bdew-magazin "streitfragen" - 1/2016

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März 2016 Das Magazin der Energie- und Wasserwirtschaft Streit - - fragen Auf Ideensuche Start-ups im Energiebereich sind begehrte Partner für etablierte Versorger Big Data Ohne Strategie nützen Kundendaten nichts Was passiert, wenn Branchen ihr Kerngeschäft revolutionieren müssen? Wir können auch anders

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Die Energiewende macht im hohen maße Innovationen erforderlich. Spannend ist dabei die Frage, wie Innovationen ihren Weg von der Idee hin zu marktfähigen Produkten finden. Die neue Ausgabe der "Streitfragen" widmet sich u.a. der nicht immer reibungslosen Zusammenarbeit vin innovativen Startups und traditionellen Energieunternehmen.

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Page 1: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

März2016

Das Magazin der Energie- und WasserwirtschaftStreit--

fragen

Auf Ideensuche

Start-ups im Energiebereich sind begehrte Partner für etablierte Versorger

Big Data

Ohne Strategie nützen Kundendaten nichts

Was passiert, wenn Branchen ihr Kerngeschäft

revolutionieren müssen?

Wir können auch anders

Page 2: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

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INTRO Streitpunkt Energie

»Wir schlagen stattdessen vor, auf Sicht zu fahren. Ausschreibungsvolumina sollten nur für die Jahre 2019 und 2020 festgelegt werden.«

Die CDU-Abgeordneten Michael Fuchs, Georg Nüßlein, Joachim Pfeiffer und Thomas Bareiß in einem Brief an Kanzleramtschef Altmaier zur aktuellen Diskussion über die Ausgestaltung des EEG 2016, 18. Januar 2016

INTRO • ENERGIE

2 STREITFRAGEN — März 2016

Page 3: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

»Wenn das so kommt, werden Windausbau und Energiewende praktisch gestoppt.«

INTRO Streitpunkt Energie

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz in NRW

am 22. Januar 2016 via Twitter

ENERGIE • INTRO

3STREITFRAGEN — März 2016

Page 4: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

Zurück auf die Überholspur!Sie nutzen die Lücken im Verkehr: kleine, agile Flitzer und Roller. Sie fahren an den Limousinen vorbei, die sich von ihren sechs Zylindern zufrieden auf der rechten Spur trei‑ben lassen. Klar, die kleinen Flitzer haben keine Tiefga‑rage. Aber auch keine Probleme bei der Parkplatzsuche. Ich bin sicher nicht der Erste, der dieses Bild für den Ver‑gleich traditioneller Energieversorger mit beweglichen klei‑nen Unternehmen nutzt. Aber es passt mehr denn je.

Eines ist uns bereits klar: Die Art, wie wir arbeiten, Wa‑ren produzieren, wie wir leben, wie wir reisen – alles wird sich ändern. Auch die Art und Weise, wie wir Ener‑gie erzeugen und verbrauchen. LED und dezentrale Er‑zeugung sind nur der Anfang einer noch unüberschau‑baren und disruptiven Entwicklung. Digitalisierung bedeutet auch, dass bis 2020 weltweit 212 Milliarden Ge‑räte miteinander und mit Menschen vernetzt sein wer‑den. Wir reden also über eine industrielle Revolution.Aber was macht die Energiebranche daraus? Lange Zeit hat sie sich etwas selbstgefällig, hilflos zurückgezogen. Heu‑te fragt man sich, ob und wie man den Schwung in die neue Welt hinbekommen soll: durch Transformation. Gro‑ße Traditionsunternehmen wie Bosch machen das vor.

Und was machen der Wettbewerb und die kleinen Flitzer in der Zwischenzeit? Sie besetzen ganze Geschäftsmodelle und die Nischen im Portfolio der traditionellen Unternehmen – und damit meine ich sowohl große Konzerne als auch kleine Stadtwerke. Ob beim Datensammeln im Haushalt, beim Ver‑kaufen von Heizungsanlagen oder beim Vernetzen dezen‑traler Erzeugung: Sie sind schon da, sie sind schneller und agiler. Was ist also zu tun, um neue Wege einzuschlagen? Zunächst muss man sich sicher überwinden, die Limousi‑ne gegen mehrere kleine Autos einzutauschen – und wieder ab auf die Überholspur. Eine faire und konstruktive Zusam‑menarbeit mit jungen Unternehmern und Start‑ups eröffnet dazu neue Möglichkeiten. Aber auch innerhalb des eigenen Hauses schlummert enorme Innovationskraft. Wenn man sie lässt. Nicht alle wollen oder können wie Google. Aber Zu‑hören und Mut zum guten alten Unternehmertum sind die Tugenden der Stunde. Wie kommen Sie auf die Überholspur?

THORSTEN MARQUARDT Leiter des :agile-Programms zur Förderung neuer Geschäftsideen bei E.ON

ANSTOSS

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Mehr zum Thema auf streitfragen.de/impulse und im Heft ab Seite 36

4 STREITFRAGEN — März 2016

Page 5: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

ZUKUNFTSSTUDIE • ENERGIESYSTEME

ANSTOSS

Dieser umfassenden Frage widmet sich erstmals die internationale Zukunftsstudie Delphi Energy Future 2040, ein Gemeinschaftsprojekt des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH und PricewaterhouseCoopers (PwC). Welche zentralen Treiber, Akteure und Dynamiken werden die Zukunft der Energiesysteme maßgeblich beeinflussen?

An der Zukunftsstudie waren über 350 Experten aus mehr als 40 Ländern aus allen Bereichen von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik beteiligt. Das Fundament des Delphi Energy Future bilden 56 Zukunftsthesen für das Jahr 2040, die im Rahmen von Experteninterviews entstanden sind und anschließend in zwei weltweiten Befragungsrunden bewertet wurden.

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DELPHI Studie

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ein thema in derLesen Sie dazu auch die

DELPHI StudieDELPHI-Studie

ein thema in derDELPHI-StudieDelphi Energy Future 2040

Wie verändern sich die Energiesysteme in Deutschland, Europa und der Welt bis zum Jahr 2040?

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ein thema in derLesen Sie dazu auch die

DELPHI StudieDELPHI-Studie

ein thema in derDELPHI-Studie

Streitfragen hat für diese Ausgabe einige Thesen aufgegriffen und zeigt damit: Die Ergebnisse der Zukunftsstudie sind bereits für das Hier und Heute relevant.

DIE VOLLSTÄNDIGE STUDIE LIEGT JETZT VOR UND KANN HERUNTER GELADEN WERDEN UNTER: www.delphi-energy-future.com/de

verändern

5STREITFRAGEN — März 2016

Page 6: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 20200

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erreichter Anteil 2014

Entwicklung der installierten Leistung der EEG-Anlagen in Deutschland bis 2020,in MW

Anteil der EE,in Prozent

Ziel der Bundesregierung bis 2020

Kraftstoffe/Verkehr GesamtenergiebedarfStromWärme/Kälte

5,6

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116.7

57

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10100

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10.000 GWh7.500

2.500

Erzeugter Strom aus:• Wasserkraft• Sonnenenergie• Biomasse + sonstige EE• Windenergie

Größenangaben:

HESSEN4.938

Bundesland/RegionGesamte erzeugteEnergie inGigawattstunden (GWh)

BADEN-WÜRTTEMBERG10.951

BAYERN22.449

BERLIN234

NORD-/OSTSEE174

HESSEN2.582

NORDRHEIN-WESTFALEN9.288

NIEDERSACHSEN15.791

BREMEN368

SCHLESWIG-HOLSTEIN6.756

BRANDENBURG8.515

SACHSEN3.114

MECKLENBURG-VORPOMMERN4.027

SACHSEN-ANHALT7.429

SAARLAND506

THÜRINGEN2.742

HAMBURG295

RHEINLAND-PFALZ4.085

DEUTSCHLAND99.306 GWh2010

BADEN-WÜRTTEMBERG14.770

BAYERN32.384

BERLIN387

NORD-/OSTSEE1.449

HESSEN4.938

NORDRHEIN-WESTFALEN15.179

NIEDERSACHSEN24.832

BREMEN644

SCHLESWIG-HOLSTEIN12.083

BRANDENBURG13.371

MECKLENBURG-VORPOMMERN7.622

SACHSEN-ANHALT11.174

SAARLAND1.022

THÜRINGEN4.534

SACHSEN4.928

HAMBURG389

RHEINLAND-PFALZ7.308

DEUTSCHLAND157.014 GWh2014

11.683Sonnenenergie

30.355Biomasse + sonstige EE

19.474Wasserkraft

37.794Windenergie

36.056Sonnenenergie

44.819Biomasse + sonstige EE

18.783Wasserkraft

57.357Windenergie

Erzeugter Strom nach erneuerbaren Energieträgern deutschlandweit,in GWh

Legende:

2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 20200

10

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erreichter Anteil 2014

Entwicklung der installierten Leistung der EEG-Anlagen in Deutschland bis 2020,in MW

Anteil der EE,in Prozent

Ziel der Bundesregierung bis 2020

Kraftstoffe/Verkehr GesamtenergiebedarfStromWärme/Kälte

5,6

12,0

116.7

57

112.2

46

107.2

31

102.3

26

97.0

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77.6

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70.5

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10.000 GWh7.500

2.500

Erzeugter Strom aus:• Wasserkraft• Sonnenenergie• Biomasse + sonstige EE• Windenergie

Größenangaben:

HESSEN4.938

Bundesland/RegionGesamte erzeugteEnergie inGigawattstunden (GWh)

BADEN-WÜRTTEMBERG10.951

BAYERN22.449

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HESSEN2.582

NORDRHEIN-WESTFALEN9.288

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SCHLESWIG-HOLSTEIN6.756

BRANDENBURG8.515

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MECKLENBURG-VORPOMMERN4.027

SACHSEN-ANHALT7.429

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THÜRINGEN2.742

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RHEINLAND-PFALZ4.085

DEUTSCHLAND99.306 GWh2010

BADEN-WÜRTTEMBERG14.770

BAYERN32.384

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HESSEN4.938

NORDRHEIN-WESTFALEN15.179

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BRANDENBURG13.371

MECKLENBURG-VORPOMMERN7.622

SACHSEN-ANHALT11.174

SAARLAND1.022

THÜRINGEN4.534

SACHSEN4.928

HAMBURG389

RHEINLAND-PFALZ7.308

DEUTSCHLAND157.014 GWh2014

11.683Sonnenenergie

30.355Biomasse + sonstige EE

19.474Wasserkraft

37.794Windenergie

36.056Sonnenenergie

44.819Biomasse + sonstige EE

18.783Wasserkraft

57.357Windenergie

Erzeugter Strom nach erneuerbaren Energieträgern deutschlandweit,in GWh

Legende:

Es geht voranDeutschland baut

seine Erneuerbaren Energien aus. Wie

ist der Stand bei der Stromerzeugung? 24

März 2016

SCHLAGZEILEN: 48 TERMINE/IMPRESSUM: 49OUTRO: 50

INTRO: 2ANSTOSS: 4ZAHLEN: 14KONTER: 26

NachwuchsIn der Energiebranche haben Mechatroniker sehr gute Entwick‑lungschancen.

»Störfaktor«Wenn eine Branche ihre Grundlage verliert

Die Debatte um den Ausstieg aus fossilen Energien hält die Energiewirt‑schaft in Atem. Wie haben andere Branchen auf Umbrüche reagiert?

Innovationen in der Ener‑giewirtschaft kommen zum großen Teil von Start‑ups.36

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Streit--fragen

Quecksilber .... . . in den Emissionen von Kohlekraftwerken ist Gegenstand hitziger Diskussionen. Aber der Hinweis auf amerikanische Vorgaben hat Tücken. 32

6 STREITFRAGEN — März 2016

Page 7: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

BodenlastIntensive Landwirtschaft und industrielle Massentierhaltung belasten das Grundwas‑ser. Der Nitrateintrag steigt bedrohlich. 40

Konfuzius hilftWie gelangen wir zur Erleuchtung in der Diskussion um Kohleausstieg und Dekarbonisierung? Machen Sie sich auf den Weg. 30

E-Autos vorAuf der Straße stockt die Ener‑giewende. Noch. Wie kann die Akzeptanz von Elektroautos erhöht werden? 46

Sammeln, aber nach PlanEnergie 4.0 braucht Daten. Um zu wissen, welche Informationen für neue Geschäfts‑modelle wichtig sein können, ist eine exakte Analyse wichtig. 42

16Streitgespräch

Passen Naturschutz und Windkraft zusammen?

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7STREITFRAGEN — März 2016

Page 8: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

Immer wieder müssen Unternehmen aufgrund politischer Entscheidungen oder gesellschaftlicher Entwicklungen ihre Geschäftsgrundlage erneuern.

Gestern hui, heute pfui

Spätestens seit der COP21 in Paris ist die Dekarbonisierung – also der vollständige Verzicht auf die Nut-zung von Öl, Kohle und Gas – das neue Schlagwort der Energiewende. Doch was passiert mit einem Wirt-schaftszweig, dem man die Basis entzieht? Ein Blick in andere Branchen zeigt, dass die Energiewirtschaft nicht allein ist. Auch andere Industrien, vor allem energieintensive wie die Zementherstellung, haben schon bewiesen, dass CO2-Emissionen durch eine Modernisierung der Produktionsprozesse eingespart werden können. Jenseits der Klimadiskussion haben sich auch schon andere Industriebereiche vor die Herausfor-

derung gestellt gesehen, ihre Geschäftsbasis auf neue Fundamente stellen zu müssen. Die Ergebnisse überraschen. Schroffe Brüche können oft auch der Anfang neuer, erfolgreicher Geschäftsmodelle sein.

...

STÖRFAKTOR • DEKARBONISIERUNG

Page 9: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

Stör-faktorMüll brennt auch gut:Zur Zementherstellung wird viel thermische Energie benötigt. Kommt die aus Stein- und Braun-kohle, ist der CO2-Ausstoß be-trächtlich. Was tun? Millionen für Emissionszertifikate ausgeben oder investieren. Die Branche hat un-ter anderem mit dem Einsatz alter-nativer Brennstoffe einen Weg ge-funden, die Emissionen stark zu reduzieren: Altreifen, Altöle, Ge-werbe- und Siedlungsabfälle oder Altholz heizen jetzt überwiegend die Produktion an. Bei mehr als 63 Prozent lag deren Anteil am Brennstoffenergiebedarf 2014. Das bedeutete rund 2,1 Millionen Ton-nen CO2 weniger als im Vorjahr.Fo

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DEKARBONISIERUNG • STÖRFAKTORSTÖRFAKTOR • DEKARBONISIERUNG

9STREITFRAGEN — März 2016

Page 10: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

Eva Leihener-Stefan, Geschäftsleiterin der Marke L’Oréal Paris in Deutschland

»Wir haben bereits Ende der 1980er‑Jahre FCKW in den Haarsprays von L’Oréal Paris ersetzt, mehrere Jahre, bevor dies gesetzlich vorgeschrieben wurde.«

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Für Ihre schönsten Frisuren:Ohne Haarspray ging die moderne, gepflegte Frau nicht aus dem Haus. Doch bereits 1974 warn-ten amerikanische Wissenschaftler, dass die Frei-setzung des in den Haarspraydosen verwendeten Treibgases FCKW (Fluorierte Chlorkohlenwas-

serstoffe) in erheblichem Maße die Ozonschicht angreife und zerstöre. Im Montrealer Protokoll, das heute als Meilenstein im Umweltvölkerrecht gilt, beschlossen die Industrienationen 1987 das Verbot von Fluorkohlenwasserstoffen. Also kein Haarspray mehr? Doch. Durch chemische Alter-

nativen wie Butan, Dimethylether oder Propan konnte die Industrie FCKW in Deos und Haar-sprays problemlos ersetzen. Der Kosmetikkonzern L’Oréal stellte die Produktion seines Kulthaar-sprays Elnett zügig auf FCKW-freie Treibmit-tel um und sicherte sich so seine Marktposition.

