bernd reuschenbach et al. methodennutzung, -präferenz und...

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Bernd Reuschenbach et al. Methodennutzung, -präferenz und -fortbildungsbedarfe in der deutsch- sprachigen Pflegewissenschaft – Ergebnisse einer Online-Befragung 1 Use, preference and educational needs of research methods in nursing science in german speaking countries – results of an online survey Between September 2009 and February 2010 127 nurse researchers from Germany, Austria and Switzerland took part in an online-survey assessing their methodological competencies and the research methods they teach. In addition, they were asked about their individual needs concerning research methodological training, as well as about their decision-making strategy when choosing and using research methods. The results show, that most participants have competencies in qualitative and quantita- tive research methods. Almost 70% of the participants are well schooled in both fields. The research methods most commonly used and taught were descriptive and correlative methods, as well as content-analysis, and a grounded theory approach. A comparison between the individual methodological competencies and the needs ex- pressed by the participants concerning their methodological training revealed the neces- sity to improve communication within the scientific community. The results indicate that a general debate on the specific research methods used in nur- sing research versus the appropriate methods for the nursing field, is due for discussion. The study highlights some important issues regarding future methodological develop- ments in nursing science. The results also provide a useful basis for comparisons with other scientific disciplines. Keywords research methods, methodological competencies, methodological training, decision making in research Im Rahmen einer Online-Erhebung wurden zwischen September 2009 und Februar 2010 insgesamt 127 Pflegewissenschaftlerinnen und Pflegewissenschaftler aus Deutsch- Beiträge 197 Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 17. Jg. 2012 H.3 eingereicht 06.09.2011 akzeptiert 28.02.2012 (nach Überarbeitung) 1 Die Studie wurde durch eine finanzielle Forschungsförderung der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft unterstützt. Für hilfreiche Kommentare und Unterstützung bei der Konzeption der Studie danken wir Katrin Koch, Inge Eberl, Gisela Kleinwechter, Regina Sauer und Andreas Lauterbach.

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Bernd Reuschenbach et al.

Methodennutzung, -präferenz und

-fortbildungsbedarfe in der deutsch-

sprachigen Pflegewissenschaft –

Ergebnisse einer Online-Befragung1

Use, preference and educational needs of research methods in nursing

science in german speaking countries – results of an online survey

Between September 2009 and February 2010 127 nurse researchers from Germany,

Austria and Switzerland took part in an online-survey assessing their methodological

competencies and the research methods they teach. In addition, they were asked about

their individual needs concerning research methodological training, as well as about

their decision-making strategy when choosing and using research methods.

The results show, that most participants have competencies in qualitative and quantita-

tive research methods. Almost 70% of the participants are well schooled in both fields.

The research methods most commonly used and taught were descriptive and correlative

methods, as well as content-analysis, and a grounded theory approach.

A comparison between the individual methodological competencies and the needs ex-

pressed by the participants concerning their methodological training revealed the neces-

sity to improve communication within the scientific community.

The results indicate that a general debate on the specific research methods used in nur-

sing research versus the appropriate methods for the nursing field, is due for discussion.

The study highlights some important issues regarding future methodological develop-

ments in nursing science. The results also provide a useful basis for comparisons with

other scientific disciplines.

Keywords

research methods, methodological competencies, methodological training, decision

making in research

Im Rahmen einer Online-Erhebung wurden zwischen September 2009 und Februar 2010

insgesamt 127 Pflegewissenschaftlerinnen und Pflegewissenschaftler aus Deutsch-

Beiträge

197

Beltz Juventa. Pflege& Gesellschaft 17. Jg. 2012 H.3

eingereicht 06.09.2011akzeptiert 28.02.2012 (nach Überarbeitung)

1 Die Studie wurde durch eine finanzielle Forschungsförderung der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaftunterstützt. Für hilfreiche Kommentare und Unterstützung bei der Konzeption der Studie danken wir KatrinKoch, Inge Eberl, Gisela Kleinwechter, Regina Sauer und Andreas Lauterbach.

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land, Österreich und der Schweiz zu ihren gelehrten und genutzten Forschungsmethoden

befragt. Ergänzend wurden mittels offener Fragen Fortbildungswünsche und Entschei-

dungsgründe für den Einsatz von Forschungsmethoden erhoben.

Die Ergebnisse zeigen, dass unter den Befragten ein großes Repertoire an qualitativen

und quantitativen Methoden vorgehalten wird. Knapp 70% der Befragten kennen sich auf

beiden Terrains aus. Neben deskriptiven und korrelativen Ver fahren zählen die Inhalts -

analyse und die Grounded Theory zu den am häufigsten genutzten und gelehrten Metho-

den. Ein Vergleich der Methodenkompetenzen und der Fortbildungswünsche verdeut-

licht, dass der kollegiale Austausch zukünftig gefördert werden sollte. Ebenso wird eine

grundsätzliche Diskussion über fachspezifische Methoden und die Angemessenheit der

Methoden vor dem Hintergrund des spezifischen pflegerischen Gegenstandes von den

Befragten gefordert. Die Ergebnisse können Anhaltspunkte für die methodische Weiter-

entwicklung der Pflegewissenschaft geben und stellen eine Grundlage für den Vergleich

mit anderen Wissenschaftsdisziplinen dar.

Schlüsselwörter

Forschungsmethoden, Gegenstandsangemessenheit, Curriculum, Methodologie, Erhe-

bungsmethoden, Auswertungsmethoden

Forschungsmethoden sind konstituierendes Element einer wissenschaftlichen Diszi-plin und deren Weiterentwicklung ist Kennzeichen einer fortschrittsfähigen Wissen-schaft (Popper 1979). Während Einigkeit darin besteht, dass es in der Pflegewissen-schaft, analog zu den anderen Wissenschaften, des Einsatzes von Forschungsmethodenbedarf, herrscht Unklarheit darüber, ob es einen fachspezifischen Methodenkanon gibtund wenn ja, ob dieser angemessen zur Anwendung kommt (Barrett 1998). Vor allemdie Frage, ob Pflegeforschung genuine Methoden anwendet (vgl. Bartholomeyczik2000) oder anwenden sollte, wird kritisch diskutiert und benötigt darüber hinaus einemethodologische Diskussion.

Die durch Hallberg (2006) angestoßene Debatte über notwendige Forschungsde-signs in der Pflegewissenschaft und ihre Positionierung zugunsten von Studien mit ho-her externer Validität sowie die Repliken auf diesen Beitrag (Galvon et al. 2008; Bor-glin/Richards 2010) zeigen, wie schwierig es ist, Empfehlungen für die methodischeWeiterentwicklung einer Wissenschaftsdisziplin aufzustellen, weil sie das wissen-schaftliche Selbstverständnis und die individuellen Methodenkompetenzenberühren.2

Um dieses konstituierende Merkmal einer Wissenschaft hinsichtlich der Angemes-senheit zu bewerten, bedarf es zunächst einer deskriptiven Analyse der genutzten undgelehrten Methoden. Daraus lassen sich dann vor dem Hintergrund der Reflexion desoriginären pflegerischen/pflegewissenschaftlichen Gegenstandes und des beruflichenSelbstverständnisses Forderungen für die methodische Weiterentwicklung ableiten.Darüber hinaus ermöglicht die Erfassung des Status quo der Methodennutzung, (1)die besonderen Eigenheiten des Fachgebietes zu benennen, (2) einen Vergleich mit

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2 Wie fruchtbar ein selbstkritischer Zugang ist, der zunächst die Dominanz einzelner Forschungsmethoden auf-deckt und diese mit dem Anspruch der Disziplin vergleicht, zeigt der Beitrag von Baumeister et al. (2007).

existierenden internationalen Studien zur Methodennutzung (Polit/Beck 2009) und(3) in der längsschnittlichen Betrachtung die Aufdeckung von Entwicklungstenden-zen innerhalb der Pflegewissenschaft.

1. Problemstellung

Als relativ junge Disziplin besitzt die Pflegewissenschaft in Deutschland einen Quer-schnittscharakter und greift verfügbares Wissen der Nachbardisziplinen und Bezugs-wissenschaften auf. Darüber hinaus muss sie aber auch originäre pflegerische Belangeund Probleme bestimmen (Remmers 1999). Die Aufgabe der Pflegewissenschaft be-steht daher in der Sammlung, Ordnung, Überprüfung und Generierung pflegerischenWissens. Als Methode zur Bewältigung dieser Aufgabe wird die Pflegeforschung ge-nutzt. Pflegeforschung dient damit der methodischen Wissensvermehrung in der Pfle-ge und bearbeitet hierfür Fragestellungen zum Gegenstandsbereich der Pflege. Da derbreit gefächerte Gegenstand „Pflege“ zusätzlich unterschiedlich definiert wird, führtdies zu einer Vielzahl an unterschiedlichen Forschungsfragen (Panfil 2007). Angesichtsder Mehrdimensionalität von Pflege bedarf es auch eines Pluralismus auf der methodi-schen Ebene (Stemmer 2001). Daher ist mittlerweile die Pflegeforschungsszene inDeutschland, wie auch in anderen Ländern, so groß, dass sie nicht im Einzelnen be-schrieben werden kann (Schaeffer 2003: 321-322). Klare Konturierungen der „Pflege-wissenschaft“ wie auch berufliche Eingrenzungen der Akteure (Wer gilt als Pflegewis-senschaftlerin/Pflegewissenschaftler?) sind dadurch erschwert.

Wenn über Forschungsmethoden gesprochen wird, muss immer auch die Fragenach dem zu Grunde liegenden Wissenschaftsverständnis, einem naturwissenschaft-lichen oder einem sozialwissenschaftlichen Paradigma, beantwortet werden. Für dieWeiterentwicklung und Professionalisierungsbestrebungen der Pflegewissenschaft wä-re eine alleinige Orientierung am naturwissenschaftlichen Paradigma nicht sinnvoll.Dies würde die Vernachlässigung der individuellen Patientenperspektive bedeuten,denn pflegebedürftige Menschen haben nicht nur körperliche, sondern auch leiblicheBedürfnisse in existentiell belastenden Lebenssituationen (Friesacher 2008), die es fürden Pflegebedarf interaktionistisch auszuhandeln gilt. Gerade die wissenschaftstheore-tisch formulierte doppelte Handlungslogik der Pflegepraxis (Remmers 1999) zeigt auf,dass das Verstehen des individuellen Patientenproblems eine Verschränkung unter-schiedlicher Wissensarten erfordert (Oevermann 1981, 1996). Nicht nur professions-theoretische Fragen, sondern auch die Anwendung der bestimmten Methoden zur Da-tenerhebung und -auswertung sind mit wissenschaftstheoretischen Positionen verbun-den (Schaeffer 2002).

Daher wird für die Pflegewissenschaft eine Integration qualitativer und quantitati-ver Ansätze, welche auch vor allem bei komplexen Fragestellungen im Sinne einer Tri-angulation gewinnbringend sind, gefordert (Bartholomeyczik 2004).

Grundsätzlich sind Forschungsmethoden Werkzeuge, die aus unterschiedlichenwissenschaftlichen Positionen zur Anwendung kommen können. Methoden sind in

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diesem Sinne ein spezielles System von (Handlungs-)Regeln, um an neue Erkenntnissezu gelangen. Sie sind auf einen Prozess und ein bestimmtes Ziel, wie z. B. eine systema-tische Problemlösung, hin ausgerichtet und sind daher zielgerichtet auszuwählen(Brandenburg 2007). Diese zielgerichtete und auch zielführende Passung in der Aus-wahl von Methoden wird mit dem Begriff der „Gegenstandsangemessenheit“ beschrie-ben.

Trotz der bemerkenswerten Entwicklung der Pflegeforschung machen sich Defizitefür die Weiterentwicklung von Pflegewissenschaft und Pflegeforschung bemerkbar. Ei-nes der Defizite gründet sich in der Methodenwahl und -anwendung, denn es entstehtder Eindruck bevorzugter Themenschwerpunkte (Hasseler 2005). Etablierte Metho-den zur Erfassung des Stellenwertes einzelner Methoden bedienten sich bisher biblio-metrischer Analysen (Hausner 2006; Traynor 2001; Polit/Beck 2009; Scholes 2010).Die Ergebnisse solcher Studien sind ein Spiegelbild des (pflege)wissenschaftlichenMainstreams und damit auch systematischen Verzerrungen unterworfen. So kann bei-spielsweise das Peer-Reviewing zu einer Unterordnung in einen etablierten Methoden-kanon zwingen, oder bestimmte, nicht den aktuellen Trends entsprechende Arbeiten,werden gar nicht erst zur Publikation eingereicht. Auch die Analyse von Bildungsange-boten (z. B. anhand von Modulhandbüchern) oder Lehrbüchern ist diesen Verzerrun-gen unterworfen. Sie decken nicht den aktuellen Stand der Forschungsanwendung undmöglicher Bedarfe auf, sondern beschreiben etablierte Angebote und die als langfristigrelevant erachteten Methoden.

Eine systematische Erfassung der angewendeten und gelehrten Forschungsmetho-den aus Sicht der Anwender liegt im deutsprachigen Raum nicht vor. Eine Recherchein der Zeitschrift „Pflege“ der Jahre 1992-2001 ergibt eingeschränkte Hinweise. Diedort veröffentlichten Forschungsarbeiten weisen im Gegensatz zu anderen Ländern,die einen Überhang an qualitativen Methoden aufwiesen, auf eine steigende Bedeu-tung quantitativer Methoden hin. Triangulationen wurden selten verwendet und be-stimmte Forschungsbereiche, wie die Methoden der historische Forschung, eher ver-nachlässigt (Bartholomeyczik 2004).

Eine direkte Befragung der Pflegewissenschaftlerinnen und Pflegewissenschaftlerermöglicht unmittelbarere Hinweise auf die Methodenpräferenz und Lehrinhalte. Mitdiesem Ziel wurde die Erhebung in der vorliegenden Studie als Online-Befragungdurchgeführt. Ergänzend wurden zur Erfassung der perspektivischen Entwicklungsbe-darfe die individuellen Fort- und Weiterbildungswünsche erfragt. Diese sind ein Spie-gelbild der persönlichen Entwicklungsbedarfe, aber auch der disziplinspezifischenEntwicklungsperspektiven.

Vier Fragestellungen stehen damit im Mittelpunkt der vorliegenden Studie:

- Welche Forschungsmethoden werden von Lehrenden und Forschenden, die sichselbst der Pflegewissenschaft zuordnen, genutzt?

- Welche Forschungsmethoden werden im deutschsprachigen Raum gelehrt?

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- Welche Fort- und Weiterbildungswünsche werden bezüglich der Forschungsme-thoden geäußert?

- Was sind Entscheidungsgrundlagen für die Methodenwahl und Entwicklungsbe-darfe?

2. Methode

2.1 Design und Teilnehmerinnen/Teilnehmer

Die Erhebung wurde als Online-Befragung realisiert. Diese lief von September 2009bis Februar 2010.

Wie oben dargestellt ist die Pflegewissenschaft eine junge Disziplin mit Bezügen zuverschiedenen Disziplinen. In Anlehnung an die Aufgaben der Pflegewissenschaft sinddaher aus unserer Sicht als Pflegewissenschaftlerinnen/Pflegewissenschaftler all dieje-nigen zu fassen, welche zur methodischen Wissensvermehrung der Pflege, sei es in Em-pirie oder Theorie, beitragen und sich selbst daher als Pflegewissenschaftlerin/ Pflege-wissenschaftler definieren. Die Eingrenzung der Stichprobe ergibt sich durch den Zu-gang:

Die Erhebung war über die Homepage der Deutschen Gesellschaft für Pflegewis-senschaft (DGP) zu erreichen. Um möglichst viele deutschsprachige Pflegewissen-schaftlerinnen und -wissenschaftler für die Teilnahme an der Online-Befragung zu ge-winnen, wurde der Email-Verteiler der DGP genutzt. Ergänzend wurden mittels einerInternetrecherche wissenschaftliche Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter und Lehrstuhlin-haber/Lehrstuhlinhaberinnen pflegebezogener Studiengänge an Universitäten undFachhochschulen sowie pflegewissenschaftliche Forschungsinstitute in Deutschland,Österreich und der Schweiz ermittelt3.

Diese wurden via Mail mit einem integrierten nicht personalisierten Link eingela-den, an der Befragung teilzunehmen. Insgesamt wurden 323 Personen per Mail kon-taktiert, 127 Personen haben sich an der Befragung beteiligt.

Inhalte und Form des Online-Fragebogens wurden innerhalb der Sektion For-schungsmethoden der DGP erarbeitet und konsentiert. Im Rahmen eines Pretests wur-den mit jeweils zehn Personen zwei verschiedene Papierversionen und zwei verschiede-ne Onlineversionen hinsichtlich Bearbeitungsdauer, Verständlichkeit und technischerUmsetzung bewertet. Auf dieser Grundlage wurde der finale Fragebogen entwickelt.Die Datenerhebung erfolgte anonym. Es wurden keine Rechneradressen (IP-Adressen)gespeichert. Der Abbruch der Befragung führte zum Löschen des jeweiligen Datensat-zes. Freiwillig konnten Namen und Email-Adresse angegeben werden, um einen Pool

3 Auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft wurde zusätzlich ein Link zur Befragungplatziert, der auch Personen erreichen sollte, die nicht per Mail angeschrieben wurden, sich aber alsPflegewissenschaftlerinnen/Pflegewissenschaftler verstehen. Eine genaue Bestimmung des Rücklaufs ist durch dieForm der Ansprache nicht möglich.

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an Expertinnen und Experten für Fortbildungsangebote zu generieren. Ein positivesVotum der Ethik-Kommission der DGP lag vor Beginn der Studie vor.

2.2 Instrumente

Die Befragung gliederte sich in vier Teile

1. Genutzte und gelehrte Forschungsmethoden, Fortbildungswünsche2. Entscheidungsgründe und Entwicklungsbedarfe3. Berufsbiografische Fragen4. Freiwillige Angaben der Kontaktadresse

Zur Erhebung der genutzten und gelehrten Forschungsmethoden wurde eine Auswahlgängiger Forschungsdesigns, Erhebungs- und Auswertungsmethoden, wie sie in denmeisten Methodenlehrbüchern zu finden sind, vorgegeben. Hierzu konnten die Teil-nehmerinnen und Teilnehmer dann angeben, ob diese von ihnen gelehrt, angewendetoder als Fortbildungsthemen gewünscht werden. Bei den qualitativen Zugängen wur-den auch Methodologien (Grounded Theory, Phänomenologie etc.) in die Befragungaufgenommen. Weitere Methoden konnten als Freitext ergänzt werden.

Nach der Bestandsaufnahme im ersten Teil wurden im zweiten Teil die Entschei-dungsoptionen für die Methodenwahl und die Entwicklungsbedarfe mittels folgenderaufgeführter offener Fragen erhoben:

1. Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie die Forschungsmethoden, die Sie an-wenden wollen, aus?

2. Wo sehen Sie Entwicklungsbedarf auf dem Gebiet der Forschungsmethoden für diePflegeforschung?

Die Befragten wurden im dritten Teil gebeten, Angaben zu ihren Forschungsschwer-punkten, Tätigkeitsfeldern und zur ihrer Berufsbiographie zu machen. Auf freiwilligerBasis konnten am Ende persönliche Angaben (Name, Adresse, Email) hinterlassen wer-den.

2.3 Analyse

Die Antworten der standardisierten Fragen wurden mittels deskriptiver Statistik aus-gewertet. Die Analyse erfolgte mit PASW Statistics 18 (SPSS Inc. 2009). Die Antwor-ten zu den zwei offenen Fragen (Entscheidung für eine Methode, Entwicklungsbedar-fe) wurden mit Hilfe von Atlas.ti 5.7.1 (Atlas.ti GmbH, 2011) kodiert, thematisch ge-clustert und anschließend anhand der entstandenen Kategorien quantifiziert.

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3. Ergebnisse

Im Zeitraum von September 2009 bis Februar 2010 füllten 127 Personen den Fragebo-gen aus. Aufgrund der Angaben im dritten Teil des Fragebogens ergeben sich folgendeStichprobencharakteristika: Mehrheitlich nahmen Frauen (66%) an der Befragungteil. Von den 127 Personen, die Angaben machten, arbeiteten 45% zum Zeitpunkt derBefragung an einer Universität, 35% an einer Fachhochschule, 16% in einem Kran-kenhaus und 10% in einer Fort- und Weiterbildungseinrichtung (Mehrfachantwortenwaren möglich). Siebzehn Personen ergänzten zur Frage nach dem derzeitigen Arbeits-platz freie Antworten. In vier dieser Fälle wurden Forschungsinstitute benannt. Diemeisten der teilnehmenden Personen haben ein Diplom (55%), eine Promotion (41%)und/oder einen Masterabschluss (29%). Hinsichtlich der Art des Hochschulabschlus-ses dominiert ein Abschluss in Pflegewissenschaft (43%), gefolgt von Gesundheitswis-senschaften (20%), Pädagogik/Erziehungswissenschaften (13%), Soziologie/Sozial -wissenschaften (12%) und Pflege (10%). Weitere Angaben bezogen sich auf Pflegema-nagement (9%), Pflege als grundständigen Studiengang (10%), Psychologie (6%),Gerontologie (3%) und Medizin (1%). Hierbei waren Mehrfachantworten möglich.Von den teilnehmenden Personen absolvierten 78,8% eine Ausbildung in einem Pfle-gefachberuf.

Die weitere Darstellung der Ergebnisse gliedert sich 3.1) in die Auswertung zu dengelehrten, genutzten und bevorzugten Methoden sowie 3.2) die Auswertung der offe-nen Fragen zu den Entscheidungsgrundlagen und Entwicklungsbedarfen.

3.1 Gelehrte, genutzte und für Fortbildungen präferierte Methoden

In der Onlineerhebung wurden die persönlichen Einschätzungen zu Lehrinhalten,Nutzung und Fortbildungswünschen getrennt für Studiendesigns, Erhebungsmetho-den, Auswertungsmethoden und qualitative Methoden/Methodologie erfragt.

3.1.1 Studiendesigns

Bei der Abfrage zu den in der Lehre vermittelten Studiendesigns dominieren qualitati-ve Designs, die von knapp der Hälfte der Befragten (49%) gelehrt werden (siehe Tabel-le 1). Auf Platz zwei der am häufigsten genannten Lehrinhalte stehen Querschnittsstu-dien (36%) und auf Platz drei Längsschnittstudien (35%). Weniger häufig werden Va-lidierungsstudien (16%) und epidemiologische Studien (17%) gelehrt. Ein ähnlichesBild zeigt sich bei der Nutzung der Methoden: Auch hier dominieren qualitative De-signs, die von 78% der Befragten als Teil ihres Methodenrepertoires genannt werden,gefolgt von Querschnittsstudien (50%) und Reviews (50%). Zu den Methoden, dieweniger oft angewendet werden, gehören Metaanalysen (13%) und epidemiologischeStudien (14%). Knapp ein Drittel der Befragten nennen Metaanalysen als für sie rele-vantes Fortbildungsthema (32%), gefolgt von randomisiert kontrollierten Studien(RCT) (26%) und Validierungsstudien (21%).

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Bei den freien Antworten zu den Fortbildungswünschen wurden genannt: Aktionsfor-schung (n=2), Metaanalysen (n=2), Metaethnographien (n=1), Mixed Methods (n=1)und phänomenologische Designs (n=1).

3.1.2 Daten-Erhebungsmethoden

Bei etwa der Hälfte der Befragten zählen Interviews zu den Lehrinhalten (51%), gefolgtvon Fragebogenmethoden (43%), Beobachtungsmethoden (39%), Dokumentenana-lysen (39%) und Fokusgruppen (26%). Eine ähnliche Rangreihe ergibt sich im Hin-blick auf die Methodennutzung: Interviews (84%), Fragebogen (80%), Dokumenten-analyse (58%), Beobachtung (54%) und Fokusgruppen (38%). Weniger als 15% derBefragten wünschen sich Fortbildungen zu speziellen Erhebungsmethoden. Eine Aus-nahme bilden Fokusgruppeninterviews, die von 22% der Befragten als Fortbildungs-thema gewünscht werden.

3.1.3 Auswertungsmethoden

Quantitative Auswertungsmethoden werden insgesamt seltener gelehrt als quantitati-ve Erhebungsmethoden, Studiendesigns oder qualitative Methoden. Ein Viertel derBefragten lehrt deskriptive Statistik (25%), gefolgt von varianzanalytischen Verfahren(19%), korrelativen Verfahren (16%) und multivariaten Verfahren (10%). Dennochkommen diese Methoden häufig in der eigenen Forschung zur Anwendung: Deskripti-ve Statistik wird von 69% als Teil des Methodenrepertoires angegeben, varianzanalyti-sche Verfahren von 57%, korrelative Verfahren von 47% und multivariate Verfahrenvon 32% (siehe Tabelle 2). In den freien Antwortmöglichkeiten wurden folgende spe-

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Tab. 1: Gelehrte und angewandte Studiendesigns der Befragten sowie derenFortbildungswünsche (N = 127)

Methode Ich lehre … Ich habe folgende Me-thoden in meiner For-schung angewendet …

Ich wünsche mir Fort-bildungen zu folgen-den Themen …

% Rang % Rang % Rang

Qualitative Designs 48,8 1 78,0 1 12,6 8

Querschnittsstudien 36,2 2 49,6 2 11,0 9

Längsschnittstudien 35,4 3 27,6 5 12,6 8

Reviews 33,9 4 49,6 2 15,0 7

RCTs 29,1 5 20,5 7 26,0 2

Quasi-Experiment 28,3 6 26,8 6 18,9 6

Analyse von Datenbeständen 28,3 6 39,4 4 19,7 4

Metaanalysen 26,0 8 13,4 10 31,5 1

Epidemiologische Studien 17,3 9 14,2 9 19,7 4

Validierungsstudien 15,7 10 15,0 8 21,3 3

zielle Auswertungsmethoden zur Nutzung genannt: Mehrebenenmodelle (n=5), Di-mensionsreduktionen (n=1), Ereigniszeitanalysen (n=1), Bayesianische Statistik (n=1)und Propensity Scores (n=1).

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Tab 2: Gelehrte und angewandte Auswertungsmethoden der Befragten sowie derenFortbildungswünsche (N=127)

Methode Ich lehre … Ich habe folgende Methoden in meinerForschung angewendet…

Ich wünsche mir Fort -bildungen zu folgendenThemen …

% Rang % Rang % Rang

Deskriptive Statistik 25,2 1 69,3 1 12,6 4

Varianzanalysen undMittelwertvergleiche

18,9 2 56,7 2 15,0 3

Korrelations- und Regressionsanalysen

15,7 3 47,2 3 18,1 2

Multivariate Verfahren 10,2 4 31,5 4 26,0 1

Fortbildungswünsche zu den Auswertungsmethoden werden weniger häufig genannt(< 18% der Befragten). Eine Ausnahme bilden multivariate Verfahren, die von 26% derAntwortenden als Thema gewünscht werden.

3.1.4 Qualitative Methoden/Methodologien

Unter den Lehrinhalten wird der Grounded Theory-Ansatz von 34% der Befragten amhäufigsten genannt, gefolgt von der Inhaltsanalyse (32%) und den Fallstudien (28%).Dies sind auch die drei methodischen Zugänge, die am häufigsten in der eigenen For-schung genutzt werden (siehe Tabelle 3).

