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Asymmetrische Neutrinoemission: Ein neues Phänomen inentstehenden Neutronensternen
A new neutrino-emission asymmetry in forming neutron stars
Janka, Hans-Thomas
Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching
Korrespondierender Autor
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Zusammenfassung
Im Zentrum von explodierenden Sternen, sog. Supernovae, entstehen extrem heiße und dichte
Neutronensterne. Erste dreidimensionale Computersimulationen zeigen eine unerwartete, lang anhaltende
Dipolasymmetrie der Neutrinoabstrahlung dieser kompakten Sternleichen. Sollte dieses erstaunliche Ergebnis
der theoretischen Modelle physikalisch real sein, hätte eine solche Emissionsdifferenz in gegenüberliegenden
Halbkugeln weitreichende Konsequenzen für die Entstehung schwerer Elemente in Sternexplosionen und
würde den Neutronenstern durch einen Rückstoß beschleunigen.
Summary
Neutron stars are born as extremely hot and dense objects at the centers of massive stars exploding as
supernovae. They cool by intense emission of neutrinos. Three-dimensional supercomputer simulations at the
very forefront of current modelling efforts reveal the stunning and unexpected possibility that this neutrino
emission can develop a hemispheric (dipolar) asymmetry. If this new neutrino-hydrodynamical instability
happens in nature, it will lead to a recoil acceleration of the neutron star and will have important
consequences for the formation of chemical elements in stellar explosions.
Sterne mit mehr als zirka achtfacher Masse der Sonne beenden ihr Leben in gigantischen Explosionen,
sogenannten Supernovae. Diese spektakulären Ereignisse gehören zu den energiereichsten und hellsten
Erscheinungen im Universum und können eine ganze Galaxie für Wochen überstrahlen. Supernovae sind
wichtige kosmische Quellen schwerer chemischer Elemente. Sie schleudern nicht nur Kohlenstoff, Sauerstoff
und Silizium in den interstellaren Raum, nachdem diese über viele Millionen Jahre im Innern der alternden
Sterne erbrütet wurden, sondern erzeugen im Verlauf der Explosion auch Eisen und noch schwerere Elemente.
Während der Großteil der Sternmaterie durch die Supernova ausgeschleudert wird, kollabiert der Kern des
sterbenden Sterns unter seiner eigenen Schwerkraft zu einem ultrakompakten Überrest, einem
Neutronenstern. Diese wahrlich exotischen Objekte besitzen ungefähr die eineinhalbfache Masse der Sonne,
zusammengequetscht in einer Kugel mit dem Durchmesser Münchens. Die zentrale Dichte in einem
Neutronenstern erreicht unvorstellbare 300 Millionen Tonnen (das Gewicht eines Berges) im Volumen eines
Zuckerwürfels und übersteigt damit die Dichte von Atomkernen.
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Die Materie in entstehenden Neutronensternen ist extrem heiß, die Temperaturen können mehr als 500
Milliarden Grad betragen. Bei derartigen Bedingungen erzeugen Teilchenreaktionen von Neutronen, Protonen,
Elektronen und Positronen (den Antiteilchen der Elektronen) riesige Mengen von Neutrinos. Daher kühlen neu
geborene Neutronensterne durch die Abstrahlung von rund 1058 dieser ungeladenen, fast masselosen
Elementarteilchen, die extrem selten mit irdischer Materie wechselwirken: Nur ein einziges von einer Milliarde
Neutrinos aus einer Supernova (oder von der Sonne, die ebenfalls Neutrinos in einem nuklearen
„Fusionskraftwerk” in ihrem Zentrum erzeugt) kollidiert mit einem Teilchen in der Erde, alle anderen fliegen
ohne eine einzige Wechselwirkung durch die Erde hindurch.
