newton und leibniz - absolut oder relational

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3. Newton und Leibniz – absolut oder relational 3.1 Der absolute Raum bei Newton Newton führte den absoluten Raum mit den unsterblichen Worten ein: „Absolute space in its own nature, without relation to anything external remains always similar and immovable“. Raum bekommt hier den ontologischen Status eines Dinges. Außerdem vertrat er die Ansicht, dass der Raum an sich leer ist, die Materie sich also durch ein Vakuum bewegt. Das mathematische Modell, das er vom Kosmos entwarf beruhte auf Fernwirkungen, die sich instantan ausbreiten. Aufgrund dieser instantanen Ausbreitung von Wirkungen konnte er auch parallel zum absoluten Raum die absolute Zeit postulieren, denn in diesem Modell gibt es kein Problem mit der Synchronisierung von Uhren. Wir wissen heute mit Sicherheit, dass es keine instantane Wirkungsausbreitung gibt. Hat also der große Newton geirrt? Hat er die Schwierigkeiten seines Modells nicht gesehen? Wir wissen aus der hinterlassenen Korrespondenz, dass Newton sich der Probleme durchaus bewusst war, aber er besaß den Mut zur Unvollkommenheit. John [Wheeler], der mit Einstein viele Gespräche geführt hat schreibt in seinem Buch Gravitation und Raumzeit „Einstein wies auf den Mut Newtons hin, der besser als seine Nachfolger um die Unhaltbarkeit der Vorstellung vom absoluten Raum gewusst, aber gleichzeitig erkannt habe, dass diese Annahme notwendig war, um Bewegung und Gravitation zu verstehen.“. Und ich füge hinzu: Er glaubte, die neu entwickelte Mathematik der Differentialrechnung könne nur auf diesem einfachen Modell funktionieren.

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3. Newton und Leibniz – absolut oder relational

3.1 Der absolute Raum bei Newton

Newton führte den absoluten Raum mit den unsterblichen Worten ein: „Absolute space in its own nature, without relation to anything external remains always similar and immovable“. Raum bekommt hier den ontologischen Status eines Dinges.

Außerdem vertrat er die Ansicht, dass der Raum an sich leer ist, die Materie sich also durch ein Vakuum bewegt. Das mathematische Modell, das er vom Kosmos entwarf beruhte auf Fernwirkungen, die sich instantan ausbreiten. Aufgrund dieser instantanen Ausbreitung von Wirkungen konnte er auch parallel zum absoluten Raum die absolute Zeit postulieren, denn in diesem Modell gibt es kein Problem mit der Synchronisierung von Uhren.

Wir wissen heute mit Sicherheit, dass es keine instantane Wirkungsausbreitung gibt. Hat also der große Newton geirrt? Hat er die Schwierigkeiten seines Modells nicht gesehen?

Wir wissen aus der hinterlassenen Korrespondenz, dass Newton sich der Probleme durchaus bewusst war, aber er besaß den Mut zur Unvollkommenheit. John [Wheeler], der mit Einstein viele Gespräche geführt hat schreibt in seinem Buch Gravitation und Raumzeit „Einstein wies auf den Mut Newtons hin, der besser als seine Nachfolger um die Unhaltbarkeit der Vorstellung vom absoluten Raum gewusst, aber gleichzeitig erkannt habe, dass diese Annahme notwendig war, um Bewegung und Gravitation zu verstehen.“. Und ich füge hinzu: Er glaubte, die neu entwickelte Mathematik der Differentialrechnung könne nur auf diesem einfachen Modell funktionieren.

Allerdings gab es noch einen weiteren Grund, der eine instantane Wirkungsausbreitung nahe legte: Die Theologie von einem omnipräsenten Gott kommt in große Schwierigkeiten ohne die absolute Zeit. Darüber mehr im Abschnitt über die Leibniz-Clarke-Korrespondenz.

3.2 Der relationale Raum bei Leibniz

Im Gegensatz zu Newton glaubte Leibniz, dass der Raum nicht ein Ding sei, sondern nur die Ordnung der Dinge beschreibt bzw. repräsentiert, genau wie die Zeit nur die Ordnung der Aufeinanderfolge von Ereignissen beschreibt. Darüber hinaus lehnte er die Vorstellung und den Begriff vom Vakuum ab. Für ihn war Wirkungsausbreitung immer das Einwirken von Materie auf benachbarte Materie, ein leerer Raum war für ihn undenkbar.

