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Jleue <;3iirt|tr Äiluitfl WOCHENENDE 255-91 Sanwtag/Sonntag, 2./3. November 1991 Nr. 2SS 91 esse oder Anstand. Den Hut behielt er auf dem Kopf angesichts der unerbittlichen Sprache dieses Augenblicks. Redete man hier nicht auch von einem Gott? Was ist der Mensch vor dem Allmächtigen, dass er sich an der letzten Schwelle barhäuptig zeigen dürfte! Dann trat der hagere Mann in das grosse Haus, das er noch nie von innen gesehen hatte, an dem bis dahin nur die Zeiger der Uhr für ihn wichtig gewesen waren. Ganz vorne rechts nahm er Platz, dort, wo gewöhnlich die Trauernden sitzen, falls der linke Block für eine grosse Familie nicht ausreicht. Da sie aber wenige waren, brauchte man nicht bis an den Nachbarn heranzurücken. So sass Ibrahim allein in der Kirche. Nur einmal sah er sich nach dem rie- sigen Pulk um, der als nicht so sehr betroffen weiter hinten Platz genommen hatte. Die Verstorbene war in weitem Umkreis bekannt gewesen. Danach genügten dem Mann mit den kantigen Zügen die akustischen Signale, das Scharren und Knarren, um sich immer rechtzeitig zu erheben und zu setzen, ganz als wäre er jeden Sonn- tag hier zu Hause. Man sang, murmelte, ein Mann in schwarzem, gefälteltem Kleid redete viel, ein gewaltiges Instrument wälzte Wogen durch den hohen Raum, Säulen teilten die Töne, ehe diese, von den kalten Mauern gebrochen, zurück in die Ohren der geduckten Hörer He- len. Schliesslich drängten die dunkel Gekleideten durch drei Türen in den rauhen Dezembertag hinaus. Krause Blätter trieben vor die Füsse. Man blinzelte gegen den Himmel, der auf Schnee nicht hof- fen liess. Viele kondolierten. Da nahm der alte Türke den Sohn der Toten in die Arme. _. . Christa Hagmeyer Randnotizen Formsachen Ein Strafgefangener hat mir erzählt, in seinem Gefängnis wür- den Verstösse gegen die interne Ordnung mit «Cachot» oder mit «Isolation» bestraft, zwei unterschiedlich strengen Ausformungen von Einzelhaft. «Cachot» sei die harte, «Isolation» die weichere Form. Bei «Isolation» habe der Gefangene das Recht, seinen Fern- sehempfänger mit in die Zelle zu nehmen. Kürzlich fragte ich am Telefon den Kunstsachverständigen eines bekannten Auktionshauses, ob er von X., einem Schweizer Maler, der um die Jahrhundertwende in London lebte, schon gehört habe. Der Kunstsachverständige verneinte, gab mir aber den Rat, beim Institut für Kunstgeschichte nachzufragen. «Dort», sagte er, «wer- den alle Informationen über Schweizer Künstler gesammelt, über lebende und über tote.» Vor dem Wort «tote» gluckste er kurz . Es war eine Art Lachen. Der Mann wäre wohl erstaunt gewesen, wenn ich ihn darauf hingewiesen hätte, und meine Frage nach dem Grund für sein Lachen hätt e ihn wahrscheinlich in Verlegenheit ge- bracht, und auch ich, der ich dies schreibe, bin auf Vermutungen angewiesen. Ernesto Buonanotte Journal der Popkultur Engagement für die Sache Eigentlich sah man ihn fast immer fröhlich lachend. Selbst wenn er angespannt war, wurde der amerikanische Rockimpresario Bill Graham alias Wolfgang Grajonca, ein gebürtiger Berliner, dessen russische Eltern 1939 vor den Schergen Hitlers fliehen mussten, nie missmutig. Er behandelte bekannte und weniger bekannte Rock- stars, Mitkonkurrenten, Schallplattenvertreter und Musikjournali- sten mit derselben Achtung, die er auch von ihnen erwartete. Bill, wie der wohl einflussreichste Konzertveranstalter der letzten 25 Jahre in der Branche hiess, war ein ausgesprochener