Beispiel, demzufolge die Bedeutung der Tatsache, daß dieser Diamant hart ist,
darin liegt, daß er von keinem Gegenstand, mit dem man ihn zu ritzen versucht,
geritzt wird. Die Härte des Diamanten wird also nur dann erfahrbar, wenn man ihn
einer gewissen experimentellen Bedingung unterwirft - nämlich daß man ihn zu
ritzen versucht. Was ist dann aber mit einem Diamanten, fragt Peirce, der Zeit
seiner Existenz nie mit einem anderen spitzen Körper in Berührung kam?
([1878a], CP 5.403, [A] 195). Ein solcher Diamant hat keinen einzigen faktischen
Effekt gezeitigt, der ihn von einem weichen Körper unterscheidet. Könnte man
gemäß pragmatischer Maxime dann von ihm nicht ebensogut sagen, daß er weich
war (ebd.)? Peirce dehnt diese Überlegung noch weiter aus: "Wir können …
fragen, was uns zu sagen hindert, daß alle harten Körper völlig weich bleiben, bis
sie berührt werden" (ebd.). Die Antwort, die Peirce hier gibt, ist irritierend: "An
dieser Redeweise würde nichts Falsches sein. Sie würde eine Abänderung
unseres jetzigen Sprachgebrauchs im Hinblick auf die Wörter hart und weich
einschließen, aber nicht eine Abänderung ihrer Bedeutung" (ebd., [A] 195f).
Peirce hat sich später wiederholt von dieser Passage distanziert.2 9
Interessanterweise hat er aber auch in seiner früheren Schrift [1873] - die im
wesentlichen dem Inhalt seines Vortrages im 'Metaphysical Club' entspricht - die
gegenteilige Ansicht vertreten. Vermutlich wollte Peirce in der zitierten [1878a]-
Passage der empiristischen Gesinnung seiner Mitstreiter im Metaphysical Club,
oder der des Publikums, ein Stück entgegenkommen,30 entgegen seiner sonst
üblichen Auffassung; entdeckte dann aber, daß dieses 'Entgegenkommen' letztlich
sein System ruinieren würde, woraufhin er die Passage vehement widerrief. Es ist
29 Kurz vor dieser Stelle heißt es in der 1903 hinzugefügten Anm. 18 (CP 5.402, [A] 211): "Hier einelange Einfügung, die das widerlegt, was als nächstes kommt". In [1905b], CP 5.453, [A] 467f,widerruft Peirce seine [1878a]-Passage.
30 In [1905b] (CP 5.4453, [A] 467) spricht Peirce von der "Realität gewisser Möglichkeiten",welche das direkte Gegenteil der [1878a]-Passage implizieren (dazu s. unten im Text), und meintdann: "Der Artikel vom Januar 1878 bemühte sich, über diesen Punkt [die Realität vonMöglichkeiten - d.A.] hinwegzugehen, da er für die breite Öffentlichkeit, an die dieser Artikelsich wandte, unpassend schien; oder vielleicht war sich der Verfasser selbst noch nicht im klaren".
3 6leicht zu sehen, warum die oben zitierte [1878a]-Deutung in der Tat den
Peirceschen Pragmatismus ruinieren würde. Dessen grundlegendes Anliegen war
es ja, zu zeigen, daß auf pragmatischer Basis jener objektive Begriff der Wahrheit
und der Realität etabliert werden kann, auf den sich die Wissenschaften stützen.
Würde nun aber die Härte des Diamanten davon abhängen, ob man ihn zu ritzen
versucht oder nicht, so wäre sie keine objektive Eigenschaft des Diamanten mehr,
sondern hinge von den Handlungen einzelner Menschen ab. Mithin, die 'Realität'
des Diamanten wäre subjektabhängig. Könnte man pragmatisch also nicht unter-
scheiden zwischen der Behauptung, der Diamant sei hart, sofern er von einem
anderen Körper berührt wird, andernfalls weich, und der Behauptung, der Diamant
sei immer hart, unabhängig davon, ob er berührt wird, so könnte man also
pragmatisch gar nicht zwischen einer objektiv-realistischen und einer subjektiv-
antirealistischen Position unterscheiden. Der Unterschied zwischen einem objek-
tiven und einem subjektiven Realitätsbegriff wäre nur mehr ein 'Unterschied der
Sprechweise'. So aber kann der Pragmatismus niemals einen objektiven
Realitätsbegriff etablieren.
Genau dasselbe Problem läßt sich aber auch für den Peirceschen
Realitätsbegriff aufwerfen. Die empirisch-praktischen Effekte der Realität liegen in
der Konvergenz der menschlichen Meinungen zum Letztkonsens hin. Eine solche
Konvergenz kann freilich nur stattfinden, solange es Menschen gibt. Welcher
pragmatischer Bedeutungsunterschied besteht dann also zwischen den beiden
Behauptungen "Es gibt eine Realität" und "Es gibt eine Realität nur, solange es
Menschen gibt, andernfalls nicht"? Da die beiden Behauptungen sich in keiner
einzigen empirischen Implikation unterscheiden, müßte man gemäß obiger
Deutung ebenfalls sagen, es läge hier nur ein Unterschied der Sprechweise vor.
Daß aber die Realität nur existiert, wenn es Menschen gibt - z.B. das Universum
vor der Existenz der Menschen gar nicht existierte - ist ein extremer erkenntnis-
theoretischer Solipsismus, ganz unvereinbar mit dem wissenschaftlichen Weltbild.
Dennoch müßte man schließen, daß der Pragmatismus einem solchen Solipsismus
nichts entgegenhalten kann.
Denken wir die Sache logisch ein wenig gründlicher durch, so wird sie noch
schlimmer. Wir sprachen oben davon, daß die beiden Sprechweisen "ein
unberührter Diamant ist hart" und "ein unberührter Diamant ist weich"
pragmatisch bedeutungsgleich seien. Das bedeutet aber genau genommen nicht,
daß der Pragmatist sich eine davon 'aussuchen' darf, sondern vielmehr, daß er,
wenn er die eine als wahr anerkennt, auch die andere als wahr anerkennen muß.
