ferdinand tonnies die lehre von volksversammlungen und die urversammlung in hobbes' leviathan

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DIE LEHRE VON DEN VOLKSVERSAMMLUNGEN UND DIE URVERSAMMLUNG IN HOBBES' LEVIATHAN Author(s): FERDINAND TÖNNIES Source: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft / Journal of Institutional and Theoretical Economics, Bd. 89, H. 1. (1930), pp. 1-22 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40745524 . Accessed: 02/07/2014 16:36 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft / Journal of Institutional and Theoretical Economics. http://www.jstor.org This content downloaded from 134.93.77.199 on Wed, 2 Jul 2014 16:36:49 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Sociologia. Hobbes.

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  • DIE LEHRE VON DEN VOLKSVERSAMMLUNGEN UND DIE URVERSAMMLUNG IN HOBBES'LEVIATHANAuthor(s): FERDINAND TNNIESSource: Zeitschrift fr die gesamte Staatswissenschaft / Journal of Institutional andTheoretical Economics, Bd. 89, H. 1. (1930), pp. 1-22Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40745524 .Accessed: 02/07/2014 16:36

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  • I. ABHANDLUNGEN.

    DIE LEHRE VON DEN VOLKSVERSAMMLUNGEN

    UND DIE URVERSAMMLUNG IN HOBBES' LEVIATHAN.

    Von

    FERDINAND TNNIES.

    I. Es ist eine allgemeine Erfahrung, da Menschen aller Art

    irgendwie aus irgendwelcher Ursache sich sammeln, sei es unter freiem Himmel, sei es in irgendwelchem Rume. Diese An- sammlungen, die oft auch in einzelne Gruppen sich verteilen, bedeuten nichts als krperliche Annherungen, die es bewirken, da solche Mengen, Haufen oder Gruppen, auch je als ein Ganzes erscheinen und es ist dadurch das Miverstndnis entstanden, da sie als solche eine Erscheinung im soziologischen Sinne dar- stellen und sogar die allgemeinste un.d wesentliche, whrend in Wahrheit das soziologische Interesse erst anhebt wo innere psychische Zusammenhnge zwischen Menschen nachweisbar sind, mgen sie in solchen biologischer Art beruhen oder nicht. Das soziologische Interesse an jenen Ansammlungen und Grup- pen beginnt erst da, wo diese mindestens von einem gemeinsamen Gefhl erfllt sind, vollends wenn dies Gefhl als ein Begehren oder Verabscheuen und in ausgeprgtester Weise, wenn es als Wollen und Nichtwollen, also als ein gemeinsames Denken sich kundgibt. Alles dies macht aus der Ansammlung eine Demon- stration. Sie wird zur Versammlung erst, wenn dies Fhlen und Wnschen sich zu einer bestimmten Absicht

    Zeitschrift fr die ges. Staatswissensch. 89. x. I

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  • 2 Ferdinand Tnnies

    und auf einen bestimmten Zweck versammelt und ihrer Kund- gebung eine Form gibt, die dem Wnschen und Wollen Vieler wenigstens den Schein des Wnschens und Wollens einer Einheit, eben der Versammlung, gibt. - Dadurch wird aus der Ansammlung eine Versammlung.

    Ich unterscheide Selbstversammlungen und geladene Ver- sammlungen, unter den geladenen aber private und ffentliche, berufene und gebotene, formlose und frmliche Versammlungen.

    Wenn eine groe Volksversammlung berufen wird, so wei jeder, der davon hrt, da er hingehen darf, sei es auch gegen Erlegung eines Eintrittsgeldes; jeder auch da er nicht hin- gehen mu, wenigstens nicht so, da ihm bestimmte Nachteile drohen bei Versumnis. Dies ist bei gebotenen Versammlungen der Fall: sie sind obligatorisch, wenn auch die Verpflichtung oft leicht genommen wird. Versammlungen jeder Art, Selbst- versammlungen oder geladene, knnen mehr ttige oder mehr denkende, also vorzugsweise redende Versammlungen sein. Die mehr ttigen Versammlungen arbeiten z. B. um Feuer- und Wasserschden entgegenzuwirken, oder zerstren und demolieren um ihre gemeinsame Wut kundzugeben. So knnen sie auch eine wohlwollende Gesinnung kundgeben, z. B. wenn ein Haufe Gleichgesinnter sich versammelt, um einer geschtzten und verehrten Person oder mehreren solchen eine Ovation darzubringen. Immer sind dies Handlungen Vieler, nicht einer Einheit, und Versammlungen dieser Art von bloen An- sammlungen noch nicht wesentlich verschieden. Redende Ver- sammlungen sind nur disputierende oder auch beratende. Als beratende beziehen sie sich auf ein vorgestelltes und etwa be- absichtigtes gemeinsames Wollen der Versammelten. Das mindeste Erfordernis dafr ist der frmliche Charakter der Versammlung, d. h. sie mu in einem Vorsitzenden oder einem Vorstand, der zusammensitzt und dem der Vorsitzende angehrt, ihre Einheit haben, also einer Leitung sich erfreuen und mindestens eine Entschlieung (Resolution) zu fassen fhig sein. Sie hat dann die Tendenz einem denkenden menschlichen Individuum gleich- artig, eine Person zu werden. Dieses Werden vollendet sich im vorgestellten Dasein einer ideellen oder abstrakten Versamm- lung, als deren sichtbare Gestalt die jedesmalige in ihrem Namen sich versammelnde oder zusammengeladene Versamm- lung erscheint. Diese ideelle Versammlung wiederum stellt sich

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  • Die Lehre v. d. Volksversammlg. u. d. Urversammlung in Hobbes' Leviathan. 3

    als Organ eines gedachten Ganzen dar, nmlich einer Samt- schaft, d. i. einer nicht geschlossenen und nicht des einheitlichen Wollens und Handelns fhigen Vielheit, oder (eher) eines Ver- bandes, Bundes oder Vereines, der als solcher schon sich konsti- tuiert hat oder konstituiert worden ist als eine Person, so da diese Persnlichkeit ihren einfachsten Ausdruck hat in der ideellen Versammlung oder Generalversammlung ihrer Mit- glieder, als deren konkrete Erscheinungsform dann eben die zu- sammentretende konkrete Versammlung erscheinen soll. Eben- sowohl aber als smtliche Mitglieder, knnen einige erlesene Mitglieder des Verbandes sich versammeln und wenn dies eine gebotene Versammlung ist, so wird die Versammlung solcher erlesener Mnner gleichfalls ein Organ des Verbandes darstellen, und so wiederholt sich hier die Zwiefachheit der ideellen und der realen Versammlung, die dann etwa - je nach der Bedeutung - eine Regierung oder ein Vorstand heit. In unserer Sprache aber pflegt eine solche engere Versammlung Weniger als Sitzung unter- schieden zu werden, whrend es sonst keinen wesentlichen Unter- schied macht, ob versammelte Individuen zusammenstehen oder zusammensitzen, auer da eine Sitzung darauf hinweist, da mit grerer Intensitt und Aufmerksamkeit beraten wird und werden soll.

    Die souverne Volksversammlung der griechischen Polis sa, die der Rmer stand zusammen. Die aristokratische Ent Wickelung Roms als Herrschaft des Senates hat nur in den dorischen Stadtgemeinden ihresgleichen.

    Als einheitliche Person und zugleich Reprsentantin einer ideellen Versammlung, eines Organes, wird die Versammlung fhig, von Rechts wegen zu entscheiden und letztlich zu gebieten und zu verbieten. Sie ist gleich allen Kulturprodukten etwas Gemachtes, ist Menschenwerk, ein Erzeugnis des mensch- lichen Gedankens, wie ein Kunstwerk oder eine Maschine - mge nun solches Schaffen von auen geschehen sein, wie denn ein starker Mann und Herr die Einheit einer Versammlung machen kann, oder was wir als den normalen Fall ansehen mgen, von innen wirkend, indem sie sich selber schafft, sich konstituiert.