STÖRFAKTOR • DEKARBONISIERUNG

10 STREITFRAGEN — März 2016

Page 11: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

Dr. Olaf Berlien, CEO Osram

»Nach der Abspaltung des Geschäfts mit traditionellen Leuchtmitteln machen wir aktuell mehr als die Hälfte unseres Geschäfts mit LED‑Technik.«

Da geht ein Licht auf: 200 Jahre durfte sie leuchten, die Glühlampe. Auf einmal stand sie für Verschwendung: Nur etwa fünf Prozent der Energie wird in Licht um-gewandelt, der Rest als Wärme abgegeben. Das bedeutete das Aus für die Lichtquelle. 2009 hat die EU in einer Ökodesign-Richtlinie die Her-stellung und den Vertrieb von energieintensiven Glühlampen Schritt für Schritt verboten. Damit musste sich die Leuchtmittelindustrie neu er-finden. Heute brennen in den Haushalten vor-wiegend Energiesparlampen und Halogenleuch-

ten. In diesem Jahr kommt nun für die meisten Halogenleuchten das Ende, denn auch die ver-brauchen deutlich mehr Strom als Energiespar- oder LED-Lampen. Speziell Letztere gelten als das Licht der Zukunft, denn sie erzeugen aus we-nig Strom viel Licht und erzielen dank Halblei-terkristallen eine hohe Lichtausbeute. Auch der klassische Glühlampenhersteller Osram hat das LED-basierte Licht stärker in den Fokus gerückt und wird sich von seinem bisherigen Kernge-schäft mit Glüh-, Halogen- und Energiesparlam-pen zum 1. Juli dieses Jahres endgültig trennen.

STÖRFAKTOR • DEKARBONISIERUNG DEKARBONISIERUNG • STÖRFAKTOR

11STREITFRAGEN — März 2016

Page 12: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

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Untergang mit Ansage:Quecksilber-Fieberthermometer waren mehr als 120 Jahre ein Standardprodukt des Gesundheitswesens. Seit Juni 2009 ist laut EU-Verordnung Schluss damit: Quecksilberhaltige Thermometer und Blutdruckmess-geräte dürfen nicht mehr verkauft werden. Das Verbot kam mit einer mehrjährigen Vorankündigung. Die Me-dizintechnik-Branche konnte sich darauf einstellen. Ein-

geklemmt zwischen den strengen Umweltanforderungen und chinesischen Billiganbietern mussten sie an neuen umweltfreundlichen Lösungen für analoge Thermome-ter arbeiten. Wie das Traditionsunternehmen Geratherm: Den Untergang vor Augen, hat man dort monatelang ge-testet und schließlich eine Legierung aus Gallium, Indi-um und Zinn erfunden, die den Eigenschaften des Queck-silbers nahekam. Das analoge Thermometer war gerettet.

Dr. Gert Frank, Geschäftsführer Geratherm Medical

»Wir wollten nicht untergehen! So haben wir alles auf eine Karte gesetzt und an einer neuen um‑weltfreundlichen Lösung für die Thermometrie gearbeitet.«

STÖRFAKTOR • DEKARBONISIERUNG

12 STREITFRAGEN — März 2016

Page 13: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

Gemüse ist mein Fleisch:Der Trend hält an: Wurst und Geschnetzeltes ja, aber ohne Fleisch. Laut Vegetarierbund er-nähren sich rund 7,8 Millionen Deutsche vege-tarisch und 900.000 vegan. Wie reagiert die Fleisch industrie? Mit Alternativen. Mehr als 170 Jahre lang hat der niedersächsische Wurst-produzent Rügenwalder Mühle nur Fleisch-produkte verkauft, eine Metzgerei eben. Nun bedient das Unternehmen auch die fleischlo-se Fraktion und bringt Produkte aus Soja, Eiklar und Rapsöl in die Regale von regulä-ren Supermärkten. Andere Firmen, wie der Geflügelfleischer Wiesenhof, haben neue Produktionslinien mit „Schnitzel“ aus Ge-müse und Weizenproteinen eingerichtet.

Godo Röben, Geschäftsleiter Marketing & PR sowie Forschung & Entwicklung Rügenwalder Mühle

»Wir sehen uns heute als ein modernes Un‑ternehmen, das qualitativ hoch‑wertige Produkte anbietet – ob mit oder ohne Fleisch.«

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DELPHI Studie

DELPHI

ein thema in derLesen Sie dazu auch die

DELPHI StudieDELPHI-Studie

ein thema in derDELPHI-Studie

78 Prozent der Befragten erwarten, dass die Verbraucher im Jahr 2040 umfassende Nachhaltigkeit von Unternehmen, Produkten und Dienstleistungen voraussetzen. www.delphi‑energy‑future.com

DEKARBONISIERUNG • STÖRFAKTORSTÖRFAKTOR • DEKARBONISIERUNG

13STREITFRAGEN — März 2016

Page 14: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

14 STREITFRAGEN —März 2016

FAKTEN • ZAHLEN

wasser marsch!

Preistreiber sind Steuern und Abgaben

Erdgas punktet bei Wärme

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des Strompreises entfällt mittlerweile auf Steuern und Abgaben.

mehr Trinkwasser verbraucht ein US-Amerikaner jeden Tag im Vergleich zum deutschen Durchschnittsbürger.

2006

19,46Cent/kWh

2016 *

28,69 Cent/kWh

USA

Deutschland20 Jahre alt ist die Heizungsanlage von Mehrfamilienhäusern. In Ein- und Zweifamilienhäusern sind sie durchschnittlich 16.

Um 47 Prozent ist der Strompreis für Haushalte seit 2006 vor allem aufgrund der Entwick-lung staatlicher Preisbestandteile gestiegen.

Durchschnittlich

Investitionen der deutschen Wasserwirtschaft (Trinkwasser)(1990 bis 2016 *) in Milliarden Euro: Die hohen Aufwendungen machen sich bezahlt. Deutschland hat mit knapp sieben Prozent die geringsten Wasserverluste in Europa.

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Wohnungen werden mit Erdgas geheizt, gefolgt von Öl (10,8), Fernwärme (5,5) und Strom (1,7). Aber auch Kohle-öfen gibt es noch. Briketts dienen in 300.000 Wohnun-gen zur Wärmeversorgung.

19,3 Mio.

54,1 %

Steuern, Abgaben

24,6 %Regulierte Netzentgelte

21,3 %Strombeschaffung, Vertrieb

Mehrals die Hälfte

1990 1995 2000 2005 2010 2015

2,77

2,32

1,96

2,56 2,55

* Stand: Januar 2016

Page 15: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

15STREITFRAGEN — März 2016

ZAHLEN • FAKTEN

Quecksilber-Belastung aus Kraftwerken sinkt stetig

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1990

Ozeane und Re-Emissio-nen (z.B. Verdunstung)

Verbrennung von Bio - masse (u.a. Waldbrände)

Sonstige natürliche Quellen, Vulkane

NE-Metall- Verarbeitung

Goldgewinnung

Kohlekraftwerke

Abfalllagerungund -behandlung

Zement-herstellung

HerstellungNatronlauge

Sonstige

19,04

11,77

2013

6,96

2.682

810

236

675

400

187

1.850 natürliche Quellen

vom Menschen verur-sachte Emissionen

310

163

214

2,48

Die deutschen Quecksilber-Emissionen in die Luft sind von rund 32 Tonnen im Jahr 1990 auf etwa 10 Tonnen im Jahr 2013 deutlich gesunken.

Die Quecksilber-Emissionen aus Kohlekraftwerken betrugen 2013 5,2 Tonnen. 2014 waren es nach ersten Schätzungen 4,9 Tonnen.

Quecksilber-Emissionen aus der Energiegewinnung unterliegen in Deutschland gesetzlichen Vorgaben (13. BImSchV, 2004), um eine Gesundheitsgefährdung auszuschließen und die Umwelt zu schützen. Seit 1990 wurden diese Emissionswerte um rund 64 Prozent gesenkt.

Globale Quecksilber- Emissionen nach Herkunftsbereichen2008 in Tonnen

Entwicklung der nationalen Quecksilber-Emissionen in Tonnen

Energiewirtschaft(inkl. Raffinerien, Kohlebergbau, Abfallverbren nung u. a.)

Industrie(Feuerungsanlagenund Prozesse)

32,2

10,2

69

31%

-64 %

-79 %

20135,2

%

Page 16: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

„Das ist einfach ein Sündenfall“

Energiewende und Naturschutz dürfen sich nicht ausschließen. Doch gerade in ländlichen Räumen gibt es immer mehr Konflikte.Wie können diese gelöst werden?

Der Ausbau der Erneuerba­ren Energien schreitet immer weiter voran. Vor allem die steigende Anzahl an Wind­kraftanlagen sorgt für Ak­zeptanzprobleme und ruft Naturschützer auf den Plan.

Über mögliche Lösungen diskutieren Olaf Tschimpke, Präsident des Naturschutzbun­des Deutschland (NABU), und Andreas Jung (CDU), Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Konstanz.

Herr Tschimpke, wie viele Vögel sterben jähr-lich an den Folgen des Windkraftausbaus?Olaf Tschimpke: Viele. Es ist nicht leicht, das zu zählen. Es gibt im speziellen Arten-schutz tatsächlich eine ganze Reihe von Problemen, zum Beispiel bei Fledermäu-sen und bestimmten Vogelarten. Das sind Konfliktfelder, mit denen wir uns ausein-andersetzen müssen, aber nicht die einzi-gen. Die Windkraft beeinträchtigt auch das Landschaftsbild.

Der Naturschutz ist also dagegen ...?Tschimpke: Wenn Sie hier einen Konflikt zwischen Naturschutz und Klimaschutz herbeireden wollen: Den gibt es nicht. Kli-maschutz ist allerdings nicht allein der Ausbau der Windenergie, sondern das ist ein Gesamtthema. Das beinhaltet die Leis-tungsfähigkeit der Ökosysteme genauso wie den Ausbau der Erneuerbaren Energien und

die Themen Energiesparen sowie Energie- und Ressourceneffizienz in Gebäuden. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer nur einen Teilaspekt betrachten. Ohne Wälder, Moore, gute Böden – das sind die größten CO2-Speicher überhaupt – wird kein Klimaschutz gelingen. Herr Jung, hat die Energiewende ein Ak-zeptanzproblem vor allem da, wo sie mit Windkraftanlagen und Hochspannungsleitun-gen sichtbar wird, also auf dem Land – und da insbesondere im Süden der Republik, also zum Beispiel bei Ihnen in Konstanz?Andreas Jung: Es gibt eine Diskussion, gewiss. Die habe ich auch im Wahlkreis. Im Landkreis Konstanz ist ein Zusam-menschluss von Stadtwerken und Bürger-energieunternehmen jetzt konkret dabei, einen Standort für eine Windkraftanlage umzusetzen – mit großer Akzeptanz der Gemeinde und der Bürger vor Ort. Ein zweiter Standort ist dagegen sehr um-stritten. Ich habe neulich bei einer Po-diumsdiskussion mit etwa 600 Bürgern ganz klar gesagt, dass Windkraft auch in Baden-Württemberg Standorte braucht. Die Windkraft wird die größte Rolle spie-len unter den Erneuerbaren. Wenn man als Baden-Württemberger nicht will, dass der neue Länderfinanzausgleich heißt, der Norden produziert den Strom, schickt ihn zu uns und wir bezahlen, dann sollte man dafür sein.

Bundesweit bilden sich Bürgerinitiativen, denen der NABU nicht mehr stark genug Front gegen Windkraftanlagen macht. Sind der Na-tur- oder genauer der Artenschutz ein valides Argument gegen den Ausbau der Windkraft, Herr Tschimpke, oder wird es vorgeschoben?Tschimpke: Teilweise wird das sicher ver-mischt. Man will Windkraft nicht als Nach-bar und sucht nach Naturschutzargumenten, auch wenn man sich jahrzehntelang nicht dafür interessiert hat. Wir als Naturschutz-organisation müssen schon aufpassen, dass wir uns nicht vor den falschen Karren span-nen lassen. Wir sind sogar dazu verpflichtet, als Verband für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen einzustehen und im Rah-men der Verbandsklage für das Einhalten der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu sorgen. Das ist nicht immer das, was Bür-gerinitiativen bewegt. Wir als NABU ste-hen dafür ein, dass das Ganze versachlicht wird. Wir stehen zum Leitbild der natur-verträglichen Energiewende und es wird deshalb immer jemanden bei uns im Ver-band geben, der das kritisiert. Das ist der Spannungsbogen, mit dem man leben muss. Deshalb haben wir sehr darum gerungen, das „Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende“ nun endlich im Juni auf den Weg zu bringen. Da wird es Mediatoren geben, die sowohl die speziellen Probleme des Artenschutzes und des Naturschutzes kennen als auch wissen, welche Problemla-gen die Erneuerbaren Energien haben.

Moderation TOM LEVINE

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STREITGESPRÄCH • NATURSCHUTZ VERSUS ERNEUERBARE

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STREITGESPRÄCH • NATURSCHUTZ VERSUS ERNEUERBARE

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»Wir verhindern keine Windener­gie, das könnten wir auch gar nicht.«Olaf Tschimpke

Dem NABU wird vorgeworfen, den Ausbau der Windkraft massiv durch Verbandsklagen zu behindern, Herr Tschimpke. Das ist doch keine Petitesse.Tschimpke: Es ist inzwischen längst unter-sucht worden, wie viele Verbandsklagen es seitens des Naturschutzes in Deutschland gibt. Das Umweltbundesamt hat für den Zeitraum zwischen 2006 und 2012 eine Analyse für große Infrastrukturvorha-ben erstellt: Den mehr als 750 Vorhaben pro Jahr standen insgesamt gerade mal 58 Verbandsklagen aller Umweltverbände ge-genüber, also weniger als zwölf im Jahr. Die Zahlen bei den Windenergievorhaben sind ähnlich. Und dann sind von diesen Klagen etwa 50 Prozent erfolgreich. Das ist doch ein Popanz. Wir haben im letzten und vorletz-ten Jahr einen enormen Ausbau der Wind-energie in Deutschland erlebt. Da muss man doch mal die Kirche im Dorf lassen. Wir verhindern keine Windenergie, das könn-ten wir auch gar nicht, sondern wir lassen überprüfen, ob Planungsverfahren rechts-konform zum Bundesnaturschutzgesetz sind. Das ist ein völlig legitimes Anliegen und im Übrigen ein gesetzlicher Auftrag, den wir haben. Beispiel Offshore-Windpark Butendiek: Das ist einfach ein Sündenfall. Den haben wir von Anfang an bekämpft, weil er mitten in einem der wichtigsten Vo-gelzug- und -rastgebiete liegt und auch für das Thema Schweinswal von erheblicher Be-deutung ist. Oder das Thema Schreiadler in Mecklenburg-Vorpommern, wo wir erfolg-reich geklagt haben: Das ist das wichtigste Populationsgebiet in Deutschland und da muss man eine fachliche Abprüfung auch nach gesetzlichen Normen zulassen.

Herr Jung, wird es immer schwieriger, Flächen für Windkraftanlagen ausfindig zu machen, bei denen weder der NABU noch andere Protagonisten klagen?

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Andreas Jung (li.) und Olaf Tschimpke diskutieren leidenschaftlich, auch am Telefon.

»Klar ist der Vo­gelschutz wichtig. Aber ich plädiere dafür, dass wir kei­ne statische Sicht­weise verfolgen.«Andreas Jung

über viele Jahre den Milan kartiert, kennt man dessen Standorte. Wenn die Länder geschlampt und ihre Naturschutzbehörden abgeschafft haben, sieht das anders aus. Aber auch da muss man die Ausbreitung des Vo-gels belegen können.

Herr Jung, woher nehmen Sie den Optimismus, dass die ehrgeizigen Ziele der Energiewende zu schaffen sind? Jung: Das ist immer mit Anstrengung und Mühe verbunden. Seit ich politisch tätig bin, begleitet uns die Diskussion darüber, ob die Erneuerbaren es schaffen können. Die wer-den eine Nische bleiben, hieß es lange. Wenn wir aber die Fakten nehmen, dann haben wir beim Ausbau der Kapazitäten Fortschritte gemacht, die die Ziele weit übertroffen ha-ben. Auch und gerade im Bereich der Win-denergie. Seit vergangenem Jahr sind die Er-neuerbaren der Energieträger Nummer eins

in Deutschland. Darauf gilt es jetzt aufzu-bauen. Und natürlich bedarf das weiterhin erheblicher Anstrengungen, vor allem beim Leitungsbau und bei Entwicklung und Aus-bau von Speichertechnologien.

