zum verhältnis von sorge
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Zum Verhältnis Von SorgeTRANSCRIPT
7/17/2019 Zum Verhältnis Von Sorge
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http://www.jstor.org
Zum Verhältnis von Sorge, Furcht und Hoffnung in Goethes FaustAuthor(s): Heinz MoenkemeyerSource: The German Quarterly, Vol. 32, No. 2 (Mar., 1959), pp. 121-132Published by: on behalf of theWiley American Association of Teachers of GermanStable URL: http://www.jstor.org/stable/401369Accessed: 15-08-2015 19:05 UTC
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ZUM
VERHALTNIS
VON
SORGE,
FURCHT
UND
HOFFNUNG
IN
GOETHES FAUST
HEINZ MOENKEMEYER
Gewisse
Auffassungen
iiber
das
Verhailtnis
von
Sorge,
Furcht
und
Hoffnung
bei
Goethe
haben
insbesondere
beziiglich
des
Faust
zu
Ansichten
und
Interpretationen
gefiihrt,
die
hier
an
Hand von
Goethes
Aul3erungen
kritisch
beleuchtet
werden
sollen.
Die
im
Maskenzug
der
Mummenschanz-Szene
in
Faust
II
auf-
tretenden
allegorischen Figuren
"Furcht"
und
"Hoffnung"
werden
dort
von der
"Klugheit"
als
"zwei der
grbf*ten
Menschenfeinde"
bezeichnet
((V.
5441
f.).
Nach Hermann
Tiirck
sollen
diese
Verse
einen
direkten
Bezug
auf Faust und die ihm
an
zwei Punkten
seines
Lebens
begegnende
Sorge
(V.
644
ff. und 11384
ff.)
haben,
denn
in
der
Sorge
zeige
sich
"die
Wirkung
von 'zwei der
gr8l3ten
Menschen-
feinde'
zusammengefaf~t."l
Dieses
eigentlich
nirgendwo
bewiesene
Apergu
eines
Aul~enseiters
in
der
Goetheforschung
brauchte
uns
heute
nicht
mehr
zu
beschaiftigen,
wenn
Tiircks
Ansichten ohne
Widerhall
oder
Parallele
in
der
Faust-Forschung
geblieben
wairen.
Max Koch und Otto Harnack stimmten der Verbindung der Furcht-
und-Hoffnung-Allegorese
im
Mummenschanz mit der
Sorge
in
Faust
I
zu
und
Petsch
bedient
sich
in
seinen friihen
Wiirzburger
Vortraigen
fiber
Goethes Faust
iiberall
der
Gleichsetzung
von
Furcht und Hoff-
nung
mit
der
Sorge,
ohne
allerdings
Tiirck
zu
nennen.2
Diese
einer
nun
schon
weit
zuriickliegenden
Zeit
angeh*renden
Zeugnisse
kannten
iibergangen
werden,
zumal
Petsch
Tiircks
Ansichten
splter
entschieden
ablehnte. Aber
noch in
neuester
Zeit
sieht Buchwald
in
der
im
Mummenschanz
auftretenden
"Furcht"
eine
VerkSrperung der Sorge,
freilich
ohne
Furcht und
Hoffnung
zusammen
der
Sorge
gleich-
zusetzen.3
Wilhelm
BShm
meint in
seinem
jiingsten
Buch
iiber
Goethes
1
Hermann
Tiirck,
Eine neue
Faust-Erkldrung,
4.
Aufl.
(Berlin,
1906),
S.
36;
s.
auch
ebd.,
S.
123,
146.
Diese
Auflage
des
1901
zuerst
erschienenen
Buchs
liegt
den
weiteren Zitaten im
Text
zugrunde.
Die
gleichen
Ansichten
vertritt
Tiirck
auch in
seinem
Buch Goethe
und sein
Faust
(Leipzig, 1921).
2
tiber
Koch
und
Harnack s.
Tiirck,
Faust-Erkl.,
Vorwort
zur
4.
Auf-
lage; Robert Petsch, Vortrdge iiber Goethes "Faust," Wiirzburger Hoch-
schulvortriige,
Bd.
I
(Wiirzburg,
1903).
3
Reinhard
Buchwald,
Fiihrer
durch
Goethes
Faustdichtung.
Erkldirung
des
Werkes
und
Geschichte seiner
Entstehung,
4.
Aufl.
(Stuttgart,
1955),
S. 230
f.
121
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122 THE
GERMAN
QUARTERLY
Faust,
"der
Maskenzug
am
Kaiserhof
lehrte,
da3
Sorge,
an die
Kette
der
Klugheit
gelegt,
hin zur
Viktorie,
der G6ttin
aller
Tiitigkeiten,
geleiten
kann."4
Ob
bei den
letztgenannten
Autoren eine
Einwirkung
von
Tiircks
Ansichten
oder nur
eine Parallele
zu
ihnen
vorliegt,
ist
in
unserem
Zusammenhang
irrelevant.
Die
Gleichsetzung
von Furcht und
Sorge
ist
fiir
die
in
Frage
kommenden
Stellen
im Faust nicht
zu
recht-
fertigen
und
entspricht
auch im
allgemeinen
nicht
dem
Sprach-
gebrauch
Goethes.
Goethe
nennt
Furcht
und
Sorge
so
hiiufig
zusammen,
daf
wir
uns
Zitate ersparen k6nnen. Die dem Kierkegaardschen Begriff der
"Angst"
und
dem
Heideggerschen
Existential
der
"Sorge"
zugrun-
deliegenden
subtilen
Distinktionen
lagen
Goethe
fern,
der nur
dem
Sprachgebrauch
folgte,
wo
Angst,
Furcht
und
Sorge
nicht
immer
reinlich
getrennt
sind.