    Von weit grerer Bedeutung ist die Versammlung, die als solche eine Person darstellt, zumal in ihrer Eigenschaft als Er- scheinung einer ideellen Versammlung, daher eines bedeu-

    1*

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  • 4 F e r d i n a n d T n n i e s

    tenden Ganzen, als dessen Organ sie ihre Funktionen ausben kann. Die Volksversammlung ist zunchst als eine solche zum Behufe des Zusammenwirkens und etwa des Zusammenkmp- fens eine der wichtigsten Erscheinungen des geschichtlichen Lebens. Sie reprsentiert unmittelbar das gemeinsame Fh- len und Wollen eines Volkes, d. i. einer Gesamtheit, die sich durch Zusammenwesen - als solches bezeichne ich das Be- wutsein der natrlichen Zusammengehrigkeit auf Grund der Abstammung und Verwandtschaft - und Zusammenwohnen verbunden fhlt und wei, also verbunden sein will. Dieser Wille gibt sich regelmig als Wille zur gemeinsamen Wehr, also Abwehr von Feinden und zu gemeinsamem Angriff kund. Dieser Wille ist, je mehr es um die Landesverteidigung sich handelt, um so sicherer gemeinsam und einheitlich, zumal als Versammlung der wehrfhigen und wehrhaften Mnner, die als solche in der Regel bewaffnet sich versammeln, sei es zu kriegerischen Handlungen oder nur zur Vorbereitung und bung. Durch diese Bedeutung ist sie auch ihrem Wesen nach eine politische Versammlung und folglich von altersher in aller Regel auf Mnner beschrnkt, darum weil jene Angelegenheiten, die als Angelegenheiten eines Gemeinwesens dieser am meisten ausgeprgten Art eines Verbandes oder Bundes sich darstellen, entweder unmittelbar im Verhltnis zu andern solchen Gemein- wesen sich darstellen oder doch als Reflexe dieser Verhltnisse erscheinen. - Man kann es auch eine Versammlung nennen, wenn die arbeitsfhigen Dorfbewohner zu gemeinsamer Bestel- lung der Felder (wie sie durch den Flurzwang als eine Folge des ehemaligen gemeinen Besitzes der Feldmark blich gewesen ist und an manchen Orten noch ist) zusammenkommen (von selbst oder durch den Schulzen berufen), aber, wie es das gemeinsame Wollen und Tun in seiner einfachen Bedingtheit darstellt, so bedarf es nicht oder doch viel weniger der Zusammenfassung zu einem Krper oder mehreren solchen, wie dies die Chance des Erfolges im gemeinsamen Kampfe fordert. Daher knnen an solcher Versammlung und solchem Zusammenwirken der Acker- bauer auch Greise, Frauen und ltere Kinder teilnehmen. Ebenso ist es bestellt mit der Kultversammlung zum gemeinsamen Gottesdienst, d. h. in erster Linie zum Behufe desOpferns, deren Ursache darin liegt, da die Hilfe der Gtter zu erlangen und ihre Migunst zu verhten, fr alle Arten gemeinsamen

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  • Die Lehre v. d. Volksversammlg. u. d. Urversammlung in Hobbes* Leviathan. 5

    Handelns wie fr das gesamte gemeinsame Dasein als notwendig erscheint, zumal also fr die Fruchtbarkeit der cker und des Viehs, also auch fr die gemeinsame Pflege und Sorge und vollends fr den gemeinsamen Kampf und Krieg, wofr auch heute noch d er Gott angerufen wird, den die kmpfenden Vlker nicht nur als ein und denselben zu verehren vorgeben, sondern sogar in einer besonderen Gestaltung, die den Frieden auf Erden ge- bracht habe. Etwas anderes sind wieder in der Christenheit die kirchlichen Versammlungen: Konzilien, Synoden, Konversationen und General Assemblies. Der Name der Kirche selber leitet sich von der athenischen Volksversammlung (ecclesia) ab. Kirchliche Versammlungen dieser Art sind den politischen Versammlungen nachgebildet, und erheben sich nur durch die Bedeutung der Kirche ber andere Vereins Versammlungen.

    Ein gewisses Ma der Eintracht und des inneren Friedens ist teils natrlich und ursprnglich, teils als notwendige Bedingung des erfolgreichen Kmpf ens sich aufdringend: darum die Not- wendigkeit, dem Streit vorzubeugen und ihn zu schlichten, auch die einzelnen Mitglieder, die ihn entfachen und in auffallender Weise absichtlich oder fahrlssig den inneren Frieden brechen, zu bndigen und zu warnen. Hier macht sich ein gemeinsames Handeln der vielen gegen die wenigen oder einzelnen auf Grund eines gemeinsamen Entschlusses unmittelbar notwendig. Darum ist die Volksversammlung eine denkende und redende Versamm- lung als Gerichtsversammlung, diese also gleich der Heeresver- sammlung, wenn auch sie sich absondern und auf einen engeren Kreis beschrnken mag : immer Versammlung der freien Mnner, die als solche auch einander gleich sich fhlen im Bewutsein der Zusammengehrigkeit und Genossenschaft, sei es als Klan, als Dorfgemeinde oder als Brgerschaft, in der Regel in allen diesen Gestalten auch als Kultgemeinde und Gerichtsgemeinde.

    Als Kultgemeinde kann sie, wie die historische Erfahrung lehrt, sich zu einer den Erdkreis umspannenden Einheit als Kirche entwickeln, die gleich einem anderen (weltlichen) Gemein- wesen, gleich dem Staat, regiert wird. Die Entwicklung ist aber weit verschieden. D i e K i r c h e verhielt sich anders zur antiken berlieferung als das Reich und vollends als die einzelnen Reiche, die aus dem rmischen sich abspalteten. Die Gemeindeversamm- lungen richteten sich mindest unmittelbar nach dem antiken Vorbilde der regierenden Volksversammlung. - Fr gemeinsame

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  • 6 Ferdinand Tnnies

    Angelegenheiten der Gemeinden treten bald an die Stelle gewhlter Abgeordneter die Bischfe, deren Versammlung - daraus sind die Concilia hervorgegangen, das umfassendste als das kumenische bis 1870 - die entscheidende Instanz in der Kirchen Verfassung blieb. Gegen heftigen Widerstand setzte sich dann das monarchische Regiment in bezug auf dogmatische Fragen durch. Wenn also zu- nchst die Gejneindeverf assung, die das Sektenchristentum und in seinem Sinne auch die Reformation wiederherzustellen versuchte, auf Nachahmung der antiken Volksversammlung beruhte, so ist hingegen die Volksversammlung, die in Altgermanien (und sonst in Europa) den Volkswillen darstellte, mit jener (der antiken) urverwandt: weder die geistliche noch die weltliche Volksver- sammlung hat sich - schon aus ueren Grnden nicht - zu erhalten vermocht. Im geistlichen Wesen ist sie mehr und mehr durch Priesterschaft und Hierarchie, sei es relativ unabhngige oder staatlich resp. monarchisch bedingte, ersetzt worden. Im weltlichen hat der demokratische Gedanke sich erhalten und ist mehr und mehr in die verwandelte Gestalt des Parlaments bergegangen als eines aus allgemeinen Wahlen hervorgehenden Reprsentantenhauses, das der Versammlung des Volkes um so hnlicher zu sein gedacht wird, je freier und gerechter das Prin- zip der Gleichheit jedes mndigen Individuums, mnnlicher und weiblicher, durchgefhrt wurde.