Jung: Ich würde es gar nicht an der Frage der Klagen festmachen. Auch so ist es schon schwierig, Flächen zu finden. Es gibt für un-sere Region Untersuchungen, welche Stand-orte hier vom Windangebot her potenziell möglich wären. Das sind ungefähr 20. Wie viele bleiben dann noch übrig, wenn wir al-lein die Frage nach dem Vogelschutz geklärt haben? Eine kleine einstellige Zahl. Ganz viele Standorte scheiden aus, ganz konkret, wegen des Rotmilans. Deshalb plädiere ich dafür, dass wir keine statische Sichtweise verfolgen. Völlig klar ist, dass Vogelschutz wichtig ist. Ich bin aber sehr skeptisch ge-genüber der gegenwärtigen Regelung, die besagt: Wenn irgendwo ein Rotmilan sitzt, dann darf man in einem Radius von einem Kilometer keine Windkraftanlage bauen. Und ich bin noch skeptischer, wenn ich jetzt in dem Helgoländer Papier lese, dass gera-de beim Rotmilan dieser Radius auf Vor-schlag der Länderarbeitsgemeinschaften der Vogelschutzwarten noch einmal aus-geweitet werden soll. Mir haben Experten erklärt, dass ein Rotmilan sich nicht genau in einem Radius von einem Kilometer rund um seinen Horst bewegt, sondern dass er ein bestimmtes Flugverhalten hat. So ori-entiert er sich von seinem Horst am Wald-rand eher in Richtung Offenland und nicht in Richtung Wald. Wenn man die Wiesen rund um die Windkraftanlage nicht mäht, dann könnte das zum Schutz dieses Vogels beitragen. Ich wünsche mir ein weniger sta-tisches Verständnis, ohne den Vogelschutz zu beeinträchtigen.

Wäre die Einzelfallprüfung ein Weg?Tschimpke: Das Helgoländer Papier ist eine Empfehlung, die von den Vogelschutzwarten ausgesprochen worden ist, den zuständigen Fachbehörden für Ornithologie. Trotzdem muss immer in jedem Einzelfall geprüft werden, wie die Situation vor Ort tatsäch-lich ist, und zwar nicht nur in Bezug auf die Windenergie, sondern auch auf die Straßen- oder Bebauungsplanung und so weiter. Und das passiert auch. Das Problem ist oft, dass keine Verlässlichkeit herrscht. Da wird der Korridor, auf den man sich für den Rotmi-lan geeinigt hat, bei der nächsten Planung wieder über den Haufen geworfen.

Wer also keine Windkraftanlage vor der Tür will, beschafft sich halt irgendwo einen Rotmi-lan und setzt den da aus. Ist das so einfach?Tschimpke: Das ist Blödsinn. In einer ver-nünftig ausgestatteten Landesbehörde, die

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NATURSCHUTZ VERSUS ERNEUERBARE • STREITGESPRÄCH

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»Es wird immer von Energiewende geredet, aber ich denke, das Thema Naturverträglich­keit gehört dazu.«Olaf Tschimpke

Andreas Jung und Olaf Tschimpke (re.) mögen verschiedene Ansichten haben, grundsätzlich ziehen sie aber an einem Strang.

versorgung leisten können, müssen sie sich stärker dem Wettbewerb stellen, noch mehr mit marktwirtschaftlichen Instrumenten gefördert werden. Aber wichtig ist, dass die Bürgerbeteiligung dabei erhalten bleibt. Die Erneuerbaren Energien haben den Vorteil, dass sie dezentral sind und nicht nur weni-ge große Konzerne davon profitieren, son-dern viele kleine Unternehmen, Stadtwerke oder Bürgerinitiativen. Für die Akzeptanz vor Ort ist das wichtig. Jedes Projekt ist mit einem Eingriff in die Natur verbunden, da ist es gut, wenn nicht irgendein anonymer Investor dahintersteht, sondern eben auch die Bürger vor Ort, die diesen Eingriff hin-nehmen müssen, profitieren.

Tschimpke: Darf ich an dieser Stelle wi-dersprechen? Wir reden ja nur über den Strommarkt. Das ist aber nicht die Ener-giewende. Wir werden die Klimaschutz-

Und was ist jetzt der nächste Schritt? Jung: Wir stellen die Förderung der Erneu-erbaren Energien ja gerade auf neue Beine, was ich grundsätzlich begrüße. Damit die Erneuerbaren nahezu die gesamte Energie-

ziele nicht erreichen, wenn wir den Ver-kehr, die Landwirtschaft und die Gebäude weiter vernachlässigen. Das leidige Thema steuerliche Abschreibung ist wirklich ein Trauerspiel. Da haben wir die größten Po-tenziale und es passiert nichts. Ich habe nicht so große Sorgen beim Ausbau der Erneuerbaren, aber selbst da müssen wir langsam nachjustieren. Jung: Das sehe ich gar nicht als Wider-spruch, sondern als Ergänzung. In der Tat ist Energieeffizienz, ist Gebäudesanierung der schlafende Riese, den wir endlich we-cken müssen. Die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung haben wir im Bun-destag beschlossen. Aber wir brauchen die Zustimmung der Länder, die jedoch nicht bereit sind, ihren Anteil zu tragen. Die Ener-giewende ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Und dass die Länder sich in dieser Frage verweigern, ärgert auch mich.

Herr Jung, bei Ihnen in Konstanz gibt es keine Rotmilane, aber auch keine Windmasten. Macht es das einfacher, für den Ausbau der Windkraft zu streiten?Jung: Richtig ist: Bei uns im Landkreis Kon-stanz gibt es bisher noch keine Windkraftan-lagen. Es sind aber Projekte in Planung und es gibt Befürworter und auch Gegner. Der Ausbau kommt in ganz Baden-Württem-berg nur schleppend vorankommt. Das liegt unter anderem daran, dass hier von unserer Landesregierung eine verbindliche Regional-planung abgeschafft wurde. Das halte ich für einen Fehler. Mit einer verbindlichen Regi-onalplanung kann festgelegt werden: hier Windkraft, da Naturschutz und dort Land-schaftsschutz. Das muss man möglichst weit im Vorfeld und über Gemeindegrenzen hin-weg tun. Jetzt ist die Planungsfrage als kom-munale Aufgabe verankert worden. Das ist ein großes Problem, weil die Gemeindegren-zen oftmals oben auf dem Berg verlaufen. Das heißt, wenn die eine Gemeinde etwas plant, dann ist die Nachbargemeinde davon genauso und manchmal sogar mehr betrof-fen. Am Planungsverfahren ist sie aber nicht direkt beteiligt. Deshalb ist eine verbindliche Regionalplanung der richtige Weg, um die Anliegen aller Betroffenen und Beteiligten in einem größeren Zusammenhang in Ein-klang zu bringen.

Tschimpke: Da stimme ich voll zu. Bisher wurde immer von Energiewende geredet, aber ich denke, das Thema Naturverträg-

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STREITGESPRÄCH • NATURSCHUTZ VERSUS ERNEUERBARE

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»Die Energie­wende ist eine Gemeinschafts­aufgabe.«Andreas Jung

lichkeit gehört dazu. Und da spielen natür-lich Planungsprozesse eine ganz entschei-dende Rolle. Wir haben überall da große Probleme, wo die Planung kommunalisiert wurde, weil wir Steuerungsmöglichkeiten auf regionaler Ebene einfach aus der Hand gegeben haben. Ich war immer ein großer Gegner davon. Ich komme aus Niedersach-sen. Hier stehen wirklich große Windan-lagen. Und daher weiß ich, was man falsch und was man auch richtig machen kann. Die verbindliche Regionalplanung ist eine der wichtigen Steuerungsinstrumente. Denn wir haben natürlich auch immer Verdrän-gungsprozesse. Wenn man einen Kompro-miss gefunden hat, kann er nicht fünf Jahre später aufgelöst werden. Das zerstört sämt-liches Vertrauen.

Jung: Wir haben auch bei der Photovol-taik noch große Potenziale. Ich bin sehr dafür, dass wir die ausschöpfen – auf Dächern, auf Parkplätzen, auf größeren Gebäudekomplexen.

Und Sie haben keine Probleme mit großen Solaranlagen, die auf den Wiesen gebaut werden?Tschimpke: Na ja, die Debatten, die gab es natürlich auch. Aber da muss man mal die Prioritäten richtig setzen. Ich kann schlicht-weg nicht verstehen, dass es neugebaute Gewerbegebäude ohne Solaranlage gibt. Ich verstehe nicht, warum man das nicht einfach im Baugesetz vorschreiben kann. Wir haben so viele Großflächen, die völlig ohne Solartechnik ausgestattet werden, dass ich mir dann wirklich überlegen würde, ob ich immer in die Freifläche reingehen muss. Probleme mit dem speziellen Artenschutz haben wir jedenfalls bei den Photovoltaikan-lagen nicht. Das ist eher eine Frage des Land-schaftsbildes und des Flächenverbrauchs.

In Norddeutschland sollen viele alte An-lagen durch das Repowering technisch

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»Es ist notwendig, die Fragen der Naturverträglich­keit von vornhe­rein mit einzube­ziehen.«Andreas Jung Diskussionen über die Naturverträglichkeit der Erneuerbaren und die Kosten müssen geführt werden.

Durch das neue Ausschreibungsverfahren wird ja zunächst einmal, jedenfalls in der bisherigen Planung, keine Nord- und Südver-teilung festgelegt. Herr Jung, sind Sie dafür, dass es da doch noch eine Quotierung geben sollte?Jung: Nein, das wäre nicht die richtige Ant-wort. Ich glaube aber schon, dass man bei der Ausschreibung gewisse Aspekte berück-sichtigen muss, die über die Frage der Ka-pazität hinausgehen. Ich bin der Meinung, dass Regionalität und Dezentralität eine Rolle spielen müssen.

Tschimpke: Man könnte auch das Thema Naturverträglichkeit in die Ausschrei bung reinbringen und dann hätte man ein weite-res Steuerungsinstrument.

Wäre Ihnen daran gelegen, Herr Tschimpke?Tschimpke: Natürlich, das zwingt von vorn-herein dazu, sich vernünftig mit den Dingen auseinanderzusetzen. Dass man erst mal die Standorte, die am geeignetsten sind, aus-wählt und sich nicht gleich an dem Stand-ort verkämpft, wo die dichteste Schreiadler-population von ganz Deutschland lebt. Das wird auch steuernd auf die Projektierer ein-wirken und das ist gut so.

Gilt das auch für die Akzeptanz der Bürger vor Ort? Herr Jung sagt, es ist wichtig, dass Bürgerenergiegruppen auch profitieren. Die stimmen einer Anlage zu und dann sagt man ihnen, da gibt es den falschen Vogel.Jung: Es ist notwendig, die Fragen der Na-turverträglichkeit von vornherein mit ein-

aufgerüstet werden. Zementiert das aber nicht die Vormacht der Region im Bereich der Windenergie? Und damit auch die Notwendigkeit, große Stromtrassen zu bauen, die wiederum ein starker Eingriff in die Natur sind?Tschimpke: Windenergie richtet sich ja nach der Windhöffigkeit und da wird es immer einen gewissen Vorsprung in Nord-deutschland geben. Trotzdem brauchen wir auch einen Ausbau im Süden. Das müssen wir mit kluger Förderpolitik unterstützen. Trotzdem werden wir nicht um den Lei-tungsausbau von Nord nach Süd kommen. Das sehen alle so. Allein schon aufgrund der Offshore-Technologie im Meer. Das muss man einfach ins Kalkül ziehen. Ich bin aber schon dafür, dass man die Poten-ziale im Süden nutzt und das auch mit ei-ner vernünftigen Förderpolitik unterstützt. Wir müssen sehen, dass wir eine sinnvolle Struktur hinbekommen.

Jung: Wir müssen im gesamten Bundesge-biet sehen, dass wir den Ausbau so steuern, dass wir unsere Ziele erreichen und aber eben nicht überkompensieren. Sie erinnern sich an Peter Altmaier als Umweltminister. Er hat mal alle Bundesländer bereist und die Ministerpräsidenten nach ihren Aus-bauzielen gefragt. Danach hat er die Ka-pazitäten ausgerechnet. Das Ergebnis war dann etwa das Doppelte des Ausbauziels des Bundes. Dass wir deshalb eine Gesamt-steuerung brauchen, ist ja unbestritten. Diese Sorge steht aber im Widerspruch zur vorher genannten, dass die Ziele nicht erreicht werden könnten. Und aus genau dem Grund haben wir uns in der Koalition darauf verständigt, Ausbauziele nicht nur abstrakt zu formulieren, sondern konkret durch Korridore umzusetzen.

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Kommentare zum Thema auf streitfragen.de/debatten

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ein thema in derLesen Sie dazu auch die

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Zwei Drittel glauben, dass dezentrale Ener-giesysteme im Jahr 2040 neue Entwicklungsper-spektiven für ländliche Räume bieten. www.delphi-energy-future.com

»Der NABU hat sich massiv in Pro­jekte eingebracht. Es ist ja nicht so, dass überall ge­stritten wird.«Olaf Tschimpke

zubeziehen. Und so etwas ist ja durchaus im Ausschreibungsverfahren möglich. Ich will an der Stelle noch mal auf ein anderes The-ma hinweisen. Wir haben vereinbart, dass es beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit eine Clearingstelle geben soll, um solche Fragen frühzeitig zu behandeln. Wenn vor Ort Fragen auftauchen, soll Expertise vor-handen sein und ein Erfahrungsaustausch mit anderen Regionen möglich werden. Wir hoffen, dass dann vieles an Konflikten früh-zeitig ausgeräumt werden kann, weil wir feststellen, dass es in manchen Regionen viele Diskussionen und im wahrsten Sinne des Wortes Gegenwind gibt und in anderen weniger. Und man kann besser voneinan-der profitieren und vieles frühzeitig klären.

Tschimpke: Das Kernteam dieser Clea-ringstelle, das „Kompetenzzentrum Natur-schutz und Energiewende“, ist schon gebildet. Und im Wesentlichen geht es jetzt darum, Mediatoren zu finden. Ich verspreche mir davon eine ganze Menge. Man muss dann fachlich argumentieren und kann nicht nur emotional auftreten. Das ist ein wichtiger Schritt vorwärts. Auch der Vogelschutz muss dann seine Argumente fachlich belegen. Und bei Anlagen für Erneuerbare muss genau angegeben werden, warum dieser Standort geeignet ist und ein anderer nicht und wie das Landschaftsbild sich verändern würde. Das ist schon mal eine wichtige Vorausset-zung für eine gleiche Gesprächsebene, auf der man sich dann am Ende vielleicht auch verständigen kann.

Thema Netzausbau. Der hat für den Vogel-schutz eine große Bedeutung. Es gibt aber auch ein massives Akzeptanzproblem. Wind-kraftanlagen sind das eine, aber so eine

380-Kilovolt-Leitung ist noch mal ein ande res Thema. Wird das ein schwelender Konflikt werden zwischen betroffenen Regionen und denen, an denen dieser Kelch vorbeigeht?Tschimpke: Na ja, auch da muss man un-terscheiden zwischen dem Konflikt Natur-schutz und Netzausbau und den Bürgern, die solch ein Netz nicht vor ihrer Haustür haben wollen. Es gibt fachlich fundierte Empfeh-lungen, wo Freileitungen nicht durchführen sollten und welche Vogelschutzmarkierun-gen man anbringen sollte, damit Kraniche oder Schwäne nicht mit den Leitungen kol-lidieren. Der Vogelschutz wird auch bei den vielen neuen Leitungsbauprojekten schon auf früher Planungsebene ernst genommen. Aber da jetzt über Erdkabel debattiert wird, kann man viele Konflikte auch entschärfen. Tatsächlich hat sich der NABU massiv mit verschiedenen Projekten eingebracht. Es ist ja nicht so, dass überall gestritten wird. In Schleswig-Holstein hat es eine sehr inten-sive Auseinandersetzung um Stromleitun-gen gegeben. Man hat sich gemeinschaftlich geeinigt, und das in einer Region, die nun wirklich schon viele Windanlagen hat. Das zeigt, dass ein vernünftiges Miteinander möglich ist. Aber es gibt natürlich auch ei-nen gewissen Gewöhnungseffekt. Wenn man schon 20 Jahre mit Windanlagen gelebt hat, dann haben Sie ein anderes Bild, als wenn das jetzt ganz neu auf Sie zukommt. Das wird nicht ohne Konflikt gehen. Das wissen wir doch alle. Wir müssen versuchen, auf einer sachlichen Ebene zusammenzukommen.