Von den 127 Befragten wünschen sich 21% Fortbildungen zur Aktionsforschung.An zweiter Stelle folgen phänomenologische Analysen (17%). Selten werden Fortbil-dungen zur Grounded Theory (11%) und zur Inhaltsanalyse (10%) gewünscht.

3.1.5 Verhältnis zwischen qualitativen und quantitativen Methoden

Über die einzelnen Forschungsmethoden hinweg wurde eine gesonderte Analyse imHinblick auf die Präferenz für eher quantitative vs. qualitative Methoden vorgenom-men4. Hierzu wurden 11 Auswahloptionen eher den quantitativen Methoden zugeord-net (RCT, Quasi-Experiment, Längsschnittstudien, Querschnittstudien, epidemiolo-gische Studien, Validierungsstudien, Analyse von Datenbeständen, deskriptive Statis-

4 Die Unterscheidung quantitativ vs. qualitativ ist auf der methodischen Ebene schwieriger als auf der methodolo-gischen oder epistemologischen Ebene (Haas 1994). Dennoch wird diese Unterscheidung hier gewählt, da sie tra-diert ist und eine hilfreichen Systematisierung für die Ergebnisse darstellt.

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tik, Varianzanalyse, Korrelations- und Regressionsanalyse, multivariate Verfahren)und 11 Auswahloptionen den qualitativen Methoden zugeordnet (qualitative Designs,Grounded Theory, hermeneutische Analysen, Inhaltsanalyse, phänomenologischeAnalysen, ethnografische Lebensweltanalyse, historische Forschung, Biografiefor-schung, Narrationsforschung, Aktionsforschung, Fallstudie). Durch die Anzahl derNennungen in den beiden Kategorien lassen sich so für die Lehrinhalte, die For-schungsanwendung und die Fortbildungswünsche die Präferenzen vergleichen.

Für die Lehrinhalte stellt sich folgendes Ergebnis dar: Im Schnitt werden 2,6 quan-titative Themen pro befragter Person gewählt (SD = 3,4) und 2,5 qualitative Themen(SD = 3,0). Für die Nutzung einzelner Methoden zeigt sich, dass im Durchschnitt 3,9quantitative Methoden (SD = 3,0) und 3,1 qualitative Methoden ausgewählt werden(SD = 2,3). Die überwiegende Mehrheit der Befragten nutzt für die eigene Forschungqualitative und quantitative Methoden (70%). Hinsichtlich der Fortbildungswünscheergibt sich, dass die 127 Personen im Durchschnitt 1,5 (SD = 2,6) qualitative Themenwählen, während es von den 11 quantitativen Fortbildungsthemen durchschnittlich2,0 (SD = 2,8) Themen sind.

Im Sinne einer explorativen Datenanalyse wurden verschiedene mögliche Korrelatefür die Präferenz qualitative und quantitativer Methoden untersucht. Dargestellt wirdhier die Methodenpräferenz und Lehrinhalte in Fachhochschulen/Hochschulen undUniversitäten (Tabelle 4).

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Tab. 3: Gelehrte und angewandte qualitativen Methoden und Methodologien (N = 127)

Methode/Methodologien

Ich lehre … Ich habe folgende Methoden in meiner Forschung ange wendet…

Ich wünsche mir Fort -bildungen zu folgendenThemen …

% Rang % Rang % Rang

Grounded Theory 33,9 1 37,8 2 11,0 9

Inhaltsanalyse 32,3 2 60,6 1 10,2 10

Fallstudien 28,3 3 35,4 3 12,6 6

Hermeneutische Analysen

25,2 4 22,8 4 15,0 4

PhänomenologischeAnalysen

17,3 5 18,1 6 17,3 2

Ethnographische Lebensweltanalyse

16,5 6 10,2 9 15,0 4

Biografieforschung 15,0 7 11,8 8 16,5 3

Aktionsforschung 15,0 7 18,9 5 21,3 1

Narrationsforschung 12,6 9 12,6 7 11,8 8

Historische Forschung 9,4 10 10,2 9 12,6 6

Hinsichtlich der Nutzung von Methoden ist in Hochschulen/Fachhochschulen eineGleichverteilung festzustellen, während bei den Mitarbeitenden der Universität dieAnwendung quantitativer Methoden überwiegt. In der Lehre hingegen dominieren beiden Mitarbeitenden der Hochschulen/Fachhochschulen qualitative Methoden.

3.2 Entscheidungsgrundlagen und Entwicklungsbedarfe

Die Entscheidungsgrundlagen und Entwicklungsbedarfe wurden mittels der folgen-den Fragen erhoben:

1. Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie die Forschungsmethoden aus, die Sieanwenden wollen? (3.2.1)

2. Wo sehen Sie Entwicklungsbedarf auf dem Gebiet der Forschungsmethoden für diePflegeforschung? (3.2.2)

3.2.1 Auswahl von Forschungsmethoden

Insgesamt haben von den 127 Befragten 114 Personen die Möglichkeit zu einer Frei-texteingabe genutzt. Die Antworten konnten in 17 Kategorien zusammengefasst wer-den (siehe Tabelle 5).

Die am häufigsten genannten Antworten waren „nach der Forschungsfrage/ nachder Fragestellung“ (N=83) und „nach der Gegenstandsangemessenheit/ nach demGegenstandsbezug“ (N=21). Weitere Entscheidungskriterien sind die eigene Kompe-tenz und Methodenerfahrung („Bei Gleichrangigkeit hinsichtlich der Angemessen-heit: jene, die ich besser beherrsche“ (1385); „Ich unterrichte die Forschungsmethoden,die ich beherrsche“ (154) und die Realisierbarkeit, was auch als Einschränkung wahr-genommen wird („leider auch pragmatisch“, 136).

Ein weiterer Einflussfaktor auf die Methodenwahl sind die vorhandenen finanziel-len (N=8) und zeitlichen (N=6) Ressourcen, aber auch die Erreichbarkeit der Zielgrup-pe (N=6).

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Tab. 4: Nutzung und Lehrinhalte unter den Befragten aus Universitäten (N= 57) und Fach -hochschulen/Hochschulen (N=45). Dargestellt als Mittelwerte (und Standardabweichung)der Anzahl der ausgewählten qualitativen bzw. quantitativen Methoden aus den jeweils 11 Auswahloptionen

Nutzung von Forschungsmethoden Methodeninhalte in der Lehre

Qualitative Methoden

Quantitative Methoden

Qualitative Methoden

Quantitative Methoden

Universität (57) 2,7 (1,9) 4,7 (3,1) 1,8 (2,2) 2,8 (3,7)

Hochschulen/Fachhochschulen (45)

3,4 (2,3) 3,6 (2,8) 4,2 (3,3) 3,4 (3,3)

5 Quellenangaben: Datensatz-ID

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Einige Befragte gaben an, die Forschungsmethode anhand der Zielgruppe der Studie-renden und den damit verbundenen Lernzielen und Modulplänen (N=4) auszuwäh-len. Auch persönliche Interessenschwerpunkte (N=3) werden als Entscheidungskrite-rium genannt.

3.2.2 Entwicklungsbedar f auf dem Gebiet der Forschungsmethoden

für die Pflegeforschung

Zu dieser Frage haben 91 der 127 Befragten einen Kurztext formuliert. Das daraus ge-bildete Kategoriensystem zeigt die Tabelle 6.

Die meisten Angaben beziehen sich auf konkrete Forschungsmethoden. So wird einEntwicklungsbedarf in statistischen und quantitativen Verfahren (N=18) und im Me-thodenmix/Triangulation (N=14) formuliert. Generell lässt sich feststellen, dass dieAntworten auf diese Frage das ganze Spektrum der quantitativen und qualitativen Ver-fahren abdecken, z. B. werden deskriptive und analytische Statistik ebenso genannt wiedie Überprüfung etablierter Methoden und qualitative Ansätze. Eine weitere überge-ordnete Kategorie sind Fragen der Methodendiskussion und -entwicklung. Sechs Per-sonen thematisieren hier, dass ein methodologischer Diskurs in der Pflegewissenschaftnotwendig ist. Dazu gehören die kritische Reflexion von EBN als „nur ein Baustein“(57), die „kritische nüchterne Diskussion über Nutzen und Grenzen von RCTs“ (61)und die Einschätzung, dass sich viele Fragen in der Pflegewissenschaft nur qualitativangemessen untersuchen lassen (50).

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Tab. 5: Kategorien für die Auswahl von Forschungsmethoden nach Häufigkeit (N = 114 Angaben)

Kategorie Anzahl

nach der Fragestellung 83

nach dem Gegenstandsbezug 21

Ressourcen – eigene Kenntnisse mit der Methode/ Erfahrungen 11

Praktikabilität 10

ökonomische Aspekte – Geld 8

ökonomische Aspekte (Zeit) / Ressourcen – Erreichbarkeit der Zielgruppe jeweils 6

passend zum Design 5

Ergebnisorientierung / vorhandene Ressourcen / Lehrziele im Studium jeweils 4

persönliches Interesse / Ressourcen – Erfahrungen im Team jeweils 3

Theoretischer Bezugsrahmen / Aussagekraft/ Evidenz jeweils 2

Entwicklungsstand der zur Verfügung stehenden Methoden / ethische Vertretbarkeit jeweils 1

4. Diskussion

Zentrales Ziel der Studie war es, die Methoden-Nutzung und entsprechende Lehrin-halte in der deutschsprachigen Pflegewissenschaft zu analysieren, dabei methodischeSchwerpunktsetzungen zu identifizieren und persönliche Weiterentwicklungsbedarfein der Selbstreflexion der Pflegewissenschaftlerinnen und Pflegewissenschaftler aufzu-decken.

Beiträge

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Kategorie Anzahl

Entwicklungsbedarf in methodischen Verfahren

Quantitative Verfahren und Statistik 18

Methodenmix/Triangulation 14

Interventionsforschung 5

Metasynthese, -ethnografie, -analyse 4

Aktionsforschung 3

epidemiologische Verfahren / experimentelle Forschung / qualitative Designs / hermeneuti-sche und phänomenologische Zugänge / Interaktionsforschung / klinische Forschung / Lebensweltforschung

jeweils 2

Objektive Hermeneutik / Beobachtung / Teilnehmende Beobachtung / Evaluations -forschung / narrative Methode / Sekundärforschung / Methoden, die über den Gegensatzvon quantitativ vs. qualitativ hinausgehen

jeweils 1

Methodologie, Methodendiskussion

Methodendiskussion und -entwicklung in der Pflegewissenschaft ist kaum ausgebildet, Beginn eines methodologischen Diskurses

6

Kritische Beleuchtung von Evidence Based Nursing 4Methodologie/Qualitative Forschung und Ethik / unideologische Methodenwahl jeweils 3

Verfahren der Bewertung qualitativer Studien, Überprüfung etablierter Methoden für Pfle-gewissenschaft

jeweils 2

Entscheidungsfindung innerhalb von Methodenanwendungen systematisieren, Entschei-dungsschwierigkeiten bei fehlenden Methoden, Erhebungsmethoden/-instrumente speziellfür geriatrische Patienten bzw. spezifische klinische Gruppen, Ethik, stärkere Einbindungqualitativer Verfahren

jeweils 1

Forschungsfelder

Entwicklungsbedarf für neue Forschungsfelder 6Erforschung der leibkörperbezogenen Interaktion 2

Praktische Fragen

Ausbau der Strukturen für Lehre / Theorie-Praxis-Transfer jeweils 4

Finanzierung 3

Praktische Probleme im Forschungsfeld 2

Nutzen für die Pflege 1

Tab. 6: Antworthäufigkeiten der Kategorien zur Frage der Einschätzung des methodischenEntwicklungsbedarfs (N = 91 Angaben)

210

Beiträge

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass Personen, die sich selbst als Pflegewissen-schaftlerinnen/Pflegewissenschaftler verstehen, ein großes Spektrum an wissenschaft-lichen Methoden lehren und nutzen. Knapp 70% der Befragten kennen sich sowohl imFeld der qualitativen also auch der quantitativen Forschung aus. Innerhalb der qualita-tiven Methoden sind die Inhaltsanalyse und Grounded Theory die am häufigsten angewendeten Methoden. Die Daten zu den quantitativen Auswertungsmethodenverdeutlichen, dass von mehr als der Hälfte der Personen der Kanon von deskriptiven,korrelativen und varianzanalytischen Verfahren genutzt wird. In den knapp 40 Frei-textantworten zu den genutzten Forschungsmethoden zeigt sich eine große Spannbrei-te an Methoden, die in der deutschsprachigen Pflegewissenschaft angewendet werden.Hier werden insbesondere auch für die Pflegewissenschaft neuere Methodenentwick-lungen, wie z. B. Mehrebenenmodelle oder andere regressionsanalytische Verfahrengenannt.

In der Untersuchung überwiegen tendenziell quantitative Forschungsdesigns. EinVergleich der Methodennutzung zwischen Hochschulen/Fachhochschulen und Uni-versitäten legt dabei nahe, dass im universitären Kontext quantitative Methoden häufi-ger zum Einsatz kommen. Personen an Fachhochschulen nutzen gleichberechtigt bei-de Methoden. Lediglich in der Lehre ist eine besondere Dominanz qualitativer Metho-den an Fachhochschulen festzustellen. Wie lassen sich diese Unterschiede trotzgleichem Gegenstandsbereich erklären? Ein Erklärungsmodell ist die stärkere Beteili-gung von Universitäten an hochdotierten Forschungsprojekten, die eher in Bereichenzu finden sind, in denen Quantifizierungen gefordert sind. Eine Verortung pflegewis-senschaftlicher Abteilungen in medizinischen Fakultäten oder Universitätsklinikakann diesen Quantifizierungsdruck noch verstärken. Ebenso kann der Publikations-druck in „high-impact“-Journals die Tendenz zur Nutzung quantitativer Forschungverstärken. Wenn dieses Erklärungsmodell zutrifft, dann sind also offensichtlich auchstrategische Faktoren für die Methodenpräferenz entscheidend und nicht zwingendnur die Gegenstandsangemessenheit.

Vor dem Hintergrund der hohen Relevanz von RCTs in der Versorgungsforschungund der Heranziehung entsprechender Studien für Standards, Leitlinien und Richtli-nien im Gesundheitswesen (Hallberg 2006) ist aufgrund der Ergebnisse festzustellen,dass dieser Bedarf über Hochschultypen hinweg nicht gedeckt werden kann: Nur je-de/r fünfte Befragte gibt an, solche Studiendesigns selbst einzusetzen. Offen bleibt da-bei, warum diese Studiendesigns so selten genutzt werden. Die Erklärung einer man-gelnden Nutzung aufgrund fehlenden Know-Hows scheint wenig plausibel, da nurknapp ein Viertel der Befragten etwa RCTs als wünschenswertes Fortbildungsthemaauswählen. Als möglicher Grund könnte eine unzureichende Mittelausstattung fürentsprechende Studien angeführt werden, denn international vergleichende Studienzeigen, dass mit steigenden Drittmitteln die Anzahl an patientenzentrierten Interven-tionsforschungsarbeiten steigt (Polit/Beck 2009). Außerdem ist die Durchführung sol-cher Studien in der Pflege auch mit besonderen forschungsethischen Probleme behaf-tet (Edwards et al. 1998).

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Gleichzeitig werden bei der Abfrage der Entwicklungsbedarfe ebenfalls viele wün-schenswerte Methodenkompetenzen genannt. Die Antworten reichen von deskripti-ver und analytischer Statistik und multivariaten Analyseverfahren, Experimenten,Interventionsstudien und epidemiologischen Studiendesigns, narrativen Methoden,der Nutzung literaturwissenschaftlicher Methoden und komplexen Verfahren wieKommunikations- und Interaktionsforschung bis hin zu Methodentriangulation, Re-views und Metaanalysen. Auch bei der Abfrage der Fortbildungswünsche im ersten Teilder Befragung zeigt sich ein Bedarf, besonders hinsichtlich der Methoden, die nur sel-ten Lehr- und Forschungsinhalte sind. So werden häufig Fortbildungsbedarfe zurMetaanalyse, Fokusgruppen-Interviews, zur Aktionsforschung und zu phänomenolo-gischen Analysen genannt.

Aus den dargestellten Bedarfen lassen sich erste Anhaltspunkte für die Entwicklungvon Methodenworkshops ableiten, die durch die Sektion Forschungsmethoden in derDGP nun auch realisiert werden sollen. Aus der Tatsache, dass 45 Personen ihre Bereit-schaft bekundet haben, sich an Diskussionen zur Methodenentwicklung zu beteiligenund sich 17 Personen als Referentinnen oder Referenten für entsprechende Fortbil-dungen angeboten haben, wird deutlich, welche Ressourcen hier genutzt werden kön-nen.

Die zentrale Frage, ob es eines erweiterten oder veränderten Methodeninventars be-darf, wird in den Antworten zu den Entscheidungsgrundlagen für die Methodenwahldiskutiert. So heißt es dort beispielsweise, der Fokus habe bisher zu sehr auf qualitati-ven Methoden gelegen (202), in einem anderen Datensatz wird dagegen die „zu starkeOrientierung an quantitativen Verfahren“ (116) hervorgehoben. Zu den RCTs heißtes: „Solange RCT´s als die einzig wahre Methode in Puncto Glaubwürdigkeit und Aus-sagekraft zu sein scheinen, beraubt sich die Wissenschaft (nicht nur die Pflegewissen-schaft) vieler spannender Ergebnisse, welche im weiteren Verlauf möglicherweisedurch „höherwertige“ Methoden weiterentwickelt werden. Lobbyarbeit wäre also dasThema.“ (111) Das offensichtlich noch existente Akzeptanzproblem qualitativer For-schung klingt auch in einem weiteren Beitrag an: „Sehe keinen Sinn darin, mit medizi-nischer, psychologischer, sozialwissenschaftlicher Forschung zu konkurrieren, sondernkontextspezifische „kleine“ Methoden zu entwickeln, eher anwendungsorientiert“(167). Andererseits wird auch ein „Austausch mit Fachrichtungen wie Statistik,Psychologie“ vorgeschlagen (184) und sehr pragmatisch empfohlen, einen „unideolo-gischen gegenstandsangemessenen Zugang zu wählen und nicht in Kästchendenken zuverhaften“ (47). Zu dieser Forderung passt, dass relativ häufig auch Entwicklungsbe-darfe im Bereich der Triangulation/mixed methods genannt werden, was auch Bartho-lomeyczik (2004) fordert. Von mehreren Befragten wird auf das Fehlen eines entspre-chenden methodologischen Diskurses in der Pflegewissenschaft hingewiesen. Diesentspricht der Beobachtung von Moers und Schaeffer (2011), welche darauf hinwei-sen, dass eine vertiefende Fundierung pflegerischen Wissens in Form von Theoriebil-dung in den deutschsprachigen Ländern zurzeit noch ausbleibt. Auch bedingt durchdie pflegewissenschaftliche Praxisnähe, könnte dies auf einen Mangel innerhalb derDisziplin hinweisen und dadurch Überformungsversuchen anderer Wissenschaftsdis-

Beiträge

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Beiträge

ziplinen entgegenkommen (Moers/Schaeffer 2011). Dahinter steckt die Forderung,dass ein Theoriediskurs dringend angeregt werden sollte, da Forschung und Theorie-bildung eng miteinander verwoben sind. Dies könnte der Forderung einiger Studien-teilnehmer entsprechen, die eine kritische Auswahl in der Anwendung der Methodefordern.

4.1 Limitationen

Die Frage der Methodenangemessenheit ist auch für die Online-Befragung selbst zudiskutieren. Die Entscheidung für eine Online-Befragung begründet sich aus demZiel, viele Pflegewissenschaftlerinnen/-wissenschaftler mit geringem Aufwand zu er-reichen. Dafür wurden methodenimmanente Limitation in Kauf genommen, die dieGeneralisierbarkeit und die Validität der Daten betreffen.

4.1.1 Generalisierbarkeit

Den Angaben zufolge handelt es sich meist um diplomierte und/oder promovierte Per-sonen, die sich selbst als Pflegewissenschaftler verstehen, aber nicht zwingend ein pfle-gewissenschaftliches Studium absolviert haben. Die Fokussierung auf diese Berufs-gruppe wurde durch die Ansprache über den Email-Verteiler der Deutschen Gesell-schaft für Pflegewissenschaft und entsprechende Hinweis auf pflegewissenschaftlichenKonferenzen erreicht. Dies engt den Kreis der Personen ein. Dennoch ist der Begriffder „Pflegewissenschaftler“ unscharf konturiert und es kann nicht ausgeschlossen wer-den, dass auch fachverwandte Personen den Bogen ausgefüllt haben. Dass nahezu 80%über eine Ausbildung im Pflegebereich verfügen zeigt auf, dass die meisten Pflegewis-senschaftler von der Praxis in die Wissenschaft wechselten. Die Heterogenität der uni-versitären Abschlüsse, die nur zu 43% innerhalb pflegewissenschaftlicher Studiengän-ge absolviert wurden, zeigt eine Nähe zu den Bezugswissenschaften.

Eine mögliche Einschränkung der Generalisierbarkeit ergibt sich durch den beson-deren Zugang zur Befragung. So ist es möglich, dass Personen ausgeschlossen wurden,die durch einen fehlenden Internetzugang keine Informationen über die Befragung er-halten haben oder aber nicht in der Lage waren, aufgrund technischer Probleme denFragebogen einzusehen („Coverage-Effekt“). Gelegentlich gibt es „Nonrespondents“,die auf die Bitte zur Teilnahme nicht reagieren, weil sie dieser Form der Befragung skep-tisch gegenüber stehen oder die Anonymität bedroht sehen (Jackob et al. 2008). DieseVerzerrungsmöglichkeiten müssen bei der Generalisierung der Ergebnisse berücksich-tigt werden.

Durch die Anonymität der Befragung, die Versendung eines nicht-personalisiertenLinks und die fehlende IP-Kontrollen kann nicht ausgeschlossen werden, dass Perso-nen mehrfach an der Befragung teilgenommen haben. Gleichwohl wäre aber nach denMotiven zu fragen, wieso jemand an der knapp zehnminütigen Befragung mehrfachmitwirken sollte. Die Vielzahl der Freitextantworten (114 Bögen mit Freitextantwor-

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ten bei insgesamt 127 vollständigen Datensätzen) und der Inhalt zeigen, dass die Perso-nen reflektiert die Fragen beantwortet haben und ein hohes Interesse an der Weiterent-wicklung der Forschungsmethodik in der Pflegewissenschaft bekundet wird.

4.1.2 Validität

Aus Studien zum Vergleich von Paper-Pencil-Tests und Online-Tests ist bekannt, dassVerzerrungen durch Antworttendenzen im Sinne der sozialen Erwünschtheit bei sol-chen Befragungen reduziert sind. Durch die größere Anonymität werden also verläss-lichere Angaben als bei anderen Formen der schriftlichen Befragung oder einem Vis-a-vis-Interview gemacht. So wundert es nicht, dass bei den offenen Fragen auch selbstkri-tische Stellungnahmen formuliert wurden, zum Beispiel, dass oft allein Zeitnot undfehlendes Fachwissen die Methodenwahl bestimmen.

Bei offenen Fragen in Online-Befragungen besteht die Gefahr, dass Informationensemantisch verkürzt formuliert werden, die dann bei der Zuordnung in Kategorien ei-nen Deutungsspielraum lassen. Nachfragen sind bei dieser Form der Abfrage nichtmöglich und Verständnisschwierigkeiten lassen sich nicht angemessen klären. Daherwurden die Antworten hier nur im Sinne einer quantifizierenden Inhaltsanalyse ausge-wertet. Der Vergleich der Ergebnisse, bei denen Auswahloptionen vorgegeben wurdenund denen der freien Texte zeigt eine hohe Übereinstimmung, z. B. hinsichtlich derFortbildungswünsche, so dass dies als Hinweis auf die Validität der Befragung gewertetwerden kann.

Im Gegensatz zu den häufig genutzten bibliometrischen Studien zur Methodennut-zung beziehen sich die Abfragen unmittelbar auf die Einstellungen und Nutzungen derPflegewissenschaftlerinnen und Pflegewissenschaftler und nicht auf deren Publika-tionsleistung. Damit ist eine personen-, zeit- und verhaltensnahe Einschätzung derPräferenz in Forschung und Lehre gelungen. Die durchgeführte deskriptive Befragungist aber nicht geeignet, die Gegenstandsangemessenheit der genutzten oder gelehrtenMethoden zu bewerten. Die Abfrage der Entwicklungsbedarfe wurde meist im Sinneeiner persönlichen Entwicklung statt einer disziplinbezogenen Entwicklung interpre-tiert und müsste durch andere Studien dahingehend ergänzt werden.

Die Ergebnisse der Studie zeigen Parallelen zwischen Bibliometrie und dieser Onli-ne-Studie. Beide Zugänge bestätigen, dass Methoden für Interventionsstudien (z. B.RCTs, multivariate Verfahren) eher selten zur Anwendung kommen, während qualita-tive oder mixed-method-Studien häufiger zu finden sind (Polit/Beck 2009). Auch derAnteil an Personen, die laut Online Befragung Validierungsstudien durchführen, ent-spricht in etwa dem internationalen Trend von 12% (Polit/Beck 2009).

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen also trotz der beschriebenen Limitationen ak-tuelle Trends in der Methodennutzung und der Lehre. Im Längsschnittvergleich wirdes spannend sein zu sehen, welche Veränderungen sich in den deutschsprachigen Län-dern ergeben werden. Ob die genutzten und gelehrten Methoden für den Gegenstandangemessen sind, muss nun vor dem Hintergrund der Anforderungen diskutiert wer-

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Beiträge

den. Entsprechende Diskurse zu entfalten ist auch eine wichtige Forderung der Stu-dienteilnehmer – ebenso wie die Aufforderung, durch das Miteinander von Forschen-den verschiedener Forschungsrichtungen die eigene Methodenkompetenz zu stärken.Die Online-Befragung selbst, die in der Zusammenarbeit von Pflegewissenschaftlernaus unterschiedlichen Methodenfeldern entstanden ist, ist ein Beleg für die fruchtbareinterdisziplinäre und multimethodale Zusammenarbeit.

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und -forschung. In: Pflege und Gesellschaft 6, 1, 1-7Traynor, M. (2011): Bibliometrics as politics: the case of emerging disciplines. In: International Nursing

Review 58, 26-27

Prof. Dr. Bernd ReuschenbachKatholische Stiftungsfachhochschule München, Preysingstr. 83, D-81667 München, [email protected]. Anne-Kathrin Cassier-WoidaskySRH Klinikum Karlsbad- Langensteinbach GmbH, Guttmannstr. 1, 76307 KarlsbadDr. Cornelia MahlerUniversitätsklinikum Heidelberg/University Hospital Heidelberg, Abteilung Allgemein -medizin und Versorgungsforschung, Voßstraße 2, 69115 HeidelbergProf. Dr. Herbert MayerMathias Hochschule Rheine, Frankenburgstraße 31, 48431 RheineMiriam Tabea RichterUniversität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung IPP, Grazer Straße 4,28359 BremenCharlotte BerendonkNetzwerk AlternsfoRschung, Bergheimer Straße 20, 69115 HeidelbergMatthias HobenNetzwerk AlternsfoRschung, Bergheimer Straße 20, 69115 HeidelbergDr. Martin MüllerInstitut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie der Lud-wig-Maximilians-Universität München, Marchioninistr. 17, 81377 MünchenChrista FlerchingerStabstelle Pflegeentwicklung am Klinikum und Fachbereich Medizin der Johann WolfgangGoethe-Universität Frankfurt am Main, Theodor Stern Kai 7, 60590 Frankfurt am MainProf. Dr. Matthias ZündelEvangelische Hochschule Berlin (EHB), Teltower Damm 118–122, 14167 BerlinProf. Dr. Andrea SchiffKatholische Hochschule Nordrhein-Westfalen, Wörthstraße 10, 50668 Köln

Beiträge

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Beiträge

Ingrid Darmann-Finck

Wirkungen einer akademischen

Erstausbildung von professionell Pflegenden

im Spiegel internationaler Studien

Effects of a basic academic training for nurses in the light of international

studies

The article investigates whether benefits can be expected from nurses taking a Bache-

lor`s degree and receiving basic academic training. The findings are based on literature

research in two internationally relevant data bases. No studies were found that indicate

any causal relationships. The literature does provide convincing evidence that there is a

significant positive association between the number of nursing staff possessing a Ba-

chelor degree and the patient outcome. However the findings are ambiguous with regard

to the development of nursing competences. In the following the methodical limitations

of the studies reviewed and the conclusions to be drawn when designing programs of stu-

dy are pointed out.