    Es ist als Ergebnis einer langen durch viele Jahrhunderte whrenden Entwickelung zu denken, da eine solche Versamm- lung das Bewutsein gewinnt, so etwas wie ein einheitlicher Kr- per zu s e i n : dies Bewutsein kann nur aus dem Bewutwerden eines als gemeinsam einheitlichen Wollens und Handelns entspringen. Das gemeinsame Wollen und Handeln ist eine ein- fache Tatsache der Erfahrung, so oft wirklich viele insgesamt dasselbe wnschen und wollen und demgem ttig werden. Aber ein einheitliches Wollen setzt, wenn es regelmig und bei gege- bener Veranlassung unmittelbar geschehen soll und in Sachen, wo die Einmtigkeit nicht mehr sich von selbst versteht, voraus, da es nicht an dexn mehr oder minder wahrscheinlichen oder un- wahrscheinlichen Falle allgemeiner bereinstimmung haften bleibe ; denn die Wahrscheinlichkeit des Dissenses ist um so grer, je grer die Menge der zusammenkommenden Individuen, je mehr diese nach Alter, Krften, nach geistigen Qualitten der Erfahrung und des Denkens verschieden sind und je mehr sie sonst gleiche

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  • Die Lehre v. d. Volksversammlg. u. d. Urversammlung in Hobbes' Leviathan. 7

    Mitglieder der Versammlung zu sein verlangen, gleiches Recht in Anspruch nehmen. - Es ist in der Tat ein Problem : wie wird eine Versammlung willens- und handlungsfhig ? Insbesondere : wie ge- langt sie regelmig zu einem bestimmten positiven oder nega- tiven Beschlsse? Die Lsung dieses Problmes liegt zu- nchst gegebenenfalles darin, da nur wenige anders wollen und trotz ihres Anderswollens mithandeln, als ob sie mitwollten, sei es gezwungen und aus Furcht vor Schaden durch ihre Weigerung, sei es da ihr Widerstreben durch das gemeinsame Streben der anderen berwltigt und zum Schweigen gebracht wird. So ist als uralte Erscheinung solchen berstimmens das gemeinsame Geschrei vieler oder (wie in einer Versammlung bewaffneter Mnner natrlich) das Klirren mit den Waffen, Kundgebung eines Willens, der sich als mchtig, ja den etwa anderswollenden Genossen gegenber als unwiderstehlich bezeugen und bewhren will oder soll. Das Getse Vieler berstimmt die Willens- und Meinungsuerungen der Wenigen. Aber diese rohe und ursprng- liche Form einer Willensbildung durch Mehrheiten, von denen Minderheiten fortgerissen werden, oder denen diese sich fgen, ist noch weit entfernt von einer regelmigen Gestaltung der Abstimmung, wobei allen Beteiligten das Prinzip bewut ist, da der Wille einer Mehrheit als der Wille aller Versammelten, und dadurch als der Wille der Versammlung selber, gelten solle, die alsdann und eben dadurch als ein - gleich dem einzel- nen erwachsenen Manne - willens- und handlungsfhiges Sub- jekt, als eine Person gedacht wird. Als schlieliches Ergebnis ist dies fast von selbst verstndlich geworden, gleichwie eine gemeinsame Wahrnehmung vieler, als wahrgenommener Gegen- stand, wenigstens in den Hauptmerkmalen als von selbst verstndlich gilt. ber dies auerordentlich wichtige Ergebnis ist hin und wieder von Beobachtern und Denkern geredet und ge- schrieben worden : die Frage des Maj orittsprinzips fr eine Versammlung. Gierke hat offenbar recht, wenn er meint, man sei ursprnglich des spezifischen Unterschiedes zwi- schen Gemeindebeschlu und gemeinsamer Willensvereinigung in keiner Weise sich bewut gewesen. Er konstatiert, da im Mittel- alter fr alle genossenschaftlichen Angelegenheiten die in Son- derrechte eingriffen, nur einstimmige Beschlsse wirksam zu werden pflegten ; wo aber dies nicht der Fall war, habe die Geltung des Stimmenmehrs festgestanden. Wenn ehe-

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  • 8 Ferdinand Tnnies

    mais der strkere Teil den schwcheren in seinen Willen gewalt- sam hineingezwungen hatte, so war die Anerkennung des Majo- rittsprinzips nichts weiter als die Verwandlung des tatschlichen Zwanges in einen Rechtszwang: wo er als Recht schlechthin die bewut gewollte Regel verstanden hat. H. Delbrck beklagt, da, so fundamental heute das Majorittsprinzip sei, man in der staatswissenschaftlich-philosophischen Literatur doch sehr wenig darber finde und zwar aus dem durchschlagenden Grunde, da sich wirklich nicht viel darber sagen lt. Da auf Seiten der Majoritt immer die grere Klugheit sein msse, lasse sich nicht wohl behaupten der einzige Grund fr ihre Herrschaft ist, da die grere Masse auch die grere Macht darstellt. - Ich habe mich ffentlich gegen diese Meinung gewandt und darauf hingewiesen, da das Majorittsprinzip keineswegs allein und keineswegs am hufigsten da wirke, wo groe Mengen abstim- men. Sondern es wirkt tglich in jedem Kollegium, in jedem Gerichtshof, sobald er von 3 oder 5 Personen gebildet wird; dies hat offenbar seit vielen Jahrhunderten gegolten, lngst ehe man daran dachte, eine Million oder Millionen von Menschen irgendwelche Entscheidung treffen, irgendeinen Beschlu fas- sen zu lassen. Ich wiederhole, da der Begriff der Gleichheit den Ausschlag gibt, wenn einmal der Gedanke der willensfhigen Krperschaft und also ihrer Einheit magebend wurde. Es ist offenbar, da solche Einheit am reinsten sich darstellte durch vollkommene Einmtigkeit; demnchst aber um so vollkomme- ner je strker das bergewicht einer Seite ber die andere. Der Gedanke der Gleichheit der beteiligten Mitglieder wird um so leichter sich einstellen, je mehr er durch deren Beschaffen- heit nahegelegt ist, z. B. durch die Tatsache des gleichen Ge- schlechtes, der gleichen Abstammung, also der Bruderschaft, auch in weitem Sinne des gleichen Berufes, des gleichen Standes und Ranges, also auch z. B. der gleichen Abhngigkeit von einem Herrn, am ehesten aber der gleichen Freiheit und mnnlichen Waffenfhigkeit, berhaupt des gleichen Interesses, des gleich- artigen Denkens und Wollens : die Gleichsetzung ist hier eine so notwendige und vorherrschende Funktion des menschlichen Denkens wie im ganzen Gebiete der reinen Wissenschaft, vor allem also in dem des Rechnens und der Mathematik. Das Be- wutsein der Gleichheit bewirkt, da wer an der Abstimmung teilnimmt, eben dadurch auch ihrem Sinne sich unterwirft, und

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  • Die Lehre v. d. Volksversammlg. u. d. Urversammlung in Hobbes' Leviathan, g

    der Sinn liegt in der Mglichkeit der Chance, Wille der Ge- samtheit, also der Versammlung, des Kollegiums zu werden, welche Chance eben in der Gleichheit beruht und abstrakt verstan- den eine gleiche Chance fr jedes Mitglied ist. Ich wies auch darauf hin, da Methoden erfunden worden sind, um ein Kolle- gium zur Einheit zu bringen, auer der Ntigung, die fr die Minderheit besteht, sich einfach in den Willen der Mehrheit zu ergeben : ich htte auf das Konklave hinweisen knnen, wo offen- bar in der Fiktion noch das Postulat der Einstimmigkeit gilt und diese durch die Abschlieung und andere Maregeln erzwungen wird: schlielich kommt es doch auf das Mehrheitsprinzip hinaus. Die englische Jury soll, wie der alte Blackstone sagt, um Un- migkeit und grundlosen Aufschub zu vermeiden ohne Fleisch, Getrnke, Feuer oder Kerze gehalten werden, es sei denn mit Erlaubnis des Richters, bis sie alle einmtig sind ; nicht anders war es nach der Goldenen Bulle mit den Kurfrsten des heiligen rmischen Reiches, die bis zur Wahl des deutschen Knigs, nur mit Wasser und Brot genhrt werden durften. Es mu aber ein- leuchten, da die supponierte Gleichheit um so schwieri- ger und unwahrscheinlicher ist je grer eine Versammlung, weil, je kleiner sie oder das Kollegium, das beschlieen oder whlen soll, um so eher eine, man darf sagen gemtliche, Einigung geschehen kann, indem die Mehrheitsbildung weniger als Tyrannei der Mehrheit empfunden wird und, weil es viel weniger wahrschein- lich ist, da in einem kleinen Kollegium eine stndige Mehrheit entsteht, viel wahrscheinlicher, da sie wechselt, also nicht nach Art einer Person als bestehende Macht erscheint. Die heutigen Parlamente zeigen sich von ihrer mangelhaften Seite durch ihre in groen Staaten viel zu zahlreiche Mitgliedschaft, die eine Verstndigung unter verschieden gerichteten Individuen aus- schliet, es sei denn in der Form des Kompromisses, also eines Ge- schftes durch gegenseitige Konzessionen, dem man im Deut- schen lngst den bernamen des Kuhhandels gegeben hat. Die Entscheidungen (wendet man ein) werden in den Ausschs- sen getroffen. Das besttigt eben den Notstand, der die groen gesetzgebenden Versammlungen belastet. Es darf als eine Tat- sache behauptet werden, da auch in den Kommissionen die eigentliche Beratung lngst unreal also fiktiv geworden ist. Durch die Wirkung der Parteien, deren Mandatare als Fraktionen den Willen ihrer Mitglieder bestimmen, stehen die Entschei-

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  • IO Ferdinand Tnnies

    dngen im voraus fest, die Diskussion wird gar zu leicht Ko- mdie x).

