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Tyler Drumheller Wie das Weiße Haus die Welt belügt

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Tyler Drumheller

Wie das Weiße Haus die Welt belügt

Der Insider-Bericht des ehemaligen CIA-Chefs von Europa

Unter Mitwirkung von Elaine Monaghan

Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz und Reiner Pfleiderer

D i e d e r i c h s

Tyler Drumheller

WIE DAS WEISSE HAUS

DIE WELT BELÜGT

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel On the Brink

An Insider’s Account of How the White House Compromised American Intelligence

bei Carroll & Graf Publishers, New York© Tyler Drumheller und Elaine Monaghan 2006

Erklärung der CIA: Sämtliche geäußerten Tatsachendarstellungen, Meinun-gen oder Analysen stammen von dem Autor und geben nicht die offizielleHaltung oder Ansicht der CIA oder einer anderen US-Regierungsbehördewieder. Der Inhalt darf keinesfalls dahingehend ausgelegt werden, dass ereine Beglaubigung der Information durch die US-Regierung oder die Bestäti-gung der Ansichten des Autors durch die Agency impliziert. Das Material istvon der CIA geprüft worden, um die Enthüllung von Informationen, die nichtfür die Öffentlichkeit bestimmt sind, zu verhindern.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

© der deutschsprachigen Ausgabe Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen/München 2007

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Weiss/Zembsch/Partner, Werkstatt/Münchenunter Verwendung eines Motivs von W. Perry Conway/Corbis

Produktion: Inga TomallaSatz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, PößneckPrinted in Germany

ISBN: 978-3-7205-3013-2

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Tödliche Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Ins Wunderland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Übergangene Verbündete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Der Aufstieg von Curveball . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

Das fehlende Puzzleteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

Ein nächtlicher Anruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Die Sündenböcke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

Das Vorrecht des Präsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

Die Spielregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

Die neuen Gesichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Noch einmal vier Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

Abschied von Langley . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Nachwort

von Elaine Monaghan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

Einleitung

Vienna, Virginia, Sommer 2005

Drei Jahrzehnte lang lebte ich als CIA-Agent unter falscher Iden-

tität. Ich arbeitete in Afrika während des Kalten Krieges, leitete

nach dem Fall der Berliner Mauer die größte Station der CIA und

übernahm in der schwersten Zeit ihrer Geschichte das Ruder der

gesamten Europa-Abteilung. Damit trug ich die Verantwortung

für Dutzende von Stationen und Hunderte von Menschen. Doch

mit dieser Story ins Rampenlicht zu treten, zählt gewiss zu den

Dingen, die mir am schwersten gefallen sind. Dieser Schritt ging

mir ganz gegen die Natur. Mein halbes Leben hatte ich in der

Anonymität verbracht, um meine Identität, die Sicherheit mei-

ner Familie und das Leben vieler Mitagenten und Informanten

zu schützen.

Aber mittlerweile sind so viele irreführenden Versionen über

die Tätigkeit der CIA seit den Anschlägen vom 11. September

2001 im Umlauf, dass ich nach meinem Abschied im Februar

2005 das Bedürfnis hatte, die Darstellungen zu korrigieren. Ein

Auslöser für dieses Buch war die beispiellose Enttarnung der

Identität Valerie Plames, einer Undercoveragentin. Offensicht-

lich ein Versuch, ihrem Mann – Botschafter Joseph Wilson – zu

schaden. Er war einer der prominentesten Kritiker des Irak-

kriegs. Es ist zwar nicht geklärt, ob Rachsucht seitens der Regie-

rung hinter Plames Enttarnung steckte, doch dem obersten Prä-

sidentenberater Karl Rove droht in diesem Zusammenhang

7

eine Verurteilung. Dick Cheneys Stabschef Lewis »Scooter« Lib-

by ist inzwischen zurückgetreten, nachdem er wegen Meineid

und anderen Vorwürfen im Zusammenhang mit der Untersu-

chung angeklagt worden war.*

Das Buch enthält unschöne Einzelheiten über die politischen

Machenschaften der Leute um Porter Goss, George Tenets

Nachfolger als Director of Central Intelligence (DCI). Die Öffent-

lichkeit muss unbedingt erfahren, welche Spielchen mit dem

Geheimdienst zu einer Zeit gespielt wurden, als die Vereinigten

Staaten eine effizient arbeitende Geheimdienstgemeinde drin-

gender nötig hatten als je zuvor.

