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DAYLIGHT & ARCHITECTURE ARCHITEKTURMAGAZIN VON VELUX FRÜHJAHR 2015 AUSGABE 23 10 EURO MEHR LICHT INS LEBEN

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Wir verbringen den größten Teil unseres Lebens in GebäudenWeltweit verbringen die Menschen etwa 70 % ihrer Zeit in Gebäuden. In entwickelten Ländern steigt dieser Anteil auf fast 90 %. Luftverschmutzung in Innenräu-men führt zu Infektionen der unteren Atemwege, die schätzungsweise für 11 % aller Todesfälle in jedem Jahr verantwortlich sind. *

* Sustainia Sector Guide: Buildings. www.sustainia.me/sustainia-award/buildings_sector_guide.pdf

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VELUXEDITORIAL

MEHR LICHT INS LEBEN

Architektur

Ökonomie

Mensch

Die UNESCO hat 2015 zum „Jahr des Lichts und der Lichttechnologien” erklärt. Mit die-ser Initiative will die UN-Kulturorganisation die Bedeutung des Lichts in unserer Gesell-schaft als Informations- und Energieträger, als Quelle und Zeichen von Wohlstand und vor allem als Mittel zur Verbesserung der Lebensqualität unterstreichen. Natürliches Licht und natürliche Dunkel-heit zur richtigen Tages- und Nachtzeit sind essenziell für die menschliche Gesundheit, die als Eckpfeiler der Lebensqualität gilt. Das gleiche gilt für eine ausreichende Frischluft-zufuhr in Gebäuden. Kaum jemand zweifelt daran, dass Architektur in einer Zeit, da der Mensch sich bis zu 90 Prozent seiner Zeit in Innenräumen aufhält, einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheit leisten kann und muss. Gleichzeitig leben auch heute noch 80 Millionen Europäer in feuchten Gebäuden, in denen Schimmelbefall droht. Auch das Ver-halten der Menschen – vor allem bei der Lüf-tung – entspricht nicht immer der Bedeutung, die sie dem gesunden Wohnen beimessen. Dies war eine wesentliche Erkenntnis aus dem diesjährigen Healthy Homes Barome-ter von VELUX, das wir in dieser Ausgabe von Daylight/Architecture vorstellen. Wir ho�en, dass diese Umfrage künftig noch mehr Architekten und Bauherren dazu bewegen wird, sich mit Fragen der Wohnge-sundheit zu befassen. Der Einfluss von Tageslicht und frischer Luft auf den Menschen, die Architektur und die Wirtschaftlichkeit von Gebäuden steht auch im Mittelpunkt dieser Ausgabe von Daylight/Architecture. Welche Wechselbe-ziehungen dabei im Spiel sind, erläutern Experten aus unterschiedlichen Fachberei-chen in unserem Heft. Die Beiträge von Koen Steemers, Bernd Wegener und Moritz Fed-kenheuer verdeutlichen, dass Entwurfsstra-tegien für das Wohlbefinden sich nicht einfach an isolierten, physisch messbaren Größen wie Innenraumtemperatur oder Luftfeuchte orientieren können. Wohlbefin-

den ist mehr als die Summe seiner Bestand-teile, und die Voraussetzungen dafür sind individuell höchst unterschiedlich. Daher haben Bernd Wegener und Moritz Fedken-heuer mit dem ‚Housing Well-Being Inven-tory’ eine Methode entwickelt, mit der sich der Grad des Wohlbefindens – einschließlich seiner subjektiven Aspekte – durch Nutzer-befragungen ermitteln lässt. Sie stellen aber auch fest, dass es durchaus allgemeingültige Strategien für mehr Wohlbefinden gibt – allen voran reichlich Tageslicht und frische Luft in Innenräumen. Diese Sichtweise teilt auch Vivian Loft-ness in ihrem Beitrag: Studien zufolge stei-gert eine gute Tageslichtversorgung die Lerngeschwindigkeit bei Schülern um bis zu ein Viertel und die Produktivität von Arbeit-nehmern um fast ein Fünftel. Ähnliche Aus-wirkungen haben eine verbesserte Frischluftzufuhr sowie attraktive Ausblicke aus dem Fenster. Fragt man nun die Nutzer zu diesen Befunden, ergibt sich ein zwiespältiges Bild: Theoretisch sind den Menschen die Vorzüge von Tageslicht und frischer Luft durchaus bewusst. Sie unterschätzen allerdings deren Wirksamkeit und geben sich im Alltag oft mit zu geringen Tageslicht- und Frischluftniveaus zufrieden. Das gilt zumindest so lange, bis sie ein positives Gegenbeispiel aus erster Hand erle-ben können. Hier zeigt sich ein wesentlicher Vorzug der Architektur: Sie kann Menschen gezielt zuvor unbekannten Situationen aus-setzen und ihnen so einen höheren Grad des Wohlbefindens vermitteln. Doch dafür braucht es Bauherren, die bereit sind, gesün-dere Bauten zu finanzieren, und Bewohner, die zumindest eine Zeitlang in ihnen leben möchten. Weitere Überzeugungsarbeit ist daher notwendig. Wir ho�en, dass diese Aus-gabe von Daylight/Architecture dazu beitra-gen kann.

Viel Spaß bei der Lektüre!VELUX

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2 D&A FRÜHJAHR 2015 AUSGABE 23

FRÜHJAHR 2015

AUSGABE 23INHALT

VELUX Editorial 1Inhalt 2Architektur für Gesundheit und Wohlbefinden 6Wohnen und Wohlbefinden: eine Einführung 30Das Housing Well-Being Inventory: Gradmesser des Wohlbefindens 33Mehr Wohnqualität mit Tageslicht und natürlicher Lüftung 47Das Healthy Homes Barometer 2014 60Fenster – die Segel der Architektur 62

Bislang zielen Standards und Richt-linien im Bauwesen vor allem darauf ab, Gesundheitsgefährdungen durch Gebäude auszuschließen. Doch Ar-chitektur kann und sollte mehr leis-ten, argumentiert Koen Steemers von der Universität Cambridge in seinem Beitrag. Gebäudeentwürfe sollten darauf abzielen, aktiv gesundheits-förderndes Verhalten der Nutzer zu stimulieren. Fünf Schlüssel-Verhal-tensweisen haben Wissenschaftler in den vergangenen Jahren identifiziert. Welche Hinweise für die Planung las-sen sich daraus ableiten?

Im Laufe der Jahrzehnte haben Wis-senschaftler detaillierte Kriterien für Raumtemperatur und Tageslicht, Luftqualität und Akustik festgelegt, um den Komfort in Innenräumen zu garantieren. Doch Wohlbefinden in einem ganzheitlichen Sinn lässt sich auf diese Weise nicht planen, da es von vielen individuellen Faktoren ab-hängt. Mit dem Housing Well-Being Inventory haben die Sozialwissen-schaftler Bernd Wegener und Moritz Fedkenheuer daher eine neue Metho-dik entwickelt, um das Wohlbefinden beim Wohnen durch Nutzerbefragun-gen zu ermitteln.

Mit dem ‚Model Home 2020’-Experi-ment und dem Healthy Homes Baro-meter hat VELUX zwei wegweisende Forschungsprojekte initiiert, um die maßgeblichen Einflüsse auf Gesund-heit und Wohlbefinden zu Hause zu ermitteln. Die Ergebnisse erläutert Moritz Fedkenheuer in seinem Bei-trag: Zwar sind sich die meisten Menschen der Vorzüge von Tages-licht und frischer Luft durchaus be-wusst, doch sie unterschätzen deren Einfluss auf die Gesundheit mitun-ter deutlich.

Statt Gebäude – wie dies im 20. Jahrhundert lange der Fall war – wie Ozeandampfer mit zahlreichen tech-nischen Aggregaten zu bestücken, werden sie heute immer häufiger ent-worfen wie Segelschi�e, die mithilfe von Wind und Sonne durch die Jah-reszeiten navigieren. In ihrem Beitrag erläutert Vivian Loftness, dass sich Mehrinvestitionen in solche Gebäude schon nach kurzer Zeit auszahlen, wenn man ihre Auswirkungen auf die Umwelt sowie Gesundheit und Pro-duktivität der Nutzer mit einrechnet.

ARCHITEKTUR FÜR GESUNDHEIT UND WOHLBEFINDEN

DAS HOUSING WELL-BEING INVENTORY: GRADMESSER DES WOHLBEFINDENS

MEHR WOHNQUALITÄT MIT TAGESLICHT UND NATÜRLICHER LÜFTUNG

FENSTER – DIE SEGEL DER ARCHITEKTUR

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39% Besserer Schlaf

30% Seltenere Erkrankungen

insgesamt

18% Höhere Leistungs-fähigkeit

31% Bessere Stimmung

20%Erhöhte

Aufmerksamkeit 31%Erhöhtes

allgemeines Wohlbefinden

10%Positivere

Sozialkontakte

26%Seltenere

Atemwegs-erkrankungen

34%Keine der

genannten Auswirkungen

15%Weniger Fehltage (Arbeit/Schule)

16%Schnellere Heilung

bei Krankheiten

Hausbesitzer nehmen die Vorzüge gesünderenen Wohnens deutlich wahrZwei Drittel aller amerikanischen Eigenheimbesitzer sagen, dass ihr Haus ihren Gesundheitszustand und ihr Wohlbefinden beeinflusst. Eine bessere Schlafqualität, eine bessere Stimmung und weniger Krankheits-fälle der Bewohner gehören zu den am häufigsten genannten Auswir-kungen gesünderer Wohnhäuser.*

* The American Institute of Architects/McGraw Hill Construction: The Drive Toward Healthier Buildings. Smart Market Report, 2014. www.aia.org/aiaucmp/groups/aia/documents/pdf/aiab104164.pdf. Alle Werte beziehen sich auf die USA.

Die Ökonomie des WohlbefindensNicht nur die Nutzer, sondern auch Gebäudebesitzer und die Gesell-schaft als Ganzes profitieren von gesünderen Gebäuden. Die Modell- aufnahmen in diesem Heft illustrie-ren, warum Gesundheit und Wohl-befinden ein zentrales Thema für jeden Gebäudeentwurf sein sollten und welche Aufgaben auf dem Weg zu einem gesünderen Gebäudebe-stand in Europa und dem Rest der Welt noch zu lösen sind.

Fotos: Ola BergengrenModellaufbauten: Iwa Herdensjö

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4 D&A FRÜHJAHR 2015 AUSGABE 23

Thekla Ehling lebt und arbeitet in Köln. Sie studierte Fotografie in Dort-mund und Limerick und fotografierte für zahlreiche deutsche und internati-onale Magazine und Tageszeitungen, darunter Der Spiegel, Die Zeit, GEO, de Volkskrant, Brand Eins und NEON. In einem früheren Auftrag für Daylight/Architecture (Ausgabe 15) dokumen-tierte sie die Werke von SANAA, Will Bruder, Jarmund/Vigsnaes und Laca-ton & Vassal.

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ARCHITE�KTUR

UND WOHLBE�FINDEN Von Koen Steemers

FÜRGESU�NDHEIT

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ARCHITE�KTUR

UND WOHLBE�FINDEN Von Koen Steemers

Um menschliches Wohlbefinden zu steigern, muss die Gebäude-planung über die Optimierung einzelner Parameter wie Tempe-ratur und Feuchtigkeit hinausgehen und einen ganzheitlicheren Ansatz im Sinne gesundheitsfördernder Verhaltensweisen verfolgen. Auf der Grundlage der unlängst von Wissenschaft-lern ermittelten ‚Fünf Wege zum Wohlbefinden’ skizziert der folgende Artikel elementare Entwurfsstrategien, mit denen Architekten und Planer die Gebäudenutzer zu einer gesünderen Lebensweise bewegen können.

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Die Gestaltung unserer gebauten Umwelt beeinflusst Gesundheit und Wohlbefinden und wirkt sich langfristig auf unsere Lebensqualität aus. Das Buch ‚Nudge: Wie man kluge Entschei-dungen anstößt’ von Richard Thaler und Cass Sunstein aus dem Jahr 2008 trug maßgeblich zu der Erkenntnis bei, dass sich unser Verhalten durch das Umfeld nachhaltig beeinflussen lässt.1 Man kann Menschen laut Thaler und Sunstein auf weitgehend automatische, zwanglose und einfa-che Weise dazu ‚anstoßen’, bessere Entscheidun-gen zu tre�en, indem man ihre ‚Entscheidungsar-chitektur’ (Choice Architecture) verändert. Doch kann Architektur die Entscheidungsarchitektur gezielt steuern? Das Potenzial der Architektur ist o�ensichtlich: „Gestalterische Konzepte können bessere Entscheidungen vereinfachen oder Ver-haltensweisen einschränken, indem bestimmte Aktionen erschwert werden.“2

Dieser Beitrag definiert die Begri�e Gesund-heit und Wohlbefinden und zeigt Potenziale der Architektur auf. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Förderung des Wohlbefindens und nicht auf der Vermeidung von Unwohlsein. Negative und der physischen Gesundheit abträgliche Bedin-gungen, die beispielsweise durch ein schlechtes Innenraumklima verursacht werden, treten hier in den Hintergrund. Stattdessen richtet der Ar-tikel den Fokus auf die Förderung des positiven mentalen Wohlbefindens, das sich wiederum auf die körperliche Gesundheit auswirkt. Bei der Betrachtung des häuslichen Wohlbefin-dens ist es wichtiger, eine Vielzahl quantitativer und qualitativer gesundheitlicher Faktoren zu berück-sichtigen, als sich auf ein einziges, eng definiertes Kriterium zu konzentrieren. Eine solche verengte Denkweise würde kaum zu guten Entwürfen bei-tragen (Perfektionismus kann lähmend sein), zumal unterschiedliche Kriterien oft in gewissem Wider-spruch zueinander stehen. Zielführender ist daher die Bestimmung ‚ausreichend guter’ nutzerzentrier-ter Entwurfsstrategien, welche die konzeptionelle Diversität und Anpassungsfähigkeit der Architektur erhöhen. Die potenziell chronischen Gesundheits-beschwerden infolge eines schlechten Innenraum-klimas, die sich bei bestimmten Menschen zeigen, sind unbestritten. Neben ihrer Vermeidung gilt es aber auch, Strategien zu entwickeln, die das Wohl-

befinden der Bevölkerungsmehrheit fördern.Der Artikel gliedert sich in drei Abschnitte. Im ersten Abschnitt werden die räumlich relevanten Definitionen des Wohlbefindens unter gesundheit-lichen Aspekten beleuchtet. Der zweite Abschnitt stützt sich auf Forschungsergebnisse, um implizite Möglichkeiten der Architektur zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden zu identifizie-ren. Im letzten Abschnitt schließlich finden sich entsprechende Erfahrungswerte und konkrete Pla-nungshinweise für die praktische Umsetzung.

Definition von Gesundheit und Wohlbefinden Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gesund-heit nicht als Abwesenheit von Krankheit, sondern als einen „Zustand des völligen physischen, menta-len und sozialen Wohlbefindens“.3 Die Definition von Gesundheit hat sich mit der Zeit geändert und erfasst nun sowohl medizinische Faktoren als auch die Wechselbeziehungen zwischen sozialen und psychologischen Aspekten. Die Art und Weise, wie ein Individuum in der Gesellschaft funktioniert, wird neben biologischen und physiologischen Sym-ptomen als Teil der Gesundheitsdefinition gesehen. Gesundheit ist nicht länger nur eine Frage der Ver-fügbarkeit medizinischer Versorgung, sondern wird bestimmt durch eine Reihe von Faktoren, die mit der Qualität unserer baulichen Umgebung in Zusam-menhang stehen. 4 Diese weiter gefasste Definition von Gesundheit kommt zu einer Zeit, in der das Gesundheitswesen aufgrund der immer älteren Bevölkerung, zuneh-mender Fettleibigkeit, vermehrter psychologischer Probleme und gestiegener Erwartungen an die Gesundheitsversorgung unter erhöhtem Druck steht.5 Der eng umgrenzte Fokus auf individuelle Symptome und medizinische Versorgung ist nicht mehr ausreichend oder vertretbar. Es ist Zeit für eine ganzheitlichere Betrachtung des gesamten Spektrums gesundheitsrelevanter Bedingungen, einschließlich der Krankheitsprävention. Dieser Ansatz sieht „Gesundheit und Wohlbefinden als voneinander abhängige Faktoren; er hält ‚Präventi-on’ für genauso wichtig wie ‚Heilung’ und sucht eher nach langfristigen Lösungen als nach sofort erziel-baren Wirkungen“.6 Im eigenen Zuhause und in der eigenen Gemeinschaft gesund zu bleiben, entlastet

„Ob Menschen gesund sind oder nicht, hängt von ihrer Umwelt und den jeweiligen Lebens-umständen ab. Aspekte wie Wohnort, Zustand der Umwelt, genetische Prädisposi-tion, Einkommens- und Bildungsniveau sowie Beziehungen zu Freunden und Familie wirken sich alle beträchtlich auf die Gesund-heit aus ...”

Weltgesundheitsorganisation (WHO): The determinants of health, http://www.who.int/hia/evidence/doh/en/

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12 D&A FRÜHJAHR 2015 AUSGABE 23

das Gesundheitswesen. Durch eine entsprechen-de Gestaltung der häuslichen Umgebung und des Arbeitsumfelds Gesundheit und Wohlbefinden zu verbessern, bietet sich förmlich an. Bei der nachhaltigen Entwicklung wird oft Bezug genommen auf das ‚Drei-Säulen-Modell’ umwelt-bezogener, ökonomischer und sozialer Werte. Als die drei Säulen von Gesundheit und Wohlbefinden könnte man Gesundheit, Komfort und Glück be-zeichnen. Weitere direkte Parallelen zur baulichen Umgebung führen uns zu Vitruv und seinem Modell der drei Elemente, die für ein gutes Haus erforder-lich sind: 7

I ,firmitas’ oder Stabilität (Gesundheit)II ,utilitas' oder Nutzen (Komfort) III ,venustas’ oder Freude (Glück)

Gesundheit wird in diesem Zusammenhang ge-meinhin als Abwesenheit von Krankheit definiert, die sich üblicherweise anhand von Symptomen wie Körpertemperatur und Blutwerten messen lässt. Unter Komfort versteht man im Allgemeinen „ei-nen geistigen Zustand der Zufriedenheit“ mit der Umgebung8 (thermischer, visueller, akustischer Art usw.); Komfort umfasst also sowohl qualitative psychologische Aspekte (z.ÀB. Erwartungshaltung, Kontrolle) als auch quantitative physische Parame-ter (z.ÀB. Temperatur, Luftbewegung). Glück bezieht sich vor allem auf erlebte Emotionen und kann von Zufriedenheit bis Freude reichen. Glück ist also in erster Linie ein subjektiver und qualitativer Faktor. Dessen ungeachtet hat die Forschung in den letzten zehn Jahren damit begonnen, Wohlbefinden zu de-finieren. Dies soll im Folgenden genauer erörtert werden. Eine elementare Herausforderung ist die Quan-tifizierung von Gesundheit und Wohlbefinden und somit die generelle Beurteilung des gesundheits-fördernden Potenzials von Gestaltungskonzepten. An einem Ende des Spektrums steht die physische Krankheit, die sich gemeinhin anhand von Sympto-men und Ursachen erkennen und messen lässt. So kann man beispielsweise die Luftqualität (d. h. den Gehalt an flüchtigen organischen Verbindungen, Feinstaub oder CO2) und deren Wirkung insbeson-dere auf anfällige Bewohner (Lungenkranke, Kinder und Senioren) quantifizieren. Obwohl die subjektive Beurteilung der Luftqualität, vor allem anhand des

Geruchs, nützliche Hinweise liefern kann, lassen sich gesundheitsgefährdende Substanzen oftmals nur durch Messungen bestimmen. Mit personen- und gebäudebezogene Maßnahmen lässt sich hier Abhilfe scha�en (z. B. durch bessere Belüftung, Ent-fernung schädlicher Materialien, Planungsmaßnah-men zur Vermeidung von Schimmelbildung usw.). Das Fachwissen in diesem Bereich ist sehr groß.9

Am anderen Ende des Spektrums von Gesundheit und Wohlbefinden liegt das mentale Wohlgefühl bzw. Glück. Je weiter wir uns vom deterministischen medizinischen zum subjektiven psychologischen Ende bewegen, desto stärker scheint sich die Ge-wichtung von quantitativ zu qualitativ zu verlagern. Inzwischen werden jedoch auch im Bereich der sub-jektiven Parameter definierbare Methoden und In-dikatoren angewandt. Im Bereich des Wärmekom-forts zum Beispiel rückt man mittlerweile von der engen und präzisen physiologischen Komforttheo-rie nach Fanger10 ab und bevorzugt eine ganzheitli-chere Sichtweise, die zur Entwicklung der adaptiven Komforttheorie führte.11 Auf ähnliche Weise hat die Gesundheitsforschung die reine Symptombehand-lung durch ein weiter gefasstes Verständnis für das Wohlbefinden der Bevölkerung ergänzt. Der Begri� des Wohlbefindens umfasst zwei grundlegende Aspekte: sich gut zu fühlen und im Vollbesitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte zu sein. Gefühle wie Freude, Neugier und Engage-ment sind charakteristisch für jemanden mit einem positiven Selbstbild. Positive Beziehungen zu unter-halten, die Kontrolle über sein eigenes Leben zu ha-ben und eine gewisse Zielstrebigkeit zu zeigen, sind Attribute eines gelingenden Lebens. In einer inter-nationalen Studie wurden kürzlich grundsätzliche Messfaktoren zur Bestimmung des Wohlbefindens zusammengetragen. Dies zeigt, dass sich dieser Be-reich zu einer ernstzunehmenden Disziplin entwi-ckelt hat.12

Neueste Forschungen haben Verbindungen zwi-schen grundlegenden Entwurfsstrategien in der Ar-chitektur und den ,Fünf Wegen zum Wohlbefinden’ (Kontaktpflege, Aktivität, Aufmerksamkeit, Lern-bereitschaft und Hilfsbereitschaft) nachgewiesen, die mit mentaler Gesundheit einhergehen.13 Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse wird im Folgenden dargelegt, wie die Nutzung entsprechender Ressour-cen im Wohnungs- und Städtebau auf die fünf gesun-den Verhaltensweisen Einfluss nehmen kann.