Herr Jung, Sie bekommen in Ihrer Partei von einigen Skeptikern Gegenwind, wenn es um den Ausbau der Erneuerbaren Energien geht. Glauben Sie, dass bei noch stärkeren Umwelt- und Naturschutzauflagen und stei-genden Energiepreisen die Akzeptanz in der Öffentlichkeit anhält?Jung: Wir haben Beschlüsse auf dem Bun-desparteitag gefasst, die hat auch die Re-gierung gefasst, und wir haben sie im Ko-alitionsvertrag stehen: Die Erneuerbaren Energien sind die Zukunft und wir wollen die Stromversorgung auf Erneuerbaren Energien aufbauen. Trotzdem müssen wir die Akzeptanzproblematik diskutieren. Natürlich gibt es theoretisch Alternati-ven. Die eine ist die Kernenergie – die hat die Akzeptanz verloren und wir steigen zu Recht aus. Dann ist da die Kohle. Da ist die Akzeptanz regional unterschiedlich. Aber wegen unserer Klimaziele kann sie

über 2050 hinaus keine Alternative sein. Und Fracking ist auch nicht wirklich eine Option. Das heißt, der Weg hin zu regene-rativen Energien ist klar. Trotzdem ist die Akzeptanz nicht automatisch da. Und des-halb müssen wir die Diskussionen über die Naturverträglichkeit und über die Kosten führen. Da haben wir mit den Beschlüssen in der Großen Koalition vieles auf den Weg gebracht in Richtung mehr Wettbewerb, in Richtung Marktwirtschaftlichkeit. Auch die Entscheidung für eine Erdverkabelung in bestimmten Gebieten wird die Akzep-tanz erhöhen. Ich erhoffe mir davon auch eine Beschleunigung des Netzausbaus. Es handelt sich dabei zugegeben um eine teure Maßnahme und auch das ist ein Eingriff, aber ein viel geringerer als Strommasten. Natürlich muss jeweils im Einzelfall geprüft werden, welche Auswirkungen die Erdka-bel unter der Erde auf den Naturschutz ha-ben. Wir führen diese Diskussion manch-mal so, als bräuchte man nur Energienetze, weil wir auf Erneuerbare setzen. Auch für andere Energieträger bräuchten wir Netze, wenngleich es natürlich manchmal ande-re wären. Die teuersten Netze sind die, die man nicht baut!

Tschimpke: Vielleicht muss man an der Stelle auch mal fair sein. Wir wissen alle, dass wir jetzt natürlich einen großen In-vestitionsschub auch durch Erneuerbare haben, was zwangsläufig auch zu Kosten-steigerungen führt. Das wird auf Dauer aber nicht so bleiben. Es ist eine Investiti-on in die Zukunft und deswegen haben wir ja auch immer zum EEG gestanden. Wir hätten diesen Technologiefortschritt sonst nicht hinbekommen.

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STREITGESPRÄCH • NATURSCHUTZ VERSUS ERNEUERBARE NATURSCHUTZ VERSUS ERNEUERBARE • STREITGESPRÄCH

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Erzeugter Strom aus:• Wasserkraft• Sonnenenergie• Biomasse + sonstige EE• Windenergie

Größenangaben:

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Bundesland/RegionGesamte erzeugteEnergie inGigawattstunden (GWh)

BADEN-WÜRTTEMBERG10.951

BAYERN22.449

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NORD-/OSTSEE174

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NORDRHEIN-WESTFALEN9.288

NIEDERSACHSEN15.791

BREMEN368

SCHLESWIG-HOLSTEIN6.756

BRANDENBURG8.515

SACHSEN3.114

MECKLENBURG-VORPOMMERN4.027

SACHSEN-ANHALT7.429

SAARLAND506

THÜRINGEN2.742

HAMBURG295

RHEINLAND-PFALZ4.085

DEUTSCHLAND99.306 GWh2010

BADEN-WÜRTTEMBERG14.770

BAYERN32.384

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NORD-/OSTSEE1.449

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NORDRHEIN-WESTFALEN15.179

NIEDERSACHSEN24.832

BREMEN644

SCHLESWIG-HOLSTEIN12.083

BRANDENBURG13.371

MECKLENBURG-VORPOMMERN7.622

SACHSEN-ANHALT11.174

SAARLAND1.022

THÜRINGEN4.534

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RHEINLAND-PFALZ7.308

DEUTSCHLAND157.014 GWh2014

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37.794Windenergie

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Erzeugter Strom nach erneuerbaren Energieträgern deutschlandweit,in GWh

Legende:

ENERGIE-WENDE

Spätestens in 20 Jahren soll Energie aus erneuerbaren Quellen die Stromver-sorgung dominieren. Ihr Anteil bei der Wärmeversorgung und im Verkehrssek-tor wird zunehmen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Europäische Union mit ihren Mitgliedsländern konkrete Ziele zum Ausbau der regenerativen Energie-träger festgelegt. Die Bundesregierung

hat beschlossen, dass bis zum Jahr 2025 zwischen 40 und 45 Prozent des im Land verbrauchten Stroms aus Erneuerbaren Energien produziert werden sollen. Wei-tere zehn Jahre später sollen es 55 bis 60 Prozent sein. Die Grafik zeigt die Ent-wicklung des Ausbaus der Erneuerbaren seit 2010, sie gibt Aufschluss über den Status quo und bietet einen Ausblick.

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KARTE • AUSBAU ERNEUERBARER ENERGIEN

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Ziel der Bundesregierung bis 2020

Kraftstoffe/Verkehr GesamtenergiebedarfStromWärme/Kälte

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Erzeugter Strom aus:• Wasserkraft• Sonnenenergie• Biomasse + sonstige EE• Windenergie

Größenangaben:

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Bundesland/RegionGesamte erzeugteEnergie inGigawattstunden (GWh)

BADEN-WÜRTTEMBERG10.951

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AUSBAU ERNEUERBARER ENERGIEN • KARTE

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KONTER • KOHLEAUSSTIEG

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Dr. Patrick GraichenDer Volkswirt und Politikwissenschaftler

ist seit Januar 2014 Direktor von Agora Energiewende. Der Thinktank erarbeitet

Konzepte für den Umbau der Energieversorgung.

Michael VassiliadisDer 52-Jährige ist Vorsitzender der IG Bergbau,

Chemie, Energie und zuständig für die Gesamtleitung. Er setzt sich für eine

Energiewende ohne Strukturbrüche ein.

Die energiepolitischen Trends des Jahres 2015 sind eindeutig: G7-Gipfel von Elmau, Klimakonferenz von Paris, Dauer-Smogalarm in Peking und Delhi, globale Durchbrüche bei Wind- und Solarenergie, wärmstes Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnun-gen, stark anwachsende Divestment-Bewegungen, dramatische Kursverluste bei Kohle-, Öl- und Gas-förderern … das alles zeigt in eine Richtung: die Dekarbonisierung ist das Paradigma der Energie-

Wie gut, dass wir in Deutschland mit der Energiewende bereits klare Ziele haben. Zum Beispiel eine Strom erzeugung, die bis 2050 zu 90 bis 95 Prozent auf erneuerbarer Basis erfolgen soll.

Beginnt der Ausstiegswettlauf?

Das Agora-Konzept zur schrittweisen Dekarbonisierung des Stromsektors ist umstritten. Die Industriegewerkschaft Bergbau,

Chemie, Energie weist den Vorschlag entschieden zurück.

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KOHLEAUSSTIEG • KONTERKONTER • KOHLEAUSSTIEG

Hat ja auch noch nie irgendjemand behauptet.

Nämlich drastische Stilllegungen, tausendfacher Arbeitsplatzabbau und brutaler Strukturbruch. Alles Effekte einer Strategie, die Braunkohle unwirtschaftlich zu machen.

Kleine Zwischenfrage: Wie wirkt das auf Wettbewerbsfähigkeit und Investitionen der Industrie? Gas ist siebenmal so teuer.

Leider nur ein grüner My thos. 25 Milliarden Euro Subvention allein 2015, über 20 Jahre insgesamt 480 Milliarden: Wer will sich das außer Deutschland heute leisten?

Die alle derselben falschen Strategie folgen. Statt willkürlichem Abschalten brauchen wir Antworten auf die offenen Fragen der Energiewende: Wann kommen die Leitungen, wie speichern wir volatilen Strom, wer bezahlt die ganze Party?

Schade, dass weder die bisherigen Ziele beim Elektroauto noch bei der energetischen Gebäudesanierung auch nur annähernd erreicht sind.

Aber weltweit steigen die CO2-Emissionen weiterhin, nach allen Prognosen über 2030 hinaus. Dem deutschen Vorbild mit den härtesten Klimazielen scheint bislang niemand begeistert zu folgen.

wirtschaft der kommenden Jahrzehnte. Durch Kli-mawandel und Luftverschmutzung wird die Politik förmlich zum Handeln gezwungen. Und weil Er-neuerbare Energien immer billiger werden, ist die Dekarbonisierung im Gegensatz zu früher heute auch wirtschaftlich darstellbar. Das gilt weltweit, in Europa und natürlich auch für Deutschland.

Dem Stromsektor kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, denn die Dekarbonisierung von Wärme und Verkehr wird – neben einer deutlichen Steigerung der Effizienz – darüber erfolgen, dass diese Sektoren elektrifiziert werden. Die Integrati-on der Energiesektoren eröffnet insofern viele neue Geschäftsfelder, ändert jedoch nichts daran, dass die CO₂-Emissionen des Stromsektors schnell sin-ken müssen.

Deutschland kann nicht Energiewendeland sein und Kohleland bleiben. Wie ein solcher Struk-turwandel ausgewogen im Sinne aller Beteilig-ten geschehen kann, hat Agora Energiewende in elf Eckpunkten ausgeführt. Unser Vorschlag für einen Kohlekonsens 2040 baut auf den Erfahrun-gen des Atomkonsenses auf. Er ist wesentlich da-von bestimmt, Planungssicherheit und Verläss-lichkeit zu gewährleisten – und zwar in all ihren zahlreichen Facetten: Die betroffenen Unterneh-men und Beschäftigten wissen endlich, was auf sie zukommt, und können vorausschauend pla-nen. Die restliche Energiewirtschaft hat ebenfalls Sicherheit und kann auf dieser Basis ihre Kraft-werke optimieren und neue Anlagen planen. Das vorgeschlagene Instrument der Restlaufzeiten löst die geringsten Verteilungswirkungen aus, gleich-zeitig ermöglicht ein neuer Strukturwandelfonds den betroffenen Regionen, eine neue Wirtschafts-struktur aufzubauen.

Und was längst auf dem Weg ist.

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KONTER • KOHLEAUSSTIEG

Die elf Eckpunkte haben bereits einige Diskussionen ausgelöst. So wurde behauptet, mit ihnen wäre die Versorgungssicherheit Deutschlands in Gefahr. Das ist natürlich Unsinn: Wie die Berechnungen der Gut-achter von enervis zeigen, stehen auch in der Trans-formationsphase jederzeit genügend Kraftwerkska-pazitäten zur Verfügung. Auch die Behauptung, dass erst viele neue Stromspeicher nötig seien, bevor der Kohleausstieg erfolgen könne, ist falsch. Alle Unter-suchungen zum Thema Stromspeicher kommen zu dem Ergebnis, dass diese erst ab einem Anteil von 70 bis 80 Prozent Erneuerbare Energien wirklich ge-braucht werden.

Der Agora-Vorschlag ist ein Angebot – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wer es ausschlägt, sollte die Alternativen klar vor Augen haben. Es wäre naiv und wirklichkeitsfremd, darauf zu setzen, dass es beim Thema Kohle noch ewig so weitergeht wie bisher, mit einem CO₂-Preis von unter zehn Euro und keinerlei nationalen Instrumenten. Realistischer ist vielmehr eine jahrelange Auseinandersetzung, eine daraus fol-gende anhaltende Investitionsunsicherheit – und am Ende eine wie auch immer geartete spontane Politik-entscheidung. Ob das besser ist? Ich bezweifle es.

ELF ECKPUNKTE FÜR E INEN KOHLEKONSENS:

DER RAHMEN

1 Zeitnahe Einberufung eines „Runden Tischs Nationaler Kohlekonsens“2 Schrittweiser, gesetzlich geregelter Ausstieg aus

der Kohleverstromung bis zum Jahr 2040

DER KOHLEAUSSTIEG IM

KRAFTWERKSPARK

3 Kein Neubau von Stein- und Braunkohlekraft werken

An nationalen Instrumenten fehlt es in Deutschland nicht, wohl aber an europäischer Koordination.

Agora selbst sagt: Dafür brauchen wir 40 neue Großkraftwerke, die Gas verfeuern. Wer soll die bauen? Und wer bezahlt die zwingend folgende Preisexplosion?

Abschalten als deutsche Kernkompetenz? Nein danke!

Reines Wunschdenken! Wie soll das klappen, wenn auch Verkehr und Wohnen mit Erneuerbaren versorgt werden – und der Wind nicht weht?

Der allein der Logik eines grünen Thinktanks folgt.

Ein Angebot, auf das wir gerne verzichten!

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29STREITFRAGEN — März 2016

KOHLEAUSSTIEG • KONTERKONTER • KOHLEAUSSTIEG

4 Festlegung eines kosteneffizienten Abschalt-plans der Bestands-Kohlekraftwerke auf Basis von Restlaufzeiten mit Flexibilitätsoption in den Braunkohlerevieren5 Verzicht der nationalen Politik auf zusätzliche

Klimaschutzregelungen für Kohlekraftwerke über den vorgeschlagenen Abschaltplan hinaus

DER KOHLEAUSSTIEG IN DEN

BRAUNKOHLEREGIONEN

6 Kein Aufschluss weiterer Braunkohletagebaue und Verzicht auf Einleitung neuer Umsiedlungsprozesse7 Finanzierung der Folgelasten von Braunkohle-

tagebauen über eine Abgabe auf die künftig noch geförderte Braunkohle8 Aktive Gestaltung und dauerhafte finanzielle

Absicherung des ausstiegsbedingten Strukturwandels über einen Strukturwandelfonds

DER KOHLEAUSSTIEG IN WIRTSCHAFT

UND GESELLSCHAFT9 Gewährleistung der gewohnt hohen

Versorgungssicherheit über den gesamten Transformations zeitraum10 Stärkung des europäischen Emissionshandels und zeitnahe Stilllegung der im Zuge des Ausstiegs aus der Kohleverstromung frei werdenden CO₂-Zertifikate11 Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland und der energieintensiven Industrie während der Transformationsphase

Agora unterschätzt systematisch alle Kosten des eigenen Konzepts. Sonst wäre es auch nicht haltbar.

Wie wäre es, erst einmal die Erneuerbaren effizient und marktfähig zu machen? Der Rest folgt dann fast von alleine.

Mit EU-Recht gar nicht zu vereinbaren.

Durch Garantie wettbewerbsfähiger

Preise? Das glaubt doch kein Mensch.

Der nächste Preisschub.

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DELPHI Studie

DELPHI

ein thema in derLesen Sie dazu auch die

DELPHI StudieDELPHI-Studie

ein thema in derDELPHI-Studie

56 Prozent glauben, dass im Jahr 2040 trotz wirtschaftli-cher Krisen weltweit die ökologischen Ziele wichtiger als Wachstum und Beschäftigung sein werden. www.delphi-energy-future.com

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Die sechs Stufen auf dem Pfad der Erleuchtung

Wie finden wir die richtigen Schritte

in Richtung Dekarbo

nisierung?

