praxiseinblicke deutsch
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Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
Laura Bergmann, Birgit Schlichtherle, Veronika Weiskopf-Prantner, Tanja Westfall-Greiter,
Gertraud Leidinger, Christian Stadler
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
Inhalt
Einstieg in die Praxiseinblicke ................................................................................................................................... 4
Vorwort für die Praxisteile ....................................................................................................................................... 5
Lerndesignarbeit ......................................................................................................................................................... 6
Der Kern der Sache .................................................................................................................................................. 6
School Walkthrough: Ermittlung des IST-Standes .................................................................................................. 7
Was ist Lerndesign? ................................................................................................................................................. 8
Erster Schritt in der Lerndesignarbeit: Das WAS .................................................................................................... 8
Die „rückwärtige“ Jahresplanung ............................................................................................................................. 9
Umsetzung des WAS in der Praxis: Entwicklung eines Lerndesigns .................................................................... 10
Umsetzung des WAS in der Praxis: Entwicklung von Kernideen .......................................................................... 18
Umsetzung des WAS in der Praxis: Lernziele festlegen ........................................................................................ 19
Umsetzung des WAS in der Praxis: Die Jahresplanung als Orientierung auf dem Weg zum Ziel ......................... 20
3-K Orientierung (Kompetenz, Komplexität, Kriterien) ........................................................................................ 22
Kompetenzorientierung ............................................................................................................................................ 23
Der Kern der Sache ................................................................................................................................................ 23
School Walkthrough: Ermittlung des IST-Standes ................................................................................................ 24
Was ist Kompetenz? ............................................................................................................................................... 25
Umsetzung in der Praxis ........................................................................................................................................ 27
Komplexität und Aufgabenkultur ........................................................................................................................... 31
Der Kern der Sache ................................................................................................................................................ 31
School Walkthrough: Ermittlung des IST-Standes ................................................................................................ 32
Was versteht man unter der „neuen“ Aufgabenkultur? .......................................................................................... 33
Merkmale einer kompetenz-, handlungsorientierten und komplexen Aufgabenstellung ....................................... 34
Der Paradigmenwechsel von Unterrichtsplanung zum Gutachten ......................................................................... 35
Umsetzung in der Praxis ........................................................................................................................................ 37
Kriterien als Grundlage von Beurteilung ............................................................................................................... 42
Der Kern der Sache ................................................................................................................................................ 42
School Walkthrough: Ermittlung des IST-Standes ................................................................................................ 43
Was ist ein Kriterium? ............................................................................................................................................ 44
Transparenz in der Leistungsbeurteilung ............................................................................................................... 44
Beurteilungsraster zur Dokumentation und Beurteilung von Kompetenzentwicklung .......................................... 45
Umsetzung in der Praxis ........................................................................................................................................ 47
Flexible Differenzierung ........................................................................................................................................... 51
Der Kern der Sache ................................................................................................................................................ 51
School Walkthrough: Ermittlung des IST-Standes ................................................................................................ 52
Was ist flexible Differenzierung? ........................................................................................................................... 53
Umsetzung in der Praxis ........................................................................................................................................ 56
Lernseitigkeit ............................................................................................................................................................. 59
Der Kern der Sache ................................................................................................................................................ 59
School Walkthrough: Ermittlung des IST-Standes ................................................................................................ 60
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
Was ist Lernseitigkeit? ........................................................................................................................................... 61
Der Lernbegriff: Wann ist für Sie Lernen Lernen? ........................................................................................... 62
Lernen als pädagogischer Grundbegriff ............................................................................................................ 62
Lehren im Modus des Lernens .......................................................................................................................... 63
Umsetzung in der Praxis ........................................................................................................................................ 64
Literaturverzeichnis .................................................................................................................................................. 70
Tabellenverzeichnis ................................................................................................................................................ 71
Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................................................... 72
Fotoverzeichnis ...................................................................................................................................................... 72
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Einstieg in die Praxiseinblicke
Das zentrale Anliegen der Praxiseinblicke für die 5. Schulstufe ist die Darstellung einer kompetenz- und
kriterienorientierten, inklusiven Praxis in den differenzierten Pflichtgegenständen Deutsch, Mathematik
und Englisch. Eine Praxis, die sich dem schulischen Erfolg jeder Schülerin und jedes Schülers verpflich-
tet fühlt und dafür Verantwortung übernimmt.
Dabei geht es zum einen um eine Auseinandersetzung damit, was mit Kompetenz gemeint ist und was es
für 10- bis 14-jährige Schülerinnen und Schüler bedeutet, in Englisch, Deutsch und Mathematik kompe-
tent zu sein. Es geht um Klarheit über die Ziele des Unterrichts, die sich aus dem jeweiligen Verständnis
von Kompetenz ergeben. Zum anderen geht es darum, Kompetenz anhand von Kriterien „fassbar“, be-
schreibbar und messbar zu machen, sowie aufzuzeigen, wie Kompetenzentwicklung durch komplexe
Aufgabenstellungen und Herausforderungen ermöglicht wird.
Die Praxiseinblicke sind keinesfalls als lehrmeisterndes „Wir zeigen euch, wie es geht“ zu verstehen. Sie
stellen vielmehr den Anspruch, Praxis exemplarisch zu beschreiben, um die Auswirkungen der neuen
rechtlichen Richtlinien, pädagogischen Zugänge und Ansätze zu illustrieren und damit „Stoff“ für die
eigene Praxisentwicklung zu bieten. Dabei versuchen die Autorinnen und Autoren ihre eigenen Praxiser-
fahrungen darzustellen, anstatt allgemein über „die“ Praxis zu schreiben. Die Beispiele aus der Praxis
sind eben „nur“ Beispiele und werden als solche sowohl bei der eigenen Reflexion als auch im kollegia-
len Austausch mit anderen zu weiteren Bespielen führen.
In den Praxiseinblicken werden folgende Themen behandelt
Lerndesign und Jahresplanung
3-K-Orientierung: Kompetenz, Komplexität und Aufgabenkultur, Kriterien
Kriteriale Leistungsbeurteilung
Flexible Differenzierung
Lernseitigkeit
Um sich über diese Begriffe austauschen zu können, benötigt man eine gemeinsame Sprache. Daher wer-
den die für den Praxisaustausch relevanten Begriffe in jedem Kapitel kurz erörtert.
Die Beispiele in den Praxiseinblicken stellen keine Rezepte dar,
sondern verstehen sich als Anstoß zur Auseinandersetzung mit den
Themen. Um verstehensorientiertes Lernen zu forcieren, wird am
Anfang von jedem Kapitel das WOZU in Form von relevanten
Kernideen und Kernfragen dargestellt. Die Einschätzung des eige-
nen IST-Standes mit Hilfe des „School Walkthrough“ und die
Denkpause(n) sind als Anregungen zur Selbstreflexion gedacht.
Nach der Selbsteinschätzung folgt zu jedem Thema ein kurzer theo-
retischer Input, der mit Hinweisen (Tipps) auf vertiefende Unterla-
gen und Materialien abgerundet wird. Anschließend finden Sie
konkrete Beispiele aus unserer Praxis.
Die Praxiseinblicke eignen sich für das Arbeiten allein oder mit anderen, ob im Fachteam, einer professi-
onellen Lerngemeinschaft (PLG) oder in einem Kurs.
Der School Walkthrough ist ein Werkzeug für kriterienorientier-te Praxisentwicklung. Entlang Qualitätskriterien wird be-schrieben, wie sich die Umset-zung der besprochenen Themen zeigen kann. Dabei werden fünf Entwicklungsstufen auf einer Skala von „noch nicht“ bis „wei-terführend“ dargestellt.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Vorwort für die Praxisteile
Einen Einblick geben in die eigene Praxis für andere Kollegeninnen und Kollegen? Den eigenen Unter-
richt reflektieren und mit Theorie verknüpfen? Und das noch mit jemandem, den man nicht kennt, weil
diese Person an einer anderen Schule unterrichtet?
Woher kam also die Kraft, das Selbstbewusstsein und die Motivation, für diese Handreichung zu arbei-
ten?
Einerseits ist es das Vertrauen in die Sache und die Überzeugung, dass die theoretischen Inhalte dieses
Praxiseinblicks für die eigene Praxis wirksam waren und sind und andererseits sind es die Menschen, die
hinter oder eigentlich vor diesen Inhalten und veränderter Lernkultur stehen.
In diesem Fall ist es Tanja Westfall-Greiter mit ihrer kaum zu beschreibenden Energie, verbunden mit
hohem Fachwissen und ihrem Verständnis mit Kindern zu arbeiten und umzugehen.
Eine AHS-Lehrerin an der NMS Taxham/Stadt Salzburg (Generation 2) und ein Lehrer aus der NMS
Schwarzach im Pongau/Land Salzburg (Generation 7), die sich aus der Fort- und Weiterbildung kennen,
werden also von Tanja gebeten, diesen Praxiseinblick zu gestalten.
So kam es zu Gesprächen, lose und mit der verbindenden Kraft, dass die Ziele und Forderungen der NMS
ganz allgemein etwas Sinnstiftendes in unserem Verständnis im Umgang mit Schülerinnen und Schülern
leisten.
Die Herangehensweise an diese Arbeit entwickelte sich wie in einem Fachteam an der Schule, das einge-
teilt wird, eine Klasse zu unterrichten. Zuerst die Präferenzen und grundsätzlichen Vorstellungen abche-
cken, Gespräche in gelöster Atmosphäre bei Spaziergängen führen, auch mit Humor und anderem,
scheinbar Unwichtigem.
Die Praxiseinblicke für Sie, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, von uns sind aus der Praxis für die
Praxis. Alles ist im Unterricht erprobt und für uns stimmig. Wir stellen aber keineswegs den Anspruch,
hier allgemein Gültiges, Unverrückbares oder gar Unumstößliches zu zeigen. Jede Praxis verändert sich
in anderen Händen zu Theorie. Selbst das eigene Tun wird in der nächsten Unterrichtsstunde wieder an-
ders sein, auch wenn man vorhat, Bewährtes zu wiederholen.
Mit diesem grundsätzlichen Gedanken möchten wir beide, Gertraud Leidinger und Christian Stadler, ein
Stück unserer Arbeit freigeben und in dem Bewusstsein, dass unsere Praxen keinen Anspruch auf Unfehl-
barkeit stellen, auch den erzählerischen, ja oft privaten Charakter unserer Ausführungen begründen.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Lerndesignarbeit
Foto 1: aus 3. Bundesweiten Lernatelier der G3, 28. 30.11. 2011.© Veronika Weiskopf-Prantner
Der Kern der Sache
Kernideen bringen in einem Satz auf den Punkt, was es für diesen Themenbereich zu verstehen gilt.
Kernfragen können nicht in einem einzigen Satz beantwortet werden, sondern regen in ihrer Funktion als
„Türöffner“ zum Verstehen eines Sachverhalts, zum Nachdenken, Forschen und zur tieferen Auseinan-
dersetzung mit einem (Lern-)Thema oder einer Idee an.
Kernideen Kernfragen
Das Ziel ist das Ziel. Was gilt es zu verstehen? Was muss man dazu wissen? Was tun Expertinnen und Experten des Faches?
Verstehen ist vielschichtig. Wie zeigt sich Verstehen? Woran erkenne ich, ob jemand etwas verstanden hat?
Verstehendes Lernen geht den Dingen auf den Grund.
Was braucht es dazu?
Verstehen braucht Auseinandersetzung und Zeit.
Welche Inhalte/Aufgaben eignen sich für eine (vertiefte) Auseinandersetzung?
Tabelle 1: Kernideen und Kernfragen zu Lerndesignarbeit
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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School Walkthrough: Ermittlung des IST-Standes
Fokus auf Rückwärtiges Lerndesign
Weiterführend Lernzielorientierung: Alle orientieren sich konsequent an den Lernzielen und den Erfolgskriterien. Die Lernenden bestimmen die Ziele und den Lernweg mit. Sowohl Lern- als auch Leistungsaufgaben sind relevant, authentisch und glaubwürdig und er-möglichen die Sichtbarmachung des angestrebten Zielbildes.
Klarheit & Transparenz: Die Lernenden wissen, wie sie ihre Kompetenz unter Beweis stellen können. Sie schätzen die Qualität ihrer Leistung nach transparenten, nachvoll-ziehbaren Erfolgskriterien akkurat ein und dokumentieren ihre Entwicklung.
Planungsflexibilität: Alle haben Raum und Zeit, den eigenen Weg zum Ziel zu be-stimmen. Die Dokumentation der eigenen Kompetenzentwicklung wird als Information für Entscheidungen genützt, damit Lern- und Lehraktivitäten möglichst wirksam sind.
Ziel Lernzielorientierung: Lernziele sind in Verstehen, Wissen und Können unterteilt. Sie sind untereinander stimmig und stellen ein klares Kompetenzbild dar. Das Zielbild ist im Einklang mit den Bildungsstandards und dem Fachlehrplan. Erfolgskriterien sind authentisch und stimmen mit dem Zielbild überein.
Klarheit & Transparenz: Lernziele und Erfolgskriterien sind transparent und für alle als Zielbild nachvollziehbar. Sie fungieren stets als Orientierung für Lehr- und Lern-prozesse. Das Wechselspiel offener, sinnstiftender Kernfragen und Kernideen stellt das Erkennen und Verstehen im Mittelpunkt.
Planungsflexibilität: Das Zielbild dient als Referenzrahmen für Lehr- und Lernprozes-se. Sowohl Lehrende als auch Lernende haben Spielraum für die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen und treffen Entscheidungen über nächste Schritte auf Basis von Erfolgskriterien.
Am Weg Lernzielorientierung: Lernziele sind in Verstehen, Wissen und Können unterteilt und beschreiben das Kompetenzbild, das am Ende beurteilt wird. Bezug zu Bildungsstan-dards und Fachlehrplan ist teils gegeben. Erfolgskriterien sind angedeutet und rele-vant zum Ziel.
Klarheit & Transparenz: Lernziele sind für alle als Ziel zugänglich und als Gesamtbild nachvollziehbar. Kriterien sind angedeutet; die Lernenden wissen zum Teil, wie sie ihre eigene Leistung einschätzen können.
Planungsflexibilität: Das Lerndesign ermöglicht Flexibilität bei der Planung von Lehr- und Lernprozessen. Mehrere Wege zum Ziel bzw. Handlungsoptionen sind möglich. Lehrkräfte adaptieren nach Bedarf Lehr- und Lernaktivitäten und treffen ihre Ent-scheidungen im Bezug zum Zielbild.
Beginnend Lernzielorientierung: Geplante Aktivitäten werden als Tun-Können-Ziele dargestellt. Verstehensziele kommen nicht vor bzw. werden mit Wissenszielen verwechselt. Kern-fragen und Kernideen, falls vorhanden, deuten auf leicht abprüfbares Wissen hin.
Klarheit & Transparenz: Lernziele sind als Teilziele erkennbar und für jede/n zugäng-lich. Das, was am Ende beurteilt wird, ist implizit und lässt mehrere Interpretationen zu. Erfolgskriterien sind beiläufig angedeutet oder implizit.
Planungsflexibilität: Lehr- und Lernaktivitäten bzw. Lehr- und Lernprozesse sind weitgehend fixiert. Es gibt wenig Raum, lernförderliche Entscheidungen mitten im Geschehen zu treffen. Abweichungen irritieren und erzeugen Druck, werden häufig als Probleme bzw. Mängel behandelt.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Noch nicht Lernzielorientierung: Unterrichtsplanung besteht aus Lehrzielen und Aktivitäten ent-lang einer Zeitachse. Konkrete Lernziele bzw. Erfolgskriterien entstehen im Tun und variieren je nach Situation bzw. Schüler/in. Leicht abprüfbares Wissen und Können sind im Fokus.
Klarheit & Transparenz:Die zu erzielenden Kompetenzen, Anforderungen bzw. Lern-ziele lassen sich schwer erkennen. Lernenden handeln in Erfüllung ihrer Aufgaben und tun sich schwer, ihre Arbeit in Beziehung zu Kompetenzen bzw. außerschulischen Kon-texten zu setzen. Sinn und Zweck fehlen.
Planungsflexibilität: Der Zeitplan ist eng und räumt wenig bis kaum zeitlichen Spiel-raum für Ungeplantes bzw. individuelle Lernbedürfnisse ein. Die Unterrichtsplanung bzw. das Schulbuch engt ein und verursacht Druck.
Tabelle 2: School Walkthrough zum Bereich Rückwertiges Lerndesign (Hofbauer & Westfall-Greiter, 2015)
Was ist Lerndesign?
Der Begriff Lerndesign wird in Anlehnung an Wiggins and
McTighes (2005) „Understanding by Design“ (Verstehen nach
Plan) in der Unterrichtsentwicklung der NMS in dreifacher Weise
verwendet: „Lerndesign“ steht für die Kompetenz einer Lehrper-
son, den Unterricht, ausgehend von seinem beabsichtigten Ende,
inhaltlich zu planen. „Lerndesign“ steht auch für den Prozess dieser
inhaltlichen Entwicklung (auch „Lerndesignarbeit“) und „Lernde-
sign“ bezeichnet das Produkt, das dabei herauskommt.
Das Produkt Lerndesign besteht aus Kernideen und Kernfragen,
Lernzielen (Verstehen, Wissen und Tun-Können), die einen klaren
Bezug zu den Bildungsstandards (BiSta) aufweisen, einer oder
mehreren authentischen Leistungsaufgaben, die den Lernerfolg sichtbar machen, sowie Kriterien, anhand
derer die Lernleistung/das Lernprodukt auf unterschiedlichen Qualitätsstufen beschrieben und letztendlich
beurteilt werden kann.
Erster Schritt in der Lerndesignarbeit: Das WAS
Im ersten Schritt des Lerndesignprozesses wird das WAS des Unterrichts festgelegt. Die Schulwirksam-
keitsforschung zeigt auf, dass Lernerfolg im Zusammenhang mit Klarheit über die Lernziele und Krite-
rien steht. Hattie fasst es zusammen:
„Learning starts with ‚backward design‘… with the teacher (and preferably also the student)
knowing the desired results (expressed as success criteria related to learning intentions) and
then working backwards to where the student starts the lesson“. (2011, S. 93)
In der Lerndesignarbeit hat das WAS Priorität und kommt vor dem WIE, d.h. vor der genauen Planung
von Aktivitäten und Prozessen im Unterricht. Welche Themenbereiche sind für den Kompetenzaufbau
wesentlich? Was sollen die Schülerinnen und Schüler verstehen, damit sie in ihren jeweiligen Lebenskon-
texten erfolgreich handlungsfähig sind?
Die Lerndesignarbeit ist eine Form von Unterrichtsplanung, die die Ansprüche von Lehr-plänen und Bildungsstandards ernst nimmt. Es ist eine Philo-sophie, der es darum geht, dass Schülerinnen und Schüler verstehen und das tun kön-nen, was für ihr Leben Rele-vanz hat.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Die „rückwärtige“ Jahresplanung
Die Jahresplanungen sind an den meisten Schulen bis Mitte Okto-
ber der Schulleitung vorzulegen. Deren Entstehungsgeschichten
sind höchst unterschiedlich, genauso wie die Art und Weise, wie
mit Jahresplanungen nach deren Absegnung durch die Schulleitung
verfahren wird, bzw. wie sie weiterhin verwendet werden. Dabei
reicht der Bogen vom Kopieren einer Jahresplanung aus der
Schublade bis hin zu maßgeschneiderten Jahresplanungen, die vom
Fachteam entwickelt werden.
Vom Team entwickelte Jahresplanungen sind wie Landkarten für das Schuljahr und gründen auf einem
Planen „vom Ende her“. Sie beinhalten langfristige Zielsetzungen, Kernideen und Kernfragen, Hinweise
auf den Bezug zum Lehrplan und zu den Bildungsstandards, ausgewählte Themen- bzw. Themenbereiche
mit den wesentlichen Lernzielen (Verstehen, Wissen, Tun-Können) und Zeitangaben. Sie sind eine Glo-
baldarstellung (big picture) von mehreren Lerndesigns. Ein Beispiel dazu wird im Praxisteil illustriert.
Denkpause
Überlegen Sie für sich alleine oder gemeinsam mit Fachkolleginnen und Fachkolle-gen:
Wie viel Raum und Zeit gebe ich dem Verstehen in meinem Unterricht?
Wie mache ich meinen Schülerinnen und Schülern die Lernziele transpa-rent? Wissen sie um die (Reise-)Ziele?
Wie gestalten Sie Jahresplanungen? Wie entstehen sie?
Welchen Sinn sehen Sie in Jahresplanungen? Was sind für Sie die wesentli-chen Punkte, die enthalten sein müssen?
Werden Ihre Jahrespläne nach „Absegnung“ durch die Schulleitung schub-ladisiert oder sind sie Begleiter durch das Schuljahr, auf die Sie immer wieder zurückgreifen?
Wo stehen Sie in Ihrer Kompetenzentwicklung zum Bereich „Lerndesignar-beit“? Treffen Sie eine Einschätzung anhand des School Walkthrough-Rasters.
Tipp
Vertiefende Unterlagen zur Lerndesignarbeit (Videos, Artikel, Bücher, Präsentati-onen, gesetzliche Verankerung) finden Sie in der NMS-Bibliothek: www.nmsvernetzung.at
Quellen und Downloads
BGBl. II-(30. Mai 2012 –Nr.185). Die gesetzlichen Grundlagen zur rückwärtigen Entwicklung von Lehr- und Lerninhalten sind in der Lehrplanverordnung (LPVO) Teil 3, S.12 verankert: https://www.bmbf.gv.at/schulen/recht/erk/bgbla_2012_ii_185_ anl1_22513.pdf?4dzi3h
Isecke, H. (2013). Lernziele setzen - Wege definieren. Unterrichtsplanung von der Reihe bis zur Einzelstunde. Mühlheim an der Ruhr: Verlag an der Ruhr.
„To begin with the end in mind means to start with a clear understanding of your destina-tion. It means to know where you’re going so that you better understand where you are now so that the steps you take are always in the right direction“ (Covey, 1989, S. 98).
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Umsetzung des WAS in der Praxis: Entwicklung eines Lerndesigns
Ein Lerndesign ist wie ein Puzzle, es mag zwar durch den Formularcharakter den Anschein erwecken,
dass es chronologisch „abgearbeitet“ wird, der Einstieg kann aber von vielen Seiten erfolgen:
Wer also bereits eine besonders reizvolle, konkrete Leistungsaufgabe (beispielsweise für die
Schularbeit) im Kopf hat, beginne doch damit.
Wer eher kriterienorientiert starten möchte – Weg frei!
Auch vom Lehrplan ausgehend kann der Lerndesignprozess seinen Lauf nehmen.
Wir waren beispielsweise vom Titel („Ich bin ich und du bist du“) zu unserem Lernthema (sich
vorstellen und mündlich und schriftlich präsentieren) so inspiriert, dass wir – davon ausgehend –
unser Lerndesign entwickelt haben.
…
Unser Lernthema drängte sich am Beginn der 5. Schulstufe förmlich auf: „Sich mündlich und schriftlich
präsentieren“ ist beim Ankommen in einer neuen Klasse einer neuen Schulform lebensnah und authen-
tisch.
Das Skelett des Lerndesigns – die Überschriften Kernideen und Kernfragen, Lernziele (Verstehen, Wis-
sen, Können), Bildungsstandards (BiSta), Leistungsaufgabe(n), Kriterien – schafft wie das menschliche
Skelett Zusammenhalt und lässt kein Weglassen eines oder mehrerer Teile zu. Dieses Gerüst wird nun
individuell (am besten im Fachteam) gefüllt und somit lebendig.
Das Lerndesign schafft Verbindlichkeit in der Kollegenschaft und zwischen Lehrpersonen und Schülerin-
nen und Schülern und ist während der Durchführung nicht mehr verhandelbar. Man kann das Lerndesign
sogar für die Phase der Durchführung als einen „Vertrag“ zwischen Lehrerinnen und Lehrern und zwi-
schen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern sehen. Es ist jedoch sehr wohl für die Zukunft immer
wieder in Veränderung und Verbesserung begriffen. Denn oft erst im Tun werden Lücken oder Inhalte,
die sich nicht bewährt haben, sichtbar.
Der Übersichtlichkeit halber wollen wir unser Lerndesign an dieser Stelle als Ganzes (mit einer Leis-
tungsaufgabe zum Kompetenzbereich Schreiben für eine Schularbeit) sichtbar machen und im weiteren
Verlauf dieser Praxiseinblicke immer wieder Teile daraus beleuchten, in der Hoffnung, dass diese Drauf-
sicht für Sie Orientierung schafft. Die Kompetenzbereiche Zuhören und Sprechen sowie Lesen werden in
späterer Folge an geeigneterer Stelle behandelt.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Lerndesign „ICH BIN ICH UND DU BIST DU“
(nach einem Gedicht von Irmela Brender; in Führmann, 1980)
Erstellerin Gerti Leidinger, Christian Stadler
Gegenstand Deutsch
Schulstufe 5 (je nach Komplexitiät und Literaturauswahl auch in höheren Schulstufen möglich)
Einheiten ca. 40
Lernthema sich vorstellen und mündlich und schriftlich präsentieren
Bezug zum Lehrplan
Beziehungen aufnehmen, ausbauen und gemeinsames Handeln ermöglichen: Einfa-che Mittel kennen lernen und anwenden um Gespräche partner- und situationsge-recht zu führen
Vertraute Gesprächsformen anwenden und neue kennen lernen
Texte verfassen um persönliche Beziehungen auszudrücken
Interessen wahrnehmen: Eigene Absichten und Absichten anderer wahrnehmen und mit eigenen Worten ausdrücken
Informationsquellen erschließen: Personen befragen, Auskünfte einholen
Informationen aufnehmen und verstehen: Die Fähigkeit zum sinnerfassenden Lesen weiterentwickeln
Persönliche Zugänge zu literarischen Texten finden, im Besonderen aus der Kinder- und Jugendliteratur
Tabelle :. Lerndesign „Ich bin ich und du bist du“
Bezug zu BiSta:
Zuhören und Sprechen
Altersgemäße mündli-che Texte im direkten persönlichen Kontakt oder über Medien ver-mittelt verstehen
1. Schülerinnen und Schüler können das Hauptthema gesprochener Texte erkennen
Gespräche führen 6. Schülerinnen und Schüler können grundlegende Gesprächsregeln ein-halten
Inhalte mündlich prä-sentieren
10. Schülerinnen und Schüler können artikuliert sprechen und die Stan-dardsprache benutzen
11. Schülerinnen und Schüler können stimmliche (Lautstärke, Betonung, Pause, Sprechtempo, Stimmführung) und körpersprachliche (Mimik, Ges-tik) Mittel der Kommunikation in Gesprächen und Präsentationen ange-messen anwenden.