Der Begri� des Wohlbefindens umfasst zwei grundlegende Aspekte: sich gut zu fühlen und im Vollbesitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte zu sein.

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Außerhalb eng umgrenzter Disziplinen (z.ÀB. des Krankenhausbaus) schenkte man der Verbindung zwischen Architektur und Gesundheit früher we-nig Beachtung. Jüngere Studien fördern jedoch ein ganzheitlicheres Verständnis der Rolle, die die Ar-chitektur für die Gesundheit spielt. Hierzu zählen unter anderem die Berichte des Royal Institute of British ArchitectsÀ14 und der Commission for Ar-chitecture and the Built EnvironmentÀ15 in Groß-britannien. Gestützt wird diese Tendenz durch eine Fülle an medizinischen Studien zur physischenÀ16 und mentalenÀ17 Gesundheit. Im Mittelpunkt ste-hen dabei Erkrankungen infolge von Umweltphä-nomenen wie Lärm, Luftqualität und Licht. Derar-tige Auswirkungen werden üblicherweise als direkt (unmittelbare Folgen für die physische und mentale Gesundheit) oder indirekt (vermittelt durch soziale Mechanismen) klassifiziert.18 Bei der Erforschung des Wohlbefindens geht es allerdings weniger um Erkrankungen als um Verhal-tensweisen, die zum ‚Gedeihen’ einer Gesellschaft beitragen. Gewisse Charakteristika der baulichen Umgebung fördern ein solches positives Verhalten. Dieser wichtige Aspekt soll hier erörtert werden. AuÄauend auf dem ‚Foresight’-Projekt der briti-schen RegierungÀ19 haben Aked et al. 2008 die ‚Fünf Wege zum Wohlbefinden’ formuliert.20 Dabei han-delt es sich um grundlegende Verhaltensweisen, die nachweislich der Steigerung des Wohlbefindens dienen. Ihre Wirksamkeit für das subjektive Wohl-befinden haben zahlreiche Forschungsberichte in medizinischen Fachzeitschriften belegt.

I Kontaktpflege: Die Anzahl und Qualität so-zialer Bindungen (z. B. Unterhaltungen mit Familienmitgliedern oder Fremden) tragen nachweislich sowohl zum Wohlbefinden als auch zur physischen Gesundheit bei.21

II Aktivität: Globale Untersuchungen und Meta-studien haben nachgewiesen, dass physische Aktivität die Symptome mentaler und physi-scher Erkrankungen mildert.22

III Aufmerksamkeit: Achtsam sein – dem Ge-schehen Aufmerksamkeit schenken und sich seiner Gedanken und Gefühle bewusst sein – ist ein Verhalten, das Stress-, Angst- und Depressionssymptome reduziert.23

IV Lernbereitschaft: Ambitionen bilden sich in

jungen Jahren aus, und Menschen mit größe-ren Ambitionen erzielen tendenziell bessere Resultate. Derartige Ansprüche verändern sich mit dem persönlichen Umfeld.24 Auch im späteren Leben fühlen sich diejenigen, die zum Beispiel ein Musikinstrument spielen, kunstinteressiert sind oder Abendkurse be-suchen, nachgewiesenermaßen wohler.25

V Hilfsbereitschaft: Prosoziales Verhalten hat im Gegensatz zu einer egozentrischen Ein-stellung einen erkennbar positiven Einfluss auf die Lebensfreude. Beispiele hierfür sind z. B. die Bereitschaft, Geld für andere anstatt für sich selbst auszugeben26 sowie Ehrenämter zu übernehmen und Hilfe anzubieten.27

Wie stehen nun die ‚Fünf Wege zum Wohlbefinden’ mit der baulichen Umgebung in Zusammenhang oder lassen sich durch sie beeinflussen?

KontaktpflegeÖ�entliche Räume bieten den Menschen Gelegen-heit, miteinander in Kontakt zu treten, und tragen entscheidend zum individuellen bzw. gesellschaft-lichen Wohlbefinden bei.28 Obwohl nicht alle Nutzer die gleichen Ansprüche und Erwartungen an einen sozialen Raum haben, sollten einige Schlüsselfakto-ren berücksichtigt werden: – Lage: Zugänglichkeit und Nähe zu anderen kom-

munalen Einrichtungen (Schule, Markt), um zu-fällige Begegnungen zu fördern; Sitzplätze zum Verweilen (auf einer Parkbank oder an einem Cafétisch), damit Begegnungen nicht nur flüch-tig bleiben;

– Wandlungsfähigkeit: Räume ohne spezifische oder festgelegte Funktionen, die spontane und improvisierte Aktivitäten ermöglichen;

– Wohnliche Gestaltung: ein Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit;

– Freundlichkeit: sauber und familiär oder geschäf-tig und lebendig;

– Besonderheit: Dies umfasst einzigartige Merk-male und besondere Ästhetik, aber auch sub-jektive Erinnerungen. Ist ein Platz eher fußgän-ger- als autofreundlich, entsteht ein Gefühl der Gemeinschaft, da Fußgängerbereiche besonders eng mit Gelegenheiten der sozialen Interaktion verbunden sind.29

– Nicht zuletzt wird eine natürliche oder ländliche Umgebung seit Langem mit einer Reihe gesund-heitlicher Vorzüge in Verbindung gebracht. 30

ENTWERFEN FÜR DAS WOHLBEFINDEN

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Schon immer „waren ö�entliche Räume, die Men-schen zusammenbrachten und wo Freundschaften und nützliche Kontakte geknüpft und gepflegt wur-den, der Schlüssel zu einem allgemeinen Gefühl des Wohlbefindens“.31

AktivitätKörperliche Betätigung reduziert nach weit ver-breiteter Au�assung chronische Leiden und beugt Erkrankungen, Arbeitsunfähigkeit und vorzeitigem Tod vor. In der Stadtplanung lässt sich körperliche Aktivität durch den problemlosen Zugang zu Spor-teinrichtungen, die fußläufige Erreichbarkeit von Alltagszielen (Arbeit, Geschäfte, Schule, ö�entliche Verkehrsmittel), eine hohe Wohndichte (die die räumliche Nähe zu Alltagszielen begünstigt), die Art der Flächennutzung (z. B. Mischnutzung) und eine fußgängerfreundliche Gestaltung ö�entlicher Räume (geeignete und sichere Gehwege, verkehrs-begrenzende Maßnahmen) begünstigen.32 Obwohl physische Aktivitäten im Freien und vorzugsweise in einer natürlichen Umgebung zusätzliche Vortei-le bieten, kann auch körperliche Ertüchtigung in Innenräumen e�ektiv sein.33 Sie lässt sich zum Bei-spiel durch (gemeinschaftliche) Übungsräume, die Förderung des Treppensteigens durch Verteilung (Trennung) von Funktionen auf unterschiedliche Etagen sowie gezielt platzierte Anziehungspunkte entlang der Laufwege (Ausblicke, Kunstobjekte, Tageslicht, Grünpflanzen) fördern.

Aufmerksamkeit Wie sich Achtsamkeit und Aufmerksamkeit durch bauliche Maßnahmen steigern lassen, wird erst seit Kurzem erforscht. In einer randomisierten kont-rollierten Studie zeigte sich, dass z. B. Kunstobjekte, Begrünung und Landschaftsgestaltung, Naturele-mente (z. B. Insektenschaukästen) und Sitzgelegen-heiten Menschen dazu veranlassen, bewusst innezu-halten.34 Dieselbe Studie wies außerdem nach, dass die abwechslungsreiche Gestaltung von Freiräume sowie ein proportional höherer Anteil ö�entlicher Räume im Vergleich zu Privatbereichen in der Stadt mit erhöhter Achtsamkeit einhergehen.

Lernbereitschaft Aus der Bildungsforschung wissen wir um den Einfluss der physischen Umgebung auf die geistige

Entwicklung. Wohnungen sollten sauber und aufge-räumt sein, einen sicheren Ort zum Spielen bieten und weder zu dunkel noch zu eintönig sein.35 Der Abstand und die Ausrichtung von Sitzgelegenheiten zueinander wirken sich auf das Maß an Interaktion und Dialog aus. So kommunizieren beispielsweise Menschen in einem Sitzkreis mit gegenseitigem Blickkontakt intensiver miteinander als nebenei-nander platzierte Personen. Ungehinderter Au-genkontakt ist vor allem im pädagogischen Kontext eine wichtige Variable: Eine halbkreisförmige Sitz-anordnung im Klassenzimmer ist diesbezüglich be-sonders e�ektiv.36 Auf einer grundsätzlicheren Ebe-ne sind darüber hinaus physischer und thermischer Komfort, Sicherheit, gute Beleuchtung, Ruhe und Frischluftzufuhr förderlich für das Lernen. Ande-rerseits gibt es Belege dafür, dass sich das Lernver-halten in einem adäquaten Umfeld im Vergleich zu heruntergekommenen und mangelhaft gepflegten Räumen zwar verbessert, aber eine weiterreichende und übertriebene Ausstattung (z. B. sehr spezifische Räumlichkeiten oder digitale Medien) dem Lern-prozesses keine weiteren Vorteile bringt.37 Wie be-reits erwähnt, fördern künstlerische oder musikali-sche Aktivitäten oder der Besuch außerschulischer Bildungseinrichtungen (z. B. Volkshochschulen) das Wohlbefinden – eine Tatsache, die bei der Gebäud-eplanung (z. B. in Form von hellen, gut ausgestatte-ten Kunsträumen und schalldichten Musikräumen) und der Quartiersplanung (z. B. lokales Angebot an Räumen für Abendschulen) berücksichtigt werden sollte.

HilfsbereitschaftGrundsätzlich reduzieren Stressfaktoren im per-sönlichen Umfeld zwar die Hilfsbereitschaft, doch bislang gibt es kaum Beweise für eine direkte Ver-bindung zwischen der physischen Umgebung und dem sozialen Kapital in einem Stadtviertel.38 Allerdings lässt sich belegen, dass Menschen in der Stadt weniger hilfsbereit sind als auf dem Land.39 Trotz der Schwierigkeit, Abhängigkeiten zwischen Hilfsbereitschaft und bestimmten Gestaltungspa-rametern nachzuweisen, zeigen Befragungen doch, dass uneigennütziges Verhalten häufiger in einem Umfeld auftritt, das durch durch die bereits erwähn-ten positiven Umgebungsmerkmale wie Diversität, Nähe, Zugänglichkeit und Qualität geprägt ist.40

Bei der Erforschung des Wohlbefindens geht es weniger um Erkrankungen als um Verhal-tensweisen, die zum ‚Gedeihen’ einer Gesell-schaft beitragen. Gewisse Charakteristika der baulichen Umgebung fördern ein solches positives Verhalten.

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Anmerkungen

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40. Anderson, J. (2014). Urban design and well-being. Doktorarbeit an der Universität Cam-bridge.

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Aus den verfügbaren Forschungsergebnissen lässt sich keine ‚universelle’ gestalterische Lösung ablei-ten, die jeden Gesundheitsparameter optimiert und ein Wohlbefinden der breiten Bevölkerung generell garantiert. Dennoch sollten unmittelbare physi-sche Parameter wie die Luftqualität nach wie vor die Grundlage jeder gesundheitsorientierten Ge-bäudeplanung bilden. Darauf auÄauend sind aber auch Entwurfsstrategien wünschenswert, die die Bewohner gezielt zu einem gesundheitsfördernden Verhalten anregen. Da die Strategien je nach Gegebenheiten und Nut-zern variieren, liegt es auf der Hand, dass Gebäude und ö�entliche Räume anpassungsfähig sein sollten. Dies ist besonders relevant vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des Klimawandels, aber auch angesichts der veränderten Arbeits- und Lebensweisen und der Verfügbarkeit neuer Tech-nologien. Planungskonzepte sollten sich an den Be-dürfnissen, Verhaltensweisen und Anforderungen der Nutzer orientieren und diesen die Möglichkeit einräumen, ihre Umgebung frei zu gestalten und zu beeinflussen.

Es ergibt sich eine Vielzahl von Erfahrungswerten, die sich in thematische Gruppen einteilen lassen:

Stadtraum und NaturEs gibt zahlreiche Untersuchungen zur gesund-heitsfördernden Gestaltung von Stadtquartieren. Wichtige Planungskriterien sind:A Hohe multifunktionale Erschließungsdichte

zur Förderung des fußläufigen und Fahrrad-verkehrs (Faktor ‚Aktivität’), um Läden, öf-fentliche Verkehrsmittel, Gesundheitsdienste und soziale Einrichtungen zu erreichen (Fak-tor ‚Kontaktpflege’) und den motorisierten Straßenverkehr zu reduzieren.

B Verfügbarkeit vielfältiger ö�entlicher Räume (die proportional mehr Raum einnehmen soll-ten als private Gärten), einschließlich ö�ent-lich zugänglicher Grünflächen (zum Spielen, Sporttreiben, Entspannen usw.) und ö�ent-licher Plätze (idealerweise verkehrsfrei oder -reduziert). So werden alle ‚Fünf Wege zum Wohlbefinden’ gefördert.

C Eine interessante Gestaltung der ö�entli-chen Räume (‚Aufmerksamkeit’) – z. B. durch Artenvielfalt von Flora und Fauna, Sitzgele-genheiten und kostenloses WLAN – fördert die soziale Interaktion (‚Kontaktpflege’ und ‚Hilfsbereitschaft’) und erweitert die Nut-zungsmöglichkeiten des Raums.

D Gerade an der Schwelle zwischen Wohnung und Nachbarschaft bietet sich – vor allem in dicht besiedelten Gebieten – eine Begrünung an, um Kontakt mit der Natur herzustellen, aber auch ein gewisses Maß an Abtrennung und Privatsphäre zu gewährleisten.

E Vielfältige Ausblicke aus der eigenen Wohnung fördern die soziale Interaktion (‚Kontaktpfle-ge’) und Übersicht (‚Aufmerksamkeit’). Nied-rige Fensterbänke und Fenster, die sich ö�nen lassen, sind in dieser Hinsicht zu befürworten.

Bewegung und Zugänglichkeit Da wir immer mehr Zeit unseres Lebens im Sitzen verbringen, ist die Förderung eines Mindestmaßes an Aktivität wichtig. Das empfohlene Maß beträgt mindestens dreißig Minuten moderater Bewegung (> 3 METS, Radfahren oder zügiges Gehen) an fünf oder mehr Tagen pro Woche oder zwanzig Minuten intensiver körperlicher Ertüchtigung (> 6 METS, Jogging oder Fitnessübungen) an drei oder mehr Tagen pro Woche.41 Obwohl sich Fitnessstudios zu-nehmender Beliebtheit erfreuen (und auch die Kon-taktpflege fördern können), sollte das Ziel lauten, die Fitness bei allen Menschen zu verbessern. Treppen-steigen ist eine simple und e�ektive Methode, die ge-rade im fortgeschrittenen Lebensalter der Tendenz zur Inaktivität entgegenwirkt. Dreigeschossige Häuser steigern den persönlichen Energieumsatz und können in suburbanen Wohngebieten zu einer größeren Bebauungsdichte beitragen, die wiederum andere nachhaltige Gestaltungsmöglichkeiten er-ö�net. Studien zum menschlichen Energieumsatz in Gebäuden haben gezeigt, dass typische Büroange-stellte im Wochendurchschnitt nicht ganz das emp-fohlene Maß an Aktivität erreichen. Folglich kann auch eine bescheidene Steigerung des Aktivitätsni-veaus im eigenen Haus und dessen unmittelbarer Umgebung die Gesundheit fördern. Treppensteigen um ein Geschoss steigert den täglichen Energieum-satz um 3,3 %, und ein zwanzigmaliges Aufstehen aus der Sitzposition entspricht ca. 10 % der Sto�-

HINWEISE FÜR DIE PLANUNG

Planungskonzepte sollten sich an den Bedürfnissen, Verhaltensweisen und Anfor-derungen der Nutzer orientieren und diesen die Möglichkeit einräumen, ihre Umgebung frei zu gestalten.

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wechselaktivität eines gesunden Erwachsenen pro Tag.42 Einige ‚verdeckte’ Gestaltungsmaßnahmen können die körperliche Aktivität fördern: A Bewegung als Vergnügen, das belohnt wird

(z.ÀB. Vermeidung langweiliger Korridore, aus-reichende natürliche Beleuchtung, Ausblicke und räumliche Variationen mit sozialen Tre�-punkten (‚Kontaktpflege’)). All dies fördert die ‚Aufmerksamkeit’.

B Trennung und ggf. Verteilung zentraler Räum-lichkeiten auf unterschiedliche Etagen (z.ÀB. Planung des Wohnzimmers auf einer anderen Etage als der Küchen-/Essbereich, WCs nicht auf jeder Etage).

Umgekehrt liegt es natürlich auf der Hand, dass die Wohngestaltung den Bedürfnissen von Körperbe-hinderten oder Rollstuhlfahrern Rechnung tragen muss. Hierzu gibt es diverse Grundkonzepte,43 die einige Schlüsselfaktoren gemeinsam haben:A Angemessene Größe aller zentralen Bereiche

(auch als sozialer Tre�punkt)B Ebenerdige Türschwellen überall (auch ein

Vorteil für Familien mit Kinderwagen) C Niedrige Fensterbänke, um auch im Sitzen

nach draußen schauen zu könnenD Nicht zu niedrig angebrachte Steckdosen und

nicht zu hohe Arbeitsflächen, Gri�e, Thermo-state und Lichtschalter (damit alle Nutzer ihre häusliche Umgebung selbst steuern können)

E Möglichkeit zur Installation eines Lifts und/oder zur Verlagerung der Wohnung auf eine Ebene (z. B. Schlaf- und Badezimmer im Erd-geschoss; bei geeigneter Planung auch sinnvoll für kurzzeitlich erkrankte Personen und zur Wahrung der Privatsphäre).

Solche Gestaltungskonzepte sollten gleichzeitig aber auch gewährleisten, dass die Partner und Pflegekräfte von Rollstuhlfahrern zur Aktivität angeregt werden.

