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Sanwtag/Sonntag, 2./3. November 1991 Nr. 2SS 91
esse oder Anstand. Den Hut behielt er auf dem Kopf angesichts derunerbittlichen Sprache dieses Augenblicks. Redete man hier nichtauch von einem Gott? Was ist der Mensch vor dem Allmächtigen,
dass er sich an der letzten Schwelle barhäuptig zeigen dürfte!
Dann trat der hagere Mann in das grosse Haus, das er noch nievon innen gesehen hatte, an dem bis dahin nur die Zeiger der Uhrfür ihn wichtig gewesen waren. Ganz vorne rechts nahm er Platz,dort, wo gewöhnlich die Trauernden sitzen, falls der linke Block füreine grosse Familie nicht ausreicht. Da sie aber wenige waren,brauchte man nicht bis an den Nachbarn heranzurücken. So sassIbrahim allein in der Kirche. Nur einmal sah er sich nach dem rie-sigen Pulk um, der als nicht so sehr betroffen weiter hinten Platzgenommen hatte. Die Verstorbene war in weitem Umkreis bekanntgewesen. Danach genügten dem Mann mit den kantigen Zügen dieakustischen Signale, das Scharren und Knarren, um sich immerrechtzeitig zu erheben und zu setzen, ganz als wäre er jeden Sonn-tag hier zu Hause.
Man sang, murmelte, ein Mann in schwarzem, gefälteltem Kleidredete viel, ein gewaltiges Instrument wälzte Wogen durch denhohen Raum, Säulen teilten die Töne, ehe diese, von den kaltenMauern gebrochen, zurück in die Ohren der geduckten Hörer He-len.
Schliesslich drängten die dunkel Gekleideten durch drei Türenin den rauhen Dezembertag hinaus. Krause Blätter trieben vor dieFüsse. Man blinzelte gegen den Himmel, der auf Schnee nicht hof-fen liess. Viele kondolierten. Da nahm der alte Türke den Sohn derToten in die Arme. _. .
Christa Hagmeyer
Randnotizen
FormsachenEin Strafgefangener hat mir erzählt, in seinem Gefängnis wür-
den Verstösse gegen die interne Ordnung mit «Cachot» oder mit«Isolation» bestraft, zwei unterschiedlich strengen Ausformungen
von Einzelhaft. «Cachot» sei die harte, «Isolation» die weichereForm. Bei «Isolation» habe der Gefangene das Recht, seinen Fern-sehempfänger mit in die Zelle zu nehmen.
Kürzlich fragte ich am Telefon den Kunstsachverständigen einesbekannten Auktionshauses, ob er von X., einem Schweizer Maler,der um die Jahrhundertwende in London lebte, schon gehört habe.Der Kunstsachverständige verneinte, gab mir aber den Rat, beimInstitut für Kunstgeschichte nachzufragen. «Dort», sagte er, «wer-den alle Informationen über Schweizer Künstler gesammelt, überlebende und über tote.» Vor dem Wort «tote» gluckste er kurz. Eswar eine Art Lachen. Der Mann wäre wohl erstaunt gewesen, wennich ihn darauf hingewiesen hätte, und meine Frage nach demGrund für sein Lachen h ä t te ihn wahrscheinlich in Verlegenheit ge-bracht, und auch ich, der ich dies schreibe, bin auf Vermutungenangewiesen.
Ernesto Buonanotte
Journal der Popkultur
Engagement für die SacheEigentlich sah man ihn fast immer fröhlich lachend. Selbst wenn
er angespannt war, wurde der amerikanische Rockimpresario BillGraham alias Wolfgang Grajonca, ein gebürtiger Berliner, dessenrussische Eltern 1939 vor den Schergen Hitlers fliehen mussten, niemissmutig. Er behandelte bekannte und weniger bekannte Rock-stars, Mitkonkurrenten, Schallplattenvertreter und Musikjournali-sten mit derselben Achtung, die er auch von ihnen erwartete. Bill,wie der wohl einflussreichste Konzertveranstalter der letzten25 Jahre in der Branche hiess, war ein ausgesprochener Gentleman.Und er engagierte sich mit Leib und Seele für die Sache: die Förde-rung anspruchsvoller Rockmusik und ihrer wegweisenden Künstler.