Tabelle 3: BiSta-Bezug – Zuhören und Sprechen
Lesen
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Ein allgemeines Ver-ständnis des Textes entwickeln
14. Schülerinnen und Schüler können das Hauptthema eines Textes/eines Textabschnittes erkennen
Explizite Informationen ermitteln
21. Schülerinnen und Schüler können Wortbedeutungen mit Hilfe von (elektronischen) Nachschlagewerken klären
Den Inhalt des Textes reflektieren
27. Schülerinnen und Schüler können Eigenschaften, Verhaltensweisen und Handlungsmotive von Figuren in altersgemäßen literarischen Texten reflektieren
Tabelle 4: BiSta-Bezug – Lesen
Schreiben
Texte planen 30. Schülerinnen und Schüler können ihren sprachlichen Ausdruck an Schreibhaltung und Textsorte anpassen
Texte verfassen 33. Schülerinnen und Schüler können Sachverhalte und Inhalte nachvoll-ziehbar, logisch richtig und zusammenhängend formulieren
36. Schülerinnen und Schüler können unter Einhaltung wesentlicher Kom-munikationsregeln an einer altersgemäßen medialen Kommunikation teil-nehmen (z. B.E-Mail, Leserbrief …)
Tabelle 5: BiSta-Bezug – Schreiben
Sprachbewusstsein
Wortarten und Wort-strukturen kennen und anwenden
45. Schülerinnen und Schüler können Wortarten und ihre wesentlichen Funktionen erkennen und benennen
Über einen differenzier-ten Wortschatz verfügen und sprachliche Aus-drucksmittel situations-gerecht anwenden
49. Schülerinnen und Schüler können Sprachebenen unterscheiden (z. B.gesprochene und geschriebene Sprache, Dialekt, Umgangssprache, Standardsprache) und an die kommunikative Situation anpassen
Über Rechtschreibbe-wusstsein verfügen
52. Schülerinnen und Schüler können Arbeitshilfen zur Rechtschreibung (z. B.Wörterbuch) einsetzen
Tabelle 6: BiSta-Bezug – Sprachbewusstsein
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Kernideen Kernfragen
Veränderungen fordern uns heraus. (Annemarie Huemer)
Wer bin ich?
Jede, jeder ist anders anders. Wer bist du?
Mit jedem spricht man anders. Wer ist er/sie?
Sprache schafft Beziehung. Wie siehst du mich? Wie siehst du dich?
Freundschaften und Kontakte brauchen Pfle-ge.
Wie sehe ich dich? Wie sehe ich mich?
Jede, jeder nimmt (etwas) ander(e)s wahr. Wie siehst du ihn/sie? Wie sieht er/sie sich?
Ich sehe mich anders als du. Wie sehe ich ihn/sie? Wie sehen wir ihn/sie?
Schreiben und Sprechen sind wie Malen mit Worten.
Was ist wahr?
Sich Vorstellen hat einen Rahmen. Wozu?
„Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“ (Heraklit)
Wie gelingt das?
Wie wirkt sich das aus?
Tabelle 7: Kernideen und Kernfragen zum Lerndesign
Welche Missverständnisse, Irrtümer oder Einstellungen im Zusammenhang mit diesem Thema
kommen häufig vor, die das Lernen möglicherweise be- bzw. verhindern können?
Ich bin gut in Deutsch.
Ich bin schlecht in Deutsch.
Ich kenne meine Mitschülerinnen und Mitschüler schon.
Meine Mitschülerinnen und Mitschüler kennen mich bereits.
Ich möchte mich nicht vorstellen.
Mir fällt zu mir selbst nichts ein.
Mir ist es unangenehm, über mich zu sprechen.
Ich habe Angst vor den anderen.
Nur ich bin wichtig.
Die Meinung anderer (mir gegenüber) stört mich.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Verstehen Wissen Tun-Können
Die Schülerinnen und Schüler verstehen,
dass Veränderungen uns (sprach-lich) herausfordern (hier: Schul-wechsel, neue Schulform, neue Klassenkolleg/innen,…) und un-sere Bereitschaft und Energie benötigen.
…,dass jede/r anders anders ist (Diversität).
…, dass man situationsabhängig mit jedem anders spricht.
…, dass Sprache Beziehung schafft.
…, dass Freundschaften und Be-ziehungen aufzubauen bzw. zu erhalten Zeit und Energie benö-tigt.
…, dass Wahrnehmung subjektiv ist.
…, dass Schreiben und Sprechen wie Malen mit Worten ist. Es entstehen Bilder im Kopf.
…, dass sich dabei Genauigkeit (Wortschatz) lohnt.
…, dass jede Kommunikation (hier: sich Vorstellen) situations-abhängig nach bestimmten Mus-tern erfolgt.
…, dass sich Vorstellen ein Teil des Lebens ist.
Die Schülerinnen und Schüler wissen:
Handhabung E-Mail (Account erstellen, Anwendung, Anre-defürwörter, Grußformeln)
Steckbrief als mögliche Form der Informationsstruk-turierung, um beispielsweise sich selbst oder andere vor-zustellen
Nomen, Verb, Adjektiv und jeweilige Funktionen
Personalpronomen und die Verschiebeprobe helfen ei-nen Text abwechslungsreich zu gestalten (Wortwiederho-lungen zu vermeiden)
äußere Strukturhilfen (Ab-sätze, Pausen beim Spre-chen)
(Struktur-)Beispiele für die Beschreibung von Personen: Steckbrief, gelungene Bei-spiele von Schüler/innen, Beispiele aus der Literatur
grundlegende Gesprächsre-geln (Blickkontakt, ausreden lassen, auf das Gegenüber eingehen)
Standardsprache bzw. Um-gangssprache
Alphabet für das richtige Nachschlagen im Österrei-chischen Wörterbuch (ÖWB)
Gebrauchswortschatz
Die Schülerinnen und Schüler können…
… Kontakt(e) aufnehmen,
… sich mitteilen,
… der Situation entsprechend per E-Mail kommunizieren,
… sich Informationen von ande-ren Personen oder zu literari-schen Figuren einholen bzw. Informationen über sich selbst geben,
… sich selbst adressatengerecht schriftlich wie mündlich wir-kungsvoll vorstellen,
damit sie auf lange Sicht in der Lage sind, sich selbst als Teil einer Gemeinschaft einzubringen und zu erleben. (= langfristiges Ziel dieses Lernthemas).
Person Gruppe
Die Lernenden werden persönlich profitieren, indem sie
ein E-Mail-Konto einrichten können
E-Mails als rasches Mittel der Kommunikation verwenden können
sich selbst besser kennen lernen
ihre eigene Wirkung in einer Gemeinschaft er-fahren
Die Lerngemeinschaft wird profitieren, indem:
sie sich gegenseitig besser kennen lernt
die Klassengemeinschaft gestärkt wird
das Einhalten von Gesprächsregeln ein besseres Miteinander ermöglicht
Tabelle 8: Übersicht – Verstehen, Wissen, Tun-Können für die Person, Gruppe und Lerngemeinschaft
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Leistungsfeststellung:
Zu den Kompetenzbereichen „Schreiben und „Sprachbewusstsein“:
Welche Aufgabe stellt einen Anspruch, der das langfristige Ziel sichtbar macht?
Situation/Kontext Ein neuer Schüler und eine neue Schülerin kommen in die Klasse und möch-ten etwas über die Mitschüler/innen im Vorfeld durch einen E-Mail-Kontakt erfahren.
Ziel: Sich adressatengerecht vorstellen (Was möchte wer wissen?)
Produkt/Leistung E-Mail
Für wen? an eine/n neue/n Klassenkollegen/in
In welcher Rolle? als zukünftige/r Klassenkollege/in
Beurteilungskriterien - Inhalt - Textsortenbewusstsein - Sprachbewusstsein - Wirkung
Aufgabenstellung: Dein Klassenvorstand kündigt an, dass in Kürze die Zwillinge Anna und Paul in eure Klasse kommen. Die beiden stammen aus Berlin und möchten jede, jeden aus der Klasse genauer kennen lernen.
Stelle dich in Form einer E-Mail bei Anna oder Paul vor und informiere über: dich und deine Familie (oder Personen, die dir am nächsten stehen), deine Schule und was dir wichtig ist!
Tabelle 9: Authentische Aufgabenstellung zu „Schreiben“ und „Sprachbewusstsein“
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Raster zur Leistungsmessung:
Kompetenzbereich Schreiben, 5. Schulstufe
Qualitäts-stufen
Kriterien (Inhalt, Merkmale der Textsorte, Sprachbewusstsein, Wirkung) und Indikatoren (Wie zeigt sich das in der Leistung der Schülerin, des Schülers?)
4.0
wie 3.0 + „Wow-Effekt“:
über das Zielbild hinaus gehende, individuelle Leistung in Bezug auf den Arbeitsauftrag, im Speziellen … (hier wird handschriftlich vermerkt, siehe Beispiel im Kapitel „Krite-rien“, S. 42 ff.)
3.0
Inhalt: Die Aufgabenstellung ist vollständig erfüllt. Der Text folgt durchgängig einer Logik, er besitzt einen „roten Faden“ und hat eine angemessene Länge (siehe Angabe).
Textsortenbewusstsein: Die Merkmale der Textsorte (hier: E-Mail) sind vollständig vor-handen.
Sprachbewusstsein: Die Gliederung des Textes ist klar erkennbar, Absätze markieren einen neuen Gedanken oder ergeben eine größere Sinneinheit. Der Wortschatz in Bezug auf die Aufgabenstellung ist treffend, abwechslungsreich und umfangreich. Die Wortwahl ist zum Thema passend und korrekt. Einzelne Rechtschreib- und Grammatikfehler beein-flussen die Lesbarkeit des Textes nicht.
Wirkung: Der Text erzielt die von der Schreiberin, vom Schreiber beabsichtigte Wirkung bei der Leserin, beim Leser (in diesem Fall: ein förderliches In-Kontakt-Treten mit Anna oder Paul, ein Sich-Willkommen-Fühlen von Anna oder Paul).
2.0
Inhalt: Die Aufgabenstellung ist weitgehend (deutlich mehr als die Hälfte) erfüllt. Der Text folgt weitgehend einer Logik, er besitzt größtenteils einen „roten Faden“. Er hat eine angemessene Länge, kann jedoch knapp unter der geforderten Wortanzahl liegen (ca. 10%).
Textsortenbewusstsein: Die Merkmale der Textsorte (hier: E-Mail) sind bis auf vernach-lässigbare Einzelheiten alle vorhanden. Die fehlenden Teile stören die geforderte Textsor-te als solche nicht.
Sprachbewusstsein: Absätze sind größtenteils vorhanden. Der Wortschatz in Bezug auf die Aufgabenstellung ist begrenzt, daraus resultieren gelegentliche Wortwiederholungen. Die Wortwahl ist in Einzelfällen falsch (z. B. 2. Stammform) oder unpassend. Mehrere Rechtschreib- und Grammatikfehler beeinflussen die Lesbarkeit des Textes nicht.
Wirkung: Der Text erzielt weitgehend die vom Schreiber/der Schreiberin beabsichtigte Wirkung bei der Leserin, beim Leser.
1.0
Inhalt: Der Text unterschreitet zwar die geforderte Länge, aber die Aufgabenstellung und der „rote Faden“ sind noch erkennbar.
Textsortenbewusstsein: Die geforderte Textsorte (hier: E-Mail) ist als solche erkennbar.
Sprachbewusstsein: Zumindest ein Absatz wurde nachvollziehbar eingesetzt. Der Wort-schatz in Bezug auf die Aufgabenstellung ist für das Textverständnis brauchbar. Die Wort-wahl ist teilweise falsch oder unpassend, aber für das Gesamtverständnis des Textes noch nicht störend. Häufige Rechtschreib-und Grammatikfehler beeinflussen die Lesbarkeit des Textes teilweise.
Wirkung: Der Text erzielt teilweise die von der Schreiberin, vom Schreiber beabsichtigte Wirkung bei der Leserin, beim Leser.
Tabelle 10: Leistungsmessung – Kompetenzbereich Schreiben
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
17
Anmerkungen zu diesem Raster:
Dieser Beurteilungsraster für den Kompetenzbereich Schreiben gilt für die gesamte 5. Schulstufe und
muss nur im Bereich „Wirkung“ der jeweiligen Textsorte (Sachinformationen aus einem Text entnehmen,
Erzählung,…) und Aufgabenstellung angepasst werden.
Ad „4.0“: Diese höchste Qualitätsstufe entspricht nach der Leistungsbeurteilungsverordnung (LBVO) der
Note „Sehr gut“ und setzt ein hohes Maß an Eigenständigkeit voraus. Da diese persönlichen Leistungen
über das definierte Zielbild hinaus gehen, haben wir dieses Feld bewusst sehr offen gehalten, um nicht
durch Definitionen Unerwartetes zu blockieren. In zahlreichen Gesprächen unter Deutschlehrerinnen und
Deutschlehrern hat sich der Begriff „Wow-Effekt“ für den 4.0-Bereich ergeben. Unter diesem für uns
hilfreichen Begriff verstehen wir beispielsweise:
zusätzliche Informationen außerhalb der Angaben
herausragender Wortschatz für diese Schulstufe
Empathie zeigen
Text ohne Rechtschreibfehler
…
Diese Leistungen haben wir jeweils handschriftlich auf den dafür vorgesehenen Zeilen im 4.0-Bereich
vermerkt.
Ad „Sprachbewusstsein“: Diesem Raster liegen Grundgedanken aus den Bildungsstandards zugrunde.
Zuerst sind Inhalte aus der Ausbildung für die Bewertung von Schülerinnen- und Schülerarbeiten im
Rahmen der D8-Testung (Rasterausbildung) in diesem Raster zu finden. Weiters entdeckten wir im Kom-
petenzmodell Deutsch (siehe unten) beim Kompetenzbereich „Sprachbewusstsein“ folgende Bereiche:
Strukturen, Wortschatz, Regeln, Wirkung und Ausdrucksmittel. Aus diesem Umstand heraus hat in unse-
rem Raster das Kriterium Sprachbewusstsein einen hohen Stellenwert und wir haben tradierte Kategorien
für die Beurteilung wie Ausdruck und Gliederung in diesem Kriterium Sprachbewusstsein eingearbeitet.
Damit ergibt sich der Umstand, dass der Kompetenzbereich Sprachbewusstsein sich ganz bewusst im
Kompetenzbereich Schreiben wieder findet. Auch in allen anderen Bereichen ist das Sprachbewusstsein
zentral und nie losgelöst behandelt.
So ist das Sprachbewusstsein in seiner zentralen Position die Grundvoraussetzung um überhaupt in den
anderen Kompetenzbereichen sinnvoll zu handeln!
Abbildung 1: Kompetenzmodell – BiSta Deutsch
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
18
Umsetzung des WAS in der Praxis: Entwicklung von Kernideen
An dieser Stelle könnte es hilfreich sein, den Begriff „Design“ – vorerst abgekoppelt von „Lerndesign“ –
heranzuziehen. Etwas zu „designen“ meint zuerst einmal eine Sache in ihrer Essenz zu begreifen. Einen
Sessel beispielsweise macht aus, dass man auf ihm – wie gemütlich oder ungemütlich auch immer – sit-
zen kann, das ist der „Kern der Sache“. Wenn man jedoch einen Sessel „designt“, auf welchem man
schlussendlich nicht Platz nehmen kann, hat man die Essenz von „Sessel“ nicht begriffen. Erst wenn man
diese vor Augen hat, kann man sich gestalterisch austoben und bleibt dennoch dem „Sessel“ in seinem
Wesen treu. Man arbeitet vom „Wesentlichen“ heraus. So verhält es sich mit den Kernideen – sie sind
„Kern der Sache“ und halten das Lerndesign im Innersten zusammen. (G. L.)
Unsere Kernideen zu „Ich bin ich und du bist du“, welches im Rahmen unseres Lerndesigns sowohl als
Titel wie auch als „Hauptkernidee“ zu begreifen ist, entwickelten sich – wie bereits im „Vorwort“ zu
unserem Lerndesign angekündigt – puzzleartig, sprunghaft, also als Einstieg, zum Schluss und vor allem
„dazwischen“. Dies sei hier angeführt, um nicht dem Irrglauben zu erliegen, man müsse Kernideen als
„Gesamtpaket“ entwickeln, was den Lerndesignprozess erheblich blockieren könnte.
Auch die Menge unserer Kernideen sei bitte keineswegs Richtwert, es reicht auch „eine verdammt gute“,
je nach Inhalten. Wir haben sowohl unsere Kernideen als auch unsere Kernfragen (siehe Lerndesign) ein
wenig geclustert, sodass zwei davon (hier fett gedruckt) sozusagen die „Führung“ der anderen überneh-
men. Da wir auf keine unserer Ideen hier verzichten wollten, da jede Weglassung hier unseres Erachtens
eine schmerzvolle Lücke erzeugen würde, sind es doch einige geworden. Diese seien im Folgenden noch
einmal aufgelistet, um sie im Lerndesign klar als Teilstück verorten zu können. Wir haben sie – wo es uns
als informativ erschien – mit kurzen Kommentaren versehen:
Kernideen
Veränderungen fordern uns heraus. (Annemarie Huemer)
Gerade beim Übertritt in eine neue Schulform wie auch in eine neue Klasse wird diese Kernidee wirksam und spürbar. Herausforderung kann nun positiv wie auch negativ besetzt sein, je nachdem, wie man sich der Veränderung stellt.
Jede, jeder ist anders anders.
Diese Kernidee ist die Kernidee der NMS schlechthin. Diversität als etwas Positives zu erle-ben ist ein großes Ziel in diesem Lernzeitraum.
Mit jeder, jedem spricht man anders.
Sprache schafft Beziehung.
Freundschaften und Kontakte brauchen Pflege.
Jede, jeder nimmt (etwas) ander(e)s wahr.
Ich sehe mich anders als du.
Schreiben und Sprechen sind wie Malen mit Worten.
Sich Vorstellen hat einen Rahmen.
„Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“ (Heraklit)
Diese Kernidee weist auf die „Situiertheit“ von Sprech-, Schreib- und Leseakten hin. Das Unplanbare spielt hier herein.
Tabelle 11: Kernideen zum Lerndesign
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
19
All diese Kernideen sind unverrückbar für alle Schülerinnen und Schüler gleich – sie bilden ab, was es
spätestens am Ende dieses Lernzeitraums für alle zu verstehen gilt. Sichtbar kann dieses Verständnis u. a.
in einer geeigneten Aufgabe werden.
Umsetzung des WAS in der Praxis: Lernziele festlegen
Die Lernziele sind im Rahmen des Lerndesigns – vielleicht anders als gewohnt bzw. tradiert – in den drei
Dimensionen „Verstehen“, „Wissen“ und „Tun-Können“ festzulegen. Auch sie können sich je nach Vor-
lieben linear wie sprunghaft entwickeln. Die Kernideen spiegeln sich – wie hier sichtbar wird – in den
„Verstehenszielen“ wieder, „Wissen“ meint Daten und Fakten und „Können“ meint hier Handlungsorien-
tierung: in konkreten Situationen entsprechend handeln können. Auch sie seien als größeres Teilstück zur
Verortung im gesamten Lerndesign im Folgenden noch einmal aufgelistet:
Verstehen Wissen Tun-Können
Die Schülerinnen und Schüler verstehen,
…, dass Veränderungen uns (sprachlich) herausfordern (hier: Schulwechsel, neue Schulform, neue Klassenkolleg/innen,…) und unsere Bereitschaft und Energie benötigen.
…, dass jede, jeder anders an-ders ist (Diversität).
…, dass man situationsabhängig mit jeder, jedem anders spricht.
…, dass Sprache Beziehung schafft.
…, dass Freundschaften und Be-ziehungen aufzubauen bzw. zu erhalten Zeit und Energie benö-tigt.
…, dass Wahrnehmung subjektiv ist.
…, dass Schreiben und Sprechen wie Malen mit Worten ist. Es entstehen Bilder im Kopf.
…, dass sich dabei Genauigkeit (Wortschatz) lohnt.
…, dass jede Kommunikation (hier: sich Vorstellen) situations-abhängig nach bestimmten Mus-tern erfolgt.
…, dass sich Vorstellen ein Teil des Lebens ist.
Die Schülerinnen und Schüler wissen:
Handhabung E-Mail (Account erstellen, Anwendung, An-redefürwörter, Grußfor-meln)
Steckbrief als mögliche Form der Informationsstruk-turierung, um beispielswei-se sich selbst oder andere vorzustellen
Nomen, Verb, Adjektiv und jeweilige Funktionen
Personalpronomen und die Verschiebeprobe helfen ei-nen Text abwechslungs-reich zu gestalten (Wort-wiederholungen zu vermei-den)
äußere Strukturhilfen (Ab-sätze, Pausen beim Spre-chen)
(Struktur-)Beispiele für die Beschreibung von Personen: Steckbrief, gelungene Bei-spiele von Schüler/innen, Beispiele aus der Literatur
grundlegende Gesprächs-regeln (Blickkontakt, ausre-den lassen, auf das Gegen-über eingehen)
Standardsprache/Umgangs-sprache
Alphabet für das richtige Nachschlagen im ÖWB
Gebrauchswortschatz
Die Schülerinnen und Schüler können…
… Kontakt(e) aufnehmen,
… sich mitteilen,
… der Situation entsprechend per E-Mail kommunizieren,
… sich Informationen von ande-ren Personen oder zu literari-schen Figuren einholen bzw. Informationen über sich selbst geben,
… sich selbst adressatengerecht schriftlich wie mündlich wir-kungsvoll vorstellen.
Tabelle 12: Verstehen, Wissen, Tun-Können – Festlegung von Lernzielen
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
20
Umsetzung des WAS in der Praxis: Die Jahresplanung als Orientierung auf dem Weg zum Ziel
Die unserem Lerndesign zu entnehmenden Bereiche „Lehrplan“, „BiSta“, „Kernideen“, „Kernfragen“
„Lernziele“ (Verstehen, Wissen, Tun-Können) samt langfristigem Ziel ergeben als Themenbereich „Sich
vorstellen und schriftlich und mündlich präsentieren“ zusammen mit dem Lerndesign-Titel „Ich bin ich
und du bist du“ den ersten von mehreren (in unserem Fall sechs) Abschnitten einer möglichen Jahrespla-
nung für die 5. Schulstufe.
An meinem Schulstandort, der NMS Taxham, hat es sich bewährt, die Nachmittage der ersten Schulwo-
che eines neuen Schuljahres für das Entwerfen von „Themenlandkarten“ zu nützen. Was das bedeutet,
soll an dieser Stelle kurz erklärt werden:
Jedes Klassenteam trifft sich in diesem Zeitraum für einen Nachmittag und legt fächerübergreifende
Themen für das gesamte Schuljahr fest, in unserem Fall „Meine Freunde und ich“, welches sich im Fach
Deutsch dann zu „Ich bin ich und du bist du“ entwickelt hat (die für uns hier relevanten Teile sind in der
„Landkarte“ grau unterlegt). Dabei bringt sich jedes Fach – vertreten durch die jeweilige Lehrperson – bei
der fachspezifischen Konkretisierung ein. Diese Phase ist aus meiner Erfahrung eine höchst kreative – es
„blitzt“ nur so von Ideen, die in der „Landkarte“ (siehe unten) Niederschlag finden. Ich empfinde diese
Nachmittage als höchst motivierend – sie beflügeln das Bild des eigenen Faches und das tut, so denke ich,
uns allen gut. Durch diese Vorgehensweise ist fächerübergreifendes Unterrichten förmlich „aufgelegt“ –
es bedarf keiner umständlichen Besprechungen, wie, wann, wer, was,…, man kann vielmehr jederzeit an
ein oder mehrere andere Fächer andocken – und das auch spontan. Das Ergebnis ist ganz simpel – und
dennoch eine Orientierungshilfe für ein Klassenteam während eines gesamten Schuljahres. Anstelle der
Monatsangaben könnte man auch „Zeitraum 1, 2,…“ oder dergleichen anführen, je nachdem, wie genau
man sich zeitlich festlegen will. Aus unserer Erfahrung empfehlen sich ca. sechs große Themen pro
Schuljahr. Es können natürlich auch mehr bzw. weniger sein, aber zu viele machen das fächerübergrei-
fende Moment meines Erachtens wieder weniger selbstverständlich, da es hierbei öfter zu Verschiebun-
gen kommen wird. Ein Schuljahr könnte so von ca. sechs Lerndesigns mit dem jeweils selben Titel für
alle Fächer bestimmt werden, deren Kernideen und Kernfragen fächerübergreifend ebenfalls weitgehend
ident sein könnten. Das Fachspezifische würde dann jeweils ergänzt – das könnte meines Erachtens wirk-
lich spannend werden, ich selbst habe es so aber noch nicht ausprobiert. Als Idee oder Impuls möchte ich
es aber dennoch hier „posten“. (G. L.)
Die Entwicklung einer „Themenlandkarte“ als erster Schritt in Richtung Jahresplanung
Themenlandkarte 1A/1B 2013/2014
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
21
Semester 1. SEMESTER 2. SEMESTER
Montat September/Oktober November/Dezember Jänner/Februar März April/Mai Juni
Fach MEINE FREUNDE
UND ICH ESSEN/ERNÄHRUNG HAUSTIERE FEIERN
KRIMINAL-UND DETETK-TIVGESCHICHTEN
FERIEN/SOMMER/ URLAUB/EU
Englisch Nice to meet you Talking about food, fast
food, present tense Pets –usual, unusual,
Fragewörter What´s the time? months, ordinal numbers, birthday
The robbery, Sherlock Holmes, past tense
Holiday plans, holiday time, from where you are, EU
Mathematik Natürliche Zahlen, Vorgän-
ger-Nachfolger, Zahlen-strahl
Maßeinheiten, Kalorien Textgleichungen bezogen
auf Tiere Zeitmaße, einfache Brüche Geheimschrift und -zahlen Maßstab
Deutsch „Ich bin ich und du bist du“
– E-Mail Speisekarte, Sachtexte,
Graphiken Tiergeschichten, Märchen,
Fabeln
verschiedene Feste, Einla-dungen, eigene Texte „ver-
schenken“
Detektivgeschichten, „Black Stories“
Erzählungen, soziale Netz-werke
Geographie Länder-Flaggen, Orte – wo
trifft man sich? Essen in anderen Ländern Herkunft der Tiere
Andere Länder, andere Sitten
Suchspiele, Schiffe versen-ken
Europa, Transporte, Ver-kehrswege
Werken Fotoalbum Filzen: Obst und Gemüse „ugly dolls“ Muttertagsgeschenk Labyrinth Spiel (für die Ferien/den
Urlaub)
BE Profil-Scherenschnitt Collage, Stillleben Fantasietiere Gestaltung Einladungen,
Geburtstagskarte Suchbilder, Chamäleonbil-
der Dreams, Phantasiereise
Musik Songs-Freunde Instrumente aus… Tiergeräusche, Peter und
der Wolf Lieder in verschiedenen
Sprachen Kriminal Tango,…
Tanzen (Gemeinsam sind wir stark)
BSP Teamsportarten Wie halte ich mich fit? Tänze Selbstverteidigung Sommersportarten
Biologie Orte-Treffpunkt Natur Gesunde Ernährung, Nah-
rungskette Haustiere/Nutztiere Jahreszeiten
Waldbewohner, Walddetek-tive
Was mache ich mit meinen Haustieren im Urlaub? Wie
wird Freizeit wirklich erhol-sam?