ErnährungSchlechte Essgewohnheiten können zu Überge-wicht und Gesundheitsproblemen führen. Dem lässt sich unter anderem durch die gemeinschaft-liche Zubereitung und das Kochen von (frischen) Nahrungsmitteln vorbeugen, sofern die Küche für die Interaktion mit anderen Haushalts- oder Ge-

meinschaftsmitgliedern ausgelegt ist. Auf Nach-barschaftsebene bietet sich die Einrichtung von Schrebergärten zum Anbau frischer Nahrungsmit-tel an. Ihr Verzehr, aber auch die körperliche Arbeit und die soziale Interaktion im Garten fördern Ge-sundheit und Wohlbefinden. Zudem reduziert sich durch weniger Einkaufsfahrten mit dem Auto und die Vermeidung von Verpackungsmüll und langen Lieferwegen der Verbrauch von Energie und ande-ren Ressourcen. Innerhalb der Wohnung sollte die Küche als Ort der gemeinschaftlichen Essenszubereitung gestaltet werden und – zur Förderung gemeinsa-mer Mahlzeiten und damit des sozialen Interakti-on – der Essbereich in unmittelbarer Nähe liegen. Dagegen sollte der Wohn-/Fernsehbereich nicht unmittelbar an die Küche angrenzen, sondern eventuell sogar eine Etage höher liegen. Eine sol-che Raumaufteilung regt zu körperlicher Bewegung an, reduziert die Versuchung durch ‚TV-Mahlzeiten’ und vermeidet Geräusch- und Geruchsbelästigun-gen durch das Kochen weitgehend.

InnenraumklimaLicht: Natürliches Licht hat gegenüber elektri-schem Licht eine Reihe von Vorteilen (einschließ-lich seiner Variabilität und EnergieeÞzienz) und scha�t eine direkte Verbindung zur Außenwelt. Tageslicht ist nicht nur eine kostenlose Lichtquel-le und somit Teil jeder EnergieeÞzienzstrategie für Gebäude, sondern belebt die Räume im Haus und kann vielfältige dramatische E�ekte erzielen. Sei-ne positive Wirkung auf die körperliche Gesundheit ist allseits bekannt; zudem beugt es sogenannten Winterdepressionen vor. Andererseits kann eine übermäßige Beleuchtung während der Nacht dem Wohlbefinden abträglich sein und zu Schlafstörun-gen führen. Hieraus ergeben sich einige Leitlinien: A Orientierung der morgens genutzten Räume

(Schlafzimmer und Küche) zur Morgenson-ne, um hier für eine Lichtmenge zu sorgen, die den zirkadianen Rhythmus anregt. (Zum Vergleich: Eine Lichttherapie gegen Winter-depressionen sieht üblicherweise 10.000 Lux für dreißig Minuten am Morgen vor.)

B Die wichtigsten Wohnräume sollten reich-lich Tageslicht bekommen (d. h. einen durch-schnittlichen Tageslichtquotienten von mehr als 3 % erreichen) und mindestens zwei

Anmerkungen

41. US DHHS. (2000). Healthy people 2010: Understanding and improving health (2nd ed.). US Department of Health and Human Services. Washington D.C.: US Government Print-ing O¸ce.

42. Baker, N., Rassia, S., & Steemers, K. (2011). Desiging for occupant movement in the workplace to improve health. 5th International Symposium on Sustainable Healthy Build-ings (S. 25–33). Seoul: Centre for Sustainable Healthy Build-ings, Kyung Hee University.

43. Lifetime Homes. (2011). Lifetime Homes Design Guide. Watford: BRE Press.

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Stunden pro Tag dem direkten Sonnenlicht ausgesetzt sein.

C Hoch liegende Fensterstürze lassen mehr Ta-geslicht eindringen und bieten einen verbes-serten Ausblick auf den Himmel (was vor al-lem in dicht besiedelten Gebieten wichtig ist) sowie eine bessere Verteilung des Tageslichts im Raum.

D Insbesondere Schlafzimmer sollten mit ef-fektiven Verdunklungsmöglichkeiten ausge-stattet sein, um einen guten Schlafrhythmus zu fördern – zum Beispiel in Form gedämmter Fensterläden (für die kalte Jahreszeit) und/oder mit verstellbaren Lamellen (für nächtli-che Belüftung in der warmen Jahreszeit).

E Die individuelle Regulierbarkeit der Tages-lichtmenge ist wesentlich für das Wohlbefin-den der einzelnen Bewohner. Fenster sollten diverse Optionen bieten (z. B. Lichteinfall von oben oder von der Seite, direkter oder di�user Lichteinfall, regulierbar durch Fensterläden, Lamellen und Jalousien).

Temperatur: Ähnlich wie beim Licht sollte das thermische Planungskonzept für komfortable und stimulierende Bedingungen sorgen und dazu weit-gehend Umweltenergien nutzen, um den Energie-bedarf des Gebäudes zu senken. Der Körper nimmt die thermische Umgebung nicht nur in Form der Lufttemperatur wahr, sondern auch durch Strah-lungswärme (z. B. Sonnenlicht), Luftbewegungen (z. B. natürliche Belüftung) und Wärmeleitung durch Oberflächenmaterialien (Holz fühlt sich beispiels-weise warm, Stein kalt an). Jedes dieser Phänomene sollte bei der Planung berücksichtigt werden.A Nutzung von Sonneneinstrahlung zur Schaf-

fung sonniger Plätze an kalten Tagen, z. B. Fenstersitze (mit warmer Oberfläche) und helle Bereiche. Schwere Materialien absor-bieren und speichern die Wärme.

B Scha�ung von Adaptionsmöglichkeiten für den Nutzer, um an heißen Tagen kühle, schat-tige Plätze und Abkühlung durch thermisch leitfähige Materialien zu finden.

C Laut der adaptiven Komforttheorie können thermische Bedingungen variieren, sie müs-sen also nicht konstant oder auf einen engen Zielbereich hin ‚optimiert’ sein. Schlüssel-faktoren sind dabei jedoch die Steuerung

des Raumklimas durch den Nutzer und die Anpassungsfähigkeit des Entwurfs, um den mit der Zeit veränderten Bedürfnissen und Präferenzen der Nutzer Rechnung zu tragen.

D Zur Abkühlung von Gebäuden in Hitzeperi-oden eignen sich Ö�nungen, die eine sichere nächtliche Belüftung gewährleisten und dazu sowohl Wind als auch thermischen Auftrieb nutzen (durch ein hohes o�enes Treppenhaus kann zum Beispiel warme Luft aufsteigen und oben entweichen).

Akustik: Auch die akustischen Bedingungen im Ge-bäude sollten den Bedürfnissen und Präferenzen der Nutzer Rechnung tragen. Lärm kann Stress verursachen, aber ein akustischer Kontakt mit der Umgebung (insbesondere zur Natur) kann durch-aus auch wertvoll sein. Ebenso sind auch in Gebäu-den Orte und Momente der Ruhe willkommen, aber völlige Stille ist nur selten gewünscht.A Um die Lernbereitschaft zu fördern, sollten

ruhige, ungestörte Orte zum Lesen und Ler-nen vorhanden sein.

B Um Aktivitäten wie Musizieren oder sportli-che Betätigung zu fördern, ohne hierdurch an-dere zu stören, ist eine akustische Abtrennung bestimmter Räume sinnvoll.

C Fenster sollten sich ö�nen lassen, um mit Pas-santen Kontakt aufnehmen und Gespräche führen zu können.

D Um in Städten vor allem nachts die natürliche Belüftung nutzen zu können, sollten schallge-dämpfte Luftwege vorhanden sein.

E Laute Funktionen (wie Wasch- und Spülma-schinen) sollten von Wohn- und Arbeitsberei-chen getrennt werden, um soziale Aktivitäten und Lerntätigkeiten nicht zu beeinträchtigen.

F Berücksichtigung der Akustik beim Weg durch das Haus: Ein Kiesweg meldet dem Bewohner die Ankunft von Besuchern, ein hallender Korridor oder Treppenaufgang kündet von Menschen, ein mit Teppich ausgelegter Flur dämpft Geräusche zum Arbeitszimmer, und Polstermöbel und Textilien im Schlafzimmer scha�en eine ruhige Schlafatmosphäre.

Gestaltungsqualität: Es gibt eine Reihe weiterer Gestaltungsmerkmale, die sich auf die ‚Fünf Wege’ auswirken. Diese sind:

„Die Sonne muss täglich für einige Stunden in jede Wohnung dringen, selbst während der ungünstigsten Jahreszeit. Die Gesell-schaft wird nicht mehr dulden, dass ganze Familien der Sonne beraubt und dadurch dem Dahinsiechen ausgeliefert sind.”

Le Corbusier in: Charta von Athen, 1942

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A Die Farbe unserer Umgebung (z. B. der Innen-wände) kann unser Lernverhalten beeinflus-sen und somit in bestimmten Räumen gezielt eingesetzt werden, um das Lernen zu begüns-tigen. Laut Forschungsergebnissen „fördert Rot die Leistung bei detailorientierten Auf-gaben [wie bei Hausaufgaben], während Blau die Leistung bei kreativen Aufgaben [etwa bei künstlerischen oder kommunikationsorien-tierten Tätigkeiten] steigert“.44

B Die Deckenhöhe kann eine Rolle spielen für unsere soziale Perspektive und unser Kon-zentrationsvermögen. Jüngste Studien be-legen, dass Personen fokussierte Aufgaben wie Lernen oder Lesen in niedrigen Räumen besser meistern. Großzügigere Räumlichkei-ten ‚erweitern’ buchstäblich den geistigen Horizont und fördern abstraktere Denkwei-sen, aber auch die Kommunikationsfähigkeit. Daher bieten sich solche Räume insbesondere als Orte der sozialen Begegnung an.45

C Die Raumgestaltung beeinflusst unseren Sinn für Komfort und Schönheit. Kurven-formen werden als angenehm empfunden: In kürzlich durchgeführten Experimenten „beurteilten die Teilnehmer Räume eher als schön, wenn sie gekrümmt und nicht gerad-linig waren“. Die Forscher schlossen daraus, dass dieser „eindeutige E�ekt der Kontur auf die ästhetische Präferenz auf die Architektur ausgeweitet werden kann“.46

D Blaue und hohe Räume mit gekrümmten Konturen und Ausblick auf den blauen Him-mel sind also prädestiniert für angenehme, gesellige und kreative Umgebungen. Rote, niedrige und geradlinige Umgebungen hin-gegen eignen sich besser zum Fokussieren, Konzentrieren und Lernen.

FazitGestaltungskonzepte zur Förderung von Wohlbefin-den und Gesundheit umfassen eine Fülle von Krite-rien. Grundsätzlich sollte der Entwurf quantitative Anforderungen an die Gesundheit erfüllen, aber auch ergänzungs- und anpassungsfähig genug sein, um ein gesundheitsförderndes Nutzerverhalten zu fördern. Bei dem Versuch, ein technisch ‚perfektes’ Umfeld zu scha�en, laufen wir nämlich Gefahr, die Wichtigkeit der Stimuli außer Acht zu lassen, welche

Anmerkungen

44. Mehta, R., & Zhu, R. (2009). Blue or red? Exploring the e�ect of color on cognitive task performances. Science, 1226–1229.

45. Meyers-Levy, J., & Zhu, R. (2007). The influence of ceiling height: The e�ect of priming on the type of processing that people use. Journal of Consumer Research, 174–186.

46. Vartaniana, O., et al. (2013). Impact of contour on aesthetic judgments and approach-avoidance decisions in architec-ture. PNAS (Proceedings of the National Academy of Sci-ences, USA), 10446–10453.

47. Unwin, S. (2015). Twenty-five buildings every architect should understand. Abingdon: Routledge.

die Bewohner zur Aktivität, Aufmerksamkeit und sozialen Interaktion anregen. Gestaltungskonzepte sollten hier und da durchaus auch Anreize für Ver-haltensänderungen setzen. Ein extremes Beispiel hierfür ist der Entwurf des ‚Bioscleave House’ von Gins und Arakawa. Es wurde in der Absicht gestaltet, „das Leben durch Herausforderung zu stärken … zur physiologischen und psychologischen Erneuerung anzuregen durch eine Wohnumgebung, die bewusst unkomfortabel ist“.47 Dies wird unter anderem er-reicht durch wechselnde Boden- und Deckenhö-hen, unterschiedliche Farbgebung, unebene und geneigte Bodenflächen sowie unbequeme Türgrö-ßen. Dieser bewusst Verwirrung stiftende Ansatz mag extrem sein, demonstriert aber deutlich die Machbarkeit einer pragmatischen Orchestrierung der Architektur zur Förderung des Wohlbefindens. Durch die Gestaltung von Form, Raum und Ma-terialität kann Architektur unsere Beziehungen zueinander und zu unserer Umgebung lenken und interaktive Lebensräume einrichten. Sie kann Ge-legenheiten scha�en, unser Wohlbefinden zu stei-gern und unser Leben zu bereichern – zum Beispiel durch einen Sonnenstrahl an einem Fensterplatz in der Loggia, der einen Moment der Wärme und Ruhe scha�t, kombiniert mit einem Blick in die Na-tur, weichen und schalldämmenden Sitzpolstern und dem angenehmen taktilen Gefühl des glatten Gri�s beim Verstellen eines Holzfensterladens. Unser Wohlbefinden ist mit solchen Momenten der Freude eng verknüpft. Wir begegnen solchen Stimu-li ständig in unserem Alltag, oftmals ohne dass sie geplant wären oder bemerkt würden. Sie lassen sich in einem Gebäude jedoch auch gezielt orchestrieren, um Gesundheit und Wohlbefinden zu fördern. Ein schlechtes Haus bietet wenige solcher Momente und lässt unser Leben verkümmern, während ein erfolgreiches Werk der Architektur viele Momente der Freude scha�t und so die fünf Wege zum Wohl-befinden unterstützt.

Koen Steemers ist Professor für Nachhaltiges Design und war Leiter der Fakultät für Architektur an der Universität Cambridge. In seinen aktuellen Studien beschäftigt er sich mit den architek-tonischen und städtebaulichen Implikationen ökologischer Aspekte, angefangen von der Energienutzung bis hin zum per-sönlichen Komfort. Neben seiner Arbeit an der Hochschule leitet Koen Steemers das Büro CH&W Design und die Firma Cambridge Architectural Research Limited.

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WOHNEN

UND WOHLBE�FINDEN

Eine Einführung

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UND WOHLBE�FINDEN

Im Laufe der Jahrzehnte haben Architekten, Wissenschaftler und Ingenieure immer ausgefeiltere Kriterien entwickelt, um optimale Bedingungen für das Wohlbefinden in Gebäuden zu scha�en. Allzu selten wurden dabei jedoch diejenigen gefragt, auf die es am meisten ankommt: die Nutzer selbst. In den folgenden Beiträgen stellen die Sozialwissenschaftler Bernd Wegener und Moritz Fedkenheuer ein neues Konzept vor, mit dem sich das Wohlbefinden beim Wohnen ermitteln lässt. Dabei gehen sie konsequent von den Aussagen und Reaktionen der Bewohner anstatt von vordefinierten, vermeintlich ‚exakten’ Einzelparametern aus. Ferner präsentieren die Autoren die Ergebnisse zweier großer Forschungsvor haben von VELUX aus den vergangenen sieben Jahren. Diese lauten, kurz gefasst: Tageslicht und frische Luft sind wesent liche ‚Zutaten’ für das Wohlbefinden zu Hause. Die Bewohner sind sich dieser Tatsache auch durchaus bewusst. Dennoch unterschätzen sie im Alltag oft den Einfluss von Licht und Luft auf ihre Gesundheit. Von Moritz Fedkenheuer und Bernd Wegener

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DAS HOUSING WELL-BEING INVENTORY: GRADMESSER DES WOHLBEFINDENS

Bisher haben sich Architekten bei ihrem Bemühen um optimale Wohn bedingungen auf eine kleine Auswahl normierter und quantitativ fass barer Parameter verlassen wie beispielsweise Temperatur, Luft-feuchtigkeit oder Lichtverhältnisse. Die individuellen Empfindungen und Bedürfnisse der Bewohner fanden dabei nur selten Berücksichtigung. Das Housing Well-Being Inventory, ein nutzerbasiertes Evaluations konzept für Wohngebäude, soll dies ändern und dazu beitragen, die Wechselbe-ziehung zwischen Häusern und ihren Bewohnern besser zu verstehen. Insbesondere im Hinblick auf moderne, energiee¸ziente Bauformen wird das in Zukunft von großem Interesse sein.

Von Moritz Fedkenheuer und Bernd Wegener

Die Endlichkeit fossiler Energieträger und der bevorstehende Klimawandel erfordern gesamtge-sellschaftliche Energiesparmaßnahmen und den Einsatz regenerativer Energiequellen in allen Be-reichen unserer Gesellschaft. Dabei spielen die privaten Haushalte mit ihren Heizsystemen eine entscheidende Rolle, sind sie doch für mehr als ein Viertel des gesamten Energieverbrauchs verant-wortlich. Es ist daher notwendig, Hausbesitzer und private Bauherren vom Mehrwert energieeÞzienter Baumaßnahmen zu überzeugen und sie zu nachhal-tigen Handlungsmustern zu motivieren. Dies gilt um so mehr, als Veränderungen im Wohnsektor nur sehr langsam vonstatten gehen. Wohngebäude werden nur in sehr großen Zeitabständen neu gebaut oder saniert, weshalb das, was wir heute bauen, in hohem Maße den Energieverbrauch der Zukunft bestimmt. In diesem Zusammenhang ist es sehr bedauer-lich, dass der ö�entliche Diskurs zum energieeÞ-zienten Bauen in den letzten Jahren hauptsächlich dessen Mehrwert für die Umwelt im Blick hatte. Die Bewohner mit ihren Sorgen und Bedürfnissen wur-den meistens nur am Rande berücksichtigt. Dabei sind viele Menschen skeptisch, wenn es um die ener-getische Optimierung ihrer Wohnbereiche geht. Die Bedenken sind gesundheitlicher, funktioneller oder ästhetischer Natur und entscheidend dafür mitver-antwortlich, dass die vielfältigen Möglichkeiten der Energieoptimierung (z. B. Wärmedämmung, mechanische Lüftung, intelligente Gebäudetech-nik) bisher bei Weitem noch nicht ausgeschöpft wurden. Um das zu ändern, bedarf es zusätzlicher Informationen zu diesem Thema, die auf die Pers-

pektive der Gebäudenutzer abgestimmt sind. Wel-che gesundheitlichen Konsequenzen haben ener-getische Modernisierungsmaßnahmen? Welchen Vorteil in Bezug auf das subjektive Wohlbefinden können moderne Gebäude bieten? Wie lassen sich technische Innovationen auf eine Weise implemen-tieren, dass die Nutzer sie ästhetisch und funktional akzeptieren? Das von uns in den vergangenen drei Jahren entwickelte Housing Well-Being Inventory (HWBI) bietet das Potenzial, die Wechselbeziehung zwischen Menschen und ihrem Zuhause besser zu verstehen und Antworten auf diese und andere Fra-gen zu liefern.