Die CIA war immer schon ein beliebter Blitzableiter für das

Weiße Haus gewesen, weil ihre Führungskräfte und Fußsoldaten

wenig Neigung zeigten, an die Öffentlichkeit zu treten und sich zu

verteidigen. Wie Soldaten einer regulären Armee hielten sie es

für ihre Pflicht, dem Staat zu dienen und sogar für ihn zu sterben.

Doch Anerkennung für ihre Erfolge sollten sie nie bekommen.

Die Art und Weise, wie die CIA zum Sündenbock für ein außen-

politisches Fiasko nach dem anderen gemacht wurde, brachte

mich auf die Palme. Mit den Anschlägen vom 11. September und

dem Irakkrieg erreichte diese Entwicklung ihren gefährlichsten

Punkt. Es folgten hektische Schuldzuweisungen, die in meinen

Augen nicht dazu beitragen werden, die Welt für künftige Genera-

tionen sicherer zu machen. Wenn wir nicht wahrhaben wollen,

dass kein Geheimdienst – gleich unter welcher Führung – imstan-

de ist, dem Land ein Allheilmittel für den Krieg gegen den Terro-

rismus oder eine andere außenpolitische Herausforderung zu

präsentieren, dann laufen wir Gefahr, Chancen für die Verbesse-

rung unseres Schutzes vor Feinden zu verpassen – seien es Selbst-

mordbomber mit mehreren Kilogramm Sprengstoff um den Leib

oder Diktatoren mit nuklearen Ambitionen.

8

* Lewis Libby wurde inzwischen schuldig gesprochen (Anm. d. Verl.).

Die Amerikaner sollen wissen, dass wir in der Europa-Abtei-

lung auf meinen Befehl hin (und mit Tenets Unterstützung)

neue Umgangsformen mit unseren Bündnispartnern eingeführt

haben. Diese sind notwendig, wenn wir verhindern wollen, dass

sich Blutbäder wie in Madrid und London auch in anderen Städ-

ten der Welt ereignen. Solche Neuerungen wurden naturgemäß

nicht großartig verkündet. Erstens muss der Geheimdienstge-

meinde ermöglicht werden, ihre Arbeit zu tun, ohne dass sie als

politisches Instrument missbraucht wird, und zweitens müssen

echte Reformen in Angriff genommen werden. Tragischerweise

wurden einmal mehr bloß kosmetische Korrekturen durchge-

führt und das Gedächtnis der Institution gesäubert, indem man

hohe Mitarbeiter entließ. Seit ich bei der CIA bin, sind wir in die-

se Falle immer wieder getappt.

Kein Präsident während meiner Dienstzeit hatte eine weiße

Weste, wenn es um die CIA ging. Ronald Reagan versuchte über

geheimdienstliche Kanäle, Geiseln gegen Waffen auszutauschen.

Der erste Präsident Bush hatte eine Schwäche für die Agency, die

auf seine Tage als Direktor Anfang der siebziger Jahre zurückging.

Doch selbst er ließ es zu, dass Mitarbeiter wegen ihrer Rolle bei

Präsident Reagans Politik im Iran und in Zentralamerika an den

Pranger gestellt wurden. Am Ende verzieh er denjenigen, denen

die schwersten Anklagen drohten. Doch zuvor wurde eine ganze

Reihe von Leuten vor den Kadi gezerrt. Die Karrieren vieler, die

ihr Leben lang dem Land gedient hatten, waren ruiniert. Bill

Clinton brauchte Jahre, um zu erkennen, dass die CIA als wichti-

ges Instrument für die Sicherung des Friedens in der Welt einge-

setzt werden konnte. Sie alle hatten Vorurteile, wo nüchternes

Abwägen, wie die CIA am besten den Interessen des Landes und

der Welt dienen konnte, angebracht gewesen wäre.