Schon Konfuzius sagte: Über das Ziel hinausschießen ist ebenso schlimm wie nicht ans Ziel kommen! Was müssen wir bedenken und diskutieren, bevor ein Plan für die Dekarbonisierung entstehen kann? Denn wer heute schon weiß, wie es geht, der wandelt im Dunkeln ...

offne dich der Wahrheit und

du wirst erwachen zu Freiheit,

Klarheit und Freude am Sein.

Jede grosse Reise beginnt mit

einem kleinen Schritt.

Du kannst den Hahn

zwar einsperren, aber die

Sonne geht doch auf.

Ein guter Vogel wahlt den

Baum aus, auf dem er rastet.

Niemand ist weiter von der

Wahrheit entfernt als derjenige,

der alle Antworten weiss.

Wenn ihre Zeit gekommen ist,

platzen die Pfirsiche im Schatten.

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Jede Diskussion über die CO2-Reduzierung in der Stromerzeugung muss damit begin-nen, die schon vorgegebenen nationalen Ziel-setzungen zu betrachten. Das Problem: Für den Stromsektor gibt es kein verbindliches Treibhausgas-Minderungsziel. Eine mögliche Grundlage dafür könnte das Energiekonzept der Bundesregierung aus dem Jahr 2010 sein. Die hier benannten Ziele sollen im Klima-schutzplan 2050 festgeschrieben werden. In Anlehnung daran könnte der Stromerzeu-gung eine anteilige CO2-Reduzierung zu-geordnet werden.

offne dich der Wahrheit und

du wirst erwachen zu Freiheit,

Klarheit und Freude am Sein.

Jede grosse Reise beginnt mit

einem kleinen Schritt.

Du kannst den Hahn

zwar einsperren, aber die

Sonne geht doch auf.

Ein guter Vogel wahlt den

Baum aus, auf dem er rastet.

Niemand ist weiter von der

Wahrheit entfernt als derjenige,

der alle Antworten weiss.

Wenn ihre Zeit gekommen ist,

platzen die Pfirsiche im Schatten.

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Die Rolle des europäischen Emissionszer-tifikatehandels (ETS) muss in einem weite-ren Schritt untersucht werden. Das gilt vor allem für die Effekte auf die deutsche Stro-merzeugung und ihre CO2-Emissionen. Die Auswirkungen des reformierten ETS nach 2020 inklusive der Marktstabilitätsreserve sind hier ausschlaggebend.

offne dich der Wahrheit und

du wirst erwachen zu Freiheit,

Klarheit und Freude am Sein.

Jede grosse Reise beginnt mit

einem kleinen Schritt.

Du kannst den Hahn

zwar einsperren, aber die

Sonne geht doch auf.

Ein guter Vogel wahlt den

Baum aus, auf dem er rastet.

Niemand ist weiter von der

Wahrheit entfernt als derjenige,

der alle Antworten weiss.

Wenn ihre Zeit gekommen ist,

platzen die Pfirsiche im Schatten.

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Auch alle anderen Sowieso-Entwicklun-gen gilt es zu betrachten und zu analysieren. Zum Beispiel den Ausbau der Erneuerbaren Energien gemäß EEG, die Modernisierung des Kraftwerksparks und das betriebswirt-schaftliche Ausscheiden von Kraftwerken. Der Stromverbrauch, die Entwicklung der Brennstoffpreise und die deutsche Handels-bilanz sind weitere CO2-Einflussfaktoren.

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30 STREITFRAGEN — März 2016

SPIEL • DEKARBONISIERUNG

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offne dich der Wahrheit und

du wirst erwachen zu Freiheit,

Klarheit und Freude am Sein.

Jede grosse Reise beginnt mit

einem kleinen Schritt.

Du kannst den Hahn

zwar einsperren, aber die

Sonne geht doch auf.

Ein guter Vogel wahlt den

Baum aus, auf dem er rastet.

Niemand ist weiter von der

Wahrheit entfernt als derjenige,

der alle Antworten weiss.

Wenn ihre Zeit gekommen ist,

platzen die Pfirsiche im Schatten.

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In einem weiteren Schritt müssen die Auswir-kungen von zusätzlichen nationalen klimapo-litischen Instrumenten untersucht werden. Dazu gehören vornehmlich marktorientierte, aber auch ordnungsrechtliche Instrumente, wobei unterschiedliche Perspektiven und Kriterien herangezogen werden. Auch die Wechselwirkungen mit anderen Sektoren und dem ETS werden hier mitbetrachtet.

offne dich der Wahrheit und

du wirst erwachen zu Freiheit,

Klarheit und Freude am Sein.

Jede grosse Reise beginnt mit

einem kleinen Schritt.

Du kannst den Hahn

zwar einsperren, aber die

Sonne geht doch auf.

Ein guter Vogel wahlt den

Baum aus, auf dem er rastet.

Niemand ist weiter von der

Wahrheit entfernt als derjenige,

der alle Antworten weiss.

Wenn ihre Zeit gekommen ist,

platzen die Pfirsiche im Schatten.

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Es braucht in der Debatte um die Dekarbo-nisierung einen strukturierten Dialog. Die-sen zu initiieren ist Aufgabe der Politik. Der BDEW steht seit Sommer 2015 dafür bereit und beschäftigt sich bereits intern mit struk-turverträglichen Strategien. Es muss klar sein, dass ein offener Dialog nicht ein Koh-leausstiegsdatum vorwegnehmen kann und damit unnötigerweise Spielräume verengt.

offne dich der Wahrheit und

du wirst erwachen zu Freiheit,

Klarheit und Freude am Sein.

Jede grosse Reise beginnt mit

einem kleinen Schritt.

Du kannst den Hahn

zwar einsperren, aber die

Sonne geht doch auf.

Ein guter Vogel wahlt den

Baum aus, auf dem er rastet.

Niemand ist weiter von der

Wahrheit entfernt als derjenige,

der alle Antworten weiss.

Wenn ihre Zeit gekommen ist,

platzen die Pfirsiche im Schatten.

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Der strukturierte Dialog zwischen der Poli-tik und den Beteiligten aus Wirtschaft und Gesellschaft wird geführt.

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DEKARBONISIERUNG • SPIEL

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MEINUNG • QUECKSILBER-EMISSIONEN

wollen. Immerhin: Ab 2019 sollen wenigstens etwas strengere Quecksilber-Grenzwerte in der gesamten EU gelten. Diese werden aber immer noch 2,5- bis 6,7-fach höher sein als in den USA.

Dabei gibt es schon heute Techniken für die Reduzierung von bis zu 85 Prozent des Quecksilber-Ausstoßes, wie eine Studie von Ökopol im Auftrag der Grünen-Bundestags-fraktion belegt. Doch aus Kostengründen wird darauf verzichtet. Es ist unverständlich, weshalb die USA – wahrlich kein Hort des Klimaschutzes – strengere Grenzwerte als der vermeintliche Umweltschutz-Vorreiter Deutschland hat. Die Studie zeigt zudem auf, dass bei Anwendung der US-Grenzwer-te fast alle der 53 meldepflichtigen Kohle-kraftwerke in Deutschland nicht am Netz bleiben könnten.

Die Bundesregierung muss hier endlich handeln: Union und SPD dürfen die ge-sundheitlichen Folgen der massiven Queck-silber-Emissionen nicht länger zugunsten der Kohleverstromung ignorieren. Neben dem Klimaschutz sind Gesundheitskosten durch Quecksilber-Emissionen weitere Ar-gumente, weshalb Deutschland noch stärker auf Erneuerbare Energien und Energieeffi-zienz setzen muss. Auch deshalb brauchen

Die Verstromung von Kohle ist nicht nur die klimaschädlichste Form der Stromerzeugung, son-dern durch den Ausstoß etlicher Schadstoffe auch gesundheitsge-fährdend. Durchschnittlich sie-

ben Tonnen des hochgiftigen Quecksilbers stoßen deutsche Kohlekraftwerke jährlich aus. Das Gift lagert sich vor allem in Ge-wässern ab. Schon heute werden regelmä-ßig lebensmittelrechtliche Grenzwerte in Schwertfisch, Thunfisch, Aal und anderen großen, älteren Fischen überschritten. Über die Nahrungskette gelangt es auch in den menschlichen Organismus. Wissenschaft-liche Studien belegen: Quecksilber führt bei Ungeborenen und Kleinkindern zu Schäden bei der Gehirnausbildung und bewirkt ver-minderte Intelligenz. Auch bei Erwachsenen führt es zu Nervenschäden und verändert das Erbgut. Zudem besteht der Verdacht, dass es krebserzeugend wirkt.

Die USA haben wegen der Gesundheits-risiken von Quecksilber strengere Grenzwer-te für Kohlekraftwerke erlassen. Doch weder die schwarz-rote Bundesregierung noch die Kraftwerksbetreiber scheinen bereit zu sein, einen vergleichbaren Schutz vor der hochgif-tigen Substanz in Deutschland schaffen zu

wir einen sozialverträglichen Kohleaus-stieg in den kommenden zwei Jahrzehnten. Denn nach der Klimakonferenz von Paris ist klar: Klimaschutz ist ohne Kohleausstieg nicht zu haben.

Ja. Schluss mit Kohlestrom. Die Bundesregierung muss endlich handeln und die gesundheitlichen Folgen der Quecksilber‑Emissionen ernst nehmen.Von OLIVER KRISCHER

»Ab 2019 sollen wenigstens etwas strengere Quecksil‑ber‑Grenzwerte in der gesamten EU gelten.«

Oliver Krischer, stellvertretender Frak-tionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen

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Brauchen wir die strengeren Qu ecksilber-Grenzwerte der USA?

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QUECKSILBER-EMISSIONEN • MEINUNG

die US-Grenzwerte einhalte, ist falsch – dies erkläre ich in einer Stellungnahme zur Ökopol-Studie auf der Internetseite mei-nes Instituts.

Die Ökopol-Studie besagt, dass man 85 Prozent der Quecksilber-Emissionen aus deutschen Kohlekraftwerken abtrennen könne. Dabei wird jedoch ein willkürlich er-mittelter Grenzwert vorausgesetzt, der für Braunkohlekraftwerke weniger als 20 Pro-zent des US-Grenzwertes beträgt. Um solch einen Grenzwert einzuhalten, müsste zum Beispiel bei einem Kraftwerk ein Queck-silber-Abscheidegrad von über 98 Prozent erreicht werden, was mit immensen Kos-ten und Stillstandszeiten verbunden wäre.

Solch überzogene Forderungen zielen daher eher auf ein Abstellen der Kohlekraft-werke ab. Offensichtlich ist den Kohlekraft-werksgegnern nicht bewusst, dass sie damit den weiteren Ausbau der fluktuierenden re-generativen Stromerzeugung aus Wind und Sonne verhindern. Solange wir über keine Stromspeichertechnologien verfügen, sind die Kohlekraftwerke zur Residuallastabde-ckung zwingend erforderlich.

Da es sich bei den Quecksilber-Emis-sionen um ein globales Problem handelt, sollte Deutschland sich bei der weiteren

Die menschliche Gesundheit ist nicht unmittelbar durch die Quecksilber-Gehalte in der Luft, sondern durch die Queck-silber-Anreicherung in der glo-balen Nahrungskette gefährdet.

Quecksilber-Emissionen sind somit kein lo-kales, sondern ein globales Problem, dem wir als Weltgemeinschaft unbedingt entge-gentreten müssen.

In deutschen Kraftwerken wird auf-grund der umfangreichen Rauchgasrei-nigung bereits seit Jahrzehnten mehr als die Hälfte des Quecksilbers in Staubfiltern und Rauchgasentschwefelungsanlagen ab-getrennt. US-Kraftwerke dagegen hatten bis vor Kurzem deutlich höhere Quecksil-ber-Emissionen als deutsche Kraftwerke. Daher haben die USA vor etwa vier Jahren die heutigen Grenzwerte festgelegt. Deut-sche Kohlekraftwerke sind dadurch von ih-rer führenden Position hinter die USA zu-rückgefallen, zählen aber immer noch mit zu den besten der Welt.

Bei richtiger Umrechnung der US-ame-rikanischen Grenzwerte erfüllen viele deut-sche Kohlekraftwerke diese bereits. Die Aus-sage der Ökopol-Studie vom 21. Dezember 2015, dass kein deutsches Kohlekraftwerk

Absenkung der Grenzwerte nicht so sehr an den USA, sondern an der Vorgabe der EU orientieren. Alleingänge mit niedrige-ren Grenzwerten würden global gesehen nur eine sehr geringe Wirkung zeigen, die deutsche Volkswirtschaft aber nachhaltig negativ beeinflussen.

Nein. Deutschlands Kohlekraftwerke gehören bereits heute zu den besten der Welt. Und Alleingänge bringen nichts. Von ALFONS KATHER

»Deutschland sollte sich nicht an den USA, sondern an den Vorgaben der EU orientieren.«

Prof. Dr.-Ing. Alfons Kather, TU Hamburg, Institut für Energietechnik

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Brauchen wir die strengeren Qu ecksilber-Grenzwerte der USA?

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40.000Euro Einstiegsgehalt (brutto jährlich)

7.485 Mechatroniker haben im Jahr 2014 in Deutschland ihre Ausbildung abgeschlossen

5Jahre hat die Kooperative Ingenieur-ausbildung (KIA) insgesamt gedauert (erst 2,5 Jahre Facharbeiter, weitere

2,5 Jahre Diplom-Ingenieur)

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lagen und Blockheizkraftwerke (BHKW) von Privatkunden. Bevor die ans Netz an-geschlossen werden dürfen, sind gewisse technische Anforderungen zu erfüllen. Ist alles in Ordnung, kann die Anlage errichtet werden und wir nehmen sie ab. Bei größeren Objekten gehe ich selbst hin. Sobald dies ge-schehen ist und alle erforderliche Bescheide vorliegen, wird die Vergütung festgelegt.

Worauf kommt es besonders an?Es ist eine Menge Koordinationstalent gefor-dert. Wenn ich die Abnahme einer größeren Anlage vorbereite, brauche ich jemanden vom Zählerwesen, der die Wandlerzähler einbaut und prüft. Dann brauche ich von der Anlagenerrichter-Seite den Betreiber, dann noch den Anlagen-Produzenten. Bei vielen Terminen koordiniere ich das alles selbst. Von wie vielen Anlagen reden wir denn?Derzeit sind es knapp 1.000, für die ich ge-

Die Energiewende bringt frischen Wind in die Branche. Dadurch entstehen viele neue Jobs und Chancen für junge Arbeitnehmer. Zum Beispiel für Lucas Falk, der bei der Netz Leipzig GmbH die Stromerzeugungsanlagen von Privat- und Gewerbekunden betreut.

Was hat Sie am Energiesektor interessiert?In der 11. Klasse habe ich mich umgeschaut und festgestellt: Strom braucht man eigent-lich immer. Also habe ich mich bei den Leip-ziger Stadtwerken für ein duales Studium als Anlagenmechaniker mit Studienrich-tung Energie- und Umwelttechnik bewor-ben. Beim Bewerbungsgespräch wurde das nicht mehr angeboten und so habe ich mich stattdessen für das kooperative Studium zum Mechatroniker und Ingenieur entschieden. Was macht ein Mechatroniker in der Energie-wirtschaft?Durch das Grundlagenwissen in Mechanik, Elektrotechnik und Informatik ist man viel-fältig einsetzbar. So habe ich während der Ausbildung im Gas- und Dampfkraftwerk, in der hauseigenen Werkstatt sowie bei den Betriebsingenieuren gearbeitet. Was man dann genau macht, hängt ja vom jeweiligen Unternehmen ab. Wie ging es nach der Ausbildung weiter?Da ging das Studium in Zittau weiter. Das habe ich 2012 mit dem Diplom abgeschlos-sen. Danach war ich zwei Jahre Trainee bei den Leipziger Stadtwerken.

Wo arbeiten Sie jetzt?Ich bin seit Oktober 2014 bei der Netz Leip-zig GmbH im Energiedatenmanagement angestellt. Das ist eine Tochter der Leipzi-ger Stadtwerke.

