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UvA-DARE is a service provided by the library of the University of Amsterdam (https://dare.uva.nl) UvA-DARE (Digital Academic Repository) Liebesleid, Modelle Und Kontakte: Arabische, hebräische und früh-romanische Dichter in Sizilien und die Minnesang Schippers, A. Publication date 2005 Document Version Final published version Published in Deutsche Kultur und Islam am Mittelmeer [Akten der Tagung Palermo 13.-15. November 2003] Link to publication Citation for published version (APA): Schippers, A. (2005). Liebesleid, Modelle Und Kontakte: Arabische, hebräische und früh- romanische Dichter in Sizilien und die Minnesang. In L. Auteri, & M. Cottone (Eds.), Deutsche Kultur und Islam am Mittelmeer [Akten der Tagung Palermo 13.-15. November 2003] (pp. 61- 75). Kümmerle Verlag. General rights It is not permitted to download or to forward/distribute the text or part of it without the consent of the author(s) and/or copyright holder(s), other than for strictly personal, individual use, unless the work is under an open content license (like Creative Commons). Disclaimer/Complaints regulations If you believe that digital publication of certain material infringes any of your rights or (privacy) interests, please let the Library know, stating your reasons. In case of a legitimate complaint, the Library will make the material inaccessible and/or remove it from the website. Please Ask the Library: https://uba.uva.nl/en/contact, or a letter to: Library of the University of Amsterdam, Secretariat, Singel 425, 1012 WP Amsterdam, The Netherlands. You will be contacted as soon as possible. Download date:16 Aug 2021

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UvA-DARE is a service provided by the library of the University of Amsterdam (https://dare.uva.nl)

UvA-DARE (Digital Academic Repository)

Liebesleid, Modelle Und Kontakte: Arabische, hebräische und früh-romanischeDichter in Sizilien und die Minnesang

Schippers, A.

Publication date2005Document VersionFinal published versionPublished inDeutsche Kultur und Islam am Mittelmeer [Akten der Tagung Palermo 13.-15. November2003]

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Citation for published version (APA):Schippers, A. (2005). Liebesleid, Modelle Und Kontakte: Arabische, hebräische und früh-romanische Dichter in Sizilien und die Minnesang. In L. Auteri, & M. Cottone (Eds.), DeutscheKultur und Islam am Mittelmeer [Akten der Tagung Palermo 13.-15. November 2003] (pp. 61-75). Kümmerle Verlag.

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60 Victor Millet

Wissensliteratur iibersetzt haben: sie sind allesamt auch Verfasser eige-ner Werke gewesen und genossen als seiche groUe Anerkennung. Dass die ,neue' Wissenschaft, fiir die es neben der Sprache auch die speziel-len Fachzeichen zu erlemen gait, bald auch als ,schwarze Magie' ver-femt wurde, klingt in Wolframs Satzen ebenfalls an. In Flegetanis jiidisch-islamischer Abstammung spiegelt sich zudem die maBgebliche Beteiligung judischer Gelehrter an der Vermittlung arabischen Wissens an das Abendland. Die Chronik aus Anjou und die jiidisch-arabische astronomische Beobachtung verleihen der Gralsgeschichte eine histori-sche Dimension, eine wissenschaftliche Basis und eine iiber das Abend-land hinausreichende Universalitat, die mit Wolframs Vorstellung von Christen und Heiden als Kinder Gottes korrespondiert. Sollte es zutref-fen, dass der Eschenbacher bei der Konstruktion der kyotschen Quellenfiktion an den iberischen Austausch- und Ubersetzungsbetrieb gedacht hat, dann liegt im Parzival der erste deutsche Hinweis auf die ,Schule' von Toledo vor und mit ihm auch der Beleg dafiir, dass man sich in Mitteleuropa sehr wohl bewusst war, welch reger Austausch im SUdwesten des Kontinents mit der arabischen Kultur stattfand.

%

Liebesleid: Modelle und Kontakte Arabische, hebraische und friih-romanische

Dichter in Sizilien und der Minnesang

Arie Schippers (Amsterdam)

In diesem Vortrag beschaftige ich mich mit arabischen, hebraischen und friihromanischen Dichtem, die in Sizilien wahrend der Herrschaften von Roger n. (1130-54) und Friedrich H. (1194-1250) wohnten. Sie wurden durch benachbarte Mittelmeerlander wie Spanien, Provence und das konti-nentale Italien beeinfluBt. Im moslemischen Spanien hatte die arabische Poesie sich entlang den gleichen Linien wie die arabische Poesie im Osten entwickelt. Jedoch friih im elften Jahrhundert entstand in Andalusien eine strophische lyrische Gattung, das sogenannte muwashshah [Giirtelgedicht], das von der klassischen Norm der monometrischen und monogereimten arabischen Ode abwich. Dariiber hinaus traf man im elften Jahrhundert in Spanien auf eine neue Schule der hebraischen Dichter, die durch die Formen und die Themen der arabischen Poesie inspiriert wurden, die sich iiber die Provence, Italien und das arabische Mittelmeer verbreiteten.