Aber ganz besondere Bedeutung hatte für ihn das Prinzip vom ausreichenden Grund. Dieses Prinzip besagt: Nichts geschieht ohne Grund, und wenn wir ausreichendes Wissen besitzen, dann können wir stets erklären, warum etwas so geschieht, wie es geschieht. Interessanterweise hielt er dies Prinzip für so universal, dass er auch Gott darauf

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verpflichten wollte. Aber auch dazu mehr im folgenden Abschnitt über die Leibniz-Clarke-Korrespondenz.

3.3 Die Leibniz-Clarke-Korrespondenz (1716)

Diese berühmte Korrespondenz fand Kurz vor dem Lebensende von Leibniz statt und wurde durch den Tod von Leibniz jäh unterbrochen. Der Text liest sich wie ein philosophischer Krimi, und gibt über den Inhalt hinaus tiefe Einblicke in die Verhältnisse jener Zeit. Ich habe den Originaltext, so wie er im Jahre 1717 von Clarke herausgegeben wurde gelesen und fand die Sprache dieser Korrespondenz erstaunlich modern und klar.

Zur Vorgeschichte der Korrespondenz sollte man folgendes wissen: Es bestand eine unversöhnliche Feindschaft zwischen Newton und Leibniz, die vor allem durch den Prioritäts-Streit, wer als erster die Infinitesimalrechnung erfunden habe, ausgelöst wurde. Es war das Pech von Leibniz, dass sein Dienstherr, der Herzog von Hannover den britischen Thron erbte, und es sich mit seinen neuen Untertanen nicht verderben wollte, indem er für Leibniz und gegen Newton Stellung bezog. Aber Leibniz war mit Prinzessin Karoline befreundet, der Frau des Prinzen von Wales, also des designierten Thronfolgers Georg August, des einzigen Sohnes von König Georg Ludwig, die im Jahre 1714 nach London umgezogen waren. Ihren treuen Diener Leibniz hatten sie nicht mitgenommen, angeblich weil er noch im Verzug war, eine Geschichte des Hauses der Welfen zu schreiben (in Wahrheit war es wohl so, dass man ihn wegen seines arroganten Auftretens und einiger Absonderlichkeiten nicht sonderlich schätzte, heute würde man sagen „Leibniz hat seine Dienstherren genervt“.). In einem ersten Brief an Karoline kritisiert er zwei Auffassungen Newtons mit dem Zusatz, dass sie schädlich für die Religion seien, und zwar:

a) Er kritisiert die Auffassung Newtons, dass der Raum das Sinnesorgan Gottes sei, mit dem er die Dinge wahrnimmt, und zwar sagt er „Wenn Gott irgendwelche Organe braucht, um die Dinge wahrzunehmen, dann folgt daraus, dass diese nicht von ihm abhängen und auch nicht von ihm geschaffen wurden“. Ich weise darauf hin, dass bei Aristoteles genau diese Auffassung zu finden ist, dass der Raum eben nicht vom Demiurgen erschaffen wurde, sondern von Anbeginn vorhanden war.

b) Newton schreibt an einigen Stellen, dass Gott eingreift, um den Lauf der Welt zu korrigieren, denn besonders die Bahnen von Jupiter und Saturn stören sich so stark gegenseitig, dass nach Newtons Berechnungen über kurz oder lang diese Planeten im Weltall verschwinden würden, ohne das Eingreifen Gottes, ja er sah in der Tatsache, dass dies nicht geschah oder in der Vergangenheit geschehen war, sogar einen unwiderlegbaren Gottesbeweis (Erst später zeigten genauere Berechnungen, dass sich die Bahnen selbsttätig korrigieren). Leibniz schreibt nun: Gott müsse ja ein schlechter Handwerker sein, wenn er nicht genügend Voraussicht habe, eine Welt zu schaffen, die sich exakt so verhält, wie er es geplant hat und in einem wichtigen Zusatz schreibt er noch „Nach meiner Auffassung bleiben dieselbe Kraft und Energie für immer in der Welt und verschieben sich lediglich von einem Teil der Materie zu einem anderen nach den Gesetzen der Natur und der wunderbaren prästabilierten Ordnung. Und ich glaube, dass

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Gott seine Wunder nur tut, um uns Gnade zu erweisen und nicht um der Natur nachzuhelfen. Und jeder der anders denkt muss eine seltsame Vorstellung von der Macht und Weisheit Gottes haben“.