Er muß also sagen, ein ungeritzter Diamant ist hart und weich. Man könnte jedoch
noch eine 'dritte' pragmatisch erlaubte Sprechweise einführen - daß ein ungeritzter
Diamant weder hart noch weich ist. Ein Diamant, der nicht geritzt wird, muß also
pragmatisch entweder hart und weich, oder weder hart noch weich, genannt
3 7werden. Wenn er aber geritzt wird, muß er pragmatisch hart und nicht weich
genannt werden. Damit ergibt sich aber in jedem Fall, unabhängig von allen
Sprechweisen, daß sich die Natur des Diamanten ändert, sobald man ihn ritzt. Die
genauere logische Analyse zeigt also, daß die obige Deutung der pragmatischen
Maxime auf tiefere Ebene in jedem Fall einen Antirealismus implizieren würde.
Und dasselbe würde dann für den Realitätsbegriff gelten: die Natur der Realität
hinge in jedem Fall davon ab, ob es Menschen gibt.
Man sieht, wie groß die Bedrohung ist, die von diesem Problem ausgeht. Es
würde im Falle seiner Unlösbarkeit das Peircesche System in einen solipsis-
tischen Subjektivismus zusammensacken lassen. Und dennoch hat Peirce bereits
in [1878a] die Wurzel zur Lösung dieses Problems gelegt. Sie liegt in dem
erwähnten Würde, dem kontrafaktischen Konditional. Die pragmatische Maxime
ist, wie Peirce später erläuterte, im Sinne dieses kontrafaktischen Konditionals zu
verstehen: die Bedeutung liegt in den Wirkungen, die der Gegenstand des Begriffs
unter gewissen Bedingungen haben würde, auch wenn diese Bedingungen faktisch
nicht, oder gar nie, eintreten. "Die Frage [ist - d.A.] nicht …, was tatsächlich
geschah, sondern … ob jener Diamant einem Versuch, ihn zu ritzen,
widerstehenwürde "([1905b, CP 5.453, [A] 468). Und in [1873] heißt es
sinngemäß: Ob wohl die Härte des Diamanten vollständig durch sein Verhalten
gegenüber Gegenständen konstituiert wird, mit denen man ihn zu ritzen versucht,
so beginnt der Diament doch nicht erst hart zu werden, wenn man ihn mit einem
anderen Gegenstand zu ritzen versucht; vielmehr ist er die ganze Zeit hart, seit er
zu existieren begann. Um hart zu sein, ist es also nicht erforderlich, daß der
Diamant tatsächlich zu ritzen versucht wird, i.e. von einem spitzen Gegenstand
gerieben wird, sondern nur, daß es zumindest möglich ist, ihn mit einem spitzen
Gegenstand zu reiben, und daß er in einem solchen, möglicherweise kontra-
faktischen Fall mit Notwendigkeit nicht geritzt worden wäre (CP 7.340). Ebenso
hat Peirce ja schon, wie in Kap. 2.3 ausgeführt, Realität als Gegenstand des
Letztkonsenses definiert, den die zeitlich unbegrenzte Forschergemeinschaft mit
Sicherheit erreichenwürde, und möglicherweise erreichen wird, obwohl wir faktisch
nicht wissen können, ob die Menschheit vorher ausstirbt oder nicht.
Damit gelangen wir zu folgender Interpretation von Peirce' pragmatischer
Maxime: Die Bedeutung einer Proposition "x ist ein F" wird wiedergegeben durch
eine Menge von generellen kontrafaktischen Konditionalen der Form: "wenn x in
experimentellen Umständen U wäre, würde x immer (oder mit der und der Wahr-
scheinlichkeit) so und so reagieren". Ein solches Konditional gibt eine allgemeine,
deterministische oder probabilistische Gesetzmäßigkeit bzw. Notwendigkeit
wieder, die nicht auf eine materiale Allimplikation reduzierbar ist, insofern das
Zutreffen dieser Gesetzmäßigkeit unabhängig davon ist, ob das Vorderglied, die
experimentellen Umstände, jemals faktisch erfüllt sind oder nicht. Es ist bloß
3 8erforderlich, daß das Eintreten der experimentellen Umstände möglich ist. Peirce
pragmatische Maxime macht also von den Modalitäten der Möglichkeit und der
Notwendigkeit essentiell Gebrauch. Dabei handelt es sich natürlich nicht um
logische, sondern um metaphysische, i.e. naturgesetzliche Modalitäten (s. CP
1.483, sowie Kap. 4.2). Voralledem aber aber handelt es sich, wie Peirce betont,
nicht um subjektive Modalitäten - also um Möglichkeit und Notwendigkeit relativ
zu unserem Wissensstand - sondern um ob jek t i ve Modalitäten, um
Notwendigkeiten und Möglichkeiten, die in der Natur real vorhanden sind
([1905b], CP 5.455, [A] 469f). Denn andernfalls würde der Pragmatismus ja
wiederum in den erwähnten subjektivistischen Solipsismus kollabieren. "[Der
Pragmatizist - d.A.] ist daher verpflichtet, die Lehre von der realen Modalität, die
reale Notwendigkeit und reale Möglichkeit einschließt, zu unterschreiben" (ebd.,
CP 5.457, [A] 473). Wir nennen dies den Peirceschen Modalitätenrealismus.
Diese realen Modalitäten sind nun aber, wie eine kurze Überlegung zeigt,
offenbar nicht mehr auf das reduzierbar, was man üblicherweise unter den
empirischen Fakten versteht. Denn ein harter und ein weicher Gegenstand, die nie
zu ritzen versucht wurden, haben sich Zeit ihres Lebens faktisch gleich verhalten.
