zenon und die lehre des parmenides

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Zenon und die Lehre des Parmenides Author(s): Wolfgang Kullmann Source: Hermes, Vol. 86, No. 2 (Jun., 1958), pp. 157-172 Published by: Franz Steiner Verlag Stable URL: http://www.jstor.org/stable/4475008 . Accessed: 03/05/2011 10:13 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of JSTOR's Terms and Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp. JSTOR's Terms and Conditions of Use provides, in part, that unless you have obtained prior permission, you may not download an entire issue of a journal or multiple copies of articles, and you may use content in the JSTOR archive only for your personal, non-commercial use. Please contact the publisher regarding any further use of this work. Publisher contact information may be obtained at . http://www.jstor.org/action/showPublisher?publisherCode=fsv. . Each copy of any part of a JSTOR transmission must contain the same copyright notice that appears on the screen or printed page of such transmission. JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. Franz Steiner Verlag is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Hermes. http://www.jstor.org

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Wolfgang Kullmann Source: Hermes, Vol. 86, No. 2 (Jun., 1958), pp. 157-172

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  • Zenon und die Lehre des ParmenidesAuthor(s): Wolfgang KullmannSource: Hermes, Vol. 86, No. 2 (Jun., 1958), pp. 157-172Published by: Franz Steiner VerlagStable URL: http://www.jstor.org/stable/4475008 .Accessed: 03/05/2011 10:13

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  • WOLFGANG KULLMANN: Zenon und die Lehre des Parmenides I57

    zugleich den Beginn einer neuen. Drachensieg und Stadtgruindung werden von Pindar auf dem Hintergrund des kosmogonischen Mythos gesehen, mit wel- chem sich eine Reihe anderer Vorstellungen unmittelbar verkniipft, wie die Symbolik des Mittelpunkts und die Gesetze fur den Idealstaat. Die zahlreichen Glieder des Gedichts, die der Dichter, wie man sagen konnte, nach Art eines Kontrapunktes zusammengefuigt hat, sind also trotz ihrer Gegensatzlichkeit untereinander dadurch verklammert, daB sie ein und denselben Vorstellungs- kreis nie uiberschreiten, weder als mythische Bilder noch als Geschehnisse seiner Zeit. Dies liuft nicht auf eine zentrale Idee hinaus, sondern der eine, naturliche AnlaB3 zum Gedicht, die Feier der Stadtgriindung, eroffnet einen groBen Reichtum einzelner Gedanken. Diese Gedanken scheinen dem heutigen Betrachter trotz ihres kunstvollen auBeren Aufbaus auseinanderzustreben. Aber sie haingen fest zusammen. Der kosmogonische Mythos und die wirklichen Ereignisse gehoren fur Pindar zueinander, seine Gegensatzpaare von mythischen und realen Bildern sagen im Grunde ein und dasselbe aus.

    Bonn JURGEN TRUMPF

    ZENON UND DIE LEHRE DES PARMENIDES

    Es ist ein Vorgang von groBem geistesgeschichtlichem Interesse, daB die mathematisch-physikalischen Grundsatzfragen, mit denen sich der Eleat Zenon beschaftigte, heute in der Philologie immer starker diskutiert werden. Es zeigt sich, daB die Probleme, mit denen er es zu tun hatte, z. B. Bewegung, Raum, Zeit, Kontinuum, Quantisierung, Elementarteilchen usw. an die heutigen Probleme der Quantenmechanik und (speziellen) Relativitatstheorie heranreichen1. Ist das Faktum als solches schon interessant genug, so wird es noch interessanter, wenn wir es unter dem iibergeordneten Gesichtspunkt der Wissenschaftsgeschichte betrachten. Zeigt sich doch, daB nach Zenon die wahre Tiefe vieler dieser Probleme in der Entwicklung des physikalischen Denkens von Anaxagoras und Demokrit an iiber Aristoteles bis hin zur Klas- sischen Physik der Neuzeit nicht mehr erfaBt worden ist. Die geschichtliche Entwicklung verlduft in diesem Bereich gerade nicht hegelianisch. Vielmehr werden wichtige Ansatze pl6tzlich nicht mehr weitergefiihrt und erweisen sich erst heute nach zweieinhalb Jahrtausenden wieder als bedeutsam; andere, in langer geschichtlicher Tradition weiterentwickelte, miissen aufgegeben werden. HEGEL selbst hat bezeichnenderweise trotz seiner Wurdigung Zenons

    1 Vgl. vor allem J.MAu, Zum Problem des Infinitesimalen bei den antiken Atomisten, Veroffentlichung Nr. 4 des Inst. f. hell.-r6m. Philosophie d. Deutschen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1954.

  • i58 WOLFGANG KULLMANN

    Aristoteles' Kritik an ihm in Buch VI der Physik teilweise verteidigt und dabei die Klarheit der heute so aktuellen zenonischen Positionen wieder verwischtl.

    Bei diesem Sachverhalt wird auch das speziellere Bemulhen verstandlich (und gewinnt starkeres Interesse), die historischen Voraussetzungen Zenons naher zu bestimmen. Man versuchte bekanntlich, Zenons Argumente vor allem als eine Verteidigung des Parmenides gegen pythagoreische Angriffe auf ihn zu interpretieren2. Dabei zeigte sich allerdings, daB unser Wissen von den Pythagoreern so gering und ihre Lehren chronologisch so schwer fixierbar sind, daB zwingende Schlusse kaum moSglich erscheinen3. Wenn nun in dieser Frage die Forschung nicht recht vorankommt, iiberrascht es, daB die viel naher liegende Aufgabe, das Verhaltnis Zenons zu seinem Lehrer Parmenides zu be- stimmen, bisher nur fliichtig in Angriff genommen wurde. Zwar hat man immer auf Platons Ausftihrungen in seinem Dialog Parmenides hingewiesen, in denen Sokrates die Ansicht ausspricht, daB Zenon dieselbe These wie Parmenides verteidigt, und Zenon sagt, daB er die Einheit der Welt, die Parmenides be- hauptet, durch den Nachweis der Absurditat der Vielheit beweisen wolle. Aber fur die Einzelinterpretation sind doch noch manche Folgerungen nicht gezogen worden, und so soll zunachst versucht werden, in dieser Richtung etwas voranzukommen.

    Zunachst muB man sich fragen, was dieses Unternehmen des Zenon, von der Vielheit auszugehen (um sie zu widerlegen), im Sinne der Philosophie des Par- menides, als dessen Schiiler Zenon erscheint, eigentlich bedeutet. Bringt Zenon iiberhaupt mit der Erorterung der Vielheit ein neues Element in die Diskussion, ausschlieBlich angeregt durch die vermuteten Angriffe auf Parmenides, oder ist die Moglichkeit, das Seiende pluralisch aufzufassen, irgendwie bei Parmenides schon beruicksichtigt? Da Parmenides sich in seinem 'Lehrgedicht' nicht nur mit dem 'Sein' beschaftigt, verdient die Frage gewiB eine ernste Beruicksich- tigung. Neben dem Sein, zu dem er zuerst den Weg gefunden zu haben glaubt, behandelt er auch die 5o'4at feo'etat, die Meinungen, in denen die Menschen von Natur aus befangen sind. Innerhalb dieses Bereiches spielt nun nach Par- menides zwar wohl nicht unbedingt das Eine Seiende, sondern in gewisser Weise auch eine Zweiheit bzw. auch eine Pluralitat eine Rolle; aber die

    1 Geschichte der Philosophie I (Werke hrsg. v. H. GLOCKNER, Bd. I7, 337f.). - Zenon will gerade die Paradoxie der Annahme von Bewegung unter der Voraussetzung der Viel- heit aufzeigen, HEGEL geht von der Bewegung als etwas Gegebenem aus und beruhigt sich in seiner Kritik an Zenon (in seinem eigenen philosophischen System befangen) mit der Feststellung ihrer Paradoxitat (>)Bewegen heiBt aber: an diesem Orte sein, und zugleich nicht; dies ist die Kontinuitat des Raumes und der Zeit, - und diese ist es, welche die Bewegung erst moglich macht((. a. 0. 338). Das ist gerade das, was Parmenides in fr. B. 6, 4if. bekampft! Dariiber s. u.