Was machen Sie da?Ich betreue die dezentralen Erzeugungsan-lagen, die bei uns am Netz angeschlossen werden, also größtenteils Photovoltaikan-

Immer mehr Menschen erzeugen ihren eigenen Strom. Diese dezentralen Mini-Kraftwerke müssen genehmigt und betreut werden.

Interview MICHAELA HARNISCH

Herr der Anlagen

Mehr zu diesem Thema auf streitfragen.de/fakten

NAME: Lucas FalkALTER: 27GEBURTSORT: LeipzigWOHNORT: LeipzigPOSITION: SB Energiedaten- managementAUSBILDUNG: Kooperative Ingenieuraus- bildung – FA und Dipl.-Ing. (FH) MechatronikINTERESSEN: Wie kann man ein stabiles Netz trotz vieler dezentra- ler Erzeugungsanlagen gewährleisten?EMPFEHLUNG: Ohne technisches Grund- verständnis geht gar nichts. Man muss komplexe Zusammenhänge schnell erfassen können und bereit sein, ständig dazuzulernen.

Steckbrief

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meinsam mit zwei Kollegen rundum verant-wortlich bin: von der Antragsbearbeitung über die Kontrolle aller Unterlagen bis zur Koordination der Abnahmetermine, der Einstufung der Vergütung und den jährli-chen Testaten. Wir sind die Zahnrädchen, die dafür sorgen, dass alles läuft. Wie lange betreuen Sie die Anlagen?Solange die Anlagenbetreiber ihre Vergütung bekommen und am Netz sind: Bei BHKW, die unter das KWK-Gesetz fallen, sind es zehn und bei Photovoltaikanlagen, die un-ter das EEG fallen, 20 Kalenderjahre. Wir haben die jährlich im Testat zu betrachten. Manche Kunden wollen auch ihre Anlage umbauen, entweder ihren Strom komplett einspeisen oder ihn selbst nutzen. Das be-arbeiten wir dann auch.

Es gibt ja eine Menge Verwaltungsvorschriften und ständig ändert sich etwas.Ja, darum haben wir einen wöchentlichen Termin mit unserer Juristin. Das Lesen der Gesetzestexte erfordert gewisse Übung. Teilweise beißen sich die Gesetze und Ver-ordnungen untereinander oder mit tech-nischen Richtlinien. Auch werden Begriffe unterschiedlich definiert. Der Gesetzgeber versteht zum Beispiel unter einer Erzeu-gungsanlage etwas anderes als der Techniker. Was ist das Spannende an Ihrem Job?Man hat mit vielen verschiedenen Abtei-lungen, Firmen und Privatpersonen zu tun, denn das ist ein sehr komplexer Prozess, den wir stemmen. Es verändert sich ständig et-was, vor allem die Gesetze, und man kann sowohl technisches als auch kaufmänni-sches Wissen einbringen.

MECHATRONIK • NACHWUCHS

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Page 36: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

36 STREITFRAGEN — März 2016

UNTERNEHMERGEIST • INNOVATIONEN IN DER ENERGIEWIRTSCHAFT

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Der Schreibtisch von Philipp Pausder misst 1,20 Meter und sieht exakt so aus wie all die anderen in dem tren-digen Großraumbüro mit Holzboden und freigelegten Backsteinmauern in Berlin-Mitte. Für den Geschäfts-führer und Gründer des Start-ups Thermondo käme es nie infrage, für sich einen größeren Arbeitsplatz als sei-

ne Mitarbeiter zu beanspruchen, ein Einzelbüro zu beziehen oder Brainstorming-Meetings abzuhalten. „Konzernig“ nennt Pausder solche Gepflogenheiten und meint damit: uncool, schwerfällig und vor allem nicht kreativ. Ideen müssten gleich ausgesprochen und weiterentwickelt werden – am besten mit allen Beteiligten quer durch den Raum. Begeisterung und Motivation sollen nicht durch Türen und starre Hierarchien aufgehalten werden. „Ich möchte, dass wir uns austauschen und Spaß haben.“

Auf diese Weise hat Pausder es mit seinen Thermondo-Mitbe-gründern Florian Tetzlaff und Kristofer Fichtner weit gebracht. Am

Anfang stand lediglich die Idee, dass es doch möglich sein muss, in Zeiten der Energiewende mehr Haus- und Wohnungseigentümer zum Heizungsaustausch zu bewegen. Inzwischen bietet Thermon-do Wechselwilligen ein online berechnetes und herstellerneutrales Festpreisangebot an, das neben Beratung, Montage und Wartung sogar die Beantragung von Fördermitteln enthält. Innerhalb kür-zester Zeit stehen die Thermondo-Handwerker mit dem Tablet in der Hand vor der Tür. Die Heizungsbauer 4.0. Thermondo wuchs zu Anfang so rasch, dass die Gründer aus Platzmangel den Keller der damals angemieteten Altbauwohnung für Meetings nutzten. „Es war trocken, aber etwas staubig“, erinnert sich Pausder. Derart unterirdisch lernten auch die Mitarbeiter des Energieriesen E.ON das Start-up kennen, als Thermondo für die zweite Phase Investo-ren suchte. „Die fanden den Raum ziemlich spektakulär.“ Und die Idee der Jungunternehmer ebenfalls. E.ON stieg ein.

Für Start-ups wie Thermondo ist ein großes Energieun-ternehmen nicht nur als Finan-zier interessant. Sie haben bei einer Kooperation auch Zugang zu Millionen von Kunden, um ihre Entwicklung anzubieten, zu testen und zu optimieren. Bes-sere Partner lassen sich kaum finden, zumal auch die Energie-konzerne händeringend nach Ideen suchen, die sich zu neuen Geschäftsmodellen entwickeln lassen. Denn noch nie war der Innovationsdruck in der Branche so groß wie heute. „Der Energie-markt wird von einer Innovati-onsgeschwindigkeit erfasst, die wir sonst nur aus der IT-Branche kennen“, sagt Innovationsfor-scher Hendrik Send, Professor am Humboldt Institut für In-ternet und Gesellschaft.

ERFOLGSMODELL STABILITÄT UND VERLÄSSLICHKEITKeiner weiß, in welche Richtung sich der Strommarkt entwickeln wird. Allein der Gedanke, eine tiefgreifende Neuerung wie Uber als Alternative zum Taxi oder Airbnb als das neue Hotelzimmer könnte auch die Energiebranche erschüttern, treibt den Vorständen den Angstschweiß auf die Stirn. Bei der Frage, wer bei Innovati-onen die Nase vorne hat, geht es um nichts weniger als die Existenz der etablierten Energieversorger.

RWE lässt intern bereits Worst-Case-Szenarien entwickeln. „Disruptive Digitals“ heißen die Innovationen, die die Ener-

Thomas Birr, Leiter Strate-gie und Innova-tion bei RWE

Page 37: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

37STREITFRAGEN — März 2016

INNOVATIONEN IN DER ENERGIEWIRTSCHAFT • UNTERNEHMERGEIST

Wo sind die Ideen?

Steffen Heinrich, einer der Gründer des Start-Ups Qinous

Von SILKE MERTINS

Noch nie war der Innovationsdruck auf die Energiekonzerne so groß wie heute. Doch

Schnelligkeit und Risikofreude entsprechen nicht der DNA der Branche. Die Kooperation mit

Start‑ups soll es richten.

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38 STREITFRAGEN — März 2016

UNTERNEHMERGEIST • INNOVATIONEN IN DER ENERGIEWIRTSCHAFT

hin zu Erneuerbaren Energien und dezentraler Versorgung als versponnene Mode betrachte-te, die man auszusitzen gedachte. Photovoltaik – ein Unwort, das es zu vermeiden galt. „Es ist unfassbar, wie träge viele Unternehmen gewesen sind und wie wenig aufgeschlossen gegenüber neuen Ideen“, sagt Steffen Hein-rich. Wenn er an seinen ehemaligen Arbeit-geber denkt, dann greift er sich immer noch an den Hals, als müsste er seine Krawatte lo-ckern. Mit einem Vorschlag durchzudringen sei lange schlicht unmöglich gewesen. „Dort hatte damals keiner eine Vision.“ Mit 42 Jah-ren stieg er aus.

In seinem ersten Bewerbungsgespräch saß ihm ein Gründer im ausgeleierten schwarzen T-Shirt gegenüber. Man duzte sich. An feste Strukturen oder Arbeitszeiten war nicht zu denken. Es gab keine klare Richtung, keine Tabus, außer vielleicht, dass es nicht nach et-was Altem riechen durfte. „Ich habe mich so-fort wohlgefühlt.“

Inzwischen gehört Steffen Heinrich selbst zu den Gründern. Zusammen mit seinen Partnern Busso von Bis-marck und Dr. George Hanna hat er Qinous ins Leben gerufen, ein Start-up, das die Energieversorgung in stromnetzfernen Re-gionen neu erfinden will. Denn dort lärmen und stinken bisher Dieselgeneratoren vor sich hin. „Was da brachliegt!“, so Heinrich. Er tritt an die Fensterfront der vier Meter hohen Räume in der Villa Rathenau, einem Jugendstil-Gebäude in Berlin-Schönewei-de, in dem einst die AEG ihren Geschäftssitz hatte. Es liegt direkt neben der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin sowie einigen anderen Forschungseinrichtungen. Die Nähe zu den Wis-senschaftlern ist wichtig für Qinous, weil sie häufig mit Instituten und Studenten an Projekten zusammenarbeiten.

Heinrich zeigt auf drei unspektakuläre Container, die neben einem Parkplatz abgestellt sind – sein ganzer Stolz. Darin steckt die standardisierte Elektronik, um Micro Grids zu betreiben mit Leistungen von 30 Kilowatt bis zu einem Megawatt. Die Prototypen sind eine Kampfansage an Dieselgeneratoren, denn sie speichern und ersetzen sie durch Photovoltaik – billiger, leiser und umwelt-freundlicher. Dieselmotoren werden nur noch als Back-up einge-setzt. Wie ruhig und kostengünstig es in so vielen Teilen der Welt zugehen könnte, schwärmt Heinrich. Allein die UNO-Hilfsorga-nisationen wären in der Lage, in den Krisengebieten Hunderte der Qinous-Container einzusetzen.

Solche standardisierten und damit bezahlbaren Netzlösungen in der Box, klimatisiert und fernsteuerbar, sind für abgelegene Gegenden interessant: eine touristische Anlage auf einer kleinen griechischen Insel etwa, eine abgelegene Siedlung in den Bergen, aber auch für die vielen Dörfer und Ortschaften in weitläufigen Staaten wie Kanada oder in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Gerade erst hat Qinous die Ausschreibung für die Versorgung eines australischen Aborigine-Dorfes gewonnen, ein Pilotprojekt. Das Potenzial ist riesig, denn in vielen Gegenden der Welt wird wahrscheinlich nie ein richtiges Stromnetz gebaut; so wie etwa in Afrika das flächendeckende Telefonfestnetz mit der Mobiltelefon-technologie übersprungen wurde.

gieversorger in ihren Grundfesten er-schüttern könnten. Ganze Teams befassen sich mit Fragen wie: In drei Jahren gibt es keine Energieversorger mehr. Was ist passiert? „Erschreckend, auf welch reale Ideen die Kollegen kommen“, sagt Tho-mas Birr, Leiter Strategie und Innovation beim zweitgrößten Energiekonzern. „Nur ein Beispiel: Eine unserer Stärken ist die treue Kundschaft. Es wäre ein Szenario, diese Kundenbindung zu zerstören, in-dem man den Wechselprozess zum Er-lebnis macht und sehr stark vereinfacht.“

Noch können die Versorger darauf bauen, dass die Kunden auch bei Preisun-terschieden nur ungern wechseln. Doch „die Technologiekonzerne lauern nur da-rauf, die Schnittstelle zu den Stromkun-den zu besetzen“, sagt Birr. „Da sind wir sehr wachsam. Deswegen arbeiten wir mit Volldampf daran, diese Modelle als erste zu finden.“

Doch das ist leichter gesagt als ge-tan. Die Stromanbieter sind mit den Eigenschaften Stabilität und Verlässlichkeit groß geworden. Risikofreude und Schnelligkeit – das widerspricht allem, wofür die Energie unternehmen historisch stehen. Die ersten Schritte auf dem Weg zur Energiewende waren noch relativ nah an ihrer DNA. Da hatte man es mit langfristiger Planung und Versorgungssicherheit zu tun. Aber bei der Digita-lisierung geht es um Wochen und Monate.

Eine Denkfabrik oder Ideenwerkstatt inmitten der regulären Belegschaft anzusiedeln, ist von vornherein ein hoffnungsloses Un-terfangen. Es geht dabei nicht nur um Kleiderordnung und Einzel-büros, sondern um eine ganz andere Arbeitsweise und einen neuen Blick auf die Welt. „Kreative Räume“ verortete man eher im Töp-ferkurs der Volkshochschule als im eigenen Konzern. Flache Hie-rarchien mit amorphen Strukturen und ständigem, ungesteuertem Gedankenaustausch, schnelle und flexible Umsteuerung, wenn et-was nicht so gut läuft – so funktionieren die Unternehmen nicht.

RWE hat deshalb abseits des Normalbetriebs eigene Innova-tions-Hubs geschaffen, wo es auch „deutlich anders aussieht als in den übrigen Büros von RWE“, versichert Birr. Und dort „geht es sehr kreativ zu.“ Diese „Innovationszellen“ allein reichen aller-dings nicht einmal im Ansatz, um Schritt zu halten. Mit eigenen Büros vor Ort scannt RWE auch die Entwicklungen in den USA und Israel, den international produktivsten Start-up-Szenen. Denn anders als Konzerne können Neugründungen ihre Ideen in einer ganz anderen Geschwindigkeit entwickeln als große Unterneh-men. „Und dann geht es natürlich auch um die schiere Menge“, sagt Birr. „An den kreativen Hotspots der Welt gibt es eine solche Fülle an Ideen – da könnte man selbst mit einer noch so großen internen Mannschaft nicht mithalten.“

WELTEN PRALLEN AUFEINANDERDie kreative Gründerszene und die Energieunternehmen trennt mehr als nur eine kulturelle Kluft. Kritiker sprechen gar von einem „Grand Canyon“. Jedenfalls wird die kulturelle Transformation ei-nige Zeit dauern. Zumal die Energiebranche viele Jahre den Trend

GREEN ECONOMY GRÜNDUNGSMONITOR 2014

Im Jahr 2013 gingen rund 16.700 neue Unter‑nehmen der Green Economy in den Bereichen Erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Kreislauf‑wirtschaft und Klimaschutz an den Start. Die jun gen Unternehmen schufen 1,1 Millionen neue Arbeitsplätze. Insgesamt leisten rund 14 Prozent aller Gründungen in Deutschland mit ihren Produkten und Dienstleistungen einen Beitrag zu einer umwelt‑ und klimaschonenden Wirtschaft. Fast zwei Drittel der jungen Unternehmen haben sich auf grüne Dienst‑leistungen spezialisiert, ein weiteres Drittel bietet umwelt‑ und ressourcenschonende Produkte an. Die höchsten Gründungszahlen im Bereich der Green Economy verzeichnen Bayern, Nordrhein‑Westfalen und Baden‑Württemberg. Quelle: Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit gemeinnützige GmbH

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39STREITFRAGEN — März 2016

INNOVATIONEN IN DER ENERGIEWIRTSCHAFT • UNTERNEHMERGEIST

larfolien entwickelt, die auf jedes Fenster aufgeklebt werden und die Nutzung der Sonnenenergie enorm nach vorne bringen könn-ten. RWE gehört sogar zu den Investoren.

Wenn sich dank solcher Neuerungen Nachbarschaftsnetze oder Peer-to-Peer-Netzwerke entwickeln und es technisch möglich wird, auf unkomplizierte Weise andere mitzuversorgen, wäre die Branche mit einem der gefürchteten „Disruptive Digitals“ konfrontiert. Die Abrechnung würde dann nicht mehr auf der Basis von Stromliefer-verträgen, sondern über sogenannte Blockchain-Protokolle erfolgen, wie sie bereits bei der Internetwährung Bitcoin angewandt werden. „Wenn so etwas erst einmal funktioniert“, so Thomas Birr von RWE, „dann ist das eine Revolution – eine Art Internet für Energie.“ Und wer braucht dann noch die Stromkonzerne?