Keywords

Bachelor Degree in Nursing, Patient Outcome, Nursing Competence

Der Ar tikel geht auf der Basis einer Literaturrecherche in zwei internationalen Fachda-

tenbanken der Frage nach, welche Zugewinne von einer Erstausbildung von Pflegenden

auf Bachelorniveau für die Kompetenzen von Pflegenden einerseits und das Patienten -

outcome andererseits zu erwarten sind. Auch wenn die gefundenen Studien nicht geeig-

net sind, kausale Zusammenhänge festzustellen, kann aber als gesichert gelten, dass

ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen dem Anteil von Pflegenden mit einer

Bachelorqualifikation und dem Patientenoutcome besteht. Bezogen auf die Kompetenz

bzw. Per formanz der Bachelorpflegenden ist die Studienlage nicht eindeutig. In der Dis-

kussion wird auf methodische Limitierungen ebenso hingewiesen wie auf Konsequenzen

für die Konzeption von primärqualifizierenden Studiengängen.

Schlüsselwörter

Erstausbildung auf Bachelorniveau, Patientenoutcome, Pflegekompetenz

1. Hintergrund

2010 wurden in Deutschland 22 grundständige, überwiegend duale pflegeausbildendeBachelorstudiengänge angeboten (Stöcker et al. 2010).1 Weitere Studiengänge an ver-schiedenen Standorten sind inzwischen an den Start gegangen bzw. befinden sich inPlanung. Der deutsche Bildungsrat für Pflegeberufe sieht mit der Etablierung dieser

Beltz Juventa. Pflege& Gesellschaft 17. Jg. 2012 H.3

eingereicht 28.10.2011akzeptiert 24.02.2012 (nach Überarbeitung)

1 Vier davon sind nicht mit einer Berufszulassung verknüpft.

Studiengänge „eine Entwicklung hin zu europäischer Normalität“ realisiert (Stöcker etal. 2006: 839), was insofern zutrifft, als in den meisten europäischen Ländern zumin-dest ein Teil der professionell Pflegenden akademisch qualifiziert wird. Von der Akade-misierung der Pflegeerstausbildung werden Impulse für die Professionalisierung derdeutschen Pflege erwartet. Zum einen wird mit der akademischen Ausbildung ein Pro-fessionsmerkmal erfüllt, zum anderen sollten Pflegende dadurch eher in der Lage sein,den Oevermannschen Ansprüchen, sich „auf eine methodisch kontrollierte und nachexpliziten Geltungskriterien bewährte erfahrungswissenschaftliche Wissensbasis (zu)berufen“ und dieses Wissen im Arbeitsbündnis mit dem Klienten anzuwenden, näherzu kommen (Oevermann 1997: 124). Aus diesem Kompetenzzuwachs lässt sich wiede-rum eine Anhebung der Pflegequalität ableiten. In einem Positionspapier der Deut-schen Gesellschaft für Pflegewissenschaft fassen Stemmer et al. (2007) zusammen, dassBachelorabsolventen beispielsweise über ein kritisches Verständnis der wichtigstenpflegewissenschaftlichen und pflegerelevanten Theorien, Prinzipien und Methoden,über die Kompetenz zur Analyse pflegerelevanter Situationen und Ableitung wissen-schaftlich fundierter Urteile, die Fähigkeit zur Interpretation von wissenschaftlichemRegelwissen im Kontext von hermeneutischem Fallverstehen, zur Unterstützung ande-rer an der Pflege Beteiligter in ihrer Reflexionsfähigkeit und zur Erarbeitung undWeiterentwicklung von Problemlösungsstrategien verfügen (sollten).

Nur selten werden in der deutschen Diskussion empirische Belege für diese theore-tisch formulierten Erwartungen angeführt. Dielmann (2003), der der Akademisierungder Pflegeerstausbildung kritisch gegenüber steht, beruft sich in seiner Argumentationgegen eine Akademisierung der Erstausbildung auf eine internationale Vergleichsstu-die des Picker Instituts der Universität Oxford (Coulter et al. 2001), in der die Pa-tient/innenzufriedenheit mit der gesundheitlichen Versorgung durch Pflegende undÄrzt/innen im Krankenhaus in fünf verschiedenen Ländern (Großbritannien, USA,Deutschland, Schweiz und Schweden) untersucht wurde. Die deutschen Pflegendenrangieren dem Urteil der Patient/innen zufolge fast durchgängig an zweiter Stelle hin-ter der Schweiz. Das Verhalten der Pflegenden in Schweden, im Vereinigten König-reich und in den USA wird weitaus schlechter beurteilt, – und das, obwohl in diesenLändern die Akademisierung des Pflegepersonals schon wesentlich weiter vorange-schritten ist als in Deutschland. Von Dielmann nicht erwähnt, für die Interpretationaber zentral, ist allerdings die Feststellung von Coulter et al. (2001), dass im Befra-gungszeitraum im Vereinigten Königreich und in Schweden ein erheblicher Mangel anPflegepersonal bestand, was sich in den Einschätzungen der Patient/innen hinsichtlichder „Verfügbarkeit von Pflegenden“ niederschlägt. Stemmer (2003) zieht eine Studievon Sinclair (1991, Erstveröffentlichung 1987 in der Zeitschrift Nurse Education To-day) heran, um den Nutzen einer Ausbildung auf Bachelorniveau zu begründen. Denin dieser Studie erhobenen Selbsteinschätzungen von Bachelorabsolventen zufolge ver-fügen sie über vergleichsweise höhere Kompetenzen in den Bereichen Problemlösung,Nutzung der Ergebnisse wissenschaftlicher Studien und Kommunikation. Nicht nurwegen der mangelnden Aktualität, auch aufgrund der verwendeten Forschungsdesignsund Methoden können die zitierten Studien jedoch kaum als ernstzunehmende Argu-

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mentationsgrundlage dienen. Beide Studien beruhen nämlich auf subjektiven Fremd-(Coulter 2001) bzw. Selbsteinschätzungen (Sinclair 1987), die Studie von Sinclairstützt sich darüber hinaus nur auf eine kleine Anzahl von Proband/innen. Vor diesemHintergrund ist es das Ziel des vorliegenden Beitrags, eine Übersicht über die Studien-lage zum Nutzen bzw. zum Zugewinn durch eine Akademisierung der Erstausbildungvon Pflegenden zu geben. Dabei liegen Ergebnisse nur aus den Ländern vor, in denenBachelorstudiengänge schon länger etabliert sind als in Deutschland, allen voran denUSA und Großbritannien. In beiden Ländern besteht ein gestuftes Ausbildungssys-tem. In den USA sind dem Status der registrierten Pflegefachkraft (Registered Nur-se/RN) neben Pflegenden mit einem Bachelor of Science Degree in Nursing (BSN)außerdem Pflegende mit einem Associate Degree in Nursing (ADN) und Pflegendemit einem Diploma in Nursing zuzuordnen, wobei nur der Bachelorabschluss eine aka-demische Qualifikation darstellt (HRSA 2010). Unterhalb des Status der registriertenPflegenden sind die Licensed Practical Nurses (LPN) bzw. Licensed Vocational Nurses(LVN) sowie Nurse Assistants anzusiedeln (ebd.). Pflegende mit einem Bachelorab-schluss machen gegenwärtig ca. ein Drittel der registrierten Pflegenden aus. In Groß-britannien existieren zwei Abschlüsse, die beide den Zugang zur Registrierung erlau-ben, nämlich erstens das Diploma in Higher Education und zweitens der Bachelor ofScience in Nursing, wobei das Diploma einen vor-akademischen Grad darstellt und anColleges erworben wird (Filkins et al. 2005: 87 ff.). In der direkten Pflege werden dieregistrierten Pflegenden von Nursing Aides bzw. Healthcare Assistants unterstützt(National Nursing Research Unit 2009).

Methoden

Grundlage des folgenden Beitrags ist eine Literaturrecherche in den DatenbankenPubmed und Cinahl anhand der Begriffe educational level, Bachelor, Baccalaureate,graduate AND nurse in Kombination mit den Begriffen competency, competence, pa-tient outcome, effect und benefit. Weitere Literatur wurde mittels Durchsicht der Lite-raturverzeichnisse gefundener Publikationen gewonnen. Berücksichtigt wurden Stu-dien, die in englischsprachigen Pflegezeitschriften der letzten 10 Jahre (zum Zeitpunktder Recherche ab dem Jahr 2000) veröffentlicht wurden (Ausnahme ein Review ausdem Jahr 1999). Bei der folgenden Durchsicht der Abstracts wurden solche Studienausgeschlossen, die thematisch nicht relevant waren, die sich zwar auf unterschiedlicheAusbildungsniveaus, nicht aber speziell auf den Bachelorabschluss beziehen und dienicht aus dem westlichen Kulturraum stammen. Auf der Grundlage der Vollversionenwurden alle gefundenen Studien anhand ihrer Fragestellung geordnet und einer me-thodischen Beurteilung unterzogen. Geprüft wurden das Forschungsdesign, die Erhe-bungsmethoden, die Zusammensetzung des Samples und die Auswertungsverfahren.Auswahl und Qualitätsbeurteilung der Studien erfolgten lediglich durch die Autorin,so dass auch keine Interrater-Reliabilität ausgewiesen werden kann.

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2. Ergebnisse

Die fünfzehn gefundenen Studien und Reviews lassen sich dahingehend differenzie-ren, welche Ergebnisparameter sie untersuchen, nämlich Kompetenz (1 Review, 2 Stu-dien) bzw. Performanz (4 Studien) der professionell Pflegenden oder das Patientenout-come (8 Studien).

Kompetenz bzw. Performanz als Ergebnisparameter

Im deutschsprachigen Raum wird unter Kompetenz das Potenzial eines Subjekts ver-standen, in immer neuen Situationen adäquate Handlungen hervorzubringen (Erpen-beck et al. 2003: XI). Mit dem Begriff Performanz wird dagegen auf die tatsächlich er-brachten und beobachtbaren Leistungen abgehoben. International werden diese bei-den Ansätze nicht so strikt voneinander getrennt, vielmehr wird mit dem BegriffKompetenz sowohl Kompetenz als Disposition als auch Kompetenz als Performanz be-zeichnet (Darmann-Finck et al. 2011). Die im Folgenden präsentierten Ergebnisse be-ziehen sich folglich auch auf beide Aspekte.

Die meisten Studien, die sich mit dem Einfluss des Ausbildungsniveaus auf dieKompetenzen der Pflegenden beschäftigen, fokussieren die Fähigkeit des „CriticalThinking“. Critical Thinking gilt seit Ende der 1980er Jahre als spezifisches Qualitäts-merkmal grundständiger und konsekutiver Pflegestudiengänge und wird seitdem etwain den USA im Rahmen von Akkreditierungsverfahren an vielen Hochschulen syste-matisch erfasst (Walsh et al. 2005). Critical Thinking beschreibt eine höhere kognitiveFähigkeit, die bei komplexen Problemen, für die keine standardisierten Problemlösun-gen zur Verfügung stehen, zur Anwendung kommt (Adams 1999). Studien, in denender Zugewinn bezogen auf Critical Thinking durch eine akademische im Vergleich zueiner Erstausbildung auf Collegeniveau untersucht wird, reichen bis in die 1970er Jah-re zurück.

Gefunden wurden ein Review und zwei weitere Studien (Tabelle 1). Das US-ameri-kanische Review von Adams aus dem Jahr 1999, in dem die Ergebnisse von 20 Studieneinfließen, die zwischen 1977 und 1995 durchgeführt wurden, präsentiert in erster Li-nie eine Synthese der Studienergebnisse, keine Bewertung der Studiendesigns und Me-thoden. Aus der Aufstellung geht aber hervor, dass die Studien auf sehr unterschied-lichen Designs basierten (Längsschnitt-, Querschnitts-, Vergleichs- und Korrelations-studien, z.T. deskriptive Studiendesigns). Bei der Studie von Girot (2000) handelt essich um eine quasi-experimentelle Untersuchung, bei der Studie von Fero et al. (2009)um die retrospektive Analyse von im Rahmen eines Assessments gewonnenen Daten,d.h. die Daten wurden ursprünglich für einen anderen Zweck generiert. Bezogen aufdie Messinstrumente lässt sich feststellen, dass in 18 der in dem Review von Adams(1999) berücksichtigten Studien sowie in der Studie von Girot (2000) das Watson-Glaser Critical Thinking Appraisal (WGCTA) (http://www.talentlens.com/en/watson/) herangezogen wurde. Dabei handelt es sich um ein paper and pencil assess-ment, das allgemeine Fähigkeiten der klassischen Logik überprüft. Die spezifischen

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Beiträge

Herausforderungen des Handlungsfeldes der professionellen Pflege und die domänen-spezifischen Fähigkeiten der klinischen Problemlösung und Entscheidungsfindung(Hülsken-Giesler 2008; Remmers 2000) kann das Instrument nur zum Teil erfassen.Fero et al. (2009) verwenden einen Test, bestehend aus 10 auf Video aufgezeichnetenFallvignetten mit geläufigen klinischen Patient/innenproblemen, zu denen die Pro-banden Aufgaben bearbeiten mussten (Ermittlung von Pflegeproblemen und Identifi-kation von geeigneten Interventionen). Die Videovignetten ermöglichen zwar einenengeren Bezug zur Berufswirklichkeit, da es sich aber um Simulationen handelt, ist un-klar, ob sie tatsächlich die Berufswirklichkeit abbilden. Sowohl beim WGCTA als auchbei den Videovignetten ist folglich die Validität fraglich. Dadurch, dass die Daten inder Studie von Fero et al. (2009) im Rahmen eines Assessments für ein Universitätskli-nikum gewonnen wurden, ist das Sample möglicherweise nicht typisch für die Grund-gesamtheit der Pflegenden.

Adams (1999) kommt in ihrem Review nicht zu eindeutigen Ergebnissen. In zehnder einbezogenen Studien konnten signifikante Zusammenhänge zwischen einer Qua-lifikation auf Bachelorniveau und der Fähigkeit kritischen Denkens nachgewiesenwerden, bei sechs Studien war kein Zusammenhang erkennbar und vier Studien kamenzu gemischten Ergebnissen. Ähnlich uneinheitlich sind auch die Ergebnisse neuererStudien zum Zusammenhang von kritischem Denken und Ausbildungsniveau. Sostellt Girot diesbezüglich keinen signifikanten Unterschied zwischen englischen Pfle-genden mit und ohne Bachelorabschluss fest, wohl aber verfügen Pflegende mit Bache-lorabschluss über bessere Fähigkeiten zum „decision making in practice“ (Girot 2000).Fero et al. (2009) kommen zu dem Schluss, dass bezogen auf die Gesamtheit der Pfle-genden keine Kompetenzunterschiede zu ermitteln waren, die Bachelorpflegendenund die ADN-Pflegenden aber mit zunehmender Berufserfahrung ein höheres Kom-petenzniveau erreichten als die Pflegenden mit einem Diploma in Nursing.

Stärker auf Performanz zielen Studien, in denen anhand von Selbsteinschätzungenberuflich Pflegender oder Fremdeinschätzungen durch z. B. leitende Pflegekräfte dieHäufigkeit von bestimmten Tätigkeiten erhoben wird (Tabelle 2). In die vorliegendeDarstellung wurden nur Studien einbezogen, in denen nicht eine einzelne Tätigkeit (z.B. korrekte Händedesinfektion oder Mundpflege bei Krebspatient/innen), sondernein größeres Spektrum an Performanzen überprüft wurde. In diese Rubrik fallen zweienglische Studien, in denen Unterschiede zwischen Pflegenden mit Bachelorabschlussund Pflegenden mit einem Diploma in Nursing untersucht werden sollten. Mit derUmsetzung des Projekts 2000 ist die Pflegeausbildung in Großbritannien zwar aus-schließlich an Universitäten angesiedelt, nach wie vor verfügten 2005 aber lediglich ca.20% der Pflegenden über einen akademischen Abschluss, 80% erwarben auf der Basiseines Undergraduate-Studiums ein Diplom. Im Unterschied zur Diplomausbildungzielt die Bachelorausbildung stärker auf eine forschungs- und wissensbasierte Praxis,auf Veränderung und Innovation (Clinton et al. 2005), die Studien verfolgen daher dieFragestellung, ob sich diese Unterschiede auf die Performanz der Absolvent/innen aus-wirken.

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Bartlett et al. (2000) vergleichen die Performanz von Pflegenden mit einem Bachelor-abschluss und mit einem Diploma in Nursing mittels einer Längsschnittstudie zumZeitpunkt des Berufsabschlusses, 6 Monate und 12 Monate danach anhand von Selbst-einschätzungen der Pflegenden und Fremdeinschätzungen durch Mentor/innen aufder Basis eines Messinstruments mit neun Verhaltensdimensionen und jeweils 6-21Items. Clinton et al. (2005) haben mittels einer Querschnittsstudie die Selbsteinschät-zungen der Pflegenden und Fremdeinschätzungen durch Pflegemanager anhand desNursing Competencies Questionaire bezogen auf verschiedene Ausbildungsniveaus(Pflegende mit Bachelorabschluss und Diplom) und Berufserfahrung, nämlich ein,zwei und drei Jahre nach Abschluss der Qualifizierung, erfasst. Das Nursing Compe-tencies Questionaire enthält zehn Konstrukte (Führung, Professionelle Entwicklung,Assessment, Pflegeplanung, Intervention, Kognitive Fähigkeiten, soziale Teilhabe,Selbstbewusstsein, Research awareness, policy awareness) mit jeweils 6-21 Items, wo-bei jedes Item eine Pflegeaktivität oder -aufgabe beschreibt und die Proband/innen an-hand von vier Antwortalternativen angeben müssen, wie häufig sie jede Aufgabe inner-halb des letzten halben Jahres praktiziert haben.

In der US-amerikanischen Studie Smith (2002) wird anhand von standardisiertenBefragungen Pflegender mit unterschiedlichem Ausbildungsniveau verglichen, wie oftsie bestimmte (189) Pflegetätigkeiten durchführen. Häufig zitiert wird die ebenfalls

Beiträge

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Autoren(Jahr)

Forschungsdesign Sample Ergebnisse

Adams(1999)

Review auf der Basis von 20Studien, darunter Längs-schnittstudien, Querschnitts-studien, komparative Studienund Korrelationsstudien Messinstrument: in 18 Stu-dien das WGCTA

Das Sample bewegt sich zwi-schen 14 und 429

Keine eindeutigen Ergebnissehinsichtlich des Zusammen-hangs zwischen Ausbildungs-niveau und critical thinking

Girot(2000)

Quasi-experimentelle StudieMessinstrument: WGCTA

82 Pflegekräfte verteilt auf 4Gruppen mit unterschied-lichen Qualifikationsniveausund unterschiedlicher Berufserfahrung

Keine signifikanten Unter-schiede hinsichtlich des kriti-schen Denkens zwischen denGruppen

Fero et al.(2009)

Retrospektive Analyse einesAssessmentsMessinstrument: Videovig-netten und problembasierteAufgabenstellungen

2144 Pflegekräfte einer Uni-versitätsklinik, davon 31%Diploma in Nursing, 41%ADN und 28% BSN

Keine signifikanten Unter-schiede hinsichtlich der Kom-petenz bezogen auf die Ge-samtheit der Pflegenden, beiBSN-Pflegenden und ADN-Pflegenden steigt das Kompe-tenzniveau signifikant mit derBerufserfahrung, bei Pflegen-den mit einem Diploma inNursing nicht

Tab. 1: Studien zum Zusammenhang zwischen Qualifikation auf Bachelorniveau und Kompetenz

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Beiträge

US-amerikanische Studie von Goode et al. (2001), in der leitende Pflegende (ChiefNursing Officers) von 44 Kliniken, die Mitglied des University HealthSystem Consor-tiums sind, dahingehend befragt wurden, ob sie in der Pflegepraxis Unterschiede zwi-schen Pflegenden mit und ohne Bachelorabschluss (associate degree Nurses oder diplo-ma-prepared Nurses) wahrnehmen.

Unter den gefundenen Studien ist eine Längsschnittstudie, außerdem liegen eineQuerschnittsstudie und zwei Umfragen vor. In den Studien kommen verschiedeneMessinstrumente zur Selbst- und zur Fremdeinschätzung zum Einsatz. Einer Studievon Norman et al. (2002) zufolge hat das Nurse Competencies Questionaire eine guteinterne Konsistenz, bildet aber, wie andere Instrumente auch, nur einen Teilbereichklinischer Kompetenz ab. Außerdem ist es nur bedingt in der Lage, tatsächlich zwi-schen kompetent und inkompetent zu differenzieren. Aus ihren Studienergebnissenschließen die Autor/innen, dass kein einzelnes Instrument in der Lage ist, klinischeKompetenz umfassend zu erheben. An den Studien, die Pflegende mit und ohne Ba-chelorabschluss einige Zeit nach Erwerb des beruflichen Abschlusses vergleichen, isteine Verzerrung im Sample in Rechnung zu stellen, weil nämlich insbesondere leis-tungsstarke Pflegende mit einem Bachelorabschluss ein Masterstudium anschließenund daher nicht mehr in die Befragung integriert sind.

Zum Zeitpunkt des Berufsabschlusses identifizierten Bartlett et al. (2000) keine sig-nifikanten Unterschiede mit Ausnahme der Führungskompetenz, die bei den Pflegen-den mit einem Diploma in Nursing besser ausgeprägt war, was sich aber in den Folge-monaten relativierte. Nach einem halben Jahr wiesen die Bachelorpflegenden signifi-kant höhere Werte in den Dimensionen professionelle Entwicklung, Assessment undSelbstbewusstsein (ego strength), nach 12 Monaten nur noch in der Dimension profes-sionelle Entwicklung auf.

Clinton et al. (2005) können in der Gesamtkompetenz (overall competence) wieauch bei den spezifischen Kompetenzen keine signifikanten Unterschiede zwischenden beiden Ausbildungsstufen feststellen, sondern konstatieren hohe Kompetenz beibeiden Gruppen. Zum Teil schätzen die Pflegenden mit einem Diploma in Nursing ih-re spezifischen Kompetenzen nicht-signifikant höher ein als die Bachelorabsolventen,was die Autor/innen zu der Vermutung veranlasst, dass letztere möglicherweise selbst-kritischer sind.

Ein Unterschied von Pflegenden mit und ohne Bachelorabschluss wird auch in derBefragung von Smith (2002) nicht festgestellt. Die Studie kommt zu dem Ergebnis,dass Pflegende ein halbes Jahr nach Beendigung ihrer Ausbildung unabhängig von de-ren Niveau die meiste Zeit mit Routinetätigkeiten verbringen und eher selten komple-xe bzw. anspruchsvollere Tätigkeiten durchführen, wie beispielsweise Anleitung undSchulung von Patient/innen. Eine Aussage über die Qualität der Durchführung kannauf der Basis der Studie freilich nicht getroffen werden.

In der Studie von Goode et al. (2001) geben 71% der Befragten an, bei den Pflegen-den mit Bachelorabschluss höhere Kompetenzen beobachten zu können. An erster

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Stelle werden bessere Fähigkeiten in „critical thinking“ genannt, gefolgt von einer ge-ringeren Aufgabenorientierung, höherer Professionalität, besseren Führungsqualitä-ten, einem stärkeren Fokus auf Pflegeergebnissen, einer vermehrten Beachtung vonpsychosozialen Komponenten, besseren Kommunikationsfähigkeiten und einem grö-ßerem Fokus auf Anleitung und Schulung von Patient/innen.

Resümierend kann festgehalten werden, dass die gefundenen Studien zum Zu-sammenhang zwischen einer Qualifikation von Pflegenden auf Bachelorniveau und ih-rer Kompetenz bzw. Performanz bislang zu uneinheitlichen Ergebnissen kommen.Derzeit gibt es keinen empirischen Beleg für die Annahme, dass Bachelorpflegendeüber ein höheres Kompetenz- bzw. Performanzniveau verfügen. Dieses Ergebnis sollteaber nicht vorschnell auf mangelnde Kompetenz- bzw. Performanzunterschiede zu-rückgeführt werden, denn die Studien weisen einige methodische Schwächen auf.

Patientenoutcome als Ergebnisparameter

International existiert eine Vielzahl an Studien, anhand derer Strukturvariablen aufSeiten der Pflegenden in Beziehung zum Patientenoutcome und zur Arbeitszufrieden-heit der Pflegenden gesetzt werden. Untersucht wurde bislang vor allem die Frage, wel-che Zusammenhänge zwischen der Personalbesetzung und Patient/innenergebnissenbestehen. Die Studien stimmen in ihren Resultaten dahingehend überein, dass der Per-sonalschlüssel in der Pflege einen erheblichen Einfluss auf das Patientenoutcome (z. B.