Informatik Steckbrief in „Word“ Nahrungspyramide Tiersteckbrief Gestaltung einer Geburts-
tagskarte Grafiken erstellen Soziale Netzwerke
Tabelle 13: Jahresplanung – Themenlandkarte 1A/1B 2013/2014
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
22
3-K Orientierung (Kompetenz, Komplexität, Kriterien)
Die 3-K Orientierung (Kompetenzen, Komplexität und Kriterien) ist eine Verdichtung der Anforderungen
an der Praxisentwicklung in der NMS-Lehrplanverordnung vom 30. Mai 2012. Darin gibt es nicht nur
explizite Ausführungen zu Kompetenzen, Komplexität und Kriterien, die als wesentliche Bereiche für die
Leistungsbeurteilung herangezogen werden, sondern die Lehramtstätigkeit wird durch die Ausführungen
zu der pädagogischen Praxis radikal neu definiert.
Grundsätzlich gilt für den Unterricht an Neuen Mittelschulen als Praxisziel eine Orientierung an folgen-
den Prinzipien (Westfall-Greiter, 2012):
Kompetenzen, Kriterien und Komplexitätsgrade sind im Einklang mit dem Fachlehrplan und den
Bildungsstandards im Vorfeld des Unterrichts festzulegen („vom Ende her“).
Die Lernzielformulierungen stellen dar, welche Kompetenz(en) als Zielbild festgelegt und beur-
teilt wird (werden).
Die Kriterien sind im Einklang mit den Kriterien für die Beurteilung der BiSt-Kompetenzen und
konkretisieren das Zielbild. Entlang dieser Kriterien werden die Komplexitätsgrade (Qualitätsstu-
fen) einer Leistung in einem Beurteilungsraster festgelegt (kriterienorientierte Beurteilung).
Lernziele, Kriterien und Beurteilungsraster werden den Lernenden im Vorfeld kommuniziert,
damit alle Beteiligten Lern- und Lehrprozesse zielgerecht steuern können.
Beschreibungen von Komplexitätsgraden sind im Einklang mit den Kriterienkatalogen der Bil-
dungsstandards bzw. der Informellen Kompetenz Messung (IKM).
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
23
Kompetenzorientierung
Foto 2: Kompetenz ist mehr als die Anwendung einzelner Fertigkeiten, sie zeigt sich nur in Handlungen:
Schüler als Radio-Igel-Reporter. © Wolfgang Kolleritsch
Der Kern der Sache
Kernideen Kernfragen
Jeder ist kompetent. Was ist Kompetenz? Wie und wo zeigt sie sich?
Kompetenz zeigt sich nur in Handlungen. Welche Handlungen sind geeignet, Kompe-tenz zu zeigen? Was bedeutet es, wenn eine Handlung misslingt.
Kompetenz kann ich nicht lehren. Wie kann ich die Kompetenz der Lernenden erhöhen? Welche Teilfertigkeiten brauchen sie um kompetent zu werden?
Tabelle 14: Kernideen und Kernfragen zu Kompetenzorientierung
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
24
School Walkthrough: Ermittlung des IST-Standes
Fokus auf Kompetenzorientierung
Weiterführend Kohärenz & Relevanz: Der Bezug zu den Bildungsstandards bzw. zu den Kompetenzen im Fachlehrplan ist klar erkennbar. Nachhaltiger Kompetenzaufbau durch Handlung steht im Vordergrund aller Lehr- und Lernprozesse.
Handlungsorientierung: Die Lernenden sind an der Entwicklung von zielgerechten handlungsorientierten Aufgaben für das Üben und Demonstrieren von Kompetenz be-teiligt. Sie dokumentieren ihre Kompetenzentwicklung und können sich über ihren aktuellen Lernfortschritt verständigen. Sie erkennen überfachliche und fächerüber-greifende Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Sie wählen gezielt Übungsaufgaben nach Bedarf aus, um noch besser handeln zu können.
Ziel Kohärenz & Relevanz: Der Bezug zu den Bildungsstandards bzw. zu den Kompetenzen im Fachlehrplan ist erkennbar. Die Komplexität von Kompetenz ist allen bewusst. Der Kompetenzaufbau steht im Vordergrund.
Handlungsorientierung: Lern- und Leistungsaufgaben erzeugen Handlungssituationen, in denen Kompetenz aufgebaut, gezeigt und beurteilt wird. Die Lernenden verstehen sich als Handelnden und sind im Tun, um ihre Kompetenz weiter zu entwickeln. Ge-lungenes und Misslungenes wird im Bezug zum Ziel reflektiert. Die Bedeutung von Übungsaufgaben im reproduktiven Bereich ist klar: sie fokussieren auf Wissen und Können, die für komplexe Aufgaben notwendig sind, und werden gezielt eingesetzt.
Am Weg Kohärenz & Relevanz: Der Bezug zu den Bildungsstandards bzw. zu den Kompetenzen im Fachlehrplan ist teilweise erkennbar.
Handlungsorientierung: Lehr- und Lernprozesse sind am Kompetenzerwerb orientiert. Manche Aufgaben sind handlungsorientiert und fördern den Kompetenzaufbau; dafür wird im Unterricht Zeit eingeplant, auch wenn handlungsorientierte Aufgaben mehr Zeit brauchen und in Konkurrenz mit reproduktiven Aufgaben stehen. Die Lernenden erleben sich gelegentlich als Handelnden.
Beginnend Kohärenz & Relevanz: Der Bezug zu den Bildungsstandards bzw. zu den Kompetenzen im Fachlehrplan ist wenig erkennbar.
Handlungsorientierung: Stoffvermittlung bzw. Automatisierung von Teilfertigkeiten überwiegt. Komplexe, handlungsorientierte Aufgaben kommen gelegentlich vor; Vor-rang haben Aufgaben, die leicht abprüfbares Wissen oder Können durch Wiederholung festigen und überprüfen sollen. Dabei ist die Verbindung dieser Aufgaben mit Kompe-tenzaufbau bzw. Kompetenzaufgaben nicht klar.
Noch nicht Kohärenz & Relevanz: Der Bezug zu den Bildungsstandards bzw. zu den Kompetenzen im Fachlehrplan ist nicht erkennbar.
Handlungsorientierung: Inhalte werden als „Stoff“ bzw. als Wissen in Form von Da-ten, Fakten und Informationen positioniert. Der Fokus liegt auf leicht abprüfbaren Teilfertigkeiten bzw. Wissensbereichen. Aufgaben zielen auf das Merken und Wieder-geben von Informationen ab.
Tabelle 15: School Walkthrough zum Bereich Kompetenzorientierung (Hofbauer & Westfall-Greiter, 2015)
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
25
Was ist Kompetenz?
Abbildung 2. Kompetenz ist das Zusammenspiel von… (Tanja Westfall-Greiter)
Um handeln zu können, braucht es Situationen, die uns herausfordern, bestimmte Aufgaben zu bewälti-
gen. „Da Kompetenz jedoch die Grundlage kompetenten Handelns darstellt, muss der Einzelne zunächst
Kompetenz besitzen, um daraufhin kompetent handeln zu können. Fassen wir den Kompetenzbegriff so,
wie wir es hier getan haben, dann heißt das aber auch, dass jeder
Mensch Kompetenz besitzt, allerdings in unterschiedlicher Ausprä-
gung“ (Vonken, 2005, S. 188).
Fähigkeiten und Fertigkeiten können sehr wohl trainiert werden und
Wissen kann auswendig gelernt werden, Kompetenz als solche
nicht. „Die Entwicklung von Kompetenz in Lehr-Lernprozessen
lässt sich nicht sicherstellen, Kompetenz nicht trainieren“ (Vonken,
ebd.). Vonken hält aber sehr wohl fest, dass im Rahmen des Unter-
richts Möglichkeiten geschaffen werden können, die Kompetenz-
entwicklung allgemein zu fördern (a.a.O., S. 187).
Da Kompetenz nur in Handlungen sichtbar wird, bedeutet das im
Hinblick auf den geforderten Kompetenzaufbau, dass die Lehrper-
son laufend Lernsituationen erzeugen muss, die Schülerinnen und
Schüler zum Handeln in komplexen Situationen zwingen. Weder
das Ausfüllen von Lückentexten, noch das Abschreiben von Merk-
texten können diesem Anspruch gerecht werden. Es gilt auch zu
beachten, dass Kompetenz nicht in jeder Situation sichtbar wird und
sich nicht nur auf Fertigkeiten beschränkt, wie z. B. „Ich kann eine
Geschichte (in Deutsch) schreiben“.
Wenn Handlungen im Vordergrund des Lernens und Leistens ste-
hen wird klar, dass auch die überfachlichen Kompetenzen bei fach-
spezifischen Kompetenzaufgaben zur Qualität der Leistung beitra-
gen.
Im Rahmen der Entwicklung der Bildungsstandards hat man sich auf den psychologisch-wissenschaftlichen Weinertschen Kompetenzbegriff geeinigt (vgl. Weinert, 2001). Demzufolge besteht Kompetenz aus 3 Komponenten: Wissen (Kenntnisse), Können (Fer-tigkeiten) und Einstellung, die im Zusammenspiel sind und bei neuarti-gen Situationen eigenständiges Han-deln ermöglichen.
Aus pädagogisch-wissenschaft-licher Sicht bedeutet „kompe-tent“ „handlungsfähig“; durch das komplexe Zusammenspiel von unserem Wissen, unseren Fertigkeiten und unseren Dispo-sitionen zur Welt sind wir in der Lage, in einer Situation, die uns in Anspruch nimmt, mehr oder weniger erfolgreich zu handeln. Kompetenz zeichnet sich durch die flexible Anwendung und neue Zusammensetzung von Wissen und Können in wech-selnden, unvertrauten Situatio-nen aus, verknüpft mit unsicht-baren Haltungen und Einstel-lungen wie Problemlösebereit-schaft oder fachspezifischen Denkweisen und Lösungswegen. Kompetenz wird erst sichtbar, wenn sie sich auf eine konkrete Anforderungssituation bezieht (Schratz & Westfall-Greiter, 2010).
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Denkpause
Überlegen Sie für sich alleine oder gemeinsam mit Fachkolleginnen und Fachkolle-gen
Was meine ich, wenn ich sage: „Sie/Er ist kompetent?“
Was bedeutet es für unterschiedliche Lebenskontexte, kompetent zu sein?
Wie vertraut ist mir das Kompetenzmodell der Bildungsstandards für mein Fach?
Auf welche überfachlichen Kompetenzen lege ich besonders viel Wert?
Wie beurteile ich, ob eine Schülerin, ein Schüler über eine bestimmte Kompetenz verfügt?
Wo stehen Sie in ihrer Kompetenzentwicklung zum Bereich „Kompetenzor-ientierung“? Treffen Sie eine Einschätzung anhand des School Walkthrough-Rasters.
Tipp
Weitere Informationen (Videos, Artikel, Bücher, Präsentationen, gesetzliche Ver-ankerung) finden Sie in der NMS-Bibliothek: www.nmsvernetzung.at.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Umsetzung in der Praxis
Da jede, jeder – wie zu Beginn des Kapitels im Rahmen der Kernideen bereits eröffnet – kompetent ist,
stellt sich nun die Frage, inwieweit eine Handlung gelingt, d. h. inwieweit sie die von der/dem Handeln-
den beabsichtigte Wirkung erzielt oder eben eine andere – fest steht jedoch: Jede Handlung wirkt, sei sie
„gelungen“ oder nicht, was von der Wirkintensität her ersteres sogar oft bei weitem übersteigt. Dies lässt
sich übrigens auch über unterlassene Handlungen sagen. Um dieses Faktum zu verdeutlichen, möchte ich
an dieser Stelle ein Beispiel anbringen, welches sich meines Erachtens durch seine Unmittelbarkeit des
Gelingens oder eben Nichtgelingens auszeichnet:
„Hat dir die Frau Leidinger schon zurück geschrieben?“ oder:
Die E-Mail als multifunktionales Sprachrohr
Im letzten Jahr hatte ich – wie an anderer Stelle bereits erwähnt – zwei erste Klassen in
Deutsch und das Kennenlernen der vielen neuen Schülerinnen und Schüler stellte auch für
mich eine Herausforderung dar. Das Thema „Ich bin ich und du bist du“ stand also auch bei
uns auf dem Plan und so kam mir die E-Mail als mögliche Form des schriftlichen Sich-
Vorstellens in den Sinn. „Eine E-Mail an Frau Leidinger“ – warum nicht mehrere Fliegen mit
einer Klappe? So erteilte ich den Auftrag an die mir noch weitgehend unbekannten Schülerin-
nen und Schüler, mir – nach Kennenlernen der Handhabung und der einfachen „Benimm-
Regeln“ auf diesem Gebiet – eine E-Mail zu schreiben, die Informationen über die Schülerin-
nen und Schüler selbst, ihr Umfeld und was ihnen zur damaligen Zeit wichtig war enthalten
sollte. Außerdem war es Teil des Auftrags Ideen für den Deutschunterricht einzubringen, also
was sie besonders gern in diesem Fach gemacht haben bzw. machen/lernen würden. Der
„Deal“ war nun folgender:
Wenn ich auf die E-Mails der Schülerinnen und Schüler nicht bis zu einem zuvor festgelegten
Termin zurück schreiben würde, hat etwas mit den formalen und/oder inhaltlichen Dingen
nicht gepasst, man hat sich im Ton vergriffen bzw. ich hätte mich auf den Schlips getreten
fühlen können. Ansonsten hätte ich zurück geschrieben, ein paar Dinge über mich selbst er-
zählt und auf die Vorschläge für den Deutschunterricht reagiert. Diese – meine oder keine –
Rückmeldung war also die einzige Rückmeldung. Die Schülerinnen und Schüler hatten nun
wieder die Chance, ihre E-Mail an mich zu verändern, sodass ich vielleicht zum zweiten Ter-
min zurück schreiben würde, falls der erste Versuch ohne Antwort geblieben war. Sie vergli-
chen ihre E-Mails untereinander, versuchten zu erkunden, was der Haken gewesen sein könnte
und kamen so auch miteinander ins Gespräch. Der Lustfaktor dabei war recht groß, da sie
auch über mich etwas erfahren und den Kontakt als hergestellt betrachten wollten.
„Ziemlich hart“ könnte man hier einwerfen. Meine Überlegung aber war es, diesen (Lern-)
Prozess als möglichst lebensnah erfahrbar zu machen. Denn schreiben Sie eine E-Mail an je-
manden, den Sie nicht kennen und vergreifen Sie sich dabei im Ton bzw. machen Sie etwas,
das einfach nicht „passt“ – man wird Ihnen höchstwahrscheinlich nur sehr verknappt bzw. gar
nicht zurück schreiben. Das Herstellen bzw. Aufrechterhalten von Kontakt(en) unterliegt eben
Regeln.
Die Rückmeldung zu den jeweiligen E-Mails war also „lediglich“ die gelungene Kontaktauf-
nahme, überprüfbar bzw. abgesichert durch meine Antwort. Ziel war hier also keine Definition
im Ziel-Bereich einer Skala, sondern dass jede, jeder eine Antwort von mir erhalten hatte (die
Grob-Kriterien dafür wurden mit den Schülerinnen und Schülern im Vorfeld erarbeitet).
Menschliche Beziehungen bzw. Kontakte gelingen eben oder nicht.
Für mich persönlich war diese Arbeit sehr bereichernd. Ich habe die einzelnen Schülerinnen
und Schüler einen Schritt weit kennen gelernt, ich konnte endlich ihre Namen behalten, da ich
nun viel mehr mit den einzelnen verbinden konnte und gleichzeitig bekam ich – zum Teil äu-
ßerst innovative – Anregungen für den Deutschunterricht. Auch so kann´s gehen… (G. L.)
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Ein Beispiel aus dem Kompetenzbereich Lesen:
Vorlesen
Im Zuge unserer Recherche zu „lautem Vorlesen“ als Teilbereich der Kompetenz „Lesen“ sind
wir zu unserer Verwunderung weder im Rahmen des Lehrplans noch in jenem der Bildungs-
standards auf konkrete Anhaltspunkte gestoßen: Lautes Vorlesen gibt es in seiner reinen Form
hier wie dort schlicht und einfach nicht. Dies widerspricht deutlich der gängigen Praxis. Eine
lange Diskussion über Sinn und Unsinn des lauten Lesens im Rahmen des Deutschunterrichts
brachte uns schließlich zu dem Konsens darüber, dass wir beide diese Performanz des Lesens
keinesfalls missen wollen, da „gute Leserinnen und Leser“ einen Mehrwert in der Klasse
schaffen, eine gewisse „Kultur“ lebendig machen. Unvorbereitetes lautes Vorlesen im Klas-
senverband sollte aus dem Blickwinkel der Diversität unseres Erachtens jedoch nur unter
Freiwilligkeit stattfinden, da lautes Vorlesen, wie Schwerpunkte anderer „Erziehungs-Fächer“
auch (beispielsweise Musikerziehung, Bildnerische Erziehung, …) zu gewissen Teilen – auch
– Begabung ist. Leistungsmessung sollte nach unserer Ansicht – als einer von wenigen Berei-
chen – hier also ausschließlich im Rahmen der Individualnorm stattfinden.
Nun drängt sich hier jedoch eine Überlegung auf, welche u. a. den Mehrwert des Team-
Teachings exemplarisch greifbar macht: Reduzierte man das laute Vorlesen nämlich auf pure
Freiwilligkeit, könnte man einzelne Schülerinnen und Schüler unter Umständen nie lesen hö-
ren und diesbezügliche Stärken wie auch – und dies wird bei der gegebenen Zurückhaltung
wahrscheinlicher sein – Schwächen orten und dem entsprechend reagieren. Wenn also die eine
Lehrperson in der Klasse ist, kann die zweite einzelne Schülerinnen oder Schüler aus der
Klasse holen, eine kurze „Lesesession“ mit anschließender Selbsteinschätzung der jeweiligen
Schülerin, des jeweiligen Schülers durchführen und individuelles Feedback geben. Diese Va-
riante bietet sich natürlich auch im Rahmen des lauten Vorlesens mit Vorbereitungsmöglich-
keit an (siehe unten angeführter Raster). Es ist unseres Erachtens auch durchaus sinnvoll, die
vorzulesenden Texte bzw. Textabschnitte oftmals individuell – je nach Interessen – aussuchen
zu lassen, denn so kommt auch dem Inhalt des Textes eine größere Chance zu bedeutsam zu
sein bzw. zu werden. Es ist weiters möglich, das Setting für Lernstandserhebung bzw. Leis-
tungsfeststellung in diesem Bereich von den jeweiligen Schülerinnen und Schülern selbst be-
stimmen zu lassen. Manche lesen eben lieber vor der ganzen Klasse, manche nur vor der je-
weiligen Lehrperson.
Die eigenen, geschriebenen bzw. die Worte anderer in den Mund zu nehmen und sie bewusst
zu rezitieren ist eine wesentliche Kulturtechnik und darf unseres Erachtens keinesfalls aus der
Schule „verschwinden“. Die Gedenkveranstaltung für die Opfer des schrecklichen Anschlags
auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ im Jänner 2015 auf dem Wiener Ball-
hausplatz ist nur eines von vielen Beispielen. Was wurde hier vor allem gemacht? Man hat
sich geeignete, bewegende Texte gesucht und diese – äußerst wirkungsvoll – vorgelesen.
Außerdem können Schwierigkeiten beim lauten Lesen – in welchen Situationen auch immer
man vielleicht einmal dazu angehalten wird – ein Ausgrenzungsmerkmal sein. Wie bei Män-
geln in der Orthographie – und damit sei nur ein Beispiel genannt – wird in unserer doch nach
wie vor stark fehlerorientierten Gesellschaft auch auf diesem Gebiet sehr schnell der bloßstel-
lende Zeigefinger auf andere gerichtet.
Für lautes Vorlesen, dem eine – je nach Bedarf – kurze bis längere Vorbereitungszeit voraus-
geht, können Kriterien vereinbart werden, die für alle gleich gelten. Da sich auf diesem Gebiet
auch die Anforderungen der Schulstufe nicht wesentlich ändern, kann Kompetenzentwicklung
hier besonders deutlich und vor allem langfristig sichtbar gemacht werden. Eine mögliche
Messvariante von Leistung in diesem Bereich sei im Folgenden demonstriert.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
29
Lautes Vorlesen (mit Vorbereitung)
5. Schulstufe (unter Umständen bis zur 8. Schulstufe gültig)
Qualitäts-stufen
Kriterien (Deutlichkeit, Flüssigkeit, Stimmführung, Wirkung) und Indikatoren (Wie zeigt sich das in der Leistung des Schülers/der Schülerin?)
4.0
wie 3.0 + „Wow-Effekt“
(z. B. „fesselt“ die/der Vortragende die Zuhörerschaft durch besonders flüssiges und dem Inhalt entsprechendes betontes Lesen – sie, er erzielt somit maximale Aufmerksamkeit; …)
3.0
Deutlichkeit: Der Text wird deutlich artikuliert vorgetragen und ist so für die Zuhörer-schaft gut verständlich.
Flüssigkeit: Der Text wird flüssig (ohne bemerkenswerte Lesefehler) vorgetragen, Pausen werden passend zum Inhalt eingesetzt.
Stimmführung: Die Stimmführung (Lautstärke, Tempo, „Melodie“) entspricht dem Anlass des Vortrags (Textsorte, Situation) sowie der Zuhörerschaft.
Wirkung: Durch die Art ihres, seines Vortrags nimmt die Leserin, der Leser Beziehung zu der Zuhörerschaft auf. Die Zuhörerinnen und Zuhörer sind sichtlich „dabei“.
2.0
Deutlichkeit: Der Text wird weitgehend deutlich artikuliert vorgetragen und ist so für die Zuhörerschaft durchgehend verständlich.
Flüssigkeit: Der Text wird bis auf einzelne „Stolpersteine“ flüssig vorgetragen, Pausen werden weitgehend passend zum Inhalt eingesetzt.
Stimmführung: Die Stimmführung (Lautstärke, Tempo, „Melodie“) entspricht weitgehend (bis auf einzelne, nicht weiter störende Unstimmigkeiten) dem Anlass des Vortrags (Texts-orte, Situation) sowie der Zuhörerschaft.
Wirkung: Durch die Art ihres, seines Vortrags versucht die Leserin, der Leser Beziehung zu den Zuhörerinnen und Zuhörern aufzunehmen. Sie sind körpersprachlich gesehen weitge-hend „dabei“.
1.0 mit Hilfe (Interventionen durch die Lehrperson oder die Mitschülerinnen und Mitschüler) teils 2.0 bzw. 3.0
Tabelle 16: Leistungsmessung – Kompetenzbereich Lautes Vorlesen
Anmerkungen zu diesem Raster:
Ad Stimmführung:Sprachbewusstsein in unserem weit gefassten Sinne (siehe Raster zum Kompetenzbe-
reich Schreiben) wird in diesem Fall vor allem in der Art der Stimmführung hörbar. Ein Gefühl für Pau-
sen, Lautstärke, Tempo und „Melodie“ zeugt hier von einem Bewusst-Sein von Sprache.
Ad Wirkung: Hier möchten wir anmerken, dass die Indikatoren in diesem Fall die – möglichst objektiven
– Rückmeldungen nach bzw. die Verhaltensweisen und körpersprachlichen Signale der Zuhörerinnen und
Zuhörer während des Vortrags sind. Da ein guter Vortrag (hier: Vorlesen) natürlich am Bedeutungsgehalt
des Inhalts (hier: des diesem zugrunde liegenden Textes) für die Zuhörerschaft wie auch an der Stimmig-
keit der Performance der Akteurin, des Akteurs gemessen wird, ist es schwierig, diesbezüglich ein objek-
tiv beobachtbares Kriterium festzulegen. Mit „Wirkung“ nehmen wir jedoch bewusst jenen Bereich her-
ein, obwohl wir die Brüchigkeit des Eises, auf welches wir uns hier begeben, deutlich spüren: Rückmel-
dung spiegelt sich in diesem Fall vor allem in den Verhaltensweisen der Zuhörerinnen und Zuhörer. Diese
gegenseitige „Abhängigkeit“ lagert Leistungsmessung zu einem gewissen Teil in das Wohlwollen der
Zuhörerschaft aus, sie ist jedoch Teil des Wesens von Vorträgen – warum sonst wären wir in Hinblick
darauf so nervös? Warum halten wir überhaupt Vorträge? Warum schreiben wir Texte? Um beim Gegen-
über eine gewisse Wirkung zu erzielen, um „anzukommen“.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
30
Die zumeist schwer einzuschätzende Zuhörerschaft macht diesen Bereich in unserem Fall diffus, aber
spannend – „that´s life“ und gleichzeitig Lernen am Gegenüber. Aus diesem Grund schenken wir der oft
unberechenbaren „Wirkung“ in unseren Rastern auch außerhalb des 4.0-Bereichs Raum.
Ad „weitgehend“: wenn wir im Rahmen unserer Raster von „weitgehend“ sprechen, so ist hiermit „deut-
lich mehr als die Hälfte“ gemeint.