Gentleman. Und er engagierte sich mit Leib und Seele für die Sache: die Förde- rung anspruchsvoller Rockmusik und ihrer wegweisenden Künstler. Graham, der als Waisenkind in der New Yorker Bronx auf- wuchs, kam mit der modernen Rockmusik schon sehr früh in Be- rührung. Am 6. November 1965 organisierte er auf einer unbenutz- ten Kunsteisbahn in einem schwarzen Ghetto in San Francisco, das zu seiner neuen Heimatstadt geworden war, ein erstes Benefizkon- zert für eine radikale Agitprop-Theatergruppe, als deren Manager der diplomierte Betriebswirtschafter damals fungierte. «The Mime Troupe», die aus dem von Joan Baez unterstützten Free Speech Movement hervorgegangen war, drohte Gefängnis wegen angeblich allzu freier Rede. Worauf Graham kurzerhand die frechsten Schnau- zen aus San Franciscos Musikszene der frühen Hippie- und Flower- Power-Zeit anheuerte: die Fugs, Jefferson Airplane, Mystery Trend. Graham, dem es um ein Menschenrecht ging, liess seither die engagierte Rockmusik nicht mehr los. Das Konzert, das doppelt so viele Besucher anlockte , wie in die Eishalle passten, erbrachte einen Erlös von fast fünftausend Dollar. Und weil die jungen Leute, meist Studenten, von der Musik so sehr begeistert waren, mietete Graham die Halle gleich für weitere Konzerte und benannte sie nach der Strasse, an der sie stand: Das «Rumore», mit dem er wöchentlich rund 20 000 Dollar netto verdiente (eine im Juli 1968 in New York eröffnete Ostküstenfiliale, «Fillmore East» genannt, brachte noch einmal denselben Ertrag), wurde innert kürzester Zeit zur berühm- testen Rockadresse der Welt und zu einem Hort, in dem eine Zeit- lang «das Herz der jugendlichen Subkultur» («Time») schlug. Bis zu seiner Schliessung im Herbst 1971 traten hier die bekanntesten Bands des sogenannten San-Francisco-Sounds auf und erlebten zum Teil ihre Geburtsstunde: Quicksilver Messenger Service, The Grateful Dead, Big Brother and the Holding Company mit Janis Joplin als Leadsängerin. In erster Linie war es jedoch nicht das schnelle und leichte Geld, das Graham an der Rockmusik faszinierte. Denn von Anfang an umgab sich Graham fast ausschliesslich mit Künstlern, die etwas zu sagen hatten und deren Musik die Zeit überdauerte: Bob Dylan, Santana, The Rolling Stones und Crosby, Stills, Nash & Young be- gaben sich später immer wieder gerne in seine Obhut Graham organisierte «grosse» Tourneen, unvergessliche Konzerte, Festivals im Freien, die das Publikum ansprachen, Wohltätigkeitsveranstal- tungen und musikalische Brückenschläge über die gesellschaftlichen Der amerikanische Rockimpresario Bill Graham glaubte an die Veränder- barkeit der Welt durch Rockmusik und behandelte seine Stars wie seine eige- nen Kinder. (Bildfgl.) Systeme hinweg: den «4th of July» 1987 in Moskau mit Bonnie Raitt und James Taylor zum Beispiel, 1985 in Wembley «Live Aid» für Äthiopien, «The Last Waltz» von The Band 1976 im «Winter- land» von San Francisc o oder Watkins Glen, das 1973 mehr Be- sucher als einst Woodstock anlockte. Und immer hatte der Impre- sario der alten Schule vor Augen, dass er dem Publikum für seine Treue eine Gegenleistung schuldig war. Er bot sie in Form von guter Musik und seinem unermüdlichen Einsatz. Ein Helikopter- absturz am vergangenen Wochenende hat sein Leben jäh beendet. Bill Graham war gerade 60 Jahre alt. figteÄ Anagramm-Sonette Der Tempel Stonehenge tauft das Irrlicht bleich Der Tempel Stonehenge tauft das Irrlicht bleich. Teil prähistorisch