Aber ich habe noch nie eine so massive Manipulation von

geheimdienstlichen Informationen erlebt wie seit dem Amtsan-

tritt des zweiten Präsidenten Bush. In meiner Funktion als Chef

9

für Europa im Directorate of Operations – in der CIA zuständig

für verdeckte Operationen – konnte ich aus erster Hand die bei-

spiellose Suche nach Informationen verfolgen, die den Irakkrieg

rechtfertigen und einen Sündenbock für die Anschläge vom

11. September präsentieren sollten. Als einer der erfahrensten

Stellvertreter Tenets musste ich zusehen, wie meinen Mitarbei-

tern die Hölle heiß gemacht wurde, als sie zu behaupten wag-

ten, dass Saddam Hussein gar keine Massenvernichtungswaf-

fen habe. Ich verfolgte, wie Politiker, auf Grund von höchst

fragwürdigen Informationen, feurige Reden über die drohende

Gefahr eines nuklearen Angriffs durch den Irak hielten, um

dann unsere Männer und Frauen im Mittleren Osten sterben zu

lassen. Innerlich schäumte ich vor Wut über die Dickköpfigkeit

der Führung unseres Landes. Sie hat all die Stimmen ignoriert,

die vor den Gefahren eines schlecht vorbereiteten Kriegs in der

arabischen Welt warnten. Am Ende wurde mir klar, dass diese

Regierung ihre Meinung nie geändert hätte, ganz gleich, was

wir sagten oder taten. Saddam Hussein hatte seinen Sturz ge-

wiss verdient. Mich machte nur krank, dass man der Öffentlich-

keit einreden wollte, es gäbe bloß zwei Optionen: dem Übeltäter

mit der Operation »Shock and awe« das Handwerk legen oder

einen Atomschlag von einem Boot im Hafen von New York aus

in Kauf nehmen. Im Folgenden werden Details enthüllt, die

belegen, dass es durchaus eine dritte Option gegeben hätte:

Eine, die womöglich vielen Amerikanern und Irakern das Leben

gerettet hätte. Sie hätte die Welt sicherer statt noch gefährlicher

gemacht. Jetzt, wo ich im Ruhestand bin, kann ich meine Mei-

nung endlich frei in der Öffentlichkeit äußern.

Freilich hatten auf diesen Seiten nicht alle Fakten Platz. Aber

der Leser erfährt ein neues, wesentliches Detail aus der Vorge-

schichte des Krieges. Es erklärt, weshalb ein Bündnispartner,

mit dem ich jahrelang ausgezeichnet zusammengearbeitet

habe, unser Vorgehen vehement und öffentlich kritisierte. Als

10

Zeuge vor der Silberman-Robb-Kommission, die im Auftrag

Präsident Bushs die Geheimdienstpannen unter die Lupe

nahm, wurde ich ausführlich zu dieser Geschichte befragt. Sie

erzählt die Versuche eines engen Freundes und Kollegen – der

hier wie viele andere Akteure nur mit dem Vornamen Bill ge-

nannt werden kann –, persönlich Kontakt zu einem irakischen

Informanten aufzunehmen. Er sollte dessen Behauptung verifi-

zieren, Saddam Hussein verfüge über gar keine Massenvernich-

tungswaffen. Bills vergebliche Odyssee um den Globus, die ein

Blutbad hätte verhindern sollen, wurde im Bericht der Kommis-

sion nicht erwähnt. Die Kommission war der Meinung, damit

würde sie über ihr Mandat hinausgehen. Doch es handelt sich

um eine Geschichte, die unbedingt erzählt werden muss. Hier

kann sie jeder selbst nachlesen.

Dem Weißen Haus mag es opportun erscheinen, den Ameri-

kanern eine Schwarzweißversion der Realität vorzugaukeln:

dass der Irakkrieg hätte vermieden werden können, wenn die

CIA nur ein zutreffendes Bild von Husseins Waffenarsenal gelie-

fert hätte. Doch wie alle CIA-Mitarbeiter wissen, hat die Wahr-

heit immer auch dunkle Seiten. Tatsächlich glaubte das Weiße

Haus nur, was es aus diversen Gründen glauben wollte. Wie ich

in diesem Buch schildere, versuchte das Weiße Haus bewusst,

eigene Fehleinschätzungen vergessen zu machen, indem es

unsere Pannen anprangerte. Ein solches Verhalten wird verhin-

dern, dass sich die Agency zur wirksamen Waffe im Krieg gegen

den Terrorismus des 21. Jahrhunderts entwickelt.

