broschuere brandstifter internet

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  • 7/26/2019 Broschuere Brandstifter Internet

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    Brandanschlge auf Flchtlingsunterknfte, rassistische Auf-

    mrsche und menschenverachtende Hetze in den Sozialen

    Netzwerken: Deutschlandweit ist derzeit eine erschreckende

    Entwicklung zu beobachten, bei der Flchtlinge zum Ziel von

    Vorurteilen, Hetze und Gewalt werden. Der Hass auf Flcht-

    linge ist ein konstantes Element der rechten Szene.

    Die vorliegende Broschre deckt die Akteure und Strategien

    der geistigen Brandstifter auf und zeigt anhand konkreter Bei-

    spiele, wie die rechte Mobilisierung on- wie offline funktio-

    niert. Zudem wird deutlich, welchen groen Stellenwert eine

    aktive Zivilgesellschaft hat. Zuletzt gibt es Tipps, was jeder

    einzelne gegen die rassistische Hetze machen kann: fr eine

    angstfreie und demokratische Gesellschaft.

    DIE BRANDSTIFTER

    Rechte Hetze gegenFlchtlinge

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    DIE BRANDSTIFTER

    Rechte Hetze gegen

    Flchtlinge

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    HerausgeberAmadeu Antonio StiftungLinienstrae 13910115 BerlinTelefon: + 49 (0)30. 240 886 10Fax: + 49 (0)30. 240 886 [email protected]

    Frderverein PRO ASYL e.V.Postfach 16062460069 Frankfurt/[email protected]

    RedaktionGnter Burkhardt, Andrea Kothen, Alice Lanzke, Timo Reinfrank, Alena Thiem

    AutorinnenLucia Bruns, Alice Lanzke, Marie Moeller, Laura Piotrowski

    BildnachweiseUmschlag: Anti-Nazi-Demonstration in Schneeberg am 16.11.2013, Foto Ralf Harde,

    picture-alliance/Geisler-Fotopress, picture-alliance/dpa (S. 8, 11, 16, 18), picture-alliance/Geisler-Fotopress (S. 12, 17), Screenshots (S. 23, 24, 25, 27), Mindmap Alina Valjent(S. 28), Lucie Marsmann (S. 33), Gemeinde Wandlitz (S. 41)

    Gestaltung Design

    DruckDruckzone, Cottbus

    Inhalt

    Einleitung: Keime des Hasses 4

    Facetten der Gewalt eine Chronik in Auszgen 7

    NPD, Neonazis, Rechtspopulisten: Akteure und Strategien der Mobilisierung 11

    Zwischen radikaler Seriositt und offener Hetze: 14

    Proteste gegen Flchtlingsunterknfte

    Berlin-Hellersdorf: Bugwelle aus Vorurteilen 14

    Schneeberg: 2.000 Menschen auf der Strae gegen Flchtlinge 18

    Bremen: Rassistische Eskalationbei einer Brgerversammlung 20

    Neonazis im Netz 23

    Mindmap: Reizthema Flchtlingsheim 28

    Politik, Medien und Zivilgesellschaft nicht alles ist wie frher 29

    Asylsuchende werden als rechtlose, als illegale Menschen betrachtet 33

    Das Leiden der Betroffenen darf nicht weggeredet werden 35

    Nazis mit Engagement in die Defensive bringen das Beispiel Wandlitz 39

    Was tun gegen rassistische Hetze? 42

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    Einleitung: Keime des Hasses

    Das Gefhl ist nackte Angst. Alle Flchtlinge kennen die Geschichten vonbrennenden Asylbewerberheimen, viele machen Gewalterfahrungen.

    (Elisabeth Ngari, 1996 aus Kenia geflchtet, auf die Frage,

    wie Flchtlinge rechtsextreme Demonstrationen vor Heimen erleben.)

    Ein lauter Knall, ein Knacken und das Gerusch von splitterndem Glas: In der Sil-vesternacht 2013 werden die Bewohnerinnen und Bewohner des Flchtlingsheims

    in Berlin-Hellersdorf von Geruschen erschreckt, die nichts mit dem Feuerwerk zumJahreswechsel zu tun haben. Unbekannte haben ganze Knallerbatterien an die Trender Unterkunft geheftet und gezndet. Einen Tag zuvor hatte es bereits einen Angriff aufdas Bro von Hellersdorf hilft gegeben dennoch war keine Zivilpolizei vor Ort. Nurwenige Tage spter gibt es eine neue Attacke auf die Asylunterkunft: Zwei Mnner undeine junge Frau randalieren vor dem Gebude, hinterlassen Aufkleber mit rassistischenParolen an der Fassade.

    Ortswechsel. In Germering bei Mnchen entgehen eine Woche nach der Silvester-nacht die Bewohnerinnen und Bewohner einer Unterkunft nur knapp der Katastrophe:Unbekannte stecken das Gebude nachts in Brand, einer der Heimbewohner bemerkt dieFlammen und kann die anderen neun Flchtlinge wecken. Er rettet so ihr Leben.

    Die Angriffe in Berlin und Germering illustrieren eine deutschlandweit erschreckendeEntwicklung: Die Zahl von Straftaten mit einer Asylunterkunft als Tatort oder Angriffs-ziel stieg von 24 im Jahr 2012 auf 43 bis Ende November 2013. Damit hat sich die Zahlrechtsextremer Angriffe auf Flchtlingsunterknfte 2013 gegenber dem Vorjahr nahe-zu verdoppelt. Dies ergibt sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleineAnfrage der Linken-Fraktion (BT-Drs. 18/121). Den Recherchen des ARD-MagazinsReportMainzzufolge gab es im ganzen Jahr 2013 21 Anschlge auf Unterknfte fr Flchtlin-ge, mindestens sieben davon wurden nach Kenntnis der Amadeu Antonio Stiftung mitBrandbeschleunigern verbt.

    Kontinuitt und Aufflammen von RassismusRassistische Gewalt ist eine traurige Konstante auch in der jngeren Geschichte der Bun-desrepublik. Rassistische Gewalttaten gibt es immer wieder an verschiedenen Orten inDeutschland sie richten sich nicht nur gegen Flchtlinge, sondern auch gegen ver-

    meintliche Auslnder, Obdachlose, Sinti und Roma, Jdinnen und Juden oder andereMenschen, die von den Auswirkungen rechtsextremer Ideologie betroffen sind. Das Aus-ma und die Intensitt, mit der Asylsuchende zur Zielscheibe von Rassismus werden,nehmen derzeit jedoch sprunghaft zu.

    Wo heute neue Flchtlingswohnheime entstehen, geraten Asylsuchende nicht zuletztauch ins Visier der geistigen Brandstifter: In vielen Orten der Republik versuchen Neo-nazis , rechtspopulistische Parteien oder von Hass getriebene Einzelpersonen das Klimaaufzuheizen und Stimmung gegen Flchtlinge zu machen sei es nun in Hellersdorf,Greiz oder Schneeberg.

    Mit und ohne Tarnkappe: Rechte AktionsformenWer sind die Akteure rassistischer Hetze und Gewalt in Deutschland? In mehreren Std-ten grndeten sich nach dem Muster der rechtsextremen Brgerinitiative Marzahn-Hel-lersdorf anonym auf Facebook agierende selbst ernannte Brgerinitiativen, die ohneName, Telefon, Anschrift, Impressum und Kontaktperson gegen eine Flchtlingsunter-kunft mobil machen. Nach Bedarf werden im sozialen Netzwerk Facebook immer wiederneue regionale, anonyme Profile erstellt, die dem Aufbau rassistischer Netzwerke undder nicht-ffentlichen Verabredung ber Facebook-Mailings zu spontanen Aktionenund Demonstrationen gegen Flchtlinge dienen. Auf den Facebook-Seiten werden sodann

    die spontanen Aktionen dokumentiert.Hinter den vermeintlichen Brgerinitiativen stehen oft Akteurinnen und Akteure

    aus der NPD sowie rechts der NPD agierende Netzwerke des Nationalen Widerstan-des. Junge, gewaltbereite Mitglieder rechter Kameradschaften mischen im Hintergrundebenso mit wie parteiunabhngige Einzelpersonen, die als Lokalgren die Stimmungim Ort beeinflussen knnen. Die Brgerinitiativen distanzieren sich formal von derNPD, um Offenheit fr interessierte Anwohnerinnen und Anwohner zu demonstrieren- obwohl sie organisatorisch und p ersonell eng verbandelt mit organisierten Rechtextre-men sind. Daneben hetzen auch die rechtspopulistische Pro-Bewegung (Pro NRW, ProDeutschland) ebenso wie die Neonazi-Partei Die Rechte gegen Geflchtete und derenUnterbringung (S. 11).

    Das konstante Element der rechten Szene ist der Hass gegen Flchtlinge: Er wirkt alseines der identittsstiftenden Momente all ihrer Gruppierungen. Dieser Hass ist gefhr-lich, seine ungehemmte uerung findet fast zwangslufig menschenverachtende undgewaltttige Ausdrucksformen.

    Neonazis suchen gezielt durch aktuelle Themen Anschluss an die breite Gesellschaft.Ihre Aktivitten reichen dabei von der Umsetzung strategischer Konzepte, die den An-schein radikaler Seriositt haben, bis hin zu offener Hetze. Die Vorflle in Schneebergund Berlin-Hellersdorf machen die angewandte Strategie der Brgerlichkeit deutlich mit unterschiedlichem Erfolg. Whrend die Mobilisierung von Brgerinnen und Brgernin Hellersdorf grtenteils gescheitert ist, gelingt es der NPD in Schneeberg, sich mitihren rassistischen Forderungen mitten in der Gesellschaft zu verankern.

    Fr einen umfassenden Blick auf die Situation ist es auch notwendig, die Formen derKommunikation und Koordination miteinzubeziehen (S. 23). Facebook wird zu einemKern der Organisationsstruktur, wenn es um Hetze gegen Flchtlinge geht. Hier findensich Seiten mit unverhohlener Hetze gegen Geflchtete, aber auch Seiten, die versuchen,ein brgerliches Image zu verbreiten.

    Die Zivilgesellschaft macht den UnterschiedDer Rassismus, der bei den aktuellen Protesten gegen Flchtlingsunterknfte sichtbarwird, ist nicht neu geboren, sondern speist sich auch aus einer langen Kette vorheri-ger rassistischer Erfahrungen und Bilder, die zusammengesetzt eine feindliche Haltunggegenber Flchtlingen bilden. Dort, wo die rassistischen Proteste aufkommen, gab esauch schon zuvor menschenverachtende Stimmen und Vorurteile, die nicht nur in derextremen Rechten, sondern auch mitten in der Gesellschaft verankert sind. Im Interviewmacht Prof. Dr. Andreas Zick das erschreckende Ausma von gruppenbezogener Men-

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    schenfeindlichkeit als gesamtgesellschaftlichem Problem deutlich und verweist zudemauf die wichtige Rolle der Aufnahme- und Integrationspolitik (S. 33).

    Entscheidend ist, wie weit Fremden-Hass und rechte Propaganda in die Gesellschafthineinwirken knnen und wie weit Brgerinnen und Brger sowie die Politik (vor allemin Wahlkampfzeiten) den Rechten entgegen kommen oder ob die Gesellschaft das unge-hemmte Ausleben von Hass und Rassismus frhzeitig in die Schranken weist. Ein Blickzurck in die 1990er Jahre zeigt, dass nicht alles ist wie damals, als Politik und Medien ineiner emotional stark aufgeladenen ffentlichen Debatte die steigenden Asylzahlen zurgesellschaftlichen Bedrohung stilisierten (S. 29).

    Gleichwohl wandern Politikerinnen und Politiker von Parteien wie der Alternativefr Deutschland (AfD) heute in ihrem Populismus auf einem dnnen Grat in gefhrlicherNhe zum rechten Rand. Unter den etablierten Parteien fllt die CSU besonders auf: ZuJahresbeginn 2014 schrten CSU-Vertreter ngste vor einer angeblichen Masseneinwan-derung von Armutsmigranten aus anderen EU-Staaten obwohl es fr derlei Szenarienbundesweit keine empirischen Belege gibt. Die Panikmache gipfelte in dem populisti-schen Slogan Wer betrgt, der fliegt. Obwohl sich diese menschenverachtende Paroleauf die vermeintlichen Folgen der EU-Freizgigkeit bezog und eben nicht auf das ThemaAsylsuchende, vermengte sie sich in vielen Kpfen mit der aktuellen Flchtlingsdebatte.

    Zu einem vollstndigen Blick auf die Situation gehrt schlielich der vorhandene undteils deutliche Widerstand gegen rassistische Proteste und Hetze gegen Geflchtete. Anvielen Orten gibt es zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure, engagierte Bewoh-nerinnen und Bewohner, Kirchen, Kultureinrichtungen, sowie Politikerinnen und Politi-ker, die sich erfolgreich gegen die rassistische Mobilisierung positionieren und sich mit

    den Flchtlingen solidarisieren. In einem Interview mit Mathis Oberhof, dem Koordina-tor des Runden Tisches fr Toleranz in Wandlitz, wird aufgezeigt, wie eine rassistischeStimmung gekippt und den ankommenden Flchtlingen auf Augenhhe begegnet wer-den kann (S. 39). Wandlitz steht beispielhaft dafr, wie eine Struktur fr die Unterstt-zung von Flchtlingen und gemeinschaftlichePositionierung gegen Rassismus aussehen kann.