Bettfund, meld Gelächtem. Die Dolmengräber Schutt, hilft Liste Pächtern? Send Mal, pfeil Hütte, Land schreibt Götterreich. Lad Riesenstein, leg Dach: tropft leicht - berühmt. Test Töpfergrab, Milch schaudert: heilten Linde. Fern Scheitel baute Macht; droht Spiel, legt Rinde. Drei Eisen, Prachtfell, Docht, Stein hart geblümt. Ellipsstein blau, Hecht Frontdeich, Darm geteert. Grab Säulentod, Pferch steil, Licht mitten Herde. Dumpf treibst Äonen, Rat schleicht leidgelehrt. Die Sonn' lebt täglich: Reh tritt Maus, Elch Pferde. Schleift Sonne Uhr? Lied matt, Dieb Pracht geleert. Der Christen Bauten: Pfeil halt Gott, Schleim Erde. Francesco Gagliard i Rätsel Rätsel Rätsel Rätsel Rätsel Rätsel Ratsei Rätsel Rätsel Rätsel Rätsel Rätsel Rätselrezept Nr. 153 Ossi da morto Stellen wir uns einen klug kombinierenden De- tekti v vor (in vorliegendem Fall ist es ein auf- merksamer NZZ- Leser) und entsprechend dazu den aus Kriminalromanen bekannten, etwas be- griffsstutzigen Staatsanwalt oder Richter, dem es trotz dem vom Detektiv bzw. NZZ- Leser quasi backfertig gelieferten Beweismaterial nicht ge- lingt, den Fall zu lösen bzw. ein gerechtes Urteil zu fällen. (Der Ordnung halber sei jedoch er- wähnt, dass im vorliegenden Fall das Beweis- material lediglich aus einem Knochen besteht - aus Gebäck übrigens, wie eine nähere Unter- suchung zeigte.) Was jeweils an Beweismaterial hieb- und stichfest vorliegt, wird, wie wir es von Detektivromanen und -filmen her kennen, vor Gericht nicht selten von der Anklage oder auch der Verteidigung erbarmungslos zerpflückt oder gar so umgedreht, dass, wie wir es im vorliegenden Fall noch sehen werden, aus einem wür- zig-beinharten Gebäck ein süsslich-weiches Backwerk wird. Doch greifen wir nicht vor. Befassen wir uns vorerst einmal mit der Bezeichnung bzw. dem Namen des Objekts auf Grund der vom NZZ-Leser Ch. I. zusammengetragenen Fakten: «Ossdamord» (zweites o geschlossen, Schluss-d in der Aussprache fast unhörbar) heisst das Gebäck im Tessin (Sopraceneri), in Schriftitalienisc h «Ossidamordere». Ein Bestandteil der Fakten ist auch ein Hinweis des Tessiner Schriftstellers Piero Bianconi (1899-1984) auf die Ähnlichkeit von «Oss da mord» (beissen, nagen) und «Oss da mort» (Tod) in der Titelgeschichte seines Bändchens «Ossi da mordere» (sie handelt von Beinhäusern und Friedhöfen im Tessin). «Beissknochen» oder «Nagebein» könnte also das knackige, mit Mandeln zubereitete und nach Piero Bianconi «colore lunare» (mondfarbig) oder «pallide macchie delle mandorle» (mandel- bleich) gebackene Gebäck in deutsche r Sprache heissen. Doch dem ist nicht so: Das diesseits des Gotthards aus einem Teig aus halb Zucker, halb Mehl, Butter, Eiern und Haselnüssen (statt Mandeln) zubereitete, kleinfingergrosse Stängeli nennen wir «Totenbeinli». In Richtung Tod weisen übrigens auch die Angaben in einem italie- nisch-deutschen Wörterbuch: <;«Osso da morto» - Mandelgebäck zum Totengedenktag (Allerseelen)». Begnügen wir uns beim Beweismaterial lediglich mit dem Hin- weis von Piero Bianconi, den Angaben im Wörterbuch und mit den beinhart gebackenen Stängeli, trägt das Gebäck nicht zu Unrecht die Bezeichnung Totenbeinli. Doch darf man sich der Vermutung des NZZ- Lesers Ch. I. nicht verschliessen, der hier «ein frappantes semantisches Beispiel dafür (sieht), wie sich .. . Lebensgefühl und Sprachgebrauch südlich und nördlich der Alpen unterscheiden: Aus den fröhlich-sinnlichen <; Beiss- Knochen» werde n die, auch im