Längerfristig kann Kompetenzentwicklung anhand gemessener Leistungen hier u. a. mit Hilfe eines
Kompetenzdiagramms sichtbar gemacht werden:
Abbildung 3: Kompetenzdiagramm
Und/oder im Rahmen eines Kompetenzprofils:
David Muster Sep Okt Nov Dez Jan
Lesen
Lautes Vorlesen
2.0
1.0
3.0
1.0
3.0
3.0
1.0
3.0
2.0
3.0
Hören 2.0 3.0 3.0 3.0 4.0
Schreiben 3.0 3.0 4.0 3.0 4.0
Sprechen vor Publikum 1.0 1.0 3.0 3.0 3.0
mündliche Interaktion 2.0 2.0 1.0 3.0 3.0
Tabelle 17: Kompetenzprofil
0
1
2
3
4
Sep Okt Nov Dez Jan
Lautes VorlesenDavid Muster
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
31
Komplexität und Aufgabenkultur
Aufgaben sind der Ausgangspunkt für die Unterrichtsarbeit. Die Auswahl, die Gestaltung und die Durch-
führung von Aufgabenbeispielen sind entscheidend für das Lernen an und für sich und auch für die Lern-
ergebnisse. Man könnte sie auch als das Herzstück von/für/als Lernen bezeichnen (Earl, 2013).
Der Kern der Sache
Kernideen Kernfragen
Aufgaben sind eine Form des respektvollen Umgangs mit einem jungen Menschen.
Welche Einstellungen (z. B. Erwartungen, Vertrauen) zeigen sich, wenn ich meine Schülerinnen und Schüler mit komplexen Aufgaben konfrontiere?
Kompetenzen sind komplex und werden nur durch Handeln in herausfordernden Situatio-nen sichtbar.
Eignet sich diese Aufgabe für Kompetenz-entwicklung und das Sichtbar-Machen von Kompetenz, d.h. Leistungsfeststellung?
Aufgaben bestimmen die Lehr- und Lernkul-tur.
Worum geht es? Lustbetonter Zeitvertreib oder schweißtreibende Arbeit?
Komplexe Aufgaben brauchen Raum und Zeit zum Denken.
In welchen (Lebens-)Situationen ist Schnel-ligkeit ein wesentliches Erfolgskriterium? Wie schaffe ich Zeiträume für die Bearbeitung dieser Aufgabe in der Hektik des Schulallta-ges?
Der Auftrag bestimmt das Produkt. Steht der „Lernbeweis“, das Lernprodukt, in Übereinstimmung mit den Zielen und lassen die Ergebnisse Rückschlüsse darauf zu, was die Schülerinnen und Schüler tatsächlich verstanden haben?
Tabelle 18: Kernideen und Kernfragen zu Komplexität und Aufgabenkultur
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
32
School Walkthrough: Ermittlung des IST-Standes
Fokus auf Aufgabenkultur
Weiterführend Kohärenz & Relevanz: Komplexe Aufgaben sind Ausgangspunkt für Lehr- und Lernpro-zesse; sie haben bei der Beurteilung von Kompetenzen Vorrang und werden auch ge-meinsam mit den Lernenden im Hinblick auf die Lernziele erstellt.
Spektrum an Komplexität: Bewusstsein für unterschiedliche kognitive Ansprüche ist gegeben; die Auseinandersetzung mit komplexen Aufgaben hat hohe Priorität und es wird dafür entsprechend Zeit eingeräumt.
Ziel Kohärenz & Relevanz: Das Angebot von Lern- und Leistungsaufgaben ist im Einklang mit den Lernzielen. Aufgaben werden systematisch nach dem Webb-Modell analysiert bzw. erstellt. Der Fokus liegt auf Aufgaben, die dem Komplexitätsgrad der Anforde-rungen entsprechen. Lehrkräfte kompensieren mangelhafte Angebote im Lehrwerk.
Spektrum an Komplexität: Alle Lernenden setzen sich mit Aufgaben des gesamten Komplexitätsspektrums auseinander, wobei Aufgaben entsprechend dem Komplexi-tätsgrad im Zielbild erste Priorität haben. Zeit zu Denken wird im Unterricht geschaf-fen; auf Tempo wird bei komplexen Aufgaben wenig Wert gelegt.
Am Weg Kohärenz & Relevanz: Der Komplexitätsgrad von Aufgaben wird systematisch analy-siert. Manche Aufgaben werden in Verbindung zu Lernzielen gesetzt und bekommen dadurch besondere Aufmerksamkeit.
Spektrum an Komplexität: Aufgaben mit unterschiedlichen kognitiven Ansprüchen werden gestellt, wobei weniger komplexe Aufgaben, die schneller erledigt werden können, im Unterricht bevorzugt werden. Komplexe Aufgaben, die mehr Zeit brau-chen, spielen eine Nebenrolle oder werden als Hausaufgaben gestellt.
Beginnend Kohärenz & Relevanz: Die Beziehung zwischen Aufgaben und Zielbild im Bezug zum Fachlehrplan bzw. den Bildungsstandards ist teilweise klar. Der Grad der Komplexität wird „nach Gefühl“ eingeschätzt.
Spektrum an Komplexität: Aufgaben mit unterschiedlichen kognitiven Ansprüchen werden nach einer Progression oder in Stufen organisiert und zum Teil auch so ge-kennzeichnet (z. B. leicht-mittel-schwer). Der Schwierigkeitsgrad wird mit dem Kom-plexitätsgrad bei der Aufgabenstellung verwechselt.
Noch nicht Kohärenz & Relevanz: Die Beziehung zwischen Aufgaben und Zielbild im Bezug zum Fachlehrplan bzw. den Bildungsstandards ist unklar oder widersprüchlich.
Spektrum an Komplexität: Aufgaben zielen auf das Auswendiglernen und die Wieder-gabe von Informationen bzw. die Wiederholung von einfachen Verfahren. Aufgaben erfordern kein strategisches oder erweitertes Denken bzw. sind mit richtig/falsch leicht korrigierbar.
Tabelle 19: School Walkthrough zum Bereich Aufgabenkultur (Hofbauer & Westfall-Greiter, 2015)
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
33
Was versteht man unter der „neuen“ Aufgabenkultur?
Wiggins und McTighe (2005) halten in Understanding by Design fest, dass
ihrer Erfahrung nach der Großteil der Lehrerinnen und Lehrer Unterricht
vielfach entweder als „Beschäftigungsprogramm“ (activity-focused
teaching) oder als „Durchmachen“ von Stoff (coverage-focused teaching)
verstehen, wobei bei keinem dieser Ansätze klar erkennbare intellektuelle
Ziele feststellbar sind (with no clear intellectual goals). „Neither case pro-
vides an adequate answer to the key questions at the heart of effective learn-
ing: What is important here? What is the point?“ (Wiggins & McTighe,
2005, S. 3). Hattie (2011) bezeichnet das „Beschäftigungsprogramm“ als
„mindless busy work“ (S. 8), bei der die Schülerinnen und Schüler beschäf-
tigt sind, aber niemand weiß, was eigentlich gelernt werden soll.
Zur Schärfung der Begriffsklärung zwischen einer Aufgabenstellung und einer Aktivität beschreibt
Brookhart (2013, S.15-18, zusammengefasst und übersetzt von Birgit Schlichtherle) den Unterschied
zwischen einer Aktivität und einer Aufgabenstellung wie folgt:
Aktivität Aufgabenstellung
Eine Aufgabe, die nicht bewertet bzw. beurteilt wird, jedoch verwendet wird, um spezifische Fertigkeiten und Inhalte zu üben (Beispiele: richtig/falsch Aufga-ben, Lückentexte; Strategien: Quizzes, pair-share, Lesegruppen, etc.).
Eine Aufgabe, die ein sich Einlassen auf die Inhalte und Fertigkeiten verlangt, zu einem Produkt führt und ein Raster be-nötigt um Leistungen von Schülerinnen und Schülern einzuschätzen.
Tabelle 20: Begriffsklärung – Aktivität und Aufgabenstellung
Lernen und Lehren zielt auf den kontinuierlichen Aufbau von fachspezifischen und überfachlichen Kom-
petenzen ab. Da sich Kompetenz erst in Handlungen zeigt, sind die Aufgaben, die den Schülerinnen und
Schülern als Arbeitsaufträge präsentiert werden, von besonderer Bedeutung. Auch wenn die zu erzielen-
den Kompetenzen sowie die Kriterien klar sind, wird Kompetenz erst dann entwickelt, wenn die Aufga-
ben in einem klaren Bezug zu den Lernzielen stehen und tatsächliches Handeln erfordern, nicht nur ein
Ausfüllen von Lückentexten, Beschriften von Landkarten, Lösen von Kreuzworträtseln, Abschreiben von
Merktexten, Ordnen von Sätzen, Ausrechnen von fehlenden Größen, Umwandeln von Maßeinheiten. In
diesem Zusammenhang sind folgende Kernfragen wesentlich: Welchen Anspruch stellt die Aufgabe? Ist
die Aufgabe im Einklang mit den Lernzielen?
Im Zentrum der neuen Lehr- und Lernkultur an der NMS steht daher die Kunst und Wissenschaft der
Aufgabenstellung. Karin Haderer, Schulleiterin der NMS Sitzendorf an der Schmida, setzt gemeinsam mit
dem Kollegium diesen Schwerpunkt für die Praxisentwicklung an ihrer Schule:
„NMS bedeutet für mich als Direktorin und eine, die sich sehr intensiv mit den Inhalten des
Konzepts auseinandersetzt, einen Paradigmenwechsel auf mehreren Ebenen. Um diesen kom-
plexen Veränderungen gerecht werden zu können, haben wir uns an unserem Standort dazu
entschlossen, an einer neuen, kompetenzorientierten Aufgabenkultur zu arbeiten. Die Beispie-
le sollen die Schülerinnen und Schüler mit ihren individuellen Fähigkeiten zum Handeln her-
ausfordern und differenzierte Lösungsansätze zulassen – in heterogenen Gruppen die einzige
Möglichkeit, dem breiten Leistungsspektrum gerecht zu werden.
Damit einhergehend muss sich der Unterricht zunehmend lernseitig zeigen, was bedeutet, dass
sich nicht nur die Lehrkraft als Lernbegleiter/in zeigen muss, sondern auch die Lernumgebung
dementsprechend vorbereitet sein soll.
Dieser Weg der Veränderung ist ein steiniger: Nicht nur, dass er sehr viel Vorbereitungsarbeit
bedeutet und mit hoher Emotionalität ein veränderter Zugang zu Leistungsbeurteilungen dis-
kutiert wird, gibt es auch kaum Schulbücher, die den neuen NMS-Anforderungen gerecht
werden.
Authentische Aufgaben, die einen klaren Bezug auf die Lernziele haben und echtes Handeln erfordern, ermöglichen Schüler und Schülerin-nen ihre Kompetenzen sichtbar zu machen und weiter zu entwickeln.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
34
Ich bin jedoch zutiefst überzeugt, dass dieser neue Zugang des kompetenzorientierten Unter-
richtens unsere Jugendlichen dazu befähigen wird, ihre Zukunft zu meistern. Denn nur indem
ihre Eigenverantwortlichkeit gefordert wird, erwachsen uns Menschen, die unsere Gesellschaft
verantwortungsbewusst mitzugestalten vermögen.“ (Gute Schule. Neue Mittelschule.
www.nmsvernetzung.at )
Merkmale einer kompetenz-, handlungsorientierten und komplexen Aufgabenstellung
In den Bildungsstandards sind Kompetenzen festgelegt. Einen
Hinweis darauf, wie die geforderte Kompetenz sichtbar ge-
macht werden kann, geben uns kompetenz- und handlungsori-
entierte Aufgaben, sogenannte BiSt-Aufgaben.
Wenn Sie kompetenzorientierte Aufgaben analysieren und/oder
selbst erstellen, hilft dabei die Orientierung an folgenden, für
kompetenzorientierte Aufgaben typischen Merkmalen:
Die Aufgabe macht das Zielbild sichtbar (und damit
beurteilbar).
Die Aufgabe ist situiert1, damit sie eine Handlung aus-
löst.
Die Aufgabe ist glaubwürdig, damit sie die Lebenser-
fahrungen und das Weltwissen der Lernenden mobili-
siert.
Die Aufgabe ist herausfordernd und stellt Anspruch auf
Handlung.
Diese Art der Aufgabenstellung wird im Lerndesign als „authentische Leistungsaufgabe“ bezeichnet.
Eine konkrete Aufgabe zu einer relevanten Sache stößt eine authentische Interaktion mit der Welt an, in
der die Lernenden ihre Kompetenz entwickeln. Sie sind als Praktikerinnen und Praktiker mittendrin in der
Praxis der Sache (in welchem Fach auch immer) positioniert: Je stärker schulische Lernprozesse auf die
lebensweltliche Praxis bezogen werden, in welcher Menschen die erzielte Kompetenz tatsächlich brau-
chen, desto mehr Erfahrung als wirkmächtigen Anwendenden können sie im Unterricht machen. Craw-
ford bringt es auf dem Punkt: “Practical know-how is always tied to the experience of a particular person.
It can’t be downloaded, it can only be lived” (2009, S. 162; vgl. auch Keller & Westfall-Greiter, 2014).
Daher werden die gleichen Aufgabe(n) allen gestellt, ob als Lern-
oder Leistungsaufgabe. Während die Aufgabenstellung gleich
bleibt, hängt der Zweck der Leistung von der Beurteilungsfunktion
ab. Aufgaben, die dem Lernen und Üben dienen, dienen auch zu-
gleich der kontinuierlichen Lernstandserhebung, damit förderliche
Rückmeldung gegeben werden kann und je nach Bedarf auch Diffe-
renzierungsmaßnahmen strategisch gesetzt werden können.
Aufgaben, die der summativen Leistungsfestsstellung dienen,
werden als Beleg für die aktuelle Kompetenz aufgezeichnet.
1 Eingebettet in eine Situation, die bezüglich Zeit, Raum, Menschen, Gegenständen definiert ist. Die Situation fordert mich her-
aus, zu handeln. Die Entscheidung, wie ich handle, hängt von meiner Wahrnehmung der Sache und der Methode ab. Meine
Handlung ist zielorientiert.
Es ist nicht nur fragwürdig, sondern auch nicht zulässig, Schülerinnen und Schüler durch die Zuteilung von unterschiedlichen Aufgaben bei Leistungsfeststellungen bzw. –beurteil-ungen einer bestimmten Ziffernnote oder einem grundle-genden bzw. vertieften Leistungs-niveau zuzuordnen. Das ist der Paradigmenwechsel der NMS im Zuge der Aufhebung der Leistungs-gruppen. Alle sollen sich mit kom-plexen Aufgaben auseinander set-zen, damit Schülerinnen und Schü-ler für sich selbst und für die Lehr-person ihr volles Leistungspotential sichtbar machen können (Westfall-Greiter, 2012, S. 18).
Kontinuierliche Lernstandsbe-obachtung bedeutet, das Ge-schehen in der Gruppe kontinu-ierlich zu beobachten um den „Unterricht von morgen zu bestimmen“ - eine Brücke zu bauen zwischen dem was ist und dem was sein soll. (Tomlin-son, 2011)
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
35
Beim Lernen gibt es die Möglichkeit, die Aufgaben nach Bedarf zu
„staffeln“, d.h. mit dem Zielbild der eigenständigen Leistung vor
Augen, bekommen die Lernenden Hilfsmittel. Es gibt eine Vielzahl
an weiteren Lernaufgaben, die dem Kompetenzerwerb fördern und
fordern. Handlungsorientierte Kompetenzaufgaben sind allerdings
meist offen. Offenheit besitzen Aufgaben vor allem dann, wenn un-
terschiedliche Lösungen möglich sind und wenn Schülerinnen und
Schüler viele eigene Gedanken dabei entwickeln können.
Anhand einer offenen Aufgabe können meist recht unterschiedliche Inhalte gelernt werden (in geringem
Ausmaß kann das auch für die Übung und Prüfung gelten). Oft denkt die Lehrkraft aber an bestimmte
Lösungs- und Lernmöglichkeiten (richtig-falsch) und schränkt dadurch das Potenzial einer Aufgabe ein.
Das ist oft sinnvoll oder sogar notwendig, es kann aber zu Irritationen führen, wenn die Einschränkungen
nur gedacht und nicht explizit erwähnt werden (vgl. Blömeke et al., 2006 zitiert in Keller & Bender,
2012, S. 264). Hascher und Hofmann verweisen auf die Haltung und Einstellung der Lehrperson, die bei
der Arbeit mit offenen Aufgabenstellungen unabdingbar ist.
„Es geht darum, eigene Lösungswege von Lernenden zu akzeptieren, gerade bei fortgeschrittenen
Schülern ist dies der Fall, auch wenn diese Lösungsvorstellungen nicht mit denen der Lehrperson
übereinstimmen und diese nicht als Fehlleistungen zu kategorisieren“ (vgl. Hascher & Hofmann,
2008, S.48 zitiert nach Keller & Bender, 2012, S. 12).
Der Paradigmenwechsel von Unterrichtsplanung zum Gutachten
Im Rahmen der Aufgabenkultur lassen sich mehrere Paradigmenwechsel feststellen. Der Wandel von:
Stofforientierung zu Kompetenzorientierung
richtig/falsch zu mehr oder weniger gut
Schwierigkeit zu Komplexität
Bescheid wissen zu Verstehen/Begreifen
differenzierten Prüfungsaufgaben zu komplexen Aufgaben für alle
Aufgaben, die vorwiegend analytisch mit Fokus auf Daten und Fakten sind, zu Aufgaben, die
auch die Interessen und Lernpräferenzen der Lernenden berücksichtigen.
Dieser Paradigmenwechsel geschieht nicht einfach „nur so“. Damit dieser Wandel tatsächlich und nach-
haltig vollzogen werden kann, müssen sich Lehrpersonen von „eingefleischten“ Mustern und Gewohnhei-
ten verabschieden. Wiggins und McTighe (2005, S. 150) stellen auch fest, dass Lehrpersonen, sobald sie
ein Lernziel formuliert haben, viel eher dazu neigen (weil sie es gewohnt sind) zu überlegen, welche Ak-
tivitäten im Zusammenhang mit dem Lernziel unterhaltsam und kurzweilig sein könnten (thinking like an
activity designer), anstatt zu überlegen und sich die Frage zu stellen, welche Performanzen und Lernpro-
dukte notwendig sind, um erworbene Kompetenzen sichtbar zu machen (thinking like an assessor).
Sie weisen darauf hin, dass Rückwärtiges Lerndesign erfordert, diesen „natürlichen Instinkt“ bzw. diese
angenehme Gewohnheit zu überwinden, da Lehrerinnen und Lehrer sonst Gefahr laufen, bei Unterrichts-
planungen (Lerndesigns) die Ziele aus den Augen verlieren oder diese letztendlich wenig Kohärenz mit
den Zielen aufweisen. In der folgenden Gegenüberstellung zeigen Wiggins und McTighe (2005, S. 151)
zwei unterschiedliche Zugänge bei der Erstellung bzw. Auswahl von Aufgaben auf, und bieten damit
gleichzeitig ein nützliches Werkzeug für die Änderung des Blickwinkels an.
„Das Paradoxe ist, dass Kinder dadurch klug werden, indem wir ihnen als intelligente Men-schen begegnen und sie auch so behandeln“ (Costa & Kal-lick, 2008, S. 8).
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
36
In der Rolle der Gutachterin, des Gut-achters (thinking like an assessor)
In der Rolle der Unterrichtsplanerin, des Unterrichtsplaners (thinking like an activity designer)
Was wäre ein ausreichender und auf-schlussreicher Beweis für Verstehen?
Was wären in Zusammenhang mit diesem Thema Aktivitäten, die Spaß machen und interessant sind?
Im Hinblick auf die Ziele: An welchen Leistungsaufgaben muss sich der Unter-richt orientieren?
Welche Projekte könnten sich die Schüle-rinnen und Schüler bei diesem Thema wünschen?
Was sind die unterschiedlichen Beweise im Hinblick auf Wissens-, Verstehens- und Tun–Können-Ziele?
Welche Tests soll ich im Hinblick auf den Inhalt des Unterrichts geben?
Auf Basis welcher Kriterien werden wir arbeiten und unterschiedliche Qualitäts-stufen festlegen?
Wie gebe ich Schülerinnen und Schülern eine Note (und rechtfertige diese vor den Eltern? Wie komme ich zu einer Note?)
Hat die Leistungsfeststellung zum Vor-schein gebracht, was wirklich verstan-den/nur scheinbar verstanden hat? Weiß ich, wie das Missverstehens entstanden ist?
Wie gut haben die Aktivitäten funktio-niert? Wie ist es den Schülerinnen und Schülern beim Test ergangen?
Tabelle 21: Zugänge zur Erstellung und Auswahl von Aufgaben (nach Wiggins und McTighe, 2005, S. 151)
Denkpause
Denken Sie an die Aufgaben, die Sie in der letzten Zeit zu einem bestimmten Themenbereich gestellt haben:
Welche Aufgaben stellen wir unseren Schülerinnen und Schülern? Wozu? Was bezwecken wir damit? Welche Lernkultur ergibt sich daraus?
Welche der von Ihnen erstellten Aufgaben sind eher einer Aktivität als ei-ner Aufgabenstellung (siehe Beschreibung im oben angeführten Raster) zuzuordnen?
Was erwarten wir von unseren Schülerinnen und Schülern? Inwieweit sind unsere Erwartungen im Einklang mit den Anforderungen des Fachlehr-plans?
Was trauen wir unseren Schülerinnen und Schülern zu?
Wie geben wir unseren Lernenden Halt, wenn der Anspruch zu herausfor-dernd für sie wird?
Ist der „Lernbeweis“, das Lernprodukt in Übereinstimmung mit den Zie-len? Lassen die Ergebnisse Rückschlüsse darauf zu, was die Schülerinnen und Schüler tatsächlich begriffen haben?
Wo stehen Sie in ihrer Kompetenzentwicklung zum Bereich „Komplexität und Aufgabenkultur“? Treffen Sie eine Einschätzung anhand des School Walkthroughs.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
37
Tipp
Informationen zur Aufgabenkultur (Videos, Artikel, Bücher, Präsentationen, ge-setzliche Verankerung) finden Sie in der NMS-Bibliothek: www.nmsvernetzung.at
Quellen und Downloads
Webbs Depth of Knowledge guide: Career and Technical Education Definitions (2009) http://www.aps.edu/rda/documents/resources/Webbs_DOK_Guide.pdf
Umsetzung in der Praxis
Die Komplexität einer Aufgabe wird nach dem Depths of Knowledge (DOK) Modell nach Webb be-
stimmt (Westfall-Greiter, 2012). Die Entscheidung, das Webb-Modell für die Bestimmung von Komple-
xität, wurde in Absprache mit der Schulaufsicht bundesweit getroffen. (s. Orientierungshilfe 1: Grundla-
gen für Leistungsbeurteilung, auf www.nmsvernetzung.at).
Komplexitätsbereiche nach Webb
Bereich 1: Erinnern Fakten, Informationen, einfache Verfahren
Bereich 2: Fertigkeiten/ Schlüsselkonzepte
Informationen bzw. Schlüsselkonzepte anwenden; zwei oder mehrere Schritte; Überlegungen über Lösungswege anstellen
Bereich 3. Strategisches Den-ken
Logisch denken, einen Plan entwickeln, Belege/Daten verwenden, mehrere Lösungswege zur Verfügung stellen, begründen, Schritte in Reihenfolge setzen, Abstrahieren
Bereich 4: Erweitertes Denken
Untersuchen, erkunden, nachdenken, mehrere Bedingungen bei der Problemanalyse und Lösungsfindung berücksichtigen, vernetzen, in Beziehung setzen, eine Lösungsstrategie aus vielen möglichen entwi-ckeln und anwenden
Tabelle 22: Abbildung der vier Komplexitätsbereiche nach Webb
Ziel ist es, Aufgaben zu stellen die (auch) im komplexen Bereich (strategisches Denken/erweitertes Den-
ken) liegen und die situiert, handlungsorientiert und authentisch sind. Als besonders herausfordernd und
komplex wird dabei oftmals die Auswahl und Erstellung von Aufgaben empfunden, die in den Bereichen
3 und 4 verortet sind.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
38
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, gibt es ein Hilfsmittel (in Anlehnung an Wiggins & McTighe,
2005), das für den Bereich Aufgabenstellung als Angebot zur Verfügung steht:
Situation/Kontext (In welcher Situation braucht man diese Kompetenz? In welchen lebensweltlichen Kontexten wird sie gebraucht?)
Ziel der Handlung (Wenn man in dieser Situation ist, was ist das Ziel der Handlung?)
Produkt/Leistung (Was ist die Leistung, die erbracht werden muss?)
Für wen? (Für wen erbringt man diese Leistung? Wer ist Auftragge-ber?)
In welcher Rolle? (Als was erbringt man die Leistung? Als Beraterin, Experte, Mechanikerin, Bauer, …)
Beurteilungskriterien (Nach welchen Kriterien wird der Auftraggeber die Qualität der Leistung beurteilen?)
Tabelle 23: Erstellung von authentischen Leistungsaufgaben (nach Wiggins & McTighe, 2005)
Im Deutschunterricht ergibt sich die spezielle Situation (im Gegensatz beispielsweise zu Mathematik),
dass die Aufgaben im Kompetenzbereich Schreiben von vornherein in einem höheren Komplexitätsbe-
reich anzusiedeln sind. Das Erinnern (Fakten, Informationen, Verfahren wiedergeben) findet beim
Schreiben so nicht statt, außer man würde mit den Schülerinnen und Schülern einen Text erarbeiten und
auswendig lernen lassen, um ihn danach zu reproduzieren. In diesem Fall hätten wir von der Denkweise
her nach Webbs Modell den Komplexitätsbereich „Erinnern“ aktiviert.
Unser Anspruch bei authentischen Leistungsaufgaben und auch bei Lernaufgaben im Kompetenzbereich
Schreiben sollte nun sein, auch andere Denkweisen zu aktivieren (Fertigkeiten/Schlüsselkonzepte oder
Strategisches Denken oder Erweitertes Denken). Natürlich haben daneben auch Aufgaben ihre Berechti-
gung, in welchen es um reines Erinnern und Reproduzieren geht, wie zum Beispiel ein Gedicht auswen-
dig lernen zu lassen oder wenn wir im Sinne von reinem Reproduzieren Aufgaben stellen, um u. a. ein
Vokabular zu sichern, z. B. „Nenne alle Wortarten.“
In unserem Lerndesign wurden folgende Lernaufgaben erstellt, um einerseits eine Lernstandserhebung für
eine förderliche Rückmeldung bzw. Differenzierung (siehe Kapitel: Flexible Differenzierung) durchzu-
führen und andererseits um eine Hinführung zu unserer Leistungsaufgabe zu bewerkstelligen.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Die Aufgabe macht´s!