Beiträge

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Tab. 2: Studien zum Zusammenhang zwischen Qualifikation auf Bachelorniveau und Performanz

Autoren(Jahr)

Forschungsdesign Sample Ergebnisse

Bartlett et al.(2000)

Längsschnittstudie zudrei Zeitpunkten: Berufsabschluss sowie 6und 12 Monate späterMessinstrument: zweivorhandene Mess -instrumente werden zu-sammengeführt

52 BSN und 28 Diploma in Nursing

Unmittelbar nach dem Berufsab-schluss signifikant bessere Werte inBezug auf die Führungskompetenzbei den Pflegenden mit Diploma inNusing, nach einem Jahr signifikantbessere Werte in der professionellenEntwicklung bei Bachelorpflegen-den

Clinton et al.(2005)

Querschnittstudie Messinstrument: Nursescompetenencies Questionaire

166 BSN und 188 Diploma in Nursing mitunterschiedlicher Be-rufserfahrung (ein, zweiund drei Jahre nach Be-rufsabschluss)

Keine signifikanten Unterschiede

Smith(2002)

Sekundäranalyse einesSurveys

1776 neu lizensiertePflegekräfte mit und ohne Bachelorabschluss

Keine Unterschiede bei Pflegendenmit und ohne Bachelorabschluss

Goode et al.(2001)

Survey 44 Führungskräfte vonacademic health centerhospitals

Höhere Kompetenzen bei Bachelor-absolventen

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Beiträge Beltz Juventa. Pflege& Gesellschaft 17. Jg. 2012 H.3

Autoren(Jahr)

Forschungs-design

Sample Untersuchte Outcomes

Ergebnis

Aiken et al.(2003)

Quer-schnittstudie

232.342 ChirurgischePatient/innen 9989 Pfle-gende 168 Krankenhäu-ser in Pennsylvania

Tod nach erlittenerKomplikation(Failure-to-rescue) 30 Tage-Mortalität

Signifikant negative Zu-sammenhänge mit Todnach Komplikation und 30Tage-Mortalität

Estabrookset al. (2005)

Quer-schnittstudie

18.142 Patient/in nen mitunterschiedlichen inter-nistischen Erkrankungen(Herzinfarkt, Pneumo-nie, COPD, häufigesHerzversagen) und Pa-tient/innen nach Schlag-anfall 6526 Pflegende 49 Krankenhäuser in Alberta

30 Tage-Mortalität Signifikant negative Zu-sammenhänge mit 30 Ta-ge-Mortalität

Friese et al.(2008)

Sekundär -analyse dero.g. Quer-schnittstudievon Aiken etal. (2003)

25.957 Chirurgische On-kologische Patient/innen 9.989 Pflegende 168 Krankenhäuser in Pennsylvania

Tod nach erlittenerKomplikation 30 Tage-MortalitätKomplikationen

Signifikant negative Zu-sammenhänge mit Todnach erlittener Komplika-tion und 30 Tage-Morta-lität, allerdings nicht beider Anzahl der Komplika-tionen

Kutney-Leeet al. (2008)

Sekundär -analyse dero.g. Quer-schnittstudievon Aiken etal. (2003)

228.433 ChirurgischePatient/innen, davon10.666 Patient/innen miternsthafter psychischerErkrankung9989 Pflegende 157 Krankenhäuser in Pennsylvania

Tod nach erlittenerKomplikation(Failure-to-rescuerate) 30 Tage-MortalitätAufenthaltsdauerim Krankenhaus

Keine signifikanten Zu-sammenhänge mit Todnach erlittener Komplika-tion und Mortalität, aberpositiver Zusammenhangmit Verkürzung der Auf-enthaltsdauer

Tourangeauet al. (2006)

Quer-schnittstudieGetestetwurden 16Hypothesen

46.993 Patient/innen mitakuten internistischenErkrankungen (Herzin-farkt, Schlaganfall, Pneu-monie, Sepsis)5.980 Pflegende 75 Krankenhäuser in On-tario

30 Tage-Mortalität Signifikant negative Zu-sammenhänge (45% derVarianz in der 30-TageMortalität konnten an-hand von 8 Prädiktoren er-klärt werden)

Van denHeede et al(2009b)

Quer-schnittstudie

9054 Patient/innen nacheiner Herzoperation 28 belgische Herzzentrenmit 58 Intensiv- und 75peripheren Stationen

Mortalität imKrankenhaus

Signifikante negative Zu-sammenhänge auf periphe-ren Stationen mit Morta-lität in der Klinik, nichtaber auf Intensivstationen

die Mortalitätsrate und die Zahl der Todesfälle nach erlittener Komplikation) und dieBerufszufriedenheit der Pflegenden hat (z. B. Aiken et al. 2002; Needleman et al. 2002und Rafferty et al. 2007). Erst jüngere und bislang auch vergleichsweise wenige Studien(Tabelle 3) widmen sich dem Zusammenhang zwischen dem Anteil von Pflegendenmit einem Bachelorabschluss am Gesamtpflegepersonal und dem Patientenoutcome.Bei den acht gefundenen Studien handelt es sich ausschließlich um Querschnittsstu-dien. Das Patientenoutcome wird bislang in den meisten Studien anhand der 30 Tage-Mortalitätsrate und der Anzahl der Todesfälle nach erlittener Komplikation (Failure-to-rescue) untersucht. Als Datengrundlage werden im Wesentlichen standardisierteBefragungen von professionell Pflegenden etwa hinsichtlich ihrer Qualifikation, desArbeitsaufkommens auf ihrer Station und der Anzahl ihrer Berufsjahre sowie adminis-trative Daten, die über Patient/innenereignisse und Krankenhausmerkmale Auskunftgeben, herangezogen.

Beiträge

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Tab. 3: Studien zum Zusammenhang zwischen dem Anteil von Pflegenden mit einemBachelorabschluss am Gesamtpflegepersonal und dem Patientenoutcome

Autoren(Jahr)

Forschungs-design

Sample Untersuchte Outcomes

Ergebnis

Blegen et al.(2001)

Sekundära-nalyse einerQuer-schnittstudie

Patient/innen in Akut-krankenhäusern Insgesamt 81 Stationenin insgesamt 12 Kranken-häusern, keine Angabenzur Anzahl derPatient/in nen und Pfle-genden

Sturzrate Medikamenten-fehler

Keine signifikanten Zu-sammenhänge mit derSturzrate und den Medika-mentenfehlern

Van denHeede et al.(2009a)

Quer-schnittstudie

260.923 Chirurgische,internistische und Inten-sivpatient/innen 115 belgische Akutkran-kenhäuser, 1403 Stationen, einschl.Intensivstationen

10 Patientenout -comes (Dekubitus,tiefe Venenthrom-bose, Schock, post-operativer Atem-stillstand, postope-rative Komplika-tionen und Infek-tionen, Infektio-nen des Harn-trakts, Kranken-hauspneumonie,Pneumonie nachBeatmung, Kran-kenhausbedingteSepsis, Mortalitätim Krankenhausund Tod nach erlit-tener Komplika-tion)

Keine signifikanten Zu-sammenhänge

226

Beiträge

Die Studie der Arbeitsgruppe um Aiken (Aiken et al. 2003), die mehrfach sekundärausgewertet wurde, besticht durch eine hohe methodische Qualität, die sich auf diejahrzehntelange Erfahrung der Arbeitsgruppe in der Outcomeorientierten Forschungzurückführen lässt. Zu den Qualitätsmerkmalen zählen große, repräsentative Samples,multivariate Analysen und umfangreiche Risikoadjustierungen (z. B. hinsichtlich derKomorbidität von Patient/innen oder der Merkmale von Krankenhäusern). Eine ähn-lich hohe Qualität weisen auch die Studien von Estabrooks et al. (2005), Tourangeau etal. (2006), van den Heede et al. (2009a) und van den Heede et al. (2009b) auf. In denStudien von van den Heede et al. (2009b) und Blegen et al. (2001) werden die Pflegen-den- und Patient/innendaten auf Stationsebene aggregiert, in den anderen Studien aufKrankenhausebene. In der Studie von Blegen et al. (2001) erfolgt eine Kontrolle vonConfoundern in vergleichsweise geringem Maße, außerdem wird die Zusammenset-zung des Samples nur zum Teil beschrieben.

In ihrer bahnbrechenden Studie weist das US-amerikanische Forscherteam Aiken etal. (2003) erstmalig nach, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Erhö-hung des Anteils von Pflegenden mit einem Bachelorabschluss am Gesamtpflegeperso-nal und einem Rückgang der Mortalitätsraten chirurgischer Patient/innen vorhandenist. Die Wahrscheinlichkeit der 30 Tage-Mortalität sowie der Todesfälle nach erlittenenKomplikationen ist den hypothetischen Berechnungen der Studie zufolge in Kranken-häusern, in denen der Anteil von Bachelorpflegenden am Gesamtpflegepersonal mehrals 60% beträgt, um 19% niedriger als in Krankenhäusern, in denen der Anteil unter20% liegt. Steigt der Anteil von Bachelorpflegenden um 10%, sinkt die Todesrate nacherlittener Komplikation um 5%.

Anhand von Sekundäranalysen der in der Studie von Aiken et al. (2003) erhobenenDaten werden Ergebnisse bezogen auf spezielle Patient/innengruppen, nämlich onko-logische chirurgische Patient/innen (Friese et al. 2008) und chirurgische Pa-tient/innen, die an einer ernsthaften („serious“) psychischen Erkrankung leiden (Kut-ney-Lee et al. 2008), errechnet. In der Studie von Friese et al. (2008) wurden darüberhinaus noch Zusammenhänge zwischen Patientenoutcome und einer Vielzahl weitererAspekte untersucht, die die Autor/innen als „Nurse Practice Environment“ bezeich-nen, wie beispielsweise die Beziehung der Pflegenden zur Managementebene und zuden Mediziner/innen oder der Status, den die Pflegenden in der Krankenhaushierar-chie inne haben. Hinsichtlich des Qualifikationsniveaus kommen die Autor/innen zudem Ergebnis, dass signifikant negative Zusammenhänge zwischen einem höheren An-teil an Bachelorpflegenden und sowohl der Mortalitätsrate als auch der Rate der Todes-fälle nach erlittenen Komplikationen nachzuweisen sind, nicht aber mit der Komplika-tionsrate. Bei Patient/innen, die neben dem Anlass für die Operation noch eine ernst -hafte psychische Erkrankung als Komorbidität aufweisen und als besonders vulnerableZielgruppe bezeichnet werden können, sind Zusammenhänge zwischen einer höherenQuote an Bachelorpflegenden und der Verkürzung nur bezüglich der Aufenthaltsdauersignifikant, nicht aber hinsichtlich der Mortalität (Kutney-Lee et al. 2008).

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Auch die kanadischen Studien von Estabrooks et al. (2005) sowie Tourangeau et al.(2006) kommen zu dem Ergebnis, dass signifikant negative Zusammenhänge zwischeneinem höheren Anteil an Pflegenden mit einem Bachelorabschluss am Gesamtpflege-personal und der 30 Tage-Mortalitätsrate hier bei Patient/innen mit internistischen Er-krankungen bestehen. Mittlerweile existiert auch eine europäische Studie aus Belgien,in der signifikant negative Zusammenhänge mit der Mortalität im Krankenhaus beifrisch herzoperierten Patient/innen auf peripheren Stationen, nicht aber auch Inten-sivstationen festgestellt wurden (van der Heede et al. 2009b).

Die beiden anderen identifizierten Studien können keine signifikanten Zusammen-hänge zwischen dem Anteil von Bachelorpflegenden am Gesamtpflegepersonal unddem Patientenoutcome nachweisen. In einer US-amerikanischen, bereits 2001 veröf-fentlichten Studie wird kein Zusammenhang mit der Sturzrate von Patient/innen undder Anzahl der Medikamentenfehler von Pflegenden festgestellt (Blegen et al. 2001).Auch eine belgische Studie von van den Heede et al. (2009a) kann keinen Zusammen-hang zwischen dem Anteil von Bachelorpflegenden und 10 Patientenoutcomes (Deku-bitus, tiefe Venenthrombose, Schock, postoperativer Atemstillstand, postoperativeKomplikationen und Infektionen, Infektionen des Harntrakts, Krankenhauspneumo-nie, Pneumonie nach Beatmung, Krankenhausbedingte Sepsis, Mortalität im Kran-kenhaus und Tod nach erlittener Komplikation) finden.

Durch eine Reihe von qualitativ hochwertigen Querschnittstudien, insbesondereder Arbeitsgruppe um Aiken, kann inzwischen ein positiver Zusammenhang zwischeneiner Ausbildung auf Bachelorniveau und dem Patientenoutcome als bewiesen angese-hen werden. Auch die Autor/innen der Studien, die keine signifikanten Zusammen-hänge finden konnten, betonen gleichermaßen, dass ihre Ergebnisse nicht so zu inter-pretieren sind, dass ein solcher Zusammenhang nicht besteht.

3. Bewertung und Ausblick

Bei den gefundenen Studien handelt es sich überwiegend um Querschnittstudien. Kei-nes der verwendeten Studiendesigns ist geeignet, kausale Zusammenhänge festzustel-len. Insofern kann gegenwärtig – wenn überhaupt – lediglich vom Vorliegen signifi-kanter Zusammenhänge gesprochen werden.

Die verwendeten Messinstrumente können vielfach nur eingeschränkt die testtheo-retischen Gütekriterien erfüllen. Bei der Kompetenz- und Performanzdiagnostik istu.a. die Validität der Instrumente in Zweifel zu ziehen. Bei den Studien, die das Patien-tenoutcome als Vergleichsparameter untersuchen, ist zu beanstanden, dass sie sich aufgut erfasste negative Patient/innenereignisse beziehen, wie die 30 Tage-Mortalität undden Tod nach erlittenen Komplikationen. Auch wenn unbestritten ist, dass Pflegendedurch die kontinuierliche Begleitung von Patient/innen viel dazu beitragen, diese Er-eignisse zu reduzieren, so bilden sie aber dennoch das pflegespezifische Leistungsspek-trum nur partiell ab. Dies gilt letztlich auch beispielsweise für die Rate an Dekubitioder nosokomialen Harnwegsinfektionen, beides Outcomeindikatoren, die stärker

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pflegeassoziiert sind. Positive Patientenoutcomes, wie der Zuwachs an Selbstpflegefä-higkeiten, werden überhaupt nicht erfasst.

Ein weiteres forschungsmethodisches Problem, das die Outcomestudien betrifft,besteht in dem Rückgriff auf administrative Daten, beispielsweise zum Patientenout-come. Da diese Daten häufig auch für ein Benchmarking veröffentlicht werden, ist ihreQualität möglicherweise zweifelhaft (Estabrooks et al. 2005). Um zukünftig zu metho-disch belastbaren Aussagen über die Wirkungen einer akademischen Erstausbildungvon Pflegenden zu gelangen, sind Fortschritte in der Entwicklung valider Testinstru-mente für die Messung von Pflegekompetenz (Darmann-Finck et al. 2011) sowie pfle-gesensitiver Instrumente zur Erfassung des Patientenoutcomes (Stemmer 2003) erfor-derlich. Aber selbst noch so gute Instrumente werden vermutlich die Ergebnisse vonPflege- und Pflegebildungsprozessen jeweils nur zum Teil und nicht in ihrer Komple-xität abbilden können, so dass der Zugewinn durch eine Qualifikation auf Bachelorni-veau auch zukünftig nicht vollständig messbar sein wird.

In Deutschland gibt es gegenwärtig noch keine empirische Forschung zu der Frage-stellung, welcher Zugewinn durch eine Akademisierung der Pflegeerstausbildung zuerwarten ist. Hier besteht dringender Nachholbedarf. Mit Blick auf die internationaleForschungslage fordern Aiken et al. (2003) Längsschnittstudien, da einige StudienHinweise darauf liefern, dass sich die Effekte einer Bachelorqualifikation mit zuneh-mender Berufserfahrung verstärken, sowie Untersuchungen mit größeren Samplesbzw. länderübergreifende Studien (Aiken et al. 2003). Letztere Forderung wird mitdem Projekt RN4CAST realisiert, einer internationalen Multicenter-Studie, an der elfeuropäische (darunter auch Deutschland und die Schweiz) und drei außereuropäischeLänder beteiligt sind (Sermeus et al. 2011).

Die Limitierungen der vorliegenden Literaturübersicht bestehen darin, dass mögli-cherweise aufgrund der Beschränkung auf zwei Datenbanken nicht alle relevanten Stu-dien gefunden wurden, keine zweite Meinung zur Bewertung der gefundenen Studienherangezogen wurde und die Literaturrecherche sich auf die letzten 10 Jahre be-schränkte.

Auf der Basis der recherchierten Literatur lässt sich bislang zwar keine sichere Aussa-ge hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen einer akademische Erstausbildung undder Kompetenz bzw. Performanz von Pflegenden treffen, ein positiver Zusammenhangmit dem Patientenoutcome kann aber mittlerweile als gesichert angesehen werden undsomit ist durchaus eine empirische Grundlage für eine Argumentation zugunsten derAkademisierung der Pflegeerstausbildung in Deutschland gegeben.

Dass bezogen auf die Kompetenz/Performanz nicht durchgängig eindeutige Ergeb-nisse verfügbar sind, hängt möglicherweise damit zusammen, dass die Kompetenz alsErgebnis von Pflegebildungsangeboten eine Zielgröße darstellt, die aus einem äußerstkomplexen Geschehen resultiert, auf das zahlreiche Einflussfaktoren auf der Makro-,Meso- und Mikroebene einwirken. Primär werden die Effekte der Ausbildung von derQualität des Angebots einerseits und der Qualität der Nutzung des Angebots anderer-

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seits hervorgerufen, welche u.a. von den Persönlichkeiten der Akteure geprägt werden,aber natürlich auch in Wechselbeziehung zu Faktoren auf der Meso- und Makroebenestehen (Kiel 2009).

Neben der Personalbesetzung und der Qualifikation von Pflegenden hat Studienzufolge insbesondere die Organisationsstruktur von Krankenhäusern, worunter z. B.die Bereitstellung unterstützender Dienste, die Qualität der Zusammenarbeit mitÄrzt/innen oder die Unterstützung der Pflege durch das Management fallen, einen er-heblichen Einfluss auf das Pflegeergebnis. Vor dem Hintergrund dieser empirischenEvidenzen wurde in den USA das Konzept der sog. Magnetkrankenhäuser entwickeltund implementiert. Per Definition handelt es sich bei den Magnetkrankenhäusern umKliniken, denen es aufgrund ihrer Organisationsstruktur gelungen ist, über Jahre hin-weg Pflegekräfte erfolgreich an sich zu binden (Cheung et al. 2008). Das Konzept wur-de inzwischen auch in einigen europäischen Ländern implementiert und führte dort zuVerbesserungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals und des Pa-tientenoutcomes (Cheung et al. 2008).

Bei der Rezeption der Befunde aus dem angloamerikanischen Raum ist in Rech-nung zu stellen, dass sie nur bedingt auf das deutsche Gesundheits- und Pflegesystemübertragen werden können. Beispielsweise handelt es sich bei einem Großteil der erst-auszubildenden Bachelorstudiengänge in Deutschland um duale Studiengänge, d.h.die Absolventen erlangen nicht nur einen Bachelorabschluss, sondern auch ein staatli-ches Pflegeexamen und müssen für letzteres die gleichen Voraussetzungen erfüllen wieandere Pflegeauszubildende, dies gilt insbesondere für die vergleichsweise hohen Pra-xisanteile. Auch haben die Pflegenden in den unterschiedlichen Systemen zum Teil an-dere Aufgaben. Aufgrund dieser Unterschiede in den Gesundheitssystemen der Ländermuss der Nutzen einer Akademisierung der Erstausbildung für die Versorgung der Pa-tient/innen spezifisch für das deutsche Versorgungssystem überprüft werden.

Letztlich wird auch zukünftig der Nutzen einer akademischen Ausbildung nichtvollständig empirisch nachweisbar sein, so dass ungeachtet der Notwendigkeit, inDeutschland hier zu empirischen Ergebnissen zu kommen, zukünftig die Energie vorallem in die Konzeption von hochwertigen akademischen Bildungsangeboten fließensollte. Für die Entwicklung von pflegeausbildenden Studiengängen hierzulande ist ausder Studienlage der Schluss zu ziehen, dass zunächst definiert werden müsste, für wel-che Aufgaben Pflegende mit einem Bachelorabschluss zuständig sein und welche Kom-petenzen durch das Studium angestrebt werden sollen. Hierfür einen kompromissfähi-gen Rahmen zu entwickeln, ist Aufgabe der Berufsverbände und der pflegewissen-schaftlichen Fachgesellschaft. Bei der Konstruktion von Kerncurricula2 undFachqualifikationsrahmen müssten diese Kompetenzen berücksichtigt und anhandvon pflegewissenschaftlichen und fachdidaktischen, bildungstheoretisch fundiertenKriterien weiterentwickelt werden. Pflegepädagogen (und damit auch Pflegewissen-schaftler/innen) dürfen sich nicht damit begnügen, Lerneffekte zu überprüfen, son-

Beiträge

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2 Einen Vorschlag für ein Kerncurriculum für pflegewissenschaftliche Studiengänge entwickeln Hülsken-Giesler etal. (2010).

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Beiträge

dern sind gehalten, den Lernenden im Rahmen intergenerationeller Interaktion Mög-lichkeitsräume zu eröffnen, ihr Selbst- und Weltverständnis zu erweitern oder bewusstbeizubehalten.

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Beiträge Beltz Juventa. Pflege& Gesellschaft 17. Jg. 2012 H.3

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Walsh, C. M./Seldomridge, L. A. (2005): Critical Thinking: Back to Square Two In: Journal of NursingEducation 45, 6, 212-219

Prof. Dr. Ingrid Darmann-FinckUniversität Bremen, Fachbereich 11, Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP)Abt. 4 Qualifikations- und Curriculumforschung, Grazer Straße 4, 28359 Bremen, [email protected]

Martin Moers, Ute Schöniger, Marlies Böggemann

Duale Studiengänge – Chancen und Risiken

für die Professionalisierung der Pflegeberufe

und die Entwicklung der Pflegewissenschaft

Dual study programs – chances and risks regarding professional nursing and

the development of nursing science

The number of dual study programs which combine apprenticeship and academic educa-

tion is growing in Germany. The article gives an overview about the different forms of the-

se programs and discusses the consequences for professional nursing and the develop-

ment of nursing science

Keywords

Dual study programs, professional nursing, development of nursing science

Die Zahl dualer Studienprogramme, die Ausbildung und Studium kombinieren wächst in

Deutschland. Der Ar tikel gibt einen Überblick über die verschiedenen Formen dieser Pro-

gramme und diskutier t die Konsequenzen für die Pflegeberufe und die Entwicklung der

Pflegewissenschaft.

eingereicht 19.3.2012akzeptiert 08.06.2012 (nach Überarbeitung)

Schlüsselwörter

Duale Studienprogramme, Professionalisierung der Pflegeberufe, Entwicklung der Pfle-

gewissenschaft

1. Einleitung

Kombinationen von Erstausbildung und Studiengang bilden in der deutschen Pflege-landschaft seit einiger Zeit eine stärker werdende Strömung. Gemeint sind Program-me, in denen verbunden mit der traditionellen Ausbildung an Gesundheits- und Kran-ken- bzw. Kinderkrankenpflegeschulen oder Berufsfachschulen für Altenpflege (imWeiteren allesamt als Berufsfachschulen zusammengefasst) ein Bachelorstudium ab-solviert wird. Dabei ist jedoch eine große konzeptionelle Bandbreite zu verzeichnen.Das nehmen wir zum Anlass, verschiedene Kombinationsmodelle von Ausbildung undStudium zu diskutieren und dabei auch die Konzeption des dualen Studienprogrammsan der Hochschule Osnabrück vorzustellen.

In die Konzeptionen dieser Studiengänge sind vielfältige Erwägungen eingeflossen,in denen sich die aktuellen Diskussionsstränge der Pflege abbilden: Professionstheore-tische Überlegungen, professionspraktische Erfordernisse, Bedarf an fachlicher Exper-tise in der Praxis sowie Angleichung an das europäische Niveau – weitere wären zu nen-nen. Diese Bildungsoffensive trifft jedoch auf ein Praxisfeld, in dem zum Teil auch De-professionalisierungstendenzen (Aufgabenverlagerungen, Personalabbau, vermehrterEinsatz von Hilfskräften usw.) zu verzeichnen sind, was für die neuen Programme dieGefahr von Verwerfungen mit sich bringt. Auch für die Entwicklung der Pflegewissen-schaft sind die arbeitsintensiven Erstausbildungsstudiengänge nicht ohne Folgen.Auch dies wollen wir schlaglichtartig beleuchten.

2. Die Ausgangslage

Beginnen wir mit einem kurzen Überblick über den Stand der Professionalisierungsbe-mühungen.1 Betrachtet man die Entwicklung der Pflegewissenschaft insgesamt lässtsich konstatieren, dass nach dem im internationalen Vergleich verspäteten Beginn inden 80er und verstärkt den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine weitgehen-de Institutionalisierung gelungen ist, so dass man inzwischen von einer normalen Wis-senschaftsdisziplin sprechen kann. Hervorzuheben ist die intensive Forschungstätig-keit auch an Fachhochschulen sowie die gelungene Qualifikation des wissenschaft-lichen Nachwuchses, der inzwischen beginnt, die GründerInnengeneration abzulösen.Schwachpunkte der Disziplin sind die mangelnde Verankerung an Universitäten, diegeringe Zahl habilitierter PflegewissenschaftlerInnen und insgesamt die Einordnungder Lehrstühle, Professuren und Studiengänge an größtenteils fachfremden Fachberei-

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1 Wir stützen uns aus Gründen der Übersichtlichkeit auf den merkmalstheoretischen Ansatz mit den ElementenZentralwertbezug, eigenständige Wissensbasis und berufliche Autonomie, wobei die Frage der eigenständigenWissensbasis im Mittelpunkt unserer Betrachtungen steht. Für die Pflege vgl. dazu Schaeffer (2004).

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chen. Die Mitte der 90er Jahre beginnende dynamische Studiengangsentwicklung hatfür eigene Fachbereiche, vergleichbar den „Schools of Nursing“ in den USA, bislangmeist nicht gereicht. Zu den Folgen der Normalisierung gehört aber auch die zuneh-mende Einbindung der PflegewissenschaftlerInnen in Aufgaben des Studiengangsma-nagements, wie zum Beispiel in das florierende Geschäft der Akkreditierungen und Re-akkreditierungen, das sich bisweilen als Minenfeld der Modernisierungsbürokratie er-weist (vgl. Moers et al. 2011).

Schauen wir auf die Studiengangsentwicklung, so wurde in den 1990er Jahren aufbreiter Front mit Studienprogrammen für Lehre und Leitung begonnen. Studiengängefür PflegeexpertInnen, die direkt die Entwicklung der Pflegepraxis fördern sollen, wa-ren in der ersten Gründungswelle in der Minderheit. Sie entstanden zunächst an denFachhochschulen in Osnabrück, Frankfurt, Darmstadt und Fulda sowie an den univer-sitären Standorten Witten/Herdecke und Halle. Für alle Studiengänge – mit Ausnah-me der hessischen – war eine abgeschlossene Pflegeausbildung eine Zugangsvorausset-zung. Die grundständigen hessischen Studiengänge wiederum führten lediglich zumHochschulabschluss, jedoch nicht zur Anerkennung als Pflegefachkraft im Sinne derBerufsgesetze. Die Tragfähigkeit dieser Modelle nahm spätestens Mitte der 2000er Jah-re rapide ab, seit mit der Einführung der gestuften Abschlüsse gemäß dem Bolognapro-zess die europaweit gültige Konzeption des Bachelor als erster berufsqualifizierenderAbschluss auf Deutschland übertragen und damit das Manko der deutschen Entwick-lung in der Pflegebildung unübersehbar wurde. Die qualifizierte Pflegeerstausbildungfindet in der Europäischen Union (EU) weitgehend auf Bachelorniveau statt und istdamit im tertiären Sektor angesiedelt. Als Ergebnis eines dreijährigen Studiums zusätz-lich zur dreijährigen Ausbildung gab es hierzulande lediglich einen Bachelor, den es inder EU bereits für die qualifizierte Ausbildung nach drei bis vier Jahren gibt. ErneutenZündstoff bekommt diese Diskussion durch die aktuellen Pläne für eine Berufsaner-kennungsrichtlinie der EU, nach der ein erfolgreicher Abschluss von 12 Schulklassen(mithin das neue deutsche Abitur oder ein vergleichbarer Abschluss) die Voraussetzungfür eine qualifizierte Pflegeausbildung sein soll. Bei allen zu erwartenden Umsetzungs-schwierigkeiten für eine solche Richtlinie muss darauf hingewiesen werden, dass es sichlediglich um eine in 25 von 27 EU-Staaten bereits umgesetzte Zugangsvoraussetzunghandelt, es für Deutschland im europäischen Maßstab also um eine längst fällige An-gleichung an das europäische Niveau ginge.