Abb. 1: Entwicklung der asymmetrischen Neutrinoemission imkollabierenden Kern eines Sterns mit 11,2-facher Masse derSonne. Die Ellipsen zeigen die gesamte Oberfläche desentstehenden Neutronensterns (analog zu einer Weltkarte alsebener Projektion der Erdoberfläche). Rot und Gelb bedeuteneinen Überschuss von Elektronneutrinos gegenüberElektronantineutrinos, normiert auf den Mittelwert für alleRichtungen; Blau steht für ein relatives Defizit vonElektronneutrinos. Die Sequenz von Bildern zeigt anfänglichkleinere Variationen zu einer Zeit von 0,148 Sekunden (linkesoberes Bild), die dann nach und nach zu einer deutlichenhemisphärischen (dipolaren) Asymmetrie bei 0,240 Sekundenverschmelzen (rechtes unteres Bild). Der schwarze Kreis unddas Kreuz markieren Emissionsmaximum und -minimum, diedünne, dunkelgraue Linie deutet den Weg der langsamdriftenden Dipolrichtung an.© The American Astronomical Society und Max-Planck-Institutfür Astrophysik / Janka
Neutronensterne emittieren Neutrinos und Antineutrinos aller drei Flavors („Geschmacksrichtungen”), die zu
den drei bekannten Familien geladener Leptonen gehören, nämlich Elektronneutrinos, Myonneutrinos und
Tauneutrinos. Diese Neutrinos sollten nach klassischer Vorstellung in alle Raumrichtungen gleichförmig
abgestrahlt werden, weil Neutronensterne wegen ihrer gewaltigen Gravitationskräfte nahezu perfekt
kugelförmig sind. Die meisten bisherigen Computermodelle für die Neutronensternentstehung haben daher
Kugelsymmetrie angenommen. Erst vor kurzem ist es aufgrund der wachsenden Leistungsstärke moderner
Supercomputer möglich geworden, die ersten dreidimensionalen Simulationen unter Berücksichtigung der
hochkomplexen Neutrinophysik durchzuführen.
Wie erwartet ist die Neutrinoemission zunächst sphärisch, abgesehen von kleineren, über die Oberfläche
verteilten Variationen (Abb. 1, linkes oberes Bild). Diese Variationen entsprechen heißeren und kühleren
Regionen, die durch wildes „Kochen” und Brodeln der heißen Materie in und um den Neutronenstern erzeugt
werden, weil Blasen heißen Gases aufsteigen und Strömungen kühleren Plasmas nach innen sinken (Abb. 2).
Allmählich aber wachsen die Gebiete mit höheren und niedrigeren Temperaturen zu einer hemisphärischen
Anisotropie, sodass eine Halbkugel mehr Neutrinos abstrahlt als die gegenüberliegende Seite. Eine stabile
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Dipolasymmetrie stellt sich ein, die über lange Zeiten erhalten bleibt. Während die Emission aller Neutrinos
zusammen relativ kleine hemisphärische Unterschiede im Prozentbereich aufweist (Abb. 3, oben), kann die
Differenz zwischen den Hemisphären bei Elektronneutrinos und -antineutrinos individuell bis zu 20 Prozent des
mittleren Wertes betragen (Abb. 3, Mitte und unten). Besonders ausgeprägt sind die Richtungsvariationen bei
der Differenz von Elektronneutrinos und -antineutrinos (Abb. 1, rechtes unteres Bild), d. h. bei der
sogenannten Leptonzahlemission.
Abb. 2: Blasen von „kochendem” und brodelndem heißenGas, das den (im Zentrum nicht sichtbaren) entstehendenNeutronenstern umgibt. Trotz der extrem zeitabhängigen unddynamischen Veränderungen der Strömungen heißeraufsteigender Materie und absinkender, kühlerer Materie stelltsich eine hemisphärische Asymmetrie der Neutrinoemissionein, die über viel längere Zeiten als die Lebensdauereinzelner Blasen stabil erhalten bleibt.© The American Astronomical Society und Max-Planck-Institutfür Astrophysik / Janka
Die Möglichkeit einer solchen globalen Anisotropie der Neutrinoabstrahlung war nicht vorhergesagt worden
und ihr Auftreten in den ersten dreidimensionalen Simulationen der dynamischen Entstehung von
Neutronensternen ist ein völlig unerwartetes Ergebnis. Das Phänomen zeigt erstaunliches Verhalten: Trotz
des wilden Brodelns der „kochenden”, heißen Materie, welches rasche Variationen des Strömungsmusters
innerhalb und außerhalb des Neutronensterns zur Folge hat (Abb. 2), bleibt der Unterschied der
Neutrinoemission in beiden Hemisphären über lange Zeiträume stabil bestehen und zeigt nur eine langsame
und moderate Verschiebung der räumlichen Richtung (siehe dünne, dunkelgraue Linie in Abb. 1). Das
Astrophysikerteam gab dem neuen Phänomen daher den Namen „LESA” für Lepton-Emission Self-sustained
Asymmetry (deutsch: sich selbst erhaltende Leptonemissions-Asymmetrie), denn der Emissionsdipol scheint
sich durch komplizierte Rückkopplungseffekte selbst zu stabilisieren und zu erhalten [1]. Die asymmetrische
Neutrinostrahlung beeinflusst den Kollaps des stellaren Kerns, sodass in beiden Hemisphären unterschiedlich
viel Materie auf den Neutronenstern fällt, was die anisotrope Abstrahlung von Neutrinos unterstützt und
verstärkt. Dieses Ergebnis legt nahe, dass der kugelsymmetrische Kollaps eines stellaren Kerns keine stabile
Situation darstellt, sondern das System eine neue, stabile Dipolasymmetrie annehmen möchte.