Dennoch wäre es möglich gewesen, sie zu ritzen zu versuchen, und dann wäre
der harte Gegenstand geritzt worden, der weiche jedoch nicht. Daher sagt auch
Peirce: "Keine Anhäufung von tatsächlichen Ereignissen kann jemals die
Bedeutung eines solchen "würde-sein" vollständig wiedergeben" ([1907], CP
5.467, [A] 504). Jedoch noch mehr: das "würde-sein" ist nicht nur nicht auf die
Summe der beobachteten Fakten reduzierbar, es ist auch nicht auf das redu-
zierbar, was daraus durch bloße empirisch-induktive Verallgemeinerung
erschließbar ist. Denn alles, was wir aus einem Gegenstand, der Zeit seines
Lebens nie mit einem anderen Gegenstand in Berührung kam, hinsichtlich seiner
Ritzbarkeit empirisch-induktiv erschließen können, ist eben die Tatsache, daß er
nie einem anderen Gegenstand in Berührung kam. Freilich könnten wir, wie Peirce
in [1905b] (CP 5.457, [A] 472) ausführt, versuchen, in diesem Fall den harten
vom weichen Gegenstand durch andere Eigenschaften unterscheiden - doch auch
diese Eigenschaften könnten, als kontrafaktische Konditionale analysiert, aufgrund
des Nichtvorliegens ihrer experimentellen Bedingungen unzugänglich sein. Man
denke nur an einen Diamanten am Grunde des Meeres, von dem Zeit seines
Existenz keiner Menschenseele Kenntnis hatte - dennoch ist auch dieser
Diamant, wie jeder andere, hart.31
Peirce hat in seiner Analyse der pragmatischen Maxime im Grunde die
31 Obwohl Peirce' Äußerungen nicht immer ganz klar sind, und in ihm scheinbar einen inneren'geistigen Kampf' bzgl. der Frage der Akzeptanz dieser Modalitäten stattfand (vgl. CP 5.545 in[1902b], [A] 331f), so geht doch aus der Summe seiner Schriften eindeutig hervor, daß dieseInterpretation korrekt ist. Vgl. auch [1905b], CP 5.457, [A] 472: "Ist es nicht eine monströseVerkehrung des … Begriffes real, zu sagen, der Zufall, daß der Diamantspat nicht rechtzeitigeintraf, habe die Härte des Diamanten daran gehindert, … Realität zu haben?".
3 9gesamte moderne wissenschaftstheoretische Debatte um die Problematik der Dis-
positionsbegriffe und der Gesetzesartigkeit vorweggenommen. Die Einsicht von
Carnap war es ja, daß Dispositionsbegriffe, wie z.B. "x ist hart", nicht durch
empirische Allimplikationen definierbar sind. Ebenso hat Goodman gezeigt, daß
echte Naturgesetze nicht auf bloße empirische Allimplikationen zurückführbar
sind. Das Problem war die Einsicht, daß empirische Allimplikationen auch bloß
'zufällig' wahr sein können, genau dann nämlich wenn ihr Vorderglied leer ist - wie
beim nie berührten Diamanten. Beides, Dispositionsbegriffe wie gesetzesartige
Allsätze, hat man daher versucht, mithilfe von kontrafaktischen Konditionalen zu
explizieren. Das heißumstrittene Problem dabei war eben die Tatsache, daß die
Bedeutung letzterer sich nicht in empirischen Fakten erschöpft - sie sind, wie man
in logischer Terminologie auch sagt, nicht 'extensional', sondern 'intensional'. Man
sieht wieder, wie weit Peirce seiner Zeit voraus war. Da eine sinnvolle Analyse
kontrafaktischer Konditionale auch heute noch ein unbewältigtes Problem
darstellt, gewinnt die Lösung, die Peirce im folgenden anbietet - auch wenn sie
nicht ganz zufriedenstellen mag - hohe Aktualität.
Peirce versucht zunächst, seinen Modalitätenrealismus als Konsequenz des
von der pragmatischen Realitätsdefinition implizierten Universalienrealismus
auszuweisen und dadurch zu rechtfertigen (vgl. [1905b], CP 5.453, [A] 467). Doch
dies ist nicht überzeugend. Der Universalienrealismus impliziert nämlich noch
keineswegs den starken Modalitätenrealismus, demzufolge dem "Würde" nicht
nur 'irgendetwas' Reales entspricht, sondern etwas, das sich nicht in empirischen
Regelmäßigkeiten erschöpft. Im Gegenteil, der Modalitätenrealismus scheint
sogar in einem Konflikt zur pragmatischen Maxime zu stehen. Eine kurze
Überlegung zeigt dies. Nachdem das kontrafaktische Konditional über die
induktive Verallgemeinerung empirischer Einzelfakten hinausgeht, muß es, gemäß
Peirce' Logik, offenbar durch Abduktion gewonnen worden sein.32 Die Bedeutung
abduktiver Begriffe wird in Peirce' System aber durch die pragmatische Maxime
definiert. Sobald wir aber versuchen, die Bedeutung des "Würde" gemäß der prag-
matischen Maxime durch seine empirischen Effekte zu erklären, landen wir genau
bei der Schwierigkeit, von der wir ausgingen. Denn die beiden Behauptungen
"dieser nie berührte Gegenstand würde, wenn berührt, geritzt werden", und
"dieser nie berührte Gegenstand würde, wenn berührt, nicht geritzt werden"
unterscheiden sich ja - dies war die Ausgangsschwierigkeit - durch keinen ein-
zigen vorausgesagten empirischen Effekt. Wollte man also das "Würde" durch die
pragmatische Maxime weiter 'reduzieren', so wäre die Konsequenz wieder die
Auffassung, daß es sich hier nur um 'zwei Sprechweisen' mit gleicher Bedeutung
handle, was den Peirceschen Pragmatismus zum Einsturz brächte.
Es gibt in dieser Situation nur zwei Möglichkeiten. Entweder, das "Würde"
32 Vgl. CP 1.168; sowie [1903a], CP 5.211, [A] 417.
4 0wird als irreduzibles Element von der pragmatischen Maxime explizit ausge-
nommen. Dann hätte aber der Pragmatismus an Kohärenz beträchtlich eingebüßt,
insofern sich nun in seinen Kern ein 'metaphysisches', i.e. nicht durch seine
empirisch-praktischen Effekte explizierbares Element eingeschmuggelt hätte. Oder
aber, man versucht zu zeigen, daß das 'Würde', obwohl nicht auf empirische
Fakten reduzierbar, doch in 'irgendeiner' Weise in unserer Erfahrung enthalten ist.
Dies würde freilich bedeuten, daß der Begriff der 'Erfahrung' gegenüber seiner
üblichen empiristischen Interpretation wesentlich erweitert werden muß. Wie wir
unten sehen werden, beschreitet Peirce diesen letzteren Weg, den wir seinen
Hyperempirismus nennen. Vorher wollen wir das bisher Gesagte durch einen Blick
auf Peirce' Ontologie und Methodologie vertiefen.