Prinzessin Karoline gab diesen ersten Brief an ihren geistlichen Berater Samuel Clarke weiter, der ein entschiedener Anhänger Newtons war. Wieweit Newton bei der folgenden Korrespondenz seine Hände im Spiel hatte konnte nie geklärt werden. Aber es liegt nahe, dass er informiert war und auch Einfluss nahm. Clarke übermittelte nun über Karoline einen ersten Antwortbrief. Zu a) nimmt er ausweichend Stellung, Newton habe das mit dem Sinnesorgan nur als Gleichnis gemeint, aber zu b) findet er ein schlagendes Argument: „Wer immer behauptet, dass der Gang der Welt fortschreiten kann ohne ständige Beeinflussung durch Gott, den obersten Herrscher, der neigt dazu, Gott aus der Welt auszuschließen“. In seinem zweiten Brief führt Leibniz nun sein Prinzip vom ausreichenden Grund in die Diskussion ein, dass nichts geschehe ohne Grund, warum es so ist und nicht anders. Er verweist darauf, dass bereits Archimedes diese Prinzip verwendet habe, in seinem Buche über das Gleichgewicht. Und dann polemisiert er gegen das Vakuum bei Newton mit dem Argument: umso mehr Materie vorhanden sei, um so mehr Gelegenheit habe Gott, seine Macht und Weisheit zu beweisen.

In seinem zweiten Antwortschreiben kontert Clarke frei und gekürzt übersetzt: „Klar geschehe nichts ohne ausreichenden Grund, aber der pure Wille Gottes reiche als Grund aus, wenn etwa Gott Materie an einem ganz bestimmten Ort erschaffen habe, dann gebe es halt keinen ausreichenden Grund dafür, gerade diesen bestimmten Ort zu wählen, außer Gottes Beschluss. Und Gott kann die Gesetze der Natur außer Kraft setzen, wann und wo er will“. Die Sache mit dem Vakuum kontert er mit dem Verweis, dass Gottes Macht nicht eine Frage der Quantität sein kann.

An Frömmigkeit sind diese Aussagen kaum zu überbieten. Was antwortet also Leibniz in seinem dritten Brief? Er geht auf den absoluten Raum ein in folgender Weise: „Raum ist absolut gleichförmig, und ohne die Dinge, die sich in ihm befinden, unterscheidet sich ein Punkt des Raumes in keiner Weise von jedem anderen Punkt des Raumes. Wenn nun Raum etwas anderes wäre als die Ordnung der Dinge, dann gäbe es doch keinen Grund, warum Gott die Dinge in einer bestimmten Weise arrangiert hat und nicht anders zum Beispiel durch Vertauschen von Ost und West. Aber wenn Raum nichts anderes ist, als die Ordnung der Beziehungen und ist nichts ohne die Körper, als die Möglichkeit, sie anzuordnen, dann würden sich diese beiden Anordnungen in keiner Weise unterscheiden. Die Unterscheidung ist also nur begründet in der schimärenhaften Annahme der eigenen Realität des Raumes.“ Diese Argumentation dehnt Leibniz auch auf die Zeit aus.

In seiner dritten Antwort kommt Clarke auf eine Folgerung zu sprechen, die wir heute ganz anders sehen. Er schreibt: „Wenn der Raum nur die Anordnung seiner Teile wäre, dann würde das ja bedeuten, wenn Gott diese Teile mit einer beliebigen Geschwindigkeit durch den Raum bewegt, dass das überhaupt keinen Unterschied macht“. Clarke beschreibt hier ein Inertialsystem. Dann aber fährt er aus heutiger Sicht falsch fort: „Und

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(aus der Relativität des Raumes folgt) dieses System würde keinen Schock erleiden, wenn man es plötzlich stoppt“. Clarke ist der fundamentale Unterschied zwischen gleichförmiger und beschleunigter Bewegung offensichtlich nicht klar. Man hat ja überhaupt Newton oft vorgeworfen, dass er an einer absoluten Bewegung festhielt. Diese Kritik übersieht, dass der absolute Raum ohne absolute Bewegung undenkbar ist. Man kann das eine nicht ohne das andere denken. Und dann folgt bei Clarke erstaunlicherweise ein Bekenntnis zur Nahewirkung „Nothing can act or be acted on, where it is not“.

Leibniz erwidert in seinem vierten Brief: Wenn Raum eine Eigenschaft ist, dann muss es auch einen Gegenstand geben, dem diese Eigenschaft zukommt. Wenn aber der Raum leer ist, wo ist dann ein Gegenstand? Und wenn der Raum keinen zugehörigen Gegenstand braucht, ist er dann nicht unzerstörbar, auch durch Gott? Dann sagt er, wenn zwei Dinge nicht unterscheidbar sind, dann sind sie dasselbe Ding, und er wendet dieses Prinzip auf den Fall an, dass das gesamte Universum sich durch den absoluten und leeren Raum bewegt, dieser Fall ist vom ruhenden Universum nicht zu unterscheiden, also ist nach seiner Schlussfolgerung das gesamte Konzept vom absoluten Raum hinfällig. (Abschnitt 13 des vierten Briefes). Ähnlich argumentiert er gegen eine absolute Zeit: erst vom Moment der Schöpfung an macht es Sinn die Zeit zu zählen.