    Die ursprngliche Volks- hat als Landesversammlung nur in 5 kleinen Urkantonen der Schweiz bis heute sich erhalten und ist immer durch geringen Umfang ihres Gebietes bedingt gewesen. Sonst hat berall unter gleichartigen Bedingungen das Bedrf- nis sich herausgestellt, durch kleinereVersammlungen oder Kollegien die gemeinsamen Angelegenheiten errtern und bestimmen zu lassen, so da diese engen Versammlungen ge- dacht werden als im Namen aller beschlieend und handelnd, auch wenn sie keinen ausdrcklichen Auftrag bekommen haben. - Ferner aber konkurriert immer mit aller Wirksamkeit irgend- welcher Versammlungen und Kollegien die Wirksamkeit einzel- ner natrlicherPersonen,dieals Hupter und Hupt- linge, als Frsten, Herzoge, Knige und Kaiser ihre Autoritt und Macht geltend zu machen in der Lage sind und in bekannten historischen Gestalten ihre Macht gegen die herrschenden Stnde als kleine Minderheiten, auf die Massen, also die wahren Mehr- heiten, zu sttzen unternehmen, und dadurch, ohne es zu wn- schen, ihren eigenen Sturz zuerst durch Bourgeoisie, nachher vollends durch Proletariat, vorbereitet haben. Sie konnten auch, wenn es konkurrierende Herrenstnde gab - den geistlichen und den weltlichen - den einen gegen den anderen ausspielen, und am ehesten die Mitwirkung des geistlichen gewinnen, indem sie dessen Rang befestigten und zum Entgelt von ihm ihre eigene Gttlichkeit weihen und verknden lieen. Anders ist der Einflu solcher Personen, wenn sie nur ge- hrt werden und oft oder sogar regelmig Gehorsam finden, so da ihre Ratschlge befolgt werden - anders, wenn sie Befehlsgewalt haben, d. h. wenn das Gehorchen als notwendig gilt, sei es aus Furcht und Ehrfurcht, sei es weil sie fhig sind, ihren Befehlen durch irgendwelche Arten des Zwanges Nachdruck zu geben, oder einfach gewohnheitsmig. So haben in den europischen Staaten die Knige frhzeitig Macht genug, auch in Friedenszeit, gehabt, ihre Pairs, geistliche und weltliche, als Ratgeber und Richter zu berufen: daraus entstanden die Parlamente und Stndeversammlungen, im

    i) Vgl. die Ausfhrungen von Graham Wallas, The Great Society. (1914) ber die ich berichtet habe in dem Aufsatz Demokratie und Parlamentarismus jetzt Soziologische Studie und Kritiken. Dritte Sammlung (1929), S. 67-73.

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  • Die Lehre v. d. Volksversammlg. u. d. Urversammlung in Hobbes' Leviathan. II

    Rmischen Reich Deutscher Nation die Reichstage und Landtage. Dann aber waren die Frsten noch weit davon entfernt, eine unbedingte Gewalt und Alleinherrschaft zu besitzen, sie blieben insbesondere finanziell von den Bewilligungen der Stnde ab- hngig. Am ehesten waren sie in der Lage, gesetzgeberisch und durch die Verwaltung mit alleiniger Autoritt zu wirken, kraft ihrer anerkannten Prrogativen als Landesherren - die Legis- lative war berhaupt gegenber dem Gewohnheitsrecht ihrem Wesen nach Neuerung, die in lterer Zeit nur theologisch, also priesterlich gerechtfertigt werden konnte, bis die Ratio Status allmhlich sich magebende Geltung zu verschaffen imstande war. Zunchst ist es dann der groe Erfolg des (durch Handel und spter den produzierenden Kapitalismus) bereicherten Neu- und Grobrgertums (der Bourgeois), Anteil an der Gesetz- gebung zu gewinnen in gewhlten Versammlungen, die uer- lich als erneuerte Stndeversammlungen erscheinen, aber anders als diese Anerkennung und Frderung des einheitlichen Staates als ihre Aufgabe erkennen.

    Langsam und allmhlich ist aus mannigfachen und oft ein- ander widersprechenden Befugnissen der Herrschaft, der Staats- gedanke, zunchst in einer zwiefachen (dualistischen) Ge- stalt erwachsen.

    Wie Gierke fr die deutschen Territorien und ihr Staats- werden musterhaft gezeigt hat, geschah hier einerseits die Samm- lung mannigfacher Herrschaftsrechte in die Landesobrig- keit, geschah andererseits die Richtung auf genossenschaft- liche Vereinigung der Stnde in eine Landesgemeinde und Versammlung, die ihre Selbstndigkeit gegenber dem Landes- herrn zu behaupten strebte und teilweise vermochte. Es bildete sich frhzeitig die Idee, da Herrschaft und Genossenschaft - Landesherr und Stndeversammlung - durch einen Vertrag miteinander verbunden seien, und dieser, der Herrschaftsvertrag, erschien als die Krnung des ursprnglicheren Gesellschafts- vertrages. Ein solcher Dualismus konnte als solcher angesichts der zunehmenden finanziellen Bedrfnisse, die hauptschlich aus militrischen Ntigungen entsprangen, nicht dauernd sich erhalten. Die eine oder die andere Seite konnte die Einheit des Staates aus sich darstellen und schaffen. Leichter und wahrschein- licher war es durch den von Natur geschlossenen Willen der natrlichen Person, zumal da ihr die Wrde des hchsten Ge-

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  • 12 Ferdinand Tnnies

    bieters nicht bestritten war, und sie auch immer den Glanz des Hofes und den Segen der Kirche fr sich hatte. So ist es denn in den am meisten ausgeprgten Fllen gekommen, da in der Gestalt des frstlichen Absolutismus, sein Staat (mit dem ein Knig sogar sich identifizieren konnte) als Macht erstarkte: Typus die franzsische Entwicklung : die Reichsstnde- versammlung versank in Schlummer und Schweigen, weil sie nicht mehr berufen wurde und sich dies gefallen lie. Anderer Typus: England: schwerer Konflikt und Brgerkrieg zwischen Knigtum und Stnden und Niederlage des Knigtums - Wie- derherstellung, neuer Konflikt, Ausgleich, tatschliche Gestal- tung des Staates durch die gedoppelte Stndeversammlung, die in Wirklichkeit Herrschaft einer grundbesitzenden Aristokratie im Bunde mit einer ihr angepaten Geistlichkeit bedeutet und der Notwendigkeit, eine zentralisierte Verwaltung, worin der Staat sich erst vollendet, zu schaffen bis in unsere Tage ber- hoben blieb - aus Ursachen teils jener historischen Art, teils (und ursprnglicher) solchen von konomisch-sozialem Charak- ter. Die franzsische Revolution wollte zunchst eine Wieder- herstellung der Reichsstnde, aber ihr folgte auf die Ferse das Verlangen der Bourgeoisie, nicht nur mitzuregieren, sondern das bergewicht zu gewinnen. Ebensolches Verlangen ergriff allmhlich strker oder schwcher die Staaten Europas - auch in England war es erfolgreich in Gestalt der zunehmenden und entscheidend werdenden Macht des reformierten Hauses der Ge- meinen. Das allgemeine Ergebnis stellt sich dar in der konstitu- tionellen Regierung, d. h. in einem neuen Dualismus von Knig und Versammlung aber in der Regel mit bergewicht der Versamm- lung, den das Knigtum zu seinen Gunsten zu gestalten sich be- mht durch Konstituierung eines Oberhauses nach englischem Vor- bilde indem es nunmehr an der Aristokratie, seinem alten Rivalen, eine sicherere Sttze zu finden glaubt und in der Tat ihrer sicherer wird, als der popularen Versammlung, zumal da an dieser mehr und mehr die groe Menge des an Zahl und Organisation wach- senden Proletariats, der groen arbeitenden Volksmenge, Anteil und Einflu gewann. So steht heute wiederum die Frage vor der Entscheidung : ob die Staatsgewalt ihre ausschlaggebende Stelle haben soll bei einem Knige (wie immer z. B. Diktator oder mit welchem monarchischen Namen er genannt werden mge) oder bei einer Versammlung, die als Volksversamm-

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  • Die Lehre v. d. Volksversammlg. u. d. Urversammlung in Hobbes' Leviathan. 13

    lung gedacht wird, weil sie nach einem System, das so sehr als mglich die Stimmungen und Wollungen aller erwachsenen Staatsbrger und Brgerinnen zum Ausdruck gelangen lt, in also methodischer Weise gewhlt wird; wo denn in der Regel die einfache Mehrheit, fr besondere Flle eine qualifizierte, grere Mehrheit, als einheitlicher Wille der Versamm- lung gelten soll1).