4.2 Die Ontologie der Erstheit, Zweitheit und Drittheit
Wie Peirce in seiner Phänomenologie zu zeigen versucht, lassen sich an allen
Phänomenen drei grundlegende Seinsformen aufweisen, welche durch drei
universale ontologische Kategorien bezeichnet werden. Die Kategorie der Erstheit
bezeichnet etwas, das so ist, wie es ist, ungeachtet alles anderem. Die der
Zweitheit bezeichnet etwas, das so ist, wie es in Hinblick auf ein anderes ist; sie
bezeichnet, anders gesprochen, etwas insofern es auf ein anderes reagiert. Die
Kategorie der Drittheit schließlich bezeichnet etwas, das sich als ein drittes
vermittelndes Element bzw. als eine Verbindung zwischen ein Erstes und ein
Zweites schiebt ([1903a], CP 5.66, [A] 358).33 Daß es sich bei diesen Kategorien
um eine erschöpfende Liste handelt, glaubt Peirce in seiner Relationenlogik
nachgewiesen zu haben, derzufolge sich alle höherstelligen Relationen zwischen
Elementen auf ein-, zwei- und dreistellige zurückführen lassen, wogegen es sich
bei den letzteren um irreduzible Grundrelationen handelt ([1907], CP 5.469, [A]
507; [1903c]).
Konkretisieren wir diese Kategorien anhand einiger Peircescher Beispiele.
Eine Erstheit ist z.B. eine unmittelbar gegenwärtige Gefühlsqualität, wie der
"Duft von Rosenöl" ([1903a], CP 5.44, [A] 346; CP 5.66, [A] 358). Bei Erstheiten
handelt es sich also um wahrnehmbare Qualitäten an sich betrachtet, ohne daß
diese irgendwo raumzeitlich individuiert wären. Insofern sind Erstheiten, wie
Peirce auch sagt, bloße 'Möglichkeiten ([1894], CP 1.303-4). Zweitheiten sind alle
Paare von individuellen Dingen, die sich in momentaner Wechselwirkung befinden.
Alle unsere Erfahrungen, Wahrnehmungen von Außenobjekten, aber auch die
33 Wie Peirce bemerkt, wurden seine drei Kategorien zuerst von Hegel aufgestellt ([1903a], CP 5.43,[A] 346). Dennoch grenzt sich Peirce von Hegel markant ab; inbesondere weil dieser von derLogik kaum Gebrauch machte (vgl. CP 5.332), und weil er letztlich nur die Drittheit alseigenständige Kategorie anerkannte ([1903a], CP 5.44, [A] 346); [1905a], CP 5.436, [A] 451;u.a.m.).
4 1Handlungen, die wir an ihnen verrichten, sind Beispiele von Zweitheit ([1903a],
CP 5.45-52, [A] 347-354; CP 1.317-336). Eine individuelle Wahrnehmung, oder die
individuelle Wirkung einer Kraft ist Beispiel einer Zweitheit, aber auch alle
individuell und aktual existierenden Objekte sind im Modus der Zweitheit,
insofern ihre Existenz sich nur in ihren aktuellen Wechselwirkungen mit anderen
Objekten äußert ([1905a], CP 5.429, [A] 445).
Eine Drittheit dagegen ist nichts Individuelles, sondern etwas Allgemeines -
ein kontinuierlich und überall wirkendes Gesetz (CP 1.337). Beispielsweise ist
nicht eine individuelle Kraftwirkung, aber die überall gegenwärtige
Gravitationskraft eine Drittheit ([1903a], CP 5.107, [A] 381; [1902-3c]). Die
Drittheit ist die Seinsform, die dem Peirceschen Modalitätenrealismus zugrunde-
liegt, die der realen Möglichkeit und Notwendigkeit. Jede abduktive eingeführte
und gemäß der pragmatischen Maxime analysierte Eigenschaft, wie etwa die
"Härte", ist, insofern sie ein gesetzmäßiges Verhalten impliziert, eine Drittheit
([1905a], CP 5.431-2, [A] 447f). Aber nicht nur ein allgemeines Naturgesetz,
sondern - und voralledem - jede semantische Zeichenrelation, ist Beispiel für eine
Drittheit, insofern das Zeichen (oder 'Representamen) vermittels seiner
Bedeutung (seinem 'Interpretant') ein Objekt bezeichnet (CP 1. 541, 2.303,
[1903a], CP 5.89, [A] 372). Peirce verwendet die semantische
Repräsentationsrelation als bevorzugtes Beispiel für Drittheit ([1903a], CP 5.66,
[A] 358). Er ist der Meinung, daß es sich bei der semantischen Beziehung
zwischen einem Zeichen und seinem Objekt und der kausalen Beziehung
zwischen Ursache und Wirkung letztlich um denselben Typ einer allgemeinen und
real wirksamen Kraft, eben einer Drittheit handelt ([1903a], CP 5.105-7, 119; [A]
380-2). Grundsätzlich ist alles, was gemäß der pragmatischen Realitätsdefinition
als real bezeichnet werden kann, i.e. worauf die Forschungsmeinungen gesetzes-
mäßig hinkonvergieren, im Modus der Drittheit ([1903a], CP 5.121, [A] 383f).
Die Lehre der Erst-, Zweit- und Drittheit geht auch in Peirce' Semiotik ein. Die
Bedeutung jedes Satzes involviert - in mehr oder minder starkem Ausmaß, einen
Aspekt der Erstheit - sein ikonischen Gehalt, einen der Zweitheit -
seinindexikalischen Gehalt, und einen der Drittheit - seinrational-symbolischer
Gehalt.34 Der ikonische Gehalt ist z.B. eine Sinnesqualität, wie "blau", oder ein
geistiges Vorstellungsbild; der indexikalische Gehalt ist eine konkrete
Raumzeitstelle, ein "dies da". Jeder Satz involviert, am 'letzten Ende' der
pragmatischen Bedeutungskette, einen solchen ikonischen und indexikalischen
Gehalt (vgl. Anm. 34). Dieser Gehalt, so betont Peirce, wird durch die prag-
34 Zur grundsätzlichen Lehre von Ikon, Index und Symbol s. CP 2.274 - 308; [1903a] CP 5.73-76, [A]362-64. Man beachte aber, daß bei Peirce auch ein konventionell-symbolisches Zeichen ikonischenund indexikalischen Bedeutungsgehalt hat. Siehe hierzu: CP 2.438; [1903a], CP 5.76, [A] 364;sowie Scherer (1984), Kap. 2.3.1-2.3.3.