Wirrichten unsere Aufmerksamkeit im Folgenden namentlich auf das TTiema .Liebesleid'. Wie erscheint es in den unterschiedlichen siziliani-schen Dichtungen und wie in den Liedem der Minnesanger? Es soil im Folgenden eine allgemeine Ubersicht der moglichen Kontakte zwischen der okzitanischen und der romanischen Lyrik im allgemeinen einerseits und der arabischen und hebraischen Tradition anderseits versucht werden.

1. Arabische und okzitanische Lyrik in der Provence, in Spanien und in Italien: Modelle und Kontakte

A. Modelle

Lassen Sie uns zuerst iiber mogliche arabische Modelle fiir okzitanische

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62 Arie Schippers

Lyrik aus thematischem und formalem Gesichtspunkt sprechen. Auf die Themen wird ausdriicklich eingegangen.

Es ist wichtig zu wissen, dass die Christen im Norden Spaniens gewisse Gewohnheiten der Muslime angenommen und moglicherweise bestimmte beliebte Themen iibernommen batten, indem sie Sangerinnen und Musiker holten, die eine arabische Ausbildung gehabt batten. Ibn Al-Kinani beobachtete, dass Konig Sancho einige arabische singende und tanzende Madchen am Hof hatte, die ihm von einem mos­lemischen Prinzen ,geschenkt' worden waren.' Ein christliches tanzen-des Madchen begann, auf Arabisch iiber den ,parfiimierten Wind' zu singen, der vom Land des Geliebten kommt. Das Thema des Windes als Boten ist auch in der strophischen arabischen Lyrik vorhanden, die muwashshahdt [Giirtelgedicht] genannt wird. Man trifft das Thema auch in der Troubadourlyrik. Einige Beispiele von Bernard de Ventadour:^ «Quan la frej' aiira venta // Deves vostre pais // Vejaire m'es que senta // Un ven de paradis / per amor de la genta / vas cui eu sui aclis //»; von Peire Vidal:^ «Ab I'alen tir vas me I'aire / qu'ieu sen venir de Proensa; / tot quant es de lai m'agensa /»; von einem unbe-kannten Dichter):'' «Per la douss'aura qu'es venguda de lay / Del mieu amic belh e cortes e gay, / Del sieu alen ai begut un dous ray /»; und von Raimbaut de Vaqueiras:^ «Oy, aura dulza, qui vens dever lai, / Un mun amic dorm e sejormn e jai/ del dolz aleyn un beure m'aportay / La bocha obre, per gran desir qu'en ai».

[Wenn der frische Wind aus ihrem Land heriiber weht, dann kommt es mir vor, ich fiihle einen Wind aus dem Paradies wegen der Liebe fiir diejenige, die ich gerne babe.

Im Atmen ziehe ich die Luft an, die ich aus der Provence

' Henri Peres: La Pofisie andalouse en arabe classique au Xle siecie. Paris 1937, S. 383-386; Ibn Bassam: Kitab al-dhakhirah fi mahasin ahl al-jazirah. Hrsg. Ihsan 'Abbas. Beirut 1979, Vol. Ill: i, S. 318.

^ Martin de Riquer: Los trovadores : historia literaria y textos. Barcelona 1975, 1, S. 388 (no. 61).

^ De Riquer (Anm. 2), II, S. 872 (no. 169). " De Riquer (Anm. 2), III, S. 1696 (no. 364). ' De Riquer (Anm. 2) II, S. 844 (no. 165).

Liebesleid: Modelle und Kontakte 63

kommen spure: alles was von dort kommt, bereitet mir Vergniigen.

Mit der sanften Luft, die von dort kam, babe ich einen weichen Strahl meines hofischen frohgemuten Freundes empfangen.