    Wir haben also hier eine Reihe von Entwickelungen betrachtet : der Ansammlung zur gewollten und geordneten Versammlung, der einmtigen zur beschlufhigen und beschlieenden, der gelegentlichen zur realen als Ausdruck der ideellen, dieser zum Organe eines Verbandes, namentlich des Staates, von der allgemeinen Volksversammlung zur stndischen, dem Monarchen Hilfe bewilligenden, ihn beratenden, mit ihm

    teilweise, hin und wieder auch gesetzgeberisch, zusammen- wirkenden,

    von der Stndeversammlung zur gewhlten Volksvertretung, vom halbstndischen, halb gewhlten zum ausschlielich ge-

    whlten Parlament, von der konstitutionellen Volksvertretung zur Vertretung der

    Volkssouvernitt, von Mitwirkung an der Gesetzgebung zur entscheidend ge-

    setzgebenden Versammlung. - Die letzte Entwicklung ist die von der gesetzgebenden also

    regelmig wiederholten zur einmaligen ein Grundgesetz oder eine Verfassung gebenden (konstituierenden) Versammlung, wor- auf ich zuletzt zu sprechen komme.

    1) Als Erbmonarchie und souverne oder doch mit-sou verne Versammlung stehen einander die zwei politischen Mchte gegenber, die ihrem Ursprnge nach prinzipiell voneinander am weitesten entfernt sind: die Monarchie aber auf dem Erbrecht begrndet, mag dieses selber als gttliches Recht, als ratio- nal-natrliches oder als blo positives und etwa durch das Gemeinwohl postu- liertes verstanden werden - die Versammlung als in freien Wahlen freier Individuen begrndet. Dort der geborene Herr des Staates, hier seine gekorenen Diener - denn so mssen sie gedacht werden, wenn sie auch durch ihre Eini- gung und Ordnung selber einen Herrn und Gebieter darstellen. Merkwrdig ist dabei, innerhalb der Demokratie, das Prinzip der Ernennung des regieren- den Ausschusses sogar durch den Prsidenten einer Republik - warum wird die Regierung nicht von der Versammlung gewhlt, oder ebenso wie die Ver- sammlung unmittelbar vom Volke ? - Folgerichtig wre offenbar die Wahl einer Versammlung die nicht zu gro wre, um selber die Regierung zu fhren. Vgl. des Verfassers Demokratie und Parlamentarismus Schmollers Jahrbuch LI, H. 2, jetzt in Soziologische Studien und Kritiken. Dritte Sammlung (Jena, Fischer. 1929).

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  • 14 FerdinandTnnies

    IL

    Im Lichte dieser Entwickelungen, die also, geschichtlich wie aktuell, hchst bedeutend sind, betrachten wir die Lehre des Thomas Hobbes. Sie kann nur richtig verstanden werden im ent- schiedenen Gegensatz gegen die zu seiner Zeit herrschenden Lehren vom Herrschaftsvertrage, mochte dieser, wie von den sogenannten Macchiavellisten, mehr zugunsten des Knigs und sonst des Frsten oder, von den Monarchomachen, mehr zu- gunsten der Stnde ausgedeutet werden. Hobbes stellt die Frage auf die schroffe Spitze : Knig oder Versammlung ? ! Das Re- giment mu jedenfalls einheitlich sein. - Auch nach dem kun- digen Werke Gierkes ber Althusius und die Entwickelung der naturrechtlichen Staatstheorien verharrt die ffentliche Mei- nung vielfach in der strksten Unklarheit ber das Wesen dieser Lehren. Vor allem wird die Art, wie zuerst Thomas Hobbes - berdies wird die Prioritt ganz flschlich auf Jean Jaques Rousseaus Contrat social verschoben, der (hundert Jahre spter) durchaus auf Hobbes Schultern steht - die Vertrge aller mit allen dem Staat zugrundelegt und die Regierung einer einzelnen, sei es natrlichen oder kollektiven Person unmittelbar daraus sich ergeben lt, noch immer oft verwechselt und vermischt mit der viel lteren Meinung, da ein Vertrag zwischen Volk und Herrscher, wo das Volk denn als durch die Herrenstnde reprsentiert gilt, dem Staate zugrundeliege; welche Lehre aus- gebaut wurde in die Theorie eines zwiefachen Vertrages: des Gesellschaftsvertrages, der die Menschen berhaupt verbinde, und des Herrschaftsvertrages, der ihrer Verbundenheit eine der Lenkung fhige Gestalt verleihe. - Hobbes setzt von Anfang an mit der Neuerung ein, da er einen einzigen Vertrag fr not- wendig und fr ausreichend erklrt: eben den Vertrag eines jeden mit jedem anderen, der als Friedensvertrag dem Kriege eines jeden wider jeden anderen ein Ende mache. Im Verlaufe seiner Entwickelung die durch drei Schriften sich uns manifestiert, hat sein Theorem einen sehr bemerkenswerten - bisher soviel ich wei nur von mir bemerkten - Fortschritt gemacht. Er spricht freilich immer von zwei Arten der Entstehung des Staates: der einen durch Macht und Gewalt oder patriarchalische Autoritt, die andere Art ist aber diejenige auf die seine eigentliche Theorie sich bezieht, die Errterung der ersten bedeutet sozusagen die vorweg-

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  • Die Lehre v. d. Volksversammlg. u. d. Urversammlung in Hobbes' Leviathan. 1 5

    genommene Konzeption der historischen Schule und der Romantik. In der eigentlichen Theorie also lt unser Denker den ursprng- lichen Vertrag sogleich festsetzen, da ein jeder sich verpflichte, zu dem zu stehen und dem zu gehorchen, was immer die Mehr- heit ihrer Gesamtheit oder die Mehrheit einer solchen Anzahl von ihnen als zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Orte sich versammelt haben, bestimmen und befehlen werden. Er lt also - zuerst - unmittelbar aus den Urvertrgen die Demo- kratie hervorgehen und stellt in der Tat den Satz auf: Demo- kratie geht jeder anderen Staatsform (er sagt Institution von Regierung) zeitlich voraus. Dem- nach folgt eine andere Form, sei es aristokratische oder monarchi- sche, nur dadurch, da die Souvernitt der Volksversammlung auf eine kleine Versammlung oder auf eine einzige natrliche Person bertragen wird. Diese Doktrin erfhrt schon eine Modi- fikation in der zweiten rechtsphilosophischen Schrift unseres Autors, die unter dem Titel De Cive sein Ansehen in der Welt- literatur am tiefsten begrndet hat. Er lehrt nmlich hier: das bloe Zusammentreten zur Errichtung eines Staates sei bei- nahe (paene eo ipso) schon dadurch, da die Menschen so zusam- mentreten, eine Demokratie, der scheinbar so geschaffene Staat falle aber sogleich, wenn die Versammlung sich auflse wieder in den Naturzustand des Krieges aller gegen alle oder der Anarchie zurck, es sei denn, da jene Versammlung, auch wenn sie als wirkliche Versammlung sich auflse, dennoch ideell kraft einer bindenden Verabredung beharre, wir drfen sagen, unmittelbar eine Institution werde, indem Zeit und Ort der nchsten und (so ist es offenbar gemeint) regelmigen Zusammenkunft voraus- bestimmt werde. - Der Philosoph hat aber auch bei dieser Fas- sung sich nicht beruhigt. Er hat das Problem ganz neu gestaltet durch eine Einschaltung, die im Leviathan unmittelbar an die Darstellung des Naturrechts sich anschliet und offenbar ver- standen werden mu als eine Ergnzung eben des Naturrechts: diese Einschaltung betrifft die Lehre von der Vertretung und vom Mandate, die er mit der Darstellung des Begriffes der ,, Person' ' ver- bindet. Die Hauptstze dieses eingeschalteten Begriffes sind: 1. eine Person ist der, dessen Worte oder Handlungen entweder als seine eigenen betrachtet werden oder als die Worte oder Hand- lungen eines anderen Menschen oder irgendeiner anderen Sache, dem oder der sie beigelegt werden, ob in Wahrheit oder fingierter