Die semantische
Naihe
von Furcht
und
Sorge
und ihre
haiufige Nebeneinanderstellung
macht
sie aber
dennoch
nicht zu
vollen
Synonymen.
Wenn
Goethe sie
nebeneinander
nennt,
so
will
er
damit die
sich
unter
allen
m6glichen,
"stets
...
neuen Masken"
(Faust, V. 647) verbergende Sorge niher bezeichnen und dem all-
gemeinen
Begriff
die
n6tige
Konkretheit
verleihen.
Durch die
Ver-
bindung
mit der
sich mehr der affektiven
Seite
unseres Seelenlebens
zuneigenden
Furcht
zeigt
Goethe
uns,
in
welchem
Sinne
er
die
Sorge
aufgefa2t
haben
will.
Daf
die
Furcht nicht nur die stets anwesende
Komponente
der
Sorge
ist,
geht
aus
mehreren
Zitaten
hervor,
in
denen die
Furcht
als
Steigerung
und
Aktualisierung
der
Sorge
in
Situationen wirklicher
Gefahr
erscheint. Der Held der
"Neuen
Melusine"
spricht
von einem
Ereignis,
wodurch er
"in
Erstaunen,
in
Sorgen,
ja
in Furcht" versetzt
wurde
(WA,
I,
25,
142).5-
Ganz
klar
ist die
steigernde Unterscheidung
in
der
Campagne
in
Frankreich
ausgesprochen:
.
.
.
"zu einer
Zeit,
wo die
Sorge fiir
das
linke
Rheinufer
sich
in Furcht
verwandelte"
(I,
33,
201
f.).
Eine
Steigerung
von
"Besorgnis"
zu
"Furcht" findet
sich
in
dem
Aufsatz
"Charon
Neu-
griechisch"
(I,
49.1,
367).
In dem Drama Die
Natiirliche
Tochter
wird
eine
aihnliche
Unterscheidung
gemacht
zwischen
dem konkreten
4Wilhelm Bi5hm, Goethes Faust in neuer Deutung. Ein Kommentar
fiir
unsere
Zeit
(K61n,
1949),
S.
251.
5
Die
Zitate
folgen
der Weimarer
Ausgabe;
r5mische
Nummern
be-
zeichnen
die
Abteilung, nachfolgende
arabische
Nummern Band-
und
Seitenzahl.
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SORGE,
FURCHT
UND HOFFNUNG
123
Angstgeffihl
vor
gegenwairtiger
Gefahr
und
der
sorgenvollen
Vor-
wegnahme
mbglichen,
kiinftigen
Obels:
"Die
Angst
des
Augenblicks,/
Die
Sorge
fiir
die Zukunft treiben mich"
(V.
2522
f.).
Sorge
tritt
mit
dem
sich
auch
kSrperlich iiuBernden
Affekt
der
Furcht
besonders
in
gefahrdrohenden
Situationen
auf.
Demgemaii*
spricht
Goethe sehr
oft
von
Furcht
und
Sorge
in
Zeiten
politischer
Unruhe
und
kriegerischerVerwicklungen,
oder
wenn
ihn das
Schicksal
seiner
Mitmenschen
beunruhigt.6
In
diesen
Fiillen
handelt
es
sich
nicht
um
die von
Tiirck
u.a.
vielberufene
eingebildete,
unnatige,
philistrSse
Sorge
und
Furcht,
sondern
um
eine
durch
die
Umstiinde
aufgezwungene und gerechtfertigteReaktion, wobei in der Sorge auch
fiirsorgliches
Besorgtsein mitschwingt.
Sorge
ist nicht nur
mit
Furcht und
Angst
nach
der
mehr
affektiven
Seite,
sondern
auch
mit
Zweifel
und Bedenken
verwandt,
und
letztere
werden
daher
bei Goethe
sehr
oft
mit
der
Sorge
zusammen
genannt,
um diese
niiher
zu kennzeichnen
und
von
dem
Furcht-Sorge-Komplex
abzuheben.
Auch
hier
k6nnen
wir auf
Zitate
verzichten
und
erwiihnen
nur das
Kompositum
"Zweifelsorge"
in
dem
Gedicht
"Fiir
ewig."
Sorge ist mit Zweifel und Bedenken dann gepaart, wenn weniger eine
konkrete
Bedrohung
vorliegt
als
vielmehr
eine
quiilende
Beunruhigung,
die
aus der
Erwiigung
aller
moglichen
Folgen
einer
von
Ungewifheit
erfiillten
Situation
erwdichst.
Gewissenssorge
sowie die
Sorge
um
die
Gestaltung
der
eigenen
Zukunft
und
um
die
Verwirklichung
des
eigentlichen
Selbst
sind
eng
mit Zweifeln
und
Bedenken
verbunden.
Diese Formen
der
Sorge,
auf die
sich viele
Goethes
eigenes
Leben
betreffende
Zeugnisse
beziehen,
finden
ihre
Rechtfertigung
in
einer
konkreten,
objektiv
ungewissen
Situation
und
haben
nichts
mit der
im
Mummenschanz
angesprochenen
philistrasen,
ohne
konkreten
Anlag
den
Menschen
beherrschenden
"Furcht
und
Hoffnung"
zu
tun.