O sanfte Luft, die von dort kommt, wo mein Freund lebt und schlaft, bring mir einen Trunk von sUBem Atem, ich offne den Mund vor lauter Sehnsucht nach ihm.]^

Die Beschreibung des Windes als Boten kann mit dem Thema des Liebesleids kombiniert werden, wie wir aus einigen Strophen des muwashshah von Ibn Baqi entnehmen konnen:^

0. Ajrat la-na min diyari '1-khilli // rihu'1-saba 'abarati'l-dhilli //

0. vom Ort, wo mein Geliebter wohnt // fiihrt der Wind in der Dammerung Tranen der Bescheidenheit zu uns

1. Habbat hububa '1-dana fi badani // wa-hayyajat ma mada min shajani // tahdi tahiyyata man 'adhdhaba-ni // jawan 'ala kabidi '1-mu'talli // la kana yaumu '1-nawa fi hilli! //

1. Schmachtende Seufzer [des Windes beim Tagesanbruch] durchdringen mein Wesen // Sie beleben wieder das alte Leid // Sie bringen GriiBe zu mir von einem, der mich qualt // Mit Liebesleid in meinem kranken Herzen // O, konnte der Tag der Abfahrt verflucht werden! //

2. Ma dha 'ala '1-hawa ajna-hu? //

* Deutsche Ubersetzung von Arie Schippers. ' Ibn Bishri: 'Uddat al-Jalis, Hrsg. Alan Jones. Cambidge 1992, S. 254-255

(no. 167); Sayyid Mustafa Ghazi: Diwan al-Muwashshhat. Alexandria 1979, I, S. 479 (no. 23).

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mudh sadda 'anni 'lladhi ahwa-hu? // wa-laysa li fi'1-hawa illa-hu // Kayfa-stibari? aba 'an wasli // Aw ma-htiyali 'alayhi? Qui li! //

2. Warum handelt die Liebe so unrecht an mir? // Nun wenn Liebe sich von mir abgewendet hat? // Niemand konnte ihn in meiner Zuneigung ersetzen // Wie ertrage ich seine Ablehnung mich zu treffen ? // Welche Strategie mulJ ich bei ihm benutzen? Erklaren Sie es mir! //

3. Ubi 'alay-hi a-rihu ubi // wa-ballighi watana '1-mahbubi // tahiyyata 'l-'ashiqi '1-makrubi // qabbili ft makani'1-qabl // 'anni wa-hayyi bi-arfi '1-dalli. //

3. Kehr zuriick, Brise, kehr zuriick, // Und nimm von einem traurigen Liebhaber zur Heimat meines

Geliebten // Die GriiBe eines traurigen Liebhabers // Gib in meinem Namen einen KuB auf sein Gesicht // Und griiB ihn mit dem Duftstoff der Hoflichkeit //

Fiir die Beschreibung von Liebesleid ist auch der sogenannte kharjah oder Ausgang oder Refrain wichtig, der ein leidendes christliches Madchen schildert, das Romanisch spricht:^

5. wa-rubba khawdin jafa-ha'1-wajdu // , wa-shaffa-ha '1-baynu thumma'l-bu'du //

fa-a'lanat bi '1-firaqi tashdu: // Benid la Pasqa, ay, aun shin elli / Come cand meu corajon bor elli //.

* Federico Corriente: Poesi'a dialectal ^rabe y romance en AlandaWs. Madrid 1997, S. 283 [A 12]; S, 311 [H 5]; Alan Jones: Romance Khaijas in Andalusian Arabic Muwashshah poetry. London 1988, S. 101-105 [no. 12]; Samuel Miklos Stem: Hispano-Arabic strophic poetry. Oxford 1974, S. 118, S. 135.

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5. Ein Madchen, das grausam von der Liebe behandelt wurde, // War wegen des Fortgehens und der Feme mager geworden // Und sang, die Trennung ankiindigend: // Die Zeit der Begegnung ist gekommen, aber er ist nicht da. // Wie ist mein Herz in Flammen fiir ihn! ///.

Im oben zitierten Text zeigten wir einige Beispiele des Motivs des Windes als Boten des Geliebten aus der arabischen Poesie sowie aus der Troubadourlyrik.' Jetzt soil noch ein weiteres Beispiel aus der Troubadourlyrik gezeigt werden. Die beste Beschreibung von Liebesleid in Bezug auf die Natur wird moglicherweise vom okzitanischen Dichter Cercamon gebildet, der uns erklart:'"

Quant I'aura doussa s'amarzis/ e'l fuelha chai de sul verjan / e I'auzelh chanjan lor latis / et ieu de ?ai sospir e chan / d'Amor que'm te lassat e pres, / qu'ieu anc no I'agui en poder //

Las! qu'ieu d'Amor non ai conquis / mas cant lo trebalh e I'afan, / ni res tant greu no's covertis / com fai 56 qu'ieu vau deziran / ni tal enveja no'm fai res / cum fai 96 qu'ieu non pose aver //

Wenn der siisse Wind bitter wird / Und die Blatter von den Zweigen fallen / Und die Vogel ihre Sprache andern, / StoBe ich auch Seufzer aus und singe / Wegen der Liebe, die mich gefangenen genommen hat und angekettet /, Ich hatte nie Liebe in meiner Macht gehabt //