    Ohne das Engagement der lokalen Institutio-nen und der Politik ist der Widerstand gegen neo-nazistische Bestrebungen vor Ort nicht einfach:Nicht nur Flchtlinge, sondern auch Menschen,die Flchtlinge untersttzen, werden bedroht.Das lsst sich nicht zuletzt im Internet beobach-ten: Userinnen und User, die hier zu erkennen

    geben, dass sie sich fr Geflohene engagieren,sehen sich nicht selten massiven Verbalattacken ausgesetzt. Umso riskanter wird es,wenn sich diese Einschchterungsversuche in die Offline-Welt bertragen. Die Dunkelzif-fer fr rassistisch motivierte Straftaten ist gro. Dies liegt auch daran, dass Opfer hufigaus Angst, Unkenntnis oder mangelnder Untersttzung auf eine Anzeige verzichten, wieChristina Bttner von der Opferberatungsstelle ezraim Interview beschreibt (S. 35).

    Insofern ist der Einsatz fr die Menschenrechte von Flchtlingen und anderen poten-ziellen Opfern rechter Ideologie auch ein Einsatz fr ein angstfreies und demokratischesGemeinwesen.

    Facetten der Gewalt eine Chronik der Jahre 2013 und 2014in Auszgen

    In Deutschland werden immer mehr gewaltttige Angriffe auf Flchtlingegezhlt. Auch die rassistische Hetze nimmt zu ob im Internet oder auf

    der Strae. Die Chronik der Gewalt zeigt auf erschreckende Weise, dassOnlinehetze auch zu tatschlichen Angriffen auf Flchtlinge und derenUnterknfte fhrt. Schon 2013 war laut Bundeskriminalamt die Anzahlder Gewalt- und Propagandadelikte auf mehr als das Doppelte gegenberdem Vorjahr gestiegen. Eine alarmierende Entwicklung, die sich im Jahr2014 fortsetzt.

    29.01.2013 Chemnitz (Sachsen)Bei einem Anschlag auf das Heim am Adalbert-Stifter-Weg in Chemnitz-Ebersdorf wirdein Mllcontainer in Brand gesetzt, mehrere Dosen gegen Fensterscheiben geworfen undParolen skandiert. In Folge werden von der Polizei drei Tatverdchtige festgestellt. EinePerson wird durch den Anschlag verletzt. Gegen die Tatverdchtigen wird wegen desVerdachts der Brandstiftung und der Volksverhetzung ermittelt.

    Quelle: Wachsam-in-Chemnitz

    19.03.2013 Wehr (Baden-Wrttemberg)Unbekannte Tter schtten Brandbeschleuniger auf die Stufen einer Holztreppe der dor-tigen Asylunterkunft und znden diese mit Zeitungen an. Den Bewohnerinnen und Be-wohnern gelingt es, das Feuer auszutreten.Quelle: Sdkurier

    07.06.2013 Rostock (Mecklenburg-Vorpommern)Ein Flchtling aus Honduras wird auf dem Heimweg in der Rostocker Innenstadt aus ei-nem Auto angegriffen. Zunchst versperrt ihm der PKW den Weg. Anschlieend strmenzwei Personen aus dem Auto und beschimpfen ihn. Dann schlagen und treten sie auf ihnein.

    Quelle: LOBBI

    20.08.2013 Schmiedeberg (Sachsen)Eine Gruppe Mnner greift in Schmiedeberg einen Asylsuchenden auf seinem Weg vomSupermarkt zurck in die Sammelunterkunft an. Die Mnner schlagen ihm zunchst vonhinten mit einem Knppel auf den Kopf und schlagen und treten dann weiter auf ihn ein.Der Betroffene wird bewusstlos und muss im Krankenhaus behandelt werden.Quelle: RAA Sachsen

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    31.12.2013 Marzahn-Hellersdorf (Berlin)Unbekannte befestigen Knaller-Batterien an den Tren des Flchtlingsheims in der Ca-rola-Neher-Strae und beschdigen die Glasscheiben zweier Trflgel. Menschen werdennicht verletzt. Der polizeiliche Staatsschutz bernimmt die Ermittlungen, weil ein politi-sches Motiv der Tat nicht ausgeschlossen ist.Quelle: rbb online

    01.01.2014 Borna (Sachsen)Ca. 15 Nazis attackieren in der Silvesternacht die Notunterkunft von 30 Asylsuchendenmit Bllern, Raketen und anderem Feuerwerk. Die Polizei verhindert Schlimmeres undbleibt die restliche Nacht vor Ort.

    Quelle: Bon Courage e.V.

    04.01.2014 Shre (Niedersachsen)Acht junge Mnner berfallen nachts eine Roma-Familie in ihrer Wohnung, schlagen sieund bedrohen sie mit der Pistole. Sie stehlen 1300, die die Familie als Asylbewerber/innen ohne Mglichkeit eines Bankkontos zu Hause verwahrt. Der Vater beschreibt dieTter als Neonazis, von denen einige Glatzen und Springerstiefel tragen.Quelle: die tageszeitung

    08.01.2014 Germer ing (Bayern)Am frhen Morgen stecken Unbekannte ein Gebude an, in dem auch zehn Flchtlingewohnen. Sie knnen vor den Flammen ins Freie flchten, da einer der Bewohner denBrand rechtzeitig entdeckt. Im gesamten Komplex leben 60 Menschen. Die Feuerwehrkann die Ausbreitung der Flammen auf die Zimmer der Flchtlinge verhindern.Quelle: Sddeutsche Zeitung

    12.01.2014 Wohratal (Hessen)Vier Jugendliche dringen in die Asylunterkunft in Wohratal ein und verwsten sie. Zu-

    nchst beschdigen sie alle Jalousien im Erdgeschoss, dann verschaffen sie sich Zutrittund treten mehrere Tren ein. Die verngstigten Bewohnerinnen und Bewohner verstn-digen die Polizei, eine schwangere Frau muss wegen der Aufregung in einem Kranken-haus behandelt werden. Die Tter knnen gefasst werden und geben den Angriff nachanfnglichem Leugnen auch zu.Quelle: Frankfurter Rundschau

    13.01.2014 Heiligenhaus (Nordrhein-Westfalen)Am Flchtlingsheim wird ein Sofa und Hausrat in Brand gesetzt. Im Heim wurden zuvordie Feuerlscher ausgeleert und Brandmelder zerstrt. In den vorangegangenen und infolgenden Nchten werden wiederholt Mllbehlter am Flchtlingsheim in Brand ge-steckt.Quelle: Der Westen

    01.02./02.02.2014 Gerstungen (Thringen)Je Samstag- und Sonntagnacht werden die Scheiben einer Gemeinschaftsunterkunft frFlchtlinge eingeworfen. Die Kriminalpolizei nimmt die Ermittlungen gegen Unbekanntauf.Quelle: inSdthringen.de

    07.02.2014 Hoyerswerda (Sachsen)Zwei Tage nachdem die erste Asylunterkunft in Hoyerswerda nach den rassistischen Po-gromen 1991 erffnet wurde, wird ein marokkanischer Heimbewohner auf dem Markt-platz attackiert. Ein Fahrradfahrer schlgt ihn auf den Hinterkopf und anschlieend indie Nierengegend. Weil der Geflchtete den Tter fotografierte, konnte die Polizei denTter als bekannten Neonazi identifizieren.Quelle: MDR

    13.02.2014 Mechernich (Nordrhein-Westfalen)Zum dritten Mal innerhalb von zwei Monaten brennt ein Teil der FlchtlingsunterkunftElisabethhtte. Der betroffene Teil war bereits im Dezember niedergebrannt. Menschenkommen nicht zu Schaden. Brandstiftung ist als Ursache wahrscheinlich.Quelle: Klner Stadt-Anzeiger

    Blick auf die Tr der Asylunterkunft in Sangerhausen nach dem Brandanschlag am 6.1.2007

    (Foto: Uwe Gellert)

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    20.02.2014 Merseburg (Sachsen-Anhalt)Ein aus dem Zug steigender somalischer Asylbewerber wird im Vorbeigehen von zweiMnnern rassistisch beschimpft. Dann schlagen sie auf ihn ein, so dass er zu Boden geht,und treten ihn. Erst als ein Zeuge eingreift, flchten die beiden Tter. Der Staatsschutzvermutet einen rassistischen Hintergrund und ermittelt wegen gefhrlicher Krperver-letzung. Auf einer facebook-Seite war zuvor rassistisch gehetzt worden.Quelle: MDR

    21.02.2014 Waltershausen (Thringen)

    Nach Aussage der Heimleitung der rtlichen Gemeinschaftsunterkunft in Waltershausenwerden Flchtlingskinder auf dem Schulweg von Unbekannten angesprochen und ras-sistisch beleidigt.Quelle: LAmiti Multikulturelles Zentrum Stadt- und Landkreis Gotha e.V.

    24.02.2014 Merseburg (Sachsen-Anhalt)Bereits zum zweiten Mal in einer Woche wird ein Flchtling in Merseburg ttlich an-gegriffen. Dem 41-jhrigen Algerier wird in einer Bahnunterfhrung mit der Faust insGesicht geschlagen, so dass er eine Nasenbeinfraktur erleidet. Die Polizei nimmt einenTter fest und ermittelt in Richtung eines rassistischen Motivs.Quelle: MDR

    NPD, Neonazis, Rechtspopulisten:Akteure und Strategien der Mobilisierung

    D ie Recherchen des ARD-MagazinsReport Mainzergaben: Im Jahr 2013 veranstaltetedie NPD 47 Demonstrationen gegen Flchtlinge und geplante Unterknfte. Damit istdie NPD einer der wichtigsten neonazistischen Akteure in der Debatte, die an bestehendeVorurteile und Ressentiments in der Gesellschaft anknpft. Die Art und Weise, wie dierechtsextreme Partei das Thema fr ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert, unterschei-det sich dabei von Region zu Region. Mal verbreitet sie unverhohlene Hetze, dann wie-derum versteckt sie ihre Propaganda hinter einem vermeintlich harmlosen Kmmerer-Image.

    Ein mgliches NPD-Verbot wird auf lange Sicht keine Entspannung in die Situationbringen. Zum einen wird sich das Verbotsverfahren voraussichtlich ber einen langenZeitraum ziehen die rechte Hetze gegen Flchtlinge geht in dieser Zeit weiter. Im Zugeder Europawahlen 2014 ist durch den Hardliner Udo Voigt als NPD-Spitzenkandidat miteiner Verschrfung des Tonfalls zu rechnen.

    Auerdem ist die NPD beileibe nicht der einzige Akteur der extremen Rechten in derDiskussion, es stehen genug andere fr die Rolle des Scharfmachers bereit: Rechtspo-pulistische Parteien wie Pro NRW und Pro Deutschland oder die Neonazi-Partei Die

    Rechte betreiben eine nicht minder menschenfeindliche Stimmungsmache, hinzukom-men lokale rechtsextreme Gruppierungen.

    Am 26.10.2013 demonstrieren Anhnger von Pro Deutschland in Berlin gegen vermeint-

    lichen Asylmissbrauch. (Foto: Maurizio Gambarini)

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    Regional gibt es groe Unterschiede: Es sind nicht ausnahmslos organisierte Neonazis,die hinter den Protesten stehen. Rechtspopulisten und auch Teile der Bevlkerung sor-gen mit teils hart gesottenen rassistischem, teils naiv-unbedarftem Protest dafr, dass dasKlima vor Ort zunehmend vergiftet wird.

    Immer wieder fallen hier auch Vertreter der Alternative fr Deutschland (AfD) auf:Im thringischen Greiz ist es 2013 ein erklrtes AfD-Mitglied aus dem Umfeld der Neo-nazi-Szene, das die lokale Hetze gegen das Flchtlingswohnheim mageblich organisiert der Kreisverband der AfD will sich daraufhin von ihm trennen. In Hamburg-Harburgspricht ein AfD-Vertreter im Januar 2014 von der Belastung durch so viele Flchtlin-ge und behauptet umstandslos im gleichen Atemzug, die Kriminalitt sei sprunghaftangestiegen ... seit wir hier diese extreme Zuwanderung haben ohne den geringstenBeleg dafr zu haben (Hamburger Abendblatt 25.01.2014). AfD-Parteichef Bernd Lucke

    sind Stimmen aus dem rechten Lager nicht unrecht. In einem Interview mit demHandels-blattvom 15. Mai 2013 erklrte er: Grundstzlich ist es gut, wenn jemand uns whlt undnicht die NPD. Im Bundestagswahlkampf 2013 goss er auch selbst l ins Feuer, indemer Zuwanderer bei einer Rede in Frankenthal als eine Art Bodensatz bezeichnete. DieGrenzen zum Rechtspopulismus werden durch solche Aussagen mehr als diffus. Zudemwerden der Partei durch die Medien immer wieder personelle Verflechtungen in dieultrakonservative bis antidemokratische Szene hinein nachgewiesen (z.B. in der ARD-SendungMonitorvom 17.10.2013).