    2 F. M. CORNFORD, ClQ I6, 1922, I37if.; ebd. I7, I923, i ff.; u. a. 3 Vgl. bes. J. E. RAVEN, Pythagoreans and Eleatics, Cambridge I948; G. VLASTOS,

    Gnomon 25, I953, 29ff.

  • Zenon und die Lehre des Parmenides I59

    Forschung des letzten Jahrzehnts hat uns gelehrt, daB der Doxa bei Parmenides eine relativ 'positive' Bedeutung zukommt: sie kennzeichnet die sinnliche Welt, in der wir leben. Mit Ausnahme des ersten Ansatzes der Zweiheit ist sie durch- aus frei von Fehlern'. Das bedeutet wohl, daB die von Zenon bekampfte These nichts unmittelbar mit der parmenideischen Aufweisung der phanomenalen Welt zu tun haben kann. Der von Zenon bekampfte Fehler kann nur in einer falschen Interpretation dieser phanomenalen Welt liegen. Und da wird nicht so sehr der erste falsche Ansatz in Frage kommen, der von Menschen unbewuBt gemacht wird, sondern die bewuBte Annahme von Denkern, daB das Viele, was uns entgegentritt, sei, d. h. Sein habe. Parmenides spricht aber auch iiber eine solche. Denn was soll sonst mit dem 'dritten Weg' gemeint sein2, der in fr. B 6,4ff. beschrieben wird? Dort heiBt es:

    avlrae execr abo 'i;, Xv 6, pfo-rot eo'',reg OV'3eV rAa2rrovrat, ftxeavot ajui7Xavti yaq ev avztwv veatltv it0v'vet nraxacov voov. ol 6' qo9o0vvrat

    Xcot, OJl wvgp2o -re, xebqn6x"eg, a?xebta qv1Aa, otp ro x Asetv re xa' ovix eValt av rov vevo',uarac xov rav&rov, ravicov be 7ra2ivPro7rd; p'art xgevio;.

    Nachdem zunachst der 'erste' Weg empfohlen wurde, daB das Sein ist, wird der zweite Weg, daB Nichtsein ist, abgelehnt und schlieBlich die Ansicht bekampft, daB Sein und Nichtsein dasselbe ist und nicht ist. Dieser letzte 'Weg' beriihrt sich ganz offensichtlich mit dem, was Zenon in seinen Antinomien immer wieder zeigt: Wenn vieles ist, ist es bewegt und nichtbewegt, endlich und nicht endlich usw. Wie das Verhaltnis im einzelnen ist, werden wir gleich noch sehen.

    Zuvor ist noch einmal ausdruicklich vor der Meinung zu warnen, daB der dritte Weg des fr. B 6 mit der Doxa selbst identisch sei 3, die inzwischen von der Forschung auch weitgehend abgelehnt wird4. Hier sei noch ein zusatzliches Argument gegen diese Identifizierung beigebracht. Man glaubte bisher viel- fach, Parmenides habe selbst mit dem Ausdruck 'Weg der Menschen' in fr. B I, 27 die Doxa mit dem 'dritten Weg' gleichgesetzt5. mfrop heiBt nun aber nicht 'Weg', sondern bezeichnet eher das 'Gewiihl der Menschen', den Platz, an dem die Menschen 'herumtrampeln'. Ein Anfangs- und Endpunkt ist nicht

    1 H. FRANKEL, Classical Philology, 4I, I946, I70f.; ders. Dichtung und Philosophie des friihen Griechentums (I95I) 463ff.; H. SCHWABL, Wiener Studien 66, I953, 50ff.

    2 )>Dritten Weg# nennt man ihn, weil er der zweite falsche ist, vgl. fr. B 2. 3 So noch F. M. CORNFORD, Plato and Parmenides (1939) 32ff.; W. JAEGER, The Theo-

    logy of the Early Greek Philosophers (I947) ioi; E. L. MINAR, AJPh 70, I949, 43ff. u. a. 4 FRANKEL, Dichtung und Philosophie des fruhen Griechentums 458; K. REICH,

    Parmenides und die Pythagoreer, Hermes 82, I954, 289; H. SCHWABL, Sein und Doxa bei Parmenides WSt 66, I956, 69.

    6 Vgl. FRANKEL, Classical Philology 41, I946, I70, dessen Diskussion des Wegbegriffes noch nicht ganz befriedigt.

  • I6o WOLFGANG KKULLMANN

    mitgemeint. Der Weg des Seins fiihrt von der Stelle, wo sich die Menschen tum- meln, fort, bzw. bertihrt sie nicht (das ist der Sinn von fr. B i, 27). Dieselbe Bedeutung hat das Wort bei Homer ganz deutlich: Y i36 f. macht Poseidon der Hera den Vorschliag:

    aAIZ 1?l7 AEV v etra xa2Oe~aW18uaa XtoVTeg ex nalrov eg axon7w7v, n082P0o 6' a'6Vwrt ue)a8t.

    Die Worte Cx natrov bedeuten 'auBerhalb des Gewimmels', des Raums, wo sich die Kampfer bewegen. Die Bedeutung 'Weg' ist hier vollkommen fehl am Platze. Ahnlich ist es Z 202: Bellerophon irrt umher na'uov avOewcov aJeedvov, er vermeidet die von Menschen bewohnte Gegend, den Verkehr der Menschen, konkret 'das Getrampel der Menschen'. Die Ubertragung von a'rop ='Pfad' paBt nicht so recht, wenn auch hier kein Irrtum der Interpretation moglich ist. Aber die wilden Ziegen t ii9 gedeihen nicht deshalb so gut, )>weil sie der Weg der Menschen nicht zuruckhalt>niedertretenx(, sie nicht verscheucht 1 (ov3 '4ev yae namog avgecorzcov aEreevxet). Aus dieser Bestimmung von a'rog folgt, daB Parmenides, wenn er wirklich von eWegen' (o1o usw.) spricht, immer schon bewuBte Bemuihungen der Menschen meint, die ein festes Ziel haben2 (namlich die Welt zu deuten). Ob der Weg zur Erreichung des Ziels der richtige ist, ist dann eine weitere Frage. JAEGER erinnert mit Recht an das Wort pe'6obog, das in dem Wort 66o' des Par- menides seinen Vorlaufer hat 3. So geht es also in fr. B 6 um die richtige 'Methode' der Weltdeutung.

    Unser Versuch, die von Zenon bekampfte Position schon im Denkzusam- menhang des Parmenides zu lokalisieren, und zwar eben in diesem 'dritten Weg', konnte von einer alten Vberlegung aus gesehen wieder fraglich erscheinen. Man hat bekanntlich versucht, hinter den P3o-roi' Esti6re oV'bEV, die im Gegensatz zu dem'wissenden Mann' in fr. B I,3 stehen, ganz bestimmte Philo- sophen zu sehen, so daB der allgemein gehaltene Angriff des Zenon gegen die

    1 OTFRID BECKER, Das Bild des Weges, Hermes-Einzelschriften H. 4 (I937) 37. I42 hat diesen Unterschied verwischt. Auch das Wort neet'narog wiirde ich nicht mit ihm (Anm. I4 zu S. 38) als 'Spazierweg' auffassen. P1. Phdr. 227 A zeigt ganz deutlich, daB mit dem Wort keine Wegvorstellung verbunden ist: 7oeevoyat 6eo o teLtnarov v Telxov; *. . . uj be' C xai ilAC5 e'raf'cop nEtL 90uVO; 'Axovmev() xara Tag o63ovs 'otoi,iat neotnagrovgs

    ,ait yda axodeo-riQovg elvaL -rov e'v 3eQOolg. Wenn man sich den Wegen entlang 'die Beine vertritt', sei das erfrischender als in den 6eo0'ot.-

    Sehr frei, aber korrekt, paraphrasiert das fr. 28 B I, 27 H. DILLER: ?>... aus der Reihe der gewohnlichen Menschen herausgehoben . . .a (Antike und Abendland II I946, I42).

