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Research Collection
Journal Article
Die Entfremdung von den Stoffen
Author(s): van Aaken, Wiepke
Publication Date: 2014
Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-010351802
Originally published in: NEUE kunstwissenschaftliche forschungen 1(1), http://doi.org/10.11588/nkf.2014.1.16724
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ETH Library
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DIEENTFREMDUNGVONDENSTOFFEN
WIEPKEVANAAKEN
Kunststoffesindeinzeittypischeskultur‐unddesigngeschichtlichesPhänomen,Zeugnisfürei‐
nenpositivistischenTrendderNachkriegszeit,aberauchBeispielfüreineMarktbeeinflussung
durch populäre Kommunikation. Bisherige Arbeiten befassen sichweitgehendmit ästheti‐
schenAspekten,Oberflächen,Modefragen,nichtabermitderPraxisderBaustelleundtechni‐
schenÜberlegungen.ObundmitwelchenAuswirkungenProduktionundEinsatzderKunst‐
stoffedenParadigmenderModernefolgten,wurdebislangkaumdiskutiert.EineBeurteilung
derKunststoffeerfordertentsprechendeschemischesVorwissen,bereitsdiesynthetischeGe‐
winnungderRohstoffeerschwerteineWiederkennungderMaterialienundverlangtVerständ‐
nisfürdieProduktionsverfahren.
AlseinesderdominierendenProduktedesInnenausbausderNachkriegszeitsindKunstharz‐
platten,ihreHerstellungs‐undVerarbeitungsbedingungen,idealtypischfürdiezweiteIndust‐
riemoderne.InderFabrikundaufderBaustelledientenmaschinelleHerstellung,Typisierung
desProduktangebotsundstandardisierteGebrauchsmöglichkeitender allmählichenDurch‐
setzungderParadigmenderModerne,dieaufVereinfachungundSteigerungderLebensmög‐
lichkeitenzielten.NeueProduktewiedieKunstharzplattenentstandennichtmehrinnerhalb
handwerklicherTraditionen,sondernwurdenvielmehrauseinemSystemdenkenentwickelt,
dasaufWiederholbarkeit,MassenfabrikationundvorfabrizierteHalbfertigteileausgerichtet
war.DieOffenlegungderProduktionsbedingungenderKunstharzplatten zeigt jedochauch,
dassderoftmalspropagierteBruchderindustriellenFertigungmitdenhandwerklichenTra‐
ditionenkeineswegsdurchgehendundvollständigerfolgte.
NEUESMATERIAL
InderHerstellungderKunstharzplattenwarenkaumVorläufervorhanden,aufdieinderEnt‐
wicklunghätte zurückgegriffenwerdenkönnen.KunstharzplattenbasiertenAnfangdes20.
JahrhundertsaufPhenolharzen,diezudenerstenKunststoffenzählen.DieunterdemMarken‐
namen«Bakelit»bekanntgewordenenvollsynthetischenKunstharzewurdenzunächstüber‐
wiegendfürplastischgeformteArtikelderElektroindustrieverwendetundgelangtenmitden
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erstenSchichtplatten etwas später auch indasBauwesen.1Fortschritteder chemischen In‐
dustrieunddieEntwicklungvonaushärtbarenKunstharzen,denAminoplasten,ermöglichten
kurz vorAusbruch des ZweitenWeltkriegs die Realisierung großtechnischer Produktionen
undwarenAuslöserfürdennächstenEntwicklungsschubderKunstharzplatten.Aminoplaste
wiebeispielsweisedasharteMelaminharzeröffneteneineVielfaltantechnischenAnwendun‐
gen.IhreTransparenzbotgegenüberdendunkelfarbigenVorgängerproduktenneuegestalte‐
rischeMöglichkeiten.Lichtecht,geschmacks‐undgeruchsneutral fandensievorwiegend im
InnenausbauVerwendung,zumBeispielalsOberflächenvonKüchenundBädern.DieFormica
InsulationCompanyundH.RömmlerAGbotenabden1930erJahrenbeidseitsdesAtlantiks
Kunstharzplattenan.DieH.RömmlerAGkamausderTextilindustrie,dieFormicaInsulation
Companywarbereits als kunstharzverarbeitendesUnternehmen gegründetworden.Neben
Kunstharzplattenwie«Resopal»und«Formica»bildeten«Perstorp»,«Argolite»,«Ultrapas»,
«Textolite»oder«Getalit»dasProduktangebotderNachkriegszeit;einigederPlattensindbis
heuteaufdemMarkt.