(Kernidee nach Josef Lei-sen)
Lernaufgaben vor dem Prüfstand
Aufgabe 1
Stell dir vor, du hättest einen älteren Bruder, der derzeit in Berlin lebt. Du schreibst ihm eine E-Mail mit folgenden Inhalten:
Klassengemeinschaft, Schulhaus, neue Unterrichtsfächer und was dir noch wichtig erscheint. (ca. 120 Wörter)
Beginne so: Lieber Bruder,
… … …
Aufgabe 2
Deine Volksschullehrerin hat am Tag der Zeugnisverteilung gebeten, doch ab und zu etwas von euch hören zu lassen und davon zu berichten, wie es euch in der Neuen Mittelschule geht.
Du kommst nun diesem Wunsch nach und schreibst deiner Lehre-rin eine E-Mail. (ca. 140 Wörter)
Beginne so: Liebe Frau ………………,
… … …
Aufgabenstellung, die das langfristige Transferziel sichtbar macht (authenti-sche Leistungsaufgabe, hier das Schularbeitsthema)
Dein Klassenvorstand kündigt an, dass in Kürze die Zwillinge Anna und Paul in eure Klasse kommen. Die beiden stammen aus Berlin und möchten jede, jeden aus der Klasse genauer kennen lernen.
Stelle dich in Form einer E-Mail bei Anna oder Paul vor und informiere über:
dich und deine Familie, deine Schule und was dir noch wichtig ist! (ca. 150 Wörter).
Tabelle 24: Übersicht der Lernaufgaben zum Lerndesign
Ad authentische Leistungsaufgabe:
Im Fachteam an der NMS Schwarzach haben wir im Rahmen der Entwicklung unseres Lerndesigns sehr
intensiv an der Leistungsaufgabe (Thema für die Schularbeit ) gearbeitet. Uns waren folgende Punkte
wichtig:
Die Aufgabe soll lebensnah und in der Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler vorkommen
können (authentisch).
Sowohl die Mädchen als auch die Burschen können die Adressatin, den Adressaten/ frei wählen
(Anna oder Paul).
Die Aufgabe lässt auch Unerwartetes im positiven Sinn zu. (Im konkreten Fall hat ein Schüler
große Empathie gezeigt, indem er schrieb, dass er sich gut vorstellen könne, wie Paul sich fühlt.)
Die Aufgabenstellung hat klare Angaben (dich und deine Familie, deine Schule und was dir wich-
tig ist), die im Raster unter dem Kriterium Inhalt gut bewertbar sind. Die Frage dazu lautet: Hat
die Schülerin, der Schüler alles berücksichtigt? )
Die Aufgabe ist auch so formuliert, dass sich jede Schülerin und jeder Schüler darin findet und
diese im Sinne einer respektvollen Aufgaben auch lösen kann. (C. S.)
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
40
Lernaufgaben zum Kompetenzbereich Zuhören und Sprechen im Rahmen von „Ich bin ich und du
bist du.“
Das ABC - Rollenspiel
Tabelle 25: Lernaufgaben zum Kompetenzbereich Zuhören und Sprechen
Situation/Kontext Sprechübung in der Klasse, Dreier-Gruppen werden gelost
Ziel Gesprächsregeln von Schülerinnen und Schülern selbst entwickeln lassen; Wissensziel: Standardsprache und Umgangssprache
Produkt/Leistung sich partnergerecht vorstellen können
Beurteilungskriterien Siehe Raster „Sprechen“
Aufgabenstellung
ABC-Rollenspiel Übung 1: Paul und Adriana treffen sich auf der Bank im Schulhof. Es ist ihr erster Schul-tag. Die beiden kennen sich noch nicht und es entwickelt sich ein Gespräch. Übung 2:Der Direktor bittet Paul zu sich in die Direktion. Paul ist mit seinen Eltern aus Oberösterreich nach Schwarzach gezogen. Der Direktor möchte Paul näher kennen ler-nen. Der Direktor beginnt das Gespräch. Übung 3: Pauls Mutter möchte sich bei ihm über den ersten von ihm erlebten Schultag informieren. Die beiden sitzen am Abend in der Küche und es entwickelt sich ein Ge-spräch.
A B C
1.Übung Paul Adriana Beobachter/in
2.Übung Direktor Beobachter/in Paul
3.Übung Beobachter/in Paul Mutter
Durchführung
Dreier-Gruppen losen (sollten zwei Schülerinnen bzw. Schüler übrig bleiben,
kann eine Lehrperson mitspielen, bleibt nur eine Person übrig, dann können bei
einer Gruppe zwei Beobachter/innen eingesetzt werden).
Jeder, jedem in der Gruppe wird ein Buchstabe zugeordnet (A – B – C).
Tabelle wird an der Tafel entwickelt, aber zuerst nur mit A – B – C, also nur die
erste Zeile an die Tafel schreiben.
Danach die 1. Übung vorlesen und sofort danach die Zeile mit der 1. Übung auf-
schreiben. Dadurch bekommen die Schülerinnen und Schüler ihre Rollen zuge-
teilt (in der 1. Übung Paul, Adriana, Beobachter/in).
Wenn die Gespräche beendet sind, ebenso mit der 2. und 3. Übung fortfahren.
Im Anschluss an diese Übung - das Wort verwende ich auch bei den Schülerinnen und
Schülern (und nicht „Rollenspiel“) stelle ich folgende Fragen.
Fragenstellungen:
Was hat die Gespräche gefördert?
Was hat die Gespräche behindert?
Die Antworten werden auf einem Plakat notiert und es entstehen dadurch von den Schü-lerinnen und Schülern selbst verfasste Gesprächsregeln.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
41
Ad „ABC-Rollenspiel“
Dieses Rollenspiel verwende ich mehrmals. Dabei ändere ich immer wieder die Situationen. Neulich habe
ich folgende Variante durchgeführt:
Übung 1: Susi (11 Jahre) und Alex (11 Jahre) haben sich in der Schule kennen gelernt. Alex
wohnt in einem anderen Ort und möchte Susi zu sich zu einer kleinen Party am Nachmittag einla-
den. Die Eltern von Alex fahren an diesem Tag nach Salzburg, um Freunde zu besuchen. Alex
beginnt am Dienstag mit dem Vater ein Gespräch, um sich das Einverständnis einzuholen.
Übung 2: Susi findet am Mittwoch ihre Mutter gerade im Wohnzimmer vor. Sie bittet auch um
die Erlaubnis, bei dieser Party sein zu dürfen.
Übung 3: Die beiden Elternteile treffen sich in einem Supermarkt und sie kennen sich von früher.
Bald darauf fangen die beiden an über ihre Kinder zu sprechen.
Das Rollenspiel ist beendet, wenn bei der 3. Übung die Elternteile eine Lösung gefunden haben. Die Be-
obachterin, der Beobachter der jeweiligen Dreier-Gruppe zeigt auf. Im Anschluss berichtet jede Beobach-
terin, jeder Beobachter über das Ergebnis.
Im Anschluss frage ich die Schülerinnen und Schüler: Was hat zum Gelingen eines Gespräches beigetra-
gen? Die Ergebnisse können mit der Überschrift „Wie Gespräche besser gelingen“ auf einem Plakat fest-
gehalten werden und bleiben als Gesprächsregeln in der Klasse.
Diese Übung ist „konfliktgeladener“ und es ergeben sich sehr interessante Meinungen von Schülerinnen
und Schülern.
“Ich bin ich und du bist du“
Natürlich darf an dieser Stelle nicht die Namensgeberin für unseren Lerndesigntitel„ Ich bin ich und du
bist du“ (aus dem Gedicht „WIR“ von Irmela Brender; in Führmann, 1980) fehlen. Die erste Verszeile hat
für uns eine ideale Überschrift geboten, um das Lernthema mit allen Bereichen eines Lerndesigns zu um-
schreiben.
Im Sinne einer modernen Sprecherziehung hat das vielleicht antiquiert anmutende Auswendiglernen eines
Gedichtes ebenso seinen Platz, wie das ABC-Rollenspiel, Referate, usw.
Worte anderer im wahrsten Sinne „in den Mund zu nehmen“ und sie vor einem Publikum wiederzugeben
fördert die Heranführung zur Standardsprache. Beim Aufsagen eines Gedichtes muss von den Schülern
und Schülerinnen nicht auf den Inhalt geachtet werden im Sinne von Was sage ich jetzt? Hier findet sich
für uns ein Beispiel, dass reines Reproduzieren mit all seinen stimmlichen wie körpersprachlichen Um-
setzungsmöglichkeiten - in diesem Fall (ein Gedicht auswendig lernen) – auch seinen Platz in der Unter-
richtsplanung hat.
Tipp
Das Gedicht „WIR“ von Irmela Brender wurde in „Gedichte für Anfänger“ von Führmann (1980) veröffentlicht.
Eine Internetrecherche nach der Autorin und dem Gedicht liefert eine Vielzahl von Hintergrundinformationen und Unterrichtsmaterialien zur Dichterin und dem Text.
Quellen und Downloads
Führmann, J. (Hrsg.) (1980). Gedichte für Anfänger. Reinbek: Rowohlt Verlag.
Weitere Informationen (Videos, Artikel, Bücher, Präsentationen, gesetzliche Ver-ankerung) finden Sie in der NMS-Bibliothek: www.nmsvernetzung.at.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
42
Kriterien als Grundlage von Beurteilung
Ein Standard beschreibt eine spezifische Performanz auf einer
Kompetenzstufe, die erstrebenswert ist. […] Standards werden von
Kriterien konkretisiert. Ein Standard besagt, dass Schülerinnen und
Schüler am Ende der Schule ‚gut schreiben‘ können sollen; Krite-
rien stellen fest, was ‚gut‘ bedeutet. (Wiggins, 1998, S. 104-105 zitiert nach Westfall-Greiter, 2012, S. 12)
Der Kern der Sache
Kernideen Kernfragen
Transparente Ziele und Kriterien erzeugen Fairness und erzwingen eine Ehrlichkeit.
Was sind Kriterien?
Wozu Kriterien? Was haben Kriterien mit Fairness und Ehrlichkeit zu tun?
Kriterien geben Orientierung für die Beurtei-lung von Kompetenzen und verdeutlichen, welche Faktoren bei einer Leistung zählen.
Inwieweit hängen Kriterien und Kompetenzen zusammen?
Was bedeuten Kriterien in Bezug auf Leis-tung?
Wie messe ich Leistung?
Kriterien und Qualität einer Leistung stehen im Zusammenhang.
Was ist eine „gute“ bzw. eine „schlechte“ Leistung? Woran messe ich das?
Werkzeuge zur kriterienorientierten Leis-tungsbeurteilung sind unterschiedlich.
Welche Werkzeuge zur kriterienorientierten Leistungsbeurteilung gibt es? Wozu Beurtei-lungsraster & Skalen? Was brauche ich zur Entwicklung von diesen? Wie, wann und wo verwende ich sie?
Kriterien sind die Basis für Entscheidungen. Welches Kriterium ist sinnvoll, nützlich, hilf-reich und am besten wirksam? Wie bekomme ich das, was ich möchte? Wofür soll ich mich entscheiden? Was ist ein „authentisches“ Kriterium, ein Kriterium mit Lebensbezug?
Tabelle 26. Kernideen und Kernfragen zu Kriterien als Grundlage von Beurteilung
Ohne Kriterien könnten wir keine Entscheidung treffen. Sie gehören zum Leben!
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
43
School Walkthrough: Ermittlung des IST-Standes
Fokus auf krieteriale Leistungsbeurteilung
Weiterführend Kriterienorientierung: Schüler/innen bestimmen die Qualitäts- bzw. Beurteilungskri-terien mit und erarbeiten gemeinsam mit den Lehrpersonen Beschreibungen der Qua-litätsstufen, die entsprechend der Anforderungen der Schulstufe im Fachlehrplan so-wie Bildungsstandards zu erwarten sind.
Transparenz: Beurteilungsraster werden konsequent bei der Leistungsfeststellung, im Rahmen von Lehr- und Lernprozessen für wirksame Rückmeldung, Selbst-und Peerein-schätzung sowie zur Dokumentation der Kompetenzentwicklung verwendet. Alle Be-teiligten verstehen die Anforderungen und sind in der Lage, selbst jederzeit eine Note auf Basis der Leistungsfeststellungs-ergebnissen einzuschätzen.
Rechtskonformität: Anforderungen sind im Einklang mit dem Fachlehrplan bzw. Bil-dungsstandards und integrieren überfachliche Kompetenzen bzw. die allgemeinen Bildungszielen im Lehrplan. Beurteilungs-praxis ist rechtskonform.
Erfolgsorientierung: Schüler/innen erkennen ihre Selbstwirksamkeit und sind erfolgs-orientiert. Lernen und die eigene Erwartungen zu übertreffen stehen im Vordergrund. Es herrscht ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Lern- und Leistungsaufgaben sind für die Einzelnen sinnvoll.
Ziel Kriterienorientierung: Erfolgskriterien für die Leistungsfeststellung sind authentisch und durch den Bezug zu realen Handlungssituationen glaubwürdig. Beurteilungsraster beschreiben entsprechend der Anforderungen der Schulstufe bzw. den Bildungsstan-dards die unterschiedlichen Qualitätsstufen von Leistungen und werden bei Leistungs-feststellungen konsequent verwendet.
Transparenz: Die Schüler/innen wissen, welche Kompetenzen wesentlich sind und verstehen die Kriterien und Qualitätsstufen. Sie nützen Beurteilungsraster zur Selbst-und Peereinschätzung sowie zur Dokumentation ihrer eigenen Kompetenzentwicklung. Es ist ihnen klar, wie eine Note ermittelt wird. Sie wissen inwieweit Schwächen im Kernbereich durch Stärken kompensiert werden können. Eine Note ist aussagekräftig über den aktuellen Kompetenzstand.
Rechtskonformität: Anforderungen sind im Einklang mit dem Fachlehrplan bzw. Bil-dungsstandards. Beurteilungspraxis ist im Einklang mit der Rechtslage.
Erfolgsorientierung: Schüler/innen sind am Lernen orientiert und sehen den Sinn darin, in ihr eigenes Lernen zu investieren. Sie erleben Erfolg, wenn sie ihre Kompe-tenz durch eigene Anstrengung weiter aufbauen. Die Schüler/innen sind in der Lage, zwischen Bewertung von Leistung und Bewertung von Persönlichkeit zu trennen.
Am Weg Kriterienorientierung: Wesentliche Kompetenzen sind in Bezug zu den Bildungsstan-dards. Kriterien geben Orientierung für die Beurteilung von Kompetenzleistungen und verdeutlichen welche Faktoren bei einer Leistung zählen. Die Erwartungen entspre-chen zum Teil den Anforderungen der Schulstufe im Fachlehrplan.
Transparenz: Die Schüler/innen wissen, was zählt, und können strategisch ihr Lernen steuern, um gute Ergebnisse zu erzielen, wenn sie wollen. Weil die Anforderungen nur teilweise im Einklang mit den Bildungsstandards bzw. Fachlehrplan sind, ist es mög-lich, ohne ausreichende Kompetenz erfolgreich zu sein.
Rechtskonformität: Anforderungen sind nicht im Einklang mit dem Fachlehrplan bzw. Bildungsstandards. Reproduktives Wissen ohne Handlungskompetenz kann Erfolg si-chern.
Erfolgsorientierung: Die Schüler/innen orientieren sich an Leistung und guten Noten. Lernen und Kompetenzaufbau sind sekundär und nur nötig, wenn sie mit ihren Noten
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
44
nicht zufrieden sind.
Beginnend Kriterienorientierung: Kompetenzraster zur Selbsteinschätzung deuten auf Lernziele hin, sind jedoch ohne Untermauerung von Kriterien. Kriterien werden fallweise ange-sprochen bzw. angedeutet. Anforderungen entsprechen nicht den Anforderungen der Schulstufe im Fachlehrplan bzw. Bezug zu den Bildungsstandards fehlt.
Transparenz: Die Latte wird Schritt für Schritt erhöht, welches das Sichtbar-Machen der Kompetenzentwicklung erschwert. Schüler/innen haben keine verlässliche Orien-tierung. Noten werden nach Punkte-/Prozentsystem errechnet und geben wenig In-formationen darüber, welche Schritte unternommen werden können, um Kompetenz aufzubauen.
Rechtskonformität: Leistungsfeststellungen werden benotet; es gibt keine Unter-scheidung zwischen Feststellung nach Kriterien und Benotung. Noten werden mecha-nisch berechnet. Aufzeichnungen sind nicht nachvollziehbar.
Erfolgsorientierung: Die Beurteilungspraxis orientiert sich an Mängel und Defizite. Schüler/innen sind bewegt, ihre Defizite abzubauen bzw. zu kompensieren. Noten sind emotionalisiert.
Noch nicht Kriterienorientierung: Keine Beurteilungskriterien sind erkennbar. Die subjektive Einschätzung der Lehrperson dient als Maßstab für die Bewertung, Erfolg wird auf-grund individuellen Lernfortschritts beurteilt (Individualnorm) bzw. Maßstäbe werden an erbrachte Leistungen angepasst oder die Qualität einer Leistung an der Gau’schen Kurve relativiert (Sozialnorm).
Transparenz: Schüler/innen empfinden die Beurteilung als willkürlich und ungerecht. Sie fühlen sich dauernd auf dem Prüfstand und der Situation ausgeliefert. Noten sind für sie und ihre Eltern nicht nachvollziehbar.
Rechtskonformität: Leistungsfeststellungen werden benotet; es gibt keine Unter-scheidung zwischen Feststellung nach Kriterien und Benotung. Noten werden mecha-nisch berechnet. Aufzeichnungen sind nicht nachvollziehbar.
Erfolgsorientierung: Die Beurteilungspraxis wirkt nachtragend und entmutigend. Be-urteilung ist bedrohlich und beängstigend. Schüler/innen sind demotiviert und ratlos, fühlen sich ausgeliefert
Tabelle 27: School Walkthrough zum Bereich kriteriale Leistungsbeurteilung (Hofbauer & Westfall-Greiter,
2015)
Was ist ein Kriterium?
Ein Kriterium ist ein Maßstab, nachdem wir etwas beurteilen oder zwei/mehrere Dinge vergleichen. Auch
im täglichen Leben nützen wir Kriterien für jede Entscheidung, oft sogar unbewusst. Wie beim Einkauf
von Schuhen, Kleidung, Lebensmittel, etc. Warum diese Schuhe und nicht jene? Weil sie bequemer,
schöner, billiger, usw. sind. Die Auswahlkriterien sind Tragekomfort, Aussehen und Preis.
Auf den schulischen Kontext bezogen stellt sich die Frage, wie sich Schule und Unterricht ohne Kriterien
zeigen würde? Ohne Kriterien bleibt jegliche (Selbst-)Einschätzung bzw. Bewertung in der Subjektivität
und Leistungsbeurteilung in der Beliebigkeit verhaftet. Es wäre auch unmöglich, Kompetenzentwicklung
zu dokumentieren und infolge wäre die Entwicklung von Fachverständnis und Kompetenz gehemmt.
Transparenz in der Leistungsbeurteilung
Die gesetzlichen Grundlagen weisen unmissverständlich darauf hin, dass Leistungsfeststellungen und
-beurteilungen auf Basis objektiver Kriterien vorzunehmen sind. Die NMS-Lehrplanverordnung (Teil 1,
S.10) fordert zusätzlich Transparenz: „Die Anforderungen sind den Schülerinnen und Schülern einsichtig
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
45
zu machen, vor allem über transparente Beurteilungskriterien mit Bezug zu den jeweiligen Kompeten-
zen“. Es sind die objektiven Kriterien, die für eine faire und ehrliche Leistungsbeurteilung maßgeblich
und ausschlaggebend sind. Ohne Kriterien bleiben Leistungsbeurteilungen vielfach in subjektiven Ein-
schätzungen der Lehrperson verhaftet, die den Ansprüchen von Ehrlichkeit und Fairness diametral entge-
gengesetzt sind. Fairness in der Leistungsbeurteilung, so Wiggins (1998), erfordert:
einen hohen Anspruch an alle Schülerinnen und Schüler,
eine konsequente Orientierung an Exzellenz2,
Transparenz von Erwartungen und Zielen sowie
Kriterien.
Sind transparente Ziele und Kriterien entsprechend den Anforde-
rungen des Lehrplans definiert, ist damit die Basis für „ehrliche“
Leistungsrückmeldung geschaffen. Ehrlichkeit in der Leistungsbe-
urteilung wird jedoch für manche Kolleginnen und Kollegen ein
Stolperstein: sie meinen, durch Ehrlichkeit – besonders wenn es
darum geht, unzureichende Leistungen bewerten und rückmelden
zu müssen – bei Schülerinnen und Schülern emotionalen Schaden
anzurichten. Es wird dahingehend argumentiert, dass schlechte
Ergebnisse, besonders bei weniger leistungsfortgeschrittenen Schü-
lerinnen und Schülern à la longue demotivierend und frustrierend
sind und sich schadhaft auf die Persönlichkeitsbildung auswirken.
Wiggins (ebd.) argumentiert im Gegensatz dazu, dass es nicht res-
pektvoll gegenüber der Schülerin, dem Schüler sei, wenn schlechte
Ergebnisse schön geredet werden, bzw. sie mit „besseren“ Noten
beurteilt werden, obwohl die erbrachten Leistungen unter den Er-
wartungen liegen und die zu erreichenden Kompetenzen nicht vor-
handen sind.
Beurteilungsraster zur Dokumentation und Beurteilung von Kompeten-zentwicklung
Um Kompetenzentwicklung dokumentieren zu können, braucht es ein Instrument. Als geeignetes Werk-
zeug hat sich die Entwicklung von Beurteilungsrastern gezeigt. Die Beschreibung von Leistungen auf
unterschiedlichen Qualitätsstufen entlang von sachbezogenen Kriterien ist nicht nur eine unabdingbare
Voraussetzung dafür, Leistungen von Schülerinnen und Schülern nachvollziehbar, fair, ehrlich und lern-
förderlich messen und beurteilen zu können, sondern ermöglicht auch die im Lehrplan geforderte detail-
lierte Rückmeldung im Hinblick auf den „Kompetenzzuwachs“ bzw. die Lernfortschritte an die Schüle-
rinnen und Schüler und deren Erziehungsberechtigte.
Beispiele von fachspezifischen Beurteilungsrastern und deren Handhabung werden in der praktischen
Umsetzung erläutert. Konkrete Hinweise zur Erstellung von Beurteilungsrastern finden Sie in den Tipps.
Die Vorteile von Beurteilungsrastern sind vielseitig. Sie schaffen Transparenz, machen die Erwartungen
und Anforderungen klar, sie geben Orientierung und fördern die Entwicklung der Autonomie der Lernen-
den, weil diese die Qualität ihrer Leistung mit Hilfe eines Rasters selbständig beurteilen können. Sie ent-
lasten auch die Lehrperson: sie reduzieren Wiederholungen in der Leistungsrückmeldung, erleichtern die
Bewertung und eliminieren Fragen wie „Wieso haben Sie mir hier zwei Punkte abgezogen?“ Raster hel-
fen der Lehrperson, den Unterricht auf das Wesentliche und auf Kompetenzen auszurichten, sowie die
Inhalte und Ziele zu schärfen. Wenn Raster im Kollegium entwickelt werden, findet Unterrichtsentwick-
lung statt. Vor allem aber steigern sie die Qualität von Leistungsbeurteilung.
2 Exzellenz ist ein sperriger Begriff, der in diesem Zusammenhang als Brillanz bzw. als Synonym für „ meisterhaftes Können“
übersetzt werden könnte.
Um Kompetenzen zu beurteilen braucht es:
Aufgaben, die das volle Spekt-rum an Transfer (Eigenständig-keit, Anwendung von Wissen & Können auf neuartige Aufgaben) sichtbar machen,
Kriterien, die für die Beurtei-lung der Qualität des Ergebnisses der Handlung herangezogen werden,
Beurteilungsraster, mit Be-schreibungen der Leistungen auf unterschiedlichen Qualitätsni-veaus, die an den Kriterien und am Zielbild für die jeweilige Schulstufe orientiert sind.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
46
Leistungsfeststellung Benotung
ist ein Vorgang des Messens.
Das Ergebnis = der Messwert einer Leis-tung, das aufgezeichnet wird („score“: 4.0, 3.0, 2,0, 1.0).
ist ein Vorgang des Beurteilens.
Die Ziffernote = eine qualitative Aussage über Leistungen („grade“), die über ei-nen längeren Beobachtungszeitraum hinweg erbracht wurden.
Tabelle 28: Begriffsklärung: Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung (Benotung)
in der LBVO (vgl. Eder, Neuweg & Thonhauser, 2009)
Die Semester- bzw. Jahresnote ist eine Ziffernote, d.h. ein Symbol, das eine Gesamtbeurteilung nach den
Beurteilungsstufen der LBVO ausdrückt. Das bedeutet, dass eine Durchschnittswertbildung bei der No-
tenfindung nicht machbar ist – abgesehen davon, dass diese Praxis gesetzeswidrig ist. Sie sagt faktisch:
„Dein Durchschnitt ist ‚befriedigend‘, weil ich es errechnet habe und auf befriedigend-Komma-241 ge-
kommen bin“(vgl. Neuweg, 2009, S.104). Bei der Ermittlung der Semester- bzw. Jahresnote braucht es
daher eine Entscheidungsgrundlage und -regeln, die den Beschreibungen in der LBVO entsprechen (vgl.
Stiggins, 2008).
Eine solche Entscheidungsgrundlage wurde von Lerndesignerinnen und Lerndesigner 2012/13 erprobt.
Die überarbeitete Version und Hinweise zur Ermittlung der Note auf Basis ihrer Praxiserfahrung finden
Sie in der Handreichung Vorschläge für eine Entscheidungsgrundlage auf www.nmsvernetzung.at.
Denkpause
Zu Kompetenz und Leistungsbeurteilung:
Inwieweit hängen Kompetenz und Beurteilung für mich zusammen?
Wie beurteile ich Lernzielkontrollen?
Was ist mein Verständnis von „Mitarbeit“?
Gibt es eine Kluft zwischen meiner Beurteilungspraxis und den rechtlichen Vorgaben? Wie kann ich diese überwinden? Was brauche ich dazu?
Zu Transparenz der Leistungsbeurteilung:
„Es wäre ausgesprochen wünschenswert, wenn der Lehrer schon am Beginn des Schuljahrs völlige Transparenz in der Notengebung schafft“ (Neuweg, 2009, S. 102).
Wie transparent ist meine derzeitige Beurteilungspraxis?
Bestimmen Sie anhand des School Walkthroughs zur kriterienorientierten Leistungsbeurteilung ihre derzeitige Beurteilungspraxis: Wo bin ich? Wo ist mein Fachteam? Wo ist meine Schule?