    2 Mit dem Weg in fr. B 7, 3 muB3 entsprechend fr. B 6, 4ff. der Weg irgendwelcher Denker gemeint sein, es kann sich nicht um die Doxa der Menschen im allgemeinen handeln. Das geht daraus hervor, daB in beiden Fallen vorher vor dem Weg, daB Nichtsein ist, ge- warnt wird. DIELS' und RAVENS Vermutung (a. 0. 26), fr. B 7 folge unmittelbar auf fr. B 6, ist deshalb nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Vgl. auch FRXNKEL, Dichtung und Philosophie 459. 3 a. 0. 98.

  • Zenon und die Lehre des Parmenides I

    'Pluralisten' schwer mit den von Parmenides gemeinten Leuten verglichen werden konnte. Insbesondere verdient die Meinung, die Verse bezogen sich auf Heraklit, nahere Beachtungl. Heraklit hat, nach Meinung der Antike zumin- dest, in der Tat gelehrt, daB 'Sein und Nichtsein' 'dasselbe' seien, wie die doxo- graphische Formel lautet (Vors. 22 A 7 = Arist. Met. F3. I005 b 23: Md&vaxov yiQ 6v-rtvoiiv rav'.3ov v&o)ajaz,fvetv eIvat xat /1n 8Ivat, xaft9aree rtvle ot'oV-cat 2Eyetv 'HQa'xAetov; vgl. Met. P 7. IOI2 a 24). Das beruihmte fr. 22 B 49 a, das anscheinend besagt, daB wir in dieselben Fliisse hineingehen und nicht hinein- gehen, daB wir sind und nicht sind (xorayol rolp aVrolp eIfpalavoMev e xat ov3x i4y.,8atvouev, etdev re xat ovx E4lev) konnte als Ausdruck dieser Lehre interpretiert werden. Auch wenn Heraklit tr. 22 B 5I von der uaA)lvTovop

    cl'uovh 6'cwa?ree -cd$ov xat Me27p spricht, mag er vielleicht daran denken, wie eine bestimmte Sache und ihr Gegensatz in einer hoheren Einheit aufgehen, d. h. 'dasselbe' werden (vgl. ebd. ov3 tvvtdatv o'xcg bta8e6o,uevov 8av-rCo Ev,ie'- evrat). Ahnliches gilt fur fr. 22 B 60 o6bo a'vcoj xarco juta xat c3vnrq usw. Allerdings hat inzwischen in abschlieBender Diskussion der Probleme KIRK sehr wahr- scheinlich gemacht, daB das ganze fr. 22 B 49 a athetiert werden muB und nur eine spate Weiterbildung von fr. 22 B I2 ist2; auBerdem beziehen sich fr. B 5I und fr. B 6o3 (wie auch anderes bei Heraklit) immer auf relativ konkrete, kontrare Gegensatze, nicht auf den Gegensatz von Sein und Nichtsein, wodurch sich die ganze Problematik gegenuber dem, was bei Parmenides gemeint sein kann, verschiebt. Aber selbst wenn man die Gleichsetzung von Sein und Nicht- sein im Sinn der von Aristoteles angefiihrten doxographischen Formulierung irgendwie bei Heraklit voraussetzt4 oder zumindest fur moglich halt, daB Parmenides den Heraklit so interpretieren konnte, so sprechen noch weitere, gewichtige Grulnde dagegen, bei Parmenides eine unmittelbare und genaue Polemik gegen Heraklit zu vermuten.

    Unter anderem ist schon darauf hingewiesen worden, daB der Ausdruck v1v0'o,utaTat nicht auf einen einzelnen Denker bezogen werden kann, sondern nur auf eine gewohnte Art zu denken5. Der Ausdruck scheint freilich ebenso auszuschlieBen, daB die bo'ata /led6etat gemeint sind, dagegen vielmehr eine bestimmte 066po in bezug auf diese bo'Nat hervorzuheben. Aber auch davon ab- gesehen besteht noch ein ganz fundamentaler Unterschied zwischen dem par- menideischen Gedanken und dem, was moglicherweise Heraklit gesagt hat: fur Parmenides' Gegner sind nicht nur Sein und Nichtsein dasselbe, wie

    1 Vgl. die Diskussion der Meinungen bei N. B. BOOTH, Were Zeno's Arguments Directed against the Pythagoreans? Phronesis 2, 1957, 93ff.

    2 G. B. KIRK, Heraclitus. The Cosmic Fragments, Cambridge i (I954) 367ff. 3 Vgl. KIRK a. 0. 203ff. zu fr. B 5i und dens. ebd. Io0ff. zu fr. B 6o. 4 Vgl. auch G. B. KIRK, Men and Opposites in Heraclitus, MusHelv I4, I957, i6o zu

    den Einleitungsworten des Hippolytos zu fr. B 6i. 5 Z. B. JAEGER a. 0. 226 Anm. 36.

    Hermes 86,2 11

  • I62 WOLFGANG KULLMANN

    vielleicht (in bestimmter Hinsicht) fur Heraklit, sondern gleichzeitig auch 'nicht dasselbe'. Wenn Parmenides von ihrer Hilflosigkeit (aXa,uavhi) spricht und sie taub, blind und everdutzt' nennt, so meint er offenbar nicht eine be- stimmte Lehre, die in einer gewollten Paradoxie Sein und Nichtsein identi- fiziert, sondern Leute, die in ihrem Denken hin- und hergerissen werden und Sein und Nichtsein (ohne es recht zu merken) bald unterscheiden, bald iden- tifizieren. Wie ist das zu verstehen? Vergleichen wir Parmenides' Worte wieder mit dem, was uns Zenon berichtet! Zu einem solchen Vorgehen sind wir, wie gesagt, durch Platons Ausfuihrungen uiber den Zusammenhang des parmeni- deischen Gedichts und der zenonischen Schrift geradezu verpflichtet. Es wird sich gleich zeigen, daB die Parmenidesstelle und die zenonischen Paradoxien sich wechselseitig erhellen.

    Wir nehmen zunachst fr. 29 B 4: To XltvOv'evov ovi' eV o ear'T Tonco xtve rat ovr' ev Ci O,n '1crt. Das, was bewegt wird, wird weder an dem Ort bewegt, an dem es ist, noch an dem, an dem es nicht ist. Auch vor dieses Fragment muissen wir, seinem Charakter als v'3o'iOwtg entsprechend (zu diesem Ausdruck vgl. P1. Parm. I27 D 7), wie es uns die anderen Fragmente zeigen, die Formel voraus- gestellt denken: et soAAa' c"art, und wir gehen sicher auch nicht fehl, wenn wir, ebenfalls dem 'Stil' des Zenon entsprechend, uns eine Zusammenfassung als Fortsetzung denken: ov'Trwo ov3 xtvcerat. An diese muB sich dann der Gegen- satz angeschlossen haben 1; denn das Fragment als solches ist noch nicht antino- misch, aber es steht fest, daB alle Argumente Zenons in der Form einer Antino- mie aufgebaut waren. Dieser zweite Teil des Arguments mag gelautet haben: aJ2A to XtVOv/2eVOV xtvetTat xat ovX gaV'nv. OV'Tco et 7WLZa 'rt, avayxn avra xtve7a9at' re xat ov xltveaat. Selbst wenn sich Zenon mit dem tiber- lieferten Wortlaut des Fragments begniigt hatte, miiBte man sich eine ahnliche Fortsetzung stillschweigend dazudenken, wie das zenonische Argument des sog. ))Fliegenden Pfeilsa, oder besser, wie Aristoteles sagt, des ))AOgO;, 6'rt q otwxo p8c0o#dVY eTTrnxev( ())daB der bewegte Pfeil ruht