Das
gilt
auch
fiir
die
"Sorge,"
der
Faust am
Ende
seines
Lebens
begegnet,
selbst wenn
Fausts
verschiichterte
Haltung
und
sein
erschiittertes
Fragen
im
Angesicht
der
"Sorge"
auch
auf
anwesende
Furcht deuten.
Die
"Sorge"
wendet
sich,
obwohl
sie nicht
dem
Gewissen
entspringt,
an
Fausts
Gewissen,
fordert ihn
kurz vor
dem
Tode,
dessen
Botin sie
ist,
als
warnende
Stimme
zur
Verantwortung
und
zur
Besinnung
auf
sein eigentliches Selbst auf. Darin stimmen Jaeger, Atkins und B*hm
trotz
ihrer
sehr
verschiedenen
Beurteilung
des
Faustischen
Charakters
6
Siehe
z.B.:
I,
34,
171;
I,
35,
27
u.
67;
IV,
11,
130;
IV, 24,
148;
oder:
I,
33,
229;
IV,
40,
111,
usw.
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124
THE GERMAN
QUARTERLY
iiberein.7
Die
Sorge
ist,
wie
Daur
bemerkt,
eine
"Mahngestalt,"
von
der
Faust nichts wissen
will.8
Die
"Sorge"
in
Faust II
ist
keine
Teufelsbotin,
die auf
bloB
subjektive
Taiuschung ausgeht,
wie
Tiirck
und viele
andere
Autoren annehmen.9 Diese
Auffassung,
die sich
auf
Faust,
V.
11486
("Und
bereitet
ihn
zur
H6lle")
stiitzt,
hMilt
ich
nur
an
die
liihmende
Wirkung
der
Sorge,
die
sie
allerdings
mit der
Furcht
teilt.
Letztere
ist,
wie
sie
im
Mummenschanz
erscheint
(V.
5407
ff.),
nicht so sehr
"Furcht
vor
einer bestimmten
Gefahr,"
welche
Erich
Franz von
der
Sorge
als
"allgemeine
Gestimmtheit"
unterscheidet,'0
als
vielmehr
eine
subjektive
Sehweise,
die
iiberall
nur
Bedrohung
ahnt
und gewahrt und derart die Wirklichkeit durch pessimistische
Mi2deutung
ebenso
verfehlt
wie die ihr
zugeordnete
Form
der
in
optimistischen
Illusionen sich
wiegenden
Hoffnung.
Nach
der
subjektiven
Seite
hin ist
auch
die
Sorge,
wiO
Stacklein
ausfiihrt,
ein
"Sehfehler,"11
der die
"klare
Welt"
mit
"Spinnweben-
Grau"
iiberzieht
(Zahme
Xenien,
VI,
V. 1615
ff.).
Darin ist
sie mit
der Furcht
verwandt.
Von dem
der
Sorge
verfallenen
Menschen heiat
es im Faust:
"Siehet
alle
Dinge
schiefer"
(V.
11476).
Das
gleiche
gilt von der Sehweise der Furcht. Dariiber hinaus aber ist die Sorge,
besonders
wie sie
in Faust
II
auftritt,
eine
unausweichliche,
mit
der
endlichen,
todesverfallenen menschlichen Existenz und
ihrem
Verhailt-
7Hans
Jaeger,
"The
Problem of Faust's
Salvation,"
Goethe Bicenten-
nial
Studies,
Indiana
Univ.
Pubs.,
Humanities
Series,
No.
22
(Indiana
Univ.
Press,
1950),
S.
109-152;
Stuart
Atkins,
Goethe's Faust.
A
Literary
Analysis
(Harvard
Univ.
Press, 1958),
S.
252;
W.
Boihm,
Goethes
Faust,
S. 244
ff.
und
auch in seinem
Buch
Faust
der
Nichtfaustische (Halle,
1933),
bes. S.
73.
8
Albert
Daur,
Faust und
der
Teufel
(Heidelberg,
1950),
S. 58.
9
Tiirck,
S. 59
u.6.;
Th.
Ziegler
im
Faust-Kapitel
von
Bielschowsky,
Goethe.
Sein
Leben
und seine
Werke,
31.
Aufl.
(Miinchen,
1917),
II,
664;
Adolf
Trendelenburg,
Goethes Faust
(Berlin
u.
Leipzig, 1921),
II,
584;
Alfred
Gramsch,
Goethes
Faust.
Einfilhrung
und
Deutung
(Braun-
schweig-Berlin,
1949),
S.
140;
Georg
Lukacs,
"Faust-Studien,"
Goethe
und
seine Zeit
(Berlin,
1950),
S.
271;
Barker
Fairley,
Goethe's
Faust.
Six
Essays
(Oxford,
1953),
S.
119;
Alexander
Gillies,
Goethe's Faust.
An
Interpretation
(Oxford,
1957),
S.
29 f.
und
viele andere
Autoren.
10Erich Franz, Mensch und Dimon. Goethes Faust als menschliche
Trag6die,
ironische
Weltschau
und
religidses
Mysterienspiel
(Tiibingen,
1953),
S.
58.
11
Paul
Stiicklein,
Wege
zum
spdten
Goethe
(Hamburg,
1949),
S.
74;
weiterhin
im
Text
zitiert.
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SORGE,
FURCHT UND HOFFNUNG
125
nis
zur Zeitlichkeit
gegebene,
von allen
konkreten
Veranlassungen
los-
geliste
Daseinsmacht.12
Als
solche
legt
sich
die
"Sorge"
selbst
aus,
wenn sie sich als vom Menschen "Stets
gefunden,
nie
gesucht"
(V.