Leider! Ich babe nur Liebesleid erobert / Und nichts ist scbwie-riger zu erreichen, / Als was ich am meisten wiinsche /. Nichts hat mir mehr Wiinsche gegeben, als was ich nicht haben kann. //

In den folgenden Zeilen beschreibt Cercamon seinen Wunsch, sich mit seiner geliebten Frau niederzulegen, sowie seinen Zustand der

' Aurelio Roncaglia: La lirica arabo-ispanica e il sorgere della lirica romanza fuori della penisola iberica. In: Oriente ed Occidente nel Medioevo, Convegno di Scienze morali storiche e filologiche, 27 Maggio-1 Giugno 1956,Accademia Nazionale dei Lincei, Roma-Firenze 1956. Roma 1957, S. 321-343.

"• De Riquer (Anm. 2), I, S. 223-225.

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Geistesverwirrung, in den seine Liebe ihn versetzt hat. Aber er sagt zum

SchluB, dass man immer Hoffnung haben muB:

Cercamon ditz: greu er cortes/ om qui d'amor se desesper //

Cercamon sagt: Wer immer vor Liebe verzweifelt ist, fiir den

ist es schwierig hoflich zu sein.

B. Kontakte Obgleich in der Provence und im Languedoc entstanden, verbreitete sich die okzitanische Lyrik der Troubadours nach dem zwolften Jahrhundert in Norditalien und Spanien. Die Kontakte zwischen Troubadours und Dichtern der arabischen Tradition konnen in Spanien, in der Provence und in Italien stattgefunden haben." Zu der arabischen Tradition rechnet man auch die hebraischen Dichter. In Spanien konnte der hebraische Dichter Todros Abu'l-Afiyah (1247-1306) seinen okzitanischen Kollegen Guiraut de Riquer (1230-1289) in den StraBen von Toledo getroffen haben. In der Provence macht Abraham Bedersi ein Kataloggedicht mit langen Listen von hebrai­schen Dichtern spanischen und provenzalischen Ursprungs, schlieBt aber auch die Namen zweier arabischer Dichter und zweier okzitani-scher Troubadours ein. Die hebraischen Dichter in Spanien, in der Provence und in Italien kannten nicht nur die romanische Lyrik, wie sich in den romanischen SchluBteilen der Giirtelgedichte (sogenannte Kharadjat) zeigt, sondern produzierten spater auch einige von ihnen sogar zur gleichen Zeit hebraische und romanische Lyrik, wie Dantes Zeitgenosse Immanuel von Rom (1261-1332). Die hyperbolische Beschreibung der Traurigkeit in einem italienischen Gedicht von ManoUo Guideo [= Immanuel] wurde offenbar aus den poetischen Themen genommen, die in der arabischen und hebraischen Lyrik ver-wendet wurden.

" Arie Schippers: Les troubadours et la tradition po^tique h6braique en Italic et en Provence; les cas de Abraham ha-Bedarshi & Immanuel ha-Romi. In: Le Rayonnement des troubadours. CoUoque de I'AIEO Amsterdam. (Amsterdam octobre 1995). Hg. Antonius H. Touber, Amsterdam 1998, S. 133-142.

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2. Arabische Hofpoesie in Sizilien

In Sizilien schrieb ein Kreis arabischer Dichter lobende Gedichte auf den sizilianischen Monarchen Roger II. In der arabischen Lyrik nimmt Sizilien eine prominente Stelle ein, mit vielen Dichtem wie ibn Al-Qatta' (in zehntem Jahrhundert), Ibn Al-Khayyat (im spaten zehntem, friiher elftem Jahrhundert), Ibn Hamdis (1056-1133) und anderen, besonders im elften und friihen zwolften Jahrhundert, als im benachbar-ten moslemischen Spanien die arabisch-andalusische Lyrik sein Apogaum erreichte.'^

'Ali Al-Ballanuwi, einer jener Dichter, ist der Autor eines strophi­schen Gedichtes mit Reimwortem in -An und -In, - - Di, und - Itu, - Utu oder - Aytu. Die strophische Form und sein Inhalt (das leidenschaftliche Liebesleid) ist moglicherweise im Zusammenhang mit romanischer Liebesdichtung von Interesse:"

wa-ghazalin mushannafin / qad ratha li ba'da bu'di / lamma ra'a ma laqitu// mithla rawdin mughayyafin / la aba li wa-hwa 'indi / fi hubbi-hi idh danaytu // wajbu-hu'l-badru tali'an / taha lamma baza wuddi / fa-innani qad suqitu // fi qadibin muhafhafin / ladhdha fi-hi tulu wajdi / jafan kidtu amutu // mani'un ghayru mus'ifin / laysa ya'bi naqda 'ahdi / wa-laysa ilia sukutu // ha'irun ghayru munsifin / hala 'amma kana yubdi / inna'l-wisala najaytu //