Ge- schmack, genussfeindlichen <;Totenbein!i>;. «Noch hübscher, aber wohl nicht begründet», schreibt Ch. I. weiter, «ist die Annahme, dass die eigentliche Dialektbezeichnung «Ossdamon (Liebeskno- chen) lautete, dann zunächst verschämt zu <;Ossdamord>; verharm- lost und schliesslich als <;Todesknochen>; in den nüchternen Norden transplantiert wurde.» Dies ist sicher keine abwegige Überlegung. Doch zum Liebes- knochen lässt sich heute das Totenbeinli nicht mehr umformen. Denn die Bezeichnung «Liebesknochen» ist im deutschen Sprach- gebiet schon seit langem besetzt durch ein zwar ebenfalls längliches, doch meist mit einer süssen Füllung versehenes und mit einer Zuk- ker- oder Schokoladekuvertare überzogenes Brandteiggebäck. In der Deutschschweiz kennen wir dieses süss-weiche Backwerk vor allem unter seinem französischen Namen. Wie lautet er? Rene Simmen Lifträtsel «China» cmMft Das Parterrewort China ist nach oben links und rechts in je acht Etagewörter zu verwandeln: Schrägziffer - sovielten Buchstaben des unteren Wortes streichen. Schrägstrich = Restbuchstaben des unteren Wortes mehr oder weniger umstellen bzw. verschieben. Waagrechtstrich - 1 Restbuchstabe des unteren Wortes für die Bil- dung des oberen. Punkt " \ neuen Buchstaben einsetzen. Senk- rechtstrich m Buchstabe darunter für die Bildung der Schlusslösung. Senkrechtstrich mit Punkt « Endbuchstabe eines Schlusslösungs- wortes. Links: 1. hochbeiniger Vogel, 2. Möbelstück, 3. höchster Be- amter in altgriechischen Stadtstaaten, 4. Elefantenführer, 5. Norwe- gen (englisch), 6. Fluss in Mecklenburg, 7. Sohn und Gemahl der Gaia in der griechischen Mythologie, 8. getrocknete Frucht. Rechts: 1. dalmatinischer Fluss, 2. schmerzhafter Muskelkrampf, 3, Holzschuh, 4. Vorsteh-Hund, 5. französischer Präsident 1913-1920, 6. italienischer Maler und Radierer (1613-1679), 7. antikes Siegesmal, 8. Wahl einer bestimmten Staatsangehörigkeit Schlusslösung: Die Buchstaben unter den Senkrechtstrichen, etagenweise von links nach rechts und von obe n nach unten anein- andergereiht, ergeben folgendes geographisches Sextett: a) rumäni- scher Badeort am Schwarzen Meer, b) finnische Hafenstadt, c) Strom in Südamerika, d) alte Küstenlandschaft in Kleinasien, e) Kykladeninsel, 0 französischer Name einer Rivierastadt. Additionsrätsel Nr. 153 SCHOENE ASTERN STRAUSS In den prächtigen Herbst- blumen steckt eine korrekte Addition, wenn man die Buchstaben durc h richtig ge- wählte Zahlen ersetzt. Eine bestimmte Zahl darf immer nur einen Buchstaben vertre- ten und die Null nirgends zu- vorderst stehen. Philarithmos (Lösungen aller Rätsel in der nächsten «Wochenenden-Ausgabe) Rätsellösungen Kreuzworträtsel Nr. 466 Waagrecht: 1 die Haushaltung, 1 1 Alte (Kameraden), 12 itera, 13 sew, 14 Ertrag, 17 saA, 19 Achim (von Arnim), 20 Ab-, 22 spek- kig, 24 Gabe, 26 Reihen), 28 Piken, 29 Sauen, 30 Schienen, 32 morgig, 33 Charter, 34 verbale, 35 herein, 36 Sittener, 37 Brant, 38 Solei (isole), 39sia, 40 Ende, 41 Gebaren, 43 -de, 44 Fugen, 45 sec 47 Sparer, 48 v. h. E., 50 rullo, 52 Zeit, 53 Lesen, Stilbruch. Senkrecht: 1 Das(sin), 2 lies, 3 etwas, 4 He(iden), 5 (T)u(r)i(n), 6 Stecken-, 7 her, hin, 8 artig, 9 (Bette)larm, 10 Gartengerät, 15 Graugans, 16 Marschbefehl, 18 Appetit, 19 Acker, 21 bechern, 23 einen, 24 Garbe, 25 Beileid, 27charades, 29 sorties, 31 Irene, 32 Meter, 34 Vilan, 36soberly, 38 segelt, 41 Gurus, 42 neveu, 44 Farn, 46 chic, 49 ETH, 5 1 (R)ol(and), 52 Z(a)r. Neue Zürcher Zeitung vom 02.11.1991