11430)
bezeichnet und
auf Fausts
Frage,
wer
sie
sei,
mit
lapidarer
Kiirze
antwortet:
"Bin
einmal
da "
(V.
11421).
Dieser
schon von
Traumann
und
Burdach
erkannte
transsubjektive
Charakter der
Sorge
ist
neuerdings
wieder von
Jockers
und
Atkins,
wenn
auch
sehr
ver-
schieden
aufgefaf~t,
hervorgehoben
worden.13
Zu
diesen
allgemeinen Erwdigungen
iiber
den Unterschied von
Furcht und
Sorge
kommt
noch die
Tatsache,
da12
Goethe
die Furcht-
und-Hoffnung-Allegorese n engsterAnlehnung an italienischeQuellen
schuf,
weswegen
schon
Rickert
mit
Recht vor allzu
weittragenden
Folgerungen beziiglich
Fausts
warnte.'4
Trunz
und
Gillies
betonen
den
spezifisch
politischen
Charakter der
Allegorese.15
In voller
Schairfe
gelten
daher
Erich
Schmidts
Worte: "Unsre
Stelle
hat mit der
'Sorge'
im
5.
Akt
garnichts
zu
tun."'6
Die
in
Faust
I
angesprochene Sorge (V.
644
ff.)
tritt
nach
St6cklein in
einer
Form
(oder
in
"Masken")
auf,
fiir
die
der
"Typus
des Biirgers"besonders anfiillig ist (S. 74), naihertsich also insofern
der
von
Goethe
besonders
dem Philister
zugeschriebenen
"Furcht
und
Hoffnung."
Aber
hier handelt
es
sich nicht
um
konkret
veranlaP1te
Befiirchtungen,
sondern
um
eine
aufs
Ganze
des
Lebens
bezogene
Gestimmtheit,
welche
das
kurz vorher
erwiihnte
"ungewisse
Menschen-
los"
(V.
629)
mit sich
bringt.
Auch Stbcklein
sieht
den
radikalen
Charakter dieser
Sorge,
wenn
er
meint,
Faust
stehe
hier
vor der
Frage:
"Wie
kann ich mich
gestalten?"
(S. 75).
Die
Sorge
als
"inner-
seelischer
Angriff
gegen
die
vis unitiva"
(S.
77)
ist
auch hier von der
"Furcht"
zu
unterscheiden,
wie
sie
im
Mummenschanz
auftritt.
12
Bei Dorothea
Lohmeyer,
Faust und
die
Welt.
Zur
Deutung
des
Zwei-
ten
Teils
der
Dichtung (Potsdam, 1940)
wird die
Sorge
als
"Organ
fiir
die Zeit
als
Vergiinglichkeit"
bezeichnet
(S.
136).
13
Ernst
Traumann,
Goethes
Faust. Nach
Entstehung
und
Inhalt
erkldrt
(Miinchen,
1914),
II,
335;
Konrad
Burdach,
"Faust
und die
Sorge,"
DVLG,
I
(1923), 51;
Ernst
Jockers,
"Faust und
die
Natur,"
PMLA,
LXII
(1947),
724; Atkins,
Goethe's
Faust,
S. 252.
14
Heinrich Rickert, Goethes Faust. Die dramatische Einheit der Dich-
tung
(Tiibingen, 1932),
S.
298.
15
Goethes
Faust,
hrsg.
von
Erich
Trunz,
3.
Aufl.
(Hamburg,
1954),
S.
541; Gillies,
Goethe's
Faust,
S.
106.
16
In
seinem
Faust-Kommentar
in
der
Jubildiums-Ausgabe,
XIV,
309.
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126
THE
GERMAN
QUARTERLY
An
die
Tiircksche
Gleichsetzung
von
Furcht
und
Hoffnung
mit
der
Sorge
erinnert
Raabes
Feststellung,
die
Sorge
sei
ein "Mittelzustand
0 .
.
zwischen Furcht und
Hoffnung."'7
Nachdem wir
den
zwischen
Sorge
und
Furcht
obwaltenden
Unterschied
er*rtert
haben,
soll
nun
das
zwischen
Sorge
und
Hoffnung,
sowie
Furcht
und
Hoffnung
bestehende
Verhilltnis
betrachtet
werden.
Hoffnung
und
Sorge
werden
bei
Goethe oft
zusammen
genannt,
obwohl
weniger
haiufig
als
Furcht und
Sorge.
Die
Hoffnung
ist,
wie
die
Sorge,
meistens
auf
die Zukunft
gerichtet.
Dann
entspringen
beide
aus
der
Beschaiftigung
der
Einbildungskraft
mit
zukiinftigen
Ereignis-
sen. Von dem unter dem Einfluf der Sorge stehenden Menschen heiBt
es
in Faust
II:
"Ist
der Zukunft nur
gewlirtig" (V.
11465).
Daraus
folgt
aber
nicht,
die
Hoffnung
sei
ein
stets
anwesendes Element
der
Sorge.
Hoffnung
und
Sorge
sind vielmehr
polar
entgegengesetzte
Einstellungen
des
Menschen zu
den
gleichen
Gegebenheiten
der
Erfahrung.
Daher
spricht
Goethe
oft von
einem
Wechsel
dieser
Verhaltensweisen: .
. .
"mit wechselnder
Hoffnung
und
Sorgen"
(Triumph
der
Empfindsamkeit,
1.
Akt;
I,
17,
10);
.
.