Manche zartliche Gazelle war nach meinem Weggehen traurig

'̂ Karla Mallette: Poetries of the Norman courts. In Maria Rosa Menocal, Raymond P. Scheindlin and Michael Sells (ed.): The literature of Al-Andalus (The Cambridge history of Arabic literature). Cambridge 2000, S. 377-388; Francesca Maria Corrao (Hrsg.): Poeti arabi di Sicilia nella versione di poeti italiani contemporanei. Milano 1987.

" Arabischer Text Corrao (Anm. 11), S. 88.

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wegen mir, well sie sah, was mit mir geschah. // Als ich wie eine griine Wiese war, lehnte sie mich nicht ab, als sie mit mir war, well ich vor Liebesleid erschopft war, // Ihr Gesicht ist der Vollmond, wenn er scheint: sie wurde hochmiitig, als sie in den Besitz meiner Liebe kam, damit ich naB von Tranen war. // [Sie ist ein Vollmond] auf einem schlanken Zweig: meine Liebe bereitete ihr das Vergniigen, so grausam zu sein, daB ich fast sterbe. // Es ist schwierig sich ihr zu nahem, und sie kommt mir auch nicht nahe und es interessiert sie nicht, meinen Liebespakt mit ihr zu brechen, sie ist nichts als Schweigen. // Sie war auf einem Irrweg, ohne mir Gerechtigkeit zu tun, sie ist so wechselhaft in dem, was sie zu verkiinden pflegt, daB ich die Begegnung mit ihr verpaBte.

Es ist bemerkenswert, was Karla Mallette iiber die normannische Periode sagt: «die meisten siculo-arabischen Gedichte der normannischen Ara, die wir besitzen, wurden in der Anthologie ijberliefert, die von Imad al-Din zusammengestellt wurde (d. 1201), Kharidat al-qasr wa-jaridat al 'asr (die Jungfrau-Perle des Palastes und das Register der Zeit). Der GroBteil der Gedichte, die 'Imad al-Din sammelt, bestebt aus madih (Panegyrik), geschrieben als Lob auf Roger U. 'Imad al-Din zeigt eine ambivalente Haltung zu den Dichtem des Hofes Rogers: mehr als einmal trifft man auf eine Ablehnung, die er so begriindet, dass er keine Poesie im Lob des Unglaubigen zitieren mochte. Aber das groBe Anteil von madih in der Liedsammlung zeigt, dass der cbristliche Konig von Sizilien durchaus an der Poesie der moslemischen Sizilianer interessiert war und dass er Dichter, die ihm zur Ehre schrieben, schatzte und materiell unterstiitzto)"*

Dann erwahnt Mallette einen Abschnitt eines Gedichtes von 'Abd Al-Rahman ibn Abi Al-'Abbas Al-Katib, bekannt als Al-Atrabanishi (d.h. von Trapani). Das Gedicht beschreibt und feiert einen koniglichen Park, der im Randgebiet der Hauptstadt Palermo gelegen ist und Roger gehort. Die Baume in den Garten werden mit Geliebten verglichen:"

'" Mallette (Anm. 11), S. 379-380. " Arabische Text in Corrao (Anm. 11), S. 164, S. too.

• I

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Die Zitronen sind wie das Gelb eines Geliebten, der sich beklagt, nachdem er die Nacht in der Qual der Entfernung verbracht hat //,

Und die zwei Palmen, wie zwei Geliebte, die sich als Schutz vor dem Feind ein befestigtes SchloB wahlen // O, zwei Palmen der zwei Meere von Palermo, mogen sie immer das Getrank des unterstiitzenden Regens trinken, und mogen sie nicht umgeschlagen werden! // Mogen sie Vergniigen haben am Lauf der Zeit und mogen sie euch alle Wiinsche erfiillen und mogen die Ereignisse so leicht sein, dass sie ruhig schlafen. // Bei Gott, moge ihr Schatten die Liebenden (,Leute der Liebe') schiitzen, well in der Sicherheit Ihres Schattens die Liebe geschiitzt wird. //"

Mallette denkt, dass die zwei Geliebten sich auf die zwei Volker Siziliens, namlich die Christen und die Muslime, beziehen, da die Bezeichnung ,Leute' sich gewohnlich auf einen Stamm, eine Nation, eine Gruppe bezieht, Leute, die durch irgendeine ethnische oder nationale Identitat verbunden werden. Was auch immer man iiber ihre Deutung sagen kann: Se non e vero, e ben trovato.