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Page 1: Formsachen Stonehenge das bleich2_1.18180319.+november_1... · Grateful Dead, Big Brother and the Holding Company mit Janis Joplin als Leadsängerin. In erster Linie war es jedoch

Jleue <;3iirt|trÄiluitfl WOCHENENDE 255-91

Sanwtag/Sonntag, 2./3. November 1991 Nr. 2SS 91

esse oder Anstand. Den Hut behielt er auf dem Kopf angesichts derunerbittlichen Sprache dieses Augenblicks. Redete man hier nichtauch von einem Gott? Was ist der Mensch vor dem Allmächtigen,

dass er sich an der letzten Schwelle barhäuptig zeigen dürfte!

Dann trat der hagere Mann in das grosse Haus, das er noch nievon innen gesehen hatte, an dem bis dahin nur die Zeiger der Uhrfür ihn wichtig gewesen waren. Ganz vorne rechts nahm er Platz,dort, wo gewöhnlich die Trauernden sitzen, falls der linke Block füreine grosse Familie nicht ausreicht. Da sie aber wenige waren,brauchte man nicht bis an den Nachbarn heranzurücken. So sassIbrahim allein in der Kirche. Nur einmal sah er sich nach dem rie-sigen Pulk um, der als nicht so sehr betroffen weiter hinten Platzgenommen hatte. Die Verstorbene war in weitem Umkreis bekanntgewesen. Danach genügten dem Mann mit den kantigen Zügen dieakustischen Signale, das Scharren und Knarren, um sich immerrechtzeitig zu erheben und zu setzen, ganz als wäre er jeden Sonn-tag hier zu Hause.

Man sang, murmelte, ein Mann in schwarzem, gefälteltem Kleidredete viel, ein gewaltiges Instrument wälzte Wogen durch denhohen Raum, Säulen teilten die Töne, ehe diese, von den kaltenMauern gebrochen, zurück in die Ohren der geduckten Hörer He-len.

Schliesslich drängten die dunkel Gekleideten durch drei Türenin den rauhen Dezembertag hinaus. Krause Blätter trieben vor dieFüsse. Man blinzelte gegen den Himmel, der auf Schnee nicht hof-fen liess. Viele kondolierten. Da nahm der alte Türke den Sohn derToten in die Arme. _. .

Christa Hagmeyer

Randnotizen

FormsachenEin Strafgefangener hat mir erzählt, in seinem Gefängnis wür-

den Verstösse gegen die interne Ordnung mit «Cachot» oder mit«Isolation» bestraft, zwei unterschiedlich strengen Ausformungen

von Einzelhaft. «Cachot» sei die harte, «Isolation» die weichereForm. Bei «Isolation» habe der Gefangene das Recht, seinen Fern-sehempfänger mit in die Zelle zu nehmen.

Kürzlich fragte ich am Telefon den Kunstsachverständigen einesbekannten Auktionshauses, ob er von X., einem Schweizer Maler,der um die Jahrhundertwende in London lebte, schon gehört habe.Der Kunstsachverständige verneinte, gab mir aber den Rat, beimInstitut für Kunstgeschichte nachzufragen. «Dort», sagte er, «wer-den alle Informationen über Schweizer Künstler gesammelt, überlebende und über tote.» Vor dem Wort «tote» gluckste er kurz. Eswar eine Art Lachen. Der Mann wäre wohl erstaunt gewesen, wennich ihn darauf hingewiesen hätte, und meine Frage nach demGrund für sein Lachen h ä t te ihn wahrscheinlich in Verlegenheit ge-bracht, und auch ich, der ich dies schreibe, bin auf Vermutungenangewiesen.

Ernesto Buonanotte

Journal der Popkultur

Engagement für die SacheEigentlich sah man ihn fast immer fröhlich lachend. Selbst wenn

er angespannt war, wurde der amerikanische Rockimpresario BillGraham alias Wolfgang Grajonca, ein gebürtiger Berliner, dessenrussische Eltern 1939 vor den Schergen Hitlers fliehen mussten, niemissmutig. Er behandelte bekannte und weniger bekannte Rock-stars, Mitkonkurrenten, Schallplattenvertreter und Musikjournali-sten mit derselben Achtung, die er auch von ihnen erwartete. Bill,wie der wohl einflussreichste Konzertveranstalter der letzten25 Jahre in der Branche hiess, war ein ausgesprochener Gentleman.Und er engagierte sich mit Leib und Seele für die Sache: die Förde-rung anspruchsvoller Rockmusik und ihrer wegweisenden Künstler.