4 2matische Maxime nicht festgelegt.35 Sie fixiert lediglich den rational-symbolischen
Gehalt von Sätzen, in Form der vom Satz implizierten gesetzesmäßigen
Wirkungskette, mithilfe derer sich die Bedeutung des Satzes letzten Endes auf
eine konkrete Erfahrung bezieht. Damit können wir auch in Peirce' Ontologie die
pragmatische Maxime topologisch lokalisieren: sie ist für den Aspekt der Drittheit
zuständig.
Wir sahen, wie Peirce den Modalitätenrealismus, der sich als unentbehrliches
Element der pragmatischen Maxime erwies, in seiner Ontologie zu untermauern
versucht. Notwendigkeiten und Möglichkeiten sind eine grundlegende Seinsform
der Realität, die der Drittheit. Es handelt sich dabei um in der Realität vorhandene
allgemeine Gesetzmäßigkeiten, in Form von überall anwesenden aktiven Kräften.
Damit wird Peirce zugleich ein strikter Anti-Humeaner, ein Vertreter des kausalen
Realismus. Die Frage ist natürlich, wie diese stark metaphysische Lehre der
Drittheiten mit dem Pragmatismus vereinbar ist, und wie oben schon angedeutet,
liegt Peirce' Lösung nicht darin, die Drittheiten einfach als ein vom
Anwendungsbereich der pragmatischen Maxime ausgenommenes metaphysisches
Element vorauszusetzen, sondern sie mithilfe eines gewissen 'Hyperempirismus'
doch auf die Erfahrung zurückzuführen. Bevor wir uns diesem Hyperempirismus
zuwenden, müssen wir erst einmal Peirce' Empirismus kennenlernen.
4.3 Der Empirismus und der empiristische Realitätsbegriff
Bereits in Kap. 2.4 hatten wir zwei kritische Fragen gestellt. Die erste betraf
die pragmatische Definition der Realität. Wie wir sahen, gibt es keinen Beweis
dafür, daß es eine Realität im Sinne der pragmatischen Definition überhaupt gibt,
weil nicht beweisbar ist, daß die Forschermeinungen konvergieren, Die zweite
Frage betraf die Methodenthese: warum ist gerade die empirische Methode der
Wissenschaften die einzige erfolgreiche Methode der Meinungsfestlegung? Jetzt,
wo wir einen hinreichenden Einblick in Peirce' Gesamtsystem gewonnen haben,
sind wir in der Lage, diese Fragen zu beantworten. Die Antwort liegt in Peirce'
Empirismus.
Zunächst zur ersten Frage. Wenn es keinen Beweis für das Konvergieren der
Meinungen gibt, so muß es doch einen plausiblen Grund geben; warum sollte
Peirce sonst so optimistisch gewesen sein? Schon in [1871] betont Peirce, es
müsse doch so etwas wie das Reale geben, "denn wir finden, daß unsere
Meinungen einem Zwang unterworfen sind" (CP 8.12, [A] 114). Dieser Zwang
aber geht von der Erfahrung aus, die Peirce [1885] (CP 8.43, [A] 259) als
"äußeren Zusammenprall" bezeichnet, da ihr Wesen darin besteht, daß uns in der
35 [1907], CP 5.467, [A] 503f; sowie [1905a], CP CP 5.429, [A] 444f.
4 3Wahrnehmung etwas, das wir nicht erwarteten, aufgezwungen wird.36 In der
Wahrnehmung von etwas Unerwartetem erfahren wir, so Peirce, die Dualität von
"Ego und Non-Ego" ([1903a], CP 5.52, [A] 354); "die Realität der Außenwelt
bedeutet nichts außer jener realen Erfahrung der Dualität" ([1902b], CP 5.539,
[A] 322; CP 8.144). In der Wahrnehmung also erfahren wir, daß eine von uns
unabhängige Realität existiert. Wir nehmen, in Peircescher Terminologie, die Rea-
lität im Modus ihrer Zweitheit wahr: Existenz ist die Seinsform der Realität als
Zweitheit ([1902-3c], CP 1.532).
Damit erkennen wir nun aber einen neuen Peirceschen Realitätsbegriff. Die
Realität kommt nicht bloß als Gegenstand des in ferner Zukunft liegenden
Letztkonsens der Forschergemeinschaft ins Spiel. Sie taucht auch als dasjenige
auf, dessen Existenz in der Wahrnehmung erfahren wird. Wir wollen diesen
letzteren Peirceschen Realitätsbegriff den empiristischen nennen. Zusammen-
fassend können wir festhalten: In der Wahrnehmung erfahren wir Realität als
Zweitheit - wir erfahren, daß eine subjektunabhängige Realität existiert, ohne sie
dabei jedoch ihren Eigenschaften zu begreifen. Als Drittheit, d.h. als in ihren
Eigenschaften begriffene, ist Realität dagegen erst durch den Letztkonsens der
Forschergemeinschaft bestimmt (vgl. auch CP 8.300).
Die Frage nach Peirce' Optimismus bzgl. des Zustandekommens eines
Letztkonsenses beantwortet sich damit von selbst. Denn daß irgendeine subjekt-
unabhängige Realität existiert, wird ja bereits in der Wahrnehmung erfahren.
Daher ist die Hoffnung, wenn auch nicht beweisbar, so doch berechtigt, daß die
wissenschaftliche Forschung, welche sich ja auf die Wahrnehmungen beruft, diese
Realität auch erkennen kann, also letztlich zu einem Konsens finden wird, als
deren Gegenstand dann die Realität in nicht bloß existenzieller, sondern inhaltlich
bestimmter Weise definierbar ist. Damit beantwortet sich auch zugleich unsere
zweite Frage, warum, gemäß Peirce' Methodenthese, es gerade die
wissenschaftliche Methode sein soll, die allein unsere Meinungen zum Konsens
bringen kann. Eben weil diese Methode ihre Hypothesen an dem überprüft, worin
wir von der Realität erfahren - an den Sinneswahrnehmungen. Dementsprechend
hat Peirce seinen Pragmatismus durch eine empiristische Methodologie
untermauert, die der ausgezeichneten Stellung der Wahrnehmungsurteile im
wissenschaftlichen Erkenntnisprozess gerecht werden soll. All unser Wissen,
sagt der frühe wie der späte Peirce, beruht letztlich auf unseren Sinnes-
erfahrungen; nur von ihnen hängt es schlußendlich ab, zu welcher Konklusion wir
gelangen.37 Dies begründet sich durch Peirce' feste Überzeugung, daß
Wahrnehmungen tatsächlich intersubjektiv sind - d.h. daß verschiedene
Personen, die mit hinreichender Konzentration dasselbe sinnliche Phänomen
36 [1902b], CP 5.539, [A] 321-3; [1903a], CP 5.45, [A] 348f.37 [1868a], CP 5.255, [A] 32; [1873], CP 7.328; [1903a], CP 5.142, [A] 391), CP 6.327.