Clarke erwidert (in seiner vierten Antwort) zu dem Problem der Nichtunterscheidbarkeit, dass Gott sehr wohl zwei absolut gleiche Dinge erschaffen kann, die sich lediglich durch ihren Ort unterscheiden. Dann sagt er, wenn die Gesamtheit der Dinge endlich ist, dann muss sie auch beweglich sein, wenn Bewegung des Universums als Ganzes nicht zulässig ist, dann – so schließt er -muss das Universum unendlich sein, und alles reduziert sich auf Notwendigkeit und Schicksal (und das ist in seinen Augen ein Irrglaube). Clarke verneint also das unendliche Universum – soweit es mit Materie gefüllt ist, meint er ist es endlich. Und dann kommt ein theologisches Argument: Leerer Raum ist eine Realität, aber er ist ja gar nicht leer, weil Gott ihn ausfüllt. (Abschnitt 9). Besonders aber verneint Clarke den Zufall (den er mit „Epikureischer Zufall“ bezeichnet) als gottlosen Begriff. Auch den Begriff der prästabilierten Harmonie verwirft er (wohl zu recht). Dann lehnt er aber sogar die Erhaltung der Energie ab (die Leibniz richtig erkannt hat). Der Ton von Clarke in dieser vierten Antwort ist gereizt. Er stellt wiederholt Leibniz als einen Dummkopf hin, der die Argumente der dritten Antwort nicht begreifen kann oder will.

Die Anzahl der Abschnitte war vom ersten zum vierten Brief von 4 auf 46 angewachsen. In seinem fünften und letzten Brief vom 18. August 1716 erhöht Leibniz die Zahl der Abschnitte auf 130. Was bringt er an neuen Argumenten? Zum Thema Vakuum führt er aus, dass zum Beispiel die Wirkung eines Magneten im Innern eines leergepumpten Glasbehälters wirksam sei. Ich sehe hier fast eine rudimentäre Vorwegnahme des Feldbegriffes bei Faraday. Ansonsten scheint es mir, dass im gesamten fünften Briefverkehr die Positionen der vorhergehenden Briefe nur ausgewalzt werden, ohne Vertiefung.

Nachsatz: Als Leibniz starb, da folgte seinem Sarg kein Mitglied des Hofes, nicht einmal ein einfacher Beamter des Hofes. Im Gegensatz dazu war das Begräbnis von Newton 11

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Jahre später pompös. Beide waren schwierige Charaktere. Leibniz hatte diese Missachtung seiner Person nicht verdient. Wir verneigen uns in Ehrfurcht vor diesem großen Geist.

3.4 Folgerungen aus der Korrespondenz

Die Korrespondenz lässt uns die Wahl zwischen einem unendlichen absoluten Raum, der großenteils leer ist, gefüllt mit einer endlichen Anzahl weitgehend gleichartiger Atome und einem ebenfalls unendlichen aber prall gefüllten Raum, der darüber hinaus ein Kontinuum darstellt, der aber nur durch die Beziehung der Dinge existiert: Entfernt man alle Dinge aus diesem Leibniz’schen Raum, dann bleibt keine Struktur übrig. Der Newton’sche Raum, der sowieso schon fast leer ist aber behält seine dreidimensionale Struktur auch, wenn man ihn völlig entleert.

Die Idee des relationalen Raumes ist bestechend. Aber ich möchte hier ein Argument anbringen, dass Clarke nicht verwendet hat: Leibniz sagt, dass der Raum lediglich die Möglichkeit darstelle, die Dinge zu positionieren, und dass aus dieser Positionierung die Eigenschaften des Raumes sich ableiten lassen. Aber ich behaupte, dass eine völlige Freiheit in der Positionierung der Dinge nicht besteht – oder anders gesagt: eine Kosmologie, die mit einem leeren, völlig strukturlosen Raum beginnt, der dann von Gott mit Materie gefüllt wird, die dann dem Raum die Struktur gibt, kann nicht funktionieren.