ImNeuenBauenspieltenKunstharzplattenallerdingseineuntergeordneteRolle.Eisenund
Stahl,BetonundGlaswarendieimRohbaubevorzugtenWerkstoffe.DenAusbauderStuttgar‐
terWerkbundsiedlungvon1927dominiertenmit«Heraklit»,«Eternit»,«Celotex»oder«Lig‐
nat» zwar industriellhergestellte, aberorganischeMaterialien.2Die fürdenAusbaueiniger
Werkbund‐HäuserverantwortlichenBrüderHeinzundBodoRaschsetztenkeineKunstharz‐
plattenein,obwohldiesealsavantgardistischesMaterialhättengeltenkönnen.Stattdessen
wurdenKunststoffealspotentiellimitierendeStoffegesehenundbisindieJahrhundertmitte
oftmalskritischbewertet.3FolgtedieEntwicklungderKunststoffschichtplattendennochden
ParadigmenderModerne,dannweilsiesichausdengemeinsamenZielendesNeuenBauens
mitderchemischenIndustrie,Verfahrens‐undFertigungstechniknachmöglichstumfassender
Rationalisierungerklärt.
1VorschlägezurSchichtungvonKunstharzenwarenbereitsvonLeoBakelandalsPatenteingereichtworden, in: LeoBakeland,Composite Cardboard. PatentNr.US1019406,United StatesPatentOffice1912.2ZudenAusbaumaterialienderSiedlung:HeinzRaschundBodoRasch,WieBauen?Bd.2, Stuttgart1928.3DieGeschichtederfrühenKunststoffealsnachahmendeStoffebeschreibt:RenateUlmer,VomHisto‐rismuszurModerne.DieerstenKunststoffeundihreVerwendungim19.Jahrhundert,in:FlorianHuf‐nagl (Hg.),Plastics+Design,München1997, S.8‐19.EineAufarbeitungderKunststoffRezeption imDeutschenWerkbundbisindieNachkriegszeitliefertGerdaBreuer,«VertreibungausdemErstenPara‐dies»–KunststoffinderBundesrepublikderFünfzigerJahreimKontextvonDesigndiskursen,in:Ro‐manaSchneiderundIngeborgFlagge(Hg.),OriginalResopal.DieÄsthetikderOberfläche,Berlin2006,S.39‐51.
Wiepke van Aaken
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ZWISCHENMANUFAKTURUNDFABRIK
IndenFabrikeninternationalerHersteller,derschwedischenSkanskaÄttikfabrikenA.B.,der
amerikanischenFormicaInsulationCompanyundderdeutschenH.RömmlerAG,aberauchklei‐
nererHerstellerwieinderSchweizderArgoliteAG,erfolgtedieHerstellungnachstandardi‐
siertenAbläufen,dieinschematischenDarstellungenfestgelegtwurden.4IndenFabrikender
FormicaInsulationCompanywurdeinden1950erJahrenfestesKraftpapierinMaschinenvon
beträchtlicherLängemiteinergünstigenPhenol‐Formaldehyd‐Harzlösung imprägniertund
nachdemPassiereneinesTrocknungskanalsaufgerollt.5DasimprägniertePapierwurdeauf
QuerschneidemaschinenindieFormategeschnitten,diedieDimensionenderkostenintensi‐
venPressmaschinenvorgaben.MehrerenSchichtenausgetränktemKraftpapierfolgtedieDe‐
korschicht, die von einer transparenten Haut aus Melamin‐Formaldehyd‐Harz geschützt
wurde.IneinerEtagenpressewurdendieverschiedenenSchichtenzwischenzweiPlattenun‐
terDruckundHitzeabschließendzueinemeinzigenMaterial,derHochdruck‐Schichtpress‐
stoffplatte,irreversibelmiteinanderverbunden.