Im Bolognaprozess verankerte vermehrte Anerkennungsmöglichkeiten für außer-hochschulisch erworbene Leistungen (Ausbildungen, Fachweiterbildungen usw.) so-wie die seit einigen Jahren vom Gesetzgeber widerstrebend eingeräumten Modellmög-lichkeiten für hochschulbasierte Pflegeausbildungen führten zu einem rasch zuneh-menden Angebot an dualen Studiengängen unterschiedlicher Konzeption. Neben derOrientierung am internationalen Standard spielt die zur Zeit wieder einmal sinkendeAttraktivität der Pflegeberufe bei demografiebedingt wachsendem Bedarf eine ent-scheidende Rolle für die – allerdings immer noch zögerliche – Akzeptanz des Bedarfs anwissenschaftlich qualifizierten klinisch orientierten Pflegefachkräften durch Einrich-tungsträger und Politik.

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3. Modelle der Kombination von pflegerischer

Erstausbildung und Studium

Als Folge dezentraler Bildungsplanung erleben wir eine große Bandbreite unterschied-licher Modelle der Kombination von Pflegeerstausbildung und -studium, die einen Ba-chelorabschluss und ein staatlich anerkanntes Examen in der Pflege zum Ziel haben undallesamt mit dem Begriff „duale Studiengänge“ versehen werden, aber durchaus unter-schiedliches meinen. Diese Unterschiede werden oft mit den Begriffen additiv oder in-tegrativ gekennzeichnet. Dies hilft nicht wirklich weiter, da je nach Handlungslogikunterschiedliche Dimensionen gemeint sind. Mal ist es die Addition von Berufszweigen(auch Generalistik genannt), mal die zeitliche Aufeinanderfolge von Ausbildung undStudium. Mit Integration ist bisweilen ebenfalls die Zusammenfügung der Berufszwei-ge gemeint oder aber die Verbindung von Berufsfachschulunterricht mit der Hoch-schullehre, bisweilen auch die enge Kooperation der Partner einschließlich der Pflege-praxis. Wir konzentrieren uns in unserer Analyse auf Zeitpunkte, Verteilung und Orteder Ausbildungs- und Studienanteile und haben unsere Begrifflichkeit neu sortiert.

3.1 Anerkennungsmodell

Eine Pflegeausbildung wird vorausgesetzt, die allerdings auch länger zurückliegen kann.Darauf aufbauend schließt sich ein verkürztes Studium durch Anerkennung von bis zu50% der Ausbildungszeit an. Dieser Studiengangstyp kann, aufbauend auf dem in Aus-,Fort- und Weiterbildung erlernten Wissen und den erworbenen Kompetenzen, vor al-lem wissenschaftsgestützte Vertiefungen des Erlernten und lediglich Ansätze einer Spezi-alisierung bieten (z.B. in Beratung oder Qualitätsentwicklung), da für neue beruflicheFunktionen (z.B. Management) die curricularen Möglichkeiten nicht ausreichen. DiesesModell bietet im Wesentlichen eine Nachqualifizierung und bleibt bei einer der Erstaus-bildung entsprechenden klinischen Ausrichtung. Daher zählen wir es trotz z.T. großenzeitlichen Abstandes von Ausbildung und Studium zu den Kombinationsmodellen.

Vorteil des Anerkennungsmodells ist eine kürzere Gesamtqualifizierungszeit, da inder Regel nur noch drei Hochschulsemester zu absolvieren sind. Nachteilig ist dabeidie kurze Zeit der Hochschulsozialisation, die nicht nur erhebliches Engagement derStudierenden verlangt, um das angestrebte Bachelorniveau zu erreichen, sondern häu-fig auch zu kurz ist, um ein eigenständigeres, auf wissenschaftlichem Denken und er-höhter Reflexionsfähigkeit fußendes berufliches Selbstverständnis als Grundlage einenprofessionellen Habitus zu erzeugen.

3.2 Ergänzungsmodell

Begonnen wird mit der traditionellen Ausbildung, deren erfolgreicher Abschluss auchVoraussetzung für den Abschluss des Studiums ist. Allerdings kann die Entscheidungfür ein Studium bereits während der Ausbildung fallen, und es besteht die Möglichkeit,einzelne Hochschulmodule in dieser Zeit zu absolvieren. Nach der Ausbildung erfolgt

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eine unterschiedlich lange Hochschulphase (drei bis vier Semester), je nach dem, obweitere Ausbildungsanteile anerkannt werden (s.o.) und ob das Studium in Vollzeitoder berufsbegleitend angeboten wird.

Auch hier ist eine deutliche Verkürzung gegenüber der Summe von regelhafter Aus-bildung und Studium bei einer kurzen eigentlichen Hochschulphase festzustellen. DieHochschulphase wird durch die Ausbildung begleitende Module gegenüber dem rei-nen Anerkennungsmodell verstärkt, was für die Hochschulsozialisation von Vorteil ist.Hier ist jedoch eine erhebliche Abbruchquote nach erfolgreicher Ausbildung festzu-stellen, da häufig – durch den neuerlichen Fachkräftemangel verstärkt – ein Vollzeitar-beitsplatz mit entsprechender Vergütung lockt und die Hochschulphase des Studiumstrotz bereits absolvierter Module dann doch nicht aufgenommen wird.

3.3 Ersetzungsmodell

Der theoretische Teil der Ausbildung wird vollständig an der Hochschule absolviert,die nach dem Modellparagraphen des Gesundheits- und Kranken- sowie Altenpflege-gesetzes an die Stelle der Berufsfachschulen tritt. Die Ausbildung wird damit an dieHochschule transferiert und auf Hochschulniveau gelehrt. Die Gesundheitseinrich-tungen fungieren in diesem Modell als Kooperationspartner für die praktische Ausbil-dung. Hinzu kommen weitere theoretische Anteile, um den Anforderungen an einenBachelor zu genügen. Die Gesamtlänge von Studium und Ausbildung beträgt z.B. imModell der Gesundheitshochschule Bochum vier Jahre oder 8 Semester. Professions-theoretisch ist dies das weitestgehende Modell wissenschaftsgestützter Ausbildung, dadie Gesamtverantwortung für Studium und staatlich anerkannte Ausbildung bei derHochschule liegt. Das neben der Bachelorprüfung weiterhin gesondert abzulegendeExamen, für die Berechtigung die Berufsbezeichnung zu führen, ist auch internationalüblich. So ist es in Großbritannien und den USA die Voraussetzung dafür, die Berufs-bezeichnung „Registered Nurse“ (R.N.) verwenden zu können. Das bereits erwähntehessische Modell hat hier seinen Schwachpunkt, da es bislang lediglich zum Hoch-schulabschluss, nicht jedoch zur Berufsanerkennung führt. Diese muss mit nachgewie-senen zusätzlichen Praxiszeiten, die den gesetzlichen Anforderungen Genüge leisten,und einer externen Prüfung nachgeholt werden.

Ein Vorteil des Ersetzungsmodells ist die mit anderen studierten Berufen vergleich-bare Dauer der Erstqualifizierung sowie die eindeutige Sozialisation an der Hochschu-le. Allerdings gelten die Vorgaben der Ausbildungsgesetze weiterhin, so dass das er-reichbare pflegewissenschaftliche Niveau angesichts der Stofffülle in den natur- undsozialwissenschaftlichen Bezugsdisziplinen und der vielen Pflichtstunden in Grundla-genfächern nicht allzu hoch angesetzt werden sollte. Hinzu kommen die immensenverpflichtend zu absolvierenden praktischen Einsatzzeiten während des Studiums, dieeben nicht nur Praktika mit Anleitung sind, sondern auch Arbeitscharakter mitSchichtdienst und Mitarbeit aufweisen. Die Studienbedingungen sind also gegenüberanderen studierten Berufen, wie etwa den Ingenieuren oder der sozialen Arbeit, durchvermehrte Anforderungen der Praxis gekennzeichnet.

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Ein Problem, das mit der in die Hochschule transferierten Ausbildung entsteht, istdie Konkurrenzsituation zu den Berufsfachschulen. Anders als in der internationalenEntwicklung, bei der die Fachschulen meist sukzessive – bisweilen auch „par ordremufti“ wie in Italien oder Portugal – an die Hochschulen verlagert oder zu Hochschu-len aufgewertet wurden und sich die PflegelehrerInnen entsprechend nachqualifizie-ren mussten, gibt es in Deutschland ein Nebeneinander beider Systeme, geteilt in Pfle-geausbildung mit PflegepädagogInnen und Pflegestudium mit Pflegewissenschaftle-rInnen, die jeweils anderen Ministerien zugeteilt sind. Das kann für die Hochschulenzu Problemen führen, da sie das Personal mit den pflegefachlichen und pflegepädagogi-schen Kompetenzen für die Ausbildungen nicht besitzen und zusätzlich zu neuen pfle-gewissenschaftlichen Professuren eine hohe Zahl an Lehrkräften für besondere Aufga-ben (Klinischer Unterricht, Praxisbegleitung, Lehre in Grundlagenfächern, Ausbil-dungsplanung usw.) einstellen müssten. Dies würde – selbst wenn diese aufwändigeUmstrukturierung gelänge – zu einem personellen Ausbluten und einer Abwertung derBerufsfachschulen führen. Das hätte auch Auswirkungen auf Fachweiterbildungen wiebeispielsweise Anästhesie- und Intensivpflege, in der Psychiatrie oder Geriatrie, die oh-ne qualifizierte und erfahrene PflegepädagogInnen nicht durchführbar sind. Der Zeit-punkt, an dem die Hochschulen diese vielfältigen Qualifikationen in den benötigtenGrößenordnungen anbieten könnten, ist sicher noch weit oder sehr weit entfernt.

3.4 Verschränkungsmodell

Das Verschränkungsmodell stellt das eigentlich duale Modell dar, denn hier werdenvon Anfang an theoretische und praktische Ausbildung sowie Studium gleichberech-tigt, parallel, koordiniert und kooperativ gestaltet. Aufgrund der Besonderheiten derAusbildungsgesetze bedeutet ein duales Modell in der Pflege eigentlich eine Triangula-tion, denn drei Partner müssen zusammen kommen: die Hochschule, die Berufsfach-schule und die Fachpraxis, die ihre Lernangebote aufeinander abstimmen müssen. Dasunterscheidet duale Studiengänge der Pflege von denen anderer Berufe, die seit langempraktiziert werden, etwa im betriebswirtschaftlichen oder Ingenieurbereichen. Dortwerden die Berufsschulanteile in der Regel von den Berufsakademien oder Hochschu-len übernommen, einziger Kooperationspartner der Hochschule ist die betrieblichePraxis. Somit gehören sie zu den Ersetzungsmodellen.

Vorteile eines dualen Modells sind die mit anderen studierten Berufen vergleichbareLänge der Erstausbildung und der Einsatz ausbildungserfahrener PflegepädagogIn-nen. Die Herausforderungen einer solchen Triangulation liegen vor allem in den curri-cularen Abstimmungen und Kooperationsvereinbarungen der Partner und in den im-mensen, teilweise auch divergierenden Anforderungen an die Studierenden. Profes-sionspolitisch ergibt sich die Chance, langfristig Berufsfachschulen mit hoher Qualitätin den tertiären Bereich zu überführen. Dabei entsteht zwangsläufig ein Nachqualifi-zierungsbedarf der PflegepädagogInnen, wobei dies im Kern eine konsequente Weiter-führung der Entwicklung der letzten 20 Jahre wäre, in denen massiv in die akademischeQualifizierung eben dieser PflegepädagogInnen investiert wurde.

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Die Vor- und Nachteile oder, allgemeiner gesagt, die Merkmale der verschiedenenModelle der Kombination von Erstausbildung und Studium stellen sich in einer Syn-opse wie folgt dar, s. Tabelle 1.

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ModellartMerkmale

Anerkennungs -modell

Ergänzungs -modell

Ersetzungs-modell

Verschränkungs-modell

Beginn des Studiums

nach Abschluss derAusbildung

1. Teil mit, 2. Teilnach Ausbildung

Mit Ausbildungs-beginn

Mit Ausbildungs-beginn

Gesamtdauer vonAusbildung und Studium

4,5 Jahre 4,5 – 5 Jahre 3,5 - 4 Jahre 4 Jahre

Hochschulzeit 3 - 4 Semester Erste Module plus3 - 4 Semester

7 - 8 Semester 8 Semester

Curriculare Vernetzung und Abstimmung

Kenntnisse der Berufsausbildungenwerden vorausge-setzt, Abstimmun-gen nicht notwen-dig

Punktuelle Vernet-zungen, Abstim-mung notwendig

EigenständigesCurriculum, Abstimmung nichtnotwendig

Weitgehende Ver-netzungen, Rah-mencurriculumund laufende Abstimmungen erforderlich

Status Auszubil-dende/Studierende

Studierende 1. Teil Auszubil-dende und Studie-rende, 2. Teil Stu-dierende

Studierende Studierende undAuszubildende

Kooperationspart-ner der Hoch -schulen

Praxiseinrichtungennur für Praktika

Berufsfachschulen Praxisein -richtungen

Berufsfachschulenund Praxiseinrich-tungen

Tab. 1: Modelle der Kombination von Pflegeerstausbildung und -studium (Moers, Schöniger,Böggemann 2012)

Modelle der Kombination von Pflegeerstausbildung und -studium

Diese Modelle finden sich in unterschiedlichen Realisierungsformen, deren Aus-prägung im Wesentlichen von den regionalen Bedingungen abhängt. Als Beispieleseien in Tabelle 2 folgende Modelle synoptisch zusammengefasst:

Synopse dualer Studienprogramme Pflege

Merkmale Hochschule

Studien -programm

Bachelor -abschluss

Pflege -examen

Modellbeschreibung

Anerkennungsmodelle

Universität Witten/Herdecke

InnovativePflegepraxis

B.A. Nach 2 Jahren

Wird vor-ausgesetzt

www.uni-wh.de/gesundheit/pflegewissenschaft/bachelorstudiengang-innovative-pflegepraxis/

Hochschule Hannover

Pflege B.A. Nach 2 Jahren

Wird vor-ausgesetzt

Oelke & Maier 2005www.fakultaet5.fh-hannover.de/studium/bachelor-studiengaenge/pflege-berufsbegleitend/index.html

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Merkmale Hochschule

Studien -programm

Bachelor -abschluss

Pflege examen Modellbeschreibung

Ergänzungsmodell

Hochschule fürangewandte WissenschaftenMünchen

Pflege seit WS08/09

B.Sc. Nach 4,5 Jahren

GKP, oderGKKP Nach3 Jahren

www.hm.edu/fk11

Kath. Stiftungs-FH München

Pflege dual B.Sc. Nach 4,5 Jahren

GKP oder APNach 3 Jahren

Lüftl & Kerres 2010a, 2010bwww.ksfh.de/studiengaenge/bachelorstudiengaenge/pflege-dual

Evang. FH Nürnberg

Pflege dual B.Sc. Nach 4 Jahren

GKP oderGKKP Nach3 Jahren

www.evhn.de/fb_pm_sg_bpd.html

Hochschule Regensburg

Pflege B.Sc. Nach4,5 Jahren

GKP Nach 3Jahren

www.hs-regensburg.de/fakultaeten/sozialwissenschaften/studiengaenge/pflege-dual.html

Hochschule Ravensberg Wein-garten

Pflege SeitWS 11/12

B.A. Nach 4,5Jahren

GKP Nach 3Jahren

www.hs-weingarten.de/web/bachelorstudiengang-pflege/startseite

KFH Freiburg Pflege B.A. Nach 4,5Jahren

GKP, GKiKP,oder AP Nach3 Jahren

www.kh-freiburg.de/studium/studiengaenge/bachelorstudiengaenge/pflege/

KFH Mainz Gesundheit& Pflege SeitSoSe 08

B.Sc. Nach4,5 Jahren

GKP, GKiKP,oder AP Nach3 Jahren

www.kfh-mainz.de/fachbereiche/FB_GP/ba/gp_ba.htm

Hochschule Ludwigshafena.R.

Pflege B.A. Nach 4,5Jahren

GKP, GKiKP,oder AP Nach3 Jahren

web.fh-ludwigshafen.de/fb4/home.nsf/de/dualerbachelor

Universität HalleWittenberg

Gesundheits-und Pflege-wissenschaf-ten

B.Sc. Nach 4Jahren

GKP, GKiKP,AP und weite-re Nach 3 Jahren

www.studienangebot.uni-halle.de/de/www/detail/?id=53&name=Gesundheits- und Pflegewissenschaften&

Hochschule Fulda Pflege B.Sc. Nach 3Jahren

GKP Nach 4Jahren

www.fh-fulda.de/index.php?id=1792

FH Frankfurt AllgemeinePflege

B.Sc. Nach 3Jahren

GKP Nach 4Jahren

www.fh-frank-furt.de/de/fachbereiche/fb4/studiengaenge/allgemeine_pflege_bsc

KFH Köln Pflege B.Sc. Nach 4Jahren, Be-ginn im 2.Ausbildungs-jahr

GKP, GKiKP,oder AP Nach3 Jahren

www.katho-nrw.de/katho-nrw/studium-lehre/studienangebot/bachelorstudiengaenge/dualer-stu-diengang-pflege-bsc/

FH Bielefeld Gesundheits-und Kran-kenpflege

B.Sc. Nach 4Jahren

GKP Nach3,5 Jahren

www.fh-bielefeld.de/fb5/bereich-pflege-und-gesundheit/studium/studienangebot/dualer-bachelor-pflege

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Beiträge Beltz Juventa. Pflege& Gesellschaft 17. Jg. 2012 H.3

Merkmale Hochschule

Studien -programm

Bachelor -abschluss

Pflege examen Modellbeschreibung

Ergänzungsmodell

FH der DiakonieBielefeld

Pflegewissen-schaft

B.Sc. Nach4,5 Jahren

GKP, GKiKP,oder AP Nach3 Jahren

www.fh-diakonie.de/.cms/Studienangebote/Pflegewissenschaft/220

Hochschule Hannover

Pflege B.A. Nach 5Jahren

GKP, GKiKP,oder AP Nach3 Jahren

Oelke & Maier 2005www.fakultaet5.fh-hannover.de/studium/bachelor-studiengaenge/pflege-berufsbegleitend/index.html

Ostfalia Wolfsburg

Pflege imPraxisver-bund

B.Sc. Nach 5Jahren

GKP, GKiKP,oder AP Nach3 Jahren

ww.ostfalia.de/cms/de/studienberatung/grundstaendige-studiengaen-ge/kurz_und_knapp_grund/pflege_ip_fg.html

FernhochschuleHamburg

Health CareStudies

B.Sc. Nach 4Jahren, Beginnim 2. Ausbil-dungsjahr

GKP oderGKKP Nach3 Jahren

www.hamburger-fh.de/studienangebot/hcs/index.php

Ersetzungsmodelle

Ev. FH Berlin(EFB)

Bachelor ofNursing

B.Sc. Nach 4Jahren

GKP Nach 4Jahren

Reinhart 2003, Köber & Ruck 2007eh-berlin.de/studienangebot/bachelor-of-nursing/uebersicht.html

Hochschule fürGesundheit Bochum

Pflege B.Sc. Nach 4Jahren

GKP, GKiKP,oder AP Nach4 Jahren

www.hs-gesund-heit.de/de/bereich/pflege/

Verschränkungsmodelle

Hochschule Osnabrück

Pflege SeitWS 11/12

B.Sc. Nach 4Jahren

GKP, GKiKP,oder AP Nach4 Jahren

www.wiso.hs-osnabrueck.de/pflege-bsc.html

Fliedner Fach-hochschule Düsseldorf

Pflege undGesundheitSeit WS11/12

B.A. Nach 4Jahren

GKP oderGKiKP Nach4 Jahren

www.kaiserswerther-diakonie.de/Fliedner_FH/Studiengaenge/Pflege_Gesundheit/Bachelor_Pflege_Gesundheit.html

Mathias Hoch-schule Rheine

Pflege B.Sc. Nach 4Jahren

GKP Nach 4Jahren

www.mhrheine.de/index.php?option=com_content&view=article&id=90&Itemid=84

Hochschule Neubrandenburg

Dualer Stu-diengangPflegewissen-schaft/Pflegemanagement

B.Sc. (Nur-sing & Admi-nistration)Nach 4,5 Jahren

GKP oder AP;Nach 4,5 Jahren

Teetz & Hergert 2005; Richter et al.2008 www.hs-nb.de/fachbereich-gpm/bei-uns-studieren/dualer-bc-pw/

HAW Hamburg Pflege B.A. Nach 4Jahren

GKP Nach 4Jahren

www.haw-hamburg.de/studium/studiengaenge/ws/bachelor/pflege-dualer-studiengang.html

Tab. 2: Synopse dualer Studienprogramme Pflege in Deutschland (Moers, Schöniger,Böggemann 2012)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle Modelle Lösungsversuche des Problemsdarstellen, die EU-weiten Vorstellungen im Bolognaprozess zum Bachelor als qualifi-zierter beruflich orientierter Erstausbildung mit den hiesigen gesetzlichen Regulierun-gen zusammen zu führen. Dass es dabei zu heimwerkerähnlich anmutenden curricula-ren Säge- und Schraubaktionen kommt, ist nicht den Modellen vorzuwerfen, sondernder im EU-Vergleich veralteten deutschen Gesetzgebung geschuldet. Alle Modelle er-reichen eine deutliche Verkürzung der Gesamtzeit von Ausbildung und Studium. Sieunterscheiden sich vor allem in der Länge der echten Hochschulzeit, der Einbeziehungder beruflichen Fachrichtungen sowie den Kooperationskonstruktionen.

Der Vorteil der langen Hochschulzeit geht im Ersetzungsmodell mit dem Verzichtauf die Expertise der Berufsfachschulen einher. Die Einbindung derselben im Ver-schränkungsmodell stellt höhere Anforderungen an die Kooperationspartner undbringt den Studierenden den Doppelstatus auch als Auszubildende, dazu die Berufs-fachschule als dritten Lehr- und Lernort, und damit einerseits eine Ausbildungsvergü-tung und besser betreute Einbindung in die Gesundheitseinrichtungen, andererseitsaber auch erhöhte Anforderungen durch den dritten Lernort. Im Folgenden stellen wirdar, wie wir in Osnabrück mit diesen Anforderungen umgehen.

4. Osnabrücker Modell eines dualen Pflegestudiums

Die Leitidee des Osnabrücker Konzepts ist die möglichst weitgehende Verschränkungvon Ausbildung und Studium. Dabei soll es bei der vorgesehenen Triangulation vonHochschule, Berufsfachschulen und Fachpraxis nicht nur gelingen, die zahlreichenKooperationspartner erfolgreich zu vernetzen, sondern auch die Studieren-den/Auszubildenden vor Überforderung zu schützen und engmaschig zu begleiten, da-mit sie sich an den verschiedenen Lernorten zurecht finden und integrieren können.

4.1 Curriculare und strukturelle Bedingungen

Die Partner Hochschule und Berufsfachschule bleiben für ihren Part in der Gesamt-qualifikation jeweils vollständig verantwortlich: Die Hochschule für das Bachelorstu-dium, die Berufsfachschule für den fachspezifischen theoretischen und den prakti-schen Anteil der Ausbildung. Von Seiten der Hochschulen werden alle Module im Ba-chelorstudium selbst gelehrt. Von Seiten der Berufsfachschulen werden allefachspezifischen und fachpraktischen Module nach Maßgabe der Ausbildungsverord-nungen unterrichtet. Um einerseits den Akkreditierungs- und andererseits den Ausbil-dungsgesetzesanforderungen nachzukommen, werden zahlreiche Praxisstunden alsSelbstlernzeit im Rahmen des Studiums konzipiert und umgekehrt der dozentenge-bundene Teil einer Reihe von Modulen der Hochschule als erteilter Unterricht im Sin-ne der Ausbildungsgesetze gewertet und anerkannt. Von der Anerkennung theoreti-scher Inhalte der Berufsfachschulen für die Hochschullehre wird abgesehen, um die

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Beiträge

Sozialisation an der Hochschule so weitgehend wie möglich zu gestalten und aufwändi-ge Qualitätsprüfungen des Berufsfachschulunterrichts zu vermeiden.

Auf diese Weise gelingt es, den Gesamtaufwand für zwei Abschlüsse auf 4 Jahre zubegrenzen, gleichwohl aber das geforderte Niveau für beide Abschlüssen zu erreichen.Um Freiräume für das Studium zu schaffen und zeitgleiche Abschluss- und Bachelor-prüfungen im achten Semester zu ermöglichen, wird die Ausbildung als Teilzeitmodellauf vier Jahre verlängert angeboten. Curricular wird damit deutlich gemacht, dass dieAbschlüsse zum Bachelor in Pflege und zur Pflegefachkraft andersartig, aber gleichwer-tig sind. Die zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen für die Auszubilden-den/Studierenden sind dabei erheblich. Sollten sich die Belastungen für einzelne Stu-dierende im Verlaufe des Studiums als zu hoch erweisen, bieten die Berufsfachschulenals Auffangmöglichkeit einen Wechsel in die traditionelle dreijährige Ausbildung an.

Um für möglichst viele Berufsfachschulen der Region ein Kooperationsangebot ma-chen zu können, sind Verbünde geschaffen worden. Das bedeutet, die Hochschule istmit zwei verbundleitenden Schulen eine Kooperation eingegangen, die je einen gene-ralistisch ausgelegten Kurs mit 20 Auszubildenden mit Hochschulzugangsberechti-gung eingerichtet haben. Die Auszubildenden werden in einer Studiengruppe à 40 Stu-dierende an der Hochschule zusammengefasst. Die verbundleitenden Schulen koope-rieren ihrerseits mit weiteren Berufsfachschulen, die Auszubildende/Studierende undauch Dozenten für den theoretischen Unterricht entsenden sowie die Praxiseinsätze inihren Einrichtungen koordinieren und betreuen. Damit bleibt der Koordinationsauf-wand für die Hochschule leistbar. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass die kooperieren-den Berufsfachschulen dieses Angebot gut annehmen und die Kooperation zur Weiter-entwicklung nutzen.

Für die Studierenden/Auszubildenden sind in diesem Modell drei Lernorte zu be-wältigen: die Hoch- und Berufsfachschule sowie die Fachpraxis. Für die Akteure derLernorte ergeben sich hohe Anforderungen der Abstimmung und Konsensbildung.Um diesen gelegentlich auch divergierenden Anforderungen genügen zu können, wur-de gemeinsam mit den Kooperationspartnern ein Rahmencurriculum entwickelt, dasden Erwerb der angestrebten Kompetenzen mit gemeinsamen klinischem Schwer-punkt in Ausbildung und Studium sicherstellen soll. Zur Strukturierung wurde einepflegerische Perspektive gewählt, die von störungsfreien Lebensvollzügen in allen Le-bensphasen ausgeht („Gesund Sein“) und in einem zweiten Schritt Pflegebedarf bei zu-nehmenden Einschränkungen der Selbstständigkeit und damit steigendem Pflege-und Hilfebedarf identifiziert und bearbeitet („Profession sein“). Die entsprechendenSeinszustände des Menschen reichen von „Behindert Sein“ über „Chronisch krank Sein“bis zu „Abhängig Sein“, letzteres meint intensiven Pflegerbedarf in unterschiedlichenSettings von der klassischen Intensivstation bis zur Hospizbetreuung. Diese Seinszustän-de bilden keine Blöcke, die nacheinander abgearbeitet werden, vielmehr werden Lernsi-tuationen entwickelt, die Kompetenzanforderungen (modifiziert nach Benner 1994) inden unterschiedlichen Seinszuständen abbilden und exemplarisch von einfachen zukomplexen Situationen, Wissensbeständen und Kompetenzen fortschreiten.