Eine der vielen Definitionen der Dimensionalität des Raumes beruht auf der Anzahl der Körper, bzw. Massepunkte, die man so positioniert, dass die Abstände zwischen allen Punkten gleich ist. Für den eindimensionalen Raum, die Linie sind das zwei Objekte. Für die Fläche sind es drei Objekte, die ein gleichseitiges Dreieck bilden. Für den dreidimensionalen Raum sind es vier Objekte, die einen Tetraeder bilden. Die Anzahl der Objekte ist immer um eins größer als die Dimension. Nun kann man sich anstrengen, wie man will, es wird nicht gelingen, einen fünften Massepunkt so zu positionieren, dass er von allen vier Punkten des Tetraeders gleichen Abstand hat. (Ich verwende dies hier als faktischen Hinweis darauf, dass die Welt dreidimensional ist, nicht wie Ptolemäus es tut als Beweis dafür, dass die Welt dreidimensional sein muss). Diese empirische Tatsache zeigt,. dass die Dreidimensionalität des Raumes eine Eigenschaft ist, die dem Raum selbst zukommt, und nicht durch die Anordnung der Objekte hergestellt wird. Dies ist aber nur bedingt ein Argument für den absoluten Raum. Denn wenn Rovelli recht hat (siehe oben) dann ist der Raum identisch mit dem Gravitationsfeld, und mit dem Verschwinden der Materie aus dem Raum würde auch das Feld und dessen Eigenschaften verschwinden.

3.5 Euler plädiert für den absoluten Raum (1748)

1748 also 32 Jahre nach dem denkwürdigen Briefwechsel zwischen Leibniz und Clarke schrieb Euler seine berühmten Reflexionen über den Raum und die Zeit. Dieses kurze Papier hat wohl auch großen Einfluss auf Kant gehabt. Ich will den Inhalt dieses Dokumentes in gekürzter Form wiedergeben: (Paragraphen-Nummer wie im französischen Original).

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1.Euler drückt sein Vertrauen in die Gültigkeit der Trägheitsgesetze aus.2.Er sagt die Metaphysik sollte im Einklang stehen mit diesen Gesetzen.3.Wenn es Konflikte zwischen Physik und Metaphysik geben sollte muss die Metaphysik korrigiert werden.4.Er geht auf den Vorwurf von Leibniz ein, dass der absolute Raum eine imaginäre Größe sei und fordert dass die Metaphysik einen adäquaten Ersatz liefern muss.5.Wenn es aber nicht möglich ist, die Trägheitsgesetze ohne die Begriffe vom absoluten Raum und der absoluten Zeit auszudrücken, dann sollte man deren Realität anerkennen.6.Kann man die Trägheitsgesetze umformulieren mit den relationalen Begriffen?7./8.Das heißt wir ersetzen Ort durch die Beziehung zu anderen Objekten.9.Euler bringt nun das Beispiel eines Körpers in fließendem Wasser: obwohl er ruht ändert sich die Beziehung zu seiner Umgebung ständig.10.Wenn das Wasser den Körper nicht mit sich fortreißt stimmt also die relationale Formulierung nicht mit der Wirklichkeit überein.11./12Er sagt in Bezug auf weiter entfernte Körper (z.B. Fixsternen) mag es möglich sein, diesen Widerspruch zu vermeiden. Euler bezweifelt aber, dass die Metaphysiker ernsthaft sagen, die Fixsterne sind für die Trägheitskräfte verantwortlich (d.h. er lehnt das Mach’sche Prinzip ab, welches besagt: Trägheit wird durch die Wechselwirkung mit der gesamten Materie im All hervorgerufen). Er lehnt diese Möglichkeit mit den Worten ab: „Aber ich bezweifle ernsthaft, dass die Metaphysiker behaupten, dass die Körper ihre Trägheit dadurch erhalten, dass sie bestrebt sind ihren Abstand zu weit entfernten Gegenständen aufrecht zu erhalten“. Und dann schreibt er „Wenn die Metaphysiker sagen, dass es die Beziehung zu den Fixsternen ist, die für die Erklärung des Trägheitsprinzips nötig ist, dann ist dies sehr schwer zu widerlegen, weil die Fixsterne so weit von uns entfernt sind, dass die Körper, die im absoluten Raum ruhen, auch in Bezug auf die Fixsterne ruhen. Aber abgesehen davon wäre dies eine sehr merkwürdige Behauptung und im Widerspruch zu einigen anderen Dogmen der Metaphysiker..“. Das heißt er lehnt diese Idee ab mit dem Hinweis auf die große Entfernung und „auf einige andere Dogmen der Metaphysiker“ – welche das sind führt er leider nicht aus.13.Er folgert: es bleibt also nur der absolute Raum.14.Raum und Zeit sind abstrakte Begriffe ähnlich wie „Art“ oder „Typus“ aber doch anders.15/16.denn gewöhnliche Eigenschaften werden vom anwesenden Objekt abstrahiert. Zum Beispiel Ausdehnung gehört zum Objekt, der Ort hingegen bleibt, auch wenn das Objekt entfernt wird.17.Auch der Begriff der Richtung lässt sich nur im absoluten Raum sinnvoll definieren.18.Ähnliches gilt für die Zeit.19.Relationale Zeit wird abgeleitet von gleichförmigen Bewegungen.20/21.Aber die Wahl der Objekte, von der man die Zeit ableitet ist ja willkürlich. Wie überwindet man diese Willkürlichkeit? Und nur wenn wir das Trägheitsgesetz bereits akzeptieren dürfen wir gleichförmige Bewegung für die Zeitmessung heranziehen.