Graham, der als Waisenkind in der New Yorker Bronx auf-wuchs, kam mit der modernen Rockmusik schon sehr früh in Be-rührung. Am 6. November 1965 organisierte er auf einer unbenutz-ten Kunsteisbahn in einem schwarzen Ghetto in San Francisco, daszu seiner neuen Heimatstadt geworden war, ein erstes Benefizkon-zert für eine radikale Agitprop-Theatergruppe, als deren Managerder diplomierte Betriebswirtschafter damals fungierte. «The MimeTroupe», die aus dem von Joan Baez unterstützten Free Speech

Movement hervorgegangen war, drohte Gefängnis wegen angeblich

allzu freier Rede. Worauf Graham kurzerhand die frechsten Schnau-zen aus San Franciscos Musikszene der frühen Hippie- und Flower-Power-Zeit anheuerte: die Fugs, Jefferson Airplane, Mystery Trend.

Graham, dem es um ein Menschenrecht ging, liess seither dieengagierte Rockmusik nicht mehr los. Das Konzert, das doppelt soviele Besucher anlockte, wie in die Eishalle passten, erbrachte einenErlös von fast fünftausend Dollar. Und weil die jungen Leute, meistStudenten, von der Musik so sehr begeistert waren, mietete Grahamdie Halle gleich für weitere Konzerte und benannte sie nach derStrasse, an der sie stand: Das «Rumore», mit dem er wöchentlichrund 20 000 Dollar netto verdiente (eine im Juli 1968 in New Yorkeröffnete Ostküstenfiliale, «Fillmore East» genannt, brachte nocheinmal denselben Ertrag), wurde innert kürzester Zeit zur berühm-testen Rockadresse der Welt und zu einem Hort, in dem eine Zeit-lang «das Herz der jugendlichen Subkultur» («Time») schlug. Biszu seiner Schliessung im Herbst 1971 traten hier die bekanntestenBands des sogenannten San-Francisco-Sounds auf und erlebtenzum Teil ihre Geburtsstunde: Quicksilver Messenger Service, TheGrateful Dead, Big Brother and the Holding Company mit JanisJoplin als Leadsängerin.

In erster Linie war es jedoch nicht das schnelle und leichte Geld,das Graham an der Rockmusik faszinierte. Denn von Anfang anumgab sich Graham fast ausschliesslich mit Künstlern, die etwas zusagen hatten und deren Musik die Zeit überdauerte: Bob Dylan,Santana, The Rolling Stones und Crosby, Stills, Nash & Young be-gaben sich später immer wieder gerne in seine Obhut Grahamorganisierte «grosse» Tourneen, unvergessliche Konzerte, Festivalsim Freien, die das Publikum ansprachen, Wohltätigkeitsveranstal-tungen und musikalische Brückenschläge über die gesellschaftlichen

Der amerikanische Rockimpresario Bill Graham glaubte an die Veränder-barkeit der Welt durch Rockmusik und behandelte seine Stars wie seine eige-

nen Kinder. (Bildfgl.)

Systeme hinweg: den «4th of July» 1987 in Moskau mit BonnieRaitt und James Taylor zum Beispiel, 1985 in Wembley «Live Aid»für Äthiopien, «The Last Waltz» von The Band 1976 im «Winter-land» von San Francisco oder Watkins Glen, das 1973 mehr Be-sucher als einst Woodstock anlockte. Und immer hatte der Impre-sario der alten Schule vor Augen, dass er dem Publikum für seineTreue eine Gegenleistung schuldig war. Er bot sie in Form vonguter Musik und seinem unermüdlichen Einsatz. Ein Helikopter-absturz am vergangenen Wochenende hat sein Leben jäh beendet.Bill Graham war gerade 60 Jahre alt. figteÄ

Anagramm-Sonette

Der Tempel Stonehenge

tauft das Irrlicht bleich

Der Tempel Stonehenge tauft das Irrlicht bleich.Teil prähistorisch Bettfund, meld Gelächtem.Die Dolmengräber Schutt, hilft Liste Pächtern?Send Mal, pfeil Hütte, Land schreibt Götterreich.

Lad Riesenstein, leg Dach: tropft leicht - berühmt.Test Töpfergrab, Milch schaudert: heilten Linde.Fern Scheitel baute Macht; droht Spiel, legt Rinde.Drei Eisen, Prachtfell, Docht, Stein hart geblümt.

Ellipsstein blau, Hecht Frontdeich, Darm geteert.