Das Wohnen ganzheitlich betrachtenAls Sozialwissenschaftler, die sich mit dem Thema Wohnen beschäftigen, gehört es zu unseren Aufga-ben, Gebäude zu untersuchen und zu evaluieren. Statt für physikalische Messgrößen interessieren wir uns für die Perspektive und die Erfahrungen der Bewohner. Während Ingenieure beim Monito-ring von Gebäuden allerdings auf bestehende und erprobte Verfahren zurückgreifen können, um z. B. den Energieverbrauch zu messen oder das Innen-raumklima zu überprüfen, fehlt es in den Sozialwis-senschaften an etablierten Messinstrumenten zur Erfassung der subjektiven Gebäudequalität. Die Forschung im Bereich der nutzerbasierten Gebäu-deevaluation steht erst an ihrem Anfang, sowohl in Bezug auf verfügbares Datenmaterial als auch im Bereich der Theorieentwicklung. Unser erstes Etap-penziel auf dem Weg zu einem besseren Verständnis der Mensch-Gebäude-Interaktion war es daher, den

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Forschungsgegenstand konzeptuell zu erfassen, zu operationalisieren und eine Messmethode zu entwi-ckeln, die seiner Komplexität Rechnung trägt. Das Housing Well-Being Inventory ist als Vorschlag zu verstehen, wie sich die subjektive Qualität von Ge-bäuden standardisiert erfassen lässt. Dabei geht un-ser Ansatz über die bloße Quantifizierung gängiger Komfortparameter (z. B. Temperatur, Lichteinfall, Luftqualität) hinaus. Er nimmt eine ganzheitliche-re Perspektive in Bezug auf das Wohnen ein und be-rücksichtigt auch Aspekte wie technische Handhab-barkeit, Gesundheit oder soziale Interaktion. Dabei greifen wir existierende Ansätze, wie bei-spielsweise die Post Occupancy Evaluation (POE), auf und versuchen diese weiterzuentwickeln. Ob-wohl einige dieser Ansätze bereits seit vielen Jah-ren existieren, sind sie immer noch hauptsächlich auf traditionelle Komfortparameter beschränkt und versäumen es, die gesamte Reichweite des For-schungsfeldes zu berücksichtigen. Wir möchten gar nicht in Frage stellen, dass bestimmte Komfortbe-reiche existieren und in Wohngebäuden erreicht werden sollten. Allerdings sehen wir die Wechsel-beziehung zwischen Menschen und Gebäuden deut-lich vielseitiger und plädieren daher für eine ganz-heitlichere Perspektive, in der auch die Subjektivität des Wohnens Berücksichtigung findet. Gerade im Bereich der Niedrigenergiehäuser und modernen Gebäudetechnik wissen wir bisher nur wenig darü-ber, wie diese das Wohlbefinden und Verhalten der Bewohner beeinflussen. Diese Forschungslücke gilt es zu schließen.

Die Entwicklung des Housing Well-Being InventoryUm den Untersuchungsgegenstand theoretisch zu fassen, bot es sich an, das Wohn-Wohlbefinden bzw. Housing Well-Being in soziologischer Tradition als eine individuelle Einstellung mit drei Komponenten zu konzeptualisieren. In diesem Sinne verstanden, bedeutet Housing Well-Being eine nutzerbasierte mehrdimensionale Evaluation von Wohnobjekten, die sich aus a�ektiven (Reaktionen des autonomen Nervensystems; Gefühlsäußerungen), kognitiven (Wahrnehmungsurteile; geäußerte Überzeugun-gen) und konativen Elementen (sichtbares Verhal-ten; Auskünfte über Verhalten) zusammensetzt. Um die verschiedenen Dimensionen des Wohnens zu erfassen und die Theorieentwicklung im Bereich der Mensch-Gebäude-Interaktion voranzubringen, haben wir das Forschungsfeld zunächst einer aus-führlichen Exploration unterzogen. Als Teil des wis-senschaftlichen Teams für das VELUX Model Home 2020-Projekt bot sich uns eine exzellente Möglich-keit, Housing Well-Being in seiner Komplexität bes-ser zu verstehen und ein mehrdimensionales Mess-instrument zu dessen Erfassung zu konzipieren. Die Entwicklung dieses Messinstruments war von einigen methodischen Herausforderungen begleitet. Zunächst galt es, die für die Erfassung von Housing Well-Being relevanten Dimensionen auszuwählen (Selektionsproblem). Da diese Aus-wahl empirisch und nutzerbasiert erfolgen sollte, gri�en wir auf verschiedene qualitative Methoden

zurück, deren Ergebnisse Aufschluss gaben über die Relevanz einzelner Wohnaspekte aus Sicht der Bewohner. Im Kontext des VELUX Model Home 2020-Projekts führten wir unter anderem per-sönliche Interviews und umfangreiche Gruppen-diskussionen durch. Wir verglichen die Aussagen, Erfahrungen und Beschreibungen der verschie-denen Familienmitglieder miteinander und extra-hierten eine Reihe von Aspekten, die im Kontext von Housing Well-Being einflussreich und relevant er-schienen. Die im Rahmen des HWBI vorgenomme-ne Auswahl an Dimensionen ist dementsprechend nutzerbasiert und aus der Empirie abgeleitet. Auf die Festlegung der relevanten Dimensionen des Wohnens folgte die Entwicklung eines Mess-konzepts. Da es sich bei dem Untersuchungsgegen-stand, Housing Well-Being, ebenso wie bei dessen Dimensionen um theoretische Konstrukte handelt, die latent vorhanden und daher nicht direkt zu beob-achten sind, bedurfte es deren Operationalisierung (Messproblem). Die abstrakten theoretischen Be-gri�e mussten mit Hilfe von leicht verständlichen Indikatoren (Fragen) messbar gemacht werden. Der von uns entwickelte Fragebogen beinhaltet für jede der Dimensionen mehrere gleichwertige Indikatoren und trägt damit der Komplexität des Gegenstandes Rechnung. Der Rückgri� auf multi-ple Indikatoren (mindestens drei Indikatoren pro Dimension) reduziert außerdem die Messfehler und erhöht damit die Validität des Messinstruments. Als Indikatoren verwenden wir verschiedene Items (Aussagen), die sich auf die Wahrnehmung des bewohnten Gebäudes durch die Befragten so-wie deren Interaktion mit dem Gebäude beziehen. Sie umfassen eine große Bandbreite von Aspek-ten und lassen sich entlang der Dimensionen des Wohnens gruppieren. Darunter sind z. B. Aussagen wie „Ich fühle mich in meiner Wohnung zuhause“, „Meine Wohnung ist sanierungsbedürftig“ oder „Dort, wo ich schlafe, ist es mir zu hell“. Jedes dieser Fragebogen-Items wird von den Befragten auf einer fünfstufigen Skala bewertet, die von „tri�t voll und ganz zu“ bis „tri�t überhaupt nicht zu“ reicht. Eine erste Auswahl an Indikatoren haben wir auf Basis der Erfahrungen mit dem Model Home 2020-Pro-jekt entwickelt und sie anschließend im Rahmen einer Pilotstudie mit 50 Teilnehmern einem ersten Test unterzogen. Auf Basis dieser standardisierten Untersuchung konnten wir mit Hilfe einer Fakto-renanalyse die Anzahl der relevanten Dimensionen von Housing Well-Being sowie der dazu gehörigen Indikatoren deutlich reduzieren.

Die zehn Dimensionen des WohlbefindensUnsere bisherigen Untersuchungen lassen darauf schließen, dass sich Housing Well-Being in zehn zentrale Dimensionen untergliedern lässt: emo-tionale Verbundenheit, Größe, Modernität, Hel-ligkeit, Nachbarschaft, Temperaturregulierung, Energieverbrauch, Feuchtigkeit, Schlafkomfort und Lüftungsmöglichkeiten. Zur Messung dieser Dimensionen dient der obengenannte Fragebogen, der insgesamt 29 Items umfasst und das Kernmodul des HWBI bildet. Darüber hinaus wurde das Mess-

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Den Untersuchungen zufolge lässt sich Housing Well-Being in zehn zentrale Dimen-sionen untergliedern: emotionale Verbun-denheit, Größe, Modernität, Helligkeit, Nachbarschaft, Temperaturregulierung, Energieverbrauch, Feuchtigkeit, Schlaf-komfort und Lüftungsmöglichkeiten.

instrument um eine Reihe peripherer Module er-gänzt, mit denen sich das Housing Well-Being in ei-nem breiteren Kontext betrachten lässt. Inzwischen liegen sieben dieser Module vor: (1) Kernmodul (Housing Well-Being), (2) Umweltbewusstsein und -verhalten, (3) Wohnstile und -typen, (4) Techniksti-le und -typen, (5) Kennzi�ern zum Wohnraum, (6) Gesundheit und (7) Soziodemographie der Befrag-ten. Für die peripheren Module existierten bereits etablierte Frageinstrumente, die lediglich an den Kontext unseres Untersuchungsgegenstandes an-zupassen waren.

Ausblick und weitere SchritteUm das HWBI weiter zu validieren, sind in diesem Jahr zwei Studien geplant: Finanziert durch VELUX Deutschland und eigene Ressourcen werden wir das Messinstrument im Frühjahr 2015 im Rahmen einer größeren repräsentativen Telefonumfrage mit ca. 300 Teilnehmern testen und optimieren. Darüber hinaus ist eine weitere Untersuchung im Kontext des vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) initiierten EÞzi-enzhausPlus-Netzwerks geplant. In Zusammenar-beit mit dem Berliner Institut für Sozialforschung wollen wir den ungefähr 150 Bewohnern der ca. 35 Mehr- und Einfamilienhäuser aus dem Netzwerk das Kernmodul des HWBI vorlegen und so gezielt dessen Mehrwert für die Evaluation energieeÞzien-ter Gebäude ausloten. Im Anschluss an diesen Prozess der Optimierung und Validierung werden wir damit beginnen, in grö-ßerem Umfang Daten zu erheben. Erst mit Hilfe ei-nes umfangreichen Datenpools werden wir in der Lage sein, die den Dimensionen des Housing Well-Being zugrundeliegende Struktur aufzudecken und die Dimensionen entsprechend ihrer individuellen Relevanz zu gewichten (Aggregationsproblem). Mit-tels komplexer statistischer Verfahren werden wir dann mehr darüber erfahren, in welcher Beziehung die einzelnen Dimensionen zueinander stehen und auf welche Weise sie das allgemeine bilanzierende Urteil der Bewohner zu dem von ihnen bewohnten Gebäude beeinflussen. Am Ende ho�en wir einen Index bilden zu können, der auf den gewichteten Di-mensionen des HWBI basiert und mit dessen Hilfe sich die subjektive Qualität von Gebäuden bestim-men lässt.

Große Ho�nungen setzen wir auf einen For-schungsantrag, den wir gemeinsam mit dem ge-meinnützigen AktivPlus-Verein beim Bundesins-titut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) eingereicht haben. Seine Bewilligung würde es uns ermöglichen, das HWBI erstmals in einem größe-ren Kontext zur Anwendung zu bringen. Das bean-tragte Forschungsprogramm umfasst nicht nur die Untersuchung ausgewählter Niedrigenergiehäuser in Deutschland, sondern auch eine groß angeleg-te allgemeine Bevölkerungsumfrage zum Thema Wohnen. Mit Hilfe einer solchen Datenbasis wäre es dann möglich, verschiedene Architekturkonzep-te miteinander zu vergleichen und deren Vor- und Nachteile aus der Perspektive der Bewohner zu eru-ieren. Außerdem erho�en wir uns Antworten auf allgemeine Fragen zum Zustand der Wohngebäude in Deutschland sowie der individuellen und grup-penspezifischen Unterschiede im Bereich Housing Well-Being. Wichtige o�ene Fragen lauten unter anderem: Wie unterscheidet sich die Wohnzufrie-denheit entlang bestimmter sozialer Gruppen oder Gebäudetypen? Was sind die aktuellen Bedürfnisse in Bezug auf das Wohnen? Welchen Einfluss haben bestimmte Sanierungs- bzw. Modernisierungsmaß-nahmen auf die Bewohner und wie beeinflussen sie deren psychische und physische Gesundheit? Ziel ist es, die Vor- und Nachteile technischer In-novationen im Bereich des nachhaltigen Bauens aus der Perspektive der Nutzer zu bewerten, Antworten auf ihre Bedenken zu finden und Wege zu identifizie-ren, wie sich die Wohnqualität in Gebäuden nachhal-tig erhöhen lässt. Außerdem möchten wir uns in der Zukunft verstärkt den besonderen Anforderungen einzelner sozialer Gruppen widmen. Wir ho�en mehr darüber zu erfahren, was Menschen in ihrem Zuhause wirklich wertschätzen – im Allgemeinen, aber auch unter dem Aspekt der sozialen Vorausset-zungen und baulichen Bedingungen, unter denen sie leben. Indem wir Housing Well-Being ganzheitlich und aus der Nutzerperspektive betrachten, möchten wir einen Beitrag dazu leisten, dass die Gebäude der Zukunft nicht nur dem Klima nützen, sondern auch den Bewohnern einen Mehrwert bieten. Dies ist eine Grundvoraussetzung, um die Ö�entlichkeit von den Vorteilen des nachhaltigen Bauens zu überzeugen und die Akzeptanz ökologischer Sanierungsmaß-nahmen zu erhöhen.

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MEHR WOHNQUALITÄT MIT TAGESLICHT UND NATÜRLICHER LÜFTUNG

Mit unserer Forschung zur Wechselbeziehung zwischen Menschen und ihrem Zuhause möchten wir nicht nur die Dimensionen und Determinanten von Housing Well-Being identifizieren, sondern auch Konzepte für die Gestaltung von Wohnge-bäuden entwickeln, die einen Mehrwert in Sachen Gesundheit und Wohlbefinden bieten. Da wir die meiste Zeit unseres Lebens im Inneren von Ge-bäuden verbringen, sollten wir sehr genau darauf achten, was wir bauen und wie dies den menschli-chen Organismus beeinflusst. Daher integriert un-ser Konzept von Housing Well-Being auch Aspekte wie Gesundheit, Stimmungslage und Produktivität. Auf diese Weise können wir den Zusammenhang zwischen Wohnbedingungen und psychischem sowie physischem Wohlbefinden untersuchen und uns der Antwort auf die Frage nähern: Was macht Wohngebäude gesund und wohnlich? Das VELUX Model Home 2020-Projekt1 bot uns eine hervorragende Gelegenheit, die Wechselbezie-hung zwischen Wohnbedingungen und Gesundheit aus der Perspektive der Bewohner zu analysieren. Zwar gibt es seit Längerem medizinische Studien, die dem Innenraumklima eine Relevanz für das physiologische Wohlbefinden attestieren, es fehlt jedoch an empirischen Untersuchungen zu den tatsächlichen Auswirkungen und den subjektiven Erfahrungen der Bewohner: Welche gesundheitli-che Bedeutung messen Menschen ihrem Zuhause bei und wie beeinflusst das ihr Verhalten? Wie nehmen Menschen den Zusammenhang zwischen Wohnraumqualität und Gesundheitszustand wahr? Es erscheint durchaus sinnvoll, der Perspektive der

Bewohner eine größere Bedeutung zuzumessen und sie an der Diskussion um gesundes Wohnen zu beteiligen. Gesundheit ist schließlich keine objekti-ve Größe, sondern in hohem Maße abhängig von der individuellen Wahrnehmung der jeweiligen Person. Bei der Evaluation der Model Homes 2020 konn-ten wir feststellen, dass alle untersuchten Gebäude einen positiven Einfluss auf ihre Bewohner gehabt haben – sowohl in Bezug auf psychische als auch auf physische Aspekte. Ferner wirkten sie sich nach Aussage der Bewohner positiv auf die Produktivität aus und stimulierten sie zu einem gesünderen Le-bensstil. Alle an dem Experiment beteiligten Fami-lien berichteten von einem verbesserten Gesund-heitszustand, einem gesteigerten Aktivitätsniveau und von einer allgemein positiven Wirkung der Mo-del Homes auf ihr Wohlbefinden. Das Experiment hat gezeigt, dass moderne und innovative Wohn-konzepte das Potenzial besitzen, gesundheitliche Beschwerden (z. B. Asthma oder Allergien) nicht nur zur mindern, sondern sogar zu heilen und auch die Gemütslage der Bewohner langfristig zu verbes-sern.

Model Home 2020: Tageslicht und Frischluft machten den UnterschiedAuf der Suche nach Gründen für dieses positive Ergebnis stachen zwei Charakteristika der Model Homes besonders hervor: die große Menge an Ta-geslicht und die ständige Verfügbarkeit von Frisch-luft. Diese beiden Aspekte waren nach Ansicht der Bewohner hauptverantwortlich für ihre Zufrieden-heit und positive Bilanzierung. Dabei war es nicht

Mit dem Model Home 2020-Experiment und dem Healthy Homes Barometer hat VELUX zwei ambitionierte Forschungsprojekte zum Thema Housing Well-Being ins Leben gerufen. Die Untersuchungen zeigen, dass Menschen über den positiven Einfluss von Tageslicht und Frischluft auf die Gesundheit zwar theoretisch Bescheid wissen, aber sein Ausmaß unterschätzen. Auch besteht Unklarheit darüber, wie viel Licht und frische Luft für ein gesundes Innenraumklima erforderlich sind und wie sich eine ausreichende natürliche Belichtung und Belüftung sicher-stellen lässt. Um diese Wissenslücken zu schließen, sind weitere wissen-schaftliche Forschungen und eine intensive ö�entliche Debatte zum gesunden Wohnen notwendig.

Von Moritz Fedkenheuer

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nur bemerkenswert, wie einheitlich die Urteile der sechs Familien ausfielen, sondern auch, wie deut-lich sie den vorteilhaften Einfluss von Tageslicht und Frischluft auf ihre Gesundheit beschrieben. Damit bestätigten die Bewohner aus ihrer eigenen Erfahrung heraus, was medizinische Studien be-reits seit längerem nahelegen: die Sensibilität des menschlichen Organismus gegenüber den Wohn-bedingungen und insbesondere die große Bedeu-tung von Tageslicht und Frischluft. Doch trotz der Deutlichkeit dieser Ergebnisse waren sich die Teilnehmer anfangs nicht annähernd darüber im Klaren, wie stark der positive Einfluss dieser beiden Parameter eigentlich ist. Dies änderte sich erst, als sie den Unterschied während des Ex-periments am eigenen Körper erfuhren. Vor dem Einzug in die Model Homes war das Wissen um den Zusammenhang zwischen Tageslicht, Frisch-luft und Gesundheit bei den Testfamilien höchstens abstrakt vorhanden und ohne Bezug zum eigenen Wohlbefinden oder physiologischen Zustand. An-scheinend hat die Fülle an Tageslicht und Frisch-luft, die die Bewohner in den Model Homes erfahren durften, in ihnen ein latent vorhandenes Bedürfnis geweckt. Die französische Familie berichtete bei-spielsweise, dass Tageslicht für sie „ein neuer Stan-dard für gutes Wohnen“ geworden sei. Die Bewoh-ner des deutschen Hauses sagten, dass es zwar ein wenig gedauert habe, bis man sich an die zusätzliche Menge an Frischluft gewöhnte, man danach aber „nie wieder darauf verzichten“ wolle. Und auch im englischen Model Home hat die Erfahrung von ta-geslichtdurchfluteten Wohnräumen „die Wahrneh-mung davon verändert, was hell und was dunkel ist.“ Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass viele Bewohner sich nur unzureichende Gedanken über die Wirkung heller Räume und hoher Luftqua-lität machen und deren Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden unterschätzen. Das ist kaum verwunderlich, denn schließlich bekommen die meisten Menschen nicht die Gelegenheit, am eige-nen Körper die Wirkung unterschiedlicher Licht- oder Frischluftmengen zu vergleichen, wie es im Rahmen des Model Home-Projekts möglich war. Wir können also davon ausgehen, dass viele Haus-besitzer sich der positiven Wirkung bestimmter Sanierungsmaßnahmen (z. B. zusätzliche Fenster, Lüftungssysteme) nicht hinreichend bewusst sind. Es herrscht Unwissen darüber, wie sich das Wohn-klima optimieren lässt und welche Maßnahmen den größten persönlichen Vorteil versprechen.

Das Healthy Homes Barometer: eine europa-weite Umfrage zum gesunden WohnenBei der Interpretation der bisher präsentierten Er-gebnisse muss stets das spezifische Design des Mo-del Home 2020-Projekts berücksichtigt werden. Ob-wohl es durchaus beeindruckte, wie einheitlich die sechs Familien von ihren Erfahrungen berichteten, lassen sich die skizzierten Ergebnisse kaum genera-lisieren und sollten stets im speziellen Kontext des Forschungsprojekts gedeutet werden. Denn:– An dem Experiment beteiligten sich lediglich

sechs Familien, die nicht repräsentativ sind für

die allgemeine Bevölkerung. Trotz unterschied-licher kultureller Hintergründe weisen sie eine relativ große Homogenität in Bezug auf ihre sozi-alen Merkmale auf, z. B. beim Alter, Bildungshin-tergrund, Gesundheitszustand und Familiensta-tus. Um repräsentative Ergebnisse zu erhalten, bedarf es einer größeren Anzahl an Teilnehmern mit stärker unterschiedlichen sozialen Hinter-gründen.