Dieses Plädoyer für den absoluten Raum und die absolute Zeit steht und fällt mit den Abschnitten 11 und 12. Das heißt, wenn wir die Mach’schen Prinzipien akzeptieren, dann

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bestünde sehr wohl eine Möglichkeit Raum und Zeit relational zu definieren. (Ob sich diese Möglichkeit realisieren lässt steht auf einem anderen Blatt).

Für unser Problem, herauszufinden, was der Dimensionalität zugrunde liegt hat dieses Kapitel bisher (wieder) so gut wie nichts gebracht. Abgesehen von der Möglichkeit, die wir bereits im ersten Kapitel erwähnt haben: Wenn Gott der Schöpfer dieser Welt ist, dann hat er auch die Dimensionen mit erschaffen, wobei im Sinne von Clarke der reine Wille Gottes als ausreichender Grund für diese Eigenschaft des Raumes dient. Aber so leicht wollen wir es uns nicht machen.

Aber eines will ich auch noch einmal wiederholen: Jede Erklärung, warum der Raum 3 Dimensionen hat muss abgeleitet werden von Prinzipien, die noch elementarer sind als es der Raum ist. Das Prinzip vom ausreichenden Grund ist aber offensichtlich nicht mächtig genug, um dies zu leisten.

3.6 Kant: Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raum (1768).

Obwohl das gesamte nächste Kapitel Kant gewidmet ist möchte ich schon hier auf seine Abhandlung über die Gegenden des Raumes eingehen, denn in dieser Abhandlung bezieht er sich explizit auf die Reflexionen von Euler und er kündigt an, dass er ein weiteres Argument für die Realität des absoluten Raumes liefern will, dass nicht von der Physik sondern von der Geometrie geliefert werde.Dann beschreibt er das Problem, die rechte und die linke Hand eines Menschen zur Deckung zu bringen. Dies geht nur durch Spiegelung, nicht aber durch alles Drehen und Wenden. Wir haben hier also den Fall, sagt Kant, dass zwei Gegenstände in allen Beziehungen ihrer Teile zueinander vollkommen gleich sind, aber sich doch unterscheiden. Er kommt dann zu dem Schluss: „Es ist hieraus klar: dass nicht die Bestimmungen des Raumes Folge von den Lagen der Teile der Materie gegen einander, sondern diese Folgen von jenen sind, und dass also in der Beschaffenheit der Körper Unterschiede angetroffen werden können und zwar wahre Unterschiede, die sich lediglich auf den absoluten und ursprünglichen Raum beziehen...“ und daraus leitet er die Realität des absoluten Raumes ab.

In dieser Abhandlung charakterisiert Kant Dreidimensionalität dadurch, dass drei Flächen auf einander senkrecht stehen können.(im zweidimensionalen Raum können zwei Linien aufeinander stehen. Folgerichtig fortgesetzt bedeutet das: Im vierdimensionalen Raum sollten vier dreidimensionale Hyperflächen aufeinander senkrecht stehen können).

Man kann eine ganz banale Kritik am Argument von Kant anbringen. Der Relationalist könnte sehr wohl rechte und linke Hände unterscheiden, indem er das Modell eines menschlichen Torsos mit Armen aber ohne Hände zur Hilfe nimmt. Beim Versuch, die Hände an diesem Torso zu montieren werden die Unterschiede der beiden Hände offenbar.

3.7 Julian Barbour und das zeitlose Universum

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Einige wichtige Informationen und Materialien (z.B. die Übersetzung des Euler-Artikels aus dem Französischen ins Englische) zu diesem Kapitel verdanke ich Soshichi Uccii. Er hat einen Lehrstuhl für Philosophie und Geschichte der Wissenschaften an der Universität von Kyoto, Ihm verdanke ich auch den Hinweis auf das Buch „The end of time“ von Julian Barbour. Dieses Buch ist u.a. ein Plädoyer für den Relationalismus.