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Aus dem Rahmencurriculum wurden die Teilcurricula für Hochschule, Berufsfach-schule und Praxis abgeleitet. Die Inhalte von Fachschulunterricht und Hochschullehrewerden zeitlich möglichst koordiniert angeboten. So stehen Fragen der Professionali-sierung und der Organisation des Pflegehandelns in beiden Lernorten relativ am An-fang von Ausbildung und Studium, wobei sich nicht die Themen, sondern die Perspek-tive der Bearbeitung unterscheiden. Während von den PflegepädagogInnen beispiels-weise alle naturwissenschaftlichen Grundlagen der Anatomie, Physiologie undKrankheitslehre unterrichtet werden, werden an der Hochschule neben methodischenverstärkt handlungstheoretische Kompetenzen vermittelt, wie beispielsweise Fragen zuBewältigungsstrategien chronisch Kranker.

Ein eigenständiges Praxiscurriculum besitzt hohe Bedeutung für die notwendige In-tegration von Ausbildung und Studium, da Hoch- und Berufsfachschule auf die prakti-schen Erfahrungen der Studierenden/Auszubildenden rekurrieren. Das Praxiscurricu-lum bietet Strukturierungen für die gezielte Entwicklung und den Aufbau der pflegeri-schen Handlungskompetenzen in Situationen der Praxis und eine Verzahnung mit dentheoretischen Wissensbeständen der Studierenden. Als Strukturierungs- und Steue-rungshilfe dienen sogenannte Kompetenzcluster, die alle relevanten curricularen Ele-mente (Handlungskompetenzen, Handlungsbereich, Lernfeld, Entwicklungsstufe,Praxiseinsatzort, Praxisphase) zusammen führen.

Die Berufsfachschulen organisieren und begleiten die praktische Ausbildung, wozugemeinsam mit der Hochschule ein Praxishandbuch mit Lernaufgaben entwickeltwurde. Auch die Hochschule engagiert sich mit eigenen Modulen zum Praxislernen, indenen Praxisaufgaben gestellt werden und Praxiserfahrungen in die Lehre einbezogenwerden. Damit soll auch den seit langem beklagten Anleitungslücken in der Praxisaus-bildung entgegengearbeitet werden. Ein wesentlicher Vorteil dieses gemeinsamen, kli-nisch orientierten Curriculums besteht darin, dass die Studierenden/Auszubildendenan den drei Lernorten nicht mit unterschiedlichen Zielen, Denklogiken und Hand-lungsmustern konfrontiert werden, sondern eine Art roten Faden vorfinden, der sichdurch Ausbildung, Studium und Praxiseinsätze zieht.

Im Osnabrücker Modell ist es darüber hinaus gelungen, das Rahmencurriculum füralle drei Pflegefachberufe (Gesundheits- und Kranken- sowie Kinderkrankenpflegeund Altenpflege) gemeinsam zu konzipieren. An der Hochschule wird der Bachelor ofScience in Pflege einheitlich für alle drei Pflegefachberufe angeboten. In den Kursender verbundleitenden Schulen sind ebenfalls im generalistischen Ansatz alle drei Ab-schlüsse vertreten, wobei einige spezifische Inhalte getrennt unterrichtet werden müs-sen. Die Auszubildenden/Studierenden müssen sich allerdings bereits zu Beginn für ei-ne berufliche Richtung entscheiden; nur so können die Ausbildungsgesetze eingehal-ten werden. Sollte der Gesetzgeber endlich seine Pläne für eine generalistischePflegeausbildung umsetzen, wäre das Modell darauf vorbereitet. Sollte auch diese Re-form noch einen langen und steinigen Weg durch die Ausschussmühlen zu überstehenhaben, bietet dieses Modell eine gute Plattform für den Austausch zwischen den dreiPflegefachberufen und deren Zusammenhalt.

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4.2 Folgen des Verschränkungsmodells für die Studierenden

Die Studierenden/Auszubildenden werden in diesem Modell mit drei Lernorten kon-frontiert, die je eigene Strukturlogiken aufweisen und deren komplexe Anforderungenzu bewältigen sind. Neben dem Lernen an Hoch- und Berufsfachschule stellt insbeson-dere der Kompetenzerwerb in der Praxis eine Herausforderung dar. Mit dem in den ver-bundleitenden Schulen gebildeten „Abiturientenkursen“ haben die Studieren-den/Auszubildenden, die ja eine neue „Sorte“ in den Berufsfachschulen und in der Pra-xis darstellen und auch mit Widerständen rechnen müssen, einen gewissen Schutzdurch ihre „peer group“. Möglich sind Abwehr von Seiten der Praxis und Konkurrenz -ängste von Seiten der rein fachschulisch Auszubildenden. Daraus können Identitäts-probleme, Inkompetenzgefühle wegen zu hoher Eigen- und Fremderwartungen undim schlechten Fall aus all dem folgend Abgrenzungsbedürfnisse bei den Studieren-den/Auszubildenden entstehen. Daher muss Raum zur Bearbeitung und Reflexioneventueller Konflikte und von Störgefühlen gegeben werden, wofür neben der Berufs-fachschule sich auch die Hochschule mit ihrem diskursiven, reflexionsorientierten Stilanbietet. Die ersten Erfahrungen lassen jedoch auf eine gedeihliche Zusammenarbeithoffen, da der Zeitpunkt der Einführung offenbar günstig ist: In der Praxis werdenqualifizierte Kräfte gebraucht und die Studierenden/Auszubildenden zeigen Respektvor den Leistungen der Praktiker und entwickeln auch die Motivation, sich in die Pra-xis einzubringen. Festzustellen ist gleichwohl eine gewisse Verunsicherung der Studie-renden/Auszubildenden, da sie nach den ersten Einsätzen gegenüber den dreijährigAuszubildenden weniger Praxiseinsatzzeiten und auch weniger Zeit an der auf die Pra-xis gezielt vorbereitende Berufsfachschule aufzuweisen haben, woraus eine geringerepraktische Handlungskompetenz resultiert. Dies wird sich erwartbar im Laufe vonStudium & Ausbildung – insbesondere im zusätzlichen 4. Jahr – regulieren.

4.3 Strukturelle Stützsysteme im Verschränkungsmodell

Um einer Überforderung beim Bewältigen der drei Lernorte vorzubeugen, ist im Ver-schränkungsmodell für die Studierenden/Auszubildenden gerade in der praktischenAusbildung ein engmaschiges Betreuungsnetz erforderlich. Die Praxis als eigentlicherOrt beruflichen Pflegehandelns stellt sich für die Sozialisation der Anfänger als sehrwirkmächtig dar, da die realen Probleme und deren Bewältigung für die Praktiker Vor-rang vor den theoretischen Erkenntnissen haben und es das nachvollziehbare Bestre-ben der Auszubildenden/Studierenden ist, in den Teams ihrer zukünftigen ArbeitgeberAnerkennung zu finden. Daher gehört es – wie bereits ausgeführt – zum Konzept, an al-len Orten mit möglichst gleichen curricularen Vorstellungen zu arbeiten. Zu diesemZweck wird verstärkt darauf geachtet, dass die Auszubildenden/Studierenden das ih-nen gesetzlich zustehende Maß an Praxisanleitung und -begleitung auch erhalten. ImGegenzug bietet die Hochschule in Kooperation mit den Berufsfachschulen zwei Tagepro Semester Fortbildung für die PraxisanleiterInnen an, die das klinische Qualifika-tionsprofil und die Anforderungen an höhere Eigenständigkeit der neuen akademi-schen Pflegefachkräfte vermitteln helfen. Diese Fortbildungen werden stark nachge-

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fragt. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass die Kompetenzerweiterung der Praxis-anleiterInnen auch den traditionell dreijährig Auszubildenden zugute kommt. Ebensogibt es einen regelmäßigen Austausch zwischen den verantwortlichen Hochschuldo-zentInnen des Studiengangs und den BegleitdozentInnen der Berufsfachschulen. ZurKoordination aller drei Lehr- und Lernorte ist ein Beirat eingerichtet, der sich mit allenFragen der Kooperation beschäftigt. Die enge Verbindung der Berufsfachschulen mitder Hochschule wird auch dadurch bestärkt, dass DozentInnen der Berufsfachschulenfür einzelne Module Lehraufträge an der Hochschule übernehmen. Damit werden ers -te Schritte zur institutionellen Verknüpfung bei gleichberechtigter Kooperation einge-leitet (vgl. zur generalistischen Ausbildung Müller 2009; Dielmann 2010a, 2010b;Reiche 2010; Schmitt et al. 2010).

5. Das Berufsprofil der AbsolventInnen dualer Studiengänge

Allen vorgestellten Kombinationsmodellen ist gemeinsam, dass sie grundsätzlich eineklinische Orientierung verfolgen, also für patienten-/bewohnernahe Aufgaben qualifi-zieren sollen. Sie können nur erste Schritte spezialisierter Expertise vermitteln, bei-spielsweise in den Feldern Beratung und Qualitätsentwicklung. Die Ausbildungsantei-le richten sich vollständig und die Studienanteile zumindest überwiegend auf die di-rekte Praxis der Betreuung von PatientInnen und BewohnerInnen sowie derenAngehörigen. Salopp formuliert wird damit der „Bachelor am Bett“ möglich, wenn vonden Einrichtungen die dafür notwendigen, für komplexere Aufgaben in der Praxis aus-gewiesenen und entsprechend dotierten Stellen geschaffen werden. Das Aufgabenpro-fil dieser Stellen beinhaltet die Verantwortungsübernahme für den gesamten Pflege-prozess der Patienten/Bewohner in einem dafür geeigneten Bezugspflegesystem wiedem Primary Nursing. Dazu gehört die Planung und Durchführung der Pflege zusam-men mit Assistenzkräften sowie deren Anleitung und Supervision, die umfassende Ge-staltung der patienten-/bewohnernahen Versorgungsprozesse einschließlich der dazugehörigen Kommunikation und Kooperation mit den an diesen Prozessen beteiligtenBerufsgruppen, sowie Anleitung, Schulung und Beratung von PatientInnen, Bewoh-nerInnen und Angehörigen.

Das ist in vielen Einrichtungen sicher noch Zukunftsmusik, es ist aus zwingendenGründen jedoch erforderlich, diesen Weg zu gehen. Die demografische Entwicklungmit dem Fachkräftemangel im Gefolge hat in der Pflege bereits eingesetzt, zumal dieAttraktivität des Berufes in den letzten Jahren durch Erhöhung des Arbeitsdrucks beigleichzeitiger Senkung der Vergütung erheblich gelitten hat. Für den Pflegebereichkann man von einer Schere zwischen Bedarf und Angebot sprechen, die sich weiter öff-nen wird, denn parallel zu kleiner werdenden Kohorten potenziellen Pflegenachwuch-ses steigen die Zahlen der Pflegebedürftigen merklich. Von Anwerbeaktionen aus demAusland kann nur geringe Wirkung erwartet werden, da die im Hinblick auf Sprach-und Fachkompetenz in Frage kommenden Regionen meist mit ähnlichen Problemenzu kämpfen haben. Auch Reaktivierungsversuchen ausgeschiedener Pflegefachkräftesind erfahrungsgemäß enge Grenzen gesetzt. Das bedeutet, dass der Anteil von Assis-

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tenzkräften in der Pflege zwangsläufig steigen wird. Damit wird eine Gruppe höherqualifizierter und zu selbstständiger Arbeitsorganisation befähigter Fachkräfte unum-gänglich. Sollten – nebenbei bemerkt – die gesundheitspolitischen Pläne zur Übertra-gung medizinischer Aufgaben auf entsprechend qualifizierte Pflegefachkräfte in größe-rem Umfang umgesetzt werden, wie es die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesaus-schusses nahelegen, würde das den Fachkräftemangel in der Pflege zunächstverschärfen. Eine positive Auswirkung auf das Image mit folgendem Bewerberanstiegwäre aber durchaus denkbar. Erwartbar ist, dass der Bedarf an wissenschaftlich qualifi-zierten Pflegefachkräften, die für Anleitung und Supervision von Assistenzkräften zurVerfügung stehen, weit über die Kapazitäten der klinisch orientierten Studiengängehinaus gehen, auch wenn diese noch erweitert werden. Das wird den Druck auf die Bil-dungs- und Gesundheitspolitik erhöhen, umfassende Reformen der Pflegeausbildungmit bundesweiter Planung und unter Einbeziehung aller bislang erzielten Modeller-fahrungen anzugehen.

6. Konsequenzen für die Professionalisierung

der Pflegeberufe und für die Pflegewissenschaft

Was bedeutet die hier prognostizierte Entwicklung für die Professionalisierung derPflegeberufe und für die Pflegewissenschaft? Die Antwort fällt scheinbar paradox aus:Die Professionalisierung der Pflege wird mit einer breiten Etablierung jeder Varianteder hier angesprochenen Kombinationsmodelle von Ausbildung und Studium einengroßen Schritt voran tun, die Entwicklung der Pflegewissenschaft würde erheblich ge-bremst werden. Mit dem Fokus auf den Beruf würde die Pflege den Normalvorstellun-gen einer Profession als studierter Beruf mit gesellschaftlichem Auftrag und besonde-ren Rechten erheblich näher kommen. Die Entwicklung der vertikalen Aufspaltungdes Berufes in Fach- und Assistenzkräfte ist aufgrund der demografischen Entwicklungohnehin nicht aufzuhalten und findet sich auch in professionspolitisch weiter fortge-schrittenen Ländern wie den USA, Großbritannien oder auch den Niederlanden.

Mit Blick auf die Pflegewissenschaft sieht es anders aus. Zunächst einmal sind mitfür den wissenschaftlichen Nachwuchs die angesprochenen Kombinationsmodelle ei-ner wissenschaftlichen Sozialisation nicht wirklich zuträglich. Alle Modelle arbeiten inunterschiedlichem Ausmaß mit verdichtetem Programm, verkürzten Anwesenheits-zeiten an der Hochschule und Mehrfachanforderungen von theoretischer und prakti-scher Ausbildung und Studium. Die für die wissenschaftliche Entwicklung notwendi-gen Freiräume sind damit nur begrenzt gegeben. Wie auch international zu verzeich-nen, verlagern sich die Hoffnungen auf wissenschaftlichen Nachwuchs im eigentlichenSinne auf den Promotionsbereich, sogar auf Post-Doc-Programme. Wie viele der pri-mär für den Beruf qualifizierten und sozialisierten studierten Pflegefachkräfte denauch finanziell immer schwieriger werdenden Weg weiterer akademischer Qualifika-tion gehen werden, bleibt abzuwarten. Bereits die aktuellen Erfahrungen mit den Mas-terprogrammen sind nicht unbedingt ermutigend.

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Auf Seiten der sich jetzt im System befindlichen PflegewissenschaftlerInnen ist eineähnliche Ambivalenz festzustellen. Einerseits haben sie viel Energie in die Durchset-zung der Pflegewissenschaft als Disziplin gesteckt und waren dabei mittels ausgepräg-ter Forschungs- und Entwicklungstätigkeit durchaus erfolgreich. Andererseits sehensie den Bedarf an primär qualifizierenden Studienprogrammen für die Praxis. Nur: jemehr sie sich dieser Aufgabe stellen – und dies tun sie aller Orten –, desto umfassenderwerden sie von den Aufgaben der Studiengangsentwicklung, Akkreditierung, Koope-rationen mit der Praxis, aufwändigerer Betreuung der Studierenden usw. absorbiert.Ihre weiteren Rollen als ForscherInnen, WissenschaftsentwicklerInnen, aktiven Mit-gliedern der Scientific Community in Fachgesellschaften, Beiräten usw. und ernstzu-nehmenden Akteuren im Hochschulmanagement müssen sie notgedrungen dafür zu-rückstellen. Je erfolgreicher die dualen Studiengänge als nächster Professionalisie-rungsschritt sein werden, desto weniger Freiräume haben sie für komplexe Forschungs-und Entwicklungsaufgaben, in die sie die dual Studierenden/Auszubildenden auf-grund der Dichte deren Lernprogramms auch nur ganz begrenzt einbeziehen können.Von einer Förderung der Promotionsprogramme in der Pflege, die sowohl den For-schungsaktivitäten als auch der Qualifizierung wissenschaftlichen Nachwuchses dient,ist bildungs- und gesundheitspolitisch zur Zeit nur in ganz kleinen Modellversuchendie Rede, die sich, wie eine aktuelle Kooperation der Hochschule Osnabrück mit derUniversität Witten/Herdecke, darüber hinaus programmatisch auf die gleichberech-tigte Kooperation von Hochschulen und Universitäten in Promotionsprogrammenrichten und dies nur nebenbei am Thema der Pflege und des Hebammenwesens kon-kretisieren. Es wird ein langer Weg für alle Beteiligten.

Literatur

Benner, P. (1994): Stufen zur Pflegekompetenz. From Novice to Expert. Huber: Bern Dielmann, G. (2010a): Pflegeausbildung neu gedacht? – Zum Ausbildungsmodell einer Zukunftswerk-

statt der Robert Bosch Stiftung. Pflege und Gesellschaft, 15. Jg., Nr. 3, S. 87-93Dielmann, G. (2010b): Achtung Baustelle. Ausbildungsreformen in den Gesundheitsberufen. Dr. med

Mabuse, Nr. 187, S. 24-27Lüftl, K./Kerres, A. (2010a): Einführung des ausbildungsintegrierenden Bachelorstudiengangs Pflege

Dual an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München in Kooperation mit fünf Berufsfach-schulen – Erste Ergebnisse aus der Begleitforschung. Pflegewissenschaft PrInterNet, Nr. 11, S. 581-588

Lüftl, K./Kerres, A. (2010b): Erste Ergebnisse der Evaluationsstudie zu „Pflege Dual“. Die Schwester /Der Pfleger, 49. Jg., Nr. 12, S. 1234-1237

Köber, H./Ruck, B. (2007): Bachelor of nursing: Examen bestanden. Heilberufe, Nr.11, S. 63-64Moers, M./Schaeffer, D./Schnepp, W. (2011): Too busy to think? Essay über die spärliche Theoriebil-

dung der deutschen Pflegewissenschaft. Pflege, 24. Jg., Nr. 6, S. 349-360Müller, K. (2009): Trends in der Pflegebildung: Ergebnisse deutscher Modellprojekte. Pflegewissenschaft

PrInterNet, Nr. 04, S. 197-200Oelke, U./Maier, K. (2005): Pflegeausbildung & Pflegestudium kombinieren. Ein neuer dualer Studien-

gang mit dem Abschluss „Bachelor of Arts (Nursing)“. PrInterNet, Nr. 01, S. 19-24Reiche, R. (2010): Generalistische Ausbildung. Prüfungen im Modellvorhaben „Pflegeausbildung in Be-

wegung“. Padua, Nr. 2, S. 45-51

Beiträge

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Michael Schilder, Susann Florian

Die Entlastung pflegender Angehöriger von

Menschen mit Demenz durch niedrig -

schwellige Betreuungsgruppen aus der Sicht

der Nutzer und der Anbieter

The reliefs of caregivers of people with dementia through low-threshold care

groups from the caregivers and the professional’s points of views

Informal caregivers of people affected by dementia experience a lot of care centered

strain with possible implications for fur ther health impairments in the future. But never-

theless they do not make use of low-threshold care groups in time. Hence this research

examines the satisfaction with relief of informal carers using low-threshold care groups,

which are offered by 13 out-patient care services in a district in Hesse. The informal ca-

rers (N = 56; response rate: 66%) are examined with a questionnaire and the nursing ma-

nagers (N = 11) and nurses / social workers (N = 13) involved directly in the low-threshold

care groups are interviewed with guided interviews. The results show a high need for fur t-

her respite for the informal carers especially in the daily support und supervision of the

eingereicht 23.09.2011akzeptiert 22.12.2011 (nach Überarbeitung)

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Beiträge

Reinhart, M. (2003): Der berufsintegrierte pflegeerstausbildende Studiengang „Bachelor of Nursing“ ander Evangelischen Fachhochschule Berlin. Pflege & Gesellschaft, 8. Jg., Nr.3, S. 105-111

Schaeffer, D. (2004): Zur Professionalisierbarkeit von Public Health und Pflege. In: Schaeffer, D./Moers,M./Rosenbrock, R. (Hrsg.): Public Health und Pflege. Zwei neue gesundheitswissenschaftliche Diszi-plinen. 2. Auflage. Berlin: edition sigma, S. 103 - 126

Schmitt, S/Bomball, J. (2010): Kompetenzerfassung im Rahmen der Evaluation des Berliner Modellver-suches „generalistische Pflegeausbildung“. PrInterNet, Nr. 12, S. 681-696

Teetz, I./Hergert, A. (2005): Dualer Studiengang „Gesundheits- und Krankenpflege und Nursing andAdministration. Ein Kooperationsprojekt zwischen dem Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum Neubran-denburg und der Fachhochschule Neubrandenburg. PrInterNet, Nr. 1. S. 50-54

Prof. Dr. Martin MoersHochschule Osnabrück, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Pflegewissenschaft,Postfach 1940, 49009 Osnabrück; [email protected] (Korrespondenzadresse)Dipl. Soz. Päd. Ute SchönigerHochschule Osnabrück, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Pflegewissenschaft,Postfach 1940, 49009 OsnabrückDipl. Pflege-Päd. Marlies BöggemannHochschule Osnabrück, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Pflegewissenschaft,Postfach 1940, 49009 Osnabrück

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people with dementia in the home care setting. Repressive and promotional factors for

using these low-threshold care groups are identified as well. They demonstrate the requi-

rement of more specific strategies in the service of the low-threshold care groups. There

have to be more effor ts to reach the target group in combination with the enlargement

and flexibility of time in the low-threshold care groups.

Keywords

relief, dementia caregiver’s, low-threshold care groups

Pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz sind vielfältigen pflegebedingten Be-

lastungen mit möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausgesetzt. Doch neh-

men sie Entlastungsangebote zu wenig oder zu spät in Anspruch. Dieses Forschungspro-

jekt untersucht daher die Deckung des Entlastungsbedar fs der Zielgruppe durch niedrig-

schwellige Betreuungsgruppen, die von 13 ambulanten Pflegediensten in einem

hessischen Landkreis angeboten werden. Mit strukturier ten Fragebögen sind die pfle-

genden Angehörigen dieser Betreuungsgäste (N = 56; Rücklaufquote: 66%) und die Pfle-

gedienstleitungen (N = 11) sowie auch die in den Betreuungsgruppen selbst aktiven

Fachpersonen (N = 13) mittels qualitativer Leitfadeninterviews befragt worden. Die Er-

gebnisse zeigen einen hohen ungedeckten Entlastungsbedar f der Zielgruppe im Bereich

der Betreuung und der Beaufsichtigung der Menschen mit Demenz im häuslichen Be-

reich. Zudem wurden hemmende und fördernde Faktoren der Inanspruchnahme des An-

gebots identifizier t, die offenbaren, dass die Entlastungsangebote zielgruppenspezifi-

scher ausgerichtet sein sollten. Weitere Initiativen sind zur Erreichung der Zielgruppe er-

forderlich, die von einer zeitlichen Erweiterung und Flexibilisierung des Angebots

flankier t werden sollten.

Schlüsselwörter

Entlastung, Pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz, niedrigschwellige Betreu-

ungsgruppe

1. Einleitung und Hintergrund der Studie

In Deutschland leben zurzeit 1,3 Millionen Menschen mit Demenz1. Neuesten Schät-zungen zufolge wird sich diese Zahl bis zum Jahr 2050 verdoppeln (Sütterlin et al.2011: 6). Knapp zwei Drittel von ihnen wird ambulant versorgt und davon werden80% zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt (Dietl et al. 2010: 99). Somit ist die An-gehörigenpflege die häufigste Versorgungsform in der ambulanten Langzeitversorgung(Schneekloth 2006: 406). Doch stellen pflegende Angehörige nicht nur eine personel-le, sondern auch eine finanzielle Ressource für das deutsche Pflegesystem dar, weil diePflege von Menschen mit Demenz teurer als die Diagnostik und pharmakologische Be-handlung ist (Hallauer et al. 2000: 78). Diesen Bedarf nach Angehörigenpflege deckenüberwiegend Mitglieder des engeren Familienkreises, wie Ehepartnerinnen, Kinderund Enkelkinder sowie Schwiegerkinder (Heinemann-Knoch et al. 2006: 415; Kofahlet al. 2005: 490; Schäufele et al. 2005: 120-121; Winkler et al. 2006: 19).

1 Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit darauf verzichtet, bei der Bezeichnung von Personensowohl die weibliche als auch die männliche Form zu verwenden. Selbstverständlich sind immer beideGeschlechter gemeint.

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Doch bringt die häusliche Pflege eines Menschen mit Demenz eine Vielzahl an An-forderungen mit sich, denen die pflegenden Angehörigen meist nicht gewachsen sind.So stellen sich Belastungen in körperlicher, emotionaler, sozialer, ethisch-moralischer,zeitlicher und finanzieller Hinsicht ein (Beyrodt et al. 2007: 46; Schacke et al. 1998:356; Schäufele et al. 2005: 122; Schneekloth et al. 2005: 405; Winkler et al. 2006: 20;Sütterling et al. 2011: 31). Dies wiederum kann sich nachteilig auf ihre gesundheitli-che Situation auswirken: von psychosomatischen Beschwerden, Depressionen, einerhöheren Erkrankungswahrscheinlichkeit an Demenz, bis hin zu einer möglichen höhe-ren Sterbewahrscheinlichkeit. Neben der Veränderung des Pflegestils droht auch derZusammenbruch des häuslichen Pflegearrangements (BMFSJ 2002: 201; Gräßel2001: 2; Jünemann et al. 2004: 233; Gloor 2006: 29; Schäufele et al. 2005: 123; Aueret al. 2007: 170; Schulz et al. 1999: 2217; Isfort et al. 2008: 816; Sütterling et al. 2011:31). Zur Aufhebung, Verringerung oder Verhinderung von pflegebedingten Belastun-gen sind in Deutschland mit Einführung des Pflege-Ergänzungsgesetzes 2002 Entlas-tungsangebote initiiert worden (§§ 45 ff. SGB XI). Entlastungsangebote beziehen sichneben u.a. den ambulanten Pflegediensten, der Tages-, Kurzzeit- und Verhinderungs-pflege auch auf die sogenannten niedrigschwelligen Betreuungsangebote. Dies sind„Betreuungsangebote, in denen Helfer und Helferinnen unter pflegefachlicher Lei-tung die Betreuung von Pflegebedürftigen mit erheblichem Bedarf an allgemeiner Be-aufsichtigung und Betreuung in Gruppen oder im häuslichen Bereich übernehmen so-wie pflegende Angehörige entlasten und beratend unterstützen“ (45 c Absatz 3 SGBXI). Getragen werden diese Angebote häufig von ambulanten Pflegediensten (Sauer1997). Ihre Anzahl hat seit der Installation im Pflegeversicherungsgesetz zugenommen(Kurz 2010: 29-30).

Entscheidend für Entlastung ist aber, ob diese Art Entlastungsangebot von der Ziel-gruppe genutzt und als entlastend wahrgenommen wird. Forschungsbefunde weisenjedoch darauf hin, dass Entlastungsangebote von pflegenden Angehörigen kaum ge-nutzt werden (Kofahl et al. 2005: 491; Winkler et al. 2006: 23).