4 4betrachten, tatsächlich auch dasselbe sehen, und sofern sie dieselbe Sprache
sprechen, zu übereinstimmenden Wahrnehmungsurteilen gelangen ([1903a], CP
5.118, [W] 151f; 5.186, [A] 407). Diese Intersubjektivität von Wahrnehmungen
begründet ja letztendlich erst die These, daß wir in ihnen die Existenz einer
subjektunabhängigen Realität erfahren.
Dabei war Peirce sich durchaus bewußt, unsere Wahrnehmung nicht frei von
'theoretischen' Interpretationen sind, die sozusagen in unseren Wahrnehmungs-
apparat eingebaut sind ([1903a], CP 5.184f, [A] 405).38 "Der abduktive Schluß
[geht - d.A.] allmählich ins Wahrnehmungsurteil über", wie Peirce ganz
'kuhnianisch' sagt. Der entscheidene Unterschied zwischen einer Wahrnehmung
und einer abduktiv erschlossenen theoretischen Hypothese liegt darin, daß wir
unsere Wahrnehmungen (bzw. 'Perzepte') nicht kontrollieren können; sie zwingen
sich uns einfach auf, wir können sie nicht leugnen, und daher auch nicht wirklich
kritisieren. 39 Aber auch unsere Wahrnehmungsurteile, insofern sie den Inhalt
einer bestimmten Wahrnehmung beschreiben, zwingen sich uns auf, sind
unkontrollierbar und daher nicht kritisierbar, sagt Peirce (Anm. 39). Heißt dies,
daß Peirce an dieser Stelle mit seinem Fallibilismus in Konflikt kommt? Nein, denn
es ist freilich nicht sicher, so Peirce, daß wir in unseren Wahrnehmungen
tatsächlich die Realität wahrnehmen; es könnte sich auch um eine Halluzination
handeln ([1902-3d], CP 2.142). Und wir können versuchen, dies indirekt zu über-
prüfen - etwa indem wir zu einem späterem Zeitpunkt neue Wahrnehmungen des-
selben Phänomens machen, oder indem wir unsere Wahrnehmungen mit denen
anderer Personen vergleichen, oder indem unser Gesetzeswissen heranziehen
(ebd.). Was Peirce nur sagen will, ist, daß wir ein Wahrnehmungsurteil wie "zu
diesem Zeitpunkt sah ich das und das", insofern es sich auf eine bestimmte
Wahrnehmung bezieht, nicht revidieren können, da die Wahrnehmung - ob es sich
nun um eine Realwahrnehmung oder eine Halluzination handelte - tatsächlich
stattfand und nicht mehr geleugnet werden kann.40 Zusammenfassend sind nach
Peirce also Wahrnehmungen bzw. die sie direkt repräsentierenden Wahrneh-
mungsurteile der Ausgangspunkt der Erkenntnis ([1873], CP 7.330; [1903a], CP
5.116, [W] 149-51). An ihnen werden alle anderen Hypothesen überprüft, während
sie ihrerseits nicht direkt kritisierbar, sondern höchstens indirekt, mithilfe weiterer
Wahrnehmungen und theoretischer Hypothesen, überprüfbar sind.
Wir sehen also, daß sich Peirce zu einem empiristischen Fundamentalismus
bekennt, demzufolge die Erfahrung der privilegierte Ausgangspunkt der
38 Dies hatte Peirce schon in seinen Frühschriften betont ([1868a], CP 5.216-224, [A] 15-21), darausjedoch den Schluß gezogen, daß es keinen 'Ausgangspunkt' der Erkenntnis gibt (ebd., CP 5.259ff,[A] 33ff), was er später ausdrücklich widerruft (s. [1903a], CP 5.181, [A] 404f).
39 [1903a, CP 5.115-6, [W] 147-51; CP 5.195, [A] 407; [1902-3d]; [1905d], CP 7.615-627.40 [1903a], CP 5.115, [W] 149. Peirce' Begriff des Wahrnehmungsurteil kommt übrigens dem
ziemlich nahe, was Schlick "Konstatierung" nannte.
4 5Erkenntnis ist. Aus der Perspektive der Peirceschen Realitätskonzeption ist das
freilich nicht verwunderlich - ist es doch die Erfahrung, in der die Existenz der
Realität zutagetritt. Wir können jedoch nie sicher wissen, ob wir in einer Einzel-
wahrnehmung tatsächlich die Realität erfuhren, oder nur halluzinierten. Dies muß
sich erst durch die Konstruktion der begriffenen Realität qua Gegenstand des
Letztkonsenses bestätigen.
Man wird fragen - hat Peirce durch die Einführung der empiristischen Realität
nicht insgeheim eine Realität im traditionellen Sinn, ein Ding-an-sich
eingeschmuggelt, das er durch seinen Pragmatismus ja überwinden wollte? Was
die empiristische Realität vom Ding-an-sich unterscheidet, so Peirce, ist ihre
Erfahrungsimmanenz - sie bezeichnet ja nur das in unserer Erfahrung enthaltene
"Non-Ego", i.e. die Tatsache, daß wir die Existenz von Phänomenen erfahren, die
von unserem Willen unabhängig sind ([1902-3d], CP 2.140). Was die Realität
dagegen inhaltlich ist, kann nur vom pragmatischen Realitätsbegriff, als Endpro-
dukt des Forschungsprozesses, bestimmt werden. So weit, so gut - allein, wir
stehen nun vor einem neuen Problem. Es gibt bei Peirce zwei Realitätskonzepte.
Wie hängen diese beiden zusammen?