SILKE MERTINS schreibt als freie Journalistin über Wirtschafts themen. Sie hat zuvor 13 Jahre lang als Redakteurin und Korrespondentin für die Financial Times Deutschland gearbeitet. Heute berichtet sie vor allem für die NZZ am Sonntag aus Deutschland.

Doch ob sich ein großes deutsches Energieunternehmen für die zweite Finanzierungsphase von Qinous findet, ist fraglich. Das internationale Interesse der deutschen Versorger sei gering, so Heinrichs bisherige Erfahrung. „Es ist erstaunlich, wie sehr sich die deutschen Großen von vergleichbaren anderen Großen un-terscheiden.“ Qinous hält deshalb in ganz Europa Ausschau nach finanzstarken Partnern aus der Energiebranche.

START‑UPS SIND WETTEN AUF DIE ZUKUNFTEs ist aber nicht allein der Fokus auf den deutschen Absatzmarkt, der eine Kooperation verhindern könnte. Für die Energieunter-nehmen ist es oft auch schwierig zu entscheiden, wo sie investieren sollen. Denn es ist durchaus nicht immer eine Win-win-Situation. Die großen Energiekonzerne brauchen neue Geschäftsmodelle, um am Ende des Tages damit Geld zu verdienen. „Das Problem ist, dass sie Riesen sind“, sagt Innovationsforscher Send. „Damit Start- ups einen nennenswerten Beitrag leisten können, müssen sie sehr schnell und sehr stark wachsen – das können viele nicht leisten.“

Außerdem gehen den Inves-toren nicht selten auch Millionen von Euros oder Dollars verloren, denn sieben von zehn Start-ups scheitern. Das gehört in der Sze-ne dazu. No big deal. Aber große Konzerne verlieren ungern Geld. Einige steigen deshalb auch schon in der Vorgründungsphase ein, um sich inhaltlich mit dem anvi-sierten Start-up auseinandersetzen zu können. Denn: Entscheidun-gen für oder gegen ein Start-up sind immer auch eine Wette auf die Zukunft.

Lernen müssten die Energie-riesen vor allem mehr über ihre Kunden. Es fängt schon damit an, dass sie nach wie vor als „Zähl-punkte“ betrachtet würden, kri-tisiert Innovationsforscher Send. Dabei werde es immer wichtiger zu verstehen, wie Menschen leben und was sie wollen. „Die Energie-wirtschaft scheint damit überfor-dert zu sein, den Verbrauchern in-teressante Angebote zu machen.“

Trotz der oft langjährigen Ver-bindung ist über die Stromkun-den, ihre Daten und Wünsche sehr wenig bekannt – gefährlich wenig. Viele Deutsche träumen beispiels-weise von der Selbstversorgung mit Strom, am liebsten mit Er-neuerbaren Energien. Gleichzeitig wird Photovoltaik immer kosten-günstiger und einfacher zu in-stallieren. In Dresden werden von dem Start-up Heliatek inzwischen sogar ultraleichte organische So-Fo

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ESSAY • SAUBERES GRUNDWASSER

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SAUBERES GRUNDWASSER • ESSAY

Wir sehen es nicht, riechen und schmecken es nicht und was es langfristig in unserem Organismus bewirkt – darüber gibt es noch keine abgeschlos-senen Untersuchungen: Nitrat im Grundwasser. Aus dieser Ressource beziehen über 90 Prozent der Menschen in Deutschland ihr Trinkwasser. Umso

verstörender, was die EU-Kommission herausgefunden hat. Bei 82 Prozent aller Seen und Flüsse stellte sie eine Nitratbelastung fest, die mit über 50 Milligramm pro Liter den Grenzwert überschrei-tet. Tendenz steigend. Oft ist die Durchsetzung drei- oder viermal so hoch. Der Grund dafür ist unbestritten – eine Massentierhal-tung, die der Hinterlassenschaften der Tiere immer schwerer Herr wird, und eine Landwirtschaft, die auf Teufel komm raus düngt. Umwelttoxikologen sind sich inzwischen einig, dass Nitrat zu den großen Umweltproblemen der Gegenwart gehört und die Stabilität von Ökosystemen gefährdet.

Ein klassischer Zielkonflikt schwappt an die Oberfläche: Der wirtschaftliche Erfolg der Fleischproduzenten gefährdet die Schutz-pflicht der Wasserwerke, den Menschen sauberes Wasser zur Verfügung zu stellen. Auch die Bundesregierung weiß, dass die Festlegung der Werte verschärft werden muss. Es fällt mehr Gülle an, als es bewirtschaftete Flächen gibt, die sie aufnehmen können. 2010 gab es 167 Millionen Kubikmeter, die auf hiesigen Äckern als Dünger verteilt wurden. Neue Zahlen soll es erst 2017 geben. Mut-maßlich wird sich die Menge im Vergleich zur letzten Erfassung fast verdoppelt haben. Das jedenfalls legen die Produktionszah-len der Fleischindustrie nahe. Die erlebt nämlich gerade goldene Zeiten, trotz immer mehr Vegetariern und Veganern. Mit einem Umsatz von zwölf Milliarden Euro im Jahr 2014 war sie die Loko-motive bei der Lebensmittelerzeugung. Im letzten Jahr gab es mit über acht Millionen Tonnen Fleisch eine Rekordmenge.

Seit 2004 hat sich die gehandelte Menge Hühnerfleisch in Deutschland fast verdoppelt, in den Ställen wurden noch nie so viele Schweine wie zurzeit gehalten, 58.350.000 kamen 2012 unters Messer. In anderen Ländern sehen die Zuwächse ähnlich aus. In den Niederlanden gibt es einen Gülle-Tourismus, der den Trans-port zu bis zu 200 Kilometer entfernte Entladungsflächen in Kauf nimmt. Mit Vorliebe an die deutsche Grenze. Hierzulande boomt diese „Verklappung“ ebenfalls: Tanklaster holen die Überschüsse bei den Bauern ab und bringen sie zu Landwirten, bei denen zu wenig eigener Dünger anfällt. Dies schafft aber keinen Ausgleich mehr. Es stinkt zum Himmel und die Wasserwerke schlagen Alarm. Johann

Hans, Geschäftsführer Wasser- und Abwasser-Zweckverband Nie-dergrafschaft in Niedersachsen, sagte dem öffentlich-rechtlichen Sender ZDF im vergangenen September: „Wenn die Entwicklung der Grundwasserbelastung so weitergeht, werden wir auf Dauer eine Aufbereitungsanlage bauen müssen. Und das wird dann ent-sprechende Kosten verursachen, das kann bis zu einer Verdoppe-lung des Wasserpreises führen.“

Ackerbauern in Franken, die nicht im Verdacht stehen, Öko-rebellen zu sein, legen schon Flächen still, weil aus ihren Brun-nen kein gesundes Trinkwasser mehr kommt. Mal sehen, wann die niedersächsischen Landwirte im Kreis Viersen folgen, denn hier ballt sich die Fleischproduktion Deutschlands. Jedenfalls wird diese Notbremse in Zukunft öfter gezogen werden, wenn nichts passiert. Danach sieht es aber aus. Denn die notwendige Novellierung der Gülleverordnung wird frühestens 2019 greifen – Millionen Kubikmeter Exkremente zu spät.

Aber was müsste passieren? Zum Beispiel die Gülle in Biogas um-wandeln? „Das ist leider auch keine Lösung“, sagt Egon Harms vom

Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverband. „Die Gärreste müssen auch irgendwohin. Und sie sind noch nitratbelasteter.“

Also bleibt nur, den Fleisch-konsum einzuschränken: weni-

ger Tiere, weniger Mist. Würde etwa jede zweite Fleischmahlzeit durch ein Essen ohne Schwein, Rind und Huhn ersetzt, verringerte sich die Nitratbelastung um fast die Hälfte. Die Verbraucher haben es wenigstens teilweise in der Hand. Gegen die exportorientierte Produktion sind sie aber erst mal machtlos. Bis zur vegetarischen Weltgesellschaft dauert es noch.

Eine Option zur Verbesserung der Lage wäre, weniger zu dün-gen. In Franken haben sich Wasserwerke, Bauern, Müller und Bä-cker zusammengetan, um „Grundwasserschutzbrot“ zu backen. Der dafür verwendete Weizen wird nur noch einmal im Jahr ge-düngt. Dadurch gibt es im Korn weniger Eiweiß, der Teig hat eine andere Qualität. Den Leuten schmeckt’s – und die Nitratbelastung sinkt kontinuierlich. Es gibt also ein Fünkchen Hoffnung, jedenfalls beim Ackerbau. Dabei darf es aber nicht bleiben. Sonst, so Wasser-fachmann Hans, geht’s für die Verbraucher, also uns alle, richtig ins Geld. „Wir haben zurzeit 95 Cent pro Kubikmeter, in der Zukunft wären das sicherlich an die zwei Euro, die bezahlt werden müssten.“

Das stinkt zum HimmelDie intensive Landwirtschaft zerstört unsere Lebensgrundlage: Mehr Fleisch, höhere Ernten und am Ende – nitratbelastetes Grundwasser.

Von REINER SCHWEINFURTH

Wenn wir unser Verhalten nicht ändern, müssen neue Wasseraufbereitungsanlagen gebaut werden.

Damit kann sich der Wasserpreis verdoppeln.

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MYTHENCHECK • BIG DATA

Das sieht nach einem System aus. Aber viele Informationen zu

sammeln, bringt nicht automatisch einen Wissensvorsprung.

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DELPHI Studie

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ein thema in derLesen Sie dazu auch die

DELPHI StudieDELPHI-Studie

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60 Prozent erwarten, dass 2040 Internetriesen sowie die Daten- und IT-Industrie die größten Player in der Energie-welt sind, weil sie große Datenmengen verarbeiten können. www.delphi-energy-future.com

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43STREITFRAGEN — März 2016

BIG DATA • MYTHENCHECKMYTHENCHECK • BIG DATA

Es klingt verführerisch: Wer so viele Daten wie möglich abgreift, weiß über alle Vorgänge sowohl im Unterneh-men als auch bei seinen Kunden und Geschäftspartnern Bescheid, zieht die richtigen Schlüsse daraus und steigert seine Produktivität schlagartig. Das zumindest erhoffen sich viele Firmen vom Hightech-Schlagwort „Big Data“ –

meist vereinfachend übersetzt als „viele Daten“. IT-Experten wie der US-Amerikaner Geoffrey Moore warnen sogar: „Ohne Big Data zu sein, ist wie blind in der Mitte einer Autobahn zu stehen.“ Aber stimmt das überhaupt? Gilt die Formel „Viel hilft viel, doch mehr hilft mehr.“ auch für die Unternehmen der Energiewirtschaft? Ste-hen die Unternehmen der Strom-, Gas- und Wasserbranche vor einer Datenrevolution mit all ihren Chancen und Risiken? Tatsa-che ist, dass in kaum einer anderen Branche solch riesige Daten-mengen anfallen: Jedes Kraftwerk misst, was es produziert, liefert und in Rechnung stellt. Es kontrolliert ständig die Leistung seiner Pumpen, Turbinen und Leitungsnetze. Jeder Energie- und Was-serversorger besitzt schon jetzt durch ganz simple Kundendaten einen Quell an Informationen.

WACHSENDE FLUT AN ENERGIEDATEN Doch das ist erst der Anfang. Ausgelöst durch die Energiewende müssen sich die Versorgungsunternehmen gigantischen neuen Daten-Herausforderungen stellen: – Immer mehr Strom aus Windturbinen und Sonnenkollektoren fließt in die Netze. – Viele Privathaushalte beziehen nicht nur Strom, sie erzeugen ihn auch selbst und liefern ihn den Energieversorgern. Diese Konsumenten werden zu sogenannten Prosumenten. – Die Kunden sollen künftig durch Smart Meter individuelle Strom ta- rife bekommen, damit sie ihren Verbrauch den unterschiedlich hohen Tagespreisen anpassen können. – Bis 2020 sollen 80 Prozent der EU-Haushalte mit diesen intelligenten Stromzählern ausgerüstet sein. Das sind allein in Deutschland gut 40 Millionen Kunden.

– Diese 40 Millionen Smart Meter werden ständig aktuelle Verbrauchswerte senden. Manche sogar mehrmals am Tag. Statt eines Messwertes pro Kunde und Jahr werden die Energiekon - zerne jeden Tag insgesamt 3,8 Milliarden Datensätze empfangen, pro Jahr 1,4 Billionen. Und die Daten aus der Industrie sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.– Die Zahl der Daten durch interne und externe E-Mails, digitale Dokumente und die Kommunikation der Computer unterein- ander („Machine-to-Machine“) steigt drastisch.– Hinzu kommt eine Flut an unstrukturierten neuen Daten aus den sozialen Medien, die Unternehmen durch Business-Analytics- Programme herausfiltern können.

DER DATENSCHATZ DER ENERGIEWIRTSCHAFTKlar ist, dass diese Datenmasse extrem wertvolle Informationen für die Energiebranche enthält. Wer es schafft, diese Bestände si-cher zu speichern, schnell zu sichten, effektiv zu ordnen und die richtigen Schlüsse zu ziehen, verschafft sich einen klaren Wettbe-werbsvorteil. Michael Neff, Geschäftsführer der RWE IT GmbH, sieht die größten Potenziale für Big Data im Vertrieb sowie im Kontakt zu Unternehmen und Verbrauchern: „Big Data wird die Genauigkeit der Vorhersage von Kundenverhalten und Kunden-bedarf signifikant verbessern.“

VORTEILE UND NUTZEN DER DIGITALISIERUNGDatenvielfalt und Digitalisierung nützen allen: der Energiewirt-schaft und ihren Kunden. Denn wenn die Unternehmen die Pro-duktion und den Verbrauch von Energie in Echtzeit analysieren, können sie den aktuellen und künftigen Bedarf besser abschät-zen. Ein Beispiel: Für einen Feiertag werden viel Sonne und Wind prognostiziert, die Stromerzeugung würde steigen, der Verbrauch wegen der Freiluftaktivitäten der Kunden sinken. Dank Big Data könnten sich die Unternehmen auf dieses Szenario vorbereiten. Sie nutzen die Wettervorhersage, um ihre Anlagen auf die Produktion zusätzlicher erneuerbarer Energie einzustellen und die über-

Datengold: Klondike für EnergieversorgerLukrativer Informationsschatz oder Suche nach der Nadel im Heuhaufen? Big Data im Mythencheck.Von ULI DÖNCH

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schüssige Energie zu lagern – in Speichern oder den Batterien von E-Autos. Und als Zukunftsvision könnten die Kunden dann womöglich wegen des kurzzeitigen Stromüberschusses von Son-derangeboten profitieren. Durch Big Data lassen sich zudem teure Versorgungsengpässe vermeiden. Immer mehr Produktionsanla-gen kommunizieren miteinander. Ein mögliches Anwendungsfeld: Muster in den Betriebsdaten eines Kraftwerksblocks zu finden, die vor einer Überhitzung der Druckkessel warnen. „Informationen sind das Öl des 21. Jahrhunderts und die Daten-Analyse ist der Mo-tor“, schwärmt Peter Sondergaard vom Forschungsinstitut Gartner.

GROSSE DATENMENGE, GROSSES MISSVERSTÄNDNIS?Bleibt die Frage: Wenn das Sammeln und Analysieren möglichst vieler Daten so viel Nutzen stiftet, warum machen es dann nicht einfach alle? Weil es leider nicht so einfach ist. Die Einschätzung „Viel hilft viel.“ galt früher für den Einsatz von Dünger in der Landwirtschaft. Heute weiß man: Es war ein Fehler. Zu viel Dün-ger laugt den Boden aus, macht ihn sogar unfruchtbar. Ähnliches gilt auch für das Anhäufen von Daten: Ein Unternehmen kann in seinem Datenüberfluss ertrinken – wenn es nicht richtig sam-melt und analysiert. „Viel hilft nicht viel“, warnt Prof. Wolfgang Marquardt, Chef des Forschungszentrums Jülich, im Magazin „Medica“. „Wir können im Prinzip beliebig viele Daten erzeugen, ohne dass sie Informationen erhalten. Man muss die richtigen Daten haben, die einen Mehrwert bieten und qualitativ hochwer-tig sind.“ Man muss sich vorher überlegen, was man wissen will.