Mit dieser Geschichte verbinde ich die Hoffnung, den Inte-

ressen des amerikanischen Volkes zu dienen. Den Lesern möch-

te ich eine realistische Vorstellung von Spionen vermitteln. Die-

se operieren unter ständiger Gefahr und haben den Mut, ihr

Schicksal mit dem der Nation zu verknüpfen. Nach dem Ende

des Kalten Krieges ist die Versuchung groß zu sagen: Wir brau-

chen die Central Intelligence Agency nicht länger. Dabei brau-

11

chen wir sie so dringend wie nie zuvor. Ich habe verdeckte Ope-

rationen befohlen und etliche auch selbst durchgeführt. Ich

weiß, dass wir über Fertigkeiten verfügen, die sinnvoll einge-

setzt werden können. Statt panisch nach Möglichkeiten zu

suchen, wie wir unsere Methoden ändern können, sollten wir

sorgfältig und geduldig unsere Angriffsziele lokalisieren und

die Basis militanter Organisationen infiltrieren. Ich weiß, dass

wir das können, weil ich selbst einst die südafrikanischen

Todesschwadronen und den African National Congress infil-

trierte. Als CIA-Chef von Europa konnte ich beobachten, dass

unsere Bündnispartner genau so vorgehen.

Kurz vor meinem Abschied fingen wir an, den militanten

Anteil in islamischen Gemeinden in Europa zu lokalisieren.

Dabei nutzten wir Informationen, die wir bei der Enttarnung

von Spionen vor dem Fall der Berliner Mauer gesammelt hatten.

Dieses Wissen hat nach dem Zerfall der Sowjetmacht keines-

wegs an Nutzen verloren. Um Massenvernichtungswaffen und

ihre Bestandteile aufzuspüren und um Selbstmordattentäter

frühzeitig zu identifizieren, müssen wir diese Fertigkeiten unbe-

dingt einsetzen. Wir müssen dabei methodisch vorgehen und

zunächst kleinere Gruppierungen unter die Lupe nehmen. Das

ist die einzige Chance, Anschläge wie in Madrid und London zu

verhindern. Solche Attacken werden stets die größte Gefahr

darstellen und man wird sie nie ganz ausschließen können.

Aber wir erhöhen unsere Erfolgsaussichten enorm, wenn wir

uns die Zeit nehmen, jene Einwanderergemeinden, aus denen

die Attentäter kommen, zu verstehen.

Mit meiner Schilderung, wie uns die Politik bei der Arbeit

behinderte, verbinde ich die Hoffnung, dass sich solches nicht

wiederholen wird. Mit dieser öffentlichen Äußerung möchte ich

Politiker davon abbringen, künftig geheimdienstliche Informa-

tionen so zu missbrauchen, wie es die gegenwärtige US-Regie-

rung tut. Nur so steigen die Chancen, neue begeisterte Mitarbei-

12

ter zu rekrutieren, die Medressen, Moscheen und islamische

Zentren infiltrieren, oder Informanten und Agenten ausfindig

zu machen, die uns zu dem nächsten Mohammed Atta oder

Osama bin Laden führen können.

Bislang hat die Reform der amerikanischen Geheimdienstge-

meinde, die völlig zu Recht vom Kongress in die Wege geleitet

wurde, nur Fehler der Vergangenheit wiederholt. Es wurde aus-

gesiebt und umstrukturiert, aber nicht wirklich reformiert. Im

Hauptquartier sind viele neue Gesichter aufgetaucht, doch eine

Aufarbeitung der vergangenen Jahre findet nicht statt. Zumin-

dest kann ich keine erkennen. Die neue Struktur soll den Anfor-

derungen des Washingtoner Apparats dienen, nicht den Agen-

ten vor Ort und auch nicht den Analytikern. Doch wenn

überhaupt eine Hoffnung bestehen soll, den Terrorismus in die

Schranken zu weisen, müssen diese Personen ohne Einmi-

schung von außen arbeiten können.

Jetzt wo wir dringend kluge Köpfe in die Welt entsenden und

an allen Orten Freunde finden müssen, möchte ich potenziellen

Rekruten versichern: Man kann diesen Job erfüllen und sogar

Politiker beeinflussen, wenn man ihnen die Augen für die Wahr-

heit öffnet, statt sich für eine Lüge missbrauchen zu lassen. Ich

weiß das, denn ich habe es selbst erlebt.

Ich hätte mein Eckzimmer mit Blick auf die Wälder Virginias

noch eine Weile behalten können, nachdem ich in die CIA-Spit-

ze aufgestiegen war. Ich hatte nur noch eine Handvoll Vorge-

setzte. Doch in der Agency war eine regelrechte Säuberung im

Gange. Vor neuen Bossen hätte ich den Kotau machen müssen.