    Die Strategie der BrgerlichkeitDer Erfolg, den die NPD mit ihrer Agitation in Schneeberg hatte, ist auf ihre Strategiedes brgerlichen und serisen Images zurckzufhren. Sie knpft an das lokalpatrio-tische Denken der Brgerinnen und Brger an. Durch radikale Seriositt, wie Vertreterder Partei diese Strategie selbst nennen, ist es der NPD zumindest in Schneeberg gelun-gen, eine Masse zu organisieren, bei der es von den Teilnehmenden in Kauf genommenwird, an der Seite der rechtsextremen Partei zu demonstrieren.

    Diese Taktik der NPD sich eben nicht mehr offen rassistisch und antisemitisch in derffentlichkeit zu prsentieren ist besonders durch den ehemaligen NPD-Vorsitzenden

    Holger Apfel geprgt. Apfel, der von 2011 bis Dezember 2013 den Parteivorsitz innehatte,stand dafr, extrem rassistische Inhalte mglichst brgernah zu verpacken. Dabei trittdie Parteizugehrigkeit zunehmend in den Hintergrund. Und auch bei den derzeitigen Pro-testen sind es nicht die ehemals platten Parolen wie Auslnder raus, die Anwohnerinnenund Anwohner von Flchtlingsunterknften auf die Strae bringen, sondern unaufrichti-ge Forderungen nach Mehr Mut zur Demokratie. Damit verschleiert die neonazistischePartei gekonnt ihre Ideologie und platziert sich problemlos mitten in die Gesellschaft. In-wieweit sich allerdings die Wolf im Schafspelz-Taktik der NPD durch den neuen und alswesentlich radikaler geltenden Vorsitzenden Udo Pastrs ndern wird, bleibt abzuwarten.

    Vor allem das Mitwirken von Neonazi-Frauen verpasst den Protesten dabei ein br-gerliches und harmloses Image: NPD-Aktivistinnen wie Maria Fank aus Berlin oder GittaSchler, Landtagsabgeordnete der NPD, inszenieren sich medienwirksam als besorg-te Mtter, die sich um das Wohl der Frauen und Kinder der deutschen Bevlkerungsorgen. Die so betriebene Emotionalisierung der Debatte macht eine Rckkehr zu sach-

    lichen Argumenten umso schwieriger.

    Ich bin kein Nazi, aberDass wir die Auslnder nicht wollen, das stimmt nicht, kommentiert eine Frau bei derSondersitzung in Vegesack. Schneeberg ist nicht braun, definitiv nicht, heit es ausSachsen. Und auf der Seite der Brgerinitiative Marzahn-Hellersdorf steht immer wie-der geschrieben: Ich bin kein Nazi, aber .... Die Abgrenzung vom Nationalsozialismusund neueren Erscheinungen der extrem Rechten spielt eine zentrale Rolle bei den ue-rungen protestierender Brgerinnen und Brger. Niemand will in die rechte Schmuddel-Ecke gestellt werden, der Protest versucht sich salonfhig zu inszenieren. Immer wiederwird betont, dass es lediglich um legitime Brgerinteressen gehe, die nicht mit rassisti-schen Einstellungen in Verbindung zu bringen seien.

    Die Neonazis haben kein Problem damit, diese Behauptungen mitzutragen und selbst

    in die Welt zu setzen egal ob auf Kundgebungen oder in den Kommentarspalten derzahlreichen Facebook-Seiten. Ganz gezielt wird versucht, sich selbst als Opfer zu insze-nieren und die eigenen repressiven Methoden auf die Gegenseite zu projizieren. Es wirdvon einer angeblichen Schuld-Kultur in Deutschland gesprochen, in der linke Faschis-ten immer wieder die Nazikeule schwingen wrden. Die Presse wird als Lgenorganbetitelt und der Untergang der Meinungsfreiheit herauf beschworen. Unter dem zivilenDeckmantel angeblicher Volksinteressen und patriotischer Heimatsliebe versuchenNeonazis, die Proteste als legitim zu verkaufen und auch nicht-rechte Brgerinnen undBrger einzubinden.

    Stefan Hartung, Kreisvorsitzender der NPD im Erzgebirge, am 26.11.2013 bei einer rechten

    Demo im schsischen Schneeberg (Foto: Ralf Harde)

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    Zwischen radikaler Seriositt und offenerHetze: Proteste gegen Flchtlingsunterknfte

    Berlin-Hellersdorf: Bugwelle aus VorurteilenBerlin-Hellersdorf steht seit dem Sommer 2013 als Symbol fr rassistische Hetze gegenFlchtlinge. Die ehemalige Schule in der Carola-Neher-Strae, die als Unterkunft fr Ge-flchtete dient, hat weit ber die Stadtgrenzen Berlins eine Diskussion entfacht: ber

    Rassismus gegen vermeintlich Fremde, selbsternannte Brgerinitiativen, die sich ge-gen Flchtlinge gruppieren, und Neonazis, die diese Stimmung fr ihre eigenen Zweckenutzen.

    Brgerversammlung als Ort rassistischer HetzeAnfang Juli wird im Bezirk Marzahn-Hellersdorf vom Bezirksbrgermeister Stefan Komo(SPD) und der Bezirksstadtrtin fr Gesundheit und Soziales Dagmar Pohle (Linke) eineBrgerversammlung geplant. Grund der fr den 9. Juli angesetzten Versammlung: Indem Berliner Bezirk soll eine neue Unterkunft fr Flchtlinge entstehen. Der Abend sollden Anwohnerinnen und Anwohner daher die Mglichkeit geben, mit den anwesendenPolitikerinnen und Politikern, dem Heimbetreiber, der Polizei und dem Berliner Landes-amt fr Gesundheit und Soziales (LAGeSo) ber die Plne ins Gesprch zu kommen undoffene Fragen zu klren.

    Zu diesem Zeitpunkt ist dem Bezirk, der Kirche und dem zustndigen Landesamt bereits

    bekannt, dass Neonazis massiv zu der Veranstaltung mobilisieren. Der Flchtlingsrat Berlinhatte den Bezirk als Veranstalter im Vorfeld mehrfach darauf hingewiesen und dringendangeraten, Expertinnen und Experten im Umgang mit Rechtsextremismus, etwa von derMobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin, einzubeziehen. So ist am Veranstal-tungsabend die Polizei zwar massiv prsent, doch der Bezirk verzichtet auf die Unterstt-zung der Mobilen Beratung. Sie htte den Veranstaltern Hinweise geben knnen, als sichnach und nach ein Neonazi-Funktionr nach dem anderen zu Wort meldet.

    Auch der Andrang berfordert die Organisatoren der Versammlung: Statt der zu-nchst erwarteten 100 kommen 1.000 Teilnehmende die Veranstaltung wird vom Evan-gelischen Kirchenzentrum auf einen Schulhof verlegt. In der Menschenmenge befindensich etwa 100 bis 150 Neonazis, die es durch geschickte Platzierung schaffen, weitgehendKontrolle ber den Zugang zum Publikumsmikrofon auszuben. Das Ergebnis: Statt vonsachlichen Fragen wird die Brgerversammlung von rassistischer Hetze und blankem

    Hass gegenber Menschen, die in Hellersdorf Schutz suchen, bestimmt.

    Geballte Ladung an VorurteilenNicht nur das Auftreten der Neonazis, sondern auch die Reaktionen der anwesenden Br-gerinnen und Brger sind schockierend. Immer wieder werden von ihnen rassistischeZwischenrufe und Sprechchre geuert. Im Ergebnis bestimmen menschenfeindlicheVorurteile, tief sitzende Ressentiments und diffuse ngste das Stimmungsbild. Zwar sindauch 150 Angehrige der Berliner Flchtlings-Untersttzerszene vor Ort, doch die Polizeigewhrt ihnen nicht den gebotenen Schutz vor den anwesenden Neonazis.

    Neugegrndete Brgerinitiative als Tarnkappe fr NPDZu der Informationsveranstaltung hatte auch die neu gegrndete Brgerinitiative Mar-zahn-Hellersdorf mobilisiert. Vieles deutet darauf hin, dass hinter dieser Initiative dieneonazistische NPD steht: Auf dem Flugblatt, das wenige Tage vor der Versammlungan Anwohnerinnen und Anwohnern verteilt wurde, wird als Verantwortlicher ThomasCrull genannt. Crull, Mitglied der NPD, kandidierte im Jahr 2011 erfolglos in Marzahn-Hellersdorf fr das Berliner Abgeordnetenhaus. ffentlich distanziert sich die Initiativevon rechtswidrigen Kommentaren sowie gewaltverherrlichenden Aussagen und willin keinem Konsens zu einer derzeit politischen

    Organisation oder Partei stehen. Die rassistischeHetze auf den eigenen Facebook-Seiten sowie dasffentliche Auftreten der Brgerinitiative, diekein Problem damit hat, Demonstrationen zusam-men mit der NPD abzuhalten, erhrten jedoch dieVermutung, dass sich dort organisierte Neonazis nur formal eine brgerliche Tarnkappe zule-gen, um an bestehende Vorurteile in den Kpfender Anwohnerinnen und Anwohner anzudocken.

    Die Wortergreifungsstrategie der Neonazis, das Denken im ffentlichen Raum subtilauf die eigene menschenverachtende Ideologie umzuleiten, hat an diesem Abend in Mar-zahn-Hellersdorf jedenfalls Erfolg.

    Einzug der Flchtlinge unter PolizeischutzAm 19. August 2013 ist es dann soweit: Die ersten Flchtlinge ziehen, transportiert voneinem Blaulicht-Konvoi des Deutschen Roten Kreuzes, unter Polizeischutz in die neueUnterkunft ein - eine bedrohliche Atmosphre, genhrt durch rassistische Pbeleien derAnwohnerinnen und Anwohner und durch die Anwesenheit organisierter Neonazis ver-strkt. Kein Wunder also, dass die Hlfte der ersten 50 Flchtlinge das Heim direkt nachder Ankunft und am folgenden Tag aus Angst vor weiteren feindlichen Aktionen wiederverlsst. Es ist unverantwortlich, Menschen, die gerade vor Krieg und Verfolgung nachDeutschland geflohen sind und ihren Herkunftslndern Schreckliches erlebt haben, ineine derart aufgeheizte Atmosphre zu schicken, so Georg Classen vom Berliner Flcht-lingsrat. Der Flchtlingsrat hatte Wochen vor der Belegung nachdrcklich ein umfassen-des Sicherheitskonzept unter Einbeziehung aller lokalen Akteure und der Verkehrsbetrie-be gefordert, zu dessen Realisierung sich der Bezirk und L AGeSo jedoch erklrtermaenauerstande sahen und auf die alleinige Zustndigkeit der Polizei verwiesen.

    Rechtspopulisten und Neonazis instrumentalisieren Flchtlings-ThematikDie angespannte Situation in Berlin-Hellersdorf ruft neben der NPD auch andere Akteureder rechten Szene auf den Plan. So demonstriert die Brgerbewegung Pro Deutschlandwenige Tage nach dem Einzug der Geflchteten unweit der neu eingerichteten Unter-kunft. Die Kundgebung dient der rechtspopulistischen Partei nicht nur als Wahltourauf-takt fr die Bundestagswahl 2013, sondern ebenso dafr, gegen die neue Unterkunft zuhetzen und deren Bewohnerinnen und Bewohnern Auslnderkriminalitt und Asyl-missbrauch vorzuwerfen.

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    Auch die NPD versucht, mit Kundgebungen und Demonstrationen die Diskussionen rund

    um das Flchtlingsheim in Marzahn-Hellersdorf fr sich zu instrumentalisieren. Seit demEinzug der Flchtlinge hlt die rechtsextreme Partei mindestens einmal im Monat eineKundgebung im Bezirk ab eine Strategie, die aufgeht: Whrend der bundesweite Trendbei der Wahl 2013 fr die NPD mit 1,3 Prozent der Zweitstimmen weiterhin rcklufig ist(2009: 1,5 Prozent), verbucht sie in einigen Wahllokalen in Hellersdorf betrchtliche Erfol-ge. Im gesamten Wahlbezirk erhlt die NPD 3,2 Prozent der Zweitstimmen. Gerade bei denBewohnerinnen und Bewohner rund um das Flchtlingsheim in der Carola-Neher-Straescheint die Propaganda der NPD verfangen zu haben: Ganze 9,2 Prozent aus dem dortigenWahllokal 618 setzten ihr Zweitstimmen-Kreuz bei der NPD, bei den Erststimmen sindes gar 11,7 Prozent. Die weiteren Wahllokale in der direkten Umgebung der Flchtlings-unterkunft zeigen hnliche Ergebnisse. Die Instrumentalisierung seitens der Neonazis inForm von ffentlichen Kundgebungen und rassistischen Wahlplakaten in der Umgebungder Unterkunft hat Frchte getragen die Strategie einer gefhrlichen Allianz aus rassis-

    tischen Einstellungen unter den Brgerinnen und Brgern sowie organisierten Neonazis,die diese Stimmung fr ihre Zwecke nutzen, ist zumindest in einigen Teilen aufgegangen.