Julian [Barbour[ ist ein Anhänger der Mach’schen Ideen und behauptet, er könne nachweisen, dass die Zeit nur eine Illusion ist. Sein Ansatz geht aus von einem Konfigurationsrau, der das gesamte Inventar des Universums umfasst und ordnet nun jedem Punkt dieses Konfigurationsraums eine Wahrscheinlichkeitsamplitude wie bei Schrödingers Wellengleichung zu. Die eigentlichen Argumente warum die Zeit nicht existiert werden in diesem Buch mit dem Hinweis darauf, dass sie für Laien unverständlich seien weggelassen. Ich werde in einem späteren Kapitel noch auf Originalarbeiten von Julian Barbour zurück kommen. Hier soll nur der Hinweis gegeben werden, dass diese Idee vom zeitlosen Universum so alt ist wie die Philosophie. Die Idee ist untrennbar verbunden mit dem Namen Parmenides und dem Begriff des Blockuniversums. Auch Einstein hat diese Ideen verfolgt, wie Karl Popper in seiner Autobiografie beschreibt.

Kurt Gödel hat die Argumente für ein Blockuniversum in folgendem Text zusammengefasst: „Es scheint, kurz gesagt, dass man [aus der Relativitätstheorie] einen eindeutigen Beweis für die Ansicht jener Philosophen erhält, die, wie Parmenides, Kant und die modernen Idealisten, die Objektivität des Wechsels leugnen und diesen als eine Illusion oder als eine Erscheinung betrachten, die wir unserer besonderen Art der Wahrnehmung verdanken. Die Argumentation ist folgende: Veränderung wird nur durch das Vergehen der Zeit möglich. Die Existenz eines objektiven Zeitverlaufes aber bedeutet (oder ist zumindest äquivalent damit), dass die Realität aus unendlich vielen Schichten des "jetzt vorhanden" besteht, die nacheinander zur Existenz gelangen. Wenn aber die Gleichzeitigkeit in dem oben geschilderten Sinne etwas relatives ist, kann die Realität auf eine objektiv bestimmte Weise nicht in solche Schichten aufgespaltet werden. Jeder Beobachter hat seine eigene Reihe von solchen Schichten des "jetzt vorhandenen", und keines dieser verschiedenen Schichtensystemen kann das Vorrecht beanspruchen, den objektiven Zeitverlauf darzustellen“. - Ende des Zitats von Kurt Gödel. Das Argument von Kurt Gödel erscheint mir nicht sehr überzeugend, denn die verschiedenen Schichten des „jetzt vorhandenen“ umfassen nie etwas, was in irgendeinem Punkt des Universums in der Zukunft liegt. Zukunft bleibt ein Absolutum.

Zurück zu Barbour: Auf den ersten Blick empfinde ich es als problematisch, den Konfigurationsraum zu verwenden, weil ja das Inventar des Universums nicht konstant ist. Man denke nur an kosmische Höhenstrahlung: Es werden Kaskaden von Sekundärstrahlung erzeugt mit Teilchen, die entstehen und kurz darauf wieder vergehen.

Außer der Idee vom Blockuniversum finden wir in dem Buch von Barbour einige Einsichten, die nicht uninteressant sind. Zum einen die fast triviale Einsicht, dass Zeit auf keinen Fall fundamental sei, sondern immer von (gleichförmigen) Bewegung abgeleitet

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sei. Zum andern betont er die wichtige Rolle von Aufzeichnungen. Er sagt, dass wir die Wirklichkeit ja nie direkt wahrnehmen, sondern immer auf dem Umweg über Aufzeichnungen, und sei es nur der Eindruck, den ein Ereignis in uns hinterlässt, auch der ist bereits eine Aufzeichnung. Mit anderen Worten, wenn wir ein Ereignis wahrnehmen, dann liegt bereits eine Aufzeichnung vor. Aufzeichnungen legen auch die Richtung der Zeit fest: Ein Ereignis, das eine Aufzeichnung hinterlassen hat liegt in der Vergangenheit.

Julian Barbour verwendet als Muster eines einfachen Konfigurationsraums (den er Platonia nennt) die Konfiguration von drei Massepunkten. Eine wichtige Einsicht (die er mithilfe seines Platonia ableitet) ist die, dass für die zeitliche Entwicklung eines Systems aus drei Massepunkten die relativen Koordinaten und Geschwindigkeiten nicht ausreichen (Er nennt dies das Problem der zwei Schnappschüsse). Es muss eine Information über die Rotation (3 Freiheitsgrade) und die Gesamtenergie (1 Freiheitsgrad) hinzukommen. Damit sind wir wieder beim Eimerversuch von Newton, auch dort spielt die Rotation eine prominente Rolle.