DerBlickindieProduktionsrealitätverdeutlichtauchdieGrenzeneinerderRationalisierung
verpflichtetenProduktentwicklungunddesIdealsderModerne,Maschinenzueinerselbsttä‐
tigenFließreiheineiner‹automatischenFabrik›zukombinieren.6ZwarwarderArbeitszyklus
derZwölf‐Etagen‐PresseunddieEntladungderPlattenautomatisiert,7dieBeschickungder
HeißpresseunddieSchichtungderkunstharzgetränktenPapiereerfolgteaberdurch‹Bogen‐
legerinnen›vonHand(Abb.1).UmdieWärmeausdehnungderverschiedenenLagengeringzu
haltenundeinVerziehenundKrümmenzuverhindern,bleibtdermöglichstsymmetrischeAuf‐
bauderPlattenbisheuteaufmanuelleArbeitangewiesen.
ZudemteilrationalisiertenProzessablaufkamindenEntwicklungsjahrenderKunstharzplat‐
tenaufAminoplaste‐BasiszudemeinegewisseUnterschiedlichkeitinderProduktion.DieHer‐
stellungerfolgteweltweitähnlich,abernichtidentisch.ImUnterschiedzurFormicaInsulation
CompanynutztedieH.RömmlerAGinderProduktionvon«Resopal»nichtMelaminharz,son‐
derneinvomUnternehmenpatentiertesVerfahrenaufBasisvonThioharnstoff‐Formaldehyd,8
4Vgl.Anonym,DekorativeSchichtstoffe«Formica», inSchweizerBaublatt1954,Nr.45,S.2;ResopalGmbH,Resopal‐Handbuch.Anwendungs‐undVerarbeitungsempfehlungen.Groß‐Umstadt1988,S.22.5Anonym,DekorativeSchichtstoffe«Formica»,in:SchweizerBaublatt1954,Nr.45,S.1‐3.DasVerfahrenbasiertaufdemfirmeneigenenPatentvon:Formica,Procédépourlaproductiondeproduitslamellairesimprégnés.PatentNr.FR995215,Ministèredel'IndustrieetduCommerce1951.6OttoKienzlestrebtealsBegründerderFertigungsplanungnichtnureineAutomatisierungderPro‐zesse,sondernauchentsprechendeStrukturwandlungenzurAutomatisierungderWarenströmean,vgl.OttoKienzle,GedankenzurAutomatisierunginderIndustrie.Göttingen1958.7Vgl.Anonym,DekorativeSchichtstoffe«Formica»,in:SchweizerBaublatt1954,Nr.45,S.3.8RömmlerAG,VerfahrenzurHerstellungvonhaertbarenKondensationsproduktenausThioharnstoffoderGemischenvonThioharnstoffundHarnstoffmitFormaldehyd.PatentNr.DE615400,Reichspatent‐amt1935.
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das einehöhereWärmebeständigkeit unddamit größereOberflächengüte alsMelaminauf‐
wies.9DieSkanskaÄttikfabrikenA.B.wiederumbegannihreProduktionerstinden1950ern
undgriffnacheinerReihevongescheitertenVersuchenaufdasvomamerikanischenHersteller
PanelytelizensierteVerfahrenzurück,daseineVorbehandlungdercellulosehaltigenBahnen
mitGlimmererdevorsah,umdenelektrischenWiderstandderPlattenzuerhöhen.10Nachei‐
nerPhaseanfänglicherDiversitäterfolgtemitdensichetablierendenTechnologieneineall‐
mählicheAngleichungderPlattenqualitäten.DieRömmlerAGwechselteetwaab1960aufMe‐
laminharz,weilThioharnstoffaufGrundderFormaldehydabgabenichtmehrdieAnforderun‐
gen des deutschen Lebensmittelgesetzes von 1958 erfüllte.Mit der Festlegung eindeutiger
Qualitätsbestimmungen und Klassifizierungen der Hochdruck‐Schichtpressstoffplatten wie
zumBeispielinderDIN16926vomMai1975warschließlicheinevereinheitlichtePlattenqua‐
litätnormativfestgesetzt.ZueinertechnologischenVereinheitlichungdesProdukteangebots
kamdiewirtschaftlichmotivierteAnpassungaufdeminternationalenMarkt.InderSchweiz,
indermannichtaufeigene,langjährigeHerstellungserfahrungenzurückgreifenkonnte,kaufte
mandieerfolgreichenLösungenausdemAuslandein.DiePavatexAGbezognebendemaus
SchwedeneingekauftenMaschinenwissenfürdieHolzfaserproduktionvondortauchdieTech‐
nikenfürdiekomplementäreKunstharzplattenproduktion.ImErscheinungsbildgabeszwi‐
scheneiner«Perstorp»undeiner«Durolux»PlattekeinenerkennbarenUnterschied(Abb.3,
4).