    Hellersdorf hilft AsylbewerbernGlcklicherweise regt sich allerdings auch Widerstand gegen die menschenverachten-de Hetze: Kurz nach der eskalierten Infoveranstaltung grndet sich die Initiative Hel-lersdorf hilft Asylbewerbern. Die Freiwilligen sammeln Spenden fr die Flchtlinge,verschicken Begrungsschreiben in der Sprache der Asylsuchenden und setzen eineeigene Facebook-Seite auf.

    Hinzu kommen Solidarittsdemos und ein Solidarittsinfopunkt am Heim, den das mitUntersttzung des Flchtlingsrates Berlin neu gegrndete Solidarittsnetzwerk Hellers-dorf Refugees Welcome! organisiert. Auch die Hochschulleitung und die Studierendender etwa einen Kilometer von der neuen Asylunterkunft entfernten Alice Salomon Hoch-schule fr Soziale Arbeit werden mageblich in Runde Tische und das ehrenamtlicheEngagement fr die Asylsuchenden einbezogen. Lehrveranstaltungen werden in die Un-terkunft verlegt, der PC-Pool der Hochschule den Asylsuchenden zugnglich gemacht.

    Mit dem dargestellten Engagement gelingt es,

    die ffentliche Stimmung zu verndern stattder rassistischen Stimmungsmache stehen mehrund mehr die Sorgen und Nte der Flchtlingeim Fokus der ffentlichen Aufmerksamkeit. Wiewichtig das Engagement ist, zeigt sich nicht zu-letzt zum Jahreswechsel 2013, als die Situationrund um das Heim schon wieder aus den Schlag-zeilen verschwunden war: Unbekannte zndenin der Silvesternacht Knallerbatterien an denTren der Unterkunft und versetzen die Bewohnerinnen und Bewohner in Angst undSchrecken. Vier Wochen spter werfen Unbekannte Bller durch ein offenes Fenster.

    In der zweiten Jahreshlfte 2013 sind so - nicht zuletzt als Gegenreaktion auf die Ak-tivitten Rechtsextremer gegen die Asylunterkunft Hellersdorf - im Umfeld neuer Asy-

    lunterknfte in Berlin etwa fnfzehn lokale Willkommensinitiativen neu entstanden,die Hilfe fr Asylsuchende anbieten und vor Ort flchtlingsfeindlichen Kampagnen vonAnwohnerinnen und Anwohnern sowie Rechtsextremisten entgegentreten. Die Willkom-mensinitiativen haben sich dabei in Hellersdorf und anderswo im Rahmen lokaler Netz-werke, Runder Tische, Anwohnertreffen usw. in den Bezirken mit weiteren Akteurenvernetzt wie Wohnheimbetreibern, Verantwortlichen aus Bezirksamt und Bezirksver-waltung, Ausschssen des Bezirksparlaments, Kirchen, Wohnungsgesellschaften, Kinder-und Jugendeinrichtungen, Polizei etc.

    Mit Aufklebern wird in Berlin-Hellersdorf gegen das dortige Heim gehetzt.

    (Foto: Rainer Jensen)

    Der Berliner NPD-

    Vorsitzende Sebastian

    Schmidtke bei einem

    Nazi-Aufmarsch in

    Berlin-Hellersdorf am

    11.9.2013

    (Foto:

    Marcus Golejewski)

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    Schneeberg:2.000 Menschen auf der Strae gegen Flchtlinge

    Nicht nur Stadtteile im urbanen Raum wie in Berlin-Hellersdorf sind mit rassistischenProtesten gegen Flchtlingsunterknfte konfrontiert. Auch kleine Gemeinden findensich in der medialen Berichterstattung mit dieser Thematik wieder. Schneeberg, eineschsische Kleinstadt im Erzgebirge, fllt in diesem Zusammenhang besonders auf. Siegilt als eine der wenigen Stdte, in der eine breite Masse der Bevlkerung fr Proteste

    gegen Flchtlinge mobilisiert werden konnte, ohne dass sich dabei Neonazis ein brger-liches Image verpassen mussten.

    Das Argument der bedrohten SicherheitIm Zentrum der Proteste steht die ehemalige Jgerkaserne, die im Sdwesten Schnee-bergs liegt und in der seit Mitte August 2013 Flchtlinge untergebracht sind. ffentlichwahrnehmbar ist der Protest gegen die Unterkunft jedoch erst seit Ende August, als wei-tere 250 Flchtlinge aus der Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz nach Schneebergverlegt wurden Konflikte unter den Bewohnerinnen und Bewohnern sollen zum Umzugtschetschenischer Familien nach Schneeberg gefhrt haben. Diese Konflikte werden vonNeonazis und anderen Protestierenden gerne angebracht, wenn es um die Ablehnungder Unterkunft geht. Die Sicherheit der Einwohnerinnen und Einwohner sei durch dieFlchtlinge gefhrdet, heit es dann und das, obwohl seitens der Sicherheitsbehrdenregelmig betont wird, dass es seit dem Einzug der Flchtlinge keine vermehrten Straf-

    taten im Umfeld der ehemaligen Kaserne gegeben habe.

    NPD koordiniert ProtestePolitikerinnen und Politiker der NPD nutzen die Unsicherheit und das politische Miss-trauen der Bevlkerung fr ihre eigenen Zwecke. Die Demonstrationen, die beschni-gend und zugleich heimatbezogen Schneeberger Lichtellufe genannt werden, bringen1.000 bzw. 1.800 Brgerinnen und Brger auf die Strae angesichts der Tatsache, dassSchneeberg ber gerade einmal 15.000 Einwohnerinnen und Einwohner verfgt, eineerschreckend hohe Zahl.

    Als Initiatoren und Anmelder beider Demonstrationen fungieren Stefan Hartung,Kreisvorsitzender der NPD im Erzgebirge, und der NPD-Landtagsabgeordnete Mario Lff-

    ler. In Interviews beteuern beide NPD-Politiker zwar, die Demonstrationen als Privatper-sonen angemeldet zu haben, machen aber gleichzeitig unverhohlen Wahlwerbung frdie NPD als einzig wahrer Interessenvertretung der Brgerinnen und Brger. Beson-ders Hartung inszeniert sich so gerne als Sprachrohr der Protestierenden von Schnee-berg unter stndigem Verweis auf direkte Demokratie und Brgerbeteiligung. Alsgroes Hauptziel gibt er einen Brgerentscheid an, der ber die Zukunft der Flchtlingein Schneeberg entscheiden soll.

    Es geht um Schneeberg und Wir sind das VolkVon den demonstrierenden Brgerinnen und Brgern Schneebergs fehlt eine ffentlicheDistanzierung zu organisierten Neonazis und der Ideologie der NPD. Die Protestieren-den scheint es grtenteils nicht zu stren, mit wem sie dort auf die Strae gehen. Beikritischen Nachfragen geben sie stattdessen gerne an, dass sie auch mitliefen, wenn dieProteste etwa von der SPD organisiert wrden. Es gehe alleine um Schneeberg, hrt

    man Beteiligte in Interviews sagen.Die Demonstrierenden sind bei den Lichtellufen nicht nur mit Fackeln ausgestattet,

    sondern auch mit Schildern, welche die vermeintliche Heimatverbundenheit als Motiva-tion fr die Demoteilnahme in den Vordergrund stellen. Dabei kommt es zur pervertier-ten Umkehrung historisch bedeutsamer Slogans. So ist auf den Plakaten zu lesen Wirsind das Volk, eine Parole, die whrend der oppositionellen Montagsdemonstrationen inder DDR in den Jahren 1989 und 1990 gerufen wurde.

    Solidarisierung verluft sehr schleppendNicht zum ersten Mal versucht sich die NPD als eigentlicher Vertreter des Volkswillenszu gerieren und mit ihrer rassistischen Stimmungsmache auf bestehende Vorurteile auf-zubauen. Bereits im Januar 2011 war die Debatte um eine Erstaufnahmeeinrichtung inSchneeberg von Hetze gegen Sinti und Roma unter groer Beteiligung der NPD geprgt.

    Aber nicht nur die neonazistische Partei heizte die romafeindliche Stimmung an: Auf derdamals von der NPD initiierten Brgerversammlung verkndete Brgermeister FriederStimpel (CDU), dass wegen der geplanten Einrichtung eine ansteigende Kriminalitt imOrt nicht auszuschlieen sei.

    Auch in der aktuellen Debatte verluft die Solidarisierung mit den Betroffenen sei-tens der Politik sehr schleppend. Vor Ort gibt es keine zivilgesellschaftliche Gruppe, diesich um das Wohl der Flchtlinge sorgt oder Mahnwachen vor der Flchtlingsunterkunfteinrichtet wie etwa in Berlin-Hellersdorf geschehen. Gegenprotest wird lediglich vonMenschen aus den greren, umliegenden Stdten organisiert. Daher waren am AnfangEiner der rechten Lichtellufe am 16.11.2013 in Schneeberg (Foto: Hendrik Schmidt)

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    auch die Stimmen der NPD und der sich ihr anschlieenden Brgerinnen und Brger dieeinzig wahrnehmbaren.

    Erst beim dr itten Schneeberger Lichtellauf organisieren die Parteien des Stadtrates von CDU bis Linke eine Kundgebung im Rahmen des Bndnisses Schneeberg frMenschlichkeit, nachdem beim zweiten Lichtellauf schon Grne, Linke und Antifa-Gruppen protestiert hatten. Der Brgermeister hatte in Interviews immer wieder dasschlechte und touristenfeindliche Image der Stadt als Folge der medialen Berichterstat-tung ber die Schneeberger Lichtellufe beklagt. Der Fokus der Kritik liegt also aufeinem befrchteten wirtschaftlichen Schaden fr die Stadt anstatt auf der menschenver-

    achtenden Haltung.

    Bremen: Rassistische Eskalationbei einer Brgerversammlung

    In Vegesack, einem Nordbezirk in Bremen, agitiert die rechtspopulistische KleinstparteiBrger in Wut (BIW). Doch auch etablierte Parteien wie CDU, FDP und SPD sprechensich im Juli 2013 gegen einen vorgeschlagenen Standort im Ortsteil aus. In der Debattefallen nicht nur fadenscheinige Argumente gegen den Standort auf einer Sondersitzungwerden auch offen rassistische uerungen gegen die Flchtlinge und die geplante Un-terkunft artikuliert.

    Tumultartige Szenen bei Ratssitzung

    Auf einem frheren Sportplatz in Vegesack sollten fr 120 Asylsuchende sogenannteMobilbauten (Wohncontainer) aufgebaut werden. Als Reaktion auf diesen Plan der Bre-mer Sozialsenatorin Anja Stahmann (Bndnis 90/Die Grnen) wird eine Beiratssonder-sitzung einberufen. Mobilisiert wird mit Handzetteln, die sich entschieden gegen diesesVorhaben aussprechen und Anwohnerinnen und Anwohner aufrufen, die Planung derUnterkunft zu stoppen. Etwa 200 Vegesackerinnen und Vegesacker folgen der Aufforde-rung und kommen am 4. Juli 2013 in den berfllten Sitzungssaal. Auf die detaillierteVorstellung der Plne reagieren viele Anwohnerinnen und Anwohner mit hhnischemGelchter, Pbeleien und rassistischen Anfeindungen. Einen Tag spter schreibt die tazvon einer Schande und von Vegesacks Volksmob. AuchRadio Bremenberichtet vonfremdenfeindlichen Stimmungen, der Weser Kuriervon Buh-Rufen und Gejohle imSitzungssaal.

    Ein Meer von VorurteilenViele der Anwesenden wettern entschlossen gegen die geplante Unterkunft diejenigen,die sich fr eine Unterkunft aussprechen, werden unterbrochen, durch Zwischenrufegestrt und gezielt verbal angegriffen. So etwa Sabri Kurt, Sprecher der Linken, der alsNeu-Brger beschimpft wird. Nach der Versammlung fhlt sich Kurt persnlich verletztund zeigt sich schockiert von den eindeutig rassistischen uerungen. Personen, die a lsnicht-deutsch wahrgenommen werden, mssen an diesem Nachmittag im Sitzungssaalals Zielscheibe rassistischer Ressentiments herhalten.

    In einem Interview berichtet Sozialstaatsrat Horst Frehe (Bndnis 90/Die Grnen):

    Viele Brger haben mit auslnderfeindlichen Parolen und solcher Wut gegen unserePlne protestiert, das hat mich auch persnlich sehr getroffen. Mein Gefhl ist, dass manin Vegesack grundstzlich verhindern will, dass dort ein bergangswohnheim entsteht.Teilweise knne er die Argumente zwar nachvollziehen, diese seien jedoch von einemMeer von Vorurteilen und Unkenntnis geprgt.