. "so
wechselten
doch immer
Hoffnung
und
Sorge
.
.
. in der schwankenden Seele"
(Campagne;
I,
33,
102);
. . .
"Hoffnung
und
Sorge
wechselten daher
augenblicklich
ab"
(ebd.,
110).
DaBf
Furcht
und
Sorge
der
Hoffnung
entgegengesetzt
sind,
geht
klar
aus
der
folgenden
Stelle
der
Campagne
hervor:
"Sorge
und
Furcht,
doch
mit
einiger
Hoffnung
schwebte auf
den
Gesichtern
der
tiichtigen
Miinner"
(I,
33, 22).
Weit
gewichtiger
als
diese
Zitate ist
jedoch
die
Tatsache,
daB
Goethe
in
seiner
Gedichtsammlung
die
Gedichte
"Hoffnung"
und
"Sorge"
unmittelbar
aufeinander
folgen
lMift,
gleichsam
als
Gegen-
stiicke,
in denen er
polare,
wurzelverbundeneund doch
kontrastierende
Verhaltungsweisen
des Menschen
anspricht.
Ihre
gemeinsame
Wurzel
wird im 20. Auftritt des
Vorspiels
Was
wir
bringen
(Lauchstlidt
1802)
angedeutet,
wo
Sorge
und
Hoffnung
als
die
zwei
Gestalten
beschrieben
werden,
welche die
als
"scheckig
Kniiblein"
auftretende
"Phantasie"
annimmt.
Von der
Hoffnung
spricht
Faust,
kurz bevor
sich
seine Gedanken
der
Sorge
zuwenden:
"Wenn
Phantasie
sich
sonst
mit
kiihnem
Flug
/
Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert" (V. 640 f.). Merk-
wiirdigerweise
zitiert
Tiirck,
der die
Hoffnung
nur
im
Sinne
der
17
August
Raabe,
Goethe und Luther
(Bonn,
1949),
S.
91;
weiterhin
im Text
zitiert.
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SORGE,
FURCHT UND
HOFFNUNG 127
"Furcht
und
Hoffnung"
im Mummenschanz
verstehen
will,
die
eben
angefiihrte
Stelle,
ohne daraus
den SchluB zu
ziehen,
da1
gerade
hier
die
Hoffnung
als Diastole der menschlichen
Einbildungskraft
zum
Ewigen
im
Gegensatz
zur
Sorge
als,
Systole
auf
das
nur
Endliche
steht
(S.
37,
84).
Da1~
Furcht
und
Hoffnung
mit
der
menschlichen
Existenz
gegebene
polare Betiitigungsweisen
der
Einbildungskraft
sind,
deutet Goethe
schon
in seinem
Prometheus-Fragment
an: "Dann
lebst du auf
.
.
.
Von
neuem
zu
fiirchten,
zu
hoffen,
zu
begehren "
(Ende
des
2.
Akts;
I,
39,
212).
Als
polare
Phiinomene des menschlichen Geistes
werden
sie in einem chromatischenGleichnis im Tagebuch angeffihrt: "Lieben
und
Hassen,
Hoffen und
Fiirchten
sind auch nur
differente
Zustlinde
unseres
triiben
Innern,
durch
welches
der
Geist entweder
nach
der
Lichtseite oder
Schattenseite
hinsieht"
(25.
Mai
1807;
III, 3,
213).
Aus dieser Polaritiit wurzelverwandter
Phainomene
lifiBt
ich
aber
nicht
folgern,
Furcht und
Hoffnung
seien
stets
anwesende
Elemente der
Sorge
oder
letztere
sei
ein
Mittelzustand
zwischen beiden.
Dagegen
spricht
u.a. die
folgende
Stelle
aus den
Wahlverwandtschaften,
wo
der Mittelzustand als "Fiihllosigkeit"erscheint: "Es gibt Lagen, in
denen Furcht
und
Hoffnung
eins
werden,
sich
einander
wechselseitig
aufheben und
in
eine
dunkle
Fiihllosigkeit
verlieren"
(2.
Buch,
4.
Kap.;
I, 20,
226).
Um seine
Gleichsetzung
von
Furcht
und
Hoffnung
mit
der
Sorge
zu
stiitzen,
gibt
Tiirck
eine
Interpretation
der
Verse
647-651 im
Faust.
Hier
heift
es
von der
Sorge:
Sie
deckt
sich
stets
mit
neuen Masken
zu,
Sie
mag
als
Haus
und
Hof,
als
Weib
und
Kind
erscheinen,
Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
Du
bebst vor
allem,
was nicht
trifft,
Und was du nie
verlierst,
das
muBt
du
stets beweinen.
Calvin
Thomas
sieht,
wie auch Kuno
Fischer,
in
Haus,
Hof usw.
Gegenstlnde
der
Sorge (worry),
in
Feuer,
Wasser
usw.
Objekte
der
Furcht,
wiThrend
Minor hier
das,
worum man
sich
sorgt,
von
dem,
wovor
man
sich
fiirchtet,
unterscheidet.18
Nach
Tiirck
sind
Haus,
Hof
usw.
"Dinge,
in
deren Besitz
man
ein
h*chstes
Gliick
zu
finden
hofft,"
1s
Goethes
Faust,
hrsg.
von
Calvin
Thomas,
Vol.
I,
The
First
Part
(Boston,
1897),
S.
297
f.;
Kuno
Fischer,
Goethes
Faust,
4.
Aufl., hrsg.
von
Victor Michels
(Heidelberg,
1912-13),
III,
7-8;
Jakob
Minor,
Goethes
Faust.