INTEGRATIONINBESTEHENDEHANDWERKSTECHNIKEN
AuchdieNutzungderPlattenwurdeimHinblickaufdieverlässlicheErfüllungvonFunktionen
definiert.IneinerSelbstverpflichtungzurEinhaltungderNEMANormen11garantiertenHer‐
stellerkratzfesteOberflächenvonhoherStoßfestigkeit,unempfindlichgegenkochendesWas‐
serundeineReiheimHaushaltüblicheChemikaliensowiegegentrockeneundfeuchteHitze.
InihrerWiderstandsfähigkeitsuggeriertendiePlatteneineHaltbarkeit(Abb.2),dieimWer‐
bespruchderH.RömmlerAG1955«Plastik‐MaterialvonWertundDauer»12nochandieTra‐
ditioneinesGenerationenübergreifendenBauensanknüpfte.Als«revêtementindestructible»
9Vgl.KlausBruncken:Harnstoff‐undMelaminharzpressmassen,in:RichardViewegundErnstBecker(Hg.),Duroplaste.München1968,S.339‐424.10 Panelyte Co, Process of manufacturing phenol‐formaldehyde resin sheets and forms. Patent Nr.US1868566,UnitedStatesPatentOffice1932.11DieNationalElectricalManufacturersAssociation(NEMA)definierteinZusammenarbeitmitdenHer‐stellernvorwiegendindenVereinigtenStaatenundKanadadieAnforderungenanelektrischeArtikel.12Werbungvon1955,in:RomanaSchneiderundIngeborgFlagge(Hg.),OriginalResopal.DieÄsthetikderOberfläche,Berlin2006,S.59.
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überhöhtedieFormicaInsulationCompanydieseEigenschaftundenthobdasMaterialimVer‐
sprecheneiner«eternellejeunesse»13derZeitlichkeit.InderSchweizwarenKunstharzplatten
allerdings kaumvonden langenEntwicklungslinien abgeschnitten.Hersteller entstammten
durchwegderHolzwerkstoffherstellung.VertriebenwurdendieKunstharzplattenüberden
Sperrholzhandel.WeilabereinmaterialspezifischerZugangimUmgangmitdenPlattenfehlte,
empfahlendieHerstellerauf«dieüblichenWerkzeugedesSchreinersunddesSchlossers»14
zurückzugreifen.Dersehrharte,dichteSchichtpressstoffsolltemitKreissägenundFräsenbe‐
handeltwerden,alsseierausHolz.DieEinbindungdes‹neuen›MaterialsinbestehendeHand‐
werkstechnikenfördertemitAnleitungenzurAusführungvonNut‐und‐Feder‐Verbindungen
einesolideVerarbeitung.IndemimmerwiederaktualisiertenResopalHandbuch15wurdein
detailreichenErläuterungenbeispielsweisezurNachverformung,demBiegenvonKunstharz‐
plattenfürrundeAbschlüsse,ausdrücklichderFachmannangesprochen.DerimWendepunkt
imBauenformuliertenprogrammatischenForderungvonKonradWachsmann,dassineiner
rationalisiertenBaupraxisanonymeProdukte,ohneRücksichtaufihrematerielleBeschaffen‐
heit,vonungelernten,universellenMonteurenohneWerkzeugezusammengefügtwerdensoll‐
ten,16wurde in der Verarbeitung von Kunstharzplatten aus dem deutschsprachigen Raum
nichtentsprochen.17
DASUNTERSCHIEDSLOSEPRODUKT
ObgleichsichdieParadigmenderModerneinderHerstellungundimEinsatzderKunstharz‐
plattennichtvollständigdurchgesetzthatten,warendieKonsequenzenumfassend:DieHer‐
stellungentwickeltesichzueinerselbstlaufendenProduktionineinemscheinbar‹autarken›