Anlass der Studie ist ein drei jähriges Modellprojekt (2008-2011) zur Einführungder Beratungs- und Koordinierungsstelle Demenzservicezentrum (DSZ), das vomLand Hessen gefördert wird. Die Initiative dazu ging vom Diakonischen Werk Darm-stadt-Dieburg und der Interessengemeinschaft Demenzbetreuung (IGDB), einem Zu-sammenschluss von ambulanten Pflegediensten als Träger der zu untersuchenden nie-drigschwelligen Entlastungsangebote, aus. Dieses Forschungsprojekt richtet sich aufdie Untersuchung der Deckung des Entlastungsbedarfs pflegender Angehöriger vonMenschen mit Demenz durch niedrigschwellige Betreuungsgruppen der IGDB, dievom DSZ koordiniert werden.

Zur Vorbereitung dieser Studie ist im Rahmen einer Literaturstudie geklärt worden,was die Inanspruchnahme von Entlastungsangeboten seitens pflegender Angehörigerbeeinflusst und welche Effekte durch deren Nutzung bei ihnen auszumachen sind.

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2. Literaturstudie zur Inanspruchnahme von Entlastungs-

angeboten und zu deren Entlastungseffekten

Im Zeitraum von Februar 2009 bis August 2011 sind Literaturrecherchen zur Inan-spruchnahme und zur Effektivität von Entlastungsangeboten für pflegende Angehöri-ge in den Datenbanken Medline (PubMed) und Carelit mit folgenden Schlagwörterndurchgeführt worden: „dementia, caregiver, respite care, intervention, support inter-vention, care groups, low-threshold care groups, ambulatory care groups, burden, dis-stress, effective“ und „Belastung, Entlastung, niedrigschwellige Betreuungsgruppe,pflegende Angehörige und Demenz“. Vorab wurden diese Schlagwörter in den Thesau-ri der einzelnen Datenbanken (MeSH-Terms) bezüglich der Indexierung überprüft.Die Literaturrecherche wurde durch eine Handsuche in den Bibliotheken der Evange-lischen Hochschule Darmstadt und der Fachhochschule Frankfurt am Main ergänzt,in denen die letzten fünf Jahrgänge der folgenden einschlägigen Fachzeitschriften aus-gewertet wurden: Pflege, Pflege & Gesellschaft, Pflegezeitschrift, Die Schwester / DerPfleger, Altenpflege, Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie und Journal of Advan-ced Nursing. Um Aufschluss über die Deckung des Entlastungsbedarfs durch niedrig-schwellige Entlastungsangebote zu erhalten, war zuerst zu erheben, was die Inan-spruchnahme beeinflusst, da diese die zentrale Voraussetzung für die Entlastung durchdas Entlastungsangebot darstellt. Zudem stellt sich der Literatur zufolge gerade dienicht rechtzeitige Inanspruchnahme als das zentrale Problem effektiver Entlastungheraus. Außerdem sollte mit der Literaturrecherche eruiert werden, welche entlasten-den Effekte von den Entlastungsangeboten ausgehen.

Inanspruchnahme von Entlastungsangeboten

Die geringe Nutzung von Entlastungsangeboten wird einerseits auf Wissensdefiziteder pflegenden Angehörigen und andererseits auf hinderliche strukturelle Rahmenbe-dingungen zurückgeführt (Kofahl et al. 2005: 492; Winkler et al. 2006: 23). Auf Seitender pflegenden Angehörigen können Vorurteile gegenüber den Leistungserbringern,wie fehlende fachliche Kompetenz und geringe Empathie, sowie die Angst vor Stigma-tisierung aufgrund der Inanspruchnahme, von einer Nutzung abhalten (Beyrodt et al.2007: 51; Brodaty et al. 2005: 544). Werden die Angehörigen hingegen über die Ent-lastungsangebote von einer ihnen bekannten und kundigen Person informiert und be-raten, fördert dies deren Inanspruchnahme (Brodaty et al. 2005: 542; Laag et al. 2010:184). Der direkte Kontakt zu den Angehörigen ist die beste Möglichkeit, um Hemm-schwellen der Inanspruchnahme zu minimieren sowie Bedarfe und Ressourcen früh-zeitig zu erkennen (Brodaty et al. 2005: 542; Dörpinghaus et al. 2006: 28; Schnee-kloth, 2006: 411). Auf der Seite der Entlastungsangebote kann deren Zugänglichkeitdurch weite Wege, fehlende Beförderungsmöglichkeiten, lange Wartezeiten und unfle-xible Öffnungszeiten erschwert sein (Breidert 2001: 65; Beyrodt et al. 2007: 50; Gräßel1998: 55). Noch dazu können unflexible Zugangsweisen und unzureichende Öffent-lichkeitsarbeit das Auffinden von Entlastungsangeboten erschweren und bei der Ziel-gruppe das Gefühl hinterlassen, zu spät über die Entlastungsangebote informiert wor-

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den zu sein (Meyer et al. 2008: 45; Weimer 2008: 30; Kofahl et al. 2005: 492). Nebeneiner bedürfnisorientierten Verfügbarkeit von Entlastungsangeboten (Weimer 2008:31) wird vor allem in internationalen Studien darauf hingewiesen, dass Fahrdienste dieNutzung der Angebote erleichtern können (Biegel et al. 1993: 433; Kosloski et al.1993: 411; Toseland et al. 2002: 1261). Darüber hinaus wurde in einer Studie festge-stellt, dass die Qualität der Pflege und somit die Kompetenzen der Betreuer das Inan-spruchnahmeverhalten positiv beeinflussen können (Kosloski et al. 1993: 411). Dochwelche entlastenden Effekte durch die in Anspruch genommenen Entlastungangebotesind für die pflegenden Angehörigen in der Literatur nachweisbar?

Entlastung durch niedrigschwellige Entlastungsangebote

Der Studienlage zufolge fördern Entlastungsangebote die Gesundheit und die Selbst-pflege der Angehörigen, indem sie deren Allgemeinzustand verbessern, zu einer höhe-ren Lebensqualität und einem subjektiv höheren Wohlbefinden führen können (Bro-daty et al. 1989: 1387; Knauf 2004: 127; Hinchliffe et al. 1995: 845; Vetter et al. 1997:182). Auch eine psychische Entlastung kann sich durch die Initiierung sozialer Kon-takte einstellen (Dörpinghaus et al. 2006: 27; Gloor 2006: 31; Kern 2007: 147;Schänzle-Geiger 2006: 33). Weitere mögliche Effekte liegen in Form einer verminder-ten Mortalitätsrate und einer verbesserten Selbstpflegekompetenz der Angehörigenvor (Kuzuya et al. 2006: 1368; Laag et al. 2010: 184).

Neben den gesundheitsfördernden Effekten kann auch die Angehörigenpflege positivbeeinflusst werden, wie etwa in Form eines optimierten Kommunikationsverhaltens, derAbnahme intrapersonaler Rollenbelastungen und der Steigerung der Motivation zur An-gehörigenpflege (Haupt et al. 2000: 503; Laag et al. 2010: 184; Jost et al. 2006: 147).Auch der längere Verbleib des Menschen mit Demenz in seiner häuslichen Umgebung istals positiver Effekt hervorzuheben (Eloniemi-Sulkava et al. 2004: 39; Vetter et al. 1997:182). Am effektivsten ist die Wirkung von Entlastungsangeboten, wenn sie sowohl aufder Verhaltens- als auch auf der Verhältnisebene des Familiensystems ansetzen, was aller-dings multimodale Angebote erfordert (Pinquart et al. 2002: 94-95; Mantovan et al.2010: 224). Im Rahmen der Literaturrecherche konnten zwar Studien zur Deckung desEntlastungsbedarfs durch Entlastungsangebote allgemeiner Art und deren Verbesse-rungsmöglichkeiten in Bezug auf die Inanspruchnahme identifiziert werden. Jedochsind die Ergebnisse nicht ohne weiteres auf die niedrigschwelligen Betreuungsgruppenin Deutschland übertragbar, da die Untersuchungen in anderen Kulturkreisen und Ge-sundheitssystemen stattfanden oder sich auf andere Entlastungsangebote bezogen (Pin-quart et al. 2002: 94). In Deutschland haben neuere Studien die Entlastung durch ver-schiedene Entlastungsangebote (Laag et al. 2010: 182; Isfort et al. 2011: 133) und auchdurch Betreuungsgruppen untersucht (Gräßel et al. 2009: 394). Die Einschätzung einesspezifischen Betreuungsangebots durch deren Nutzerinnen und Anbieter ist bislang je-doch nicht erforscht worden. Diese Wissenslücke im Hinblick auf die Deckung des Ent-lastungsbedarfs durch ein spezifisches niedrigschwelliges Betreuungsangebot aus derSicht der Nutzerinnen und der Anbieter soll in dieser Studie geschlossen werden.

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3. Der Entlastungsbedarf im Kontext Orems Selbstpflegedefizit-

Theorie und Beckers Anforderungs- und Ressourcenmodell

Der Begriff der Entlastung wird unter Bezugnahme auf Orems Selbstpflegedefizit-Theorie (SPDT) und Beckers Anforderungs-Ressourcen-Modell geklärt. Im Rahmender SPDT ist die Angehörigenpflege als Dependenzpflege konzeptualisiert, die dasHandeln der Dependenzpflegehandelnden zur Erfüllung der Selbstpflegeerfordernissedes von ihm abhängigen Menschen umfasst (Orem 1997: 9; Dennis 2001: 30, 112).Die Aufrechterhaltung dieses Dependenzpflegesystems erfordert Selbstpflege der pfle-genden Angehörigen. Dependenz- und Selbstpflege bedürfen wiederum Kompeten-zen, die die Einschätzungs-, Beurteilungs- und Ausführungsfähigkeit umfassen.Kommt es zu einer Einschränkung auf diesen Kompetenzebenen, kann sich bei Nicht-erfüllung der Selbstpflegeerfordernisse ein Selbst- und/ oder ein Dependenzpflegedefi-zit ergeben (Dennis 2001: 115, 117). Da das Dependenzpflegesystem auch durch um-gebungsbezogene Faktoren beeinflusst wird, wird weiter Beckers Anforderungs- undRessourcen-Modell einbezogen, welches auf einer Gleichgewichtsvorstellung zwi-schen innerhalb (intern) und außerhalb (extern) der Dependenzpflege-Handelndenliegenden Anforderungen und Ressourcen basiert (Becker 2006: 111; Höhmann et al.2010: 112). In dieser Studie wird unter Entlastung der Aufbau interner Ressourcen derpflegenden Angehörigen, wie z.B. Wissen über die Krankheit und deren Verlauf, undexterner Ressourcen, wie die Mobilisierung des sozialen Netzwerkes, sowie der Abbauinterner Anforderungen, wie eine zu geringe Selbstaufmerksamkeit, und externer Anfor-derungen, wie das Fehlen adäquater Entlastungsangebote, verstanden. Der Entlastungs-bedarf pflegender Angehörigen von Menschen mit Demenz begründet sich aus dem Un-gleichgewicht der die Ressourcen übersteigenden Anforderungen, die sowohl den Ver-hältnissen und als auch dem Verhalten geschuldet sein können (Becker 2006: 111).

4. Methodik der Untersuchung

Das Ziel dieser Studie ist herauszufinden, inwieweit der Entlastungsbedarf der pflegen-den Angehörigen von Menschen mit Demenz durch die Inanspruchnahme von Betreu-ungsgruppen der IGDB gedeckt wird. Um Aufschluss über die Perspektiven der Nutzerwie auch der Anbieter zu erhalten, sind beide Personengruppen einbezogen worden.Zur Erforschung der Sichtweise der das Angebot nutzenden pflegenden Angehörigendienen die folgenden Forschungsfragen:

- Worin besteht der Entlastungsbedarf pflegender Angehöriger von Menschen mitDemenz, die eine niedrigschwellige Betreuungsgruppe der IGDB nutzen?

- Was hindert und was fördert aus der Sicht der Nutzer deren Inanspruchnahme?

- Inwiefern wird der Entlastungsbedarf der pflegenden Angehörigen durch die nie-drigschwellige Betreuungsgruppe der IGDB gedeckt?

Zur Beantwortung der ersten Frage nach dem Entlastungsbedarf ist ein strukturierterFragebogen mit offenen Ergänzungsfragen in Anlehnung an das BIZA-D, die HPS-

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Skala und das Trajekt-Modell entwickelt worden (Gräßel 2002; Zank et al. 2006: 297,Corbin et al. 2010). Der Fragebogen eignet sich zur Bewältigung der besonderen Zu-gangsproblematik zu einer vulnerablen Probandengruppe, da er von aus der Betreu-ungsgruppe vertrauten Fachpersonen an sie verteilt, anonym ausgefüllt und in einemverschlossenen Umschlag wieder an die Fachpersonen zurückgegeben werden konnte.Auch in zeitlicher Hinsicht erschien ein Fragebogen niedrigschwelliger als ein Inter-view, da die Probanden selbst über dessen Beantwortung entscheiden konnten. In ei-nem Anschreiben wurden die freiwillige Teilnahme, die Möglichkeit des Widerrufs so-wie die Einhaltung von Anonymität zugesichert. In dieser Hinsicht sind etwaige mitder Teilnahme an der Studie verbundene Schäden für die Teilnehmer vermieden bzw.vermindert worden. Auch aus methodischen Gründen bot sich ein Fragebogen an, ummöglichst viele Nutzerinnen der Entlastungsangebote einbeziehen zu können. Nichtzuletzt ist im Rahmen der Literaturstudie eine tragfähige Wissensbasis zur Strukturie-rung des Fragebogens identifiziert worden. Kriterien für die Auswahl des BIZA-D undder HPS-Skala waren deren nachgewiesene Eignung zur Erfassung der Belastungssitua-tion pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz (Zank et al. 2006). Aus diesenSkalen sind Items zur Erfassung des Entlastungsbedarfs im Hinblick auf die KategorienHaushaltsführung, Pflege und Betreuung übernommen worden. Diese sind um weitereselbst konstruierte Items in der Kategorie Entlastung für sich selbst aus dem Traject-Mo-dell ergänzt worden, um auch die auf die eigene Person bezogenen Bewältigungsarbeitenmit berücksichtigen zu können. Die Items innerhalb dieser vier Kate gorien sind jeweilsum eine offene Frage Sonstiges ergänzt worden, um den Probanden über die Antwortvor-gaben hinausgehende Auskünfte zu ermöglichen. Zur Beantwortung der zweiten For-schungsfrage nach den die Inanspruchnahme beeinflussenden Faktoren wurden Items li-teraturbasiert formuliert. Die Probanden konnten ihre Zustimmung oder Ablehnung zudiesen Items auf einer dichotomisierten Skala mit den Ausprägungen ja / nein angeben.Auch hier konnten die Probanden mittels einer offenen Frage weitere Angaben zu ihremInanspruchnahmeverhalten machen. Die dritte Forschungsfrage im Hinblick auf dieDeckung des Entlastungsbedarfs durch die niedrigschwellige Betreuungsgruppe wurdeauf der Basis selbst konstruierter Items mittels einer Likert-Skala mit den Ausprägungenvollständig, teilweise, wenig und nicht operationalisiert. Daneben wurden auch der am-bulante Pflegedienst und die häusliche Einzelbetreuung einbezogen, weil Entlastungs-angebote mitunter auch in Kombination genutzt werden. In einer offenen Anschlussfra-ge konnte auch hier die Begründung für die Einschätzung frei ergänzt werden. Der Fra-gebogen enthielt schließlich soziodemografische Fragen über die Probanden.

Der Zugang zu den Probanden wurde über die Pflegedienstleitungen und die Fach-personen in den Betreuungsgruppen der 13 ambulanten Pflegedienste der IGDB her-gestellt. Die Datenerhebung erfolgte nach einem Pretest im Juli 2009 von Mitte August2009 - Januar 2010. Mit 56 von 84 versendeten Fragebögen wurde eine Rücklaufquotevon 66% erzielt. Die Datenauswertung erfolgte im Rahmen einer deskriptiven Statis-tik mittels EXCEL und SPSS. Die offenen Anschlussfragen wurden mittels der struk-turierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) ausgewertet. Die aus den

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Beltz Juventa. Pflege& Gesellschaft 17. Jg. 2012 H.3

Antworten der Befragten induktiv gebildeten Kategorien wurden schließlich im An-schluss ebenfalls deskriptiv statistisch ausgewertet.

Als Anbieter des Entlastungsangebots sind 11 Pflegedienstleitungen (PDLs)2 derambulanten Pflegedienste der IGDB, 10 Pflegefachkräfte und 3 Sozialarbeiterinnenals Ansprechpersonen in den Betreuungsgruppen (APBs) von April-August 2009mittels qualitativer Leitfadeninterviews zu den folgenden Forschungsfragen befragtworden (Flick 2006; Gläser et al. 2006):

- Welche Faktoren beeinflussen aus der Sicht der Anbieter die Inanspruchnahme derBetreuungsgruppe der IGDB durch die pflegenden Angehörigen?

- Wie schätzen die Fachpersonen die Deckung des Entlastungsbedarfs pflegenderAngehöriger durch die Inanspruchnahme der Betreuungsgruppe der IGDB ein(vgl. Abbildung 1)?

Qualitative Interviews boten sich aufgrund der Wissenslücke zur Fachkraftperspektivezum Zeitpunkt der Erhebung an. Zudem interessierte die subjektive Sichtweise dieserFachkräfte der IGDB. Zur Erfassung der spezifischen Situation im untersuchten Land-kreis sollte deren Einschätzung möglichst umfänglich exploriert werden. Die Inter-viewleitfäden basieren auf den Literaturbefunden zum Entlastungsbedarf und denEinflussfaktoren der Inanspruchnahme von Entlastungsangeboten. Die konstruiertenThemenkomplexe sondieren die eigene Erfahrung mit der Zielgruppe, die Einschät-zung des Entlastungsbedarfs der Zielgruppe und schließlich den Beitrag der Entlas-tungsangebote zur Deckung des Entlastungsangebots. Bei den PDLs wurden die Orga-nisation und Rahmenbedingungen und bei den APBs die Arbeit in den Entlastungsan-geboten und deren Effekte auf die Deckung des Entlastungsbedarfs angesprochen. DieThemenkomplexe enthielten Stichworte, die im Interview als offene Fragen ausformu-liert wurden (Gläser et al. 2006).

Die Interviews sind in den ambulanten Pflegediensten und in den Betreuungsgrup-pen durchgeführt worden, nachdem die Teilnehmer informiert eingewilligt haben undihnen Anonymität zugesichert wurde. Sie dauerten zwischen 1-2 Stunden. Die Aus-wertung erfolgte nach verbatimer Transkription der mit einem digitalen Aufnahmege-rät aufgezeichneten Interviews in Form einer strukturierenden qualitativen Inhaltsa-nalyse. Die Themenkomplexe und die Stichworte der Interviewleitfäden fungiertenauf der Basis des dargestellten theoretischen Rahmens als erste Kategorien, die die Da-tenauswertung strukturiert haben. Die Kategorien sind mit dem Interviewtext empi-risch aufgefüllt worden. Sind weitergehende Inhalte angesprochen worden, erfolgte ei-ne induktive Kategorienbildung mit anschließender Subsumption von Interviewmate-rial (Mayring 2010; Kelle et al. 2010).

2 Eine PDL schied zur Zeit der Anfrage aus dem ambulanten Pflegedienst aus und eine weitere PDL war nicht zueinem Interview bereit.

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5. Ergebnisse

5.1 Ergebnisse der Angehörigenbefragung

5.1.1 Stichprobenbeschreibung der Angehörigen-Befragung

Zweidrittel der befragten pflegenden Angehörigen sind 50 Jahre und älter. 36% von ih-nen sind zwischen 50-64 Jahre alt und 54% sind in einem erwerbsfähigen Alter. Einnicht unerheblicher Teil der Pflegenden (30%) ist zwischen 65-79 Jahre alt und befin-det sich selbst in einem höheren Lebensalter. Demgegenüber ist das Alter der Betreu-ungsgäste erwartungsgemäß höher: 53% sind 80-94 Jahre und 43% 65-79 Jahre alt.Die Angehörigenpflege ist in diesem Sample ein überwiegend weibliches Phänomen:71% der pflegenden Angehörigen sind überwiegend weiblichen Geschlechts und mit66% dominieren ebenso weibliche Betreuungsgäste mit Demenz. Zum Verwandt-schaftsverhältnis ist festzustellen, dass die pflegenden Angehörigen zu 39% Töchter,37% (Ehe)Partner/in, 11% Söhne und 4% Schwiegertöchter sind. Von ihnen sind84% verheiratet, 9% ledig, 3% mit Partner lebend und 2% verwitwet. In beruflicherHinsicht machen die Rentner mit 46% die größte Gruppe aus. Insgesamt gehen aberauch 34% der Befragten einem Beruf nach. Die soziodemografischen Angaben weiseninsbesondere bei diesen Probanden auf Prädiktoren einer möglichen Doppelbelastungin der Vereinbarkeit der Rollen als pflegende Angehörige und beruflich Beschäftigtehin. 52% der Befragten übernehmen die Pflege alleine. Demgegenüber erhalten 39%der Befragten Unterstützung durch Verwandte. Außerhalb der Familie erhalten 9% derBefragten Hilfe durch Freunde und lediglich 5% durch Nachbarn. Somit ist mit Blickauf das Sample festzustellen, dass es sich überwiegend um eine weibliche Hauptpflege-person handelt und am ehesten Verwandte zur Ergänzung mobilisiert werden können.Im Hinblick auf die Dauer der Angehörigenpflege zeigt sich, dass in 3/4 der Fälle diePflegesituation bereits seit mehr als 2 Jahren besteht, was auf eine mögliche Überlas-tung der Zielgruppe aufgrund der Pflegedauer verweist. 45% der Befragten beurteiltenihren Gesundheitszustand mit eher gut, 27% mit eher schlecht, 14% mit schlecht,11% mit sehr gut und 3% gaben keine Antwort. Auch wenn die eher positiven Beurtei-lungen des Gesundheitszustandes mit 56% überwiegen, darf die Gruppe von 41% miteher negativen Bewertungen nicht unterschätzt werden. Insgesamt handelt es sich teil-weise um eine hoch belastete Gruppe mit entsprechendem Entlastungsbedarf.

In Bezug auf die Pflegebedürftigkeit der Menschen mit Demenz ist zu konstatieren,dass 41% von ihnen die Pflegestufe 1, 34% die Pflegestufe 2, 12% noch keine Pflege -stufe, 9% Pflegestufe 3 und jeweils 2% Pflegestufe 0 und keine Antwort aufweisen. Alsmedizinische Diagnose ihrer erkrankten Angehörigen gaben 46% Alzheimer Demenz,11% Vaskuläre Demenz, 23% enthielten sich einer Antwort und 20% Mischform an.Somit liegen mit den Befunden der Dauer der Pflegesituation und der Höhe der Pflege-bedürftigkeit Vorzeichen für einen hohen Entlastungsbedarf der befragten pflegendenAngehörigen vor.

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5.1.2 Der Entlastungsbedar f der pflegenden Angehörigen

Insgesamt bildet sich der Entlastungsbedarf der befragten pflegenden Angehörigen (N = 56) am stärksten in der Kategorie „Betreuung und Beaufsichtigung“, dann in den„Bewältigungsarbeiten“, in der „Pflege“ und schließlich in der „Haushaltsführung“ ab(vgl. Tabelle 1 bis 4). In der Kategorie Betreuung und Beaufsichtigung sind die Werte inden Items ‚persönlich verfügbar / anwesend sein’ (86 % sehr hoch/ hoch), ‚Betreuungam Tag’ (81 % sehr hoch/ hoch), ‚Betreuung während Urlaub’ (75 % sehr hoch/ hoch)und ‚Sicherheit im Haushalt’ (73 % sehr hoch/ hoch) am stärksten ausgeprägt. Der ho-he Entlastungsbedarf in der Betreuung am Tag ist vermutlich darauf zurückzuführen,dass die gegenwärtige zeitliche Entlastung über die Nutzung des Betreuungsangebotsals zu gering von den Probanden empfunden wird. In den Bewältigungsarbeiten (Ent-lastung für die eigene Person) findet sich der größte Entlastungsbedarf bei ‚Umgangmit Demenz’ (77% sehr hoch/ hoch), Vereinbarkeit sozialer Kontakte’ (73% sehrhoch/ hoch), ‚Entwicklung Lebensperspektive’ (71% sehr hoch/ hoch) und ‚Umgangmit verwirrten Verhaltensweisen’ (70% sehr hoch/ hoch). In der Kategorie Pflegezeichnet sich der höchste Entlastungsbedarf in den Items ‚Organisation der Pflege’ (68% sehr hoch/ hoch), Handhabung medizinischer Maßnahmen’ (62 % sehr hoch/ hoch)

Einkaufen Zubereitung Mahlzeiten Pflege Wohnbereich Wäsche waschen

sehr hoch 28,6% 26,8% 28,6% 19,6%

hoch 19,6% 28,6% 32,1% 39,3%gering 37,5% 28,6% 25,0% 26,8%nicht vorhanden 12,5% 14,3% 12,5% 12,5%

keine Antwort 1,8% 1,8% 1,8% 1,8%

Tab. 1: Entlastungsbedarf im Haushalt (N = 56)

Nahrungs-aufnahme

Körper-pflege

Bewegen,Mobilisieren

Kleiden Intim -pflege

Organisation medizinischeMaßnahmen

sehr hoch 17,9% 41,1% 17,9% 26,8% 35,7% 48,2% 37,5%

hoch 17,9% 21,4% 23,2% 25,0% 12,5% 19,6% 25,0%

gering 33,9% 26,8% 26,8% 28,6% 17,9% 19,6% 17,9%

nicht vorhanden 30,4% 10,7% 32,1% 19,6% 32,1% 12,5% 19,6%

keine Antwort 0% 0% 0% 0% 1,8% 0% 0%

Tab. 2: Entlastungsbedarf in der Pflege (N = 56)

am Tag in der Nacht während des Urlaubs verfügbar sein Sicherheit Haushalt

sehr hoch 35,7% 10,7% 51,8% 50,0% 26,8%

hoch 44,6% 23,2% 23,2% 35,7% 46,4%gering 16,1% 41,1% 10,7% 12,5% 23,2%

nicht vorhanden 0% 19,6% 5,4% 0% 1,8%

keine Antwort 3,6% 3,6% 8,9% 1,8% 1,8%

Tab. 3: Entlastungsbedarf in der Betreuung (N = 56)

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Entwick-lung Le-bensper-spektive

Krank-heits -umgang

UmgangVerwirrt-heit

VerhütenWeglaufen

VerhütenStürze

Verein-barkeit Familie

Verein-barkeitSozial-kontakte

Verein-barkeitBeruf

sehr hoch 33,9% 35,7% 25,0% 14,3% 17,9% 33,9% 32,1% 25,0%

hoch 37,5% 41,1% 44,6% 23,2% 26,8% 32,1% 41,1% 14,3%

gering 14,3% 12,5% 23,2% 28,6% 35,7% 21,4% 16,1% 5,4%nicht vorhanden 10,7% 7,1% 3,6% 26,8% 10,7% 8,9% 7,1% 37,5%keine Antwort 3,6% 3,6% 3,6% 7,1% 8,9% 3,6% 3,6% 16,1%

Tab. 4: Entlastungsbedarf für die eigene Person (N = 56)

und ‚Körperpflege’ (62 % sehr hoch/ hoch) ab. In der Kategorie Haushaltsführungschließlich ist der höchste Entlastungsbedarf im Item ‚Pflege des Wohnbereichs, Put-zen und Aufräumen’ mit 61 % (sehr hoch/ hoch) festzustellen.