Doch das hatte ich nicht mehr nötig. In diesem Buch fechte ich

meinen letzten Kampf aus. Hoffentlich finden die Leser Antwor-

ten auf einige Fragen, die sich ihnen nach dem 11. September

2001 gestellt haben.

Tyler Drumheller

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Prolog

Vienna, Virginia, April 2005

Der Tag, an dem ich zum ersten Mal an die Öffentlichkeit trat,

war ansonsten wenig spektakulär. Das ganze Drama um meine

Pensionierung, der Abschied von Freunden und Kollegen, die

Ankunft des neuen CIA-Direktors Porter Goss, die Aussagen vor

einer Untersuchungskommission nach der anderen lagen hin-

ter mir. Das galt auch für meine schlaflosen Nächte, den Stress

und die furchtbare Unzufriedenheit. Ich freute mich auf ein

Leben in der freien Wirtschaft. Mit einigen Freunden wollte ich

eine Beratungsfirma gründen.

Es war ein Samstag, gegen 15 Uhr, und ich saß zuhause mit

meiner Frau und Tochter. Das Telefon klingelte. Ein Reporter der

Los Angeles Times war am Apparat. Mein Leben lang war ich

den Medien aus dem Weg gegangen, hatte die Enttarnung ver-

mieden und eine falsche Identität geführt, um meinem Land zu

dienen. Ich hatte zwar bereits den Beschluss gefasst, dieses

Buch zu schreiben, aber nicht damit gerechnet, in die Schlagzei-

len zu geraten, noch bevor ich einen Stift in die Hand nahm. Ich

hatte nur einen Gedanken: »Wie komme ich da nur wieder

raus?«

Der Reporter Greg Miller fragte mich, ob ich der Chef der

Europa-Abteilung sei, der im Abschlussbericht der Silberman-

Robb-Kommission zitiert werde. Der Bericht enthüllte Details

eines Telefongesprächs, das ich mit George Tenet am Abend vor

15

Außenminister Colin Powells Rede vor dem Sicherheitsrat der

Vereinten Nationen geführt hatte. Powell hatte mit der Rede

eine Invasion in den Irak gerechtfertigt. Ohne meinen Namen zu

nennen, ging der Bericht ausführlich auf weitere Einzelheiten

des Debakels um »Curveball« ein, der wichtigsten irakischen

Quelle für die Behauptung, dass Saddam Hussein über Massen-

vernichtungswaffen verfügte. Ich zögerte am Telefon. Eigentlich

wollte ich nicht in die Verräterrolle gedrängt werden. Tenet war

mein Freund, die CIA mein Leben. Die Agency war gut zu mir

gewesen. Obwohl meine Tarnung im Januar offiziell aufgeho-

ben worden war und ich ganz legal anderen mitteilen durfte,

dass ich in der Agency gearbeitet hatte, hatte ich es bislang

noch nicht getan. Der Mensch hängt an alten Gewohnheiten.

Noch heute ist es mir unangenehm, wenn »die CIA« zum Ge-

sprächsthema wird.

Aber der Reporter köderte mich. »Ich möchte Ihnen einfach

mitteilen, was Tenet dazu gesagt hat«, sagte er. Als Nächstes

bekam ich Auszüge aus einer langen Stellungnahme zu hören,

die mein ehemaliger Vorgesetzter abgegeben hatte. Im Grunde

handelte es sich um ein umständliches Dementi, dass er jemals

auf die Unglaubwürdigkeit Curveballs hingewiesen worden sei.

Er bestritt ferner, dass ich die Probleme mit dieser Quelle am

Telefon in jener Nacht im Februar 2003 erwähnt hätte. Da stand

ich also und man warf mir vor, meinen Job nicht ordentlich

gemacht, ja einen »außergewöhnlichen Lapsus« begangen zu

haben. Unterdessen erklärte sein ehemaliger Stellvertreter John

McLaughlin, er könne sich an unser Treffen im Januar 2003, bei

dem ich ihn vor Curveball gewarnt hatte, »absolut nicht erin-

nern«, obwohl unzählige Hinweise meine Version der Ereignisse

bestätigen.