    Zynische Nazi-Parolen und blanker RassismusSkepsis und Ablehnung geben den Ton an weder wird der ebenfalls anwesenden Leite-rin einer schon existierenden Flchtlingsunterkunft in Vegesack zugehrt, noch haben

    mit ihr gekommene Asylsuchende eine Mglichkeit, sich zu uern.Es geht den Protestierenden eben nicht nur darum, sachlich begrndete Bedenken zu

    uern, sondern um die konsequente Ablehnung der Asylunterkunft und den Ausdruckrassistischer Vorurteile gegenber den Flchtlingen. Verstrkt wird dieser Eindruckdurch Zwischenrufe wie Arbeit macht frei eine Nazi-Parole, die als KZ-Torinschrifttraurige Berhmtheit hat.

    Letzten Endes wird die Bebauung mit 12 von 15 Stimmen abgelehnt. Stattdessen sollAusschau nach geeigneteren Standorten gehalten werden. Im Herbst 2013 stimmt derBeirat der Nutzung einer anderen Freiflche zu. Im Frhjahr 2014 sollen dort schlielichContainer aufgestellt werden.

    Die rechtspopulistische Partei Brger in WutDie Partei Brger in Wut (BIW) hat sich im Mrz 2004 gegrndet und ist seit 2008 miteinem Abgeordneten (Jan Timke) auch im Land Bremen vertreten. In der Stadtverordne-

    tenversammlung Bremerhaven hat die BIW drei Sitze. Der Sprecher der BIW-Fraktion inVegesack, Cord Degenhard, nutzte die Beiratssit-zung als Plattform fr seine rassistischen Argu-mentationen. Er war Anfang 2012 von der CDUzur BIW bergetreten.

    In ihrem Auftreten und in ihren Forderungenist die BIW als rechtspopulistische Partei einzu-ordnen. Auch wenn sie sich selbst brgerlich-konservativ gibt, steht hinter diesem Auftreteneine rassistische und antimuslimische Grund-einstellung. In ihren Leitlinien verkndet dieBIW gegen Multikulti-Utopien und ethnische Parallelgesellschaften zu sein. Einerangeblich eindeutig bestimmbaren deutschen Identitt werden andere Kulturen ge-

    genbergestellt. Keine Partizipation ohne Integration fordert die BIW und verfestigtdadurch rassistische Vorurteile, die sich stereotyper Bilder und eindimensionaler Dar-stellungen bedienen. Die BIW strebt keine wirkliche Auseinandersetzung mit Einwande-rungs- oder Flchtlingspolitik an. Ihre Agitation beschrnkt sich auf puren Populismusund kulturrassistische Einstellungen.

    Die NPD springt aufDie Eskalation bei der Beiratssitzung sorgt fr breite Kritik, die Parteien Die Linke undDie Grnen fordern eine Entschuldigung. Die Vorflle in Vegesack bleiben natrlich auch

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    der NPD nicht verborgen. Einen guten Monat nach der Versammlung steuert die rechts-extreme Partei den Bahnhofsvorplatz von Bremen-Vegesack mit ihrem Flaggschiff an fr eine Kundgebung als Teil ihrer Wahlkampftour. Dieser Kundgebung stellen sichjedoch 150 Gegendemonstrierende entgegen. Sie muss schlielich von der Polizei abge-brochen werden.

    Willkommensinitiative als Reaktion auf den SchockDie Vorflle in Vegesack wirken im Ortsteil und in ganz Bremen wie ein Weckruf. ZehnTage spter grndet sich auf Initiative des Vegesacker Ortsamtsleiters und r tlicher Pas-

    torinnen und Pastoren eine Willkommensinitiative fr Flchtlinge: rtliche Kirchen- undMoscheegemeinden, Sportvereine, Stadtteileinrichtungen etc. und Einzelpersonen tref-

    fen sich regelmig. Sie haben Kontakt zur be-reits lange bestehenden Bremer Flchtlingsun-terkunft aufgenommen, informieren im Stadtteilund wollen zuknftigen Bewohnerinnen undBewohner der geplanten neuen Unterkunft zurSeite stehen.

    An anderen geplanten Standorten in Bremenhat Die Rechte danach Flugbltter in Postks-ten verteilt, trat aber nicht offen auf. Stadtteil-bndnisse im Vorfeld, klare Ansagen seitens der

    Versammlungsleiterinnen und -leiter, die prophylaktische Einschaltung von Pro aktivgegen rechts und die aktive Teilnahme von engagierten Personen aus dem jeweiligen

    Stadtteil haben dies offenbar verhindert.

    Neonazis im Netz

    B etrachtet man die derzeitigen Proteste gegen Flchtlingsunterknfte, wird der Blickunweigerlich auch auf die sozialen Netzwerke der Gegnerinnen und Gegner der Un-terknfte gelenkt. Fast alle selbst ernannten Brgerinitiativen sind im virtuellen Raumanzutreffen. So zhlte das Projekt no-nazi.net der Amadeu Antonio Stiftung im Dezember2013 allein auf Facebook 30 entsprechende Seiten und zwei Gruppen gegen Flchtlings-heime. Die Verzahnung aus Offline- und Online-Protesten scheinen dabei einem Musterzu folgen, das geschickt die spezifischen Mglichkeiten des Internets nutzt: Im Schutzeder Anonymitt inszenieren sich Neonazis als besorgte Brger und greifen vorhande-ne ngste und Vorurteile in der Bevlkerung auf, die sie mit ihrer rassistischen Stim-mungsmache weiter schren. Gerade die sozialen Netzwerke entfalten dabei ein hohesMobilisierungs- und Rekrutierungspotenzial. Nicht jeder, der entsprechende Seiten miteinem Gefllt mir kennzeichnet, ist ein Neonazi. Durch die offene Propaganda politischklar einzuordnender Diskutierender verschrft sich jedoch schnell das Diskussionsklima Solidarisierungseffekte treten ein. So lassen sich auch nicht-rechte Nutzerinnen undNutzer leicht mit in den Strudel aus Aggression, Vorurteilen und Hass hineinziehen.

    Gefhrliche Allianzen in der Online-WeltDie Seiten und Gruppen, die sich in sozialen Netzwerken gegen geplante oder schon be-stehende Unterknfte positionieren, sind gut vernetzt. Vermeintlich bedrohliche Zahlenund tendenzise Artikel ber angebliche Armutseinwanderungen, Asylmissbrauchund Gewalt in Flchtlingsheimen werden munter untereinander geteilt und gelikt.Hierdurch soll ein bedrohliches Gesamtbild geschaffen werden, das die ngste in derBevlkerung noch weiter verstrkt.

    Viraler Hass: Der

    rassistische Slogan der

    NPD findet sich auf

    zahlreichen anderen

    Facebook-Seiten.

    (Bild: Screenshot)

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    Bei der Namensgebung der Seiten zeigen sich groe berschneidungen: Sie variiertzwischen den Slogans Nein zum Heim, XY wehrt sich oder Asylflut stoppen. Letz-terer ist auch auf der Facebook-Seite der NPD zu finden. Als Profilbild verwenden vieledieser Seiten einen roten Button mit dem Slogan Asylmissbrauch? Nein danke! DieVerwendung identischer Seitennamen und die Verlinkung zu anderen Seiten, auf denenNPD-Politiker offen agitieren, deuten auf besorgniserregende Allianzen zwischen ver-schiedenen Initiativen gegen Flchtlingsheime hin. Der identische Ansatz der Webseitenkann aber auch ein Hinweis darauf sein, dass im Hintergrund tatschlich hufig diesel-

    ben Personen am Werke sind, die sich bemhen, ihre Botschaften als weithin geteilteEinsicht von unzhligen Gleichgesinnten darzustellen.

    Berlin-Hellersdorf: Facebook dient als Ort der HetzeEine der ersten und bekanntesten Seiten dieser Art ist die der Brgerinitiative Mar-zahn-Hellersdorf (BI-MH). Die Verantwortlichen der Facebook-Seite, die bis zu ihrerLschung ber 2.892 Gefllt mir-Angaben hatte (Stand 20.11.13), posteten selbstgeschos-sene Fotos von Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkunft in Hellersdorf oder bet-telnden Kindern in der U-Bahn, die in den Kommentaren als strend und aufdringlichbeschrieben wurden. Mithilfe rassistischer und antiziganistischer Stereotype und dazu-gehrigen berschriften versuchten die Administratorinnen und Administratoren, gegenalles vermeintlich Fremde und Auslndische zu hetzen. Zudem wurden selektive Zei-tungartikel gepostet, in denen ber Gewalttaten berichtet wurde, die von Personen mitnicht-deutschem Aussehen oder Namen verbt wurden ein weiteres Mittel, um dasVorurteil vom gewaltttigen Auslnder zu schren. Unliebsame Gegendemonstrieren-de oder Politikerinnen und Politiker, die sich gegen die rassistische Hetze stellten, wur-den mit Fotos und Namen auf den Seiten verffentlicht, um sie so angreifbar zu machen.

    Die Facebook-Seite diente jedoch nicht zur menschenverachtenden Agitation, sondernauch zur Mobilisierung von Gegenprotesten. Dass dem Mobilisierungspotenzial im Inter-net allerdings auch Grenzen gesetzt sind, zeigte sich bei einer Demonstration Ende Okto-ber 2013. Die BI-MH hatte zu einem sogenannten Tag der Meinungsfreiheit aufgerufen gerade einmal 120 Menschen folgten dem Aufruf. Die Hlfte der Demoteilnehmenden

    waren Anwohnerinnen und Anwohner, die den Zug hinter einem rassistischen Banneranfhrten. Den zweiten Teil der Demonstration bildeten organisierte Neonazis aus denReihen der NPD.

    Rassistische Karikaturen trugen zur Lschung beiDas Gefahrenpotenzial, welches die rassistische Hetze im Netz birgt, ist nicht zu unter-schtzen: Mithilfe von Fake-Profilen knnen Neonazis in Diskussionen einsteigen unddiese ideologisch lenken, ohne dass ihre menschenverachtende berzeugung gleich of-fensichtlich wird. Durch die Grndung der selbst ernannten Brgerinitiativen verpassen

    sie sich zudem ein brgerliches Image und gerieren sich als Sprachrohr eines vermeint-lichen Volkswillens.Umso wichtiger ist es, auf die Gefahren solcher Facebook-Seiten wie die der Brger-

    initiative Marzahn-Hellersdorf hinzuweisen. Die dort betriebene Hetze ist menschenver-achtend und nicht selten gewaltverherrlichend. So verwunderte es nicht, als im Herbst2013 bekannt wurde, dass der Berliner Verfassungsschutz die BI-MH beobachtet, daberschneidungen beim Personal und den propagierten Inhalten mit der lokalen NPDfestzustellen seien. Die rassistischen Postings trugen dazu bei, dass Ermittlungsverfah-ren gegen Verfasser von Einzelbeitrgen eingeleitet wurden. Die Verwendung einer anti-ziganistischen NS-Karikatur sowie einer Bildmontage der Unterkunft in Hellersdorf, diean die Ku-Klux-Klan-Bewegung erinnert, fhrten schlielich Anfang Dezember 2013 zurLschung der Seite.

    Nur wenige Tage nach der Lschung war die Seite allerdings unter neuem Namen wie-der online. Hier zeigt sich auch ein g rundstzliches Problem mit Facebook, aber auch an-

    deren Betreibern sozialer Netzwerke. Unter Berufung auf die Meinungsfreiheit lassendiese ein derartiges Treiben oft viel zu lange zu. Gerade Facebook ermglicht den selbsternannten Brgerinitiativen Seiten aufzusetzen, die als zentraler Organisationspunktder rechten Hetze gegen Flchtlinge fungieren ohne dass sich Betreiber etwa per Im-pressum aus ihrer Anonymitt heraus bewegen mssten. Offene Plattformen fr Online-Aktivismus wie Change.org oder Open Petition wurden zeitweise von der BI-MHgenutzt, um rassistische Petitionen zu verbreiten. Trotz entsprechender Hinweise wollte

    Fr die rassistischen

    Proteste gegen die

    Flchtlingsunterkunft

    in Berlin-Hellersdorf

    ist Facebook die

    zentrale Organisations-

    struktur.

    (Bild: Screenshot)

    Angebliche Deutschen-

    feindlichkeit oder

    vermeintliche Auslnder-

    kriminalitt sind beliebte

    Themen auf den Seiten

    der selbst ernannten

    Brgerinitiativen ent-

    sprechende tendenzise

    Artikel werden munter

    geteilt.

    (Bild: Screenshot)

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    etwa Change.org die problematischen Inhalte nicht als rassistisch oder rechtsradikal er-kennen und duldete sie lange Zeit.