5.1.3 Inanspruchnahme und Deckung des Entlastungsbedar fs

Als Gründe für die Nicht-Inanspruchnahme von Entlastungsangeboten werden vonden Befragten (N= 56) mit jeweils 37,5 % am häufigsten die Unbekanntheit und dieUnklarheit über deren Nutzen angegeben (Tabelle 5). Die Unbekanntheit korrespon-diert weiterhin mit dem Befund aus der offen gestellten Frage nach den förderndenUmständen der Inanspruchnahme. Die meisten der Befragten (N = 34) gaben hier mit

Tab. 5: Gründe für die Nicht-Inanspruchnahme von Entlastungsangeboten (N = 56)

Unbekanntheit Vermeiden KonfrontationKrankheitsbild

UnklarheitUnterstützung

Sorge um Angehörigen

Kosten

ja 37,5% 0,0% 37,5% 19,6% 30,4%

nein 41,1% 75,0% 37,5% 55,4% 44,6%

keine Antwort 21,4% 25,0% 25,0% 25,0% 25,0%

fehlend 0,0% 0,0% 0,0% 0,0% 0,0%

keine Beförde-rungsmöglich-keit

Keine Hilfedurch Außenste-hende

Familiäre Entlastung

AußerfamiliäreEntlastung

Selbst zu-rechtkom-men

ja 26,8% 7,1% 21,4% 21,4% 32,1%

nein 50,0% 64,3% 44,6% 53,6% 37,5%

keine Antwort 23,2% 26,8% 32,1% 23,2% 28,6%

fehlend 0,0% 1,8% 1,8% 1,8% 1,8%

Nicht eigeneBedürfnisse

Nicht Bedürf-nisse Erkrankter

kein direkter An-sprechpartner

ja 5,4% 25,0% 23,2%

nein 55,4% 42,9% 46,4%

keine Antwort 39,3% 32,1% 30,4%

fehlend 0,0% 0,0% 0,0%

Beiträge

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Beltz Juventa. Pflege& Gesellschaft 17. Jg. 2012 H.3

17,6 % an, bei Vorliegen von mehr Informationen ein oder mehrere Entlastungsange-bote in Anspruch nehmen zu wollen. Ebenso als häufigster Grund der Nicht-Inan-spruchnahme ist von den Befragten (N = 56) auch die Unklarheit darüber mitgeteiltworden, in welcher Hinsicht das Entlastungsangebot unterstützend für die Befragtensein könnte (37,5 %). Auf die offen gestellte Frage, unter welchen Umständen die Be-fragten eines oder mehrere der Entlastungsangebote in Anspruch nehmen würden,antworteten 17 % (n= 34) bei Vorliegen von mehr Informationen über das Entlas-tungsangebot, 15 % führen dies auf den zunehmenden Krankheitsfortschritt des Er-krankten zurück, der die Inanspruchnahme nicht erlaubt, die Ausdehnung des zeit-lichen Angebots des Entlastungsangebots wird mit 15% und die Reduktion des zurNutzung nötigen Organisationsaufwandes mit 14% angegeben (s. Abbildung 1).

Fehlende Angebote sind nach Ansicht von 14 Befragten die Einzelbetreuung(14,3%), die Beratung (14,3%), eine kurzfristige Entlastung (14,3%) und der Ge-sprächskreis (14,3%).

Der Entlastungsbedarf der Befragten (N = 56) wird am ehesten vollständig und teil-weise über die Betreuungsgruppe (51,4 %), dann den ambulanten Pflegedienst (25 %)und schließlich die häusliche Einzelbetreuung (19,7%) gedeckt. Im Vergleich derunterschiedlichen Entlastungsangebote wird die Bedarfsdeckung in der Betreuungs-gruppe somit am höchsten eingeschätzt (s. Tabelle 6).

Als Gründe für den ungedeckten Entlastungsbedarf gaben 28 Probanden in der offe-nen Frage das Zeitdefizit des Entlastungsangebots (46%), inhaltliche (14%) und Fi-nanzierungsdefizite (14%), gefolgt von der Ablehnung des Angebots durch die Men-schen mit Demenz selbst (11%) und dem Betreuungsdefizit (11%) an. Am wenigstenwird die Inflexibilität des Entlastungsangebots (4%) angeführt, s. Abbildung 2.

Abb. 1: Fördernde Umstände der Inanspruchnahme (n = 34)

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Beiträge Beltz Juventa. Pflege& Gesellschaft 17. Jg. 2012 H.3

Nach der Darstellung der Ergebnisse der Angehörigen-Befragung wird nun im Folgen-den auf die der Fachkraft-Befragung eingegangen.

5.2 Ergebnisse der Fachkraft-Befragung

Den Erfahrungen der befragten Fachpersonen zufolge wird der Weg von der Belastungzur Entlastung pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz über die Inan-spruchnahme der niedrigschwelligen Betreuungsgruppen der IGDB von Faktoren be-einflusst, die sich sowohl auf die Nutzerinnen (interne Ressourcen oder Anforderun-gen der Dependenzpflegehandelnden) als auch auf die Strukturen der Anbieter sowieauf Strategien innerhalb des Entlastungsangebots beziehen (externe Ressourcen undAnforderungen). Diese Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme sind in Abbildung3 den ersten beiden Kästchen zu entnehmen. Die von den Fachpersonen benanntenEntlastungseffekte durch die Inanspruchnahme der Betreuungsgruppe finden sich imrechten Kasten.

Betreuungsgruppe Einzelbetreuung Ambulanter Pflegedienst

vollständig 7,1% 5,4% 8,9%

teilweise 44,6% 14,3% 16,1%

wenig 23,2% 5,4% 7,1%

nicht 0,0% 0,0% 3,6%

trifft nicht zu 16,1% 66,1% 51,8%

keine Antwort 8,9% 8,9% 12,5%

Tab. 6: Deckung des Entlastungsbedarfs durch Entlastungsangebot

Abb. 2: Gründe ungedeckter Entlastungsbedarf(n= 28)

Beiträge

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Abb. 3: Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme und Entlastungseffekte

Externe Anforderungen als hemmende Einflussfaktoren auf die

Inanspruchnahme

Als wesentliche Voraussetzung der Inanspruchnahme wird die Krankheitsakzeptanzpflegender Angehöriger herausgestellt. Sie umfasst als interne Ressource das Erkennen,Verstehen und Wahrhaben der Veränderungen der Menschen mit Demenz als Krank-heitssymptome, was letztlich das Verständnis für die Krankheit und ihre Funktions-weise bedeutet. Doch weil diese häufig fehlt, besteht ein Entlastungsbedarf im Abbauder internen Anforderung der Krankheitsinakzeptanz.

„Du kennst deine Mutter oder deinen Vater (…) ein Leben lang, der immer alles alleinegemacht hat und (…) alles für einen getan hat und jetzt auf einmal ändert er sich. Ja, dannfängt er an seine Fäkalien in den Schrank zu verstecken oder einen zu beschimpfen (…)Und das kannst du ja von heute auf Morgen gar nicht lernen, dass der das jetzt nicht böswil-lig sagt oder macht oder tut, sondern dass das etwas mit einer Erkrankung zu tun hat. (…)Da braucht man schon Unterstützung.“ (Fachkraft I10: 12)

Insbesondere im Anfangsstadium der Krankheit wird dies durch die Subtilität derSymptome und im Weiteren durch deren Wandlung im Krankheitsverlauf erschwert.Als Folge davon können Konflikte in der Beziehung resultieren, weil die Verhaltenswei-sen des Menschen mit Demenz von pflegenden Angehörigen dann nicht als krank-heitsspezifisch gedeutet werden.

„Ganz oft stauen sich ja Aggressionen an. Sie denken, das ist Trotz, die machen das extra.Und da sind ja derart Aggressionen dann schon vorhanden, wenn man rein kommt, Span-nungen, ja, wo man einfach sieht, oh Gott, hier ist schon echt die Obergrenze erreicht, ja.Weil sie einfach nicht wissen, dass es eine Krankheit ist und dass der das ja nicht extra machtund dass es nicht persönlich gemeint ist usw. (…) Sie sind dann wirklich am Rande ihrer

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Beiträge Beltz Juventa. Pflege& Gesellschaft 17. Jg. 2012 H.3

Kapazitäten. Und ja, das ist so, was man ganz oft vorfindet, dass die Leute fix und fertigsind. Und wenn sie dann eben durch uns (…) hören, aha, das ist ja die Krankheit eigentlichund das darf man nicht persönlich nehmen und wenn ich so und so mit dem umgehe, habeich es ja viel einfacher und wir beide haben es einfacher, dann ist denen schon mal im erstenMoment groß geholfen… Also das ist schon im ersten Gespräch so, da kommt schon so einAha-Effekt.“ (Pflegedienstleitung I3: 104-115)

Die Inanspruchnahme wird weiterhin negativ durch die interne Anforderung derStigmatisierungsangst pflegender Angehöriger beeinflusst, in deren Folge die Men-schen mit Demenz vor der Öffentlichkeit versteckt werden können.

„Viele Angehörige wollen aber auch keine Hilfe oder sind noch nicht bereit, sie anzuneh-men. Also wir haben oft das Gefühl, dass es ein Problem ist, das überhaupt nach außen zutragen. Also es ist halt so der Deckmantel, so in der Familie, vielleicht hat es noch ein Nach-bar mitgekriegt (...) Die wenigsten gehen offen damit um draußen, ja. Also der Angehörigewird dann irgendwie, ich sage jetzt mal in Gänsefüßchen, Zuhause versteckt.“ (Pflege-dienstleitung I8: 48-52)

Die Angst vor Stigmatisierung durch Nachbarn oder andere Dorfbewohner ist nachAnsicht der Befragten dem sozialen Druck geschuldet, denen sich pflegende Angehöri-ge gerade in ländlichen Gebieten ausgesetzt fühlen.

„Weil die Nachbarn und gerade hier auf diesen Örtchen … in der Stadt ist es vielleichtnicht so. Aber diese Dörfer. Da kennt ja jeder jeden und: ‚gucke mal, ja, die (pflegende Ange-hörige) hat ja ihre (demenzkranke) Mutter da schon wieder fortgeschafft da, ja. Die (be-tont) kümmert sich ja gar nicht, ja. Da wollen sie das Haus oder sonst was und dann schaf-fen sie die Alte fort!’ (…) Und das macht ganz oft Angst und deswegen wird da gesagt, ichbrauche ja keine Hilfe, wie sieht denn das aus, wenn da jetzt auf einmal der Pflegedienstkommt, wir schaffen das doch alleine.“ (Pflegedienstleitung I2: 35-42)

Weitere hemmende Faktoren der Inanspruchnahme sind nach Ansicht der befrag-ten Fachpersonen auf Seiten der pflegenden Angehörigen deren mangelnde Selbstpfle-ge, der mit der Nutzung des Entlastungsangebots verbundene Organisationsaufwand,ihr Misstrauen den Betreuern gegenüber, ihr Wissensdefizit über Art, Inhalt und Nut-zen von Entlastungsangeboten, die Bürokratiehürde zur Beantragung von Betreuungs-geld und die Einbindung osteuropäischer Hilfskräfte in die Pflegesituation, mittels de-nen der Bedarf nach zeitlicher Entlastung kompensiert wird.

Strategien und Strukturen der Anbieter zur Erhöhung der Inanspruchnahme

Fördernde Maßnahmen der Anbieter zur Erhöhung der Inanspruchnahme beziehensich vor allem auf vertrauensbildende Maßnahmen zur Erreichung der pflegenden An-gehörigen und deren Einbindung in das Entlastungsangebot. Diese reichen von einersensiblen Öffentlichkeitsarbeit, über die Beratung potentieller Nutzerinnen bis zur In-tegration der pflegenden Angehörigen in das Entlastungsangebot zum Abbau etwaigerVorbehalte.

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„Weil wir wirklich in die Intimsphäre der Menschen eingreifen. Und damit muss auchganz sensibel umgegangen werden … Es darf nicht passieren, dass sie sich noch mehr in ihrSchneckenhaus zurückziehen, sondern es muss ausgelöst werden, dass sie sich öffnen, weil siemerken, da gibt es Hilfe, die kann ich in Anspruch nehmen, das ist gar nichts Schlimmes, dasist legitim. Ich brauche Hilfe und erreiche damit, meinen Angehörigen länger Zuhause ver-sorgen zu können, was sie ja alle im Prinzip wollen.“ (Pflegedienstleitung I2: 108-117)

Insbesondere der Schutz der Nutzerinnen gegenüber der Öffentlichkeit wird als we-sentlich erachtet.

„Also das sind schon ganz sensible Bereiche, die ich schützen möchte nach außen. (…)Auch für die Angehörigen. (…). Die möchten nicht, dass nach außen bekannt wird, dass siehier bei uns in der Demenzgruppe sind. (…) Ich denke, das ist halt so eine Scham, die sie ha-ben. (…) Das ist so peinlich irgendwie, ja. Meine Frau ist verkalkt, wer gibt denn das schongerne zu.“ (Pflegedienstleitung I3: 839-856)

Für die Vertrauensbildung scheinen weiter der Bekanntheitsgrad aber auch die Ver-trauenswürdigkeit des Anbieters nicht unerheblich zu sein.

Die interne Anforderung der mangelnden Selbstpflege pflegender Angehörige er-fordert es, sie zunächst für deren Notwendigkeit zu sensibilisieren.

„Viele (Angehörige) muss man wirklich da hinbringen (…) ihre Bedürfnisse überhaupterst wieder zu konkretisieren… Weil sie sind ja schon lange in dieser Versorgungssituation,wo man sich selbst ja total hinten dran stellt und eigentlich gar nicht merkt, dass man selbstja vielleicht auch noch Bedürfnisse hat oder es zumindest unterdrückt, ja. Es kommt dannerst dann später, so, ich habe jetzt 10 Jahre gepflegt und was ist mit mir, ich habe jetzt über-haupt nichts vom Leben gehabt.“ (Pflegedienstleitung I4: 666-673)

Neben niedrigschwelligen Strukturen wie die wohnortnahe Gestaltung bzw. Bereit-stellung eines Fahrdienstes, niedrige Teilnahmegebühren einschließlich der Zweckge-bundenheit finanzieller Mittel als Betreuungsgeld, ist die Regelmäßigkeit und Verläss-lichkeit des Angebots für die nachhaltige Inanspruchnahme bedeutsam.

Entlastende Effekte der niedrigschwelligen Betreuungsgruppen

Die durch die Entlastungsangebote eingetretenen Effekte zielen sowohl auf die pfle-genden Angehörigen als auch auf die Betreuungsgäste. Ein Entlastungseffekt für diepflegenden Angehörigen betrifft die Stärkung deren Selbstpflege. Ein Aufbau dieserinternen Ressource erfolgt über die Nutzung der Gruppenbetreuungszeit zur eigenenErholung bzw. zum „Kräfte schöpfen“, für Termine wie Arztbesuche aber auch zurHaushaltsführung.

„(Sie) … versuchen einfach, diese 3 Stunden, … wieder Kraft zu schöpfen. (…) weil siedas regelmäßig, jede Woche sich auch etwas vornehmen können in der Zeit. Das ist einespürbare Entlastung.“ (Pflegedienstleitung I1: 262-266)

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Beiträge Beltz Juventa. Pflege& Gesellschaft 17. Jg. 2012 H.3

Nicht zuletzt werden auch interne Ressourcen der pflegenden Angehörigen mittelsModell-Lernen zur Stärkung der Dependenzpflegekompetenz aufgebaut.

„Es gibt da verschiedene Gesprächstechniken. Und das muss man den Angehörigen bei-bringen. (…) Ich versuche, es ihnen einfach zu erklären. (…) Und aber auch ein Stück weitleben, versuchen wir das vorzuleben in der Betreuungsgruppe.“ (Fachkraft I6: 140-144)

Noch dazu erfahren pflegende Angehörige Entlastung im sozialen Austausch mitanderen Menschen oder im Aufgehoben sein in der Gruppe, was angesichts der dro-henden sozialen Isolation ein bedeutender Entlastungseffekt ist. Dies bedeutet Entlas-tung durch den Aufbau externer Ressourcen.

„Und vor allen Dingen einfach auch dieses einfach mal ablassen können. ... Das ist sowichtig. Die Angehörigen haben hier Raum und Zeit, mal einfach ihren Frust auch mal ab-zulassen. Auch wenn ich vor Ort bin bei meinen Beratungsbesuchen, haben sie auch Zeit ge-nug, um auch mal sich etwas von der Seele zu reden. Und vor allen Dingen habe ich auchschon gemerkt, dieser Austausch zwischen den Angehörigen mal.“ (Pflegedienstleitung I7:219-224)

Dieser Aufbau interner und externer Ressourcen findet neben der Teilnahme an derBetreuungsgruppe selbst über Angehörigenkurse, -schulungen und -gesprächskreisestatt, die von den Anbietern zur Ergänzung der Betreuungsgruppe implementiert wur-den.

Des Weiteren beziehen sich Entlastungseffekte auf die Menschen mit Demenz. Dieskann die Milderung deren Krankheitssymptome bedeuten, was sich nach Ansicht derFachpersonen in Form der Reduktion externer Anforderungen positiv auf die Depen-denzpflegehandelnde auswirkt.

„Neulich sagte ein Angehöriger: ‚Meine Frau ist immer so ausgeglichen, wenn sie von ih-nen kommt! Wie machen sie das?’ Und das ist gerade diese unruhige Dame, die eben diesenDrang zum Laufen hat. Und der ist wirklich ganz glücklich, dass er sie einmal in der Wochebringen kann.“ (Fachkraft I4: 95)

Auch die Förderung von Ressourcen des Menschen mit Demenz wird als positiverEffekt herausgestellt.

„Manche haben sie so ein versteinertes Gesicht so gehabt. Die strahlen schon, wenn sie dieWohnung sehen und rein kommen. Die können viel mehr. (…) Die haben angefangen zureden. Und manche haben angefangen zu malen. Die haben vorher das Blatt da gehabt undhaben nichts gemacht. Die machen das jetzt!“ (Fachkraft I8: 186)

Allerdings wird die Bedarfsdeckung allein durch die niedrigschwellige Betreuungs-gruppe als zu gering eingestuft.

„Ich denke, mit den Angeboten, die wir machen, können wir sicherlich nur die Spitze desEisbergs abdecken für die Leute, die bereit sind, Hilfe anzunehmen …“ (Pflegedienstlei-tung I9: 78-91)

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Die zeitliche Begrenzung bezieht sich auf eine nur punktuelle Entlastung auf wenigeStunden in der Woche. Als Möglichkeiten der zeitlichen Erweiterung würden sich zwardie Tages- oder Nachtpflege bzw. Entlastungsangebote an Wochenenden anbieten.Doch auch diese fehlen nach Auskunft der Befragten im untersuchten Landkreis, bzw.sind im Fall der Nachtpflege mit hohen Kosten und einer geringen demenzspezifischenAusrichtung einerseits und organisatorischen Hürden andererseits verbunden. So wirdder nächtliche Entlastungsbedarf eher familiär oder über die Einbindung osteuropäi-scher Hilfskräfte kompensiert. Die notwendige Erweiterung besteht demzufolge in ei-nem Ausbau entsprechender teilstationärer Entlastungsangebote, die mit dem vorhan-denen Entlastungsangebot vernetzt werden sollten.

6. Diskussion

In dieser Studie ist im Vergleich zu anderen Studien aus Deutschland (Gräßel et al.2009; Isfort et al. 2011: 133; Frey et al. 2011: 271) erstmals das spezifische Entlas-tungsangebot der Betreuungsgruppe aus der Sicht der konkreten Nutzerinnen und derAnbieter untersucht worden. Beim Abgleich deren Perspektiven besteht zwischen die-sen Einigkeit darüber, dass die Betreuungszeit in der Betreuungsgruppe der Erweite-rung bedarf, weil sie mit etwa 3 bis 6 Stunden wöchentlicher Entlastungszeit angesichtsdes enormen Entlastungsbedarfs in der Betreuung am Tag als zu gering eingestuft wird,auch wenn die Betreuungsgruppen diesem Bedarf am ehesten zu entsprechen scheinen.Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der Schwerpunktsetzung beim Entlastungsbe-darf. Wo dieser von den Nutzerinnen primär im Bereich der Betreuung und Beaufsich-tigung der Menschen mit Demenz gesehen wird, heben die Fachpersonen die Notwen-digkeit zur Ausbildung von Krankheitsakzeptanz als Voraussetzung von Entlastunghervor. Auch der Studienlage zufolge ist ein Verständnis und eine Akzeptanz für krank-heitsspezifische Symptome zu entwickeln (Meyer et al. 2008: 26-27, 93). Doch dieEinschätzung der Nutzerinnen in dieser Studie steht ebenso in Einklang mit Befundenaus der Literatur, die verdeutlichen, dass gerade die mit der Krankheit Demenz verbun-denen Anforderungen eine ständige Aufsicht und ein entsprechendes Angebundenseinerfordern (Pinquart et al. 2002: 86; Auer et al. 2007: 169; Dech 2009: 77). So geht vonden Symptomen der Demenzerkrankung und der mit dieser verbundenen 24-Stun-den-Betreuung der Betroffenen ein intensiver Zeit- und Energieaufwand einher (Ko-fahl et al. 2005: 490; Schacke et al. 1998: 357; Dech 2009: 78; Meyer et al. 2008: 92).Wie festgestellt wurde, resultieren daraus Belastungen, die entsprechende Entlastungs-angebote unabdingbar werden lassen (Sauer 2007: 26). Weiterer Entlastungsbedarf be-steht nach Ansicht der befragten pflegenden Angehörigen auch in der Vereinbarkeit so-zialer Kontakte. Durch die Anforderung der Rund-um-die-Uhr-Betreuung des Men-schen mit Demenz können soziale Kontakte nur schwer gepflegt werden. Dies steht inEinklang mit anderen Studien über das Belastungserleben der Zielgruppe (Kofahl et al.2005: 491; Schacke et al. 1998: 356; Dech 2009: 76; Laag et al. 2010: 183). Auch Scha-cke et al. (1998: 359) stellen dazu fest: „Je stärker die Pflege in Konflikt mit eigenen Be-dürfnissen bzw. mit konkurrierenden Rollenerwartungen in Bezug auf Familie, Beruf etc.

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Beiträge Beltz Juventa. Pflege& Gesellschaft 17. Jg. 2012 H.3

gerät, desto geringer die Lebenszufriedenheit.“ Rollenkonflikte ergeben sich aufgrundvon Erwartungen des sozialen Netzwerkes, der Berufswelt, der Anforderungen der De-pendenzpflege und aufgrund von Rollenwechseln (Beyrodt et al. 2007: 50). Dem-gegenüber kann ein funktionierendes soziales Netzwerk zur sozialen Unterstützungund somit zur aktiven Bewältigung der Pflegesituation beitragen, indem mehrere Per-sonen am Pflege- und Betreuungsarrangement beteiligt sind (Gräßel 1998: 54). Folg-lich wirkt ein vorhandenes soziales Netzwerk als Ressource und Unterstützung bei derBewältigung von Anforderungen belastungsmindernd (Schäufele et al. 2005: 121).

In Einklang mit Befunden aus der Literatur ist auch in dieser Studie ein hoher Be-darf nach Informationen über Art, Inhalte und Nutzen von Entlastungsangeboten fest-gestellt worden, die deren Inanspruchnahme verhindern (Beyrodt et al. 2007: 51; Dör-pinghaus et al. 2006: 27; Frey et al. 2011: 275). Dabei können sich diese auf die Leis-tungsberechtigung oder auf die Art und den Umfang der Angebote beziehen (Beyrodtet al. 2007: 47; Gräßel 1998: 53; Winkler et al. 2006: 20). Trotz der bereits durch dasDSZ geleisteten Öffentlichkeitsarbeit weist dies darauf hin, dass weitere Wege in derErreichung der Zielgruppe beschritten werden sollten, die vor allem stärker auf denNutzen von Entlastungsangeboten ausgerichtet sein sollten. Angesichts der identifi-zierten und zum großen Teil auch in Einklang mit der Literatur stehenden Einflussfak-toren auf die Inanspruchnahme, bedarf es insbesondere zum Abbau der die Zielgruppebetreffenden Hemmschwellen besonderer Zugangsstrategien. Gerade für diejenigenpflegenden Angehörigen ohne Anbindung an fachliche Entlastungsangebote scheinenzugehende Formen von Entlastungsangeboten gefordert.

In methodischer Sicht ist nicht auszuschließen, dass der Zugang über die Anbieterauf Seiten der befragten Angehörigen zu sozial erwünschten Antworten geführt habenkönnte. Zudem lässt das in dieser Studie verwendete Design keinen Aufschluss über dietatsächliche Wirkung der Intervention Betreuungsgruppe zu. Im Rahmen dieser be-schreibenden Studie können allenfalls Tendenzen und Hinweise zum Entlastungsbe-darf und deren Deckung gewonnen werden, die auf die untersuchte Gruppe be-schränkt bleiben. In nachfolgenden Studien sollten die Entlastungseffekte durchunterschiedliche Entlastungsangebote mit experimentellen Designs untersucht wer-den, um Aufschluss über deren Wirkung zu erzielen. Weiter sollte vor allem die Sicht-weise von Noch-Nicht-Nutzern erforscht werden, da viele pflegende Angehörige miteinem Entlastungsbedarf noch nicht von entsprechenden Entlastungsangeboten er-reicht worden sind. Dieser Personenkreis ist in dieser Studie nicht einbezogen worden,weil sich das Erkenntnisinteresse auf die Untersuchung der Deckung des Entlastungs-bedarfs durch die in Anspruch genommenen Entlastungsangebote richtete. Bei allenpositiv angestoßenen Entwicklungen durch die Pflegereform, des großen Engage-ments der Anbieter und einiger positiver Entlastungseffekte durch die Entlastungsan-gebote der IGDB, darf aber nicht darüber hinweg gesehen werden, dass die Bedarfsde-ckung allein durch die derzeitigen niedrigschwelligen Entlastungsangebote von denNutzern wie von den Anbietern als zu gering eingestuft wird. Dies ist den befragten Fach-personen zufolge vor allem der doch unzureichenden Finanzierung geschuldet, die ne-ben den Anbietern und der Pflegeversicherung auch die Kommunen in die Pflicht

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nimmt. Angesichts deren mitunter prekären Haushaltslage droht deren Ausstieg mitdem Verlust der finanziellen Unterstützung, was letzten Endes zum Abbau des bestehen-den Entlastungsangebots mit Konsequenzen für die informelle Pflege führen würde.

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Prof. Dr. Michael SchilderEvangelische Hochschule Darmstadt, Zweifalltorweg 12, 64293 Darmstadt, Hessisches Institut für Pflegeforschung, Nibelungenplatz 1, 60318 Frankfurt/ [email protected] (Korrespondenzadresse)Susann Florian, Diplom-Pflegewirtin (FH)Evangelische Hochschule Darmstadt, Zweifalltorweg 12, 64293 Darmstadt

Auftraggeber: Diakonisches Werk Darmstadt-Dieburg, Land Hessen