Ich war eher enttäuscht als wütend darüber, diesen schwa-

chen Verteidigungsversuch zu hören. McLaughlins Antwort an

jenem Tag, als ich ihn davon in Kenntnis setzte, dass Curveball

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unzuverlässig war, ist mir lebhaft in Erinnerung geblieben. Ich

zitierte sie für den Reporter: »Oh nein! Ich hoffe, das ist nicht

wahr.«

Am Ende verlor ich die Beherrschung. »Es kümmert mich

einen Dreck, was George Tenet sagt«, rief ich. »Er kennt die

Wahrheit.«

Im Folgenden wird die Wahrheit über die Ereignisse vor und

nach jenem Abend im Februar 2003 erzählt. Beginnen wir mit

einem der schwierigsten Kapitel in der Geschichte der Vereinig-

ten Staaten: dem 11. September 2001.

17

Tödliche Wende

Langley, Virginia, 11. September 2001

Nach den Einschlägen der Flugzeuge in New York und im Penta-

gon gingen alle im CIA-Hauptquartier davon aus, dass wir

womöglich als Nächste dran waren. Es brauchte nicht viel Phan-

tasie für diesen Gedanken, als wir an jenem sonnigen Herbstmor-

gen das Gebäude evakuierten. Immerhin hatte Al-Qaida schon

1994 geplant, ein Flugzeug auf unser Hauptquartier stürzen zu

lassen. Während Tausende von Menschen gleichzeitig versuch-

ten, das Gelände zu verlassen, stand ich neben dem Chef der Afri-

ka-Abteilung und beobachtete, wie sich die Fahrzeuge stauten.

Ich hatte meine Laufbahn in Afrika begonnen und viele Jahre dort

verbracht; er hatte ebenfalls einen großen Teil seines Lebens die-

sem Kontinent gewidmet. Mike Sulick, ein Vietnamveteran und

damals Chef der Mitteleuropa-Abteilung, gesellte sich zu uns.

Der Chef der Ostasienabteilung, ein drahtiger Kerl, der

fließend Chinesisch spricht und zwei Mal unsere Arbeit in

Peking geleitet hatte, rannte aus dem Gebäude und rief, wir soll-

ten uns in Bewegung setzen. Ein viertes Flugzeug werde ver-

misst, und aller Wahrscheinlichkeit nach sei es hierher unter-

wegs. Da wir allesamt schon x-Mal mit knapper Not davon-

gekommen waren, lag das Paradoxe der Situation auf der Hand.

»Wir haben schon alles Mögliche überlebt – Vietnam, Tschad,

Angola – und jetzt sollen wir hier auf dem Parkplatz sterben?«,

stieß ich hervor.

19

»Tja, wir könnten über den Zaun klettern«, schlug Mike vor.

»Eher sterb ich«, sagte mein Freund aus der Afrika-Ab-

teilung, ein großer Muskelprotz. Ich glaube nicht, dass einer

von uns so gut in Form war, dass er so ohne weiteres ein Hin-

dernis hätte überwinden können, schon gar nicht eine 3,50 m

hohe Barrikade mit scharfen Metallspitzen an der Oberkante.

Dabei wirkte weniger die körperliche Anstrengung unsinnig

als vielmehr die bizarre und erniedrigende Vorstellung, dass

wir im Geschäftsanzug und schicken Schuhen an überteuer-

ten Feinkostläden, Restaurants und Tennisclubs vorbei um

unser Leben rennen mussten. Kein einziger von uns jubelte,

als das fehlende Flugzeug in Pennsylvania auf dem Land

abstürzte. Wir wussten genau: Nichts würde mehr so sein wie

früher.

Ein paar Tage nach den Anschlägen rief Bob Deutch, der stell-

vertretende Botschaftschef von Wien, an. In Österreich hatten

wir viel Zeit darauf verwendet, Methoden für die Entlarvung von

Terroristen in Europa zu entwickeln.

»Ich muss dich was fragen«, sagte er. »Haben wir wirklich

alles getan, was in unserer Macht stand, um das zu verhin-

dern?«

Ich versuchte, ihn zu beruhigen, aber es war ein schwacher

Trost. »Klar, Bob. Alle fragen sich das. Aber es ist passiert, weil

es eben passiert ist.« Das sprach natürlich kein Regierungsver-

treter laut aus, aber es war die Wahrheit. Nicht dass überhaupt

keine Aussicht bestanden hätte, die Anschläge zu verhindern.