    Schneeberg wehrt sich auch im InternetAuch die Brgerinitiative aus Schneeberg versucht, mithilfe des Internets neue Anhn-gerinnen und Anhnger zu gewinnen. Die Facebook-Gruppe Schneeberg wehrt sichverfgt ber 3.796 eingetragene Mitglieder (Stand Februar 2014). Wie in der Offline-Weltfungieren auch hier Politiker der NPD wie Stefan Hartung und Nico Illert als Administra-toren. Anders als bei der Seite der BI Marzahn-Hellersdorf dient keine Facebook-Seite,

    sondern eine Gruppe als virtueller Ort um Protest gegen die Ansiedlung kriminellerAsylbetrger in Schneeberg zu formulieren. Whrend Seiten lediglich gelikt werden,tritt man Facebook-Gruppen bei in manchen Fllen entscheiden die Administratorender Seiten erst ber eine Aufnahme in die Gruppe. Schneeberg wehrt sich steht aller-dings allen Facebook-Nutzerinnen und Nutzern offen. Das Bekenntnis, das von einemsolchem Gruppenbeitritt ausgeht, ist dennoch nicht zu unterschtzen.Schneeberg wehrt sich dient vor allem dem Austausch ber vergangene Demonstratio-nen: Selbstgedrehte YouTube-Videos und Fotos sollen die angeblich besondere Stimmungder Schneeberger Lichtellufe belegen. Im Fokus stehen zudem die Aktionen des Br-germeisters und der etablierten Parteien sowie zivilgesellschaftliche und antifaschisti-sche Proteste und das nicht selten auf bizarre Art und Weise: So empren sich nichtwenige Gruppenmitglieder ber die Nazivergleiche, die von Medien und Gegendemons-trierenden gezogen werden. Ein Kommentar weiter verffentlichen unzweifelhafte Neo-nazis Fotos von dem angeblichen gewaltttigen linken Protest, die beweisen sollen, dass

    die Gewalt im Staat gegen die freie Meinung und Mitbestimmung des Volkes von Linksausgeh[e]. In Anbetracht der Tatsache, dass bei dem letzten Schneeberger Lichtellaufein Journalist von Teilnehmern zusammengeschlagen wurde, bei dem Gegenprotest je-doch keinerlei gewaltttige Ausschreitungen stattgefunden haben, ist diese Behauptungschlichtweg falsch. Kommentare von organisierten Neonazis, die jeglichen Gegenprotestals kriminell diffamieren, finden dennoch viel Zustimmung und Verstndnis von Br-gerinnen und Brgern in dieser Facebook-Gruppe.

    Soziale Netzwerke ermglichen niedrigschwellige KontaktaufnahmeGerade die Facebook-Gruppe Schneeberg wehrt sich, die von der NPD ins Leben ge-rufen wurde, verdeutlicht, wie im Internet Neonazis gemeinsam mit Brgerinnen undBrgern gegen die etablierten Parteien und Gutmenschen hetzen. Die Propaganda, diein sozialen Netzwerken verbreitet wird, spiegelt zwar nur Vorurteile und Einstellungenwieder, die auch in der Offline-Welt existieren. Trotzdem knnen Facebook und Co. zurAktivierung von rassistischen Brgerprotesten beitragen. Durch eingerichtete Gruppen,Seiten oder Veranstaltungen wird in krzester Zeit und ohne viel Aufwand eine hoheZahl an Menschen zu Protestaktionen mobilisiert. Die Kontaktaufnahme zu organisiertenNeonazis auf Seiten wie Schneeberg wehrt sich gestaltet sich niedrigschwelliger alsein Besuch beim wchentlichen NPD-Stammtisch. Durch die bewusst brgerliche Insze-nierung von privaten Neonazi-Profilen wird zudem eventuell bestehendes Misstrauengegenber Ideologie und Person beschwichtigt.

    Widerspruch und Flchtlingssolidaritt ist auch im Internet notwendig!Auch die Art und Weise, wie Diskussionen in Kommentarspalten groer und kleinererZeitungen und anderer Website-Betreiber gefhrt werden, verstrkt rassistische Vorur-teile. So gehren eine angebliche Deutschlandfeindlichkeit oder das vermeintliche Pro-blem der Auslnderkriminalitt zu den Standardthemen dieser Seiten, wenn es umdie Wirkungen von Flchtlingsunterknften geht. Das Bedrohungsszenario, das derartaufgebaut wird, schafft einen gefhrlichen integrativen Charakter der Diskussion. Dievorhandenen ngste und Sorgen in der Bevlkerung werden so in rassistische Bahnengelenkt. Hier lesen auch viele Leute mit, die sich (noch) nicht der Neonazi-Szene zuord-nen. Kenntnisreiches Einmischen, Fakten nennen und Mitdiskutieren sind daher sinn-

    voll, um dumpfe Parolen nicht unwidersprochen stehen zu lassen.Wichtig ist es auch, bei jeder Facebook-Diskussion genau hinzuschauen: Wer versteckt

    sich hinter den Kommentaren und wer diskutiert da eigentlich mit wem? Ein kurzerKlick gengt meist schon, um die NPD- oder Kameradschaftszugehrigkeit anhand vonFotos und Gefllt mir-Angaben auf Profilen zu erkennen. Genauso gut lsst sich durchdiese kurze Recherche auch erkennen, ob da ein ganz normaler Brger rassistische Pa-rolen verbreitet oder doch ein berzeugter Rechtsextremer. Durch diese Recherche undEinordnung der Profile kann auch das weitere Vorgehen angepasst werden: Organisier-te Neonazis verfgen ber ein geschlossen rechtsextremes Weltbild und sind somit Ge-genargumenten kaum zugnglich. Personen, die bislang lediglich anradikalisiert sind,knnen hingegen noch hufig fr Diskussionen gewonnen werden. Oft genug hat sichgezeigt, dass reines Unwissen zu rassistischen Vorurteilen gefhrt hat.

    Zudem ist es hilfreich, sich mit anderen Engagierten online zu vernetzen, wie das Bei-spiel der Facebook-Initiative Hellersdorf hilft Asylbewerbern zeigt. Auf dieser Seite, dieber 12.000 Gefllt mir-Angaben hat, wird nicht nur zu Protesten gegen die rassistischeBrgerinitiative aufgerufen, sondern auch zu Spendenaktionen fr die Bewohnerinnenund Bewohner des Heims in der Carola-Neher-Strae. Der Protest in der Offline-Weltfindet somit auch im Internet seine Verbreitung und findet hier groen Anklang. SovielSolidaritt und Engagement zahlen sich aus: Die Helferinnen und Helfer der Initiativewurden Ende Oktober 2013 mit dem Preis der Zivilcourage ausgezeichnet, der jedes Jahrvom Frderkreis Denkmal fr die ermordeten Juden Europas e.V. gemeinsam mit derJdischen Gemeinde zu Berlin verliehen wird.

    Zum Glck formiert sich

    auch im Netz Wieder-

    stand gegen rassistische

    Hetze so etwa auf der

    Facebook-Seite

    Hellersdorf hilft Asyl-

    bewerbern.

    (Bild: Screenshot)

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    Politik, Medien und Zivilgesellschaft nicht alles ist wie frher

    I n den frhen 1990er Jahren betreibt die damalige konserva tive Bundesregierung einestrikte Anti-Asyl-Politik. Fhrende Politiker verbreiten rassistische Parolen, sprechenvon Asylschwemmen und vollen Booten. Auch in den Medien werden derartige Bilderoft unreflektiert bernommen. Das Ergebnis ist eine menschenverachtende Grundstim-mung, die auf politischer Seite in der Drittstaatenregelung und damit der faktischenAbschaffung des Grundrechts auf Asyl mndet. Diese Stimmung findet ihre Eskalation inden gewaltttigen Pogromen in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und in den Mordan-schlgen von Solingen und Mlln. Damals waren es nur wenige, die auf die Verflechtungvon extrem rechten Strukturen und den in der Gesellschaft tief verankerten Rassismusund das darin bestehende Gewaltpotenzial hinwiesen.

    Heute schrecken die rassistischen Proteste vor Flchtlingswohnheimen auf. Sie we-cken Erinnerungen an die 1990er Jahre, an die rassistischen Ausschreitungen und men-schenfeindlichen bergriffe jener Zeit zum Beispiel an die tagelangen, pogromartigenGewaltexzesse vor der Flchtlingsunterkunft Rostock-Lichtenhagen zwischen dem 22.und 26. August 1992. Fr Neonazis haben die Ausschreitungen gegen die Zentrale Auf-nahmestelle fr Asylbewerber und ein Wohnheim fr ehemalige vietnamesische Ver-

    tragsarbeiter noch heute einen besonderen Stellenwert. Bei einer Brgerversammlung inBerlin-Hellersdorf 2013 trugen etwa mehrere teilnehmende Rechtsextreme T-Shirts mitder Aufschrift 22.-26.8.1992 eine eindeutige Anspielung auf die Ausschreitungen vonRostock-Lichtenhagen.

    In Gstrow, einer Stadt in Mecklenburg-Vorpommern, schmierten Unbekannte am 22.April 2013 an das Haus des Brgermeisters die Parole Lichtenhagen kommt wieder im Ort befindet sich ein Flchtlingsheim, das bereits 1992 mit Molotow-Cocktails an-gegriffen wurde. Der Landkreis Gstrow gilt als eine Hochburg der neofaschistischenSzene in Mecklenburg-Vorpommern. Hier organisierte die NPD im Mrz und Mai 2013Demonstrationen gegen die Asylunterkunft mit rund 300 Teilnehmenden. Bei den letztenKommunalwahlen 2009 hatte die rechtsextreme Partei 3,2 Prozent erzielt. Die Opferbe-ratungsstelle LOBBI dokumentierte neben Aufkleber- und Sprhaktionen sowie gezieltenSachbeschdigungen an Gemeinschaftsunterknften auch konkrete Bedrohungen undttliche Angriffe gegen Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkunft.

    Dennoch kann die rassistische Hetze und Gewalt im Jahr 2013 nicht mit den Aus-schreitungen Anfang der 1990er Jahre gleichgesetzt werden. Die rassistisch unterftterteEmprung in Berlin-Hellersdorf, die weitgehend abgefangen werden konnte, ist nichtvergleichbar mit den haltlosen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen und die Droh-gebrden von Neonazis bei den Lichtellufen von Schneeberg sind nicht gleichzusetzenmit der exzessiven Gewalt, der die Vietnamesinnen und Vietnamesen in Hoyerswerdavor den Augen der Polizei ausgesetzt waren.

    Die flchtlingspolitische Ausgangssituation erinnert dabei durchaus an den BeginnDer Protest gegen Flchtlingsunterknfte scheint einem Muster zu folgen: On- und Offline-

    Aktivitten zeigen sich dabei eng miteinander verknpft.

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    der 1990er: Die Flchtlingszahlen steigen sprunghaft an, Kommunen mssen in kurzerZeit neue Unterknfte finden. Der Grund: Die Flchtlingszahlen schwanken immer undsteigen nach Jahren der Abnahme gerade an, jedoch in deutlich geringerem Ma alsAnfang der 1990er. Da die Kommunen ber Jahre hinweg keine Unterbringungskonzepteentwickelt haben, mssen sie nun in kurzer Zeit neue Unterknfte finden. Grounter-knfte, in denen je nach Ortsgre 50, 100 oder sogar mehr Menschen gemeinsam un-terkommen sollen, machen Flchtlinge im ffentlichen Raum wieder deutlich sichtbar Neonazis, die in ihren berfremdungs-Szenarien an den gefhlten (und manchmalauch von den Medien sogenannten) Flchtlingsansturm anknpfen knnen, nehmen

    das Thema dankbar auf. Die gesellschaftliche Realitt indes ist heterogen, die schlichtenBotschaften verbreiten sich heute nicht so ungehemmt wie damals.

    Politik macht VorurteileInsgesamt erhalten rechte Parteien wie die NPD, Pro Deutschland und andere inDeutschland vergleichsweise geringe Resonanz. Problematisch wird es immer dann,wenn rechtspopulistische Positionen von etablierten Parteien aufgegriffen werden. An-fang der 1990er, als die Zentrale Aufnahmestelle in Rostock-Lichtenhagen angegriffenwurde, uerte sich der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) zum Themades Asylmissbrauchs auf einer Pressekonferenz in Rostock: Wir mssen handeln ge-gen den Missbrauch des Asylrechts, der dazu gefhrt hat, dass wir einen unkontrollier-ten Zustrom in unser Land bekommen haben von Menschen, die aus wirtschaftlichenGrnden zu uns kommen und nicht weil sie politisch verfolgt sind.

    Seiters Aussage steht sinnbildlich fr eine Kampagne, die zu jener Zeit parteibergrei-

    fend gefahren wurde. Doch auch heute gibt es bedenkliche Stimmen: So erklrte etwa am15. Juli 2013 der amtierende Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) angesichtsder gestiegenen Asylantragszahlen in einer Pressemitteilung, nun msse der Aufenthaltderer, die nur aus missbruchlichen oder asylfremden Grnden zu uns kommen, schnellbeendet werden. Er grenzte sie von den tatschlich Schutzbedrftigen ab und unter-stellte so, der Anstieg der Asylantrge sei mageblich auf Asylmissbrauch zurckzufh-ren. Unerwhnt blieb die Tatsache, dass die Hauptherkunftsgebiete der Asylsuchenden zum Beispiel Syrien, Afghanistan, Nordkaukasus, Iran berwiegend geprgt sind vonKrieg, Gewalt und/oder einer katastrophalen Menschenrechtslage. Stattdessen fttertendie Missbrauchs-Unterstellungen den rassistischen Protest.