– Obwohl Umfang und Dauer des Model Home 2020-Projekts beeindruckten, ist ein Beob-achtungszeitraum von 1-2 Jahren nicht ausrei-chend, um langfristige (Gewöhnungs-)E�ekte zu beobachten und zu analysieren. Der Einzug in ein neues Zuhause stellt für die beteiligten Per-sonen stets ein aufregendes Ereignis dar, was in der Anfangsphase die Ergebnisse verzerrt und es schwierig macht, kausale Schlüsse zu ziehen.

– Ferner ist davon auszugehen, dass das Bewusstsein der Testfamilien, Teil eines wissenschaftlichen Experiments zu sein, die Ergebnisse ebenfalls beeinflusst hat. Das gilt sowohl für die Wahrneh-mung der Gebäude durch die Bewohner als auch für die Art und Weise, wie sie ihre Eindrücke kom-munizierten. Ihr Wissen darum, unter ständiger wissenschaftlicher und ö�entlicher Beobachtung zu stehen, wird mindestens unterbewusst die Er-gebnisse verzerrt haben.

Dennoch lässt die Ähnlichkeit der Monitoringer-gebnisse aus den sechs Häusern den Schluss zu, dass sich die Befunde aus dem Model Home 2020-Pro-jekt gut als Hypothesen eignen, die es nun mittels größerer, repräsentativer Umfragen zu überprüfen gilt. In diesem Zusammenhang stellt das von VELUX initiierte Healthy Homes Barometer (HHB) eine exzellente Datenbasis zur Verfügung, um die Forschung weiter zu vertiefen. Vergleicht man die Ergebnisse aus dem diesjährigen Healthy Homes Barometer mit unseren Hypothesen aus dem Mo-del Home 2020-Projekt, dann ist es erstaunlich, wie sich die beiden Studien gegenseitig ergänzen und bestätigen.

Die Menschen schätzen ihr Wohnumfeld zu optimistisch einWie oben dargestellt, zeigten sich die Testfamilien aus den Model Homes erstaunt darüber, wie positiv sich Tageslicht und Frischluft auf ihren Gemütszu-stand, ihre Gesundheit und ihre Produktivität aus-wirkten. Das ließ uns vermuten, dass Menschen im Allgemeinen dazu tendieren, die für ein gesundes Innenraumklima erforderlichen Mengen an Tages-licht und Frischluft zu unterschätzen. Die Daten aus dem Healthy Homes Barometer stützen diese An-nahme. Obwohl die Befragten angaben, sich der po-sitiven Bedeutung dieser beiden Wohndimensionen bewusst zu sein, ergri�en sie oft nicht die notwendi-gen Maßnahmen, um eine ausreichende Versorgung mit ihnen sicherzustellen. Das Healthy Homes Barometer bestätigt auch die Vermutung, dass Menschen bei der Bewertung ihrer eigenen Wohnbedingungen insgesamt zu op-timistisch sind. Die meisten der Befragten äußerten

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STIMULUS(Gebäude)

JahreszeitenTechnische InnovationenÖ�entlicher DiskursSystemmodifikationenPreisentwicklungLebensereignisseSonstiges (z. B. Elektroauto)

UmweltbewusstseinTechnikstileGesundheitswahrnehmung

KOGNITIV(Denken)

Bewertung:– Sinneseindrücke– Ästhetik– Funktionalität– Architektur

Einschätzung derökologischen QualitätKostenbewertung

Wohnpräferenzen

AFFEKTIV(Fühlen)

Wahrnehmung (Sinne):– thermische– hygienische– akustische– visuelle

Assoziationen

Sicherheitsempfinden

Stress-/Entspanungsgefühle

Identifikation

KONATIV(Handeln)

Steuerung und Anpassungder Technik:– Monitor– Fensterö�nung– Verschattung

Verbrauchsverhalten(Energie)

Raum-/Gartennutzung

Interaktion– Familie– Nachbarschaft– Freunde

DIMENSIONEN UND INDIKATOREN DES HOUSING WELL-BEING

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EINSTELLUNG“Housing well-being”

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Bernd Wegener ist emeritierter Professor der Sozialwissen-schaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und Forschungs-professor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Er fungiert außerdem als Senior-Berater der Humboldt-Universität und leitet die Gesellschaft für Empirische Sozialforschung und Kommunikation (GeSK) in Berlin. Zuvor lehrte und forschte er an den Universitäten Wisconsin-Madison, Harvard, Heidelberg und Mannheim sowie am Max-Planck- Institut für Bildungsforschung in Berlin. Seine wichtigsten For-schungsinteressen sind Ungleichheit und soziale Mobilität, die Erforschung sozialer Gerechtigkeit, Nachhaltigkeitsstudien, die Evaluationsforschung und sozialwissenschaftliche Forschungs-methoden. 

Moritz Fedkenheuer schloss 2012 sein Masterstudium der Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin ab. Er arbeitete fünf Jahre lang als Tutor sowie zwei weitere Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Lehrbereich für Empirische Sozialforschung. Seine wesentlichen Forschungs-interessen liegen im Bereich der Umweltsoziologie, der Evalua-tionsforschung, der Wohn- und Stadtsoziologie sowie der Erforschung von städtischen sozialen Bewegungen. Seit 2014 vertieft Moritz Fedkenheuer seine Forschung zu der Psycho physik des Wohnens und der Wechselbeziehung zwischen Menschen und Gebäuden als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fach bereich Architektur der Technischen Universität Darmstadt.

sich beispielsweise sehr zufrieden mit der Luftqua-lität in ihren Wohnräumen, obwohl die Angaben zu ihrem Lüftungsverhalten klar darauf hindeuteten, dass kein ausreichender Luftaustausch sicherge-stellt war. Diese Diskrepanz zwischen Überzeugung und Verhalten passt zu unserer Erfahrung aus dem Model Home Projekt. O�enbar hat sich die Mehr-heit der Bevölkerung an einen (niedrigen) Wohn-komfort gewöhnt und stellt die Bedingungen, un-ter denen sie seit vielen Jahren wohnt, daher nicht weiter in Frage. Wir wagen die Behauptung, dass die große Zufriedenheit der Befragten mit ihrem Zuhause nicht auf gute Wohnbedingungen schlie-ßen lässt, sondern häufig nur aus Gewöhnung und Anpassung an defizitäre Verhältnisse resultiert. Das würde unter anderem auch erklären, warum die Be-deutung des Tageslichts in den beteiligten Ländern sehr unterschiedlich bewertet wurde. Obwohl alle menschlichen Organismen – unabhängig von ihrer regionalen Herkunft – gleichermaßen von Tages-licht profitieren, scheinen die Umfrageteilnehmer aus den nördlichen Ländern dessen Bedeutung ge-ringer einzuschätzen als jene aus Südeuropa. Auch hier spielt möglicherweise die jahrelange Gewöh-nung an dunklere natürliche Lichtverhältnisse eine Rolle. Auf die Frage, was ihnen in Bezug auf das Wohnen besonders wichtig ist, antworteten viele der Um-frageteilnehmer zwar, dass sie dem Wohnkomfort besonders große Bedeutung zumessen – es bleibt jedoch unklar, was genau sie darunter verstehen. Vielen der Befragten ist ein komfortables Wohn-umfeld sogar wichtiger als beispielsweise Energie-kosten, Größe oder Attraktivität der Wohnräume. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Be-gri� ‚Komfort’ ein sehr vages und subjektives Kri-terium ist, das viel Interpretationsspielraum lässt. Da es sich bei dem Healthy Homes Barometer um eine standardisierte Untersuchung handelt, bleibt unklar, was die Befragten mit dem Begri� „Wohn-komfort“ assoziieren und was ihrer Meinung erfor-derlich ist, um diesen sicherzustellen. Sie erkennen womöglich die Verbindung zwischen Tageslicht, Frischluft und etwas Abstraktem wie Komfort, se-hen aber nicht den direkten Zusammenhang zum persönlichen Wohlbefinden und zu gesundheitli-chen Problemen wie Müdigkeit, Infekten, Asthma oder Allergien.

Mehr Informationen und intelligente Technik sind erforderlichAus der Zusammenschau der Ergebnisse aus dem Model Home 2020-Projekt und dem Healthy Homes Barometer ergibt sich eine ambivalente Schlussfol-gerung: Die Menschen wissen zwar, dass das Wohn-umfeld ihre Gesundheit beeinflusst, doch dieses Wissen ist abstrakt und unspezifisch. Aufgrund mangelnder Sensibilität und Erfahrung können nur Wenige abschätzen, wie Licht und Luft tatsächlich auf den Menschen wirken und welche Mengen da-von notwendig sind, um den menschlichen Organis-mus optimal zu versorgen. Und selbst wenn einzelne Bewohner über die Relevanz dieser Parameter Be-scheid wissen, sind sie oftmals dennoch überfordert, die Maßnahmen zu ergreifen, die für ein gesundes Wohnklima notwendig sind. Nach allem, was wir bisher über den Zusammen-hang von Wohnen und Gesundheit wissen, hegen viele Menschen zwar den Wunsch, ihr Wohnum-feld nachhaltig und gesund zu gestalten, doch es mangelt ihnen an dem notwendigen Wissen, um dieses Ziel zu erreichen. Daraus ergeben sich zwei Herausforderungen: Zum einen bedarf es niedrig-schwelliger technischer Lösungen, welche die Be-wohner bei der Regulierung des Innenraumklimas unterstützen. Zum anderen gilt es, die ö�entliche Diskussion zum gesunden Wohnen zu forcieren. Zu beiden Punkten leisten Experimente wie das Model Home 2020-Projekt und Studien wie das Healthy Homes Barometer wichtige Beiträge. Sie helfen, die gesellschaftliche Debatte über gesunde Wohnbe-dingungen zu intensivieren und die Ö�entlichkeit dafür zu sensibilisieren, wie sich in Wohnhäusern ein gesundes Innenraumklima erreichen lässt.

Anmerkungen

1. Im Rahmen des Model Home 2020-Projekts wurden fünf Einfamilien- und Doppelhäuser in fünf europäischen Län-dern errichtet. Nach ihrer Fertigstellung wurden die Häu-ser bis zu zweieinhalb Jahre lang von Testfamilien bewohnt und einem technischen und sozialwissenschaftlichen Mo-nitoring unterzogen. www.velux.com/sustainable_living/demonstration_buildings

2. Das Healthy Homes Barometer wurde erstmals im Winter 2014/15 mit 12.000 Personen aus zwölf europäischen Ländern durchgeführt. VELUX plant, die Studie künftig jährlich zu wiederholen. www.velux.com/healthyhomes

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Was bedeutet gesundes Wohnen für Europäer?

Hat das Raumklima für Europäer etwas mit der Gesundheit zu tun?

Wie wichtig ist den Europäern eine gute Raumluft-qualität zu Hause?

Wie besorgt sind die Europäer über die gesundheitli-chen Auswirkungen des Wohnumfelds?

Wie wichtig sind den Europäern ihre Energiekosten?

Wie empfinden die Europäer ihre Schlafqualität?

Wer ist dafür verantwortlich, dass Gebäude die Gesundheit fördern?

Wie wichtig sind den Europäern die Umweltwirkungen von Wohn ge-bäuden?

Wie wichtig ist den Europäern Tageslicht in ihrer Wohnung?

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4 6 DIE INDIKATOREN

ZAHLEN UND FAKTEN

Indikatoren

Bewertungsskala:

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von bis

sehr wichtig

DIE METHODIK

Nur wenig war bislang über die Einstellung der Europäer zu gesundheitlichen Aspekten beim Wohnen bekannt. Mit dem Healthy Homes Barometer ist VELUX angetreten, dies zu ändern. Die Ergebnisse der ersten jährli-chen europaweiten Umfrage zur Wohnge-sundheit zeichnen ein di�erenziertes Bild des Gesundheitsbewusstseins der Bürger. Mehr dazu unter www.velux.com/healthyhomes.

DAS HEALTHY HOMES BAROMETER 2015: WOHNGESUNDHEIT UNTER DER LUPE

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12 000 Befragte insgesamtTeilnehmerländer :

Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Tschechische Republik undUngarn

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35% aller Europäer bezeichnen sowohl das Tageslichtangebot als auch die die Luftqualität als sehr wichtige Kriterien bei der Auswahl einer neuen Wohnung.

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1. Das Wohnumfeld Schlafqualität, Tageslicht und frische Luft, Vermeidung schädlicher Chemikalien

2. Nahrungs- und Genussmittel Obst, Gemüse und Nahrungsergänzungsmittel, Verzicht auf Rauchen

3. Körperliche Aktivität regelmäßiger Sport, Aktivitäten im Freien

WAS DEN EUROPÄERN FÜR IHRE GESUNDHEIT WICHTIG IST

DIE WICHTIGSTEN ERGEBNISSE

ZAHLEN UND FAKTEN

Europäer wünschen sich ein gesundes Wohnumfeld

Ein gesunder Nachtschlaf ist nach Ansicht der Europäer die wichtigste Voraussetzung für ihre Gesundheit. Auch ausreichend frische Luft und Tageslicht zu Hause sind den Euro - päern wichtiger als der Verzicht aufs Rauchen, regelmäßiger Sport oder der Aufenthalt im Freien.

Europäer sind zum Sanieren bereit – wenn es sich auszahlt

Bei der Gebäudesanierung geht der Wunsch nach erhöhtem Wohnkom-fort oft Hand in Hand mit energetischen Verbesserungen. Dagegen genießen die Umweltwir-kungen der Baumaterialien bei den Europäern nur eine sehr geringe Priorität, wenn sie ihr Haus sanieren.

Bewusstsein führt nicht immer zum Handeln

Ein Drittel aller Befragten berichtete, dass in ihrem Haushalt mindestens eine Person unter Asthma leidet. Doch obwohl schlechte Raumluftqualität das Asthmarisiko deutlich steigert, wurde in diesen Haushalten durchschnittlich nicht häufiger gelüftet als anderswo.

Energie- und Gesundheits-bewusstsein gehen Hand in Hand

Diejenigen Europäer, denen die Energiekosten beim Umzug in eine neue Wohnung sehr wichtig sind, lüften ihre Wohnung im Durch-schnitt auch häufiger als andere.

Gesundes Wohnen liegt in der Verantwortung des Einzelnen

Auf die Frage, wer für die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Gebäuden verantwortlich ist, nannten die Befragten am häufigsten die Gebäudeeigentümer, Bauträger und Architekten. Am seltensten wurden der Gesetzgeber, Banken sowie die Mieter selbst genannt.

Frauen und ältere Menschen sind gesundheitsbewusster

Frauen und über 60-Jährige zeigen sich besonders aufgeschlossen gegenüber den Vorteilen von Tageslicht und frischer Luft. Sie bewerteten diese Aspekte durchgehend als wichtiger im Vergleich zu Männern und jüngeren Mitbürgern.

Europäer wollen komfortabel wohnen

Von allen untersuchten Kriterien ist den Befragten bei der Suche nach einer neuen Wohnung der Komfort am wichtigsten. 53 % von ihnen ist er sehr wichtig (7 von 7 Punkten) und 95 % aller Europäer ist er überdurchschnittlich wichtig (5–7 von 7 Punkten).

Energiekosten sind Grund zur Sorge – und ein Handlungsmotiv

Mehr als die Hälfte aller Europäer haben in den vergangenen fünf Jahren Maßnahmen ergri�en, um die Energiekosten beim Wohnen zu senken. Beim Umzug in eine neue Wohnung sind ihnen die Energie-kosten wichtiger als die Größe und Attraktivität der Wohnung sowie die Aussicht.

Gesunder Schlaf ist den Europäern wichtig

69 % der europäischen Bevölkerung schlafen jeden Tag bei kompletter Dunkelheit. Das ist ein gutes Zeichen, da Schätzungen zufolge 16 % bis 30 % der arbeitenden Bevölkerung unter Schlafstörungen leiden und zu viel nächtliches Licht im Schlafzimmer das Risiko solcher Störungen deutlich erhöhen kann.

Im Winter wird zu wenig gelüftet

Im Sommer lüften 68 % aller Europäer zumindest einen Raum in ihrer Wohnung mehrmals täglich. Dieser Prozentsatz sinkt im Winter jedoch deutlich: Dann lüften nur noch 28 % mehrmals am Tag, und fast ein Viertel aller Befragten lüftet weniger als einmal täglich.

Europäer sorgen sich über Gesundheitsgefahren beim Wohnen

Eine schlechte Luftqualität in der eigenen Wohnung wäre für fast 85 % aller Europäer ein Anlass zur Sorge. Damit ist ihnen die Luftqualität ebenso wichtig wie die finanzielle Sicherheit oder ein sicherer Arbeitsplatz.

Die Menschen brauchen frische Luft und Tageslicht, um sich ,zu Hause’ zu fühlen ...

Für mehr als 85 % aller Europäer sind Tageslicht und gute Raumluft wichtige Kriterien bei der Entscheidung für eine Wohnung. Doch anstatt diese Aspekte mit ihrer Gesundheit in Verbindung zu bringen, assoziieren die Menschen sie vor allem mit Komfort und allgemeinem Wohlbefinden.

… aber sie unterschätzen die Gesundheitsrisiken in der Wohnung

Statistiken zufolge leben 80 Millionen Europäer in feuchten Woh-nungen. Dennoch zeigten sich 78 % aller Befragten zufrieden mit der Luftqualität zu Hause. Und obwohl gute Raumluft den Europäern sehr wichtig ist, lüften nur 28 % der Befragten ihre Wohnung im Winter mehr als einmal täglich.

86% 59% aller Europäer halten Tageslicht in der Wohnung für überdurchschnitt-lich wichtig.

aller Europäer machen sich Sorgen um eine ungesunde Luftqualität in der Wohnung.

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FENSTER –DIE SEGEL   DES HAUSES

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FENSTER –DIE SEGEL   DES HAUSES

Lange Zeit wurden Gebäude im 20. Jahrhundert entworfen wie Ozeandampfer, in denen komplexe technische Installati-onen den Komfort der Nutzer garantieren sollten. Diese Zeiten scheinen inzwischen vorbei: Die Zukunft gehört Häusern, die, angetrieben von den Kräften der Natur, durch die Tages- und Jahreszeiten ‚segeln’. Darin spielen Fenster eine Schlüsselrolle: Sie senken den Energieverbrauch und steigern die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Nutzer.