3. Die hebraischen Dichter Siziliens

Im zwolften Jahrhundert sind in Sizilien auch hebraische Dichter: sie schreiben im hebraisch-andalusischen Stil. In diesem Zusammenhang soil die Poesie von Anatoli ben Joseph (1150-1215) erwahnt werden: der Dichter kam als fahrender Dichter von Marseille nach Sizilien und begab sich danach nach Agypten. Im Folgenden geben wir eine Probe einiger Liebes- und Freundschaftsmotive in den Liedern dieses Dichters.'*

'* Samuel M. Stem: A twelfth Century Circle of Hebrew Poets in Sicily. In: Journal of Jewisli Studies 5 (1954), S. 60-79, S. 110-113.

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Anatoli ben Joseph schreibt ein Gedicht fiir einige seiner Freunde, lie sich von ihm trennten [ Wala-hu ila ba 'd ikhwani-hi - ftaraqu min-lu ]. Der Dichter beginnt mit der Beschreibung elegischer Liebe:

Yom ohabim pirde peridah rakebu / miy-yam nedod 'enay dema'ot sha'abu // Bo harabu kol nahale ha-ahabah / gam kol ye'ore hab-bekhi lo harebu / /[...]

Der Tag, an dem meine Geliebten mit ihren Pferden der Trennung hingegangen sind, pragte in meine Augen Tranen vom Meer der Schlaflosigkeit: // An diesem Tag wurden alle Fliisse der Liebe trocken, aber alle Bache des Weinens wurden nicht zerstort. // All meine Freuden jagten sie nach ihrem Fortgehen und lieBen viel Leid in meinem Herzen zuriick. // Zur Tageszeit belastet die Bitterkeit meiner Rede schwer mei­ne Seele, und nachts finden meine Adem kein Ruhe. // Weil ich entlang der Uberreste ihrer Lager, die zerstort sind, gehe, und die Wiesen jetzt von den Jungen der Gazellen ver-lassen werden. // Betrachten Sie die Reste, die sie mit Liebe pflasterten, und ihre Wohnungen, die sie mit Leidenschaft verlieBen! // Dieses Gedicht beginnt wie ein tibliches nasib mit dem traditionel-

len Weinen am Lager und endet mit einem Panegyrikus. Interessant ist ein strophisches Gedicht, das nach einem muwashshah von Yehudah ha-Lewi gebildet ist, dessen Reim abababcc ist.

Dieses Gedicht lautet wie folgt:

Yom pirde peridah ratemu // el Messenay yedidim // Ha-yamim le-ribi qamu // li pareshu mesudim // Kim'at bi abanim ragemu // 'im hisse nedudim //[...]

Am Tag, an dem meine Freunde die Pferde der Trennung vor-spannten, um nach Messina zu gehen // Fuhr das Schicksal gegen mich hoch wie gegen einen Feind, der fiir meine Schritte Schlingen aufstellte, //

Liebesleid: Modelle und Kontakte 71

Sie schossen fast auf mich mit den Steinen und Pfeilen der Trennung //

Meine Seele hat keinen Trost, // bis ich sie wieder treffe // Ob ich sie in dem Bild eines Traums sehe // oder ob ich mit ihrem Ruhm vereinigt werde //'

Ahnliche Gedichte werden von seinem Kollegen Samuel Nafusi geschrieben, wenn Anatoli ben Joseph Palermo fiir Termini verlaBt.

4. Die siculo-italienischen Dichter

Die siculo-italienischen Dichter der ,Scuola Siciliana' mit ihrem fiihren-den Dichter Jacopo da Lentini, der als allgemeiner Notar um 1233 bis 1240 tatig war, standen zweifellos in der Tradition etwa der okzitani­schen Troubadours, und es gibt auch Verbindungen der sizilianischen Dichter zu den Zeitgenossen von Dante Alighieri (1265-1321), die Adepten des ,dolce stil novo' waren.