Welche Informationen man für ein neues Geschäftsmodell oder eine neue Leistung, die man erbringen will, denn bräuchte. Und man braucht Vorkenntnisse, um Daten zu sortieren. Es wäre aus-sichtslos, die berühmte Nadel im Heuhaufen zu suchen, ohne zu wissen, wie sie aussieht. Dr. Wolfgang Heuring, Leiter der Siemens Konzernforschung: „Um solche Datenmengen richtig auswerten zu können, muss man sie verstehen.“

HERAUSFORDERUNG: DIGITALER KUNDE Im Zentrum der Digitalisierung durch Big Data steht der Ver-braucher. Dieser moderne Kunde ist aber nicht mehr passiv, son-dern „omnipräsent, individuell, vergleichend und preissensitiv“, beschreibt Johannes Kempmann, Präsident des BDEW, den Ty-pus des Konsumenten 2.0. „Aber noch viel wichtiger, er ist nicht mehr geduldig oder verbindlich. Die Energieversorger müssen daher flexibler, schneller und kommunikativer mit ihren Kun-den interagieren.“ Durch den richtigen Einsatz von Big Data wer-den die Unternehmen die Konsumenten besser kennenlernen. Sie können ihnen wirklich individuelle Leistungen anbieten: Zu wem passt welcher Tarif, welches Detail fehlt noch, wie hat sich die Stimmung des Kunden verändert, wer könnte zu einem Kon-kurrenten wechseln? So wie inzwischen fast jeder dritte Verbrau-cher. Wer Informationen clever nutzt, kann sein Geschäftsmodell erweitern – etwa durch Dienstleistungen. So wie British Gas. Der Konzern verbündete sich 2012 mit dem Start-up AlertMe – einem Experten für Smart-Home-Technologie. Gemeinsam entwickelten Fo

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Da fehlt noch der Durch-blick: Es ist aussichtslos, die

berühmte Nadel im Heu-haufen zu suchen, ohne zu

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BIG DATA • MYTHENCHECKMYTHENCHECK • BIG DATA

die beiden Firmen unter anderem einen intelligenten Wärme-Ther-mostat. British Gas verkauft heute rund 200.000 Stück pro Jahr und eroberte einen Marktanteil von 29 Prozent – so eine Analyse der Unternehmensberatung PwC. 2015 übernahm British Gas AlertMe und offeriert den Kunden seither weitere Services rund um das Smart Home: Wartung von Heizung und Elektronik, Klempner- und Installateurarbeiten sowie eine Hausratversicherung. 30 Pro-zent der Kunden nutzen diese energienahen Dienstleistungen.

Noch einen Schritt weiter geht ein italienischer Energieversor-ger. Das Unternehmen nutzt aufwendige Datenprogramme („Ad-vanced Data Analytics“), um seine Kunden in verschiedene Segmen-te aufzuteilen (zum Beispiel wohlhabende Familie, preisbewusster Student, technikbegeisterter Neuinteressent), Verhaltensmuster zu erkennen und die Verbraucher besser zu verstehen. So offeriert man etwa Bestandskunden beim Umzug unaufgefordert neue Produkte und Dienstleistungen. Unzufriedene Studenten, die durch Kritik in sozialen Medien auffallen, bekommen das Angebot eines neu-en, günstigeren Ausbildungstarifs. Und potenzielle neue Kunden umwirbt man mit einer kostenlosen Prüfung der Energieeffizienz ihres Haushalts.

JAHRHUNDERTCHANCE FÜR ENERGIEVERSORGERFest steht: Big Data ist kein Allheilmittel. Aber richtig angewandt und in ertragreiche Geschäftsmodelle übersetzt, eröffnet es den Energieunternehmen neue Möglichkeiten. Nach einer Studie des Business Application Research Center (BARC, 2015) berichten

69 Prozent der Firmen, die Big Data nutzen, von besseren stra-tegischen Entscheidungen, steigenden Umsätzen und sinkenden Kosten. Prof. Björn Bloching, Unternehmensberater bei Roland Berger und Co-Autor des Buches „Smart Data – Datenstrategien, die Kunden wirklich wollen“, beschreibt die enormen Chancen des Datengoldes: „Aus einzelnen Smart-Data-Projekten entsteht bei systematischem Vorgehen ein selbstlernendes System. Im-mer mehr Menschen und Abteilungen des Unternehmens ler-nen, Kundendaten immer intelligenter zu nutzen. Das Gelernte wird zum Automatismus.“

SMART DATA STATT BIG DATAWas aber bedeutet Smart Data für die Energieversorger? Im Kern: aus vielen Informationen die schlauen Informationen herauszu-filtern. „Daten an sich haben zunächst keinen Wert“, betont Dr. Wolfgang Martin, Experte für Analytik und Business Intelligen-ce, in einer Zeitschrift des US-Konzerns IMS. „Erst wenn man sie analysiert, interpretiert und nutzt, veredelt man sie.“ Übertragen auf die Bedürfnisse der Energiebranche heißt das: Unternehmen sollten sich vor dem Zusammentragen von Daten darüber klar werden, welche Informationen sie sammeln, welche davon eine Analyse lohnen, was sie mit dem gespeicherten Wissen erreichen wollen – und vor allem: wen.

ULI DÖNCH ist Wirtschaftsexperte und arbeitet als freier Autor. Davor leitete er das Wirtschaftsressort des Nachrichtenmagazins FOCUS.

Big Data richtig ange-wandt und in ertragreiche Geschäftsmodelle übersetzt, eröffnet Energieunterneh-men neue Möglichkeiten.

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Nicht kleckern, sondern klotzen!

Wie lebt es sich mit einem E-Fahrzeug? Und was muss sich ändern, damit mehr Elektroautos auf die Straßen kommen?

E-mobility

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nach die deutschen Autobauer immer noch keine rein elektrischen Autos mit entspre-chender Reichweite haben. Ich denke, der Preis wird spätestens 2018 runtergehen. Da werden VW, Mercedes und BMW – bezogen auf Preis und Reichweite – attraktive Fahr-zeuge anbieten. Denn ab 2021 gilt EU-weit die CO2-Regel: 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer. Das entspricht etwa vier Liter Diesel. Dies kann mit den derzeitigen Ver-brennungsmotoren kaum erreicht werden. Ich behaupte mal, es wird in zehn Jahren keine kleinen Dieselmotoren mehr geben, weil es einfach zu teuer wird, entsprechende Filter einzubauen; der VW-Skandal zeigt das.

Wenn man mal rechnet, dass die Autos zwei, drei Jahre früher auf den Markt kom-men, dann wird das 2018 der Fall sein. Die Konkurrenz ist mit Tesla da. Der Tesla 3 wird in die Golfklasse drängen. Ich wür-

de mich als Fahrzeughersteller auf dieses Modell konzentrieren und nicht alle Kraft darauf verwenden, einen sogenannten „Tes-la Fighter“ zu entwickeln – der noch mehr beschleunigt, noch mehr Pferdestärken hat. Dann ist Tesla nämlich schon wieder einen Schritt weiter. Wie man die Reichweiten ver-längern könnte? Das Interessante ist, dass der BMW, den ich fahre, dafür eigentlich schon ausgelegt ist. Der Bauraum für weitere Bat-terien ist schon vorhanden. BMW will das serienmäßig auch ab dem kommenden Jahr machen. Das wirkt sich dann positiv auf die Reichweite aus. Ein weiterer Hemmschuh ist die Ladeleistung im Wechselstrom-Be-reich. Die Wechselstrom-Ladeinfrastruk-tur ist schon heute auf schnelles Laden mit drei Phasen ausgerichtet. Leider kann diese Leistung derzeit mit den meisten deutschen Fahrzeugen nicht abgerufen werden. Wäre dies möglich, würde sich die Ladezeit um zwei Drittel verkürzen.

Es muss sich also einiges ändern, da-mit die Leute E-Autos kaufen. Neben den technischen Parametern zählen auch die Rahmenbedingungen dazu, neudeutsch auch „Framework“ genannt. Würde man den Dieselpreis oder die gesamte Mine-ralölsteuer um einen Cent erhöhen, dann ergäbe dies pro Jahr 500 bis 600 Millionen Euro Mehreinnahmen. Dieses Geld könn-te zur Förderung des Kaufes schadstoffar-

mer Autos verwendet werden. Umso mehr, da in einer ganzen Reihe von Städten die Feinstaubbelastung zeitweise extrem hoch ist. Den Kommunen drohen Strafzahlun-gen in Millionenhöhe an die Europäische Union. Staub reizt die Schleimhäute, dringt in Lunge und Blutkreislauf ein, wo er Krebs erzeugen kann. Und Stickstoffdioxide sind extrem schädlich für Asthmatiker. Ich ver-stehe daher nicht, warum seitens der Poli-tik nicht gehandelt wird. Das finde ich sehr schade. Das zusätzliche Geld aus dem Die-sel-Cent könnte den Kunden, den Stadtwer-ken, allen, die mit E-Mobility zu tun haben, zugute kommen. Man könnte damit zum Beispiel auch die Fahrzeugpreise senken.

Da es zu wenig Neufahrzeuge gibt, fehlt ein funktionierender Gebrauchtwagenmarkt. Da kommen wir zur nächsten Überlegung. Über 70 Prozent der Neuwagen werden von Firmen gekauft. Diese Autos kommen nach zwei, drei Jahren auf dem Gebrauchtwagen-markt, wo sie dann an Privatleute gehen. Das Segment fehlt bislang, deshalb sollte es für Firmen Sonderabschreibungen geben. Da hätte die Regierung kaum Einnahmeausfäl-le, würde aber den Gebrauchtwagenmarkt für die Stromer in Gang bringen.

Und dann müssen wir den Zugang zur Ladeinfrastruktur vereinfachen. Aber da ar-beiten wir ja täglich dran. Eigentlich ist klar, woran es hakt und wie es besser geht. Man muss nur damit beginnen. Dann könnten auch schon vor 2018 mehr Menschen mit E-Autos unterwegs sein.

DR. MARK STEFFEN WALCHER ist Geschäftsführer der smartlab Innovationsge-sellschaft mbH. smartlab, ein Unter nehmen der Stadt werke Aachen, Duisburg und Osnabrück, entwickelt innovative Dienst leist ungen, Produk-te und Konzepte für Elektro mobilität.

Ab 2018 wird es E-Mobile geben, die weiter fahren und

weniger kosten als heute.

Ich fahre ein Elektroauto nicht nur des-wegen, weil ich beruflich mit E-Mobi-lität zu tun habe, sondern weil ich von dieser Antriebsart überzeugt bin. Vor ein paar Tagen hatte ich wieder mal eine volle Fuhre. Ich habe meine bei-

den kleinen Kinder, die Kinderwagen und den Einkauf aus dem Baumarkt nach Hause chauffiert. Traut man dem Auto eigentlich gar nicht zu, so von außen. Aber was den Stauraum und den Komfort im Innenbe-reich betrifft, ist ein BMW i3 super. Das muss ich fairerweise sagen, bevor es an die Kritik geht.

Die Einschränkungen beginnen bei der Reichweite. Mit meinem rein elektrisch an-getriebenen Auto komme ich im Winter nur 90 Kilometer weit. Es geht zu viel Ener-gie für die Heizung und den Motor drauf. Wenn es auf dem Rückweg einer geplanten Fahrt keine Ladeeinrichtung gibt, komme ich theoretisch nur 45 Kilometer weit. Das ist natürlich sehr wenig und ein bekanntes Problem. Es reicht zwar, um einkaufen zu fahren. Aber sobald man mal aus der Stadt raus will, funktioniert das nicht. Auf lan-gen Strecken nehmen wir deshalb den Zug. Ich wünsche mir eine Reichweite von 200 oder 300 Kilometern. Um auch mal weiter zu fahren. Darum geht’s eigentlich. Aber es gibt kein rein elektrisches Produkt deut-scher Hersteller, das solch eine Reichweite hat. So etwas bietet nur der US-Autobauer Tesla an. Die deutschen Autobauer wollen ja herausgefunden haben, dass ein Durch-schnittsmensch 18 Kilometer am Tag fährt, und haben dann mit bestem Gewissen, um das Gewicht gering zu halten, die Reichweite für den Sommer auf 200 Kilometer gebracht. Tatsächlich sind es nur 140 Kilometer. Und es gibt immer eine Leistungsreserve. Zudem soll ein Automobil vor allem Unabhängig-keit erzeugen. Andererseits kostet so ein Tesla-Auto mit dieser Reichweite und Ext-ras ja 80.000 Euro. Das ist für die meisten Menschen viel zu teuer. Heute ist ein E-Auto etwas für sehr gut verdienende, ökologisch denkende Menschen.

Vor ein paar Jahren hat man immer gelesen, die Autos sind wegen der Batte-riepreise so teuer. Das liest man aber gar nicht mehr. Als ich vor neun Jahren mit dem Thema anfing, hat eine Kilowattstun-de rund 1.300 Euro gekostet. Derzeit kostet sie noch 200 Euro und der Preis wird weiter fallen. Deshalb gilt dieses Argument heu-te nicht mehr. Der Preis für die Fahrzeuge sinkt deswegen nicht, weil meiner Meinung

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Mehr als 50 Prozent erwarten, dass Elektrofahrzeuge im Jahr 2040 über 3.000 Kilometer je Ladung fahren können und sich in wenigen Minuten aufladen lassen. www.delphi-energy-future.com

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SCHLAGZEILEN,die wir gern lesen würden

SCHLAGZEILEN • MEDIENCHECK

Page 49: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

Was kommtDie Energie- und Wasserbranche ist in Bewegung. Fortwährend

finden Kongresse, Tagungen und Foren zu aktuellen politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Themen statt.

HerausgeberBDEW Bundesverband der

Energie- und Wasserwirtschaft e. V.Reinhardtstraße 32

10117 [email protected]

www.bdew.de

GesamtverantwortungMathias Bucksteeg

ChefredaktionHenning Jeß

RedaktionsschlussFebruar 2016

Konzept und RealisierungC3 Creative Code and Content GmbH,

unter redaktioneller Mitarbeit von Ricarda Eberhardt, Birgit Heinrich (Bildwelt), BDEW

Autoren dieser AusgabeUli Dönch, Michaela Harnisch, Tom Levine,

Silke Mertins, Reiner Schweinfurth

Druck und VerarbeitungBrandenburgische Universitätsdruckerei

und Verlagsgesellschaft Potsdam mbhKarl-Liebknecht-Straße 24/25

14476 Golm bei Potsdam

30. Mai–3. Juni 2016IFAT, Weltleitmesse für Wasser-,

Abwasser-, Abfall- und Rohstoff-wirtschaft, München

7.–9. Juni 2016BDEW Kongress 2016, Berlin, u. a. mit Bundeskanzlerin

Dr. Angela Merkel, Bundes-minister Sigmar Gabriel,

EU-Kommissar Maroš Šefčovič

25.–29. April 2016Hannover Messe mit dem Energieforum „Life Needs Power 2016“, unterstützt vom BDEW

11.–13. April 2016Berliner Energietage 2016 Impressum

TERMINE • VERANSTALTUNGEN

49STREITFRAGEN — März 2016

Page 50: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

OUTRO Streitpunkt Wasser»Wenn wir von Berlin Geld wollen, sagt man uns dort, dass wir unsere haushaltpolitischen Hausaufgaben machen sollen. Der Wassercent leistet dafür einen Beitrag.«

Anja Siegesmund (Bündnis 90/Die Grünen), Umweltministerin in Thüringen, zur Notwendigkeit, einen Wassercent einzuführen (Quelle: Ostthüringer Zeitung, 30. November 2015)

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OUTRO • WASSERCENT

50 STREITFRAGEN — März 2016

Page 51: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016

OUTRO Streitpunkt Wasser »Die Grünen

sind nicht angetreten, Abgaben zu erhöhen.«

Dirk Adams, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im

Thüringer Landtag, zum gleichen Thema, 22. Januar 2016

WASSERCENT • OUTRO

51STREITFRAGEN — März 2016

Page 52: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 1/2016