Aber es ist nun einmal harte Realität, dass man einen Selbst-

mordbomber selbst dann kaum stoppen kann, wenn man alles

richtig macht. Nicht einmal Israel mit all seinen Sicherheits-

vorkehrungen und seiner Wachsamkeit kann solche Anschlä-

ge immer verhindern. In London wurde ein zweites Blutbad in

der U-Bahn nur deshalb abgewendet, weil die Bomben nicht

zündeten. Und dabei hat Großbritannien, eine kleine Insel, das

20

wohl ausgeklügeltste System von Überwachungskameras. Im

Rückblick lassen sich gewiss Momente ausmachen, an denen

die Strafvollzugsbehörden und die CIA es versäumt haben,

Informationen auszutauschen oder Alarmzeichen zu erkennen

und die einzelnen Punkte in der Verschwörung vom 11. Sep-

tember miteinander zu verbinden. Wenn das FBI die Verschwö-

rer unter die Lupe genommen hätte, die eine Flugschule be-

suchten, wenn wir das FBI über zwei Entführer informiert

hätten, die aus Indonesien in die Staaten gelangt waren, dann

hätten wir vielleicht den Anschlag verhindert. Aber womöglich

hätten wir ihn nur aufgeschoben. Durch die Verhaftung einiger

Mitwisser wäre kaum das volle Ausmaß des Plans aufgedeckt

worden, weil die Angreifer sehr gut voneinander abgeschottet

waren. Es ist unklar, wie viele Entführer überhaupt wussten,

was an jenem schrecklichen Tag genau passieren würde. Das

heißt nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen und uns

einreden sollen, wir könnten ohnehin nichts tun. Vielmehr

müssen wir wachsam sein und uns fortlaufend über Zirkel

informieren, in denen mögliche Selbstmordbomber beheima-

tet sind. Aber gleichzeitig müssen wir ehrlich sein und akzep-

tieren, dass sich solche Attacken nicht immer verhindern las-

sen, statt so zu tun, als könnten wir den Terrorismus ganz aus

der Welt schaffen.

Der 11. September war ein irrwitziger Anschlag, ein perfekt

inszenierter Sturm. Ich erinnere mich noch an Ahmed Ressam,

den Algerier, der die Jahrtausendwende mit einem Selbst-

mordanschlag auf den internationalen Flughafen von Los

Angeles feiern wollte. Dank einer Mischung aus Wachsamkeit

und purem Glück öffnete ein kanadischer Grenzwächter den

Kofferraum des Möchtegern-Attentäters und entdeckte den

Sprengstoff. Eine solche Aufmerksamkeit erhöht die Aussich-

ten, eine Katastrophe abzuwenden, aber sie wird niemals alle

Anschläge ausschließen. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit,

21

dass ein weiterer Anschlag vom Ausmaß des 11. September

verübt wird, außerordentlich gering. Das Blutbad hätte eine

ehrliche Überprüfung unserer Außenpolitik und des Strafvoll-

zugs auslösen müssen. Statt diese Fragen einer eingehenden

und nüchternen Prüfung zu unterziehen, versetzte die Bush-

Administration das Land jedoch in einen Zustand anhaltender

Panik.

Wir hatten damals alle Angst, große Angst. Meine Tochter

Livy liebt New York, und sie erlitt ein regelrechtes Trauma. Bis

heute fahren sie und meine Frau Linda regelmäßig nach Man-

hattan. Und noch in derselben Woche im September 2001 gab

Livy mir eine Aufnahme der Twin Towers und bat mich, sie in

meinem Büro aufzuhängen. Ich tat es ohne Widerrede, obwohl

ich sonst nicht zu sentimentalen Ausbrüchen neige. Bis zu mei-

nem Abschied hing das Foto in meinem Büro, neben der Skizze

eines Lipizzaners, einem Gemälde des Stefansdoms in Wien, das

mir der österreichische Geheimdienst geschenkt hatte, und

einem Aquarell von Fischern an der Nordseeküste. Im Gegen-

satz zu manchen Kollegen hatte ich keine »persönliche« Wand.

Wie viele Agenten der alten Garde, die jahrelang in der Anony-

mität gelebt hatten, war mir nie ganz wohl dabei – und das gilt

auch heute noch –, wenn ich etwas über meine Identität preis-

gab.