  • Zenon und die Lehre des Parmenides I63

    keit, daB es zusatzlich noch neue Nuancen in die Diskussion bringtl. Analysiert man nun das Denken, das in fr. B 4 und dem Argument vom 'fliegenden Pfeil' angegriffen wird, im Sinne des Parmenides, so muB man sagen, daB es zunachst von der Voraussetzung ausgeht, daB Sein und Nichtsein nicht dasselbe sind: das Bewegte wird bewegt und wird nicht 'nicht bewegt'; das Ruhende ist ruhend und nicht 'nicht ruhend'; der fliegende Pfeil fliegt im Verhaltnis zu seiner Um- gebung, die 'nicht fliegt' (so lehrt der Augenschein), umgekehrt ist sein Ruhen an jedem Ort seines Weges immer im Verhaltnis zu etwas Nichtruhendem gedacht. Soweit haftet an diesem Denken nichts Paradoxes. Immer wird Sein und Nichtsein als 'nicht dasselbe' betrachtet, d. h. unterschieden. Erst bei einem Vergleich von zwei Folgerungen des Inhalts, daB Sein und Nichtsein Inicht dasselbe' sind, andert sich das. Dann ergibt sich namlich, daB, was iso- liert als 'nicht dasselbe' erscheint, notwendig dasselbe sein muB. Der'fliegende, nicht ruhende Pfeil' und der 'ruhende, nicht bewegte' Pfeil stehen ja beide unter dem Axiom zro)La eta ovoa, 'das Seiende ist eine Vielheit'. Beim 'fliegen- den, nicht ruhenden Pfeil' unterscheidet man Anfangs- und Endpunkt einer Bewegung und kommt dadurch zu einer Vielheit (mindestens Zweiheit), und beim 'ruhenden, nicht bewegten Pfeil' ergibt sich die Vielheit durch die Be- trachtung von Punkten auf der Strecke ohnehin. Der SchluB aus der je nach Aspekt verschiedenen Differenzierung von Sein und Nichtsein ist, daB Sein und Nichtsein dasselbe und nicht dasselbe sind. Dieser SchluB wird freilich nur dem analysierenden Denken des Parmenides und Zenon deutlich und entzieht sich der Aufmerksamkeit der Gegner. Indem diese standig sowohl von der Bewegung des Pfeils von A nach B als auch von einer bestimmten 'Position' (einem 'Ruhe- punkt') des Pfeils auf der Strecke AB reden, geraten sie in die von Parmenides gebrandmarkte Denkgewohnheit.

    Man sieht, wie Zenons Argument geradezu eine Explikation des parmeni- deischen Gedankens zu sein scheint. Man sieht zugleich auch den Unterschied zu dem, was Heraklit gelehrt haben konnte. Heraklit kommt es darauf an zu zeigen, daB Gegensatze in einer hoheren Einheit zusammenfallen, und allen- falls auch, daB die naive Auffassung, Sein und Nichtsein seien 'nicht dasselbe', keine uneingeschrankte Guiltigkeit hat 2. Gerade diese letztere naive Auffassung kennzeichnet aber auch Zenon als die Ausgangsbasis seiner Gegner, wahrend von einer hoheren Einheit der Gegensatze bei ihnen bestimmt nicht die Rede sein kann, wohl aber von einem Widerspruch. Und was fuir Zenon gilt, muB auch fur Parmenides gelten, wenn seine Worte zavi5xov xov' -ravro'v einen Sinn haben sollten.

    1 Vgl. dazu H. FRANKEL, Wege und Formen friihgriechischen Denkens, Miinchen I1955, 209f.

    2 Auf keinen Fall kann unmittelbar mit Heraklit das fr. 22 C I (= Hipp. Vict. I, 5 = VI 476 Littre): nravxa xavra xat ov ra av-ra zusammengebracht werden. Der Hera- klitismus von Vict. wird letztlich durch den Relativismus des Protagoras gespeist sein, der seinerseits schon durch Zenon beeinfluf3t sein kann.

    11*

  • I64 WOLFGANG KULLMANN

    Ganz ahnlich wie fr. 29 B 4 lassen sich auch die iibrigen Fragmente des Zenon mit dem Fragment des Parmenides zusammenbringen. Nachdem in fr. B 3 getrennt gezeigt worden ist, daB fur die Pluralisten das Seiende begrenzt und unbegrenzt ist, wird hieraus die Folgerung gezogen, daB xd a a r&axeaeeara,iueva e&rt xaat anetea (Vors. S. 257, 7). Ebendieselbe Struktur hat auch die Argu- mentation in fr. B 2 und i, deren SchluBfolgerung lautet: o#ICt)o at 0AAa 'ittv, avayxiq avca utxea -e elvat xat 4eya6Aa. 4txeay ,zv CJ5are jIq `Xetv /ueye8{og, /eyaAa be cOare a'e3ta eIvat. Auch die'Dichotomie', 'Achilleus und die Schildkrote' und das'Stadion' beruhen auf dem Gedanken, daB die Unter- scheidung zwischen Sein und Nichtsein, die sich aus der Annahme der Plurali- tat der Welt ergibt, notwendig zur Identifizierung von Sein und Nichtsein fulhrt.

    Mir scheint, daB durch den Vergleich mit Zenon auch die Worte des Parmeni- des erst in ihrem vollen Bedeutungsgehalt verstandlich werden. Es stellt sich geradezu die Vermutung ein, daB hinter den knappen Ausfiihrungen des Parmenides bereits eine'Schuldiskussion' steht, deren Ausdruck die Schrift des Zenon war. Denn wenn Zenon sich nur an die wenigen Worte des Gedichts des Parmenides gehalten hatte und daraus seine Antinomien unabhangig entwickelt hatte, konnte man ihn deshalb kaum einen Schiller des Parmenides nennen. Nun gehort aber die personliche Schuilerschaft wohl zu den wenigen biographi- schen Nachrichten uber die beiden Eleaten, deren Richtigkeit kaum einem Zweifel unterliegt. Stimmt unsere Vermutung, so ware also das Verhaltnis des Parmenides zu Pythagoreern, ionischen Philosophen1 usw. doch bedeutend komplizierter als es bisher den Anschein hatte. Wir hatten in Parmenides' Werk dann nicht den unmittelbaren Vorgang des Philosophierens und der spontanen philosophischen Diskussion vor uns, sondern die bewuBt stilisierte Form eine allmahlich gereiften Denkens. Ist diese Vorstellung so abwegig? Oder vielmehr: konnen wir diese Vermutung irgendwie wahrscheinlich machen?

    Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Diskussion im platonischen Parmenides, von der wir ausgegangen waren. Dort entschuldigt Zenon seine Schrift mit der Anekdote, sie verdanke ihre Entstehung dem impulsiven Ver- such, dem Parmenides zu Hilfe zu kommen; sie sei aber, ehe man uber ihre Verfifentlichung beraten konnte (. . a. oxc oVe flovAev'aaatat E5eye'vco ed' eeoaE'ov avwdo et xd -ogdcxc e ct ), gestohlen und herausgegeben worden. Seinen Worten zufolge ist die Schrift v'no ve'ov t)tAovtx4ag geschrieben, nicht V73O neeacvxc',eov qn2Aoxtpiiag, wie Sokrates vermutet hatte (Parm. I28 DE). Bei dieser Schilderung der fiktiven Argumentation des Zenon gegenuber dem jugendlichen Sokrates hat Platon nun, wie mir scheint, auch das andere Genos und den anderen Stil im Auge, die Zenons gvyyeagqua von dem nobyiqa des Parmenides unterscheiden. Zenons Schrift erscheint somit als (jugendlich-

    1 Auf diese bezieht das fr. 28 B 6 SCHWABL a. 0. 67.

  • Zenon und die Lehre des Parmenides i65

    unfertige) Prosaerlauterung der parmenideischen Lehre. FRANKEL hat in seiner eindringenden Interpretation des platonischen Zusammenhanges gemeint, Platon wolle andeuten, ))daB Zenons Abhandlung nach seiner Auffassung cum grano salis zu verstehen seila. Offenbar sieht er in Platons Ausfiihrungen im wesentlichen eine Charakteristik der subjektiven Seite des Zenon und seines Werks. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn er von Platons Zenon sagt2: >)Im uibrigen ist seine Verteidigung nicht viel mehr als ein Antrag auf Zubilli- gung mildernder Umstande. Auf diese Weise laBt Platon durchblicken, daB in jeder der verschiedenen Wendungen, die er Sokrates oder Zenon vorbringen laBt, ein Kornchen Wahrheit steckt; sonst hatte sie ja Platon auch gar nicht erst anzufiihren brauchen. Offenbar empfand er die Ausrichtung und Haltung von Zenons Schrift als uneinheitlich.(x Ich mochte demgegenulber fragen, ob nicht Platon eher eine etwas andere Beurteilung des Zenon nahelegt. Das, was Platon hier als Einleitung seines Dialogs erzahlt, hat ja eine groBe Bedeutung im Hinblick auf den Aufbau des ganzen Dialogs. Denn der zweite Teil des Parmenides (I37 Cff) mit seinen langen Argumentationsketten ist ja ganz im Stil der zenonischen Schrift gehalten, wie ihn Platon selbst beschreibt und wie er uns aus den sparlichen Resten noch entgegentritt. Nun ist die philosophisch- philologische Kritik heute im allgemeinen von dem Gedanken frei, im zweiten Teil des Parmenides lediglich ein ironisches Spiel zur Charakterisierung des Zenon (oder zu sonst einem Zweck) zu sehen . Wenn ihm aber eine ernsthafte Bedeutung zukommt, kann auch am Anfang des Dialogs Zenons Schrift und ihr Stil nicht lediglich ironisch beurteilt werden. Die Einleitung des zweiten Teils des Dialogs gibt uns aber noch einen genaueren Hinweis darauf, wie Platon sich das Verhaltnis Zenons zu Parmenides gedacht hat. Der zweite Teil wird I35 D 7 als eine yvjvaat'a bezeichnet, eine philosophisch wichtige4 Vor- ilbung, die notwendig ist, bevor man so schwierige Fragen wie die der Methexis klaren kann. Diese Ubung wird von Parmenides in Angriff genommen bzw. geleitet. Das bedeutet gewiB auch, daB die eleatische Philosophie die legitime yviuvaawa fur das sokratisch-platonische Denken darstellt. Es gibt uns aber dariuber hinaus auch uiber das Verhaltnis Zenons zu Parmenides, wenigstens wie Platon es sah, AufschluB. Parmenides geht zunachst von'seiner' Hypothesis

    1 Wege und Formen 235. 2 Wege und Formen 235 (f) Anm. 3. - Die noch weitergehende Meinung von A. DiEs,

    Parm6nide (Bud6) I4ff., daB Platon den Zenon iuberhaupt nicht ernst nehme, kann ich gar nicht teilen.

    3 Die beste Einfuhrung immer noch bei P. FRIEDLANDER, Platon Ill (1930) 468ff. 4 Aus dem Ausdruck, der auch in der verbalen Form in diesem Zusammenhang be-

    gegnet, kann gewil3 nicht abgeleitet werden, da13 es sich hier um eine unmethodische, mehr oder weniger ungenaue 'Geistesgymnastik' handelt, wie R. RoBINSON, Plato's Earlier Dialectic, Oxford21953, 264 erklart: )>The second part of the Parmenides is an exercise or gymnastic. It does not in itself attain truth of any kind; but it sets the muscles of the mind in a better state to obtain truth hereafter.4

  • i66 WOLFGANG KULLMANN

    aus: el ev evrt. Wenn er diese Hypothesis im Stil der zenonischen Schrift behandelt (und sie ist ja schon zenonisch formuliert), so zeigt das, daB dieser Stil auch fur seine eigene Philosophie und sein eigenes Gedicht die yv,ivaata, die Voruibung ist. Das stimmt genau zu dem, was uns am Anfang des Dialogs begegnete, wenn dort auf den vorlaufigen, unfertigen Charakter der Schrift Zenons angespielt wurde.

    So zeigt sich, daB unsere versuchsweise Deutung des Verhaltnisses des Zenon zu Parmenides durch Platons Auffassung vom Verhailtnis beider zuein- ander unterstuitzt wird: Zenons Schrift ist Paradigma fur den 'Schulbetrieb' des Parmenides. Hinter dem Gedicht des Parmenides stehen auch nach Platons Andeutungen philosophische Ubungen von der niichternen Art der Schrift des Zenon, die nicht mit den Formulierungen Zenons identisch gewesen seinmiissen, die ihnen aber doch auch in der Problemstellung und nicht nur in der Art der Formulierung weitgehend ahnlich waren.

    Stimmt unsere Auffassung, daB der 'dritte Weg' des fr. B 6 erst verstand- lich wird, wenn man die Kenntnis und die Aufstellung konkreter Beispiele von der Art der zenonischen Antinomien (um wieder diesen kantianischen Ausdruck zu gebrauchen) fur den Satz, daB Sein und Nichtsein dasselbe und nicht dasselbe seien, als Hintergrund annimmt l, so miuBte sich auch in Einzelfallen Czenonisches' Gedankengut im Lehrgedicht des Parmenides nachweisen lassen (das dann naturlich schon 'parmenideisch' genannt werden muIBte). Nun gibt es in der Tat zwei Ausdrulcke bei Parmenides, die er fur sein Eines Seiende gebraucht, die bisher von der Forschung noch nicht zureichend erklart worden sind, aber m. E. verstandlich werden, wenn man den Zenon zu ihrer Deutung heranzieht. Ich meine die Ausdriicke 4oulov und avveXe'g. Sie begegnen uns in fr. B 8, 22ff., an einer Stelle also, wo die mythische Bildersprache einmal ver- lassen wird und, wie wir jetzt sagen werden, einmal so etwas wie 'nichterner Schulstil'2 anklingt. Es heiBt dort:

    ovt 6tatlero'v rrtv, eraA

    rv ca'rtv ouo7ov. Ovot -rl ludaRov, ro, xev it,eyot fitv AVexEWl rt r4 ad2v OXV6~O t'(vv s8(abat,

    OVbe It xeQeo'reeov, rav 6,' e,,inAeov E,rrtv eov0rog. ro avvexe,; rav eartv. eov yae Eovrt ^ eAa;e.