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
47
Tipp
Hilfreiche Hinweise und Unterlagen zur kriterialen Leistungsbeurteilung (Vi-deos, Artikel, Bücher, Präsentationen, gesetzliche Verankerung) finden Sie in der NMS-Bibliothek auf www.nmsvernetzung.at
Quellen und Downloads
Westfall-Greiter, T. (2012). Handreichung zu: Orientierungshilfe zur Leis-tungsbeurteilung, Teil 1 (Grundlagen und Begriffe). Verfügbar unter: NMS-Bibliothek: www.nmsvernetzung.at
Westfall-Greiter, T. (2014).Handreichung zu: Vorschläge für eine Entschei-dungsgrundlage zur Ermittlung einer Gesamtnote auf Basis der Erprobung im SJ 2012/2013. www.nmsvernetzung.at
Umsetzung in der Praxis
An dieser Stelle möchten wir eine Möglichkeit eines Beurteilungsrasters zum Kompetenzbereich Zuhören
und Sprechen zeigen. Gerade dieser Kompetenzbereich hat mit der Einführung der Bildungsstandards und
dem damit neu entwickelten Kompetenzmodell eine Aufwertung erfahren. Sprechleistungen werden in
der D8-Testung an 10% der Schulen überprüft. Zwei Personen (Assessor und Interlokutor) führen mit den
Schülerinnen und Schülern Gespräche durch. Der Interlokutor bringt das Gespräch beim dialogischen
Sprechen in Gang und gibt für das monologische Sprechen Anweisungen. Der Asessor bewertet das Ge-
spräch nach Kriterien und ordnet die Sprechleistungen den Bereichen „Bildungsstandards übertroffen“ –
„Bildungsstandards erreicht“ – „Bildungsstandards teilweise erreicht“ – „Bildungsstandards nicht er-
reicht“ zu.
Mit dieser Einführung wurde Neuland betreten durch den Umstand, dass es im gesamten deutschsprachi-
gem Raum keine Kriterien und Beschreibungen gab, um Sprechleistungen zu messen. Die Kriterien wur-
den anhand der Zielbeschreibungen aus den Bildungsstandards (Deskriptoren) am BIFIE in Salzburg
entwickelt. Im Schuljahr 2015/16 kommen sie im Rahmen der D8-Testung erstmalig zum Einsatz und
stoßen auch bereits in der Schweiz und Deutschland auf Interesse.
Viele Lehrerinnen und Lehrer haben in ihrem bisherigen Unterricht versucht, vor allem für Referate oder
einer Rede Kriterien zu finden und auch den Schülerinnen und Schülern transparent zu machen (Zeitrah-
men, Art des Vortrages, Deutlichkeit,…).
Hier nun ein Versuch von unserer Seite, diesen schwierigen Anspruch in einen Beurteilungsraster zu fas-
sen.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
48
Quali-täts-stufen
Kriterien (Bereitschaft an Gesprächen teilzunehmen, Qualität der Aussagen, Ausdruck, Adressatenbezug) und Indikatoren (Wie zeigt sich das in der Sprechleistung der einzelnen Schülerin, des einzelnen Schülers?)
4.0
Bereitschaft, an Gesprächen teilzunehmen: Die Schülerin, der Schüler beteiligt sich eigenständig an Sprechübungen und bringt sich aktiv in Gespräche ein.
Qualität der Aussagen: Die mündlichen Beiträge sind ausnahmslos sinnvoll und immer zum Thema passend. Die Qualität der Aussagen übertrifft inhaltlich (Weltwissen/Selbstreflexion,…) die gestellten Anforderungen, die in dieser Schulstufe zu erwarten sind.
Ausdruck: Die Schülerin, der Schüler spricht lückenlos deutlich/verständlich und weiß bereits die Mittel einer gelungenen Kommunikation einzusetzen (Stimmhöhe, Lautstärke, Augenkontakt, Mimik und Gestik).
Adressatenbezug: Die Schülerin, der Schüler kann immer adressatengerecht an Gesprächen teilneh-men und beherrscht die Gesprächsregeln (Zuhören und Ausredenlassen) bereits ausnahmslos. Sie/er beherrscht den Wechsel von Dialekt, Umgangssprache und Standardsprache und setzt diesen bewusst ein. Die Gespräche gelingen ausnahmslos.
3.0
Bereitschaft, an Gesprächen teilzunehmen: Die Schülerin, der Schüler beteiligt sich überwiegend an Sprechübungen und bringt sich größtenteils ein.
Qualität der Aussagen: Die mündlichen Beiträge sind überwiegend sinnvoll und größtenteils zum Thema passend. Die Qualität der Aussagen entspricht den Anforderungen, die in dieser Schulstufe zu erwarten sind.
Ausdruck: Die Schülerin, der Schüler spricht im Wesentlichen deutlich/verständlich und weiß bereits die Mittel einer gelungenen Kommunikation einzusetzen (Stimmhöhe, Lautstärke, Augenkontakt, Mimik und Gestik).
Adressatenbezug: Die Schülerin, der Schüler kann adressatengerecht an Gesprächen teilnehmen und beherrscht die Gesprächsregeln (Zuhören und Ausredenlassen). Sie, er beherrscht den Wechsel von Dialekt, Umgangssprache und Standardsprache. Die Gespräche gelingen.
2.0
Bereitschaft, an Gesprächen teilzunehmen: Die Schülerin, der Schüler beteiligt sich an Sprech-übungen und bringt sich zeitweise ohne Aufforderung in Gespräche ein.
Qualität der Aussagen: Die mündlichen Beiträge sind in den wesentlichen Bereichen sinnvoll und passend zu einem Thema. Die Qualität der Aussagen entspricht größtenteils den Anforderungen, die in dieser Schulstufe zu erwarten sind.
Ausdruck: Die Schülerin, der Schüler spricht teilweise deutlich/verständlich und weiß bereits die Mittel einer gelungenen Kommunikation einzusetzen (Stimmhöhe, Lautstärke, Augenkontakt, Mimik und Gestik).
Adressatenbezug: Die Schülerin, der Schüler kann größtenteils adressatengerecht an Gesprächen teilnehmen und beherrscht die Gesprächsregeln (Zuhören und Ausredenlassen). Sie, er beherrscht zeitweise den Wechsel von Dialekt, Umgangssprache und Standardsprache. Die Gespräche gelingen größtenteils.
1.0
Bereitschaft, an Gesprächen teilzunehmen: Die Schülerin, der Schüler beteiligt sich nur nach Auf-forderung an Gesprächen und Sprechübungen.
Qualität der Aussagen: Die mündlichen Beiträge sind teilweise sinnvoll und passend zu einem The-ma. Die Qualität der Aussagen treffen teilweise die Anforderungen, die auf dieser Schulstufe zu er-warten sind.
Ausdruck: Die Schülerin, der Schüler spricht nur nach Aufforderung deutlich/verständlich und weiß teilweise bereits die Mittel einer gelungenen Kommunikation einzusetzen (Stimmhöhe, Lautstärke, Augenkontakt, Mimik und Gestik).
Adressatenbezug: Die Schülerin, der Schüler kann nach Aufforderung der Lehrperson adressatenge-recht an Gesprächen teilnehmen und beherrscht die Gesprächsregeln (Zuhören und Ausredenlassen) Er/sie führt mit Hilfe einen Wechsel von Dialekt, Umgangssprache und Standardsprache durch. Die Gespräche gelingen teilweise.
Tabelle 29: Leistungsmessung – Kompetenzbereich Zuhören und Sprechen
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
49
Zum Abschluss dieses Kapitels wollen wir noch ein Beispiel für eine Schularbeit vorstellen und dabei
den Einsatz des Schreibrasters als Messinstrument – um Kompetenz sichtbar zu machen – vorstellen.
Nochmals dürfen wir an dieser Stelle unsere authentische Leistungsaufgabe angeben, die als 1. Schular-
beitsthema verwendet wurde.
Schularbeits-aufgabe
Dein Klassenvorstand kündigt an, dass in Kürze die Zwillinge Anna und Paul in eure Klas-se kommen. Die beiden stammen aus Berlin und möchten jeden einzelnen aus der Klas-se genauer kennen lernen.
Stelle dich in Form einer E-Mail bei Anna oder Paul vor und informiere über:
dich und deine Familie, deine Schule und was dir noch wichtig ist!
(ca. 150 Wörter)
Tabelle 30: Schularbeitsaufgabe – authentische Leistungsaufgabe
Da der Text durch den Vorgang des Scannens kaum leserlich wäre, habe ich diesen wortgetreu transkri-
biert.
Schülertext aus der NMS Schwarzach im Rahmen des Lerndesigns mit dem Titel „Ich bin ich und du bist
du“. Die darin vorkommenden Personen haben wir entfernt […].
Betreff: Von mir, meiner Familie und der neuen Schule
Liebe Anna Lieber Paul
Ich möchte euch von mir, von der Schule und meiner Familie erzählen. Mein
Name ist [Vorname des Schülers].
Die Neue Mittelschule in Schwarzach ist sehr toll. Ich weiß nicht, ob ihr auch so spannende Fächer
habt wie wir. Geografie ist ein Intiressandes Fach, weil wir über die ganze Welt lernen und for al-
lem weil Frau […] so tolle Geschichten erzählt. Die Klassengemeinschaft ist auch sehr, sehr gut.
Manchmal streiten wir aber am nächsten Tag ist alles wieder vergessen. Unser Klassenforstand
Frau […] ist auch sehr nett. Manchmal schimpft sie uns. Doch das ist kein Wunder weil wir
manchmal laut sind obwohl wir leise sein müssten. Unser Klassenraum ist auch schön eingerichtet.
Vorallem gefällt mir die neue Tafel, weil man so tolle Sachen machen kann. Alle Lehrer/innen sind
sehr nett.
In meiner Freizeit gehe ich sehr Schifahren. Denn ich liebe es über steile Pisten zu rasen. Auch ger-
ne mache ich Motorsport. Leider darf ich nur in den Feldern meines Opas fahren den da ist das
Risico nicht so groß das mich die Polizei erwischt. Trozdem macht mir das Motorcross fahren sehr
viel spass.
Ich habe eine Schwester, eine Mutter und einen Vater. Zusammen wohnen wir in schönsten Ort
von ganz Österreich. Nämlich in St. Veit. St. Veit hat ungefähr 3500 Einwohner. Es werden im-
mer wida neue moderne Häuser gebaut. Am liebsten würde ich bis am Ende der Welt in St. Veit
bleiben, weil für mich ist es der schönste Ort der ganzen Welt.
Ich freue mich auf eueren Besuch.
Liebe Grüße euer […] (235 Wörter)
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
50
Quali-täts-stufen
Kriterien (Inhalt, Merkmale der Textsorte, Sprachbewusstsein, Wirkung) und Indikatoren (Wie zeigt sich das in der Leistung des Schülers/der Schülerin?)
4.0
wie 3.0 + „Wow-Effekt“:
über das Zielbild hinaus gehende, individuelle Leistung in Bezug auf den Arbeitsauftrag, im
Speziellen …… die Länge des Textes, stellenweise besonders gelungene Wortwahl
3.0
Inhalt: Die Aufgabenstellung ist vollständig erfüllt. Der Text folgt durchgängig einer Logik, er besitzt einen „roten Faden“ und hat eine angemessene Länge (siehe Angabe).
Textsortenbewusstsein: Die Merkmale der Textsorte (hier: E-Mail) sind vollständig vorhan-den.
Sprachbewusstsein: Die Gliederung des Textes ist klar erkennbar, Absätze markieren ei-nen neuen Gedanken oder ergeben eine größere Sinneinheit. Der Wortschatz in Bezug auf die Aufgabenstellung ist treffend, abwechslungsreich und umfangreich. Die Wortwahl ist zum Thema passend und korrekt. Einzelne Rechtschreib- und Grammatikfehler beeinflussen die Lesbarkeit des Textes nicht.
Wirkung: Der Text erzielt die von der Schreiberin, vom Schreiber beabsichtigte Wirkung bei der Leserin, beim Leser (in diesem Fall: ein förderliches In-Kontakt-Treten mit Anna oder Paul, ein Sich-Willkommen-Fühlen von Anna oder Paul).
2.0
Inhalt: Die Aufgabenstellung ist weitgehend (deutlich mehr als die Hälfte) erfüllt. Der Text folgt weitgehend einer Logik, er besitzt größtenteils einen „roten Faden“. Er hat eine an-gemessene Länge, kann jedoch knapp unter der geforderten Wortanzahl liegen (ca. 10%).
Textsortenbewusstsein: Die Merkmale der Textsorte (hier: E-Mail) sind bis auf vernachläs-sigbare Einzelheiten alle vorhanden. Die fehlenden Teile stören die geforderte Textsorte als solche nicht.
Sprachbewusstsein: Absätze sind größtenteils vorhanden. Der Wortschatz in Bezug auf die Aufgabenstellung ist begrenzt, daraus resultieren gelegentliche Wortwiederholungen. Die Wortwahl ist in Einzelfällen falsch (z. B.2. Stammform) oder unpassend. Mehrere Recht-schreib- und Grammatikfehler beeinflussen die Lesbarkeit des Textes nicht.
Wirkung: Der Text erzielt weitgehend die vom Schreiber/der Schreiberin beabsichtigte Wirkung beim Leser/der Leserin.
1.0
Inhalt: Der Text unterschreitet zwar die geforderte Länge, aber die Aufgabenstellung und der „rote Faden“ sind noch erkennbar.
Textsortenbewusstsein: Die geforderte Textsorte (hier: E-Mail) ist als solche erkennbar.
Sprachbewusstsein: Zumindest ein Absatz wurde nachvollziehbar eingesetzt. Der Wort-schatz in Bezug auf die Aufgabenstellung ist für das Textverständnis brauchbar. Die Wort-wahl ist teilweise falsch oder unpassend, aber für das Gesamtverständnis des Textes noch nicht störend. Häufige Rechtschreib-und Grammatikfehler beeinflussen die Lesbarkeit des Textes teilweise.
Wirkung: Der Text erzielt teilweise die vom Schreiber/der Schreiberin beabsichtigte Wir-kung beim Leser/der Leserin.
Tabelle 31: Beispiel für den Einsatz des Schreibrasters zur Leistungsmessung
Bei diesem Schüler liegen die gelben Markierungen größtenteils im Bereich 3.0 und ergeben, da wir die
Markierung im Bereich 2.0 (Rechtschreib- und Grammatikfehler) hier vernachlässigen und klar „Wow-
Effekte“ (siehe handschriftliche Vermerke des Lehrers im Bereich 4.0) zu verzeichnen sind, die Note
„Sehr Gut“.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
51
Flexible Differenzierung
Der Kern der Sache
Kernideen Kernfragen
Wir lernen unterschiedlich. Wie lerne ich? Was sind meine Lernpräferen-zen? Was hilft mir beim Lernen?
Wir haben unterschiedliche Interessen, brin-gen unterschiedliche Erfahrungen, Konzepte, Kompetenzen und unterschiedliches Vorwis-sen mit uns.
Wer sind „meine“ Schülerinnen und Schüler? Was sind ihre Interessen? Wie kann ich diese in den Unterricht einbauen? Was bringen die Schülerinnen und Schüler an Vorwissen mit? Welche möglichen Missverständnisse blockie-ren ihr Lernen?
"One size does not fit all.
Jede, jeder lernt anders anders.
Wie differenziere ich? Welche Werkzeuge sind hilfreich zur Erhebung des Vorwissens, der Interessen und Lernpräferenzen?
Viele Wege führen zum Ziel. Welche Aufgaben und Methoden sind sinnvoll und hilfreich, um das Ziel zu erreichen?
Gleichbehandlung ist nicht gerecht.
Gleichwertige Behandlung sichert Chancen-gerechtigkeit.
Was ist fair?
Der Unterricht wird proaktiv und rückwärts vom großen Ziel gestaltet.
Was ist das langfristige Ziel? Wie flexibel bilde ich Gruppen?
Tabelle 32: Kernideen und Kernfragen zu Flexible DIfferenzierung
Differenzierung ist vielmehr eine Philosophie und eine Denkweise als eine Strategie
- Carol Ann Tomlinson
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
52
School Walkthrough: Ermittlung des IST-Standes
Fokus auf Differenzierung
Weiterführend Klarheit & Transparenz: Die Lernenden wissen, was zu tun ist und wozu sie es tun; die Arbeit scheint ihnen sinnvoll und relevant und erweckt dadurch Ernsthaftigkeit.
Flexible Gruppierung & Klassenführung: Es herrscht eine inklusive, förderliche und respektvolle Lernkultur. Unterschiede werden als Ressourcen positiv thematisiert und für die Gestaltung von Lernsettings und Gruppenkonstellation genützt. Jede/r hat Anlass, mit jedem/jeder zu arbeiten.
Respektvolle Aufgaben: An alle Lernenden wird ein hoher Anspruch gestellt. Zutrau-en und Zuversicht sind spürbar. Die Aufgaben stehen stets im Bezug zum Zielbild. Die Lernenden sind an der Aufgabenstellung beteiligt bzw. stellen sich selbst Aufgaben.
Information: Informationen zum Vorwissen, Interessen und Lernpräferenzen werden fließend stets erhoben und von allen Beteiligten genützt, um den Lernweg zum Ziel möglichst effizient, wirksam und erfolgsorientiert zu bestimmen.
Ziel Klarheit & Transparenz: Lernziele (Verstehen, Wissen und Können)und Erfolgskrite-rien sind transparent und dienen als Kompass für alle Beteiligten. Die Lernenden haben ein gemeinsames Verständnis von den Anforderungen und beziehen sich da-rauf.
Flexible Gruppierung & Klassenführung: Differenzierungsmaßnahmen orientieren sich an Informationen über Vorwissen, Interessen und Lernpräferenzen. Es wird zwi-schen unterschiedlichen Lernsettings und Gruppenkonstellationen fließend gewech-selt. Muster von Zuteilungen oder Etiketten sind nicht erkennbar. Ein Gemeinschafts-gefühl ist spürbar.
Respektvolle Aufgaben: Die Lernenden sind herausgefordert und arbeiten kon-zentriert an Aufgaben, die relevant für ihren Erfolg sind. Unterschiede in der Ge-meinschaft werden als selbstverständlich und positiv gehandhabt. Die Lernenden sind in der Lage, ihre Aufgaben eigenständig zu bewältigen und holen sie sich Unterstüt-zung von einander und den Lehrpersonen nach Bedarf.
Information: Informationen zum Vorwissen, Interessen und Lernpräferenzen werden gezielt erhoben, um Differenzierungsmaßnahmen im Hinblick auf Lücken zwischen Lernstand und dem Zielbild nach Bedarf strategisch zu bestimmen. Differenziert wird nur nach Bedarf, um Lernzuwachs, Motivation und Effizienz beim Lernen zu unter-stützen. Lern- und Leistungsergebnisse werden zunächst als Information verwendet.
Am Weg Klarheit & Transparenz: Lernziele (Verstehen, Wissen und Können) sind für jede/n als Zielbild zugänglich und als Gesamtbild nachvollziehbar. Das Zielbild gilt für alle. Rückmeldung erfolgt meist nach Kriterien, die für alle gelten.
Flexible Gruppierung & Klassenführung: Differenzierungsmaßnahmen orientieren sich primär an Vorwissen. Relativ fixe Gruppen arbeiten zusammen bzw. entstehen durch Selbstwahl der Lernenden. Sie nehmen sich gegenseitig different aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit wahr. Klassenführung bei zeitgleich unterschiedlichen Gruppierungen und Aufgaben gelingt zum Teil.
Respektvolle Aufgaben: Aufgaben sind überwiegend herausfordernd und relevant zum Unterschiede unter den Lernenden werden gelegentlich thematisiert und be-rücksichtigt. Zielbild. Manche Lernenden werden auf Grund ihres Lernfortschritts als Tutor/inn/en eingesetzt bzw. als "Selbstläufer" behandelt.
Information: Informationen zum Vorwissen, Interessen und Lernpräferenzen werden gelegentlich erhoben. Unterschiedliche Aufgaben werden nach dem Gießkannenprin-zip den Lernenden zur Auswahl angeboten. Unklar ist, wie sie was auswählen. Lehr-kräfte sind u.U. von dem Aufwand überfordert und erkennen nur schwer, wie welche
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
53
Maßnahmen wirken.
Beginnend Klarheit & Transparenz: Teilziele sind erkennbar. Das, was am Ende beurteilt wird, bzw. Erfolgskriterien werden beiläufig angedeutet. Es ist kein oder nur geringes ge-meinsames Verständnis über die Anforderungen vorhanden.
Flexible Gruppierung & Klassenführung: Die Lernenden sind in fixen Gruppen einge-teilt und nehmen sich gegenseitig different auf Basis einer Gruppenzugehörigkeit wahr. Der Unterricht findet in Halbklassen oder Halbgruppen statt. Unterschiedliche Zielsetzungen bzw. unausgewogene Aufgaben für Einzelnen führen zu auseinander-driftenden Leistungen.
Respektvolle Aufgaben: Manche Lernenden beschäftigen sich häufig mit Aufgaben, die Reproduktion erfordern und verhindern dabei ihren Kompetenzaufbau. Manche Aufgaben sind für das Erreichen der Lernziele nicht ausreichend oder nicht relevant.
Information: Annahmen bzw. Zuschreibungen hinsichtlich des Leistungsvermögens bzw. des Potentials eines/r Schülerin/s sind Grundlage für die Unterrichtsplanung. Unterschiede wie stark/schwach, langsam/ schnell, einfach/schwierig, wenig/mehr werden bei der Zuteilung von Aufgaben verwendet.
Noch nicht Klarheit & Transparenz: Die zu erzielenden Kompetenzen, Anforderungen bzw. Lernziele lassen sich schwer erkennen. Die Frage, was das Ziel ist bzw. was eine gute Leistung ausmacht, ist schwer zu beantworten.
Flexible Gruppierung & Klassenführung: Unterschiedliche Vorerfahrungen, Interes-sen und Lernpräferenzen werden ausgeklammert. Alle Lernenden sind mit den glei-chen Aufgaben beschäftigt und sollen im gleichen Tempo arbeiten. Daraus entste-hende Unterschiede und Abweichungen werden als Mängel oder Probleme behandelt.
Respektvolle Aufgaben: Ein Weg zum Ziel wird angeboten. Alle arbeiten im gleichen Takt an den gleichen Aufgaben. Manche fühlen sich untergefordert, andere fühlen sich übergefordert. Der Bezug zum Zielbild bzw. die Sinnhaftigkeit der Aufgaben für den eigenen Lernerfolg ist unklar.
Information: Informationen zum Lernstand, Interessen und Lernpräferenzen der Ler-nenden werden nicht systematisch erhoben. Lern- und Leistungsergebnisse werden ausschließlich summativ als Belege für Beurteilung genützt.
Tabelle 33: School Walkthrough zum Bereich Differenzierung (Hofbauer & Westfall-Greiter, 2015)
Was ist flexible Differenzierung?
Differenzierung ist das Erkennen von Differenzen in einer Lerngemeinschaft, was zu einer Berücksichti-
gung der Unterschiedlichkeiten der Lernenden durch eine entsprechende Unterrichtsgestaltung führt und
damit allen Schülerinnen und Schülern eine bestmögliche Bildung ermöglicht. Es gilt, Unterforderung
(bei fortgeschrittenen) Schülerinnen und Schüler und Überforderung (bei weniger fortgeschrittenen Schü-
lerinnen und Schülern (Tomlinson spricht von „struggling learners“) zu vermeiden, damit wir diese Ler-
nenden nicht verlieren und alle zum schulischen Erfolg begleitet werden.
Das Schubladisieren und Etikettieren der Lernenden nach „leistungsstark“ bzw. „leistungsschwach“ ist
nicht stimmig mit der Denkweise der flexiblen Differenzierung und letztendlich für das Lernen und Leh-
ren hinderlich. Arens und Mecheril (2010) betonen die Notwendigkeit einer Differenzsensibilität vor al-
lem in der Sprache, die „scheinbar selbstverständliche Normalitäten nicht insgeheim zum allgemeinen
Maßstab macht […] – eine Sensibilität, die Vielfalt nicht nur beachtet, sondern auch bejaht und wert-
schätzt“ (S.10).
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
54
Die Denkweise, die hinter dieser Praxis liegt ist: Differenzieren statt Generalisieren (Gießkannenprinzip);
(proaktiv) agieren statt reagieren; gestalten statt durchführen; flexibel bleiben statt verplanen; beobachten
statt überwachen; handeln statt erledigen. Die flexible (innere) Differenzierung der Neuen Mittelschule
nimmt, begleitet von Reflexionsfragen, die Unterschiede, die für den schulischen Erfolg („academic
diversity“) relevant sind, in den Blick:
Was ist relevant für den schulischen (Lern-)Erfolg?
Was bringen Schülerinnen und Schüler mit (Vorwissen, Interessen, Lernpräferenzen)?
Was brauchen Lehrpersonen, um proaktiv und produktiv mit „academic diversity“ umzugehen?
Flexible Differenzierung lebt vom Prinzip
permanent wechselnder Gruppierungen
von Lernenden. Um diese Flexibilität zu
gewährleisten, braucht es ein „Wissen“
zur Frage: Wer sind „meine“ Schülerin-
nen und Schüler? Dieses „Wissen“ grun-
diert auf Vorerhebungen in den Bereichen
Vorwissen, Interessen und Lernpräferen-
zen und ist notwendig, um eine starke,
inklusive Lernumgebung für alle zu
schaffen.
In der NMS-Entwicklungsarbeit wird mit
dem Differenzierungsmodell der Diffe-
renzierungsexpertin, Lehrerin, Wissen-
schaftlerin und Autorin Carol Ann Tom-
linson gearbeitet. Abbildung 4: Illustration zu Tomlinsons
Differenzierungsmodell
Dabei berücksichtigt die Lehrperson die fachliche Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler (Vorwissen
und Vorerfahrung) in Bezug auf einen bestimmten Lerninhalt zu einer bestimmten Zeit, ihre Interessen
und ihre Lernprofile, um die Lerninhalte, Lernprozesse, Lernprodukte und das Lernumfeld für die Ler-
nenden so zu gestalten, dass sie bestmögliche Lernchancen haben und maximaler Lernerfolg ermöglicht
wird. Dabei gilt es zu beachten, Differenzierungsmaßnahmen sinnvoll und strategisch einzusetzen. Wis-
senschaftliche Untersuchungen (The Differentiated School, Tomlinson, Brimijoin & Narvaez, 2008) die-
ses Modells haben gezeigt, dass eine Differenzierung nach:
Interesse eine höhere Motivation bei den Schülerinnen und Schülern bewirkt.
Lernprofilen3 zu größtmöglicher Effizienz im Lernen führt.