System.NichtderBedarfbestimmtedieProduktion,sonderndietechnischenMöglichkeiten
schufen einen stetig wachsenden Warenstrom. Der Austausch des Dekorpapiers oder der
Pressplatten durch Matrizen mit reliefartiger Oberflächenstruktur vervielfältigte das Pro‐
duktangebotebensowiedasHinzufügenoderWeglassenvonKunstharzschichten.DieSkanska
ÄttikfabrikenhatteAnfangder1950erJahrefürihrePlattenlediglicheinePlattenstärkeund
13Formica(Hg.),Formicaforever.Cincinnati,NewYork2013,S.349.14Anonym,DekorativeSchichtstoffe«Formica»,in:SchweizerBaublatt1954,Nr.45,S.3.15Resopal GmbH, Resopal‐Handbuch. Anwendungs‐ und Verarbeitungsempfehlungen, Groß‐Umstadt1988.16KonradWachsmann,WendepunktimBauen.Wiesbaden1959,S.52.17DieFormicaInsulationCompanyempfahlhingegenausdrücklichdieMontageihrerPlatten.Anleitun‐genfürdenEigenbauwurdenausgegeben,diejedenBürgerindieLageversetzensollte,ohneVorwissenKunstharzplattenselbsteinzusetzen.Mit«Formica»könneinwenigeralseinerStundeimSelbstbauderalteKüchentischersetztwerden,warbbeispielsweise1956diebritischeAnnonce«Formicaforme»undempfahldieentsprechendeAnleitungvomUnternehmenzubeziehen.
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einMuster imAngebot;gewähltwerdenkonntezwischenbeigerundgrauerStruktur(Abb.
3).18DasvonSigvardBernadotte1958entworfeneMuster«Virrvarr»sicherteden«Perstorp»
PlattenihreErkennbarkeit.19Wenigerals10JahrespäterbotdasUnternehmen40Farbenan.20
ImJahr1992hattedasAngebotschließlichmit120Farben,8verschiedenenOberflächenstruk‐
turen,32Fantasiedekors,24grau‐weißSchattierungenund38Holz‐undSteinimitateninzwei
GrößensowieStärkenzwischen1‐5mmdieGrenzevonVielfaltzuBeliebigkeitüberschritten.21
ParallelzurFokussierungaufdieOberflächengestaltungsetzteinden1950‐70erJahreneine
allgemeine‹Plastifizierung›derInnenräumeein.«Resopal»wurdenichtbauteilbezogenver‐
wendet,sondernwarüberallaufMöbeln,Wänden,BödenundDeckenverkleidungen,Leisten
undHandläufenzufinden.ZudenKunstharz‐SchichtplattenkamenPolyesterharzplatten,be‐
schichteteHartfaserplattenoder emaillierteAsbestzementfaserprodukte, die sichmit ihren
hochverdichtetenOberflächenkaumvoneinanderunterschieden.DiePlattenwurden inder
FolgeaufdieÄsthetisierungihrerOberflächenreduziert;diematerielleSubstanztratinden
Hintergrund.IndenAnwendungsbeispielenderletztenJahremiteinerVielzahlvonMateriali‐
tätsimulierenden,übergroßenoderhyperrealistischenOberflächendesignsimInnen‐wieAu‐
ßenraumwirddieFunktionalisierungderKunstharzplattenalsreinemBildträgerwiederbe‐
sondersaugenfällig.22
Produktbeliebigkeit,mangelndeReparaturfähigkeitsowieUnverständnisundUnzugänglich‐
keitderHerstellungsindKonsequenzeneinerrationalisiertenProduktion.WieKunstharzplat‐
tenerschließensichvieleBaustoffeheutenichtmehraufdenerstenBlick.Zusammensetzung
undEigenschaftenbesondersderVerbundstoffesindkaummehrbestimmbar.DasindieStoffe