Entstehungsgeschichte
und
Erkli~rung (Stuttgart, 1901),
II,
111.
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128
THE
GERMAN
QUARTERLY
also
"Giiter,"
welche
"die
Hoffnung
vorspiegelt,"
waihrend
Feuer,
Wasser
usw.
"Tbel"
sind,
"die
die Furcht erblicken
l1i*Bt,
o
vielleicht
iiberhaupt
keine Gefahr droht"
(S.
37,
108).
Hierin sieht
Tiirck
den
Beweis
fiir
die
Zusammensetzung
der
Sorge
aus
Furcht
und
Hoffnung
als
ihren
stets
anwesenden Elementen.
Dagegen
muB
jedoch
ein-
gewendet
werden,
dali
Furcht und
Hoffnung,
aber auch
Sorge,
sich
auf
alle
diese
von
Goethe
lediglich
als "Masken"
der
Sorge
bezeich-
neten
Dinge
beziehen
kinnen.
Wir hoffen die
Lebensgiiter
Haus,
Weib
usw.
zu
erlangen
oder
zu
bewahren,
aber wir
fiirchten
und
besorgen
ihren
Verlust. Die
gefahrdrohenden
tObel
Feuer,
Wasser
usw.
fiirchten wir, hoffen aber zugleich, ihnen zu entgehen. Die Verse 650
und
651,
die sich
auf
Vers
649
und
648
in
dieser
Reihenfolge
der
Zuordnung
beziehen,
lassen
nichts
von
Hoffnung
verlauten,
sondern
driicken
nur
Sorge
fiber
mSgliche
iible
Ereignisse
aus.
Auch
Minors
Unterscheidung
von
"Sorge
fiir"
und
"Furcht
(Sorge)
vor"
lki1t
sich nicht
aufrechterhalten,
da von
Fiirsorge
nicht
die
Rede
ist,
sondern nur von
der
Sorge
als
quailender Beunruhigung.
Es
ist
ja
gerade
fiir
Faust
bezeichnend,
dal3
er
sowohl
in
den
Gegenstainden
moglicher Fiirsorge (besonders Weib und Kind) wie in den das
menschliche
Dasein bedrohenden
Dbeln nur "Masken" der
laistigen,
quiilenden
Sorge
sieht.
Gegen
die
von Thomas und Fischer
gemachte
Unterscheidung
ist an
sich
nichts
einzuwenden,
da alle
genannten
Dinge
Furcht
und
Sorge
bereiten
k6nnen,
wobei die
Leben
und
Giiter
bedrohenden
tVbel
tatsiichlich
bfter
konkrete Furcht
als
bloBe
Sorge erregen.
Wenn
aber Fischer
meint,
"am Ende" handle es
sich
nur
um
"eingebildete
und
leere
Gefahren,"
um
"peinliche
und
grund-
lose
Furcht,"
welche
eine
"verschiichterte
Winkelexistenz" kennzeich-
net
(s.
Anmkg.
18),
dann
verharmlost
er
hier die
Sorge
und verwischt
den oben
er6rterten
Unterschied
zwischen
ihr
und der
philistrosen
Furcht.
Wo
"Furcht
und
Hoffnung"
bei Goethe
nebeneinander
genannt
werden,
tragen
sie immer einen
negativen
Charakter.
In
dieser
negativen
Bewertung mag
Goethe sehr
wohl,
wie
Tiirck
und
Lukacs
nahelegen,
von
Spinoza
beeinfluljt
worden
sein,
der
auch
das
unaufl6sliche
Miteinander
von
Furcht und
Hoffnung
betonte.'9 Darin
kinnte dann auch eine Erklirung fiir die von Hoffmeister konstatierte
19
Tiirck,
"Spinoza
und Goethes
Faust,"
Faust-Erkl.,
S.
101-128;
Lukacs,
Goethe und
seine
Zeit,
S.
356;
ausdriicklich
gegen
Tiirck,
aber
Petsch,
Festausgabe,
V,
669.
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SORGE,
FURCHT
UND HOFFNUNG
129
Entwertung
der
Hoffnung
beim
llteren
Goethe
liegen.20
Furcht und
Hoffnung
werden
gelegentlich
von
Goethe
als
Kennzeichen
des
Philisters erwaihnt
(Zahme
Xenien,
VII,
V. 293
ff.;
zu Kanzler
M*iller
am 3.
April
1824).
Jedoch
sind
sie
keineswegs
immer
nur
so
aufzufassen. Gerade
der
junge
Goethe
spricht
6fters
von der sein
Inneres
bewegenden
Furcht und
Hoffnung
beziiglich
seiner
Zukunft
und
seiner
Stellung
in
der
Gesellschaft.21
Spaiter
sind es
die
durch
die
Franz6sische
Revolution
hervorgerufenen
kriegerischen Ereignisse
und
politischen
Wirren,
die in
Goethe und
seinen
Zeitgenossen
Furcht
und
Hoffnung erregen.
Davon
berichtet
er
wieder und wieder
in
der
Campagne und in den Tagebiichern aus der damaligen Zeit. In
diesen Faillen
sind
Furcht
und
Hoffnung
situationsbedingte
Reaktionen
und haben
nichts mit
dem
Philistergeist
zu
tun.