Lernbereitschaft einen Lernzuwachs ermöglicht.
Die Prinzipien: starkes klares Curriculum (Festlegung der Ziele, transparente Beurteilungskriterien), res-
pektvolle, authentische Aufgaben, Lernstandsbeobachtung (Erhebung des aktuellen Lernstandes mit Hilfe
formativer Leistungsfeststellung) und flexible Gruppierungen sind fixer Bestandteil für die Planung und
die Gestaltung der Lernprozesse.
3 Lernprofile umfassen z. B. Kultur und Background des Lernenden, sowie Lernpräferenzen Lernbiographie,- Gender,
Denkstrukturen und Intelligenzpräferenzen (Tomlinson, 2005).
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
55
Denkpause
Differenzierung nach Tomlinson zielt darauf hin, jedes Individuum zu respektieren und zu würdigen. Dafür gibt es keine einzige Strategie, Methode oder Rezept. Respekt und Würdigung kann ich nicht umsetzen, d.h. Differenzierung kann ich nicht umsetzen, sondern bestenfalls leben, praktizieren, üben, tun.
Wie halte ich diese Unklarheit, dass es kein Rezept gibt, aus?
Kann ich Unterrichtsinhalte so anbieten, dass ich den unterschiedlichen Vorerfahrungen und dem unterschiedlichen Vorwissen, den unterschiedli-chen Lernprofilen und den unterschiedlichen Interessen meiner Schülerin-nen und Schüler gerecht werde?
Welche Maßnahmen setze ich, damit sich aus einer Gruppe von Schülerin-nen und Schülern eine produktive Lerngemeinschaft entwickeln kann, in der sich jede, jeder willkommen und angenommen fühlt?
Wie gestalte ich das Klassenzimmer? Ist es optimal für „bewegten Unter-richt“, in dem die Schülerinnen und Schüler in immer wieder wechselnden Gruppierungen arbeiten und lernen?
Wo stehen Sie in ihrer Kompetenzentwicklung zum Bereich „Flexible Dif-ferenzierung“? Treffen Sie eine Einschätzung anhand des School Walkthrough-Rasters.
Tipp
Vertiefende Unterlagen zur flexiblen Differenzierung (Videos, Artikel, Bücher, Präsentationen, gesetzliche Verankerung) finden Sie in der NMS-Bibliothek: www.nmsvernetzung.at
Quellen und Downloads
Website: Differentiation Central http://www.differentiationcentral.com/
Werkzeuge zu Interessenserhebung, zur Personalisierung und Mitbestimmung der Lernenden von Lernen, Lernstandserhebungen (Gehen Sie auf Rückblick 2009/10) http://nms.tsn.at/cms/index.php
Zur Erhebung des Vorwissens mittels graphic organizers: http://www.graphic.org/goindex.html und http://edhelper.com/teachers/graphic_organizers.htm
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Umsetzung in der Praxis
Zum Bereich der flexiblen Differenzierung möchten wir die Inhalte und Begrifflichkeiten aus dem Theo-
rieteil wiederholen und sie mit unseren Erfahrungen aus der Praxis verknüpfen.
Ad „Differenzierung ist das Erkennen von Differenzen einer Lerngemeinschaft.“
In unserem Fall (5.Schulstufe, Lerndesign zum Lernthema „sich vorstellen und mündlich präsentieren“
am Beginn der Neuen Mittelschule) treffen wir auf uns zumeist unbekannte Schülerinnen und Schüler,
außer man hat Informationen von den Volksschullehrerinnen und Volkschullehrern oder von anderen
Quellen (Elterngespräche,…).
Die Faktoren für eine Differenzierung der Schülerinnen und Schüler, nämlich Vorwissen, Interessen
und Lernprofile, wurden im Rahmen unserer geplanten Unterrichtstätigkeit „so ganz nebenbei“ erhoben.
Die Lernaufgaben selbst haben diese Informationen für eine flexible Differenzierung geleistet, so bei-
spielsweise die Aufgabe:
„Stell dir vor, du hättest einen älteren Bruder, der derzeit in Berlin lebt. Du schreibst ihm eine
E-Mail über deine ersten Erfahrungen in der Neuen Mittelschule. Bearbeite folgende Punkte:
Klassengemeinschaft, Schulhaus, neue Unterrichtsfächer und was dir noch wichtig erscheint.“
Diese Aufgabe brachte uns viele Erkenntnisse über unsere neuen Schülerinnen und Schüler bezüglich
Vorwissen (z. B. Rechtschreibung, Wortschatz, …) und Interessen (sehr häufig wurden Lieblingsfächer
genannt, Hobbys, …).
Die Sache mit den Lernprofilen ist nicht so einfach zu erfassen. Dabei geht es grundsätzlich um die Fra-
ge: Wie lernt die Schülerin, der Schüler? Einige Schülerinnen und Schüler haben dazu etwas in ihrer E-
Mail verschriftlicht (z. B. „Ich mag es sehr gerne, mit meiner Sitznachbarin gemeinsam zu arbeiten“).
Zu diesem Aufspüren von Informationen zu den Lernprofilen der Schülerinnen und Schüler möchten wir
eine Methode vorstellen, die sehr gut zu unserem Lerndesign „Ich bin ich und du bist du“ passt:
Werkzeug SERVUS
Aufgabe Sammle in jedem Kästchen zwei Unterschriften aus deiner Klasse. Von der gleichen Person darfst du nur höchstens zwei Unterschriften verwenden.
Durchführung
Jede Schülerin und jeder Schüler erhält einen Zettel (siehe unten) als Vorlage.
Sie gehen damit in der Klasse herum und sammeln die Unterschriften.
Die Mitschülerinnen und Mitschüler geben ihre Unterschrift unter jenen Aussa-
gen, mit denen sie sich identifizieren können.
Schülerinnen und Schüler stellen anhand der Unterlage sich und ihre Mitschüle-
rinnen und Mitschüler vor.
Tabelle 34: Aufgabe zum Aufspüren von Informationen über Lernprofile
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
57
Ich betreibe regelmäßig Sport.
Ich lese gerne in meiner Freizeit.
Ich habe ein ungewöhnliches Hobby.
Ich freue mich schon auf das Unterrichtsfach Deutsch.
Ich spiele ein Musikinstrument. Ich arbeite gerne in Gruppen.
Die Hausübungen machen mir nichts aus.
Ich brauche Ruhe, wenn ich lese, lerne oder arbeite.
Ich fahre mit dem Bus zur Schu-le.
Ich lerne am besten, wenn ich ausprobieren kann.
In der Freizeit bin ich immer draußen.
Die neue Schule gefällt mir.
Tabelle 35: Arbeitsblatt zur Aufgabe zum Aufspüren von Lernprofilen
In dieser Übung und auch in der Aufgabe davor spiegeln sich Kernideen der flexiblen Differenzierung
wider: Wir lernen unterschiedlich. Wir haben unterschiedliche Interessen, bringen unterschiedliche Er-
fahrungen, Konzepte, Kompetenzen und unterschiedliches Vorwissen mit uns.
Diese grundsätzliche Einstellung (Differenzierung ist vielmehr eine Philosophie und eine Denkweise als
eine Strategie, Carol Ann Tomlinson, siehe Theorie zu diesem Kapitel) half uns konkret in der weiteren
Durchführung des Unterrichtes.
Vielleicht erwarten Sie an dieser Stelle Differenzierungsmöglichkeiten im Unterricht durch Übungsmate-
rial mit unterschiedlichen Ansprüchen.
Doch diese Erwartung wollen wir so nicht erfüllen, denn: An alle Lernenden wird ein hoher Anspruch
gestellt. Die komplexen Aufgaben zum Kompetenzbereich Schreiben sind für alle. Ebenso verhält es sich
mit dem anspruchsvollen Text „Das dicke Kind“ (siehe unten) und allen anderen Lerninhalten. Entschei-
dend ist das Lernumfeld mit einer förderlichen und respektvollen Lernkultur.
Natürlich erleben wir alle in der Praxis unterschiedliche Geschwindigkeiten und Schülerinnen und Schü-
ler, die bei den verschiedensten Lerninhalten fortgeschrittener und weniger fortgeschrittener sind. Wir
möchten daher hier zwei Methoden vorstellen, die für den Lernprozess sehr hilfreich sein können.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Aufgabe:
Trage alle unterstrichenen Wörter aus dem Text in die Tabelle und ordne sie den Grund-wortarten NOMEN, VERB und ADJEKTIV zu.
Wenn du damit fertig bist, setze dich auf den Tisch. Warte bis die nächste Mitschülerin oder der nächste Mitschüler ebenfalls fertig ist und besprecht in Partnerarbeit euer Ergeb-nis
Tabelle 36: Aufgabe aus dem Kompetenzbereich Sprachbewusstsein
Diese Aufgabe aus dem Kompetenzbereich Sprachbewusstsein zu dem Wissensziel „Nomen, Verb und
Adjektiv erkennen“ vereint zwei Methoden, die einer flexiblen Differenzierung gerecht werden:
1. THINK – PAIR – SHARE
Bei diesem Werkzeug ist jede Schülerin und Schüler gefordert im Sinne einer Kernidee der Neuen Mit-
schule: „Jede, jeder denkt.“ Danach erfolgt die Erarbeitung der Aufgabe in der Partnerarbeit (bei diesem
Beispiel nicht zwingend mit Sitznachbarin bzw. Sitznachbar) und abschließend wird der Ertrag in der
Klasse sichtbar gemacht (Ergebnisse vergleichen, besprechen,…)
2. LERNTEMPODUETT
Hier wird dem Umstand Rechnung getragen, dass in der Lerngruppe unterschiedliche Geschwindigkeiten
vorkommen. Es gilt grundsätzlich im Rahmen der flexiblen Differenzierung, keine Schülerin, keinen
Schüler zu „verlieren“. Würde man diese Aufgabe ohne den zweiten Arbeitsauftrag stellen, so ergibt sich
der Umstand, dass fortgeschrittene Schülerinnen und Schüler sofort das Ergebnis präsentieren wollen.
Sollte man das in diesem Fall zulassen, unterbricht dies das Denken der anderen. Wartet man hingegen,
bis alle mit dem Denken und Arbeiten fertig sind, langweilen sich die „schnelleren“ Schülerinnen und
Schüler.
Das Lerntempoduett kann hier hilfreich sein, um den Denkprozess möglichst aller Schülerinnen und
Schüler in Gang zu halten.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Lernseitigkeit
Foto 3: Lernen in Gemeinschaft, NMS Lilienfeld, © Andreas Schubert
Der Kern der Sache
Kernideen Kernfragen
Lehren erzeugt kein Lernen. Wie wirkt sich mein Handeln auf die Erfah-rung anderer aus?
Lehren und Lernen sind parallele Erfah-rungswelten.
Was geschieht im Moment? Wie erfahren die Einzelnen das, was gerade passiert? Was widerfährt ihr oder ihm? Welche Wirkung hat mein Lehren, mein Tun auf die Lernenden?
Lernen ist unsichtbar. Ist das, was beim Lernen in und mit den Ler-nenden geschieht, beobachtbar?
Lernen passiert. Kann Lernen verhindert werden?
Lernen geschieht jenseits des Lehrens. Wie kann Lernen in Gang gesetzt und gehal-ten werden? Wie kann Lernen begünstigt werden?
Schülerinnen und Schüler entwickeln einen Lernbegriff auf Basis ihrer Schulerfahrung.
Wie wirkt sich der Lernbegriff der Schülerin-nen und Schüler auf die Praxis der Lehrper-son aus? Wie wirkt sich dieser Lernbegriff auf die „Praxis“ der Schülerinnen und Schüler aus?
Tabelle 37: Kernideen und Kernfragen zu Lernseitigkeit
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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School Walkthrough: Ermittlung des IST-Standes
Fokus auf Lernseitigkeit
Weiterführend Erfahrungsorientierung: Routinen und Strukturen tragen zu einem lernanregenden Umfeld bei. Jede Stimme wird gehört; alle sind beteiligt und gestalten das Geschehen mit. Jede/r hat Stärken, die der Gemeinschaft zugutekommen. Alle sind beteiligt und gestalten das Geschehen mit.
Responsivität: Es gibt häufig Kontakt unter allen Beteiligten. Alle fühlen sich sozial und emotional gut aufgehoben sowie kognitiv beansprucht. In einem lebendigen Aus-tausch gehen alle Beteiligten mit Respekt aufeinander zu und ein. Jede Stimme wird gehört
Resonanz: Die Schule ist ein positiver Resonanzraum, der die Tätigkeiten aller ver-bindet. Phasen von hoher Konzentration und Ernsthaftigkeit wechseln mit Entspan-nungsphasen ab. Alle fühlen sich von Themen und Aufgaben angezogen und herausge-fordert.
Ziel Erfahrungsorientierung: Lehrkräfte erkennen Lernen als Erfahrung und den Unter-richt als eine Erfahrungswelt. Sie wechseln regelmäßig zwischen lehrseitigen (das, was sie selbst erfahren) und lernseitigen (das, was die Lernenden erfahren) Perspektiven, um die Erfahrungen Einzelner in den Blick zu bekommen.
Responsivität: Alle Beteiligten werden ernst genommen. Es herrscht ein respektvoller Umgang in Beziehung zueinander. Es gibt Raum für persönliche Bedürfnisse und Inte-ressen. Die Lernenden trauen sich und finden in der Gemeinschaft Halt. Lehrkräfte sind responsiv und gehen auf die sozialen, emotionalen und kognitiven Bedürfnisse der Lernenden ein.
Resonanz: Der Umgang mit Zeit, Raum und Beziehung fördert das leibliche und geisti-ge Wohl aller Beteiligten. Neugier, Präsenz, Konzentration, Entspanntheit sind vor-handen. Die Gemeinschaft ist ein positives Resonanzfeld für die Einzelnen.
Am Weg Erfahrungsorientierung: Lehrkräfte orientieren sich an den Schüler/innen. Sie spre-chen sie als Individuen an und sind im Kontakt mit Einzelnen. Die außerschulische Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler ist fallweise im Blick.
Responsivität: Einzelne Schüler/innen werden wahrgenommen, insbesondere dann, wenn es Probleme, Herausforderungen oder Irritationen gibt. Schwächen und Barrie-ren zum Schulerfolg werden angesprochen und Lösungen gesucht.
Resonanz: Die Lernenden fühlen sich sicher und sind in Beziehung zu einander und im Kontakt mit allen Lehrpersonen. Sie haben zumindest eine Bezugsperson im Lehrkör-per. Schule wird als angenehmer Ort erlebt.
Beginnend Erfahrungsorientierung: Die Lernenden werden auf Basis einer Zuteilung oder Zu-schreibung wahrgenommen bzw. angesprochen, z. B. als Buben/Mädchen oder als die „Braven“/die „Störenden“. Der Unterricht wirkt mehr dirigiert als im Fluss.
Responsivität: Das Antwortgeschehen orientiert sich an Zuschreibungen bzw. Etiket-tierungen. Es gibt Blickkontakt zwischen den Lernenden und Lehrenden. Die Bezie-hung zwischen Lehrenden und Lernenden ist distanziert aber wertschätzend.
Resonanz: Die Lernenden erleben die Schule bzw. den Unterricht weder als belastend noch als förderlich. Sie finden primär Resonanz durch ihre sozialen Beziehungen in der Klassengemeinschaft. Sie haben wenig Kontakt zu Lehrpersonen.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
61
Noch nicht Erfahrungsorientierung: Die Lernenden werden als Objekt des Unterrichts behandelt. Lehrkräfte richten ihre Aufmerksamkeit auf ihre eigene Lehraktivität. In den Blick kommen Schüler/innen in erster Linie, wenn sie den geplanten Unterrichtsablauf stö-ren.
Responsivität: Der Umgang zwischen Lehrenden und Lernenden ist distanziert bis feindlich. Verletzende Handlungen seitens der Lehrkräfte kommen vor. Blickkontakt ist selten; Kontaktvermeidung seitens der Lernenden ist beobachtbar.
Resonanz: Die Lernenden erleben die Schule bzw. den Unterricht als befremdend, kühl oder gar bedrohlich. Die Beteiligten sind wenig in Kontakt.
Tabelle 38: School Walkthrough zum Bereich Lernseitigkeit (Hofbauer & Westfall-Greiter, 2015)
Was ist Lernseitigkeit?
Mit dem Begriff „lernseits“ hat Michael Schratz (2009) ein Wort
in die deutsche Sprache eingeführt, um die Aufmerksamkeit auf
das zu richten, was jenseits des Lehrens geschieht. Sein Augen-
merk liegt auf dem, was im Unterricht und in der Schule passiert,
was die Einzelnen in der Lebenswelt Schule erfahren, was ihnen
widerfährt, was es ihnen ermöglicht, die Menschen zu werden, die
sie sein können.
Lernseitigkeit deutet auf das, was Lehrpersonen tun, wenn sie ihren Blick bewusst darauf richten, welche
Erfahrungen das eigene Tun auf Seiten einer Schülerin, eines Schülers auslöst, wie sie den „Erfahrungs-
strom“ des Unterrichts erfahren. Dabei werden jegliche Vorannahmen und Zuschreibungen ausgeblendet,
um immer wieder erneut wahrzunehmen, wie das Lehren auf die Lernenden wirkt (Schratz, Schwarz &
Westfall-Greiter, 2012).
Lernseitige Orientierung bildet das Dach des Hauses der NMS. Sie ist bewusst die Krönung des Gebäu-
des. Die Kriterien, die für diesen Bereich relevant sind, sind Respekt, Resonanz und Responsivität, die im
School Walkthrough zur Lernseitigkeit in unterschiedlichen Qualitätsbeschreibungen dargestellt sind.
Respekt ist ein vielseitiges Wort und kann auf Höflichkeit („ich begegne jedem mit Respekt“) bis hin zu
Angst („ich verschaffe mir durch Strenge Respekt“) deuten. Im Kontext der Lernseitigkeit geht es um
eine neutralere Definition von Respekt im pädagogischen Sinn: die Achtung, die jeder Mensch jedem
anderen menschlichen Wesen entgegenbringen soll. Wie sich das auswirkt, zeigt sich in der Erfahrung der
Schülerinnen und Schüler. Es entsteht dabei ein Spektrum von unbeachtet – wahrgenommen – ernst-
genommen – geachtet werden.
Ein weiteres Kriterium ist Resonanz. Das Wort „Resonanz“ kommt aus dem lateinischen resonare und
meint „widerhallen“. Resonanz ist ein Fachbegriff in mehreren Bereichen (Physik, Technik, Musik) und
bedeutet ein Mitschwingen bzw. Mittönen in Schwingungen mit anderen. In der Soziologie redet Hartmut
Rosa (2014) von Resonanzfeldern, d.h. soziale Umfelder, die „schwingen“, wo man sich wohl fühlt.
Ebenso stellt sich die Frage für ihn, inwieweit die Schule ein Resonanzfeld für die Menschen, die dort
lehren und lernen, darstellt.
Das wechselseitige Antworten, das Resonanz erzeugen kann, wird auch Responsivität genannt – das dritte
Kriterium für lernseitige Orientierung. Vom lateinischen respondere (antworten) abgeleitet, wird Respon-
sivität in mehreren Fachbereichen verwendet. Im Kontext der Pädagogik ist damit im weitesten Sinne
eine Antwortbereitschaft gemeint. Wenn sich Lehrperson und Schülerin oder Schüler responsiv verhalten,
entsteht ein wechselseitiges Antworten, wodurch Resonanz entsteht (vgl. Remsberger, 2013).
Lernseitige Orientierung ist die Wahrnehmung der Wirkung des eigenen Handelns auf die Lernen-den. Was ereignet sich im Mo-ment? Wie erfahren die Lernen-den das, was gerade geschieht?
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Der Lernbegriff: Wann ist für Sie Lernen Lernen?
Lernen ist ein Alltagsbegriff, der ganz selbstverständlich und meist unhinterfragt verwendet wird. Das
Wort ist aber ein Grundbegriff in der Pädagogik (vgl. Göhlich & Zirfas, 2007) und alles andere als ein-
deutig und unumstritten. Noch wichtiger ist es jedoch festzuhalten, dass die bewussten oder unbewussten
Bilder, die bei der Verwendung dieses Begriffs im Unterrichtsgeschehen mitschwingen, nicht nur eine
Auswirkung auf die Praxis der Lehrperson, sondern auch auf die Praxis von Schülerinnen und Schülern
haben.
In der Lernforschung an der Universität Innsbruck4 haben Forschende an 48 NMS-Standorten Schülerin-
nen und Schüler der 1. Klassen die Frage gestellt „Was ist Lernen?“. Die Antworten waren alles andere
als ergiebig. Die meisten Schülerinnen und Schüler kamen ins Stocken, vermutlich weil „Lernen“ als
Begriff für sie abstrakt war. In einem weiteren Versuch fragten die Forschenden „Wann ist für dich Ler-
nen Lernen?“. Die Antworten waren überraschend, insofern dass die 10- und 11-Jährigen relativ schnell
reagierten und häufig Verstehen als Merkmal nannten. z. B. Wenn ich‘s g’schnallt hab.“, „Wenn ich mich
auskenne.“, „Wenn ich’s kapiere.“. Interessant ist, wie sich der Lernbegriff über die Jahre entwickelt. In
der 4. Klasse wurde den gleichen Schülerinnen und Schülern dieselbe Fragen noch einmal gestellt; man-
che gaben völlig andere Definitionen an, etwa wie „wenn ich’s mir merke“.
Die Wissenschaft wiederum stellt sich die zunächst abstrakte Frage „Was ist Lernen?“ und bietet unter-
schiedliche Definitionen und Paradigmen (Denkweisen) aus den jeweiligen Disziplinen an (wie z. B. Be-
haviorismus, Kognitivismus, Konstruktivismus, etc.).
In jedem dieser Paradigmen gibt es eine Reihe unterschiedlicher Lerntheorien, d.h. individuelle Konzepte
oder mentale Schemata, auf deren Basis Lernen gedeutet und bestimmt wird. Letztendlich ist es die
Denkweise, die mein Handeln beeinflusst (Denken schafft Handeln). Eine Auseinandersetzung mit dem
eigenen Lernbegriff ist daher empfehlenswert aus der Erkenntnis heraus, dass jede Lerntheorie Risiko und
Gefahren in sich birgt, die dem Lernen dienlich als auch hinderlich sein können.
Lernen als pädagogischer Grundbegriff
In ihrem Buch „Lernen: Ein pädagogischer Grundbegriff“ versuchen
Göhlich und Zirfas (2007), einen Überblick über das komplexe Feld
zu schaffen und die gemeinsamen Nenner aller Definitionen zu iden-
tifizieren. Sie bezeichnen Lernen im pädagogischen Sinn als das, was
„die Veränderungen von Selbst- und Weltverhältnissen sowie Ver-
hältnissen zu anderen“ ausmacht (ebd., S. 17).
Für die Pädagogin und Phänomenologin Käte Meyer-Drawe geht es um die Phänomene des Lernens in
der menschlichen Erfahrung. Lernen ist für sie eine Erfahrung, und Erfahrungen sind immer einzigartig
und einmalig. Lernen als Erfahrung zu betrachten bedeutet, dass weniger der Prozess, sondern vielmehr
der Vollzug des Lernens unter die Lupe genommen wird. Lernen, so Meyer Drawe (2008), vollzieht sich,
das heißt, Lernen passiert, ist von vornherein nicht planbar (es sei denn, ich übe, um bereits Gelerntes zu
festigen). Lernen überrascht mich, ist ein Widerfahrnis und zum Teil schmerzhaft. Somit räumt Meyer-
Drawe die Komplexität des Lernens ein und zeigt auf, wie komplex die pädagogische Arbeit ist. Dieser
Vollzug entzieht sich zwar sowohl den Lernenden als auch den das Lernen Erforschenden, wo er sich
aber andeutet sei ihm Aufmerksamkeit zu schenken (ebd., S. 192). So sei etwa der zeitraubenden Irritati-
on, die Lernen überhaupt erst in Gang setzt, in einer pädagogischen Lerntheorie besondere Aufmerksam-
keit zu schenken (ebd., S. 15).
Die Lernseitigkeit basiert auf dieser pädagogischen Lerntheorie.
4 Das Projekt „Personale Bildungsprozesse in heterogenen Gruppen“ wird vom FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftli-
chen Forschung in Österreich) unter der Nummer P 22230-G17 gefördert.
„Lernen ist in pädagogischer Perspektive und in strengem Sinne eine Erfahrung“ (Meyer-Drawe 2008, S. 15).
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Lehren im Modus des Lernens
Schratz (2013) betont, dass Lehren und Lernen einander bedingen. Gleichzeitig verweist er auf einen
Mythos, der auch in den Konferenzzimmern immer wieder aufflammt: Lernen ist nach dem Motto „Ich
lehre, also lernen sie“ das Produkt von Lehren. Dieses kausale Verhältnis gibt es nicht; sonst würde über-
all, wo gelehrt wird, gleichermaßen gelernt, und das wird von der Schulwirksamkeitsforschung eindeutig
widerlegt.
Es braucht beides: eine lehrseitige und eine lernseitige Orientierung. Lehrseits orientiert zu sein bedeutet,
dass der Fokus auf das WAS (Welche Themen, Ziele?) und das WIE (Welche Methoden, Arbeitsformen,
Aufgaben, etc.?) gerichtet ist. Im lernseitigen Modus lautet das Pendant dazu: WAS bedeutet das WAS
für die einzelnen Schülerinnen und Schüler? WIE erfahren sie das, was gerade passiert? WIE handlungs-
fähig sind sie?
Folgende Illustration verwendet Schratz, um das Wechselspiel zwischen den beiden Perspektiven zu ver-
deutlichen:
Abbildung 5: „Gigagampfa“ (Schratz, 2013)
Denkpause
Wählen Sie eine Kernidee aus, die Ihnen in besonderer Weise auffällt. Was löst in Ihnen Resonanz aus? Was irritiert Sie?
Wann ist Lernen für Sie Lernen? Was passiert in Ihnen und um Sie herum, wenn Sie lernen? Was verändert sich? Wie fühlt es sich an, etwas zu ler-nen? Wie fühlt es sich an, etwas gelernt zu haben?
Wie zeigt sich Lernen im Unterricht? Welche Zeichen geben Ihnen einen Hinweis darauf, dass Ihr Unterricht Lernen in Gang setzt?
Wie lernseitig war Ihre letzte Unterrichtsstunde? Wie lernseitig ist Ihre Praxis (in Bezug auf Fach, Klassengemeinschaft, Teamteaching, etc.)?