Ich saß am Schreibtisch, das Bild von den Twin Towers vor

Augen und fragte mich, ob es womöglich verantwortungslos

von mir sei, in Washington, D. C. zu bleiben. Mein langjähriger

Freund und Kollege Cofer Black hatte mir eingeredet, Al-Qaida

würde ein Flugzeug mit Anthrax schicken oder sich eine andere

furchtbare Methode für einen weiteren Anschlag auf Washing-

ton und New York ausdenken. Als Leiter des Counterterrorist

Center, also der Terrorabwehr der CIA, hatte seine Meinung

Gewicht. Er war keineswegs der Einzige, der eine neue Katastro-

phe voraussagte. Die ganze US-Regierung schien diese Ansicht

22

zu teilen. Die Einschätzung stützte sich weitgehend auf in

Afghanistan erbeutete Dokumente, die belegten, dass die

Absicht bestand, weitere Anschläge zu verüben – allerdings

nicht, dass Al-Qaida auch wirklich imstande war, sie auszufüh-

ren. Doch im Nachspiel des 11. September behandelte die Regie-

rung diese Wunschliste bereits als konkrete Bedrohung.

Anfang Oktober bot sich Cofer Black die Gelegenheit, das

Directorate of Operations – also die Abteilung für verdeckte

Operationen, deren europäischen Zweig ich damals leitete – auf

den neuesten Stand zu bringen. Er nahm an der ersten Stabssit-

zung meines unmittelbaren Vorgesetzten Jim Pavitt teil. Wir

sprachen unter anderem darüber, welche Möglichkeiten es gab,

die Stellenbesetzung zu ändern, und über die Notwendigkeit,

Ressourcen aus Europa abzuziehen und in die Terrorabwehr zu

verlegen. Cofer Black sagte, er sei überzeugt, dass unmittelbar

weitere Anschläge von einem vergleichbaren, wenn nicht grö-

ßeren Ausmaß als der 11. September drohten. Als Vorgesetzter

in meinem ersten Auslandseinsatz in Afrika war er noch uner-

schrocken und voller Tatendrang. In vielerlei Hinsicht hatte ich

zu ihm aufgesehen. Der abenteuerlustige Mann mit dem Herz

am rechten Fleck meldete sich stets unerschrocken für die här-

testen und gefährlichsten Posten.

Damals hatte die Angst sogar die Chefetage der CIA erreicht.

Ich weiß noch, dass sich Tenet, ein Mann, den ich seit 20 Jahren

kannte, nach meiner Familie erkundigte. Ich erwähnte, dass sie

die Absicht hätten, nach New York zu fahren. Er sagte: »Raten

Sie ihnen davon ab.« Das war ungewöhnlich, weil die offizielle

Linie zu der Zeit lautete: Weitermachen wie bisher. Doch in die-

sem Augenblick sprach er als Freund. Es herrschte eine gedrück-

te Stimmung. Alle waren fest davon überzeugt, dass New York

womöglich noch einmal angegriffen werde. Die Polizei wurde

sogar mit Geigerzählern, wie sie in Atomkraftwerken eingesetzt

werden, ausgerüstet. Trotzdem habe ich die düsteren Vorhersa-

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Tyler Drumheller

Wie das Weiße Haus die Welt belügtDer Insider-Bericht des ehemaligen CIA-Chefs von Europa

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 288 Seiten, 13,5 x 21,0 cmISBN: 978-3-7205-3013-2

Diederichs

Erscheinungstermin: August 2007

Tyler Drumheller, langjähriger CIA-Chef Europa, enthüllt die Hintergründe des Irak-Krieges. Inseinem Bericht, der in Amerika für großes Aufsehen sorgte, beschuldigt er den US-Präsidenten,Geheimdienstinformationen massiv manipuliert zu haben. Drumheller stellt klar: DieBush-Administration wusste, dass Saddam Hussein über keinerlei Massenvernichtungswaffenverfügte. Doch die Bomben auf Bagdad waren längst beschlossene Sache.Der frühere Top-Agent schildert, wie trickreich und perfide Washington die Weltöffentlichkeithinters Licht geführt hat – und welche Rolle der deutsche Bundesnachrichtendienst dabeispielte. Sein Bericht zeigt, dass es eine Alternative zum Krieg gegeben hätte, „die das Lebenvieler Amerikaner und Iraker gerettet und die Welt sicherer statt noch gefährlicher gemachthätte.“Ein politisches Lehrstück – brandaktuell angesichts eines drohenden Iran-Kriegs.