    Glcklicherweise erhlt auch ein Bundesinnenminister heutzutage fr seine Thesennicht mehr eine derart unreflektierte Zustimmung von Parteien und Medien wie vor20 Jahren. Politikerinnen und Politiker sowie die Medien haben dazugelernt. Und sogibt es auch zahlreiche Faktenchecks, die allzu schlichte Thesen entlarven, es gibt Wi-derspruch und Distanzierung, und es gibt seit einigen Jahren berdies teilweise eineengagierte, unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten ausgeleuchtete Darstellung vonFlchtlingsschicksalen auch in wichtigen Leitmedien.

    Natrlich berichten in Zeiten, in denen das Thema Flchtlinge Konjunktur hat, auchsolche Medien darber, die wenig Expertise haben und falsche Behauptungen und rassis-tische Bilder gegebenenfalls unbewusst bernehmen. Hier steht die Politik in besondererVerantwortung vor allem auch auf der lokalen Ebene. Es ist fr das allgemeine Emp-finden enorm wichtig, ob ein Brgermeister die steigende Zahl von Flchtlingen beklagt

    und damit Flchtlinge indirekt selbst fr Unterbringungs-Engpsse verantwortlich machtoder ob er ein Problem sachlich und lsungsorientiert angeht. Und es macht auch in derSignalwirkung einen Unterschied, ob versucht wird, Flchtlinge mglichst in normalenWohnungen unterzubringen oder ob man von vornherein Massenunterknfte plant. Gera-de die zentrale Unterbringung von Flchtlingen grenzt diese sichtbar aus der Gesellschaftaus und macht sie zum potenziellen Angriffsziel. Darber hinaus signalisiert etwa dieSachleistungsversorgung (beispielsweise wenn Flchtlinge an der Supermarktkasse mitGutscheinen statt Bargeld zahlen mssen), dass ihre Gleichwertigkeit in Frage gestellt ist.

    Wenn Flchtlinge ffentlich diffamiert werden, ist es wichtig, dass Politikerinnen und

    Politiker sich unmissverstndlich von Diskriminierung und rassistischen Denkmusterndistanzieren. In vielen Stdten Deutschlands gibt es heute das gemeinsame Bemhenvon Politik, Verwaltung und Brgerinnen und Brgern, nicht nur fr eine menschenwr-dige Unterbringung von Flchtlingen zu sorgen, sondern darber hinaus eine Willkom-menskultur und Integrationspolitik zu etablieren, die Rassismus und Ausgrenzung vonvornherein das Wasser abgrbt.

    Eine starke Zivilgesellschaft ist der Schlssel gegen RassismusAnders als in den 1990ern gibt es auch eine Zivilgesellschaft, die gut aufgestellt und ver-netzt ist und sich klar gegen rassistische Mobilmachung positioniert. Es ist zuletzt einembreiten Netzwerk von Initiativen, Flchtlingsorganisationen und engagierten Einzelper-sonen zu verdanken, dass in vielen Stdten Diskussionen nicht nur um die Betroffenheitder Bevlkerung kreisen, sondern die Solidaritt mit den Flchtlingen und ihre Schick-sale in den Fokus rckt.

    Oftmals ist es zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren, dem ffentlichenDruck und der Politik zu verdanken, dass es einen Gegenpol zu den rassistischen Paro-len gibt. Diese Gegenstimmen haben in Schneeberg gefehlt. Es wird nicht ber eine sinn-volle, humane Unterbringung und Flchtlingspolitik diskutiert, sondern ausschlielichber die Sorgen und ngste der Anwohnerinnen und Anwohner. So bleiben die Schicksa-le der geflchteten Menschen im Dunkeln, sie erscheinen als anonyme Masse, Empathieund Solidaritt bleiben auf der Strecke.

    Nicht selten bilden sich erst Bndnisse gegen Vorurteile und Rassismus, wenn es umdas Image eines Ortes geht. In Schneeberg positionierte sich der Brgermeister FriederStimpel (CDU) in Reden gerne gegen die NPD und bezeichnete den Ort als weltoffen. Docherst als in der Touristeninformation der 15.000-Einwohner-Stadt Briefe eintrafen, in denenpotenzielle Gste wegen des Nazi-Images von einem Besuch absahen, wurde die Initiati-ve Schneeberg fr Menschlichkeit gegrndet. Den mglichen Schaden, den Gaststtten,Hotelgewerbe, Dienstleistung und Einzelhandel zu spren bekommen knnten, wollte derBrgermeister nach eigenen Angaben durch die Grndung der Initiative vermeiden. DieSorge um das Image von Schneeberg und die Auswirkungen auf den Tourismus stehen alsoim Fokus der Bemhungen nicht aber die Solidaritt mit den betroffenen Flchtlingen.

    Rassismus hat viele GesichterRassistische Vorurteile gegen Flchtlinge sind kein Problem von marginalisierten Bevl-kerungsgruppen menschenverachtende Einstellungen sind in allen sozialen Struktu-ren und Milieus vorzufinden. Rassismus passt sich seiner Umgebung an und findet eine

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    seiner Umwelt entsprechende Ausprgung: So uert er sich in privilegierten Gegendenetwa darin, dass mit angeblich sinkenden Gr undstckswerten argumentiert wird, sobaldes um ein Flchtlingsheim geht. Der eigene Wohlstand wird durch die Geflchteten alsbedroht angesehen oder aber sie werden als unproduktiv betrachtet Forderungennach Ausschluss von sozialen Leistungen werden laut.

    In Gegenden mit einer hohen Arbeitslosigkeit rckt die eigene missliche Lage in denVordergrund der Debatte: Warum kmmert sich jemand um die Asylbewerber, abernicht um uns? ist ein in Berlin-Hellersdorf oft gehrtes Argument. Geflchtete werdenals Mitverursacher sozialer Ungleichheiten und als konomische Last betrachtet, unter

    denen die Brgerinteressen zu leiden htten.Es findet eine Verschiebung der Problemlage statt: Anstelle der Thematisierung so-zialer und wirtschaftlicher Missstnde vor Ort wird die Flchtlingsthematik in denVordergrund gerckt und eine sachliche Auseinandersetzung verhindert. Dadurch tre-ten altbekannte Muster auf, in denen Flchtlinge als Sndenbcke fr verfehlte Wirt-schafts- und Sozialpolitik herhalten mssen.

    Unsicherheiten und ngste ernstnehmenRechtsextreme und Rechtspopulisten nutzen Unwissenheit, aufkommende ngste undVorurteile, um diese in rassistische Argumentationsmuster zu gieen. Dort, wo es Unzu-friedenheit und Skepsis gegenber der Politik gibt, bieten sie scheinbare Lsungen anund stellen sich als Alternative zu den etablierten Parteien dar. Mit allzu schlichtenoder gar falschen Behauptungen ber Armutszuwanderung versuchen sie etwa, Erkl-rungen zu politisch komplexen Problemen wie der Eurokrise zu liefern und transportie-

    ren gleichzeitig ihre rassistischen Inhalte.Eine sachliche Debatte fehlt in vielen Orten vllig, oftmals trifft Unwissenheit auf ras-

    sistische Ressentiments und emotionale Vorbehalte. Flchtlinge werden zu einer einheit-lichen Gruppe zusammengefasst, kriminalisiert und als fremd stigmatisiert. Dadurchentstehen identittsstiftende Momente: Der Zusammenhalt untereinander wchst, da dasFeindbild des Flchtlings klar umrissen ist.

    Die ngste und Unsicherheiten der Brgerinnen und Brger sollten ernst genommenwerden und zwar im Hinblick auf das dahinter stehende Potential vorurteilsgeprgterAnnahmen. Denn hufig sind es stereotype Bilder und manipulierte ngste, die rassisti-sche Haltungen bedienen sowie tief sitzende rassistische Vorurteile, die bei den Protes-ten in Erscheinung treten. Diese sind nicht gleichzusetzen mit neonazistischer Ideologie,doch schaffen sie einen Nhrboden, auf dem NPD und andere extrem rechte Strukturenproblemlos aufbauen knnen. Die Aufklrung ber die Not von Flchtlingen, die Interes-sen und Politik der Festung Europa, das Asylrecht und die Lebenssituation von Flcht-lingen in Deutschland sind gerade derzeit enorm wichtig, um der Ausbreitung plumperVorurteile entgegenzuwirken.

    Zur Prvention gehrt unbedingt die Bildung: die frhzeitige und sachliche Informati-on ber die Fakten, zum Beispiel zur Einwanderungsgesellschaft, zur Flchtlingssituationund zu Menschenrechten. Sie sollte nicht nur einschlgig aktiven Vereinen oder akut aufden Plan gerufenen antirassistischen Gruppen berlassen bleiben, sondern generellerBestandteil der Erziehung in Kindergrten, Schulen oder in der Erwachsenenbildungsein.

    Asylsuchende werden als rechtlose,als illegale Menschen betrachtet

    P rof. Dr. Andreas Zick ist Direktor des Instituts fr interdiszi-plinre Konflikt- und Gewaltforschung der Universitt Biele-feld. Der Forscher arbeitet unter anderem seit 2002 an der Lang-zeitstudie zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit mit. ImInterview erlutert er die gesellschaftliche Grundlage und die

    sozialpsychologischen Dynamiken der aktuellen Feindschaft ge-genber geflchteten Menschen.

    Laura Piotrowski:Wie weit verbreitet ist menschenverachtendes Gedankengut imAlltag?Prof. Dr. Andreas Zick:Seit 2002 messen wir in der Studie zu gruppenbezogener Men-schenfeindlichkeit die Einstellungen in Deutschland. Dabei erheben wir reprsentativund knnen sagen: Das Ausma von menschenverachtendem Gedankengut ist querdurch alle Bevlkerungsgruppen verteilt, egal ob alt oder jung, arm oder reich. Im Zeit-verlauf sind manche Einstellungen zurckgegangen, wie Sexismus und Homophobie.Aber wir haben einen deutlichen Anstieg von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Islam-feindlichkeit oder der Abwertung von Langzeitarbeitslosen zu verzeichnen.

    Als neue Elemente prften wir im Jahr 2011 die Abwertung von Asylsuchenden sowievon Sinti und Roma. Beide Themen geraten durch die derzeitige politische Entwicklung

    in Nordafrika und die EU-Osterweiterung in den Fokus. Aktuell ist eine strkere Zuwan-derung aus diesen Gebieten zu verzeichnen. In der deutschen Bevlkerung schlgt sichdas sehr kritisch nieder. Hier stimmt fast die Hlfte der Menschen der Aussage zu Diemeisten Asylbewerber befrchten nicht wirklich, in ihrer Heimat verfolgt zu werden.Ebenso denkt fast die Hlfte der Menschen Sinti und Roma neigen zur Kriminalitt.

    Aus welchen Grnden steigt die rassistische Ablehnung, von der ja die AblehnungAsylsuchender ein Element ist?Wir mssen uns eher fragen, warum etwas nicht ansteigt. In Bezug auf Sexismus undHomophobie streben alle gesellschaftlichen Ebenen Diskriminierungsschutz an. Es gibtlangjhrige Programme und eine verstrkte Sensibilisierung. Hier greifen gesellschaftli-che Schutzmechanismen.

    Bei der Feindlichkeit gegenber Minderheiten, wie Behinderten wohnungslosen Men-schen, Asylsuchenden oder eben Sinti und Roma zeigt sich hingegen ein deutlicher An-stieg. Diese Gruppen sind gesellschaftlich weniger geschtzt und in der Meinung Vielerauch weniger wert. Allein ein Drittel der Bevlkerung beurteilt Menschen nach ihremkonomischen Mehrwert. Und auch hier zeigt sich durch die Wirtschaftskrise ein An-stieg. Menschen reagieren individuell auf Krisenprozesse, machen persnliche Desinte-grationserfahrungen, es kommt zu sozialer Entsicherung. Das ist nach jeder Wirtschafts-krise so. Sobald es wieder etwas zu verteilen gibt, steigt die Angst, selbst nichts zu habenoder seinen gesellschaftlichen Status zu verlieren.