Dieser Fragenkomplex rund um Zeit und Bewegung muss noch vertieft werden. Er hat eine große Relevanz für die Frage nach der Dimension des Raumes.

3.8 John Earman und der dritte Weg

In seinem Buch „World enough and space-time“ befasst sich John Earman genau mit dieser Kontroverse zwischen absoluter und relationaler Raumauffassung. Er druckt dankenswerterweise das gesamte Scholium von Newton zu Raum und Zeit ab. Und da kann man nachlesen a) Newton sagt die absolute Zeit und der absolute Raum sind mathematische Ideen also formal und Platonisch. Er ist sich sehr wohl bewusst, dass wir den absoluten Raum nicht wahrnehmen können und immer auf die Beziehungen von Objekten rekurrieren müssen. b) Er hält aber dennoch stur an der Idee des absoluten Raumes fest und behauptet dessen Realität.

Als Beleg führt er genau in diesem Scholium den berühmten Eimerversuch an (und das Gedankenexperiment mit zwei Kugeln, die über ein Seil miteinander verbunden sind, und irgendwo weit entfernt im leeren Raum zur Rotation gebracht werden). Diese Versuche zeigen, dass die Zentrifugalkraft nicht hervorgerufen wird durch die (unmittelbare) Umgebung des rotierenden Systems.

Weil Newton den Gegensatz zwischen relationaler Raumauffassung und absoluter Raumauffassung für eine Dichotomie hielt, schließt er, dass der Raum absolut sei. Earman sag nun, dass sei ein non sequitur, denn man müsse eine dritte Alternative finden. Er sagt also indirekt: Wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte.

Dann stellt er eine Hierarchie von Raumzeitstrukturen auf, die mit totaler Relationalität beginnt und mit totaler Absolutheit endet. Mit den Mitteln der Modelltheorie weist er nun nach, dass die beiden extremen Positionen ausscheiden. Welches die adäquate Raumzeitstruktur letztlich ist lässt er aber offen.

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Danach geht er auf den Eimerversuch und das Problem des Rotationsbegriffes allgemein ein. Er untersucht, was die Kritiker des Eimerversuchs von Leibniz bis Poincare hervorgebracht haben und verwirft alle ihre Anstrengungen als unzureichend (Seite 89 in der Schlussfolgerung zum vierten Kapitel).

Es war Julian Barbour, der zusammen mit Bertotti einen Ansatz wagte, das Gravitationsgesetz rein relational abzuleiten. Er verwendete dazu eine Langrange-Funktion, die nur die Relativabstände in einem System von Massenpunkten verwendet. Dieser Ansatz konnte für große Systeme die Newtonsche Mechanik approximieren. Dies zeigte, laut Earman, das was andere auch nicht andeutungsweise nachweisen konnten, dass „interessante relationale Theorien möglich“ sind. Die Ansätze sind aber bislang nur rudimentär und naturgemäß schwerfällig in der Handhabung.

Earman untersucht dann noch ausführlich die Frage, ob der Raum ein Ding ist oder nicht. Er kommt zu dem Schluss, dass die Diskussion noch nicht ausgestanden ist und dass – wie bereits erwähnt - eine dritte Alternative gesucht werden muss.

In dem Buch von Earman kann man sehr schön studieren, wie in der Philosophie, jedes Argument, das in die Diskussion geworfen wird angegriffen wird und kaum ein Argument kann sich endgültig durchsetzen. Oft kommt es in modifizierter, verbesserter Form neu in die Diskussion, aber der Disput scheint immer während.

3.9 Schlussfolgerung

Ich verlasse dieses Kapitel leider ohne konkretes Ergebnis, was unser Thema angeht. Nur ein Zitat von Einstein, das in dem Buch erwähnt ist S.188 im neunten Kapitel: „Wenn man das Gravitationsfeld, entfernt, dann bleibt kein Raum, auch kein Minkowskischer Raum zurück und auch kein topologischer Raum. Es gibt letztlich keinen leeren Raum ohne Feld. Raumzeit kann keine eigene Existenz beanspruchen, sie existiert nur als strukturelle Qualität des Feldes“ Dies Zitat (zurück übersetzt aus dem Englischen) geht in die gleiche Richtung, wie die Aussage von Rovelli: „Das Gravitationsfeld, das ist der Raum“. Ob diese Identifizierung uns weiterbringt, und ob wir die Dimensionalität von Feldeigenschaften ableiten können, werde ich weiter oben untersuchen.