Wegen der Anwesenheit der normannischen Konige auf Sizilien hat man sich immer gefragt, ob die volkssprachige Liebesdichtung der sizi­lianischen Schule durch die okzitanischen Troubadours direkt oder iiber die franzosischen Trouveres beeinfluBt wurde.'^AUerdings ist klar, dass die Lyrik der sizilianischen Schule nicht alle Eigenschaften der trouba-douresken Liebeslieder iibernahm, sondem lediglich eine eingeschrank-te Zahl. AuBerdem findet man in der sizilianischen Lyrik moglicherwei­se Reste einer folkloristischeren Tradition der weiblichen Lyrik auf der einen Seite, und einen starken EinfluB der Dialoggedichte auf der ande­ren, die beide ihren Ursprung in der franzosischen Tradition der Trouveres haben konnten. Das Lied Giamai non mi conforto von Rinaldo d'Aquino ist das Lied einer Frau und das Lied eines Kreuzfahrers, das auch eines der altesten Dokumente der scuola dar-

'̂ Luciano Formisano: Troubadours, trouveres, Siciliens. In: Antonius Touber (Hrsg.): Le Rayonnement des troubadours; Colloque de I'AIEO Amsterdam. (Amsterdam octobre 1995) Amsterdam 1998, S. 109-124; S. 1I9-I2I; Aniello Fratta: Le fonti pro-venzali. Firenze 1996.

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stellt, die uns erreicht haben (1227-1228). Was den Gegensatz dieser zwei Traditionen angeht, soil das Vorbild im Gedicht dolze cominza-mento von Giacomo da Lentini gefunden werden, das vom formalen Gesichtspunkt her eine hybride Form zwischen subjektivem canzonetta und dem objektivierten Dialog darstellt. Wenn man dieses annimmt, ver-steht man besser, dass die parodistische Absicht von dem Contrasto von Cielo d'Alcamo durch den EinfluB des gesprochenen franzosischen Dialekts erreicht wurde.

AuBerdem ist die Verbreitung der franzosischen Lyrik nicht befrem-dend an einem Hof, der normannisch gewesen ist, bevor er schwabisch wurde. Das ist auch nicht merkwurdig in der Umgebung Isabelles, der zweiten Frau des Konigs Friedrich II., Tochter von Jean de Brienne, Konig von Jerusalem. Ihre Herrschaft wahrte drei Jahre, von 1225-1228. Ihr Vater war in Italien von 1225-1230. Seine Belagerungen erwiesen sich als fruchtbar fur die Kontakte zwischen der Poesie von oil und der von oc.

Wie immer es gewesen sein mag, in okzitanischer sowie siziliani-scher Poesie wird das Liebesleid haufig gesehen als Einleitung zur Hoffnung der Rettung des Dichters durch die wohltatige Reaktion der Geliebten, wie es in einem Gedicht von Giacomo da Lentini zu Tage tritt, indem er sagt:'*

Al cor m'arde una doglia / com'om che ten lo foco / a lo sue sen ascoso / e quando piii lo 'nvoglia / allora arde piii loco / e non puo stare incluso / similmente eo ardo / quando pass'e non guardo / a voi vis'amoroso, s'eo guardo quando passo / inver-' voi no mi giro / bella per risguardare / andando ad ogni passo

' / getto uno gran sospiro / che facemi ancosciare.

Der Dichter erklart, wie Liebeschmerz in seinem Herzen brennt, als ob er ein Mann ist, der ein verborgenes Feuer in seiner Brust hat, je gluhender sein Wunsch wird, desto iibermaBiger brennt es, und das

"* Piero Cudini: Poesia italiana del Duecenlo. Milano 1984, S. 11 (Giacomo da Lentini), S. 53-58 (il Conlrasto).

Liebesleid: Modelle und Kontakte 73

Feuer kann nicht geloscht werden. Er ist Feuer und Flamme, doch wenn er an ihr voriibergeht, betrachtet er nicht das geliebte Gesicht seiner Dame. Er wagt es nicht, seufzt jedoch bei jedem Schriu und verzweifelt.

5. Die deutschen Minnesanger: Kontakte und Modelle

A. Kontakte

Die Minnesanger waren der okzitanischen und franzosischen Liebespoesie sehr verpflichtet. Es gab Minnesanger am Hof Friedrichs n. (1194-1250) und seines Vaters Heinrich VI. (1165-1197), Sohn Friedrich I. Barbarossa. Heinrich VI. war gekronter Konig von Deutschland seit 1169 und seit 1186 Konig von Italien. 1191 wurde er Kaiser des Heiligen Romischen Reiches Deutscher Nation. Eine beriihmte Episode in seiner Karriere war die Gefangenschaft Richards Lowenherz, der seine Freilassung durch ein hohes Losegeld bewirken konnte. Sein einziger Sohn Friedrich II. war wegen seiner Kultivierung der Kiinste beriihmt. Er soil einer der Gonner Walthers von der Vogelweide (ca. 1170-ca. 1227) gewesen sein. Der Dichter schrieb ein Gedicht, in dem der Siinger zu Friedrich 11. sagt: «Von Rome voget, von Piille kiinec, lat iuch erbarmen» [ Wachter von Rom, Konig von Apulia, babe Mitleid mit mir]."