    1 Es sei noch angemerkt, daB GERT PLAMB6CK in seiner Ausgabe von H. DIELS, Die Fragmente der Vorsokratiker bei Rowohlt, Hamburg, RK Nr. IO (I957) 49 den Zenon mit dem zweiten Weg des Parmenides zusammenbringt. Dabei faBt er das Nichtsein als )>Nicht- urspriinglichkeit, d. h. Vielheit der Dinge

  • Zenon und die Lehre des Parmenides I67

    Das tYberraschende ist, daB die beiden Pradikate des Seienden, O6olov und avveXeg, Relationsbegriffe sind, obwohl doch eigentlich zu erwarten ist, daB das Sein des Parmenides zu nichts anderem in Relation steht. Zunachst sei der Begriff OSIoTov besprochen. O',otog heiBt 'gleich' oder 'dhnlich'. Platon gibt uns in eleatischem Stil im zweiten Teil des Parmenides eine Definition des Begriffes (I39 E): -o -aav?To'v rov rerovo'p O'iotoV (vgl. auch I48 A). o'6otov ist das, was dieselben Attribute hat (der Ausdruck na'op fur Attribut ist dann terminologisch geworden), es bezeichnet also eine bestimmte Art von Gleich- heit. Im Unterschied zu ihm bezeichnet 'tcoV eine andere Art von Gleichheit, die MaBgleichheit. Platon definiert es, kurz nach der Er6rterung des O'uotov,

    11~~~~~~~~~~~~~~~~~~1 I40 B 7: 't'rov pEv Ov xCv av'r65v jueerov garat letXvpo a v 'taov q. Dieselbe Bedeutungsverschiedenheit haben die Worte o'"lowov und 'tcaov auch bei Aristoteles im A der Metaphysik. Met. ioi8 a I5 heiBt es: o'jota Aiyet ra Te stavrn TavTo newv o'ta, xat ca 7A)etco avra 7xezxv#o'a wj sxena, xal div 1 noto.r,n utta. Man sieht, wie hier neben der volligen Gleichheit der Attribute auch die iiberwiegende Gleichheit der Attribute mit o'goto; bezeichnet wird, so daB auch die Bedeutung 'ahnlich' noch zu ihrem Recht kommt. Das taov wird (neben dem 6',otov) Met. I02I a I2 gut behandelt. Dort heiBt es: (xara yae 10 ev {isyiat rcavra, juav a v eaQ codV 1Aa n ovata, o'uota 6' civ n vtoto'rng suta)

    6aa 68 div -od noco'v Ev. Hier ist also speziell die Gleichheit der Quantitat hervor- gehoben. - Wenn wir die Worte ihrer starren terminologischen Festlegung, die sie bei Platon und Aristoteles haben, entkleiden, kommen wir bei beiden auf genau dasselbe Wortfeld, das sie schon bei Homer haben. Aber das konnen wir in unserem Zusammenhang auf sich beruhen lassen1. Bedeutungsvoll fur unsere Parmenidesinterpretation ist nun, daB der Begriff des o'Jotov an hervor- ragender Stelle in der Schrift des Zenon vorkam. Parm. I27 DE wird uns berichtet - und wir haben keinen Grund, mindestens diese Nachricht nicht als glaubwurdig zu betrachten -, daB die erste Vno'beatp des ersten Logos der zenonischen Schrift lautete: el oAAa gcrrt -a Ao`va ... be! (bei Zenon vielleicht avadyxrq) av'6a o4uotca -e e-svat xat avo',ota. Zenon muB hierbei eine scharfe Antithese im Auge gehabt haben, wie uns seine Fragmente lehren, und in diesem Falle muB er unter 0't4otov die vollstindige tJbereinstimmung der Attribute

    1 Nur fluichtig seien ein paar Stellen als Beispiele erwahnt: P 5I sind die Haare des Euphorbos Xaei-reaatv 0ofroua, d. h. sie sind in ihren Qualitaten: Farbe, Glatte, Glanz usw. denen der Chariten gleich. Der 7ro'etuo; u. a. heiBt ot'tO;, weil er auf alle Menschen die gleichen Auswirkungen hat; also auch hier handelt es sich um etwas 'Qualitatives'. Auch z 329 (A4tq0o yde ar"Qcrta oauot'1v yaiav esivaat) wird es sich um die Erde von gleicher Be- schaffenheit handeln, nicht einfach um )>the same(x, wie LIDDELL-SCOTT angibt usw.

    lao; ist auch bei Homer die MaB3gleichheit: vgl. 't'riv Mota, tiaov yeeag, A 72 t'aa; V1a[dvn xeipaAad; e'Xev usw. Danach sind auch Ausdriicke wie taov tvjoLv exetv, 't'aov 9Qovelv usw. zu erklaren, bei denen nicht von selbst klar ist, welche Art von Gleichheit Homer mit ihnen gemeint hat.

  • i68 WOLFGANG KULLMANN

    verstanden haben'. Die Relation wurde im einzelnen wohl in der Weise aus- gedriickt, daB argumentiert wurde: wenn vieles ist, ist jedes einem anderen gleich und nicht gleich. Wie das im einzelnen bewiesen wurde, ist schwer zu sagen2. Wahrscheinlich aber das ist nur eine Vermutung - wurde aus der Tatsache, daB jedes der Vielen Eines ist, abgeleitet, daB es als Eines, Unteil- bares keine andere Qualitat als die des Einsseins haben kann und somit jedem anderen seiner Qualitat nach gleich sein muB, und wahrscheinlich wurde um- gekehrt aus der Voraussetzung, man konne das Seiende differenzieren und als Vieles ausfassen, geschlossen, daB ein Seiendes einem anderen Seienden nicht gleich ist, weil nur eine Ungleichheit der Qualitat bzw. der Attribute es gestattet, ein Ganzes als eine Zweiheit oder Vielheit aufzufassen. Der Beweis mag ahnlich aufgebaut gewesen sein, wie der Beweis der fr. B 2 und i, daB bei Annahme der Vielheit das Seiende groB3 bis zur Unendlichkeit und klein bis zur Nichtigkeit ist. Auch in diesem Beweis spielt ja die Vielheit als eine Summe vieler Einheiten eine Rolle. Wenn nun Parmenides schon einen ahnlichen Beweisgang vor Augen hatte, der schlieBlich zu der Formulierung fiihrte: XVenn vieles ist, ist jedes (einem anderen) in den Attributen gleich und ungleich, so werden plotz- lich seine Worte verstandlich: fur sein Seiendes, dessen Einheitscharakter er immer unterstreicht (vgl. die Bestimmungen als oVoiAoAE) , Ev, avvexle) gilt das nicht: es ist vielmehr xdv O6iolov, es ist total 'gleich'; d. h. es hat sozusagen die Fahigkeit, jedem andren, wenn es ein anderes gabe, vollkommen gleich zu sein. Parmenides gebraucht also die Paradoxie einer'totalen Relation', um die absolute Relationslosigkeit seines Einen Seienden aufzuzeigen3. Das Wort kann

    1 Unrecht hat deshalb J. STENZEL in seiner beruhmten Abhandlung fiber das o",uotov RE III A, 1929, S. V. Speusippos Sp. 1641, wenn er dort sagt: )*Nun sieht aber Platon diesen bedenklichsten Punkt (sc. der eleatischen Seins- und Einheitslehre), gerade den Punkt, von dem aus der Eleatismus ins Eristische umbiegen muB, sichtlich in einem ungeklarten Gebrauch des Wortes o'Jotov. Parmenides I27 e: H6is. . . ii Z4vwov, -roEro A' etF; et roAAa' eaxt ra o'vtra, cg adea be! av?ra o'iuoa -re elvat xat avo7ioa, -roVI-ro be, by advvatov. oVre yde Ta avo'pooa 6o'ota osV`Te ra ot,uoa davo'uota olov re elat; ........ Der Begriff 05potov ist auch nach Platon bei Zenon vbllig Mar, wie ja auch aus der De- finition im zweiten Teil des Dialogs hervorgeht, die Stenzel nicht zitiert. Stenzel glaubt offensichtlich, die ausgeschriebenen Worte des Sokrates enthielten eine Kritik. Das ist aber keineswegs der Fall. Der Text geht ja wie folgt weiter: ov'X oi'ro Abyel; ovrwo, cpavat rOv Z4vo)va. SchlieB3lich sagt Zenon: xaACo. avv4xap oAov 6o yea,yua o Pov'Aaerat. Der ganze platonische Parmenides enthalt nicht die leiseste Kritik an einem spezifisch eleatischen o,uotov-Begriff. Die Ansetzung eines elbog o7uoto'T1rog Parm. i28E/I29 A leitet auch nur zur Besprechung der platonischen Problematik der Ideenlehre und zur Erorterung des platonischen 0'juotov-Begriffes iiber.