Grab Säulentod, Pferch steil, Licht mitten Herde.Dumpf treibst Äonen, Rat schleicht leidgelehrt.

Die Sonn' lebt täglich: Reh tritt Maus, Elch Pferde.Schleift Sonne Uhr? Lied matt, Dieb Pracht geleert.

Der Christen Bauten: Pfeil halt Gott, Schleim Erde.

Francesco Gagliardi

Rätsel Rätsel Rätsel Rätsel Rätsel Rätsel Ratsei Rätsel Rätsel Rätsel Rätsel Rätsel

Rätselrezept Nr. 153

Ossi da mortoStellen wir uns einen klug kombinierenden De-tek t iv vor (in vorliegendem Fall ist es ein auf-merksamer NZZ- Leser) und entsprechend dazuden aus Kriminalromanen bekannten, etwas be-griffsstutzigen Staatsanwalt oder Richter, dem estrotz dem vom Detektiv bzw. NZZ- Leser quasibackfertig gelieferten Beweismaterial nicht ge-lingt, den Fall zu lösen bzw. ein gerechtes Urteilzu fällen. (Der Ordnung halber sei jedoch er-wähnt, dass im vorliegenden Fall das Beweis-material lediglich aus einem Knochen besteht -aus Gebäck übrigens, wie eine nähere Unter-

suchung zeigte.) Was jeweils an Beweismaterial hieb- und stichfestvorliegt, wird, wie wir es von Detektivromanen und -filmen herkennen, vor Gericht nicht selten von der Anklage oder auch derVerteidigung erbarmungslos zerpflückt oder gar so umgedreht, dass,

wie wir es im vorliegenden Fall noch sehen werden, aus einem wür-zig-beinharten Gebäck ein süsslich-weiches Backwerk wird.

Doch greifen wir nicht vor. Befassen wir uns vorerst einmal mitder Bezeichnung bzw. dem Namen des Objekts auf Grund der vomNZZ-Leser Ch. I. zusammengetragenen Fakten: «Ossdamord»(zweites o geschlossen, Schluss-d in der Aussprache fast unhörbar)heisst das Gebäck im Tessin (Sopraceneri), in Schriftitalienisch«Ossidamordere». Ein Bestandteil der Fakten ist auch ein Hinweisdes Tessiner Schriftstellers Piero Bianconi (1899-1984) auf dieÄhnlichkeit von «Oss da mord» (beissen, nagen) und «Oss damort» (Tod) in der Titelgeschichte seines Bändchens «Ossi damordere» (sie handelt von Beinhäusern und Friedhöfen im Tessin).

«Beissknochen» oder «Nagebein» könnte also das knackige, mitMandeln zubereitete und nach Piero Bianconi «colore lunare»(mondfarbig) oder «pallide macchie delle mandorle» (mandel-bleich) gebackene Gebäck in deutscher Sprache heissen. Doch demist nicht so: Das diesseits des Gotthards aus einem Teig aus halbZucker, halb Mehl, Butter, Eiern und Haselnüssen (statt Mandeln)zubereitete, kleinfingergrosse Stängeli nennen wir «Totenbeinli». InRichtung Tod weisen übrigens auch die Angaben in einem italie-nisch-deutschen Wörterbuch: <;«Osso da morto» - Mandelgebäck

zum Totengedenktag (Allerseelen)».

Begnügen wir uns beim Beweismaterial lediglich mit dem Hin-weis von Piero Bianconi, den Angaben im Wörterbuch und mit denbeinhart gebackenen Stängeli, trägt das Gebäck nicht zu Unrechtdie Bezeichnung Totenbeinli. Doch darf man sich der Vermutung

des NZZ- Lesers Ch. I. nicht verschliessen, der hier «ein frappantes

semantisches Beispiel dafür (sieht), wie sich . . .Lebensgefühl und

Sprachgebrauch südlich und nördlich der Alpen unterscheiden: Ausden fröhlich-sinnlichen <; Beiss- Knochen» werden die, auch im Ge-schmack, genussfeindlichen <;Totenbein!i>;. «Noch hübscher, aber

wohl nicht begründet», schreibt Ch. I. weiter, «ist die Annahme,dass die eigentliche Dialektbezeichnung «Ossdamon (Liebeskno-chen) lautete, dann zunächst verschämt zu <;Ossdamord>; verharm-lost und schliesslich als <;Todesknochen>; in den nüchternen Nordentransplantiert wurde.»