Von Vivian Loftness

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Bessere Gesundheit durch SonnenlichtBei einer empirischen Feldstudie in einem Kran-kenhaus in Edmonton (Kanada) fanden Beauche-min & Hays 1996 heraus, dass Patienten mit Winterdepressionen, die in sonnigen Zimmern un-tergebracht waren, durchschnittlich 2,6 Tage schneller wieder entlassen werden konnten als Pa-tienten in Zimmern ohne Sonne. Die Patienten wurden zufällig auf die Zimmer verteilt und der Unterschied in der Aufenthaltsdauer war in allen Jahreszeiten gleich.6

Benedetti et al. fanden in ihrer Feldstudie an 187 stationären Patienten mit bipolarer Störung ähn-lich positive Auswirkungen des Sonnenlichts auf die Behandlungsdauer. Die Forscher stellten bei Patienten in Ostzimmern (mit direkter Morgen-sonne) einen um 30 % (im Sommer) bzw. um 26 % (im Herbst) verkürzten Krankenhausaufenthalt im Vergleich zu Patienten in Westzimmern (mit di-rekter Abendsonne) fest. 7

Einen geringeren Schmerzmittelverbrauch durch mehr Sonnenlicht verzeichneten Walch et al. 2005 bei einer Untersuchung von 89 Patienten mit Hals- und Lendenwirbel-OPs in Pittsburgh (USA). Patienten in ‚hellen’ Zimmern, die nach der OP mehr natürlichem Sonnenlicht ausgesetzt waren (durchschnittlich 73 537 Luxstunden), be-nötigten 22 % weniger Schmerzmittel als solche, die nach der OP in ‚dunkleren’ Zimmern lagen (durchschnittlich 50 410 Luxstunden Sonnen-licht).8

Eine Fallstudie des Inha-Universitätsklinikums in Korea (Choi, 2005) ergab eine Verkürzung der mittleren Aufenthaltsdauer von Gynäkologie-Pa-tientinnen in Zimmern mit viel Tageslicht um 41 % (3,2 Tage) im Vergleich zu Patientinnen in dunkle-ren Räumen im Frühling. Im Herbst verkürzte sich der Krankenhausaufenthalt von OP-Patientinnen in hellen Räumen um 26 % (1,9 Tage). In allen Jah-reszeiten betrug die mittlere Tages-Beleuch-tungsstärke 317 Lux in den hellen und 190 Lux in den dunkleren Räumen.9

Um Gebäude auch nur annähernd CO2-neutral betreiben zu können, sind die erneuerbaren Ressourcen der Natur unverzichtbar. Dazu zählen vor allem Tageslicht, natürliche Belüftung, pas-sive Kühlung und Sonnenwärme. Wir brauchen Gebäude, die die meiste Zeit des Jahres ohne aktive Gebäudetechnik auskommen und wie ein Segelschi� mithilfe der Kräfte der Natur durch die Tages- und Jahreszeiten navigieren. Der Nutzen solcher Bauten geht über die reine Energie- und Wassereinspa-rung, die Emissionsvermeidung und ihre potenzielle Unempfindlichkeit gegenüber sich verändernden Klima-bedingungen hinaus. Sie fördern auch die Gesundheit, Produktivität und Le-bensqualität der Menschen, die sie be-wohnen.1

Fenster als Schlüssel zum nachhaltigen Bauen Fenster spielen für die ökologische Nachhaltigkeit von Gebäuden eine entscheidende Rolle. Sie stellen die vi-suelle Verbindung zur Außenwelt her, versorgen uns mit Tageslicht, frischer Luft und natürlicher Kühlung, aber auch mit Sonnenwärme. Durch Fenster können wir den Wechsel der Tages- und Jahreszeiten mitverfolgen sowie den klimatischen und kulturellen Kontext des jeweiligen Standorts wahrnehmen. Zwar sind Architekten und Bewoh-nern von Gebäuden diese vielfältigen Wechselbeziehungen meist intuitiv vertraut, doch in der Praxis bleibt die Detailgestaltung von Fenstern und Fas-saden oftmals hinter den Anforderun-gen zurück. Denn als Schnittstelle zwi-schen innen und außen haben Fenster in unseren Breiten mehr Aufgaben zu erfüllen als fast jedes andere Bauele-ment. Sie sollen möglichst viel blend-freies Tageslicht hereinlassen und zugleich Wärmeverluste – auch solche durch Wärmebrücken – minimieren. Im Winter sollen sie den solaren Wär-meeintrag maximieren und im Sommer ebenso wirksam eine Auêeizung des Gebäudes verhindern; sie sollen eine natürliche Lüftung ermöglichen, ohne

dass Regen oder Schädlinge ins Gebäu-de gelangen. Und natürlich sollen Fens-ter einen möglichst attraktiven Blick ins Freie bieten. Um all dies zu leisten, reicht es nicht aus, sich beim Entwurf nur auf Rahmen und Verglasung zu kon-zentrieren. Vielmehr muss das Fenster als Gesamtsystem aus vier vertikalen Abschnitten – Sturz, Verglasung, Fens-terbrett und Brüstung – sowie drei Ebenen – innen, außen und im Inneren der Fensterkonstruktion – begri�en werden. Daraus resultieren insgesamt 4 x 3 = 12 einzelne ‚Felder’, die es je nach Gebäudenutzung und Standortbedin-gungen anders zu entwerfen gilt.

Heizen mit der Sonne Der größte Teil des Energieverbrauchs in US-amerikanischen und europäi-schen Gebäuden entfällt auf die Hei-zung.2 Mit guter Wärmedämmung sowie einer hocheÞzienten mechani-schen Lüftung mit Wärmerückgewin-nung lassen sich hier Bedarfsreduzie-rungen von 30 bis 50À% erreichen.3 Den wirklich entscheidenden, oft überse-henen Beitrag zur Wärmeversorgung leistet jedoch die Sonne. Durch eine entsprechende Ausrichtung und Di-mensionierung der Verglasungen las-sen sich Gebäude so konzipieren, dass sie in unseren Breiten während 60 bis 90À% des Jahres ohne aktive Beheizung auskommen. Passiv-solar beheizte Räume sind im Winter auch ohne weitere Wärmezu-fuhr behaglich warm; in Kombination mit guter Dämmung kommen solche Gebäude dem Ideal eines CO2-neutra-len ‚Hauses ohne Heizung’ schon recht nahe. Nebenbei versorgt die Sonne die Räume mit Licht in einer gesundheit-lich optimalen spektralen Zusammen-setzung, tötet Krankheitskeime ab und verringert durch ihre Wärme das Schimmelpilzrisiko im Gebäude. Wis-senschaftliche Studien haben ergeben, dass gerade helles Licht am Morgen entscheidend für einen funktionieren-den Schlaf-Wach-Rhythmus ist und die Konzentrationsfähigkeit von Schülern steigert.4 In gut besonnten Kranken-

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Höhere Leistungsfähigkeit durch NachtluftkühlungIn einer Metastudie kamen Seppänen et al. 2003 zu dem Ergebnis, dass die Leistungsfähigkeit von Gebäudenutzern durch eine Nachtluft kühlung der thermischen Gebäudemasse um 5 % steigt. Umge-rechnet auf einen Acht-Stunden-Tag entspricht dies der Arbeitsleistung, die in 23 Minuten erbracht wird. 12

Höhere Leistungsfähigkeit und bessere Gesundheit durch FensterlüftungIn einer Studie über berufstätige Frauen mittle-ren Alters in mehreren französischen Bürogebäu-den stellten Preziosi et al. 2004 bei Testpersonen mit einem natürlich belüfteten Arbeitsplatz 57 % weniger Fehlzeiten, 17 % weniger Arztbesuche und 35 % weniger Krankenhausaufenthalte fest als bei den Testpersonen in vollklimatisierten Räumen. 13

Fenster spielen für die Nachhaltig-keit von Gebäuden eine entschei-dende Rolle. Sie stellen die visuelle Verbindung zur Außenwelt her, versorgen uns mit Tageslicht, frischer Luft und natürlicher Kühlung, aber auch mit Sonnen-wärme.

hauszimmern beschleunigt sich der Heilungsprozess, und die Patienten benötigen weniger hoch dosierte Arz-neimittel.5 Trotz dieser unbestrittenen Vorteile halten eine schlechte Ausrichtung von Gebäuden, zu kleine Fenster, eine zu geringe Licht- und Wärmetransmission der Verglasung sowie ungeeignete und schlecht gesteuerte Verschattungsein-richtungen oft unnötig viel Wärme aus Gebäuden fern. Werden Gebäude hin-gegen so entworfen, dass sie die Son-nenwärme genau dann nutzen, wenn sie im Inneren gebraucht wird, lässt sich die Außentemperatur, unterhalb derer die Heizung in Betrieb geht, bis auf etwa zehn Grad senken.10 Einer sommerlichen Auêeizung der Räume lässt sich mit außen liegenden oder im Scheibenzwischenraum integrierten Verschattungslösungen sowie durch ge-zielte Nachtlüftung begegnen. Auf die-se Weise ‚segelt’ das Gebäude in puncto Temperaturmanagement selbst in der warmen und kalten Jahreszeit zumeist ohne mechanischen Antrieb.

Freie Kühlung und natürliche BelüftungEine gute Wärmedämmung und Ver-schattung sowie (zumindest in Büroge-bäuden) eine energieeÞziente Klimati-sierung sind die o�ensichtlichen ersten Schritte, um den Kühlbedarf von Ge-bäuden um 30 bis 50 % zu senken. Für den entscheidenden EÞzienzsprung sorgen jedoch auch hier die Kräfte der Natur – allen voran die kühlen Tempe-raturen während der Nacht, die mög-lichst lange im Gebäude ‚zwischenge-speichert’ werden sollten. Gelingt dies, so lässt sich in Bürogebäuden während 90 % des Jahres auf eine aktive Kühlung verzichten. Notwendig sind hierfür vor allem althergebrachte Lüftungstechniken wie Quer- und Auftriebslüftung sowie die Nutzung thermischer Masse (ein-schließlich jener des Erdreichs) oder von Phasenwechselmaterialien, um die Temperaturschwankungen im In-nenraum möglichst weit von jenen im

Außenraum zu entkoppeln. Mit zeitge-nössischen Innovationen bei Material und Konstruktion lassen sich traditi-onelle Kühlmethoden wie nächtliche Lüftung, Verdunstungskühlung und die Vortemperierung der Zuluft in Erdka-nälen wirksam unterstützen. Ähnlich wie bei der Heizung spielt die Anordnung und Größe von Fens-tern, die Dauer und der Zeitpunkt ihrer Ö�nung sowie ihre Einbindung in ein Gebäudemanagementsystem auch bei der Kühlung eine entscheidende Rolle, um den Zeitraum des energieeÞzienten ‚Segelns’ im Gebäudebetrieb so weit wie möglich zu verlängern. Sofern die Ge-bäudenutzung oder das Standortklima keine rein natürliche Kühlung erlau-ben, sollte die Fensterlüftung um eine mechanische Lüftung mit Wärmerück-gewinnung ergänzt werden – und zwar möglichst so, dass eine raum- oder zo-nenweise Lüftungssteuerung möglich ist. Außerdem ist es bei einer hybriden Lüftung wichtig, die Außentemperatu-ren, bei denen die mechanische Lüftung in Betrieb geht, genau zu definieren und eine gleichzeitige Fenster- und mecha-nische Lüftung zu vermeiden. Diese Abstimmung der gebäudetechnischen Systeme untereinander – und mit den Bedürfnissen der Bewohner – ist eines der wichtigsten Forschungsgebiete auf dem Weg zu den Niedrigst- und Plu-senergiegebäuden der Zukunft. 11

Noch weitaus wichtiger als für die passive Kühlung sind Fenster jedoch für die Versorgung mit Atemluft, denn hier ist die Gesundheit der Bewohner unmittelbar betro�en. Luftdichte Ge-bäude ohne ö�enbare Fenster müssen ganzjährig mechanisch be- und ent-lüftet werden, worauf in US-ameri-kanischen Verwaltungsbauten allein 20À% des Energieverbrauchs entfallen. Innovationen in der Raumlufttechnik wie zum Beispiel eine CO2-abhängige Regelung, Ventilatoren mit variablem Volumenstrom oder Bypassregelun-gen für Zeiten mit milden Außentem-peraturen können viel dazu beitragen, den Verbrauch zu senken. Der große Sprung vorwärts lässt sich jedoch erst

realisieren, wenn – wann immer die Klimabedingungen dies zulassen – auf eine natürliche Fensterlüftung gesetzt wird. Dann lässt sich der (geringe) ver-bleibende mechanische Kühl- und Lüf-tungsenergiebedarf umso leichter aus erneuerbaren Quellen decken. Der Mensch hat jahrhundertelang ohne mechanische Lüftungssysteme gelebt. Mit natürlicher Be- und Entlüf-tung lassen sich nicht nur höhere Luft-wechselraten erreichen als mit mecha-nischer, sie eignet sich auch vorzüglich zur Gebäudekühlung, wann immer sich die Außentemperaturen im oder unter-halb des Komfortbereichs bewegen. In Klassenzimmern sollte zum Beispiel auch im Winter auf eine Stoßlüftung während der Pausen nicht verzichtet werden. Natürlich belüftete Wohnge-bäude, Schulen, Büros, Krankenhäuser und Sporthallen tragen darüber hin-aus zur Verbesserung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit bei. Der Küh-le�ekt des Luftzugs durch die Fenster sorgt auch bei höheren Temperaturen noch dafür, dass sich die Menschen im Gebäude wohlfühlen. Die Spanne der Komforttemperaturen ist in natürlich belüfteten Räumen größer als in voll-klimatisierten – ein Phänomen, das seit

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Höhere Produktivität durch TageslichtBoyce et al. fanden 1997 in einem Experiment he-raus, dass sich die Leistungen von Nachtschicht-arbeitern bei Aufgaben, die das Kurzzeitgedächtnis und logisches Denken bean-spruchen, um 1,6–12,8 % verbesserten, wenn sie sich unter großen simulierten Oberlichtern mit verborgenen Leuchtsto¿ampen befanden. Diese konnten eine Beleuchtungsstärke von 200 Lux bis 2800 Lux auf der Arbeitsfläche erzeugen. Dabei führten eine unverändert hohe Beleuchtungs-stärke von 2800 Lux und ein gleichmäßiges Ab-senken der Beleuchtungsstärke (womit das Tageslicht zwischen Mittag und Abenddämme-rung simuliert wurde) zu besseren Leistungen als eine unverändert niedrige Beleuchtungsstärke von 250 Lux oder ein gleichmäßiger Anstieg der Beleuchtungsstärke, der das Tageslicht zwischen Morgendämmerung und Mittag simulierte.17

Besserer Schlaf und höhere Leistungsfähigkeit durch TageslichtEine Studie von Figuero und Rea über die Schlaf-zyklen von Achtklässlern in Chapel Hill (USA) ergab 2010, dass die innere Uhr der Probanden si-gnifikant besser im Einklang mit dem natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus verlief und ihre Schlafdauer um 30 Minuten pro Nacht stieg, wenn sie kurzwel-ligem Morgenlicht ausgesetzt waren. Wolfson und Carskadon (1998) kamen zu dem Ergebnis, dass schlechtere Schülerinnen und Schüler etwa 25 Minuten weniger Schlaf pro Nacht bekamen und vor Schultagen durchschnitt-lich 40 Minuten später ins Bett gingen als gute Schülerinnen und Schüler. 18

Bessere Gesundheit durch Ausblicke ins FreieIn einer Feldstudie an einem Krankenhaus in Penn-sylvania fand Roger S. Ulrich 1984 heraus, dass der stationäre Aufenthalt nach Gallenblasen-OPs bei Patienten, die aus ihrem Krankenhauszimmer einen Blick in die Natur hatten, um 8,5 % kürzer war als bei Patienten, die auf eine Ziegelmauer schauten. Patienten mit Blick in die Natur erhiel-ten auch weniger negative Beurteilungen von Krankenschwestern und Pflegern und nahmen we-niger starke Schmerzmittel.19

Höhere Produktivität durch Ausblicke in die NaturHeschong et al. stellten in ihrer Gebäudestudie von 2003 über ein Callcenter in Sacramento (USA) fest, dass die durchschnittliche Fallbearbeitungs-zeit von Beschäftigten, die von ihren Arbeitsplät-zen aus durch die Fenster ins Grüne schauen konnten, 6 % bis 7 % kürzer war als bei Beschäf-tigten ohne Blick ins Freie.20

den 90er-Jahren als ‚adaptiver Komfort’ bekannt ist. Und ganz nebenbei sorgen Fenster auch für eine Verbindung zu den multisensorischen Qualitäten der natürlichen Umgebung. Die quantifizierbaren Vorteile na-türlicher Kühlung und Lüftung sind erheblich: Die Raumluftqualität ver-bessert sich messbar, was die Produk-tivität steigert und die Gesundheit ver-bessert; es wird Energie gespart und das Gebäude wird unabhängiger von einer kontinuierlichen Energiezufuhr von außen. Studien belegen, dass natürliche Kühlung und Lüftung darüber hinaus Fehlzeiten bei der Arbeit und die Sym-ptome des ‚Sick-Building-Syndroms’ reduzieren.

TageslichtEnergieeÞziente Leuchtmittel, Vor-schaltgeräte und Leuchten sind der erste Schritt, um in Bürogebäuden 30À% der Beleuchtungsenergie einzusparen. Weitere 20À% Einsparung lassen sich mit einer tageslicht- und präsenzab-hängigen Lichtsteuerung realisieren.14 Der große Sprung vorwärts bei der EnergieeÞzienz ist hingegen Gebäuden vorbehalten, in denen das Tageslicht die dominante Lichtquelle ist und die elek-trische Beleuchtung während der Ta-gesstunden möglichst ganz ausgeschal-tet bleibt. Eine vorwiegend natürliche Beleuchtung setzt jedoch eine sorgfälti-ge Planung und Lichtsteuerung voraus, die die Raumgestaltung, die Anordnung von Fenstern und Dachfenstern, fort-schrittliche Verglasungstechnologien sowie Lichtlenkung und Verschattung berücksichtigt. Im Gegenzug berei-chert eine gekonnt geplante natürliche Belichtung die Raumwahrnehmung ungemein und ermöglicht einen inten-siveren Ortsbezug. Wie die natürliche Belüftung, so steigert auch die natürliche Belich-tung Leistungsfähigkeit und Wohl-befinden in Klassenzimmern, Büros, Krankenhäusern, Läden und natürlich zu Hause. Mit Tageslicht lassen sich ganz ohne Stromverbrauch viel höhere Beleuchtungsniveaus erzielen als mit

elektrischem Licht. Das Spektrum des Tageslichts bietet eine unübertro�e-ne Farbwiedergabe und verbessert die dreidimensionale visuelle Wahrneh-mung. Die Variabilität der Lichtfarbe und -intensität des natürlichen Lichts im Tagesverlauf reguliert die Melato-ninausschüttung und damit unseren zirkadianen Rhythmus und sorgt so für gesunden Schlaf.15 Zudem befriedigt der Blick ins Freie durch Fenster das funda-mentale Bedürfnis des Menschen nach Kontakt zur Natur. 16

‚Segeln’ mit den Kräften der NaturGebäude, die in der hier beschriebenen Weise wie Segelschi�e konzipiert sind, maximieren die Zahl der Stunden, Tage und Wochen, in denen sie allein auf na-türliche Ressourcen wie Tageslicht, natürliche Belüftung und passive Solar-energienutzung angewiesen sind, um den Komfort der Bewohner sicherzu-stellen. Nur so lässt sich der Energiebe-darf in Gebäuden um 90 % reduzieren und überhaupt die Grundlage für einen CO2-neutralen Gebäudebetrieb legen. Gebäude zu entwerfen wie Segel-schi�e, ist jedoch eine große Herausfor-derung an Architekten und Ingenieure: Sie müssen gemeinsam an standort- und nutzungsspezifischen Entwurfslö-sungen arbeiten sowie traditionelle und innovative Materialien und Systeme so verbinden, dass für jeden Ort und jedes Klima das ideale Gebäude entsteht. Entwürfe mit Ortsbezug sind ein unver-zichtbarer Baustein für künftige Null- und Plusenergiegebäude, aber auch für den Fortbestand unserer Baukultur. Sie machen das Wohnen und Reisen zu ei-nem einzigartigen Erlebnis regionaler Vielfalt. Daneben verbessern Gebäude, die wie Segelschi�e funktionieren, unsere Gesundheit und steigern die Produk-tivität. Tageslicht, frische Luft sowie natürliche Wärme und Kühle in diesen Gebäuden befriedigen unseren angebo-renen Bedarf an Verbindung zur Natur, für den der US-amerikanische Biologe E.O. Wilson den Begri� ‚Biophilia’ ge-prägt hat22 und den Stephen Kellert in

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Das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeitsbewertung von Fenstern

MenschGesundheit der AtemwegeGesundes SehenSchlaf-/WachzyklenProduktivität am Arbeitsplatz Lernleistungen von SchülernMotivation durch Ausblicke in die NaturErhöhtes Sicherheitsgefühl

UmweltEmissionen durch Kraftwerke und HeizsystemeVerringerung städtischer WärmeinselnÖkobilanz der GlasherstellungFensterrecycling

Die stärkere Gleichgewichtung zwischen finanziellem, natürlichem und sozialem Kapital führt zu geänderten Prioritäten bei Investi-tions- und Entwurfsentschei-dungen, die gerade im Bauwesen dringend notwendig sind.