verlagerteWissen,daskaummehranOrtegebundenist,physischeUnzugänglichkeitderMa‐
schinenundFabriken,dasZurückziehendesWissensinchemischeFormelnunddieOmniprä‐
senzvonProzessenhabenzueinerEntfremdungvondenStoffengeführt.InderDiskussion
undimUmgangmitdenMaterialiendominierendaherUrteile,dieWertlosigkeit,Beliebigkeit
undSurrogatstoffevermuten.BeiSanierungenwerdenKunstharzplattenregelmäßigausge‐
tauscht.DieStoffesindfremd,auchdeswegen,weilInformationendazunichtgesuchtwerden,
obwohl«Formica»,«Resopal»und«Perstorp»heuteimWesentlichennochaufdengleichen
18PerstorpA.B.,MakingMoneyfromSmoke.PerstorpAB1881‐1981,Perstorp1981,S.26.19FormicaverfügtemitdemvonBrooksStevens1950gestalteten«skylark»ebenfallsübereineigenesgrafischesMuster:Formica(Hg.),Formicaforever.Cincinnati,NewYork2013.S.95.20Werk46(1959),Nr.3,S.XL.21Anonym,Form‐undfarbvollendeteSchichtstoffplatten,in:Werk,Bauen+Wohnen79(1992),Nr.6,S.92.22HyperrealistischeundvergrösserteNaturdarstellungenvonPflanzendarstellungen,Steinen,Insektenetc.findensichineinerVielzahlvonAnwendungen,beispielsweiseindenInnenräumeneinesHostelsinUtrechtvonBAR‐ArchitektenmiteinemgeschossübergreifendemEfeuMotivin«Rersopal»oderBlatt‐werkabbildungenaufMobiliardesMetroNovaRestaurantsinStockholmin«Formica».
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MaschinenundnachdenetabliertenVerfahrenproduziertwerdenundUnterschiedeundQua‐
litätenderProduktedahervergleichsweiseeinfachzuerschließensind.23HansSchmidt,Ver‐
treterdesNeuenBauensinderSchweiz,klagtebereitsimJahr1925:«Nochhaftetandenmo‐
dernen, industriell hergestelltenMaterialienderRuf derMinderwertigkeit undUnsolidität.
DasistnichtdieSchuldderSacheansich,sondernunsererEinstellung.»24SchmidtsAussage
istbisheutegültig.
23ImKonsumbereichwirdhingegenseitdemErfolgvonUnternehmenwieManufactumzunehmendaufdieOffenlegungvonProduktionsbedingungenWertgelegt,vgl.TobiasKniebe,Manufactum,in:Süddeut‐scheMagazin 2005,Nr. 38, http://sz‐magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/413/Manufactum (1.März2014).24Hans Schmidt, Beiträge zurArchitektur: 1924‐1964. Zusammengestellt und eingeleitet vonBrunoFlierlimReprint,Zürich1993,S.18.
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Abb.1 Abb.2
Abb.3 Abb.4
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ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abb. 1: Manuelle Pressbeschickung der «Kellco» Kunstharzplatte von Keller + Co. AG inKlingnau,Schweiz(VerbandSchweizerischerBaumaterial‐Händler(Hg.),Baumaterial‐Hand‐buch,1965,S.225.)
Abb. 2: Kunstharzplatten im Kontext vormoderner Baumaterialien (Bauen + Wohnen 17(1963),Nr.9,o.S.)
Abb.3:Küchentischplatte«Perstorp»imOberflächendesignvon1950(PerstorpA.B.,Makingmoneyfromsmoke.PerstorpAB1881‐1981,Perstorp1981,S.27.)
Abb.4:Von«Perstorp»übernommenesMusterfürdieSchweizer«Durolux»Platte(Wohnen31(1956),Nr.10,S.295.)