Im
Mummenschanz
dagegen
sind
sie
nicht
die
Reaktion auf
eine
sie
objektiv
rechtfertigende
konkrete
Situation,
sondern
der
Ein-
bildungskraft
entspringende komplement~ire
Sehweisen,
welche
die
Wirklichkeit
verflilschen,
jede
klare
zielbewul~te
Taitigkeit
llihmen
und daher
"zwei
der
gr62lten
Menschenfeinde"
genannt
werden.
Sie
kennzeichnen den Philister, der sich unter dem EinfluBlder Furcht
frei
wiinscht,
unter
dem
der
Hoffnung
sich
frei
fiihlt
(siehe
V.
5400),
ohne
etwas
zur
Verwirklichung
der
Freiheit
zu
tun.
Die
hier
auftretende
philistr6se
Hoffnung,
von
der Thomas
Mann
im 7.
Kapitel
seines
Romans
Lotte
in
Weimar
Goethe
sagen
lui1t,
dal
sie
"lippisch
siil3
und
entnervend
.
. .
illusioniert,"
zielt nur auf
bequeme
Erfiillung
aller
Wiinsche
"in
sorgenfreiem
Leben,"
in
dem
man
"nach
Belieben
ruhn und handeln" kann
und
"nie
entbehren"
muBl
(V.
5434
ff.).
Raabe
bezeichnet
diese
mit
der
Furcht
auf
gleicher
Stufe
stehende
illusionaire
Form der
Hoffnung
als
"Furchthoffnung"
(S. 92).
Es
gibt
aber bei
Goethe
auch
eine
Hoffnung,
die vielleicht
ihren
sch6nsten
Ausdruck in den
Gedichten
"Hoffnung,"
"Ein-
schrainkung"
und
"Elegie"
("Ein
zairtlich
jugendlicher Kummer")
gefunden
hat,
alle
aus
den
70er
Jahren
vor
oder in der ersten
Weimarer
Zeit.
Aus
ihnen
spricht
die
Hoffnung
auf
ruhiges
Vollenden
organischen
20
Johannes
Hoffmeister,
"Goethes
Urworte
-
Orphisch.'
Eine
Interpre-
tation," Logos, XIX (1930), 207 f.
21
Siehe
den
Brief
an
Herder
vom
Juli
1772: "Muth und
Hoffnung
und
Furcht
und Ruh
wechseln in meiner
Brust"
(IV,
2,
15);
Rihnlich
n
Briefen
an
Kestner
vom 25.
April
1773
(IV, 2,
83)
und
Charlotte
v.
Stein
am
8.
Juni
1776
(IV,
3,
74
f.).
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130 THE GERMAN
QUARTERLY
Wachstums,
die nichts mit den
negativen
Diimonen
Furcht und
Sorge
zu
tun
hat,
sondern ihnen als "Genius"
(Stbcklein,
S.
105)
ent-
gegengesetzt
ist. Sie findet
Bild
und Korrelat in
der
sich
still ent-
faltenden
Natur:
"Jetzt
nur
Stangen,
diese
Baiume
Geben einst
noch
Frucht und
Schatten,"
heiflt
es im Gedicht
"Hoffnung."
Und das
Gedicht
"Elegie,"
in
dem
die
Vorfriihlingsstimmung
zum
Symbol
der
in
den
drei
Strophenabschliissen
eitmotivisch wiederkehrenden
Hoff-
nung
wird,
endet
mit
dem
Bild
des
Saimanns:
"Die
Seele
voll
von
Erntetriumen,
/
Und
sai't
und
hofft."
Faust
spielt
auf
diese
Form der
Hoffnung
auf
dem
Osterspaziergang
an:
"Im
Tale
griinet
Hoff-
nungsgliick" (V. 905). Aber es bleibt bei der blo2en Sehnsucht, in
die
sich auch ironische
Distanz
mischt,
da seiner Titanennatur
ein
sich
bescheidendes
Vertrauen auf
organisches
Werden
nicht
gegeben
ist.
Im
positiven
Sinne ist
die
Hoffnung
eine "edle
Treiberin,
Trasterin"
("Meine
Gfttin")
und
von
dieser
positiven,
mit
dem
menschlichen
Leben
gegebenen
Macht
spricht
Goethe in
Des
Epimenides
Erwachen
(V.
616-625)
und
in
der
Achillei's
(V.
236
ff.).
Sie
waire
wohl
auch in
der
im Schema zur
Fortsetzung
der
Pandora genannten Elpore thraseia verk6rpertworden. Letztere hiitte
sich
vielleicht
derjenigen
Metamorphose
des
Urphiinomens
Hoffnung
geniihert,
die
in
der
von Flitner
und
Hoffmeister
untersuchten
Elpis-
Stanze
der
"Urworte.
Orphisch"
dichterischen
Ausdruck
gefunden
hat
und
von Flitner
als
"spirituelle"
oder
"religiase"
Hoffnung
bezeichnet
wird.22
Sie
bildet
ein
Analogon
zu der
neben
Glaube und
Liebe
stehenden
Hoffnung
in
der
"christlichen
Trias." Faust kennt
sehr
wohl
die
Hoffnung
im
positiven
Sinne
wie
auch als
Bestandteil der
christlichen
Trias.
Aber sein
Verhiltnis
zu ihr
ist,
worauf hier nicht
niiher
eingegangen
werden
kann,
meist
negativ,
sei
es,
daf
er
sie
entbehrt,
oder
sie
geradezu
verwirft.
Mit
Recht
hebt
Flitner
hervor,
daf sich
die
spirituelle
Hoffnung
nicht immer
reinlich
von
der
Form,
die er
als
"daimonisch"
ezeichnet,
trennen
liift.