Dies ist sicher keine abwegige Überlegung. Doch zum Liebes-knochen lässt sich heute das Totenbeinli nicht mehr umformen.Denn die Bezeichnung «Liebesknochen» ist im deutschen Sprach-gebiet schon seit langem besetzt durch ein zwar ebenfalls längliches,

doch meist mit einer süssen Füllung versehenes und mit einer Zuk-ker- oder Schokoladekuvertare überzogenes Brandteiggebäck. Inder Deutschschweiz kennen wir dieses süss-weiche Backwerk vorallem unter seinem französischen Namen. Wie lautet er?

Rene Simmen

Lifträtsel «China»

cmMft

Das Parterrewort China ist nach oben links und rechts in je achtEtagewörter zu verwandeln: Schrägziffer - sovielten Buchstabendes unteren Wortes streichen. Schrägstrich = Restbuchstaben desunteren Wortes mehr oder weniger umstellen bzw. verschieben.Waagrechtstrich - 1 Restbuchstabe des unteren Wortes für die Bil-dung des oberen. Punkt " \ neuen Buchstaben einsetzen. Senk-rechtstrich m Buchstabe darunter für die Bildung der Schlusslösung.

Senkrechtstrich mit Punkt « Endbuchstabe eines Schlusslösungs-

wortes.

Links: 1. hochbeiniger Vogel, 2. Möbelstück, 3. höchster Be-amter in altgriechischen Stadtstaaten, 4. Elefantenführer, 5. Norwe-gen (englisch), 6. Fluss in Mecklenburg, 7. Sohn und Gemahl derGaia in der griechischen Mythologie, 8. getrocknete Frucht.

Rechts: 1. dalmatinischer Fluss, 2. schmerzhafter Muskelkrampf,3, Holzschuh, 4. Vorsteh-Hund, 5. französischer Präsident1913-1920, 6. italienischer Maler und Radierer (1613-1679),

7. antikes Siegesmal, 8. Wahl einer bestimmten Staatsangehörigkeit

Schlusslösung: Die Buchstaben unter den Senkrechtstrichen,etagenweise von links nach rechts und von o b en nach unten anein-andergereiht, ergeben folgendes geographisches Sextett: a) rumäni-scher Badeort am Schwarzen Meer, b) finnische Hafenstadt,c) Strom in Südamerika, d) alte Küstenlandschaft in Kleinasien,e) Kykladeninsel, 0 französischer Name einer Rivierastadt.

Additionsrätsel Nr. 153

SCHOENE

ASTERN

STRAUSS

In den prächtigen Herbst-blumen steckt eine korrekteAddition, wenn man dieBuchstaben d u r ch richtig ge-

wählte Zahlen ersetzt. Einebestimmte Zahl darf immernur einen Buchstaben vertre-ten und die Null nirgends zu-vorderst stehen.

Philarithmos

(Lösungen aller Rätsel in der nächsten «Wochenenden-Ausgabe)

Rätsellösungen

Kreuzworträtsel Nr. 466Waagrecht:

1 die Haushaltung,1 1 Alte (Kameraden), 12 itera,

13 sew, 14 Ertrag, 17 saA, 19 Achim (von Arnim), 20 Ab-, 22 spek-kig, 24 Gabe, 26 Reihen), 28 Piken, 29 Sauen, 30 Schienen,32 morgig, 33 Charter, 34 verbale, 35 herein, 36 Sittener, 37 Brant,38 Solei (isole), 39sia, 40 Ende, 41 Gebaren, 43 -de, 44 Fugen,

45 sec 47 Sparer, 48 v. h. E., 50 rullo, 52 Zeit, 53 Lesen, Stilbruch.

Senkrecht: 1Das(sin), 2 lies, 3 etwas, 4 He(iden), 5 (T)u(r)i(n),

6 Stecken-, 7 her, hin, 8 artig, 9 (Bette)larm, 10 Gartengerät,15 Graugans, 16 Marschbefehl, 18 Appetit, 19 Acker, 21 bechern,23 einen, 24 Garbe, 25 Beileid, 27charades, 29 sorties, 31 Irene,32 Meter, 34 Vilan, 36soberly, 38 segelt, 41 Gurus, 42 neveu,44 Farn, 46 chic, 49 ETH, 5 1

(R)ol(and), 52 Z(a)r.

Neue Zürcher Zeitung vom 02.11.1991