    2 G. CALOGERO, Studi sull' Eleatismo, Rom I932, I07ff. weist mit Recht darauf hin, daB die komplizierten Erorterungen des platonischen Parmenides keine brauchbare Basis fiur eine Rekonstruktion des Fragments abgeben. Vgl. auch Simpl. z. Arist. Ph. S. ii6.

    3 Wenn damit begriindet wird, daB das Sein ov?3e5 btatesrov ist, so ist dabei natulrlich nicht nur an die Unmoglichkeit der Teilbarkeit, sondern vor allem auch an die Unmog- lichkeit der Unterscheidbarkeit von etwas anderem gedacht. Auf jeden Fall handelt es

  • Zenon und die Lehre des Parmenides 169

    bei Parmenides uiberhaupt nur als ein Paradoxon aufgefaBt werden. Die als Verlegenheitslosung vorgeschlagene tYbersetzung 'homogen'l leidet darunter, daB bisher unklar ist, was ihre Befuirworter selbst darunter verstehen, und wie iuberhaupt eine (wie auch immer verstandene) Homogenitat von einem fruih- griechischen Denker wie Parmenides gedacht werden konnte. Ist nicht vielleicht erst die bewuBte Paradoxie des Parmenides die Bedingung der spateren Mog- lichkeit, etwas homogen zu nennen? Der Ausdruck nrav o4uolov ist nur verstand- lich, wenn man annimmt, daB Parmenides sich schon vorher klargemacht hat, daB unter der Voraussetzung der Pluralitat des Seienden jedes Seiende gleich und ungleich sein muiBte.

    Wir wenden uns dem Ausdruck ovveXe' zu, der in demselben Zusammen- hang erscheint, nachdem er schon fr. B 8,6 gebraucht wurde. Dieses Wort, das bei Aristoteles bereits unseren heutigen Begriff des Kontinuums umfaBt, begeg- net schon bei Homer, charakteristischerweise von der Zeit, an der dem Men- schen wohl zuerst das Wesen des Kontinuums - im vulgaren Sinn der Konti- guitat verstanden - klar wird. Die genaue ursprtingliche Bedeutung des Wor- tes zeigt am besten Od. t 74, wo es heiBt: EgVta bvco vv'xrap 6vo -' 'lara avveXep atel xeiljE'. ))Da lagen wir zwei Nachte und zwei Tage, 'jeweils zusammenhan- gend'

  • 170 WOLFGANG KULLMANN

    Subjekt. Es eruibrigt sich, zu erwahnen, daB es sich immer um mindestens zwei Gegenstande handelt, die jemand zusammenhat oder die (wie man in spaterer Zeit auch sagt) zusammengehalten werden. Paradox ist es also, wenn Parmenides von seinem einen, unteilbaren Seienden sagt,, es sei orvv- eXe-, oder es werde zusammengehalten. Auch auf diese Paradoxie fallt uiberraschen- des Licht durch eine Heranziehung des Zenon. In Zenons fr. B i heiBt es: ei [6N] kr`av1, ava"yX2 exaqrov ueye5o0 t e`Xetv xat naXog xat ateXetv avirov -O Ez6Q0V acod ov ei1eov. Zenon gebraucht hier den Ausdruck aijie'Xetv, um die Differenzierbarkeit der zo2Aac zu betonen. Es ist nicht ganz eindeutig, was der Ausdruck exakt bedeutet. Ist hier daran gedacht, daB der eine Teil von dem anderen'Abstand hat', oder nur die physische Trennbarkeit gemeint, wie man oft interpretiert? Ich selbst glaube nicht an die erste Moglichkeit, daB der Ausdruck immer eine Luicke impliziert2, mochte aber auch nicht von physischer Trennbarkeit reden; vielmehr scheint es mir im Hinblick auf Par- menides, daB mit axneXev nur die 'ontologische' Trennbarkeit gemeint sein kann3. Auf jeden Fall sieht man, wenn man die negative Bestimmung von Parmenides fr. B 8,23f. ov36 rt rj fa))ov, td xev eyOt oUtv avve'xeaiiat oV6e -rt xeteo'ieeov (vgl. auch 8, 44o. ta y&Q o'mtrta tc ov oire rtl flao' eov ZE).- vat Xeeov e'crt xr i) -r) positiv auf jedes der (teilbar gedachten) Vielen anwendet, daB es nach eleatischer Auffassung auch andere Mdglichkeiten gab, wie man sich Seiendes differenziert denken konnte, als nur die Annahme einer Luicke. So kann man also formulieren, daB an unserer Stelle die Getrenntheit der Teile eines Seienden (in einer Vielheit von Seiendem) zum Ausdruck ge- bracht werden soll. Steht aber einmal von einem Seienden in einer Vielheit fest, daB anr - 'xet to E--reCov ano6 -coi e'kov, so ist klar, warum das Eine Seiende des Parmenides crvv - eXe' sein muB. Parmenides will nicht sagen, daB von seinem Seienden der eine Teil mit dem anderen zusammenhangt (so mii/te man interpretieren, wenn man den Ausdruck von der uns bekannten vorparmeni- deischen Verwendung her fassen wollte), sondern daB bei seinem Seienden nicht O eTeQov zo xoi e'-r.ov aJcEt 4. Wieder dient die paradoxe Feststellung des

    1 Ich glaube, daB die laxe Formulierung der Hypothese: et' 68 ?atvP auf Rechnung des Simplikios kommt.

    2 fr. B 3 (Vors. S. 258, 3ff) ... del ya. ' LUeTa x61)V Vxcov 'a-c' xa'n a'tv gTeQa peTatv' . . . konnte die Annahme, ane'Xetv bezeichne eine Lucke, unterstiitzen. Ich m6chte aber (auch im Gegensatz zu FRANKEL) meinen, daB Zenon hier nur an die Dichotomie denkt. Richtig H. D. P. LEE, Zeno of Elea (I936) 3I. Vgl. auch N. B. BOOTH, Were Zeno's Arguments a Reply to Attacks upon Parmenides? Phronesis 2, 1957, 5.

    3 FRXNKELS Interpretation, Wege und Formen 223ff., die rO E'xepov jeweils als 'Ober- flachenhaut' falBt, leuchtet mir nicht ein. Ein Korper hat mehr als zwei Oberflachen, der Ausdruck Q-reeov ware also unangemessen. S. a. BOOTH a. 0. 5 f.

    Auch die bildhafte Formulierung in fr. B 8, 25: "6v y&e OVxL cA Aa:et besagt nicht, daB ein Teil des Seienden an einen anderen Teil des Seienden stoBt (es heiBt nicht rog EOVTQ5 ?eeov 81?re,) ?reAaet), sondern ist wieder paradox: das Eine Seiende kann nur an

  • Zenon und die Lehre des Parmenides I7I

    Fehlens aller Trennbarkeit und des schlechthinnigen Zusammenhangs dazu, die unbedingte Absolutheit des Einen, Seienden (oder des Seins, wie wir heute sagen wiurden) auszudriicken 1. Parmenides hat also die zenonischen Aufstellun- gen schon mitgedacht. Es ist nicht so, daB erst Parmenides sein Eines Seiendes "zusammenhangend' genannt hat und dann Zenon daraus gefolgert hat, daB in einer pluralischen Welt kein Teil mit dem anderen zusammenhangt, sondern vielmehr so, daB die tYberlegung, daB in einer pluralisch interpretierten Welt ein Teil von dem anderen getrennt ist, der parmenideischen Bestimmung des Seins als avveXey schon voraufgeht. Auch rein sprachlich ist nicht der Ausdruck a7eXetv nach dem Wort ovveXes' gebildet, sondern umgekehrt ist der umgangs- sprachliche Ausdruck azedXetv die Voraussetzung fur den speziellen Sinn, den das Wort avveXay bei Parmenides hat2. Es kann nicht im einzelnen dargelegt werden, wie interessant diese Feststellung im Hinblick auf die geschichtliche Entwicklung der Sprache der Physik ist. Der moderne physikalische Begriff der Kontinuitat erweist sich jedenfalls in seinem letzten Ursprung als eine bewuBt paradoxe Pragung des Parmenides.