4.4 Die Synthese des empiristischen und des pragmatischen Realitätsbegriffs:
Realität als Dispositionsbegriff
Bereits in [1873] (CP 7.339-45) hat Peirce versucht, diese beiden Realitäts-
begriffe zu vereinen. Es handelt sich in beiden Fällen, so Peirce, um dieselbe
Realität, die bloß in zwei verschiedenen Seinsweisen auftaucht: als Gegenstand
der Wahrnehmung in ihrer Zweitheit bzw. Existenz, als Endprodukt der
Forschung in ihrer Drittheit. Aber führt das nicht in ein Paradox? - so fragt Peirce
(ebd., CP 7.340). Wie kann die Realität als das Endprodukt unseres Denkens
zugleich die Ursache unserer Sinneswahrnehmungen sein, die ihrerseits den
Ausgangspunkt alles Denkens bilden? "Es scheint zunächst zweifellos paradox zu
sein, daß 'das Objekt unserer letzten Überzeugung, welches nur aufgrund dieses
Überzeugung existiert, zugleich diese Überzeugung verursacht haben sollte' "
(ebd.). Dennoch gibt es viele Fälle, so Peirce, wo wir eine ganz ähnliche
Auffassung vetreten - nämlich bei allen Dispositionsbegriffen (wie man modern
sagen würde). Peirce zieht einen Vergleich mit der mittlerweile vieldiskutierten
Härte des Diamanten. Die Härte des Diamanten wird logisch gesehen allein durch
die Tatsache konstituiert, daß er, wenn er mit einem spitzen Gegenstand gerieben
werden würde, nicht geritzt werden würde. Dennoch glauben wir nicht, daß der
Diamant erst dann hart wird, wenn er gerieben wird. Vielmehr war er schon die
ganze Zeit hart; ja und eben diese seine Härte ist die Ursache dafür, daß er, wenn
gerieben, nicht geritzt wird (ebd.). In derselben Weise verfahren wir, wie Peirce
4 6weiter ausführt, auch mit anderen Dispositionsbegriffen (CP 7.341-343). Und
genau derselbe Fall, so Peirce' Argument, liegt bei der Realität vor: die Realität
wird logisch gesehen allein dadurch konstituiert, daß ein Letztkonsens über sie
zustandekommt. Dennoch glauben wir nicht, daß die Realität erst dann zu
existieren anfängt, wenn der Letztkonsens erreicht ist. Vielmehr hat sie die ganze
Zeit existiert; ja und sie ist die Ursache dafür, daß der Forschungsprozess zu
einem Letztkonsens geführt hat (ebd., CP 7.344).
Wir können zusammenfassend festhalten: Peirce verbindet den empiristischen
mit dem pragmatischen Realitätsbegriff, indem er Realität als Dispositionsbegriff
analysiert. Logisch gesehen liegt nur insofern Realität vor, als eine unbegrenzten
Forschergemeinschaft zu einem Letztkonsens gelangen würde, deren Gegenstand
sie ist. Zeitlich gesehen hat die Realität - sofern sie existiert - 'immer schon'
existiert, und sie ist Ursache des zum Letztkonsens führenden Forschungs-
prozesses. Diese Synthese scheint gelungen - es gibt nur noch ein verbleibendes
Problem. Die Realität, so wie sie als Ausgangspunkt in die Wahrnehmung
'hineingerät', ist im Modus der Zweitheit: ein Ensemble von wechselwirkenden
Einzelindividuen. Die Realität, so wie sie als Endprodukt des
Forschungsprozesses 'herauskommt', ist aber im Modus der Drittheit: sie
involviert reale Modalitäten, universelle Kräfte. Woher kommen die Drittheiten?
Mit dieser Frage kommen wir zu dem Problem zurück, das wir am Ende von Kap.
4.1 aufwarfen: wie ist Peirce' Modalitätenrealismus mit seinem Pragmatismus
vereinbar? Wie wir ausführten, liegt Peirce' Lösung in einer Art
'Hyperempirismus'. Diesem wenden wir uns abschließend zu.
4.5 Die Fundierung des Modalitätenrealismus durch den Hyperempirismus
Auch hier handelt es sich um ein Problem, mit dem Peirce scheinbar einen
'inneren' Kampf ausführte. Noch in [1903d] heißt es, unsere Wahrnehmungen
enthielten nur Erst- und Zweitheiten, jedoch keine Drittheiten (CP 7.630). Daß
hieße, daß wir reale Notwendigkeiten in unserer Wahrnehmung nicht erfahren
können. Nachdem aber die pragmatische Maxime alle Begriffe letztlich auf
Erfahrbares zurückführt, wäre die Konsequenz, daß reale Notwendigkeiten
letztlich ein vom Menschen 'erfundenes', pragmatisch nicht explizierbares Element
darstellen würden - und das wäre mit der Objektivität des pragmatischen
Erkenntnisbegriffs unvereinbar. In [1903a] bringt dies Peirce ganz deutlich zum
Ausdruck. Er bespricht hier drei mögliche Positionen gegenüber der Drittheit, von
denen für uns hier nur zwei (seine zweite und die dritte) relevant sind (CP 5.209,
[A] 417). Man kann entweder annehmen, daß die Drittheit nicht wahrnehmbar ist,
sondern ein Zusatz, den das Verfahren der Abduktion hinzufügt (ebd., CP 5.211,
[A] 417). Diese Position wäre aber unbefriedigend. Denn da letztlich ja auch die
4 7pragmatische Realität eine Drittheit ist, wäre damit das "Reale völlig von der
Wahrnehmung [ge]trennt" (ebd., [A] 418). Den einzigen Realitätsbegriff, den
diese Position zuließe, wäre die Realität als Übereinstimmung mit dem
Letztkonsens der Forschung. Doch auch die Übereinstimmung mit dem
Letztkonsens würde dann letztlich nur in einer feststellbaren Regelmäßigkeit
unserer derzeitigen Forschungsmeinungen bestehen - "aber das verletzt die Idee
von Realität und Wahrheit" (ebd.). Peirce führt hier also genau das oben
aufgeworfene Problem auf: wenn man die realen Modalitäten, als abduktive
Konzepte aufgefaßt, selbst pragmatisch auf ihre experimentellen Effekte
reduzieren, also das "Würde" pragmatisch eliminieren wollte, wäre der objektive
Realitätsbegriff zunichte und ein Subjektivismus die Folge. Daher, so schließt
Peirce, muß eine Position eingenommen werden, die er die "zweite
Schleifsteinthese" des Pragmatismus nennt ([1903a], CP 5.180, [A] 404). Dieser
Position zufolge sind auch die Drittheiten bereits in unseren Wahrnehmungen
gegeben. Durch mehrere, hier nicht näher ausführbare Argumente versucht Peirce
zu zeigen, daß unsere Wahrnehmungen allgemeine Elemente enthalten, sodaß
universale Sätze aus ihnen ableitbar sind (ebd., CP 5. 148, [W] 195; CP 5.157,
[W| 205-7). Ja alle allgemeinen Konzepte und Gesetze, die wir aus den
Wahrnehmungen abduktiv erschließen, müssen in ihren rudimentären Elementen
schon in der Wahrnehmung vorhanden sein (ebd., CP 5.186, [A] 406f). Zwar kann
es, wie Peirce immer noch behauptet, keine unmittelbare Erfahrung des Allge-
meinen geben, doch "Allgemeinheit, Drittheit, breitet sich … in unseren
Wahrnehmungsurteilen aus" (ebd., CP 5.150, [W] 197).