Die Vorzüge von Fenstern auf einen Blick

AusblickePhysischer Zugang zur NaturWahrnehmung natürlicher GeräuscheWahrnehmung natürlicher GerücheTageslichtSonnenlicht und SonnenwärmeWechsel von Licht und SchattenFrische Luft und natürliche BelüftungThermisches WohlbefindenUnabhängigkeit von elektrischer/fossiler EnergieTransparenzBezug zur GemeinschaftZeit- und Ortsbezug

ÖkonomieGeringerer StromverbrauchGeringerer HeizenergiebedarfGeringerer KühlenergiebedarfWerterhalt der Immobilie

seinem Buch ‚Biophilic Design’ syste-matisch auf Architektur und Städtebau angewandt hat. Fenster spielen eine Schlüsselrolle für das ‚Segeln’ mit Um-weltenergien und für diese Verbindung zur Natur, und seit einigen Jahren ar-beiten Forscher vermehrt daran, diesen Nutzen auch zahlenmäßig zu erfassen.23

Das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeitsbewertung von FensternHeute werden beim Kauf eines Autos oder Laptops oft mehr Gedanken auf deren Lebenszyklus verwendet als beim Bau eines Hauses, obwohl ihre Lebens-spanne deutlich kürzer ist. Weil Gebäude 30, 50 oder gar 100 Jahre stehen bleiben, ist es unabdingbar, dass Bauherren und Planer das Drei-Säulen-Modell der Ge-bäudebewertung verinnerlichen. Ihm zufolge bemisst sich der Nutzen eines Gebäudes nicht allein in finanzieller Hinsicht, sondern ebenso sehr nach ökologischen und sozialen – allen voran gesundheitlichen – Kriterien. Die stärkere Gleichgewichtung zwi-schen finanziellem, natürlichem und sozialem Kapital – oder anders ausge-drückt: zwischen Mensch, Umwelt und Ökonomie – führt zu geänderten Priori-täten bei Investitions- und Entwurfsent-scheidungen, die gerade im Bauwesen dringend notwendig sind. Ökobilan-zierung, Lebenszykluskostenrechnung und die (auch quantitative) Berücksich-

tigung der Folgen für Gesundheit und Produktivität erweitern den Blickwinkel auf den Lebenszyklus und den Kontext des Gebäudes und machen die Planungs- und Baukosten (sowie die Minimierung derselben, die oft auf Kosten der Qualität geht) weniger wichtig. Es ist im Grunde nicht allzu schwer, den Nutzen von Gebäuden nach dem Drei-Säulen-Modell zu bewerten, wenn man die Methodik einmal verstanden hat. So lassen sich zum Beispiel die ex-ternen Kosten von Energieverbrauch, Abfällen und Giftsto�en in die Kapital-wertberechnung des Gebäudes einbe-ziehen, auch wenn sie notgedrungen nur abgeschätzt werden können. Ebenso ist es möglich, den Nutzen verbesserter Gesundheit und Produktivität in einen finanziellen Gegenwert umzurechnen. In diesem Beitrag haben wir zahlrei-che Beispiele angeführt, wie sich dieser Nutzen durch die richtige Wahl, Dimen-sionierung und Konstruktion von Fens-tern in Gebäuden steigern lässt. Um ein Optimum an Sonnenwärme im Winter, Kühle im Sommer, Tageslicht und natür-licher Belüftung zu erzielen, sind aber hochwertige Produkte erforderlich, die dann auch ihren Preis haben dürfen. Bei einer rein ökonomischen Betrach-tung werden sie sich möglicherweise erst nach längerer Zeit amortisieren. Bezieht man jedoch die Umweltkosten und sozialen Kosten mit ein, so ändert sich das Bild drastisch. Bei der Instal-

lation neuer, hochwertiger Jalousien etwa wird aus einer Amortisationszeit von 19 Jahren (wenn nur Energie- und Wartungskosten betrachtet werden) ein Zeitraum von weniger als 15 Jahren (wenn externe Kosten für CO2-Emissi-onen und andere Umweltbelastungen einbezogen werden) und sogar von nur einem Jahr, wenn man die Auswirkun-gen auf Produktivität, Gesundheit und Wohlbefinden mit einschließt.24 Eine ganzheitliche Betrachtung von Lebenszykluskosten, Umwelt- und ge-sundheitlichen Wirkungen liefert eine Begründung dafür, in höherwertige Bauelemente wie z. B. Fenster zu inves-tieren, die anderenfalls nicht zum Zuge kämen. Sie begünstigt darüber hinaus die Planung und den Bau von Gebäu-den, die sich die Kräfte der Natur zunut-ze machen. Wenn es gelingt, diese neue Sichtweise im Bauwesen zu etablieren, profitieren letztlich alle davon: der Bau-herr selbst, die Bewohner, die Umwelt – und die Baukultur.

Vivian Loftness ist Inhaberin des Paul-Mellon-Lehrstuhls für Architektur an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh (USA). Sie ist Mitglied des American Institute of Architects (AIA) und des De-sign Futures Council sowie LEED Fellow des US Green Building Council (USGBC). Für ihre Leistun-gen in der Architekturlehre erhielt Vivian Loftness den AIAS Educator of the Year Award des Ameri-can Institute of Architecture Students.

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Weiterführende LiteraturVivian Loftness, Rohini Srivastava, Devanshi Dadia

und Hetal Parekh mit Rajan Rawal, Agam Shah: The Triple Bottom Line Benefits of Climate Responsive Dynamic Facades, Vortrag bei der PLEA-Konferenz 2014, Ahmedabad 2014.

Vivian Loftness und Avi Forman: The Cost of Build-ing Trash; Perspecta 47, Oktober 2014.

Vivian Loftness: Environmental Surfing: de-light and nature’s renewable energies. In: W. Brahan/D. Willis: Architecture and Energy: Performance and Style. Routledge, Abingdon/New York 2013.

Volker Hartkopf, Azizan Aziz, Vivian Loftness: High Performance Building Facades – Enclosures for Sustainability. In: Springer Reference Encyclo-pedia Sustainable Built Environments. Sprin-ger Science, Leipzig 2013

Vivian Loftness, Megan Snyder: Sustainable and Healthy Built Environment. In: Springer Refe-rence Encyclopedia Sustainable Built Environ-ments. Springer Science, Leipzig 2013

Vivian Loftness, Megan Snyder: Where Windows Become Doors. In: Kellert u. a.: Biophilic Design Theory, Science and Practice. John Wiley & Sons, Hoboken 2007.

Terrapin Bright Green LLC, The Economics of Bio-philia: Why Designing with Nature in Mind Makes Financial Sense, 2012;

www.terrapinbrightgreen.com/report/ economics-of-biophilia/Stephen Kellert: Building for Life: Designing the

Human-Nature Connection. Island Press, Washington 2005

Anmerkungen

1. Insgesamt geht es bei solchen Gebäuden um vier Aspekte: die Ressourceneinsparung, die weitestgehende Nutzung von Umweltener-gien, die Wiederverwertung von Energie und Material sowie die Regeneration belas-teter Ökosysteme und erschöpfter Ressour-cenlagerstätten.

2. US Department of Energy: Buildings Energy Data Book; https://catalog.data.gov/data-set/buildings-energy-data-book

3. gemäß Berechnungen von V. Loftness und Y. Hua am Center for Building Performance and Diagnostics der Carnegie Mellon Univer-sity, Pittsburgh 2009

4. M. G. Figueiro, & M. S. Rea (2010). Lack of short Wavelength Light during the School Day Delays Dim Light Melatonin Onset (DLMO) in Middle School Students. Lighting Research Center, Rensselaer Polytechnic Institute, Troy, USA

5. J. M. Walch, B. S. Rabin, R. Day, J. Williams, K. Choi, & J. Kang, The E�ect of Sunlight on Postoperative Analgesic Medication Use: A Prospective Study of Patients Undergoing Spinal Surgery. Psychosomatic Medicine, 67, (2005), S. 156–163

6. K. M. Beauchemin & P. Hays (1996). Sunny Hospital Rooms Expedite Recovery form Se-vere and Refractory Depression. Journal of A�ective Disorders, V. 40, S. 49–51

7. F. Benedetti et al. (2001). Morning sunlight reduces length of hospitalization in bipolar depression. Journal of A�ective Disorders, V. 62, S.221–223

8. J. Walch et al. (2005). The e�ect of sunlight on postoperative analgesic medication use: a prospective study of patients undergoing spinal surgery. Journal of Psychosomatic Medicine, 67, S. 156–163

9. J. Choi. (2005). Study of the Relationship between Indoor Daylight Environments and Patient Average Length of Stay (ALOS) in Healthcare Facilities, Unverö�entlichte Mas-ter-Thesis an der Architekturfakultät der Texas A&M University. College Station, USA

10. Die Einschalttemperatur der Heizung hängt entscheidend von der baulichen Qualität eines Gebäudes, vor allem seiner Dämmung und den solaren Gewinnen ab. Vorausge-setzt, es sind interne Wärmequellen (z. B. Menschen, Elektrogeräte) vorhanden, kann sehr gute Dämmung die Einschalttempera-tur um 5–15 Grad senken. Ein weiteres Ab-senken ist durch solare Wärmegewinne möglich. Siehe auch: Michael Utzinger & James Wasley, Building Balance Point, ver-ö�entlicht in The Vital Signs Project 1996/Curriculum Materials

11. Standards für die hybride Belüftung von Ge-bäuden wurden inzwischen von der Ameri-

can Society of Heating, Refrigerating and Air-Conditioning Engineers (ASHRAE) sowie der Internationalen Energieagentur (IEA) verö�entlicht. Näheres hierzu siehe Gail Brager, Mixed-Mode Cooling. ASHRAE Journal Band 48, August 2006

12. O. Seppänen & W. J. Fisk (2002). Associa-tion of ventilation system type with SBS sym-ptoms in o¡ce workers. Indoor Air 12(2), S. 98–112

13. P. Preziosi, S. Czerniichow, P. Gehannov & S. Hercberg (2004) Workplace air-conditio-ning and health services attendance among French middle-aged women: a prospective cohort study. International Journal of Epide-miology, 33(5), S.1120–1123

14. A. Williams B. Atkinson, K. Garbesi & F. Ru-binstein: A Meta-Analysis of Energy Savings from Lighting Controls in Commercial Buil-dings. Lawrence Berkeley National Labora-tory, September 2011

15. Figuero und Rea 2010, a.a.O.16. Heschong, Mahone Group Inc.: Windows and

O¡ces: A Study of O¡ce Worker Perfor-mance and the Indoor Environments, Califor-nia Energy Commission Technical Report, 2003

17. P.R. Boyce, J.W. Beckstead, N.H. Eklund, R.W. Strobel & M.S. Rea (1997). Lighting the Gra-veyard Shift: The Influence of a daylight- simulating skylight on the task performance and mood of night-shift workers. Lighting Research and Technology 29(3), S. 105–134.

18. R. Ulrich (1984). View Through a Window May Influence Recovery From Surgery. Science, 224(4647), S.420–421.

19. M. G. Figueiro (2013). An Overview of the E�ects of Light on Human Circadian Rhythms: Implications for New Light Sour-ces and Lighting Systems Design; Journal of Light & Visual Environment Vol.37, No.2 & 3, 2013; und Lighting Research Center, Rens-selaer Polytechnic Institute, USA.

20. Heschong, Mahone Group, Inc. (2003). Win-dows and O¡ces : A study of o¡ce worker performance and the indoor environments, California Energy Commission Technical Re-port; www.energy.ca.gov/2003publi cations/CEC-500-2003-082/CEC-500-2003-082-A-09.PDF

21. E. O. Wilson, Biophilia - The Human bond with Other Species, Harvard University Press, 3. Auflage Januar 1984

22. S. Kellert, J. Heerwagen & M. Mador, Biophi-lic Design: The Theory, Science and Practice of Bringing Buildings to Life, New Jersey, John Wiley & Sons, Februar 2008.

23. Terrapin Bright Green (2012). The Economics of Biophilia: Why Designing with Nature in Mind Makes Financial Sense.

www.terrapinbrightgreen.com/report/ economics-of-biophilia/24. V. Loftness & R. Srivastava, Vortrag bei der

IES Annual Conference, Pittsburgh, Novem-ber 2014, https://docs.google.com/file/d/0BwzeW6TtQrCdYXdOUXFsZ3ZMYnc/edit?pli=1

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Gute Architektur geht über das hinaus, was wir schon kennen und wissen. Sie setzt uns neuen, zuvor ungekannten Situationen aus, die unsere Sinne stimulieren, Emotionen wecken und das Wohlbefinden steigern. Sichtbar wird diese Fähigkeit der Architektur in den Aufnah-men, die die Fotografin Thekla Ehling von beispielhaften Gebäuden – ‚Klassikern’ der Architekturgeschichte, aber auch Neubauten und Sanierungen – in Frankreich und den Niederlanden angefertigt hat. Sie illustrieren die vielfältigen und oft ungeahnten Wege, auf denen sich Mensch, Architektur und Tageslicht im Alltag begegnen.

DIE FOTOS IN DIESER AUSGABE

TAGESLICHT FÜR DAS WIR-GEFÜHL

SCHULE ‚BUITEN DE VESTE’ IN STEENBERGEN

Die niederländischen ‚Brede Scholen’ (deutsch etwa: breitgefächerte Schulen) vereinen unter ihrem Dach nicht nur Klassen- und Fachunter-richtsräume, sondern bieten auch Kinderbetreu-ung schon für die Kleinsten, engen Kontakt zwischen Erziehern, Lehrern und Eltern sowie im Idealfall kurze Wege zu Sozial- oder medizinischen Einrichtungen. Damit sollen diese Schulen – mehr als 2000 davon wurden seit Mitte der 90er-Jahre gebaut – vor allem Kindern aus sozial schwäche-ren Familien eine zweite Heimat geben. Wie aber lässt sich dem ‚Wir-Gefühl’, das die-ser Schultyp vermitteln soll, auch baulich Aus-druck verleihen? Bei ihrem Neubau im südniederländischen Steenbergen ließen sich Ele-mans van den Hork Architecten zunächst von des-sen exponierter Lage am Ortsrand inspirieren – dicht außerhalb der Festungsanla-gen, die das 25 000-Einwohner-Städtchen jahr-hundertelang umgaben. Sie konzipierten den 3500 Quadratmeter großen Neubau wie eine kleine Festung, kompakt in der Form und ge-schützt von vielfarbigem Klinkermauerwerk in Rot, Schwarz und Weiß. Umso o�ener und heller präsentieren sich hingegen die Innenräume. Bei ihrer Gestaltung setzten die Architekten auf einen integralen Planungsprozess, der das Innenraum-klima mit seinen Komponenten Tageslicht, Wärme, Luft und Schall von Anfang an zum zen-

tralen Kriterium aller Entwurfsentscheidungen machte. Die Klassen- und Gruppenräume von Kin-dergarten und Grundschule sind größtenteils nach Norden hin orientiert, um direktes Sonnenlicht und eine Überhitzung im Sommer zu vermeiden. An den West- und Ostfassaden halten bewegliche Sonnenschutzelemente die tief stehende Sonne fern. Die Klassenzimmer sind über drei Meter hoch, um die natürliche Be- und Entlüftung über die ma-nuell zu ö�nenden Fenster zu unterstützen. Das kommunikative Herz des Schulkomple-xes – und damit den Katalysator für das ange-strebte Wir-Gefühl – bilden die Turnhalle und das benachbarte Spielzimmer mit Bühne. Beide liegen an der weitgehend fensterlosen Südfassade und erhalten Tageslicht durch ein Modulares Ober-licht-System von VELUX im Dach. Nach dem Motto ‚Nur das Licht, aber nicht die Wärme’ ge-stalteten die Architekten die Lichtö�nungen als Sheddach mit nach Norden gerichteten Vergla-sungen, in die selbst im Hochsommer kein direk-tes Sonnenlicht dringt. Auf diese Weise stimulieren die großen Bewegungsräume das Spiel der Kinder, ohne es durch unnötige Hitze im Sommer zu behindern.

Standort: Waterlinie 9, Steenbergen, NiederlandeArchitekten: Elemans van den Hork Architecten, OssFertigstellung: 2014

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Der einzigartige Ausblick, die umgebenden Grün-anlagen und die Höhe sind nach Ansicht der Archi-tekten Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal die wesentlichen Vorzüge der ‚grands ensembles’, jener in den Pariser Vorstädten so zahlreichen Hochhaussiedlungen aus der Nachkriegszeit. Ei-gentlich wollte die staatliche französische Agen-tur für Stadterneuerung zwischen 2003 und 2013 130 000 Wohnungen in diesen Großsiedlungen abreißen und neu bauen. In einer Studie wiesen Lacaton & Vassal gemeinsam mit Frederic Druot jedoch nach, dass sich mit dem dafür vorgesehe-nen Budget weitaus mehr Wohnungen nicht nur energetisch sanieren, sondern grundlegend auf-werten ließen. Der Tour Bois-le-Prêtre, ein 17-geschossiger Sozialwohnungsbau am nordwestlichen Ab-schnitt der Pariser Ringautobahn, wurde 2011 zum gebauten Manifest für die Umsetzbarkeit die-ser Studie. ‚Mehr mit weniger’ ließe sich das Sa-nierungskonzept der Architekten zusammenfassen: Der Energiebedarf des Gebäu-des ist nach ihren Berechnungen um rund 50 % gesunken. Gleichzeitig sind die 100 Wohnungen um durchschnittlich 35 Quadratmeter größer ge-worden – und das in bewohntem Zustand und ohne eine Erhöhung der Mieten. Dank zweier neuer Aufzüge lassen sich nun alle Wohnungen barrierefrei erreichen. Außerdem

ZU NEUER GRÖSSE ERWECKT

wurden die Bäder erneuert und die Wohnungs-grundrisse teils o�ener gestaltet. Die größte Ver-änderung fand jedoch an den Fassaden des Hochhauses statt. Um mehr Tageslicht ins Haus zu lassen, entfernten die Architekten die bisheri-gen Fensterbrüstungen und fügten stattdessen geschosshohe Glasschiebetüren ein. Außen davor wurden vorgefertigte Stahlmodule montiert, die – von innen nach außen – zwei Meter tiefe, unbe-heizte Wintergärten sowie einen Meter tiefe Bal-kone umfassen. Zwischen Wintergarten und Balkon können die Bewohner mittels transluzen-ter Schiebepaneele aus Polycarbonat sowie spe-zieller Wärmeschutzvorhänge aus Aluminiumfolie, Schafwolle und einem Textilgewebe das Tages-licht, den Wärmeeintrag und die Sichtverbindung nach außen steuern. Im Winter dienen die Winter-gärten als passive Sonnenkollektoren und – zu-mindest bei sonnigem Wetter – als erweiterter Wohnraum im Freien. Ästhetisch hat der Tour Bois-le-Prêtre ohnedies entscheidend hinzuge-wonnen: Anstelle schmutziggelber und rosafar-bener Plattenverkleidung präsentiert er seiner Umwelt nun eine transluzente Hülle aus (ein-schließlich der gläsernen Balkonbrüstungen) ins-gesamt vier lichtdurchlässigen Schichten, die dank ihrer Interaktion mit den Bewohnern stän-dig in Bewegung sind.