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  • l6 Ferdinand Tnnies

    Weise vertretend (reprsentierend), 2. demgem unterscheidet sich eine natrliche und eine fingierte oder knstliche Person, 3. Mandat - Hobbes sagt Autoritt - ist das Recht, eine Hand- lung zu vollziehen im Namen und Auftrage dessen, der das Recht dazu hat, 4. darum ist alles was in der Lehre vom Naturrecht ber Vertrge zwischen Mensch und Mensch in ihrer natrlichen Kapazitt ausgesagt wurde, ebenso gltig, wenn solche geschlossen werden durch ihre Vertreter oder Mandatare, soweit als deren Auftrag und Mandat gilt. - Nach manchen Einzelbstimmungen ber das natrliche Recht folgt dann 5. eine Menge von Menschen wird zu einer Person gemacht, wenn sie durch einen Menschen oder eine Person vertreten wird, so zwar, da es mit der Einwilli- gung eines jeden in solcher Menge geschehe. Denn nur die Einheit des Vertreters, nicht die Einheit der Vertretenen ist es die aus der Person eine Einheit macht, 6. folglich - weil also die Menge Von Natur nicht eins sondern viele ist - kann man auch nicht meinen, da sie ein Urheber und Mandant alles dessen, was ihr Vertreter in ihrem Namen sagt oder tut, sei, sondern es sind viele solche, indem ein jeder fr sich und von sich aus allein ihrem gemeinsamen Vertreter Autoritt verleiht; und wenn ihm Auto- ritt oder Mandat ohne Vorbehalt gegeben wurde, alle Hand- lungen, die der Vertreter vollzieht, als seine eigenen anerkennt; wenn sie ihn aber einschrnken, worin und wieweit er sie ver- treten soll, so reicht die Gewhr nur so weit, als sie ihm die Voll- macht gegeben haben. 7. Und wenn der Vertreter aus vielen Menschen besteht, so mu die Stimme der greren Zahl betrach- tet werden als die Stimme ihrer aller. Denn wenn z. B. die kleinere Zahl bejahend sich ausspricht, die grere verneinend, so werden mehr als gengend verneinende Stimmen da sein, um die bejahen- den zu vernichten; mithin ist der berschu der verneinenden, der ohne Widerspruch dasteht, die einzige Stimme, die der Ver- treter hat.

    Der letzte Satz wird noch hinausgefhrt in einer Erwgung der Schwierigkeiten bei gleicher Stimmenzahl. Es wird auch in Betracht gezogen der Fall, da bei ungleicher Zahl etwa von drei oder mehreren Menschen oder Versammlungen jeder dieser Faktoren ein Veto habe, also alle bejahenden Stimmen der bri- gen aufheben knne. So sei diese Zahl keine Vertretung, denn da Meinungen und Interessen der Menschen voneinander abweichen, so werde ein solcher Vertreter oft und in Fllen von der grten

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  • Die Lehre v. d. Volks versammig, u. d. Urversammlung in Hobbes' Leviathan. 17

    Wichtigkeit eine stumme Person und ungeeignet, wie fr die an- dere so fr die Regierung einer Menschenmenge, zumal in Kriegs- zeiten. - Endlich werden noch unbedingte und bedingte Ver- treter unterschieden, die letzteren als Brgen, die also im Namen eines anderen und in seiner Vertretung etwas zu tun sich ver- pflichten, wenn der andere es bis zu einem bestimmten Zeit- punkt nicht getan habe.

    Dies Kapitel schliet den ersten Teil des Leviathan, der all- gemein ber den Menschen und daher ber das Naturrecht handelt: das Naturrecht ist wie immer ein System von Regeln, die notwendig sind weil vernunftgeboten gleich den Regeln der Arithmetik, gelten also auch im Naturzustande, weil fr Menschen schlechthin. Dies Kapitel bildet also den bergang zur Darstellung des zweiten Teiles, der in seinem ersten, dem 17. Kapitel des ganzen Werkes, von den Ursachen der Erzeugung und dem Begriff eines Gemeinwesens handeln will.

    Wichtig ist hier die neue Bestimmung des Begriffes. In der ersten Darstellung, den Elements, war das Gewicht ausschlielich auf die Einigung gelegt: diese bestehe darin, da jedermann ver- tragsmig zu unbedingtem Gehorsam gegen eine bestimmte natrliche oder kollektive Person sich verpflichtet ; dann heit es : die so geschaffene Einigung ist das, was die Menschen heute einen politischen Krper oder eine brgerliche Gesellschaft nennen; sogleich wird dann das Wesen dieses Vereins darin gesetzt, da er als eine Person durch eine gemeinsame Macht vereinigt sei, fr ihren gemeinsamen Frieden, Verteidigung und ihr ge- meinsames Wohl. Das Wort Gemeinwesen oder Staat kommt hier nicht vor. In dem Buche De Cive finden wir eine viel weiter ausgefhrte Theorie. Hier wird das Gemeinwesen, die Civitas, aus- drcklich definiert als eine Person, deren Wille aus den Vertrgen mehrerer Menschen fr den Willen aller selbst gehalten wird, um die Krfte und Fhigkeiten der einzelnen zum gemeinsamen Frieden und zur gemeinsamen Verteidigung gebrauchen zu kn- nen. Im Leviathan tritt nun gem der Einschaltung des Begrif- fes der Vertretung oder des Mandates, eine neue Definition des Gemeinwesens auf - es heit hier immer Commonwealth, welcher Ausdruck eben nach der Enthauptung des Knigs, nach Abschaf- fung der Monarchie und des Oberhauses, der Name fr die englische Republik geworden war und geblieben ist. - Der Commonwealth wird also definiert als eine Person, fr deren Akte eine groe

    Zeitschrift fr die ges. Staatswissensch. 89. 1. 2

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  • l8 Ferdinand Tnnies

    Menge durch gegenseitige Vertrge miteinander sich verant- wortlich gemacht habe, zu dem Zwecke, da sie die Kraft und Mittel aller gebrauchen mge, wie diese Person es ntzlich finden wird, fr den Frieden und ihre gemeinsame Verteidigung. Es folgt dann wieder die Unterscheidung eines politischen Gemeinwesens von dem, das auf berlegener Macht beruhe. Nur auf das politische bezieht sich die folgende Theorie der Begrn- dung oder Einrichtung. Und hier heit es nun im Anfang des 18. Kapitels: Ein Gemeinwesen heit eingerichtet, wenn eine Menge von Menschen bereinstimmt und jeder mit jedem einen Vertrag schliet dahingehend, da, welchem Manne oder welcher Versammlung die Mehrheit das Recht gibt, die Person ihrer aller zu vertreten, d. h. also ihr Reprsentant oder Mandatar zu sein - dieses Mannes oder dieser Versammlung von Menschen Hand- lungen und Urteile insgesamt wird jeder, sowohl der dafr als der dagegen gestimmt hat, autorisieren in derselben Weise, als wenn es seine eigenen Handlungen und Urteile wren zu dem Zwecke, friedlich untereinander zu leben und gegen andere Menschen beschtzt zu werden.