    Es war nicht unser Ziel, Zenons Denken als unselbstandig gegenuiber dem des Parmenides zu erweisen (unsere Bruchstiicke sind viel zu sparlich, als daB wir Urteile dieser Art fallen konnten), aber es sollte gezeigt werden, daB Zenons Schrift schon in einer festen philosophischen Tradition steht, die man vielleicht am besten als 'Schule des Parmenides' bestimmt 3. Das Lehrgedicht des Parmenides setzt jedenfalls schon eine genaue Untersuchung der Konse- quenzen voraus, die sich aus der Annahme der Vielheit ergeben, ganz ahnlich wie wir sie bei Zenon finden. Nicht nur der Spott gegen die Leute des 'dritten

    Seiendes stolen; da aber auBer dem Einen Seienden kein Seiendes ist, an das es stoBen kann, wird somit durch die Paradoxie uiberhaupt die raumliche Vorstellung aufgehoben.

    1 Die Paradoxie ist offenbar eine wesentliche parmenideische Denkform. FRANKEL, Wege und Formen I76 Anm. 3 hat bereits auf die paradoxe Formulierung thV'Ve tAa,To-v voov in fr. B 6, 5f. hingewiesen: das Verbum 'steuert den Kurs an', hat als Objekt 'einen Geist, der sich treiben lBat'; und das Subjekt, das den Kurs steuert (geraderichtet), ist 'Hilflosigkeit'.

    Es ware wichtig, einmal die Paradoxie als Denkmittel durchgehend in der gesamten griechischen Philosophie zu untersuchen, insbesondere auch bei Platon. Zu Heraklit vgl. G. S. KIRK, Men and Opposites in Heraclitus, MusHelv. I4, 1957, 159 m. Anm. 12.

    2 Auch fur weitere Bestimmungen des 'o'v des Parmenides diirfte der Hinweis auf Zenon instruktiv sein. Zu fr. B 8, 42f: av'3ra6Q i 7 netoag (vl/aLov TreTeAeatevov qi | rav-ro'tev ware Zenons fr. B 3 genau zu vergleichen.

    3 Damit ist weder an einen festen Schulverband nach Art der Akademie und des Peripatos gedacht, noch soll die doxographische Manier, alle Vorsokratiker in Schulen ein- zuteilen, generell gebilligt werden. Aber man wird doch an einen festen Kreis von Schillern denken miissen, was auch die Beziehungen des Parmenides zur 'Schule des Pythagoras' nahelegen. Vgl. auch 0. GIGON, Der Ursprung der griechischen Philosophie (I945) 245. Allerdings glaube ich, dalB man Melissos, Gorgias, Protagoras usw., die sich von Parme- nides sehr entfernen, nicht wie Zenon in konkretem Sinn zur Schule des Parmenides zahlen kann.

  • I72 A. Y. CAMPBELL

    Weges' erklart sich dadurchl, sondern auch wesentliche Bestimmungen des parmenideischen 8o'v (als nav O6,olov und avveXe') sind in Auseinandersetzung mit dem 'Pluralismus' entwickelt worden. Auch der unterschiedliche Stil der zenonischen Prosaschrift im Verhaltnis zum hexametrischen parmenideischen Lehrgedicht ist nicht Ausdruck eines unterschiedlichen Denkens oder gar einer verschiedenen BewuBtseinshdhe bzw. einer anderen Zeit, sondern wird am besten mit Platon als ein tbungsstil interpretiert, den das Gedicht des Par- menides schon voraussetzt2.

    Kurzum, Zenons mit Recht beriihmte und heute so aktuelle Schrift ist Ausdruck und Zeugnis der Lehre des Parmenides 3.

    Hinterzarten/Schwarzwald WOLFGANG KULLMANN

    1 Die Frage, ob nicht doch in fr. B 6, 4 ff. historische Beziehungen vorhanden sind, bleibt auch nach unserer Untersuchung bestehen. Es wird jetzt nur klar, warum diese Beziehungen nicht deutlicher sein konnen: die Verse sind nicht unmittelbare Polemik, sondern das knapp formulierte Ergebnis ziemlich weitlaufiger Detailuntersuchungen.

    2 Der ffir die ganze griechische Literatur mehr oder weniger charakteristische Genos- Zwang war auch fuir Parmenides maBgebend. Hinter der durch den Mythos stark bestimm- ten Form des parmenideischen Lehrgedichts steht ein genau beschreibbarer philosophi- scher Gehalt. Die Anekdote vom Diebstahl der zenonischen Schrift soll das Durchbrechen dieses Stilzwanges motivieren. Genauso wie Platon seiner Zeit entsprechend seine Philo- sophie sozusagen in dramatischer Form hinterlassen hat, wahlte Parmenides die epische. Auch das Verhaltnis zwischen den nichtliterarischen Lehrschriften und den Dialogen des Aristoteles ist geeignet, das Verhaltnis der Schriften des Parmenides und Zenon zueinander zu veranschaulichen. Vgl. auch W. JAEGER, Studien zur Entstehungsgeschichte der Meta- physik des Aristoteles, Berlin 19I2, 138ff., der aber das Verhaltnis der beiden Eleaten zu- einander noch zu stark entwicklungsgeschichtlich interpretiert. Die Geschichte vom Dieb- stahl zeigt eben, dalB man Zenons Schrift gerade nicht in eine Reihe mit den Prosaschriften der (jiingeren) Ionier Anaxagoras und Demokrit stellen kann.

    3 Die Feststellung braucht eine Eigenstandigkeit des Zenon (etwa in Auswahl, Anord- nung und Vervollstandigung der Paradoxien) nicht auszuschliefen.

    NOTES ON EURIPIDES' HECUBA

    I58 Tai oV3 qgeQrdg is indeed extraordinary thus following directly upon ta; ov0 .rat; as who should say, in her misery, *the verbal in -rog for this verb has a variant form, and I will use that also((. BOTHE would delete the latter three words; but genuine point and genuine feeling are given by trd ov3 TraTid, tad ov3 qevxard. The same point in the very same terms appears in Soph. Ai. 224 ayyeAtav atAarov ov83 qevxrav; and there too the same corruption, peerav, occurs in one manuscript.

    227-8 yiyvwaxe 6' aAx& v xat naeovatav xaxov rJ5V cov. coq'o0v rot xav xaxol a' be! eQOVEIV.

    Article Contentsp. 157p. 158p. 159p. 160p. 161p. 162p. 163p. 164p. 165p. 166p. 167p. 168p. 169p. 170p. 171p. 172

    Issue Table of ContentsHermes, Vol. 86, No. 2 (Jun., 1958), pp. 129-256Front MatterStadtgrndung und Drachenkampf [pp. 129-157]Zenon und die Lehre des Parmenides [pp. 157-172]Notes on Euripides' Hecuba [pp. 172-182]Aristippos [pp. 182-192]Die Lehre vom Blutkreislauf im Corpus Hippocraticum [pp. 192-219]Die Schicksalshoroskopie und ihre ltesten Hilfsmittel [pp. 220-230]Zu Lucan. Ein Nachtrag [pp. 230-239]Miszellen (Zu Arat 367-385) [pp. 240-243]Zu den Fragmenten des Lukrez [pp. 243-246]ber die Coniectanea des Ateius Capito [pp. 246-250]Zu den Familienverhltnissen des P. Quinctilius Varus [pp. 251-255]Zu Aischylos, (Pap. Ox. 2162 fr. I a col. I, 28) [p. 255]Kritische Bemerkungen zu Apollonios Rhodios [pp. 255-256]