Graham, der als Waisenkind in der New Yorker Bronx auf-wuchs, kam mit der modernen Rockmusik schon sehr früh in Be-rührung. Am 6. November 1965 organisierte er auf einer unbenutz-ten Kunsteisbahn in einem schwarzen Ghetto in San Francisco, daszu seiner neuen Heimatstadt geworden war, ein erstes Benefizkon-zert für eine radikale Agitprop-Theatergruppe, als deren Managerder diplomierte Betriebswirtschafter damals fungierte. «The MimeTroupe», die aus dem von Joan Baez unterstützten Free Speech
Movement hervorgegangen war, drohte Gefängnis wegen angeblich
allzu freier Rede. Worauf Graham kurzerhand die frechsten Schnau-zen aus San Franciscos Musikszene der frühen Hippie- und Flower-Power-Zeit anheuerte: die Fugs, Jefferson Airplane, Mystery Trend.
Graham, dem es um ein Menschenrecht ging, liess seither dieengagierte Rockmusik nicht mehr los. Das Konzert, das doppelt soviele Besucher anlockte, wie in die Eishalle passten, erbrachte einenErlös von fast fünftausend Dollar. Und weil die jungen Leute, meistStudenten, von der Musik so sehr begeistert waren, mietete Grahamdie Halle gleich für weitere Konzerte und benannte sie nach derStrasse, an der sie stand: Das «Rumore», mit dem er wöchentlichrund 20 000 Dollar netto verdiente (eine im Juli 1968 in New Yorkeröffnete Ostküstenfiliale, «Fillmore East» genannt, brachte nocheinmal denselben Ertrag), wurde innert kürzester Zeit zur berühm-testen Rockadresse der Welt und zu einem Hort, in dem eine Zeit-lang «das Herz der jugendlichen Subkultur» («Time») schlug. Biszu seiner Schliessung im Herbst 1971 traten hier die bekanntestenBands des sogenannten San-Francisco-Sounds auf und erlebtenzum Teil ihre Geburtsstunde: Quicksilver Messenger Service, TheGrateful Dead, Big Brother and the Holding Company mit JanisJoplin als Leadsängerin.
In erster Linie war es jedoch nicht das schnelle und leichte Geld,das Graham an der Rockmusik faszinierte. Denn von Anfang anumgab sich Graham fast ausschliesslich mit Künstlern, die etwas zusagen hatten und deren Musik die Zeit überdauerte: Bob Dylan,Santana, The Rolling Stones und Crosby, Stills, Nash & Young be-gaben sich später immer wieder gerne in seine Obhut Grahamorganisierte «grosse» Tourneen, unvergessliche Konzerte, Festivalsim Freien, die das Publikum ansprachen, Wohltätigkeitsveranstal-tungen und musikalische Brückenschläge über die gesellschaftlichen
Der amerikanische Rockimpresario Bill Graham glaubte an die Veränder-barkeit der Welt durch Rockmusik und behandelte seine Stars wie seine eige-
nen Kinder. (Bildfgl.)
Systeme hinweg: den «4th of July» 1987 in Moskau mit BonnieRaitt und James Taylor zum Beispiel, 1985 in Wembley «Live Aid»für Äthiopien, «The Last Waltz» von The Band 1976 im «Winter-land» von San Francisco oder Watkins Glen, das 1973 mehr Be-sucher als einst Woodstock anlockte. Und immer hatte der Impre-sario der alten Schule vor Augen, dass er dem Publikum für seineTreue eine Gegenleistung schuldig war. Er bot sie in Form vonguter Musik und seinem unermüdlichen Einsatz. Ein Helikopter-absturz am vergangenen Wochenende hat sein Leben jäh beendet.Bill Graham war gerade 60 Jahre alt. figteÄ
Anagramm-Sonette
Der Tempel Stonehenge
tauft das Irrlicht bleich
Der Tempel Stonehenge tauft das Irrlicht bleich.Teil prähistorisch Bettfund, meld Gelächtem.Die Dolmengräber Schutt, hilft Liste Pächtern?Send Mal, pfeil Hütte, Land schreibt Götterreich.
Lad Riesenstein, leg Dach: tropft leicht - berühmt.Test Töpfergrab, Milch schaudert: heilten Linde.Fern Scheitel baute Macht; droht Spiel, legt Rinde.Drei Eisen, Prachtfell, Docht, Stein hart geblümt.
Ellipsstein blau, Hecht Frontdeich, Darm geteert.