B. Modelle

Heinrich VI. verfaBte selbst strophische Lieder in der Art der Troubadours [Reim: ab/ab/c/c/c//]. In seinem Gedicht Ich grileze mit gesange die siiezen [Ich griiBe mit meinem Gesang die siiBe Dame] bil-det die erste Strophe eine Einleitung mit dem Thema der erzwungenen Trennung. In den letzten drei Versen griiBt er die Dame mittels Poesie. Alle folgenden drei Strophen drticken den Kontrast zwischen der Leere

''' Olive Leonore Sayce: Poets of the Minnesang. Oxford 1967, S. 92 [Waltfao-von der Vogelweide]; Jean Fourquet und Danielle Buschinger: Choix de podsies lyiicpies du Moyen Age allemand (Minnesang). Goppingen 1979, S. 41,

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der weltlichen Macht und dem Gliick der Liebe aus. Die ersten vier Verse lauten:^°

Ich griieze mit gesange die siiezen Die ich vermiden niht wil noch enmac Daz ich si von munde rehte mohte griiezen, Ach leides, des ist manic tac.

[Ich griiBe mit Liedern die siiBe Dame, / auf die ich weder ver-zichten kann noch will // DaB ich sie selber direkt griiBen konnte, // Leider! Das ist lange her.]

In der folgenden Strophe spricht der Dichter auch von seinen Liebesschmerz:

Wan senden kummer den zel ich mir danne ze babe: Sus kan ich an freuden stigen uf und ouch abe, Und bringe den wehsel, als ich waene, dur ir liebe ze grabe.

[Nur sehnendes Leid ist dann mein einziger Besitz: / So kann ich bis zum Gliick hochsteigen und auch herunterfallen / und ich denke, ich werde dieses wechselhafte Schicksal aus Liebe zu ihr dulden bis an das Grab /.]

Die Minnesanger wurden durch die Lyrik der okzitanischen Troubadours inspiriert. Sie Ubemahmen die Melodien, die Motive und die Formen: auch bier finden wir Beschreibungen von Liebesleid. Heinrich von Veldeke spielt mit dem Motiv des Liebesleids. Er bringt es mit dem Liebestod in Verbindung, jedoch ohne den iiblichen Emst, denn er betont, dass er lieber seine Liebe beantwortet sahe, als dass er stiirbe:^'

I Ir stiiende baz daz si mich trbste / dan ich durch si gelige tot / wan si mich wilent e erloste /

°̂ Olive Leonore Sayce: Poets of the Minnesang. Oxford, Clarendon Press 1967, S. 18-20 [Keiser Heinrich].

'̂ Lawrence Ecker: Arabischer, provenzalischer und deutscher Minnesang: eine motivgeschichtliche Untersuchung. Bern 1934, S. 131.

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uz maneger angestlicher not / als siz gebiut, ich bin ir tote / wan iedoch so stirbe ich note /

[Ihr stiinde es besser, wenn sie mich trostete /, als daB ich durch sie sterbe. // Denn sie hat mich friiher aus schrecklicher Not erlost. / Aber wenn sie befiehlt, mochte ich fur sie sterben, / aber ich sterbe nicht geme. //]

6. Zum Schlufi

In den vorangehenden fiinf Abschnitten befaBten wir uns mit den Beriihrungspunkten jener Kulturen, die sich in Sizilien trafen und die die Literaturen und Kulturen des Mittelmeerraumes bildeten. Die arabische und hebraische Dichtung hatte bereits mit der romischen Kultur in Spanien Kontakt gehabt, wie das Refrain des Khardzjas in romanischer Sprache in der letzten Strophe der Giirtelgedichte zeigte. Aber auch die Kontakte der hebraischen Lyrik in der arabischen Tradition mit der okzi­tanischen und der friihen italienischen Poesie sind wichtig. Der Mittelmeerraum war ein von den Dichtem vielbereister Raum: hebrai­sche Dichter reisten von der Provence nach Sizilien und dann nach Agypten. Sie beschrieben, wie die deutschen Minnesanger, die okzitani­schen Troubadours und die franzosischen Trouveres, die Eroberung von Jerusalem durch Friedrich II. Sie sprachen von Kreuzziigen, reisten nach Apulien und Sizilien und moglicherweise ins Heilige Land. Friedrich 11. war ,multikultureir: er soil Deutsch, Romanisch, Lateinisch, Griechisch, Arabisch und Hebraisch gesprochen haben. So ist es sehr gut moglich, dass es in Sizilien, Spanien, in der Toskana und der Provence Treffpunkte all dieser Kulturen und Literaturen gab und dass Sizilien hier eine Hauptrolle spielte.