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Abb. 3: Beobachtbare Asymmetrie der Neutrinoemission,gemittelt über einen Zeitraum von 0,1 Sekunden. Analog zuAbbildung 1 stellen die Ellipsen alle möglichenBeobachtungsrichtungen dar. In den roten Bereichen sehenBeobachter die stärkste Emission, wohingegen in den blauenGebieten minimale Emission empfangen wird. Während derhemisphärische Unterschied der Summe von Elektronneutrinosund -antineutrinos nur im Prozentbereich liegt (oben),betragen die Differenzen bei Elektronneutrinos (Mitte) undElektronantineutrinos (unten) individuell bis zu 20 Prozent desMaximalwerts mit den jeweiligen Extrema in denentgegengesetzen Hemisphären.© The American Astronomical Society und Max-Planck-Institutfür Astrophysik / Janka
Falls LESA wirklich in kollabierenden stellaren Kernen auftritt, hat dieses Phänomen wichtige Folgen für
beobachtbare Erscheinungen bei Supernovaexplosionen. Die vom Neutronenstern abgestrahlten Neutrinos
wechselwirken mit der aus dem innersten Zentrum der Supernova ausgeschleuderten Materie und bestimmen
dabei das Verhältnis von Neutronen und Protonen in diesem Gas. Letzteres ist entscheidend dafür, welche
chemischen Elemente sich dann später in den abkühlenden Ejekta bilden. Eine richtungsabhängige Variation
der Emission von Elektronneutrinos und -antineutrinos wird daher zu unterschiedlicher Elemententstehung in
verschiedenen Richtungen führen. Außerdem tragen die anisotrop abgestrahlten Neutrinos einen Impuls, der
einen entgegengesetzten Rückstoß auf den Neutronenstern verursacht. Wegen der gigantischen Zahl
entweichender Neutrinos genügt bereits eine kleine Asymmetrie von nur einem Prozent, sollte sie über
Sekunden aufrecht erhalten bleiben, um den Neutronenstern auf rund 100 Kilometer pro Sekunde zu
beschleunigen. Auch der Neutrinoblitz, der die Erde von einer zukünftigen galaktischen Supernova erreichen
wird, muss dann von der Beobachtungsrichtung abhängen. Zuverlässige Berechnungen des Signals, das große
Untergrundlabors wie IceCube am Südpol und SuperKamiokande in Japan messen werden, sind daher nur
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[1]
[2]
[3]
unter Berücksichtigung der Richtungsvariationen möglich, die von den neuen dreidimensionalen Modellen
vorhergesagt werden [2, 3].
Jedoch ist die verblüffende neutrino-hydrodynamische Instabilität, die sich im LESA-Phänomen manifestiert,
noch nicht gut verstanden. Viel mehr Forschung ist notwendig, um sicherzustellen, dass es sich nicht um ein
Artefakt der hochkomplexen numerischen Simulationen handelt. Sollte der neue Effekt physikalisch real sein,
stellt er eine Entdeckung dar, die direkt durch den Einsatz modernster Supercomputer bei der Berechnung
eines nichtlinearen Systems ermöglicht wurde, ohne dass dieses Phänomen durch theoretische Überlegungen
zuvor vermutet worden wäre.
Literaturhinweise
Tamborra, I.; Hanke, F.; Janka, H.-Th.; Müller, B.; Raffelt, G. G.; Marek, A.
Self-sustained asymmetry of lepton-number emission: A new phenomenon during the supernova shock-accretion phase in three dimensionsAstrophysical Journal 792, 96 (2014)
Tamborra, I.; Hanke, F.; Müller, B.; Janka, H.-Th.; Raffelt, G.
Neutrino signature of supernova hydrodynamical instabilities in three dimensionsPhysical Review Letters 111, 121104 (2013)
Tamborra, I.; Raffelt, G.; Hanke, F.; Janka, H.-Th.; Müller, B.
Neutrino emission characteristics and detection opportunities based on three-dimensional supernovasimulationsPhysical Review D 90, 045032 (2014)
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