Grab Säulentod, Pferch steil, Licht mitten Herde.Dumpf treibst Äonen, Rat schleicht leidgelehrt.
Die Sonn' lebt täglich: Reh tritt Maus, Elch Pferde.Schleift Sonne Uhr? Lied matt, Dieb Pracht geleert.
Der Christen Bauten: Pfeil halt Gott, Schleim Erde.
Francesco Gagliardi
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Rätselrezept Nr. 153
Ossi da mortoStellen wir uns einen klug kombinierenden De-tek t iv vor (in vorliegendem Fall ist es ein auf-merksamer NZZ- Leser) und entsprechend dazuden aus Kriminalromanen bekannten, etwas be-griffsstutzigen Staatsanwalt oder Richter, dem estrotz dem vom Detektiv bzw. NZZ- Leser quasibackfertig gelieferten Beweismaterial nicht ge-lingt, den Fall zu lösen bzw. ein gerechtes Urteilzu fällen. (Der Ordnung halber sei jedoch er-wähnt, dass im vorliegenden Fall das Beweis-material lediglich aus einem Knochen besteht -aus Gebäck übrigens, wie eine nähere Unter-
suchung zeigte.) Was jeweils an Beweismaterial hieb- und stichfestvorliegt, wird, wie wir es von Detektivromanen und -filmen herkennen, vor Gericht nicht selten von der Anklage oder auch derVerteidigung erbarmungslos zerpflückt oder gar so umgedreht, dass,
wie wir es im vorliegenden Fall noch sehen werden, aus einem wür-zig-beinharten Gebäck ein süsslich-weiches Backwerk wird.
Doch greifen wir nicht vor. Befassen wir uns vorerst einmal mitder Bezeichnung bzw. dem Namen des Objekts auf Grund der vomNZZ-Leser Ch. I. zusammengetragenen Fakten: «Ossdamord»(zweites o geschlossen, Schluss-d in der Aussprache fast unhörbar)heisst das Gebäck im Tessin (Sopraceneri), in Schriftitalienisch«Ossidamordere». Ein Bestandteil der Fakten ist auch ein Hinweisdes Tessiner Schriftstellers Piero Bianconi (1899-1984) auf dieÄhnlichkeit von «Oss da mord» (beissen, nagen) und «Oss damort» (Tod) in der Titelgeschichte seines Bändchens «Ossi damordere» (sie handelt von Beinhäusern und Friedhöfen im Tessin).
«Beissknochen» oder «Nagebein» könnte also das knackige, mitMandeln zubereitete und nach Piero Bianconi «colore lunare»(mondfarbig) oder «pallide macchie delle mandorle» (mandel-bleich) gebackene Gebäck in deutscher Sprache heissen. Doch demist nicht so: Das diesseits des Gotthards aus einem Teig aus halbZucker, halb Mehl, Butter, Eiern und Haselnüssen (statt Mandeln)zubereitete, kleinfingergrosse Stängeli nennen wir «Totenbeinli». InRichtung Tod weisen übrigens auch die Angaben in einem italie-nisch-deutschen Wörterbuch: <;«Osso da morto» - Mandelgebäck
zum Totengedenktag (Allerseelen)».
Begnügen wir uns beim Beweismaterial lediglich mit dem Hin-weis von Piero Bianconi, den Angaben im Wörterbuch und mit denbeinhart gebackenen Stängeli, trägt das Gebäck nicht zu Unrechtdie Bezeichnung Totenbeinli. Doch darf man sich der Vermutung
des NZZ- Lesers Ch. I. nicht verschliessen, der hier «ein frappantes
semantisches Beispiel dafür (sieht), wie sich . . .Lebensgefühl und
Sprachgebrauch südlich und nördlich der Alpen unterscheiden: Ausden fröhlich-sinnlichen <; Beiss- Knochen» werden die, auch im Ge-schmack, genussfeindlichen <;Totenbein!i>;. «Noch hübscher, aber
wohl nicht begründet», schreibt Ch. I. weiter, «ist die Annahme,dass die eigentliche Dialektbezeichnung «Ossdamon (Liebeskno-chen) lautete, dann zunächst verschämt zu <;Ossdamord>; verharm-lost und schliesslich als <;Todesknochen>; in den nüchternen Nordentransplantiert wurde.»