Wo stehen Sie in ihrer Kompetenzentwicklung zum Bereich „Lernseitig-keit“? Treffen Sie eine Einschätzung anhand des School Walkthrough-Rasters.
Tipps
Vertiefende Unterlagen zur Lernseitigkeit (Videos, Artikel, Bücher, Präsentatio-nen, gesetzliche Verankerung) finden Sie auf www.nmsvernetzung.at
Quellen und Downloads
Interview mit Hartmut Rosa zum Thema „Resonanz“: www.taz.de/1/archiv/digitaz/ artikel/?ressort=tz&dig=2012/04/14/a0206&cHash=d21c4a67ec
lehrseits
lernseits
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Umsetzung in der Praxis
Um dem Lernen auf die Spur zu kommen und um sich bewusst zu machen, wie komplex Lernen ist, hilft
die Aufgabenstellung: „Wie lerne ich?“. Sie funktioniert für jede Altersgruppe und dauert ca. 30 Minuten.
1. Listen Sie möglichst schnell 10 Dinge auf, die Sie gut können. Denken Sie dabei an Hobbys und
Interessen, Beruf und Alltag: Nudeln kochen, Öl wechseln, Gemüse anbauen, Skizzen zeichnen,
Fahrrad fahren, moderieren, usw.
2. Wählen Sie aus der Aufzählung eine Sache aus, die Sie im Moment am meisten anspricht und
kreisen Sie sie ein.
3. Machen Sie zu dieser Sache ein Freewrite für 3-5 Minuten. Schreiben Sie alles auf, was Ihnen
zur Frage: „Wie bin ich darin gut geworden?“ einfällt.
4. Lesen Sie Ihr Freewrite und unterstreichen Sie alles, was zu Ihrer Könnerschaft beigetragen hat,
z. B. Zeitschriften lesen, mich mit Anderen austauschen, mit Anderen darüber reden, einem Profi
etwas nachmachen, Fernsehdokus schauen, Kurse besuchen, probieren, experimentieren, usw.
5. Tauschen Sie sich mit Anderen aus oder machen Sie eine schriftliche Reflexion.
Zur Ergründung und Reflexion der Lernprofile bieten sich Werkzeuge wie „Mein Lernprofil“ an (s. Res-
sourcenpaket Lernprofile auf www.nmsvernetzung.at). Die Aufgabenstellung (für Schülerinnen und
Schüler) und mögliche Antworten sind hier abgebildet:
Notiere im großen Kreis, was dir beim Lernen hilft. Was macht dir Spaß? Was hilft dir, etwas zu
verstehen? Wie lernst du neue Fertigkeiten? Wie merkst du dir Informationen am besten?
Abbildung 6: Werkzeug zur Erhebung des Lernprofils (exemplarisch): Mein Lernprofil – Graphic organizer
„Idea wheel“ (Birgit Schlichtherle & Tanja Westfall-Greiter)
Die Antworten können anschließend verglichen und gemeinsame Lernstrategien herausgefiltert werden.
Erkenntnisse daraus sind hilfreich bei der Auswahl von Aufgabenbeispielen, bei Gruppierungen, Erhe-
bung des Vorwissens, etc.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Weitere Werkzeuge sind „Ich im Schaubild und „Ich und dieses Fach“. Bei „Ich im Schaubild“ geht es
darum, Änderungen in Einstellungen und Kompetenzen über einen längeren Zeitraum darzustellen. Die
Lernenden verwenden ein Balkendiagramm. Dabei ist es wichtig im Vorfeld den Bezugspunkt zu „Frü-
her“ festzulegen. Für Schülerinnen und Schüler der 5. Schulstufe könnte dies die Volksschule sein.
Abbildung 7: Werkzeug zur Erhebung des Lernprofils (exemplarisch): Ich im Schaubild
(Tanja Westfall-Greiter & Birgit Schlichtherle)
„Ich und dieses Fach“ ist ein Fragebogen, der Einstellungen, Selbstbild und Annahmen im Bezug zu ei-
nem bestimmten Fach erhebt.
Ich und Deutsch Name: __________________________ Datum: _______________________________
1. Wie fühlt sich Deutsch für dich an? 2. Glaubst du, dass du gut in Deutsch bist? Warum? 3. Was kannst du besonders gut in Deutsch? 4. Was kannst du weniger bis kaum in Deutsch? 5. Denkst du, es ist wichtig, gut in Deutsch zu sein? Warum? 6. Was macht einen guten Deutschschüler/eine gute Deutschschülerin aus? Warum? 7. Was machst du, wenn du Schwierigkeiten hast, dich auszudrücken? 8. Was machst du, wenn du Schwierigkeiten hast, Deutsch zu verstehen? 9. Wie verwendest du Deutsch auch außerhalb der Schule? 10. Was machst du normalerweise nach der Schule? 11. Was sonst sollte ich noch über dich wissen, um den Deutschunterricht sinnvoll für dich gestal-
ten zu können?
Abbildung 8: Werkzeug zur Erhebung des Lernprofils (exemplarisch): Ich und dieses Fach
(Tanja Westfall-Greiter & Birgit Schlichtherle), adaptiert von Gertraud Leidinger & Christian Stadler
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
66
„Think green“ – Schularbeitenkorrektur einmal anders
Sie geistert bereits länger in meinem Kopf herum – eine alternative Schularbeitenkorrektur.
Da ich es mehr als satt habe, Texte zu malträtieren und rote Schlachtfelder zu erzeugen, die
außer zu entmutigen niemandem auch nur annähernd einen Mehrwert bringen und auch für ei-
ne konstruktive Reflexion denkbar ungünstig sind, beschloss ich, es einfach nicht mehr zu tun
– frei nach dem Motto „Wenn man möchte, dass sich etwas ändert, muss man etwas anders
machen“. Gänzlich anders an die Sache heranzugehen war meine Motivation in diesem Fall.
Da gerade „Spannend erzählen“ auf unserem Plan war, wollte ich diesbezüglich gleich etwas
ausprobieren: Warum nicht einfach das besonders Gelungene heraus heben und für eine nun
vollkommen anders motivierte Reflexion nützen? Am besten in Grün. Meine zwei hoch ge-
schätzten Teampartnerinnen in den beiden zweiten Klassen, in welchen ich Deutsch unterrich-
ten darf, waren von der Idee sofort angesprochen und nach einer – äußerst kurzen – Diskussi-
on über Dürfen und Nichtdürfen beschloss ich, das einfach „auf meine Kappe zu nehmen“, um
die Unterstützung meiner Kolleginnen wohl wissend. Da wir uns im Rahmen der Schular-
beitskorrektur Texte von Schülerinnen und Schülern im Normalfall zuerst einmal gegenseitig
vorzulesen pflegen, um – unbeeinflusst von Rechtschreibfehlern – sofort deren Wirkung be-
sprechen zu können, beschlossen wir, diesen äußerst bewährten Modus beizubehalten. Die ers-
ten Eindrücke von Qualität wurden dabei in den Texten der Schülerinnen und Schüler bereits
grün markiert. In einem zweiten Durchgang machten wir uns zu jeder Schülerin, jedem Schü-
ler gesondert Notizen über Gelungenes und etwaige auffällige Defizite. Auch in unserem Be-
urteilungsraster markierten wir dies dementsprechend. Das Besondere aber – so sind wir uns
einig – war hierbei die Art des Lesens unsererseits. Gelungenem auf der Spur zu sein ist eine
vollkommen andere Herangehensweise als Misslungenes aufzuspüren – und man kann sich
denken, was lustvoller und ertragreicher sein wird. Die Texte wurden also lediglich mit grünen
Markierungen und einem ausgefüllten Beurteilungsraster zurückgegeben.
Die Überraschung bei den Schülerinnen und Schülern war groß und nachdem wir ihnen unsere
Überlegungen vorgestellt hatten, waren sie sofort begeistert. Es machte sich auch ein Reden
über „grüne Stellen“ breit, man diskutierte, warum wohl gerade diese Stelle grün war bzw.
man suchte sich Vergleichspartnerinnen und Vergleichspartner. Ein Vorlesen „grüner Text-
stellen“ vor der Klasse regte zur Diskussion an und ein wertschätzender Umgang der Schüle-
rinnen und Schüler miteinander war plötzlich selbstverständlich, genauso selbstverständlich
wie der Fokus auf Qualität in ihren eigenen wie in den Arbeiten ihrer Mitschülerinnen und
Mitschüler.
Wir Teampartnerinnen sind uns seither einig: So kann sinnvolle Reflexion im Rahmen einer
Schularbeit beginnen. Und wir werden diesen für uns neuen Weg lernseits des Umgangs mit
Schularbeiten bzw. anderen Arbeiten von Schülerinnen und Schülern weiter beschreiten und
ähnliche Möglichkeiten der Reflexion ausprobieren. So könnte man beispielsweise die Schüle-
rinnen und Schüler selbst – mit grünen Stiften ausgestattet (und nicht mehr „bewaffnet“) – zur
gegenseitigen kollegialen Rückmeldung ermutigen, welche wiederum vielfältige Methoden in
Erinnerung ruft… Wir bleiben jedenfalls dran. (G. L.)
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
67
Zum Abschluss:
Dem „dicken Kind“ auf der Spur – Lernseits der Grenzen im Kopf
Dem „dicken Kind“ (Kaschnitz, 1952) bin ich erstmals im Rahmen meines Schulpraktikums
an der BAKIP Salzburg Stadt begegnet, da ich Bundeslehrerin bin und dort in einer 7. Klasse
hospitieren durfte.
In einer Klasse, in welcher ich derzeit unterrichte (eine 2. Klasse NMS) herrscht ein Umgangs-
ton zwischen Schülerinnen und Schülern, der mich sehr betroffen macht – er ist oft verletzend
und klar unter der Gürtellinie. „Du fettes Kind“ ist nur eine von vielen anderen Bezeichnun-
gen, die hier wie selbstverständlich zum „Jargon“ gehören. Dieser Umstand stört mich schon
seit längerer Zeit enorm.
Weiters hatten wir uns in unserer letzten längeren Lernphase verstärkt mit spannendem Erzäh-
len auseinandergesetzt und es war meines Erachtens sehr blockierend, dass „spannend“ auto-
matisch entweder mit vorgefestigten sprachlichen Mustern in Verbindung gebracht wurde oder
inhaltlich mit Leichen, Mord und Todschlag – kurz: Je mehr Blut, desto besser.
In den Wochen vor Weihnachten ist mir aus diesen Umständen heraus „Das dicke Kind“ (,
Kaschnitz, 1952; für den Gesamttextsiehe Tipp bzw. Quellen und Downloads) wieder in den
Sinn gekommen. Wohl wissend, dass mich dieser Text damals in seinen Bann gezogen hatte,
war auch nach abermaliger Lektüre meine Begeisterung für diese 1952 erstmals veröffentlich-
te Kurzgeschichte von Marie Luise Kaschnitz sofort wieder da:
Die Ich-Erzählerin schildert, wie „das dicke Kind“, ein zwölfjähriges Mädchen in altmodi-
schen Kleidern und mit wasserhellen Augen, eines Tages in ihrem Arbeitszimmer steht und
einfach wartet… Dieses stumme Warten, die Passivität, die das Kind ausstrahlt, zieht sich na-
hezu durch den gesamten Text. Erst als die Erzählerin fragt, wie es denn heiße, stellt sich das
Kind mit „die Dicke“ vor und antwortet auf Fragen mit „ja“, „nein“ oder „ich weiß nicht“. Die
Abscheu, welche die Erzählerin gegen diesen Besuch hegt, wird im Zuge der Lektüre immer
deutlicher. „Ich habe dieses Kind von Anfang an gehasst“ ist nur eine von vielen – drastische-
ren – Aussagen und Verhaltensweisen der Erzählerin, die Betroffenheit erzeugen. Als das
Kind isst, vergleicht sie es mit einer Raupe, die, wie aus einem inneren Zwang heraus, alles
frisst – diese Tiersymbolik spielt im Text allgemein eine zentrale Rolle. Das Bild der Raupe
lässt die Erzählerin nicht mehr los, sie wird immer grausamer in ihren Beschreibungen dieses
Mädchens und dennoch zieht sie das Kind auf seltsame Weise in seinen Bann. Als sich das
Mädchen verabschiedet und mit Einbruch der Dämmerung zum Weiher geht um dort Schlitt-
schuh zu laufen, folgt ihm die Erzählerin unbemerkt. Das Mädchen stellt sich ungeschickt an
und „wie eine Kröte“ bewegt es sich auf dem Eis, als die Erzählerin jemanden nach „der Di-
cken“ rufen hört. Es ist ihre Schwester, eine helle Gestalt von großer Anmut und Leichtigkeit.
Dann bricht „die Dicke“ nahe dem Ufer in das Eis ein und zeigt letztendlich Willen und Le-
bensmut, um sich herauszuziehen. Die Erzählerin steht währenddessen in sicherer Entfernung
und beobachtet das Geschehen von „außen“. An ihren Heimweg erinnert sie sich nicht mehr,
sie weiß nur, dass sie in ihrem Arbeitszimmer durcheinander gewühlte Papiere auf ihrem
Schreibtisch gefunden hatte und irgendwo dazwischen eine alte Fotografie, die sie selbst als
sehr dickes Kind in einem Wollkleid mit Stehkragen, mit hellen wässrigen Augen zeigt.
Diese Geschichte einer Selbstbegegnung ist eine Quelle möglicher Interpretationsansätze, sie
liefert über das autobiographische Moment, Farb- und Tiersymbolik, Vorausdeutungen etc. ei-
ne Fülle von Möglichkeiten, um sich auszudrücken.
Wohl wissend, dass dieser Versuch auch gänzlich nach hinten losgehen kann, teilte ich den
Schülerinnen und Schülern besagter Klasse in einer Deutschstunde nach den Weihnachtsferien
(auch die Geschichte trägt sich kurz nach den Weihnachtsferien zu) genau diesen Text aus. In
jener Stunde war ich alleine, also ohne Teampartnerin bzw. Teampartner in der Klasse und wir
begannen diesen Text gemeinsam zu lesen – und wie wir gelesen haben! Absatz für Absatz
haben wir ihn durchgedacht, immer begleitet von Fragen meinerseits, die von den Schülerin-
nen und Schülern beantwortet bzw. diskutiert wurden. Dann erst wagten wir uns an den nächs-
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
68
ten Absatz. Es war so still, dass man sogar eine Nadel auf den Boden fallen hören konnte. Die
Betroffenheit der Schülerinnen und Schüler war deutlich aus ihren Kommentaren und ihrer
Körpersprache herauszulesen. Wir waren jedoch ganz „beisammen“ – man kann fast sagen,
dass alle zur selben Zeit dasselbe Wort gelesen haben und dennoch war die Aufmerksamkeit
so deutlich spürbar, die Atmosphäre fast mystisch. Gerade jene Schülerinnen und Schüler,
welche am großzügigsten mit ihren Worten „um sich schlagen“, waren hier sichtlich „voll da-
bei“ und keine, keiner lachte über die von der Erzählerin gewählte Ausdrucksweise, die teil-
weise schockiert. Erst nachdem wir den Text zu Ende gelesen hatten und eine Schülerin nach
einer Phase der Stille in gebrochenem Deutsch „herausplatzte“, dass sie es so sehr bedaure,
dass dieser Text jetzt zu Ende war, erzählte ich den Schülerinnen und Schülern, dass ich die-
sen Text eigentlich in der Arbeit mit angehenden Maturantinnen und Maturanten kennen ge-
lernt hatte. Es wäre durchaus interessant gewesen, was es in Bezug auf die jeweilige Selbstein-
schätzung der Jugendlichen bewirkt hätte, hätte ich ihnen dies vor der Lektüre und „Erarbei-
tung“ unterbreitet…
„Das war eine soooo coole Geschichte!“, konnte sich zuvor genannte Schülerin nicht mehr zu-
rückhalten, was auch die anderen aus ihrer Betroffenheit, die sich als Sprachlosigkeit zu er-
kennen gab, holte. Wir waren uns einig – wir wollten mehr solcher Texte lesen, wohl gemerkt
gemeinsam und Absatz für Absatz. Dieses Erlebnis beflügelte mich ungemein.
Einige Wochen nach unserer gemeinsamen Lektüre begegnete mir folgendes Zitat Marie Luise
Kaschnitz im Zuge einer Recherche: „Ich tue mir leicht weh, und man tut mir leicht weh, die
Geschwister, die Mutter, der Vater, der mich übersieht.“ (zitiert nach Gersdorff, 1997, S. 11)
Aus reiner Neugier beschloss ich, diesen Satz als Stundeneinstieg an die Tafel zu schreiben
mit dem Denkauftrag, von wem dieses Zitat stammen könnte. Nach ein paar – nicht weniger
interessanten, aber in diesem Fall nicht richtigen – Antworten zeigte eine Schülerin auf und
sagte ganz klar: „Von der Autorin, die „Das dicke Kind“ geschrieben hat.“ Das Kopfnicken
der anderen drückte dabei ihre Zustimmung aus.
Warum aber war gerade diese Geschichte so „cool“? Diese Frage beschäftigt mich bis heute
und ich kann an dieser Stelle nur mutmaßen:
War es die „Gunst der Stunde“, die diesem Text gerade in dieser Zeit (auch die Schülerinnen
und Schüler in dieser Klasse sind um die zwölf Jahre alt, wir lasen die Geschichte auch „kurz
nach den Weihnachtsferien“,…) eine derartige Bedeutung verliehen hatte, die bis heute an-
hält? War es die Art und Weise, in welcher wir – fast wie in einem Ritual – den Text gemein-
sam erschlossen hatten? War es die Sprache, die Irritation hervorgerufen hatte, indem die Er-
zählerin teilweise sogar härtere Geschütze aufgefahren hatte, als die Schülerinnen und Schüler
in ihrem sprachlichen Alltag, der auch „nicht von schlechten Eltern“ ist? Oder war es meine
eigene Begeisterung, meine Faszination, mit? War es das „Unheimliche“, das in dieser Ge-
schichte gefesselt hatte, das „Andere“, das schwer zu definieren ist? Die Spannung, die in die-
sem Text – abseits der „schulischen Spannungserzeuger“ – so hautnah spürbar wird, was sich
teilweise in darauf folgenden Texten derselben Schülerinnen und Schüler spiegelte. Hat dieser
Text die Schülerinnen und Schüler zu Betroffenen, vielleicht sogar zu Beteiligten gemacht?
Ich weiß es nicht. Eine Beobachtung konnte ich jedoch anstellen, die ich nun zu den Gelin-
gensfaktoren dieses „Experiments“ zähle:
Die Textstelle, in welcher die Metamorphose an dem „dicken Kind“ stattfindet, der Moment
des Überlebenskampfes, der in einer detaillierten Beschreibung der veränderten Gesichtszüge
des Mädchens mündet, hat während des Lesens und auch in der Nachbesprechung des Textes
viel Funkeln in unser aller Augen hervorgerufen. Gerade an einem Schulstandort, an welchem
vor allem Schülerinnen und Schüler mit teilweise bereits von unterschiedlicher Seite „vorge-
zeichneten“ bzw. „vorgelebten“ Wegen zu finden sind, ist diese Möglichkeit der Veränderung
– vor allem in Extremsituationen – eine große Mutmacherin und Hoffnungsspenderin. „Ver-
änderungen fordern uns heraus“ – auch hier, abgekoppelt welcher ich an den Text herange-
gangen war? Ist vielleicht einfach „nur“ ein Funke übergesprungen von unserem Lerndesign
für die 5. Schulstufe, wird diese Kernidee im Sinne von „Ich bin ich und du bist du“ wirksam.
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
69
Das macht gute Kernideen aus: Dass sie uns immer wieder in verschiedensten Kontexten be-
gegnen. (G. L.)
Tipp
Die Geschichte „Das dicke Kind“ von Marie Luise Kaschnitz wurde erstmals 1952 veröffentlich und der Gesamttext ist in zahlreichen weiteren Publikationen vor-handen (siehe Quellen und Downloads).
Eine Internetrecherche nach der Autorin und der Geschichte liefert eine Vielzahl von Hintergrundinformationen und Unterrichtsmaterialien zur Verfasserin und dem Text.
Quellen und Downloads
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Kaschnitz, M. L. (1952). Das dicke Kind. Krefeld: Scherpe Verlag.
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Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
70
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Prentice Hall.
Wiggins, G. (1998). Educative Assessment: Designing Assessments to Inform and Improve Student Performance.
San Francisco: John Wiley & Sons.
Zu allen Themenbereichen:
Weitere Informationen (Videos, Artikel, Bücher, Präsentationen, gesetzliche Verankerung) finden Sie in der NMS-
Bibliothek: www.nmsvernetzung.at
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Kernideen und Kernfragen zu Lerndesignarbeit .......................................................................................... 6
Tabelle 2: School Walkthrough zum Bereich Rückwertiges Lerndesign (Hofbauer & Westfall-Greiter, 2015) .......... 8
Tabelle 3: BiSta-Bezug – Zuhören und Sprechen ....................................................................................................... 11
Tabelle 4: BiSta-Bezug – Lesen .................................................................................................................................. 12
Tabelle 5: BiSta-Bezug – Schreiben ........................................................................................................................... 12
Tabelle 6: BiSta-Bezug – Sprachbewusstsein ............................................................................................................. 12
Tabelle 7: Kernideen und Kernfragen zum Lerndesign .............................................................................................. 13
Tabelle 8: Übersicht – Verstehen, Wissen, Tun-Können für die Person, Gruppe und Lerngemeinschaft .................. 14
Tabelle 9: Authentische Aufgabenstellung zu „Schreiben“ und „Sprachbewusstsein“............................................... 15
Tabelle 10: Leistungsmessung – Kompetenzbereich Schreiben ................................................................................. 16
Tabelle 11: Kernideen zum Lerndesign ...................................................................................................................... 18
Tabelle 12: Verstehen, Wissen, Tun-Können – Festlegung von Lernzielen ............................................................... 19
Tabelle 13: Jahresplanung – Themenlandkarte ........................................................................................................... 21
Tabelle 14: Kernideen und Kernfragen zu Kompetenzorientierung ........................................................................... 23
Tabelle 15: School Walkthrough zum Bereich Kompetenzorientierung (Hofbauer & Westfall-Greiter, 2015) ......... 24
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
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Tabelle 16: Leistungsmessung – Kompetenzbereich Lautes Vorlesen ....................................................................... 29
Tabelle 17: Kompetenzprofil ...................................................................................................................................... 30
Tabelle 18: Kernideen und Kernfragen zu Komplexität und Aufgabenkultur ............................................................ 31
Tabelle 19: School Walkthrough zum Bereich Aufgabenkultur (Hofbauer & Westfall-Greiter, 2015) ...................... 32
Tabelle 20: Begriffsklärung – Aktivität und Aufgabenstellung .................................................................................. 33
Tabelle 21: Zugänge zur Erstellung und Auswahl von Aufgaben (nach Wiggins und McTighe, 2005, S. 151) ........ 36
Tabelle 22: Abbildung der vier Komplexitätsbereiche nach Webb ............................................................................ 37
Tabelle 23: Erstellung von authentischen Leistungsaufgaben (nach Wiggins & McTighe, 2005) ............................. 38
Tabelle 24: Übersicht der Lernaufgaben zum Lerndesign .......................................................................................... 39
Tabelle 25: Lernaufgaben zum Kompetenzbereich Zuhören und Sprechen ............................................................... 40
Tabelle 26. Kernideen und Kernfragen zu Kriterien als Grundlage von Beurteilung ................................................. 42
Tabelle 27: School Walkthrough zum Bereich Lernseitigkeit (Hofbauer & Westfall-Greiter, 2015) ......................... 44
Tabelle 28: Begriffsklärung: Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung (Benotung) in der LBVO (vgl. Eder,
Neuweg & Thonhauser, 2009) ......................................................................................................................... 46
Tabelle 29: Leistungsmessung – Kompetenzbereich Zuhören und Sprechen ............................................................. 48
Tabelle 30: Schularbeitsaufgabe – authentische Leistungsaufgabe ............................................................................ 49
Tabelle 31: Beispiel für den Einsatz des Schreibrasters zur Leistungsmessung ......................................................... 50
Tabelle 32: Kernideen und Kernfragen zu Flexible DIfferenzierung .......................................................................... 51
Tabelle 33: School Walkthrough zum Bereich Differenzierung (Hofbauer & Westfall-Greiter, 2015) ..................... 53
Tabelle 34: Aufgabe zum Aufspüre von Informationen über Lernprofile .................................................................. 56
Tabelle 35: Arbeitsblatt zur Aufgabe zum Aufspüren von Lernprofilen .................................................................... 57
Tabelle 36: Aufgabe aus dem Kompetenzbereich Sprachbewusstsein........................................................................ 58
Tabelle 37: Kernideen und Kernfragen zu Lernseitigkeit ........................................................................................... 59
Tabelle 38: School Walkthrough zum Bereich Lernseitigkeit (Hofbauer & Westfall-Greiter, 2015) ......................... 61
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Kompetenzmodell – BiSta Deutsch ...................................................................................................... 17
Abbildung 2. Kompetenz ist das Zusammenspiel von… (Tanja Westfall-Greiter) .................................................... 25
Abbildung 3: Kompetenzdiagramm ............................................................................................................................ 30
Abbildung 4: Illustration zu Tomlinsons Differenzierungsmodell.............................................................................. 54
Abbildung 5: „Gigagampfa“ (Schratz, 2013) .............................................................................................................. 63
Abbildung 6: Werkzeug zur Erhebung des Lernprofils (exemplarisch): Mein Lernprofil – Graphic organizer „Idea
wheel“ (Birgit Schlichtherle & Tanja Westfall-Greiter) .................................................................................. 64
Abbildung 7: Werkzeug zur Erhebung des Lernprofils (exemplarisch): Ich im Schaubild (Tanja Westfall-Greiter &
Birgit Schlichtherle) ......................................................................................................................................... 65
Abbildung 8: Werkzeug zur Erhebung des Lernprofils (exemplarisch): Ich und dieses Fach (Tanja Westfall-Greiter
& Birgit Schlichtherle), adaptiert von Gertraud Leidinger & Christian Stadler .............................................. 65
Fotoverzeichnis
Foto 1: aus 3. Bundesweiten Lernatelier der G3, 28. 30.11. 2011.© Veronika Weiskopf-Prantner ............................. 6
Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe
73
Foto 2: Kompetenz ist mehr als die Anwendung einzelner Fertigkeiten, sie zeigt sich nur in Handlungen: Schüler als
Radio-Igel-Reporter. © Wolfgang Kolleritsch................................................................................................. 23
Foto 3: Lernen in Gemeinschaft, NMS Lilienfeld, © Andreas Schubert .................................................................... 59