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    Wie sind nun aber die Ausschreitungen und wochenlangen Proteste gegen die Auf-nahme von Flchtlingen einzuordnen?Hier wiederholt sich die Flchtlingsdebatte aus den 1990er Jahren. Es gibt massive Vor-urteile gegen angebliche Wirtschaftsflchtlinge. Die negativsten Einstellungen kommenaus den hchsten Bildungsschichten. Das ist paradox! Normalerweise tritt bei den Hoch-gebildeten der Effekt ein, dass sie wissen, ob eine Frage auf Rassismus abzielt und dannsozial erwnscht antworten. Aber in Bezug auf Asylsuchende und Roma zeigt sich das garnicht. Besonders diese beiden Gruppen werden als rechtlos, als illegal betrachtet und sindso in der sozialen Hierarchie auf der untersten Stufe. Wer als rechtlos betrachtet wird, ist

    auch schutzlos. Das erleichtert Vorurteilsbildung und auch Angriffe auf diese Menschen.Wir haben hier eine Art Kreislauf: Jemand wird vom Staat rechtlos gemacht, dadurchist er schutzlos, die Gesellschaftsmitglieder nehmen ihn als rechtlos wahr und behandelnihn dann eben auch wie eine illegitime Person. Auerdem betreffen diese Vorurteile eineungemein heterogene Gruppe. Das ldt zu starker Verallgemeinerung ein. Hier fehlenbesonders Kontakte und Erfahrungen mit den Betroffenen. Die meisten Menschen, dieVorurteile gegen Flchtlinge haben, kennen selbst niemanden aus dieser Gruppe per-snlich. Ein weiteres groes Problem ist die gesonderte Unterbringung von Asylsuchen-den. Wenn Menschen an bestimmten Orten konzentriert werden, wirken sie besondersmarginalisiert und sind so schutzloser, man stimmt dann viel leichter Diskriminierungs-handlungen zu. Die Menschenfeindlichkeit gegenber Flchtlingen reproduziert so, wasstaatlicherseits vorgegeben wird. Und dann greifen auch gesellschaftliche Schutzmecha-nismen nicht.

    Wenn eine Kommune schlecht auf die Aufnahme von Flchtlingen vorbereitet ist, ge-

    staltet sich der Prozess als unkontrolliert, unklar und ungeschtzt. Die Politik wirkt, als obsie nicht funktionieren wrde, berfordert wre. Allgemein wird Flucht immer als eine Be-lastung, als ein Problem fr unsere Gesellschaft kommuniziert. Medial und auch politischvermittelte Bilder von einer sogenannten Flchtlingsflut oder Armutseinwanderungsind von vornherein negativ und erleichtern die Stereotypenbildung auf der individuellenEbene. Menschen, die gegen Flchtlinge eingestellt sind oder einfach wie ein g rerer Teilder Bevlkerung dazu noch unentschlossen sind, kann man dann leichter beeinflussen.Sie fhlen sich von den staatlichen Institutionen allein gelassen und desinformiert, daskann eine gesellschaftliche Normalisierung der persnlichen Stereotype bewirken.

    Wenn die Analyse diesbezglich so klar ist, welche Lsungen knnen Sie vor-schlagen?Wir brauchen eine klare staatliche Linie fr die Aufnahme von Flchtlingen. Asyl istein Menschenrecht. Dazu bedarf es einer umfassenden Integrationsarbeit. Es ist enormwichtig, auch wenn die Menschen wieder abgeschoben werden sollten. Aber fr die Zeit,in der sie da sind, mssen sie in die Gesellschaft integriert werden. Mit einem guten In-tegrationskonzept lassen sich Vorurteile abbauen.

    Das Gesprch fhrte Laura Piotrowski.

    Das Leiden der Betroffenen darf nichtweggeredet werden

    Wir haben die Proteste gesehen. Die Leute sind direkt hierher gekommen.Wir haben gesprt, dass die Leute uns hier nicht haben wollen.

    Wir hatten Angst vor ihnen, Angst, auf die Strae zu gehen.(Zahira Alaya*, Bewohnerin der Flchtlingsunterkunft in Greiz, auf die Frage, wie sie die

    Proteste gegen das Haus erlebt hat, *Name von der Redaktion gendert)

    I n ganz Deutschland knnen Flchtlinge zu Opfern rechter Gewaltwerden. Diese Gefahr reicht vom Aufbau schwerer Bedrohungs-szenarien bis hin zu konkreter krperlicher Gewalt. Christina Btt-ner von ezra(www.ezra.de), der mobilen Beratung fr Opfer rechter,rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thringen, erlebt tag-tglich, welche Folgen dies fr die Betroffenen hat. Im Interviewspricht sie ber Mehrfachtraumatisierungen, das Verhalten der Po-lizei und die Rolle der Beratungsstellen.

    Alice Lanzke: Wie uert sich rechte Gewalt gegen Flchtlinge?Christina Bttner:Wir beobachten verschiedene Formen der Gewalt. Da gibt es zumeinen Tterinnen und Tter, die aus rassistischen Motiven Menschen angreifen, die nichtwei sind. Fr die Tterinnen und Tter ist die Hautfarbe das Signal, sich ihnen gegen-

    ber aggressiv zu zeigen ihnen deutlich zu machen, dass sie nicht willkommen sind.Flchtlinge erzhlen uns auch von gezielten Angriffen gegen Asylunterknfte bzw. ihreBewohnerinnen und Bewohner.

    Daneben erleben Flchtlinge aber auch Alltagsrassismus, werden etwa von Security-Personal nicht zu Veranstaltungen hineingelassen, in Lden nicht bedient oder beleidigt.Solche Erfahrungen bekommen wir besonders hufig von Asylsuchenden berichtet, dienicht wei sind meistens in der Begegnung mit Menschen, die Macht ausben.

    Flchtlinge berichten uns aber auch von Racial Profiling-Erlebnissen durch Polizei-beamtinnen und -beamte. Die Polizei erklrt hierzu immer, sie erflle nur ihre Pflicht etwa in Zusammenhang mit der Kontrolle der Einhaltung der Residenzpflicht. Wie oftwird bei weien Deutschen der Ausweis kontrolliert? Nicht weie Menschen machendiese Erfahrung stndig und nehmen natrlich den Unterschied wahr.

    Wie erleben Flchtlinge denn generell das Verhalten der Polizei?Da gibt es ganz unterschiedliche Erfahrungen. Es liegt eben immer sehr an den Men-schen. Viel zu oft wird aber leider einseitig ermittelt. Ein Beispiel: Ein Asylsuchenderwurde von einer Gruppe von Mnnern vor einem Einkaufscenter zusammengeschlagen.Der Betroffene wehrte sich mit Pfefferspray, welches von der Polizei dann auch sicherge-stellt wurde. Tatschlich wurde gegen den Flchtling Anzeige erstattet und die Polizeiermittelte zunchst nur in diese Richtung. Weder wurde das Videomaterial des Einkaufs-zentrums als Beweismittel herangezogen, noch der Betroffene selbst befragt, der nocheinige Zeit im Krankenhaus lag. Gemeinsam mit seiner Anwltin konnten wir die Polizei

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    allerdings schlielich dazu bewegen, in beide Richtungen zu ermitteln auch wenn derTatvorwurf gegen ihn erst einmal bestehen bleibt. Diese Tatumkehr erleben viele Flcht-linge bzw. Opfer rassistischer Gewalt generell: Obwohl die Verletzungsfolge eindeutig ist,ermittelt die Polizei zunchst gegen die Betroffenen. Gerade, wenn ein Flchtling schoneinmal auffllig geworden ist, etwa in Zusammenhang mit seinem Aufenthaltsstatus,fhrt das oft dazu, dass er als Tter behandelt wird und sich dann hufig auch so fhlt.Hier findet also eine Verschiebung statt.

    Ein anderer Fall, der mir dazu einfllt, betrifft zwar keinen Flchtling, beschreibt abereine Erfahrung, die viele Flchtlinge machen: Ein auslndischer Student, der schwarz

    ist, wurde zum Opfer rechter Gewalt und rief die Polizei. Deren Ermittlungsarbeit warzwar sehr gut sie haben aber zunchst ausgiebig seinen Aufenthaltsstatus geprft. Dashinterlie bei dem Betroffenen natrlich ein komisches Gefhl.

    Und das erleben Flchtlinge auch so?Ja, das bekommen wir oft zu hren: Sie rufen die Polizei und es ist ganz k lar, wer verletztwurde etwa weil jemand blutend am Boden liegt. Und anstatt sofort zu helfen, kont-rolliert die Polizei erst einmal die Ausweispapiere. Hier wre eine sensiblere Vorgehens-weise wnschenswert. Das kann zum einen durch Schulungen passieren, zum anderensollten die Beamtinnen und Beamten Beratungsstellen oder andere Institutionen hinzu-ziehen, die Erfahrungen mit Opfern rechter Gewalt haben. Hier wren bessere Koopera-tionen hilfreich. Natrlich hat die Polizei bestimmte Zwnge bei der Ermittlungsarbeit,aber Kleinigkeiten knnten groe Unterschiede machen.

    Kommen denn berhaupt alle Flle von rechter Gewalt gegen Flchtlinge zurAnzeige?Nein. Ich denke, dass die Dunkelziffer in Deutschland viel hher ist. Fr Thringen kannich das mit Bestimmtheit sagen.

    Woran liegt das?Es gibt verschiedene Grnde. Zum einen ist die Vernetzung zwischen den verschiede-nen Stellen nicht gut genug. Von der Polizei wissen wir, dass sie oft nicht hinreichendbert darauf hinweist, wo Betroffene weitergehende Hilfen finden knnen. Aber auchdie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gemeinschaftsunterknfte fr Asylsuchendeverweisen nicht an die entsprechenden Stellen. Viele Flchtlinge wissen eben nicht, anwen sie sich wenden knnen. Hinzu kommen die schlechten Erfahrungen, die sie hufigin ihren Heimatlndern gemacht haben. Oft sind sie schon traumatisiert durch die Situ-ation, die zur Flucht gefhrt hat und Erlebnisse auf der Flucht, dann kommt es zu einerMehrfachtraumatisierung. Zudem verfgen Asylsuchende ber wenig Ressourcen undSicherheit, andere belastende Faktoren sind das Asylverfahren und existenzielle Sorgen.Manchmal leiden die Flchtlinge dazu noch unter ganz unguten Wohnbedingungen undhaben dann teilweise nicht einmal die Mglichkeit, woanders hinzureisen, um sich Hilfeund Untersttzung zu suchen.

    Gibt es denn im Umfeld jeder Flchtlingsunterkunft ausreichend Hilfsangebote?Das kommt sehr darauf an, wo sich die Unterkunft befindet. Manchmal gibt es gar keine

    Ansprechpartner. In ganz kleinen Orten kann vielleicht die Kirche ein Anlaufpunkt sein wenn es denn dort jemanden gibt. Je abgelegener die Unterknfte sind, umso schlech-ter ist die Beratungssituation. Dabei ist gerade bei diesen Unterknften die Gefahr, ange-griffen zu werden, grer.

    Wichtige Partner sind Organisationen, die Asylsuchende untersttzen, wie der Flcht-lingsrat, Refugio, Migrationsberatungsstellen und auch Politikerinnen und Politiker, dieGewalt gegen Flchtlinge wahrnehmen und ansprechen.

    Knnten sich Flchtlinge denn nicht an die Leitung der Unterknfte oder deren Mit-

    arbeiterinnen und Mitarbeiter wenden, wenn sie angegriffen werden?Von dieser Seite haben wir noch nie etwas gemeldet bekommen. Hier gibt es auch nurselten Kooperationen. Aus meiner Sicht liegt das an berforderung, Desinteresse undmanchmal auch an einem mangelnden fachlichen Background und damit einhergehendfehlendem Wissen.

    Sind die Erfahrungen mit der Staatsanwaltschaft da besser?Im Prinzip knnen wir hier nichts Aufflliges beobachten. Man kann allerdings davonausgehen, dass ein Verfahren, wenn wir die Betroffenen begleiten, fr sie weniger belas-tend ist. Wir strken die Betroffenen dadurch, dass sie nicht allein zu Polizei und Gerichtgehen mssen und dass wir ihnen die Ablufe erklren knnen. Und dann sind wirnatrlich auch unabhngige Beobachter der Ermittlungsarbeit und schaffen ein Stckmehr ffentlichkeit. Die Betroffenen bewegen sich so viel sicherer. Wir helfen auch mitDolmetschern und nehmen uns Zeit, jeden Teil der Ermittlung und jedes Gesprch genau

    zu erklren.

    Was passiert berhaupt, wenn sich ein Flchtling nach einem rechten bergriff beiezra meldet?Wir erfragen erst einmal, wie es dem Betroffenen geht und welche Art der Untersttzunggerade ntig ist. Nach der Schilderung der Vorflle klren wir ber juristische Mglich-keiten auf und kommen dann zu den Zielstellungen der Betroffenen: Wnschen sie Be-gleitung zur Polizei, finanzielle Untersttzung oder psychologische Hilfe?Wir fragen auch immer, ob wir den Vorfall dokumentieren drfen, um ihn in unsereChronik aufzunehmen.

    Was wre nun insgesamt wnschenswert, um die Situation von Flchtlingen als Be-troffenen rechter Gewalt zu ndern?Ich wrde mir wnschen, dass Betroffene nicht allein bleiben mssen, dass man Proble-me benennen kann und das Leiden der Betroffenen anerkannt wird und nicht aus Sorgeum das Image eines Orts weggeredet oder verschwiegen wird. Wir mssen auch sehen,was hinter jedem rassistischen bergriff steht denn nur, wenn man das Problem dahin-ter erkennt, kann man Strategien dagegen entwickeln.

    Das Gesprch fhrte Alice Lanzke.

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