Dies
gilt
u.E.
kaum
von
der
Elpis-Stanze,
wie
Flitner
annimmt
(S.
141,
147),
aber
gewiS
von
Elpore
in
der
Pandora
und
auch sonst fast
immer.
DaB
die
Gestalt
der
"Hoffnung"
im Mummen-
schanz aber
nicht
diese
iiberhaupt
darstellt,
sondern
nur
die
diimonische Furchthoffnung, liegt klar zutage und ist auch in vielen
22Wilhelm
Flitner,
"Elpis. Betrachtungen
iiber
Goethes 'Urworte.
Orphisch',"
Goethe.
Viermonatsschr.
d.
Goethe-Ges.,
IV
(1939),
141;
weiterhin
im Text
zitiert.
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SORGE,
FURCHT UND
HOFFNUNG
131
Faust-Kommentaren
ausdriicklich
hervorgehoben
worden
(z.B.
von
BShm,
Buchwald, Endres,
Petsch,
Erich Schmidt
und
Trunz).
Um-
somehr muf3 das Fehlen eines Sinnes fiir die verschiedenen Formen
der
Hoffnung
bei Goethe
in
dem
sonst
so verdienstvollen
Kommentar
von
Witkowski
befremden,
der
unter Hinweis
auf Karsten
behauptet,
in
den
Versen
5423-40
werde
"nicht
nur
unbegriindete
Hoffnung,
sondern
Hoffnung
iiberhaupt"
dargestellt.23
DafB
Tiirck,
um
seine
Thesen zu
stiitzen,
iiberall
nur
die
Furchthoffnung
zu sehen
vermeint,
selbst
wenn
er
Faust,
V.
640
f.
zitiert,
haben
wir schon
erwaihnt
und
ist
nicht
weiter verwunderlich.
AbschlieBend kbnnen wir mit Daur sagen, daB3Tiirck "ohne
Ahnung
von
der tiefmenschlichen Macht
der
Sorge"
war
(S.
396,
Anmkg.
15).
Er
hielt
sich,
wie die
meisten
Faust-Ausleger,
nur
an
die
Wirkungen
der
Sorge
auf den
von ihr befallenen
Menschen.
Tiirck
hat
die
enge Verbindung
von
Sorge,
Furcht
und
Hoffnung
als
wurzelverwandten
Betaitigungsformen
der
Einbildungskraft
oder
Phantasie
richtig
gesehen.
Wir
glauben
aber
gezeigt
zu
haben,
daB
er
diesen
Zusammenhang
falsch
und
einseitig
auffalte.
Sorge,
Furcht
und Hoffnung sind bei Goethe keineswegs immer Kennzeichen des
Philistergeistes.
Tiirck
hatte
keinen
Sinn
fuir
die
vielgestaltigen
Erscheinungsweisen
der
Hoffnung,
die
er
nur
als
Furchthoffnung
auslegte.
Auch
bei
anderen
Auslegern
konnten wir
Tihnliche
Fehlin-
terpretationen
aufzeigen.
Wenn
wir
auf
Tiircks
Thesen
naiher
eingingen,
so
geschah
das,
weil
sie,
trotz
der
eingehenden
Kritik,
der
sie
in
Burdachs bahn-
brechender
Arbeit "Faust
und die
Sorge"
(s.
Anmkg.
13) unterzogen
wurden,
gerade
in
neuester
Zeit
in der
Faust-Literatur,
etwa bei
Daur,
Hainsel,
Giinther
und
Milch,
wieder
Beachtung
gefunden
haben.24
Dies
hat
Bezug
auf
die
wieder
akut
gewordene Frage,
ob
Fausts
Lebenskurve im Sinne einer wachsenden
Vervollkommnung
zu
deuten
sei,
was von
Tiirck
verneint
wurde,
der
sich
damit als
"Antiperfek-
23
Goethes
Faust,
hrsg.
von
Georg
Witkowski,
9.
Aufl.
(Leiden, 1936),
II,
302.
24
Daur,
Faust
und
der
Teufel,
S.
396, 423, 467, 468,
470;
Ludwig
Hainsel, Goethe. Chaos und Kosmos (Wien, 1949), S. 97 f.; Werner
Giinther,
"Faust
und die
Sorge,"
Bemerkungen
zu
einigen
Stellen
in
Goethes
Faust,
Univ.
de
Neuchatel,
Recueil
de Travaux
publi6
par
la
Fac.
des
Lettres,
Vingt-Quatrieme
Fasc.
(Neuchatel, 1950),
S.
50,
53;
Werner
Milch,
"Wandlung
der
Faustdeutung,"
ZDP,
LXXI
(1951),
23-38
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132
THE
GERMAN
QUARTERLY
tibilist"
(BShm)
erweist. Nach
ihm
unterliegt
Faust
der
Sorge,
wird
also
ein
von
Furcht
und
Hoffnung
beherrschter
Philister,
der als
"Narr der
Hoffnung"
eine
Utopie
vom freien Volk auf
freiem
Grund
entwirft
(S.
59,
64
u.56.).
Diese absurde
These,
die auf der
von uns
abgewiesenen
falschen
Interpretation
des
Verhiiltnisses
von
Sorge,
Furcht und
Hoffnung
beruht,
bietet
keinerlei Stiitze
fiir
den
"Anti-
perfektibilismus,"
zumal
Tiircks
Kritik
an Faust
erst bei der
Begeg-
nung
des
Greises
mit
der
"Sorge"
einsetzt.
University
of
Pennsylvania