Was immer man von diesem Peirceschen 'Hyperempirismus' halten möge -
worauf es hier ankommt, ist zu sehen, wie sich das Peircesche System schließt.
Indes wird das Problem, wie reale Notwendigkeiten mit der Erfahrung zu
verbinden sind, sicher noch vielen künftigen Generationen von
Wissenschaftsphilosophen Kopfzerbrechen bereiten.
4.5 Abschließende Übersicht
Wir gelangen nun zu unserer abschließenden Übersicht, einer 'Landkarte' des
Peirceschen Pragmatismus.
Legende:Die Elemente der pragmatischen Theorie der Erkenntnis und der ethischen Fundierung wie in derÜbersicht von Kap. 3.7Emp (Empirismus)EmpR (empiristischer Realitätsbegriff): Realität, deren Existenz in der Wahrnehmung erfahrenwird.RDisp (Realität als Dispositionsbegriff): Synthese des empiristischen und des pragmatischenRealitätsbegriffs.ModR (Modalitätenrealismus): Reale Notwendigkeit und Möglichkeit.Ont, 1./2./3. (Ontologie: Erstheit, Zweitheit und Drittheit).HypEmp (Hyperempirismus): Reale Notwendigkeit wird wahrgenommen.
4 8Bezeichnung der Pfeile: wie in der Übersicht von Kap. 3.7.
Bild
Zur Übersicht von Kap. 3.7 ist nun die methodologische und ontologische
Fundierung hinzugekommen. Zunächst wird PrMethT durch den Peirceschen
Empirismus Emp und empiristischen Realitätsbegriff EmpR gestützt. EmpR stützt
zugleich PrDfW und PrDfR, insofern er die Annahme plausibel macht, daß die
Forschung tatsächlich zu einen Letztkonsens hinkonvergieren wird bzw. würde.
EmpR und PrDfR gehen zusammen ein in die Synthese dieser beiden
Realitätsbegriffe mithilfe des Konzepts der Realität als Disposition, RDisp. Ein
zentraler Eckpfeiler ist der Modalitätenrealismus ModR, der als irreduzibles
Grundelement in der pragmatischen Maxime Eingang findet, und damit zugleich
die daraus gewonnenen Elemente PrDfW und PrDfR stützt, da ja andernfalls
deren objektiver Charakter verloren ginge. ModR wird durch Peirce Ontologie Ont,
also seine Lehre von der Erst-, Zweit- und Drittheit 1./2./3., untermauert. Diese
Lehre, insbesondere die These der realen Drittheiten, sowie der darauf
aufbauende ModR, werden schließlich durch Peirce' Hyperempirismus HypEmp
gestützt. Aber auch RDisp wird durch HypEmp gestützt, da letzterer erklärt, wie
im Verlauf des Forschungsprozesses aus der Realität als Zweitheit eine der
Realität als Drittheit werden kann: weil Drittheiten sich in unserer Wahrnehmung
ausbreiten.
Literatur
Gesamtausgaben und Teilsammlungen
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Wichtige Schriften von Peirce - eine Auswahl:
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(gekürzt).[1873] "The Logic of 1873", CP 7.313-361.[1877] "The Fixation of Belief", CP 5.358-387, [A] 149-181.[1878a] "How to Make Our Ideas Clear", CP 5.388-410, [A] 182-214.[1878b] "The Doctrine of Chances", CP 2.645-668, [A] 215-223 (Auszug).[1878c] "The Probability of Induction", CP 2.669-693, [A] 224-228 (Auszug).[1878d] "Deduction, Induction, and Hypothesis" CP 2.619-644, [A] 229-250.[1880] "On the Algebra of Logic", CP 3.154-251.[1885] "Review: Josiah Royce, The Religious Aspect of Philosophy", CP 8.39-54, [A] 253-265.[1892] "The Doctrine of Necessity Examined", CP 6.35-65, [A] 288-312.[1894] "The List of Categories. A Second Essay", CP 1.300-301, 1.293, 1.303, 1.326-329.[1896] "Lessions from the History of Science", CP 1.43-125.[1897] "Fallibilism, Continuity, and Evolution", CP 1.141-1.175.[1898] "Theory and Practice", CP 1.616-648.[1902a] "A Definition of Pragmatic and Pragmatism", CP 5.1-4, [A] 315-318.[1902b] "Practical and Theoretical Belief" CP 5.538-545, [A] 319-333.[1902-3a] "Ultimate Goods" (from "Minute Logic"), CP 1.575-584.[1902-3b] "Objective Logic" (from "Minute Logic"), CP 2.111-118.[1902-3c] "Reality and Existence" (from "Minute Logic"), CP 6.349[1902-3d] "Direct Knowledge" (from "Minute Logic"), CP 2.140-43[1903a] "Lectures on Pragmatism", CP 5.14-212, [W] 1-287, [A] 337-427 (gekürzt).[1903b] "Ideals of Conduct" (from the "Lowell Lectures"), CP 1.591-1.615.[1903c] "The Reality of Thirdness" (from the "Lowell Lectures"), CP 1.343-352.[1903d] "Telepathy and Perception", CP 7.597-688.[1905a] "What Pragmatism Is", CP 5.411-437, [A] 427-453.[1905b] "Issues of Pragmaticism" CP 5.438-463, [A] 454-484.[1905c] "Pragmatism and Critical Common-Sensism" CP 5.497-501, [A] 485-489.[1905d] "Consequences of Critical Common-Sensism", CP 5.502-537, [A] 490-493 (Auszug).[1907] "A Survey of Pragmaticism", CP 5.464-496, [A] 498-538.[1909] "Vorwort zu: Mein Pragmatismus" (Auszug), [A] 141-148.
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