Standort: Boulevard Bois-le-Prêtre, Paris, FrankreichArchitekten: Raymond Lopez (Entwurf), Druot, Lacaton & Vassal (Sanierung)Fertigstellung: 1961Sanierung: 2011

TOUR BOIS-LE-PRÊTRE IN PARIS

S. 20–29

FÜNF PUNKTE FÜR MEHR WOHLBEFINDEN

PAVILLON SUISSE IN PARIS

1927 riefen Le Corbusier und sein Cousin Pierre Jeanneret die Architekten der Welt zur Revolu-tion auf – gegen die überkommene Bauweise un-serer Häuser und Städte, die im 19. Jahrhundert zur Brutstätte von Krankheiten wie Tuberkulose geworden waren, und für eine gänzlich neue Ar-chitektur, an der die Menschen buchstäblich ge-sunden sollten. Ihre „Fünf Punkte einer neuen Architektur“ wurden zum Grundvokabular der Klassischen Moderne: große Betonstützen (pi-lotis), die die Gebäude vom feuchten Grund ab-heben sollten, sonnendurchflutete Dachgärten, lange Fensterbänder für den ungehinderten Pan-oramablick sowie eine freie Grundriss- und Fassa-dengestaltung durch die Skelettbauweise in Stahl und Beton. Bei dem 1933 erö�neten, von der Schweizer Eidgenossenschaft und privaten Geldgebern fi-nanzierten Studentenwohnheim im Süden von Paris konnten die beiden Architekten ihr Pro-gramm dann (fast) ohne Abstriche umsetzen. Die Voraussetzungen auf dem Campus der ‚Cité Inter-nationale Universitaire’ waren dafür ideal: ein 37 Hektar großes, parkartiges Gelände, in das sich die Gästehäuser der unterschiedlichen Nationen als Solitärbauten einbetten. Die städtebaulichen Ein-schränkungen waren minimal, der Baugrund (ein ehemaliger, aufgeschütteter Steinbruch) aber nur wenig tragfähig, sodass Le Corbusier und Pierre

Jeanneret ihr Gebäude größtenteils als leichte Stahlkonstruktion konstruierten. Nur die sechs großen Stützen im Erdgeschoss und der darüber durchlaufende Querträger sind aus Beton. Die Grundrisse sind so konzipiert, dass alle 47 Studentenzimmer ein Maximum an Sonnen-licht erhalten. Sie sind sämtlich nach Süden hin orientiert und werden über einen langen Korridor erschlossen, der im Norden längs durch das ge-samte Gebäude verläuft. Während die Nordfas-sade mit Kunststein verkleidet ist und nur kleine Fenster enthält, ö�net sich die Südfront als weit-gehend verglaste Curtain-Wall großflächig nach draußen. Ursprünglich hatte Le Corbusier hier sogar geschosshohe Fenster einbauen lassen, fügte dann jedoch in den 50er-Jahren geschlos-sene Fensterbrüstungen und außen liegende Ja-lousien ein, nachdem die Innenraumtemperaturen im Sommer teils über 40 Grad gestiegen waren. Nach wie vor ein Refugium für Sonnenanbe-ter ist jedoch das oberste Geschoss mit seinen vier Dachgärten. Hier können die Studenten Topf-pflanzen züchten und ungestört sonnenbaden. Ur-sprünglich hatte Le Corbusier vorgesehen, diesen Bereich ringsum mit hohen Wänden zu umgeben und nur zum Himmel hin zu ö�nen, fügte dann je-doch Ö�nungen in die Attika ein, die eine Blick-beziehung zwischen den Dachterrassen und dem Park ringsum herstellen.

Das Gemeinschaftsleben der Studenten findet vorwiegend im ‚Salon Courbe’ statt, einem nörd-lich des Gebäudes im Garten gelegenen einge-schossigen Annex. Berühmt ist dieser Raum nicht zuletzt aufgrund der wandfüllenden ‚Peinture de silence’, eines Gemäldes, mit dem Le Corbusier 1948 ein ursprünglich angebrachtes fotografi-sches Wanddekor ersetzte.

Standort: 7, boulevard Jourdan, Paris, FranceArchitekten: Le Corbusier, Pierre JeanneretFertigstellung: 1933

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Das Schulzentrum René Guest liegt kaum mehr als einen Kilometer vom Pariser Bankenviertel La Dé-fense entfernt in einem Wohngebiet der Gemeinde La Garenne-Colombes. Doch der Kontrast zu den Hochhaustürmen an der Seine könnte größer kaum sein: Die ein- bis zweigeschossigen Bauten des Kindergartens und der Grundschule gruppie-ren sich um zwei baumbestandene Innenhöfe. Sie wurden in den 50er-Jahren aus solidem Ziegel-mauerwerk errichtet, waren jedoch inzwischen technisch erneuerungsbedürftig, und vor allem der Kindergarten war für die Zahl der zu betreu-enden Kinder zu klein geworden. Außerdem fehlte in vielen Bereichen das Tageslicht: „Vor allem die Korridore mit ihren hoch liegenden Fenstern waren früher dunkel und permanent künstlich be-leuchtet“, erinnert sich die Architektin Ariane Ville vom Büro ave architecture. Der Auftrag an die Architekten lautete daher, für den Kindergarten vier neue Gruppenräume sowie eine repräsentative Eingangspartie samt neuem Vorplatz an der Ecke des Gebäudekomple-xes zu errichten. Außerdem sollten die bestehende Schulkantine erweitert, die Bibliothek sowie der Schulhof erneuert und eine neue, barrierefreie Zu-gangsrampe zur Grundschule gescha�en werden. Insgesamt wuchs die Grundfläche des Schulkom-plexes durch die Baumaßnahmen um ein Viertel. Vom überdachten Eingang aus begleiten zwei

lange Reihen des Modularen Oberlicht-Systems von VELUX die Kinder zunächst in den geräumi-gen Vorraum zwischen Kantine, Bibliothek und Be-wegungszimmer. Eine zweite, fast 40 Meter lange Oberlichtreihe taucht den zentralen Flur zwischen den Gruppenräumen in helles Licht und gibt den Blick auf Himmel und Wolken frei. Da sich 30 % der Module ö�nen lassen, tragen die Oberlichter darüber hinaus zur Entlüftung der Flure bei und bewirken damit vor allem im Sommer eine wohl-tuende natürliche Kühlung und ein angenehmeres Innenraumklima.

IMMER DER SONNE NACH SCHULZENTRUM RENÉ GUEST IN LA GARENNE-COLOMBES

S. 50–59

Standort:3 rue Louis Jean/6 rue Champs Philippe, La Garenne-Colombes, FrankreichArchitekten: ave architecture, Clichy (Sanierung)Sanierung: 2014

Große Pläne hatten in den ersten Nachkriegs-jahrzehnten in Frankreich viele, die sich mit dem Städte- und Wohnungsbau beschäftigten. Die Re-sultate dieser Politik ließen sich bis vor Kurzem auch im ‚Quartier Beauvoir’ im Osten von Châ-teaudun besichtigen, einer 15 000-Einwohner-Stadt 130 Kilometer südwestlich von Paris. Große Wohnblocks aus den 50er-Jahren, streng ausge-richtet nach den vier Himmelsrichtungen, aber ohne jeden Bezug zu den umliegenden Grünräu-men und den Straßen, die sie verbanden, bilde-ten das Quartier. Fast zwei Drittel der Menschen im Viertel wohnen in Sozialwohnungen; die Ar-beitslosenquote ist deutlich höher als sonst in Châteaudun. Die Bewohner sind geblieben, doch Struktur und Erscheinungsbild des Quartiers haben sich in den letzten zehn Jahren radikal gewandelt. Viele der Plattenbauten wurden abgerissen und durch niedrigere Neubauten ersetzt; ö�entliche Plätze und Straßenverbindungen sind neu entstanden, die das zuvor recht isoliert gelegene Viertel bes-ser ans Stadtzentrum anbinden. Einen neuen Typus des sozialen Wohnungs-baus mit menschlichem Antlitz und menschlichem Maßstab haben auch Ahmet und Florence Gülgö-nen im Quartier Beauvoir realisiert. Ihr Entwurf umfasst insgesamt 21 zwei- bis dreigeschossige Reihenhäuser sowie 109 Geschosswohnungen

DER MENSCH ALS MASSSTAB

und eine Reihe sozialer Einrichtungen (darunter eine Arbeitsagentur) in drei- bis viergeschossi-gen ‚Townhouses’. Alle Wohnungen erhalten Tageslicht von zwei Seiten, und auch die – vergli-chen mit den früheren Wohnblocks – viel geringere Gebäudehöhe trägt zusätzlich zu einer besseren Belichtung bei. Auch äußerlich lassen die Neubauten ihre Vor-gänger komplett vergessen. Statt großer, unge-gliederter Volumina stößt man nun – vor allem bei den Reihenhäusern – auf eine vielgliedrige, mit ortstypischem Schiefer belegte Dachlandschaft. Zahlreiche Dachfenster, die zumeist in Trauf-höhe angebracht und mit vertikalen Fensterö�-nungen kombiniert wurden, bringen vor allem in die Obergeschosse viel Tageslicht. Auch für die etwas höheren Mehrfamilienhäuser wählten die Architekten die gleiche Dacheindeckung und eine ähnliche Anordnung der Fenster. Lediglich die Fas-saden sind hier mit großformatigen, mehrfarbigen und unterschiedlich strukturierten Ziegelelemen-ten verkleidet, während die Reihenhäuser einen cremefarbenen Verputz erhielten. Ebenso großes Augenmerk wie auf die Innen-räume legten die Architekten auf die Freiräume im Quartier. Sie berichten: „Bei unseren Besuchen vor Ort seit der Baufertigstellung haben wir fest-gestellt, dass die Menschen im Viertel sehr stolz auf ihre neue Wohnumgebung sind. Sie sind nicht

nur mit ihren privaten Wohnräumen zufrieden, sondern auch mit den Gemeinschaftsbereichen in unterschiedlichen Maßstäben, von den wohl-durchdachten Eingangsbereichen der Häuser bis zum städtischen Park.”

Standort: Avenue General du Gaulle/Place du Phénix/rue Paul Gauchery, Châteaudun, FrankreichArchitekten: APRAH – Ahmet & Florence Gülgönen, ParisFertigstellung: 2013

SOZIALWOHNUNGUNGSBAU IN CHÂTEAUDUNN

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IM DIENSTE DER GESUNDHEIT FREILUFTSCHULE IN AMSTERDAM

Wohl zu keiner anderen Zeit wurden der Architek-tur so sehr heilende Kräfte zugeschrieben wie zwi-schen 1900 und dem Zweiten Weltkrieg. Es war die Zeit der großen Sanatorien, in denen reichlich Sonnenlicht und frische Luft zur Heilung vor allem von Tuberkulose beitragen sollten. Zur gleichen Zeit, aber in deutlich geringerer Anzahl, entstanden vielerorts in Europa soge-nannte ‚Freiluftschulen’, in denen kranke Kinder bei Wind und Wetter an der frischen Luft unter-richtet wurden. Meist befanden sie sich in ländli-chen Regionen und boten, wenn überhaupt, nur rudimentären Schutz vor Wind und Wetter. Für die erste Amsterdamer Freiluftschule schwebte Jan Duiker und seinen Auftraggebern etwas anderes vor: Warum sollten nur kranke Schüler von den Vorzügen dieses neuen Schultyps profitieren, und warum nur in ländlichen Regio-nen? Die ‚Openluchtschool voor het gezonde kind’ war daher gezielt für die Krankheitsprävention bei gesunden Kindern konzipiert und wurde im Innen-hof eines Baublocks im Süden Amsterdams errich-tet, wo seit den 20er-Jahren eine groß angelegte Stadterweiterung im Gange war. Mit seinem Entwurf nutzte Duiker die Vor-züge der Stahlbeton-Skelettbauweise voll aus, um die Innenräume maximal zum Licht und zur fri-schen Luft hin ö�nen zu können. Von der niedri-gen Fensterbrüstung an aufwärts sind die

Fassaden der Klassenzimmer voll verglast. Bei Be-darf lassen sich die Stahlfenster großflächig ö�-nen. Das viergeschossige, quadratische Hauptge-bäude der Schule steht diagonal im Innenhof, und jedes Geschoss ist in vier Quadranten aufgeteilt. Davon beherbergt der westliche und östliche je ein Klassenzimmer und der südliche eine über-dachte Terrasse, die früher als ‚Freiluftklassen-zimmer’ diente. Eine Treppe in der Gebäudemitte verbindet die Geschosse miteinander. Das Lehrer-zimmer liegt in dem nur eingeschossigen nördli-chen Quadranten. Ebenfalls im Erdgeschoss befinden sich die leicht ins Erdreich eingegrabene Turnhalle sowie ein weiteres Klassenzimmer, das inzwischen als Lern- und Multimediaraum dient. Im Laufe der Jahrzehnte wurde die Freiluft-schule mehrfach saniert, zuletzt 2010 durch Wes-sel de Jonge Architecten. Äußerlich entspricht der Schulbau nun wieder dem Zustand nach der ers-ten Sanierung 1955; die Klassenzimmer wurden im Wesentlichen sogar in den Ursprungszustand zurückversetzt. Im Detail jedoch wurde vieles getan, um einen zeitgemäßen Innenraumkomfort herzustellen und moderne Lehrformen zu ermög-lichen. Die Fenster erhielten eine schlanke Isolier-verglasung, die Heizung wurde erneuert und eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung für den Winter installiert. Mit Datenanschlüssen und

digitalen ‚Blackboards’ hat auch das Internetzeit-alter in den Klassenzimmern Einzug gehalten. Und um den Schülern einen Ort zum konzentrierten Lernen zu scha�en, wurde ein Teil der südlichen Terrassen – aus dem Schulhof kaum sichtbar – durch geschosshohe Glaswände in kleine ‚Studier-zimmer’ umgewandelt.

Standort: Cliostraat 40, Amsterdam, NiederlandeArchitekten: Jan Duiker, Bernard Bijvoet (Entwurf)Auke Komter, Wessel de Jonge Architecten (Sanierungen)Fertigstellung: 1930Sanierungen: 1955, 2010

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Wasser und Wind – diese beiden Elemente haben die niederländische Nordseeküste seit jeher ge-prägt und tun es bis heute. Um dies zu begreifen, genügt an vielen Tagen ein Blick gen Himmel, wo der Westwind die Wolken über die Küstenland-schaft treibt und für einen Wechsel der Lichtver-hältnisse im Viertelstundentakt sorgt. Mit ihrem neuen Eingangsbauwerk für das Strandräuber- und Meeresmuseum in Oudeschild auf Texel haben Mecanoo eine Wahrnehmungs-maschine für das einzigartige Licht dieser Region gescha�en. Gleichzeitig ist das Museum eine Hom-mage an eine Zeit, in der Wind und Wasser dieser westlichsten und größten der Westfriesischen In-seln einen gewissen Wohlstand brachten: Im ‚Gol-denen Zeitalter’ der niederländischen Schi�fahrt im 17. Jahrhundert lagen die Segler der Ostindi-schen Kompanie hier auf Reede, bevor sie zu ihren Handelsreisen nach Süd- und Südostasien aufbra-chen. Diese Situation ist, begleitet von Film- und Multimedia-Projektionen, in dem mit 72 Quadrat-metern vermutlich weltgrößten Modell einer See-landschaft dargestellt, das im Untergeschoss des Neubaus zu sehen ist. Darüber erhebt sich eine zweigeschossige, leichte Konstruktion aus Stahl und Glas, die sich im Maßstab und mit ihren be-wegten Giebelformen an die umliegenden Wohn-häuser anpasst. Um den Kontrast mit der

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traditionellen lokalen Architektur nicht zu groß werden zu lassen, hüllten die Architekten den Neu-bau in ein Kleid aus schmalen, vertikalen Latten aus Azobéholz. Auch sie haben Bezug zur See-fahrtsgeschichte, denn die Baumstämme, aus denen sie gesägt wurden, bildeten einst die Spundwände des Nordholländischen Kanals, der Amsterdam mit der Nordsee verbindet. Ihre einzigartige Wirkung entfaltet die La-mellenhülle vor allem im großen Saal im Oberge-schoss. Bei sonnigem Wetter taucht sie den Raum in ein flirrendes Spiel feiner Licht- und Schatten-linien, deren Kontraststärke je nach Bewölkungs-grad draußen ständig wechselt. In den Dachgiebeln ö�nen sich überdies drei Oberlichtbänder gen Osten und geben den Blick auf den Himmel frei. Gezielt gestalteten die Architekten diesen Raum so, dass das Licht von Texel darin voll zur Geltung kommt: Wände, Decken, Fußboden und die Rund-stützen aus Stahl sind einheitlich weiß und die Ausstellungsvitrinen aus Stahl und Glas, in denen Fundstücke aus der Unterwasserarchäologie prä-sentiert werden, nur halbhoch und mittels Rollen jederzeit beweglich, um dem Blick möglichst wenig entgegenzustellen.

Standort: Heemskerckstraat 9, Oudeschild, NiederlandeArchitekten: Mecanoo Architecten, DelftFertigstellung: 2012

KAAP SKIL MUSEUM IN OUDESCHILD

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6,5%Baukosten

4%Betriebs- und Wartungskosten für Haustechnik

1,25%Kapitalkosten für Ausstattung und Möblierung

1%Wartung und Instandhaltung des Gebäudes

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85%Gehälter der Angestellten

1%Reinigung, Sicherheit etc.

0,75%Abschreibung auf Haustechnik

0,5%Abschreibung auf Ausstattung und Möblierung

Auf die Menschen kommt es an, nicht auf Gebäude oder Energie – auch finanziellIn einem typischen Bürogebäude machen die Gehälter und Lohnneben-kosten der Angestellten mehr als 80 % der Gesamtkosten aus, die im Laufe des Gebäudelebenszyklus an-fallen. Der Anteil der Energiekosten hingegen beträgt oft nur etwa ein Prozent.*

* Low-carbon buildings are all about people. Inter-view mit Judit Kimpian in DETAIL Green (englische Ausgabe), November 2012, S. 70�.

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92 D&A FRÜHJAHR 2015 AUSGABE 23

Baukosten

Betriebs kosten, einschließlich Energiekosten

Wert der im Ge-bäude geleisteten Arbeit, einschließ-lich Gehälter

Die Baukosten sind nur der AnfangDie Gesamtkosten für den Eigentü-mer eines Gebäudes sind viel höher als die eigentlichen Baukosten. In einer 30-jährigen Lebenszyklusbe-trachtung (siehe Grafik) übersteigen die Betriebskosten die Baukosten um den Faktor 5. Nochmals um ein Vielfa-ches größer ist jedoch der Wert der Arbeit, die im Gebäude geleistet wird. Da ein besseres Raumklima die Pro-duktivität der Mitarbeiter signifikant steigern kann, lassen sich mit Inves-titionen in diesen Bereich hohe Ren-diten erzielen. *

* Überarbeitete Grafik nach: Davis Langdon Management Consulting (2007): Towards a Euro-pean Methodology for Life Cycle Costing (LCC) – Guidance Document

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Die Wohnungen von 80 Millionen Europäern sind feucht und unge-sund*

* Eurostat: EU Statistics on Income and Living Conditions, 2009–2013

Millionen Wohnungen

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94 D&A FRÜHJAHR 2015 AUSGABE 23

EU

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Jeder siebte Europäer lebt in einer feuchten Wohnung16 % der europäischen Bevölkerung leben in feuchten Wohnungen mit erhöhtem Schimmelrisiko. Schimmel-befall in Häusern verdoppelt statistisch gesehen das Risiko der Bewohner, an Asthma zu erkranken.*

* Eurostat: EU Statistics on Income and Living Conditions, 2009–2013

Nieder-

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MaltaÖsterreichBulgarien

Norwegen Finnland

Luxemburg

Schweiz Polen

Rumänien

BelgienUngarn

Griechenland

IslandItalien

Frankreich

EstlandLitauen

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96 D&A FRÜHJAHR 2015 AUSGABE 23

DAYLIGHT & ARCHITECTUREARCHITEKTURMAGAZIN VON VELUXFRÜHJAHR 2015 AUSGABE 23

Herausgeber: VELUX Gruppe, Michael K. RasmussenVELUX-Redaktionsteam: Per Arnold Andersen, Christine Bjørnager, Lone Feifer

Redakteur: Jakob Schoof/DETAILRedaktionelle und kreative Beratung: Torben ThyregodBildredaktion: Torben EskerodArt Direction & Layout: Art direction & design: Stockholm Design Lab ® Per Carlsson, Björn Kuso�sky, Christopher West

Übersetzungen: Jakob Schoof, Sprachendienst Dr. HerrlingerKorrektorat: Gisela Faller, Elmar Tannert

Titelfoto: Thekla Ehling

Auflage: 33 000 ExemplareISSN 1901-0982

Dieses Werk und seine Beiträge sind urheber-rechtlich geschützt. Jede Wiedergabe, auch auszugsweise, bedarf der Zustimmung der VELUX Gruppe.

Die Beiträge in Daylight & Architecture geben die Meinung der Autoren wider. Sie entsprechen nicht notwendigerweise den Ansichten der VELUX Gruppe.

© 2015 VELUX Gruppe. ® VELUX und das VELUX Logo sind einge tragene Warenzeichen mit Lizenz der VELUX Gruppe.

E-mail: [email protected] der englischen Ausgabe verfügbar im App Store

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Wir verbringen den größten Teil unseres Lebens in GebäudenWeltweit verbringen die Menschen etwa 70 % ihrer Zeit in Gebäuden. In entwickelten Ländern steigt dieser Anteil auf fast 90 %. Luftverschmutzung in Innenräu-men führt zu Infektionen der unteren Atemwege, die schätzungsweise für 11 % aller Todesfälle in jedem Jahr verantwortlich sind. *

* Sustainia Sector Guide: Buildings. www.sustainia.me/sustainia-award/buildings_sector_guide.pdf

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