    Es ist offenbar, da hier, und hier zuerst, die Begrndung des Staates nicht mehr unmittelbar durch eine Menge von Vertrgen, geschweige denn durch einen Vertrag geschieht, sondern es geschieht dadurch nur die Begrndung einer Versammlung, die vermge des Majorittsprinzips beschlufhig ist; und die Begrndung des Staates selber geschieht durch einen Beschlu eben dieser Versammlung, - und zwar die Begrndung des Staates gleichzeitig mit der Begrndung der Staatsform, d. h. mit der Bestimmung, da irgendwo der Sitz der Souver- nitt sein solle. Und hier ist die Entscheidung auf des Messers Schneide gestellt: Souvern kann nur ein einzelner Mann oder eine beschlufhige Versammlung sein. Von einer ursprnglichen Demokratie ist nicht mehr die Rede. Der geschaffene Staat ist als solcher vorhanden, entweder in der Gestalt einer Monarchie oder in der Gestalt einer Republik; diese wiederum in der Gestalt einer Aristokratie oder einer Demokratie 1).

    i) O. Gierke hat noch in einem der Zustze zur 3. Auflage seines Althusius (Nr. 52, S. 378) meiner Darstellung der definitiven Hobbesschen Lehre, die ich als unbestreitbar behaupte, Erwhnung getan, und bemerkt dazu: Tnnies sttzt sich hierbei auf die englische Fassung des Eingangs von eh. 18. Allein abgesehen davon, da nur die lateinische Fassung fr die universelle Bedeu- tung der Hobbesschen Lehre in Betracht kommt, ist auch in der englischen

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  • Die Lehre v. d. Volks versammig, u. d. Urversammlung in Hobbes' Leviathan. IQ

    Merkwrdig ist nun, da der Philosoph hier, ohne es gerades- weges gewollt zu haben, die Methode vorgezeichnet hat, nach der noch zu seinen Lebzeiten, wenn auch nicht um die Zeit Cromwells,

    Fassung die staatsschpferische Kraft ausschlielich dem Urvertrage eines jeden mit jedem gewahrt. Denn er enthlt bereits die Einrumung der unbeding- ten Vertretungsmacht an den durch Majorittsbeschlu zu bestimmenden Einzel- oder Kollektivherrscher. Es ist mir schmerzlich, einem Autor, den ich von Jugend auf innig verehrt habe, entgegentreten zu mssen, zumal da er nicht mehr unter den Lebenden ist. Ein Unterschied zwischen der englischen und lateinischen Fassung ist zunchst in diesem Punkte gar nicht vorhanden. Die grere Wichtigkeit des englischen Leviathan als des ursprnglichen groes Aufsehen erregenden Werkes liegt klar zutage; der lateinische Leviathan ist nur eine bersetzung, freilich mit manchen Krzungen und Abschwchungen, die aber kein wesentliches Stck verndern. Da er in weiteren Kreisen bekannt wurde, ist richtig und war eben der lateinischen Sprache zu verdanken. Da Hobbes die frhere Fassung seines Begriffes auch im Leviathan (ch. 17) wieder- holt, ist richtig, aber es geschieht, wie ich sogleich zeigen werden, in einem anderen Sinne. Als entscheidend habe ich hervorgehoben, da der Satz der ersten Fas- sung *), die Demokratie gehe zeitlich den anderen Staatsformen vorauf (s. oben) und sie sei der Einrichtung nach sowohl der Anfang der Aristokratie als der Monarchie, in keiner spteren Fassung wiederkehrt. In dem Buche De Cive begegnet, wie im Texte gezeigt, eine stark modifizierte Darstellung. Die These wird hier ausdrcklich stark beschrnkt durch den Satz: wenn die Leute aus- einandergehen und die Versammlung sich auflst ohne da zuvor eine Bestim- mung getroffen wurde ber Zeit und Ort einer neuen Versammlung, so kehre die Anarchie zurck, also der Zustand des Krieges aller gegen alle. Der weite Ab- stand des Leviathan macht sich dadurch erkennbar, da hier von einer an- fnglichen Demokratie gar keine Rede mehr ist, auch nicht von einer Fast- Demokratie. Sondern die verfassungsgebende und beschlieende Versammlung ist eben selber noch keine staatsrechtliche sondern eine naturrechtliche Ver- sammlung: der Staat ist bei ihrer Tagung noch nicht vorhanden, sondern wird eben geschaffen. Darum hat Hobbes in dem eingeschalteten wichtigen 16. Kapitel, das den ersten Teil des Werkes ber den Menschen beschliet und zum zweiten Teil Of Commonwealth nur hinberleitet, das Majoritts- prinzip ausdrcklich zu begrnden versucht: d. h. naturrechtlich zu begrnden versucht, wie im Texte ausgefhrt. In De Cive ist allerdings diese endliche Fassung der Lehre angebahnt; aber auch nicht mehr als angebahnt. Die Notwendigkeit der Konstruktion durch eine vor dem Staate sich bildende - weil ihn begrndende - Versammlung gelangt erst in dieser definitiven Fassung zum Durchbruch und zur Klarheit. Dabei ist noch ein besonderes Augenmerk auf folgenden Punkt zu richten: das XVII. Kap. (das erste von Part II) : ber die Ursachen, die Erzeugung und die Definition eines Gemeinwesens bezieht sich - im Unterschiede von den frheren Fassungen - auf beide Arten des Gemeinwesens: jene die auf natrlicher Kraft beruhe und die er ein Gemeinwesen durch Erwerb (by aquisition) nennt, und die andere, die hier zuerst ein politisches Gemeinwesen heit. Erst innerhalb des allgemei- nen Begriffs geschieht hier zuerst die Errterung des politischen, die sogleich die Begrndung durch die Urversammlung einfhrt, und zunchst nur in dem

    *) Elements of Law, jetzt von mir in deutscher Sprache herausgegeben als Naturrecht und allgemeines Staatsrecht in den Anfangsgrnden, Berlin, Hobbing 1926.

    2*

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  • 20 Ferdinand Tnnies

    und spter oft, neuerdings regelmig, die Revolutionen ver- fahren: wenn eine Staatsform und also der Staat selber, soferne er ohne eine Form nicht leben kann, zertrmmert ist, ihn in neuer Gestalt neu zu schaffen. Das ist es, was wir heute eine Nationalversammlung nennen. In deren Bildung zeigt sich der groe Unterschied zwischen dem was begrifflich klar und einfach durch einen Denker konstruiert werden kann und dem was durch die wirklichen Umstnde, also historisch bedingte, bewirkt wird, in schlagender Weise. Ranke sagt ber die all- gemeine Kirchenversammlung die 1638 zu Glasgow zusammen- trat - gegen Verbot des Knigs, der ihr Beisammenbleiben fr eine Handlung des Hochverrats erklrte und zum Trotz der Bischfe - , man drfe sie fglich als ein Vorbild spterer Nationalversammlungen rein politischer Art betrachten, und es sei damit in die mit den mannigfaltigsten Grungen erfllte Welt ein neues Element getreten, das nicht allein von sich selbst, sondern durch die Art und Weise wie es sich Geltung verschaffte, fr seine Wirksamkeit, hier am Ort und berhaupt, eine unermeliche Aussicht vor sich hatte. Die unermeliche Aussicht war die Revolution, aber der erste rein politische Fall einer Versammlung, die sich ausdrcklich die Aufgabe stellte, eine neue Verfassung zu setzen, ereignete sich nicht in der Puri- tanischen Rebellion des Langen Parlaments, sondern in der Reaktion gegen diese, als die schwachen Hnde des jngeren Cromwell unfhig waren, die Zgel des Staates zu halten und

    Kapitel ber die Rechte der Souverne ineinemsolchen (politischen) Ge- meinwesen sich fortsetzt. Dann folgt schon das XX. Kapitel ber vterliche und despotische Herrschaft: im ersten Absatz wird Erwerbung durch Gewalt dahin erklrt: sie geschehe, wenn Menschen so fr sich oder viele zusammen durch Stimmenmehrheit, aus Furcht vor dem Tode oder Gefangenschaft, alle Handlungen des Mannes oder der Versammlung autorisieren, in deren oder dessen Macht ihr Leben und ihre Freiheit ist. Diese Art der Souvernitt - heit es in dem zweiten Absatz weiter - unterscheide sich von derjenigen eines politischen Gemeinwesens nur dadurch, da dort die Unterwerfung geschehe aus Furcht vor der Person, der sie sich unterwerfen, hier aus Furcht voreinander (eine Wen- dung die auch frher begegnet). Das N e u e ist der Versuch, auch die patri- archalische und despotische Herrschaft auf ein M a n d a t der Untertanen zurck- zufhren und daraus zu begreifen, so da nun die Autorisierung des Souverns in jedem Falle durch allgemeine gegenseitige Vertrge geschieht, und zwar in einem Falle - der offenbar als der normale und rationale sich vorstellt - mittelst einer beschlufhigen Versammlung, im anderen unmittelbar dadurch, da eine Menge mit sich einig geworden ist, einem schon vorhandenen Trger der absoluten Gewalt - in der Regel einem einzelnen Menschen (mglich aber auch einer Versammlung) - sich zu unterwerfen und zu gehorchen.