Dies ist sicher keine abwegige Überlegung. Doch zum Liebes-knochen lässt sich heute das Totenbeinli nicht mehr umformen.Denn die Bezeichnung «Liebesknochen» ist im deutschen Sprach-gebiet schon seit langem besetzt durch ein zwar ebenfalls längliches,
doch meist mit einer süssen Füllung versehenes und mit einer Zuk-ker- oder Schokoladekuvertare überzogenes Brandteiggebäck. Inder Deutschschweiz kennen wir dieses süss-weiche Backwerk vorallem unter seinem französischen Namen. Wie lautet er?
Rene Simmen
Lifträtsel «China»
cmMft
Das Parterrewort China ist nach oben links und rechts in je achtEtagewörter zu verwandeln: Schrägziffer - sovielten Buchstabendes unteren Wortes streichen. Schrägstrich = Restbuchstaben desunteren Wortes mehr oder weniger umstellen bzw. verschieben.Waagrechtstrich - 1 Restbuchstabe des unteren Wortes für die Bil-dung des oberen. Punkt " \ neuen Buchstaben einsetzen. Senk-rechtstrich m Buchstabe darunter für die Bildung der Schlusslösung.
Senkrechtstrich mit Punkt « Endbuchstabe eines Schlusslösungs-
wortes.
Links: 1. hochbeiniger Vogel, 2. Möbelstück, 3. höchster Be-amter in altgriechischen Stadtstaaten, 4. Elefantenführer, 5. Norwe-gen (englisch), 6. Fluss in Mecklenburg, 7. Sohn und Gemahl derGaia in der griechischen Mythologie, 8. getrocknete Frucht.
Rechts: 1. dalmatinischer Fluss, 2. schmerzhafter Muskelkrampf,3, Holzschuh, 4. Vorsteh-Hund, 5. französischer Präsident1913-1920, 6. italienischer Maler und Radierer (1613-1679),
7. antikes Siegesmal, 8. Wahl einer bestimmten Staatsangehörigkeit
Schlusslösung: Die Buchstaben unter den Senkrechtstrichen,etagenweise von links nach rechts und von o b en nach unten anein-andergereiht, ergeben folgendes geographisches Sextett: a) rumäni-scher Badeort am Schwarzen Meer, b) finnische Hafenstadt,c) Strom in Südamerika, d) alte Küstenlandschaft in Kleinasien,e) Kykladeninsel, 0 französischer Name einer Rivierastadt.
Additionsrätsel Nr. 153
SCHOENE
ASTERN
STRAUSS
In den prächtigen Herbst-blumen steckt eine korrekteAddition, wenn man dieBuchstaben d u r ch richtig ge-
wählte Zahlen ersetzt. Einebestimmte Zahl darf immernur einen Buchstaben vertre-ten und die Null nirgends zu-vorderst stehen.
Philarithmos
(Lösungen aller Rätsel in der nächsten «Wochenenden-Ausgabe)
Rätsellösungen
Kreuzworträtsel Nr. 466Waagrecht:
1 die Haushaltung,1 1 Alte (Kameraden), 12 itera,
13 sew, 14 Ertrag, 17 saA, 19 Achim (von Arnim), 20 Ab-, 22 spek-kig, 24 Gabe, 26 Reihen), 28 Piken, 29 Sauen, 30 Schienen,32 morgig, 33 Charter, 34 verbale, 35 herein, 36 Sittener, 37 Brant,38 Solei (isole), 39sia, 40 Ende, 41 Gebaren, 43 -de, 44 Fugen,
45 sec 47 Sparer, 48 v. h. E., 50 rullo, 52 Zeit, 53 Lesen, Stilbruch.
Senkrecht: 1Das(sin), 2 lies, 3 etwas, 4 He(iden), 5 (T)u(r)i(n),
6 Stecken-, 7 her, hin, 8 artig, 9 (Bette)larm, 10 Gartengerät,15 Graugans, 16 Marschbefehl, 18 Appetit, 19 Acker, 21 bechern,23 einen, 24 Garbe, 25 Beileid, 27charades, 29 sorties, 31 Irene,32 Meter, 34 Vilan, 36soberly, 38 segelt, 41 Gurus, 42 neveu,44 Farn, 46 chic, 49 ETH, 5 1
(R)ol(and), 52 Z(a)r.
Neue Zürcher Zeitung vom 02.11.1991