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  • Die Lehre v. d. Volks versammig, u. d. Urversammlung in Hobbes' Leviathan. 21

    der General Monk zugunsten des Knigs der Schotten, der dann Karl II. wurde, im Jahre 1660 sein Heer nach London gefhrt hatte. Es bildete sich, nachdem endlich das Lange Parlament oder vielmehr dessen sogenannter Rump seine eigene Auflsung beschlossen hatte, eine neugewhlte Versammlung, die aber, da sie nicht nach dem noch gltigen Rechte durch ein knigliches Schreiben berufen war, eine Konvention genannt wurde. Sie bestand in Wirklichkeit wie jedes Parlament vor ihr aus den zwei Husern der Lords und der Gemeinen. Der Fall wiederholte sich 1689. Karls Bruder und Nachfolger Jakob II. war geflohen. Wilhelm der Oranier hatte die tatschliche Gewalt in Hnden. Wiederum wurde ein Parlament gewhlt ohne knigliches Aus- schreiben. Wilhelm, der noch kein Recht dazu hatte, berief beide Huser zusammen und bald hernach eine Konvention der Stnde des Reiches, bis zu deren Zusammentritt er ein persn- liches Regiment bernahm. Diese Konvention setzte den ge- flohenen Knig frmlich ab, indem behauptet wurde, da er durch Bruch der Verfassung und dadurch, da er das Land verlie, tatschlich, wenn auch nicht frmlich, abgedankt habe. Zunchst wollte die Mehrheit dann, da Wilhelm nur Regent fr seine Frau sein sollte. Als dieser dessen sich weigerte, wurde das Ehepaar als Doppelsouvern anerkannt. R. Gardiner bemerkt : Das Hauptmerkmal der so bewirkten Re- volution war, da sie die Suprematie des Parlaments dadurch herstellte, da dieses einen Knig und eine Knigin einsetzte, die ihre Stellung einem Parlamentsbeschlu verdankten. Das Volk hatte geglaubt, da Jakob II. Knig kraft eines gttlichen Rechtes sei. Niemand konnte das glauben von Wilhelm. Das Parlament, das ihn eingesetzt hatte, konnte ihn absetzen, und er hatte daher seine Regierung dem Willen der Nation, wie er im Parlament sich offenbarte, anzupassen. A student's history of England II, 647. - Anders war die Entwickelung im Frankreich von 1789, 100 Jahre spter. Die Generalstnde waren nach I75jh- riger Unterbrechung wieder berufen. Die Vertretung des dritten Standes war verdoppelt worden. Er erklrte sich zur Natio- nalversammlung am 17. Juni, nachdem die Stnde am 5. Mai zusammengetreten waren. Der Schwur im Ballhause gelobte, da man nicht auseinander gehen wolle, ohne der Nation eine Verfassung - d. h. eine neue Verfassung - gegeben zu haben. - Entblt von solchen Formen, nur nach den Beschlssen der

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  • 22 Ferdinand Tnnies, Die Lehre v. d. Volksversammlungen.

    in Paris anwesenden Mitglieder des Abgeordnetenhauses geschah vor nunmehr ioo Jahren die Julirevolution in Paris. Dann aber kam das Jahr 1848. Aus der deutschen Bundesversammlung von Gesandten der souvernen Staaten wurde die konstituierende Nationalversammlung in der Paulskirche, und um dieselbe Zeit trat auch die preuische revolutionre Nationalversammlung zusammen. Nicht anders war es in Frankreich, wo dann bald die bertragung der Gewalt auf den angeblichen Neffen des groen Napoleon geschah. Von nun an kann man wohl sagen, da in Europa eine Naturrechtform der Revolution gefunden war, die als solche berall anwendbar zu sein schien. Dies zeigte sich im Jahre 1918 als sehr bald zum Behuf der Ab- lsung der Volksbeauftragten, die im Besitze der tatschlichen Gewalt waren, die Bildung einer Nationalversammlung im Deutschen Reich geschah, nachdem jene sie bewilligt hatten. Ebenso trat eine Nationalversammlung in sterreich, in Ungarn, der Tschechoslowakei und den neuen kleinen Staaten zusammen; auch im Freistaat Danzig, wo sie aber sich nur verfassunggebende Versammlung nannte.

    Uns interessieren hier nicht diese Vorgnge, sondern die Tat- sache, da die Theorie des Denkers, der (nach Jellinek, Allgem. Staatslehre 3, S. 209) den Vorgang der Staatengrndung zu rationalisieren unternahm und ihn von Ort und Zeit unab- hngig machte, solche Ereignisse gewissermaen vorausgesehen und vorausbedeutet hat, wenngleich er auf die Schwierigkeiten, eine Nationalversammlung durch Wahlen zu bilden, keine Rck- sicht genommen hat. In der Wirklichkeit zeigt sich immer wie- der, was auch Hobbes gewut hat, da die Machtverhltnisse allein den Ausschlag geben.

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    Article Contentsp. 1p. 2p. 3p. 4p. 5p. 6p. 7p. 8p. 9p. 10p. 11p. 12p. 13p. 14p. 15p. 16p. 17p. 18p. 19p. 20p. 21p. 22

    Issue Table of ContentsZeitschrift fr die gesamte Staatswissenschaft / Journal of Institutional and Theoretical Economics, Bd. 89, H. 1. (1930), pp. I-VIII, 1-224Front MatterABHANDLUNGENDIE LEHRE VON DEN VOLKSVERSAMMLUNGEN UND DIE URVERSAMMLUNG IN HOBBES' LEVIATHAN [pp. 1-22]DAS RELATIVITTSPRINZIP IN DER VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE. Mit 7 Kurven [pp. 23-52]DIE CASSELSCHE PREISTHEORIE: Mit 3 Abbildungen [pp. 53-79]DAS REPARATIONSPROBLEM. Bemerkungen zu den Verhandlungen der Friedrich-List-Gessellschaft [pp. 80-117]

    MISZELLENFriedrich List und Ungarn [pp. 118-124]Russische Emigration. Eine kulturstatistische Studie [pp. 124-130]

    LITERATURReview: untitled [pp. 131-132]Review: untitled [pp. 132-134]Review: untitled [pp. 134-140]Review: untitled [pp. 140-141]Review: untitled [pp. 141-142]Review: untitled [pp. 142-144]Review: untitled [pp. 144-147]Review: untitled [pp. 147-148]Review: untitled [pp. 148-149]Review: untitled [pp. 149-150]Review: untitled [pp. 150-151]Review: untitled [pp. 152-153]Review: untitled [pp. 153-154]Review: untitled [pp. 155-155]Review: untitled [pp. 155-157]Review: untitled [pp. 157-159]Review: untitled [pp. 159-160]Review: untitled [pp. 160-162]Review: untitled [pp. 162-166]Review: untitled [pp. 166-170]Review: untitled [pp. 170-173]Review: untitled [pp. 173-175]Review: untitled [pp. 176-182]Review: untitled [pp. 182-184]Review: untitled [pp. 184-186]Review: untitled [pp. 186-187]Review: untitled [pp. 187-189]Review: untitled [pp. 189-190]Review: untitled [pp. 190-191]Review: untitled [pp. 192-192]Review: untitled [pp. 193-195]Review: untitled [pp. 195-198]Review: untitled [pp. 198-200]Review: untitled [pp. 200-201]Review: untitled [pp. 201-202]Review: untitled [pp. 202-202]Review: untitled [pp. 202-206]Review: untitled [pp. 206-206]Review: untitled [pp. 207-210]Review: untitled [pp. 211-212]Review: untitled [pp. 212-213]Review: untitled [pp. 213-214]Review: untitled [pp. 214-215]Review: untitled [pp. 216-216]Review: untitled [pp. 216-218]

    ZEITSCHRIFTEN DES IN- UND AUSLANDES [pp. 219-220]EINGESANDTE SCHRIFTEN [pp. 221-224]Back Matter