hihliht wie das neue in die welt der kunden kommt · 2019. 3. 26. · data, blockchain, cloud...

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Seite 16 // kmuRUNDSCHAU HIGHLIGHT D urch die digitale Transformation wird bis 2025 in Europa eine in- dustrielle Bruttowertschöpfung von geschätzten 1.42 Billionen CHF erzielt (Bloching et al., 2015). Dabei geht es um Themen wie AI (Artificial Intelligence), Big Data, Blockchain, Cloud Devices, Inter- net of Things, Smart Devices oder Social Media. Und in diesen Bereichen innovieren viele Unternehmen aktuell – oder werden es tun. Diese Innovationen müssen auch verständlich und wirksam vermarktet werden. Vor allem, wenn potenzielle Kun- den noch gar keine Erfahrung mit einer spe- zifischen Innovation machen konnten. Deshalb müssen Unternehmen die Be- dürfnisse und Verhaltensweisen poten- zieller Nutzer kennen und modellieren können – und dabei Erkenntnisse der Ent- scheidungsforschung nutzen, um erfolg- reich zu sein. Es ist unerlässlich für den Unternehmens- erfolg, nahe an Kunden sein zu können, diese zu verstehen, um damit besser ver- markten und verkaufen zu können (zum Beispiel Accenture, 2015). Dies ist prinzipiell unabhängig davon, ob es sich um Produkte, Dienstleistungen oder neue Geschäfts- modelle handelt. Deshalb haben Kunden- erfahrungen («customer experience») im Zeitverlauf der sogennanten Ccustomer Journey (Kundenreise) in vielen Unterneh- men oberste Priorität. Dies ist deshalb in den Fokus gerückt, weil Kunden mittler- weile unzählige Berührungspunkte («touch points») besitzen, um mit Unternehmen zu interagieren oder sich zu informieren respek- tive Eindrücke zu verschaffen. Die Customer Experience ist dabei ein mehrdimensionales wirtschaftspsychologisches Konstrukt, das zusammengenommen verschiedene ge- dankliche, emotionale, sensorische oder verhaltensbasierte Aspekte umfasst (Bra- kus, Schmitt, & Zarantallo, 2009). Bei einem WIE DAS NEUE IN DIE WELT DER KUNDEN KOMMT INNOVATIONEN IN DER FRÜHEN PHASE WIRKSAM VERMARKTEN von Dr. Tobias Heilmann Was können Unternehmen tun, um Innovationen in einer frühen Phase zu vermarkten? Vor allem, wenn Kunden noch keine Erfahrung mit der jeweiligen Innovation machen konnten? Der Beitrag beleuchtet, welche Schritte und Methoden helfen, Unsicherheit abzubauen und die richtige Positionierung vorzunehmen. Den Weg des Kunden erkennen.

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Page 1: HIHLIHT WIE DAS NEUE IN DIE WELT DER KUNDEN KOMMT · 2019. 3. 26. · Data, Blockchain, Cloud Devices, Inter-net of Things, Smart Devices oder Social Media. Und in diesen Bereichen

Seite 16 // kmuRUNDSCHAU

HIGHLIGHT

Durch die digitale Transformation wird bis 2025 in Europa eine in-dustrielle Bruttowertschöpfung von

geschätzten 1.42 Billionen CHF erzielt (Bloching et al., 2015). Dabei geht es um Themen wie AI (Artificial Intelligence), Big Data, Blockchain, Cloud Devices, Inter-net of Things, Smart Devices oder Social Media. Und in diesen Bereichen innovieren viele Unternehmen aktuell – oder werden es tun. Diese Innovationen müssen auch verständlich und wirksam vermarktet werden. Vor allem, wenn potenzielle Kun-den noch gar keine Erfahrung mit einer spe-zifischen Innovation machen konnten.

Deshalb müssen Unternehmen die Be-dürfnisse und Verhaltensweisen poten-zieller Nutzer kennen und modellieren können – und dabei Erkenntnisse der Ent-scheidungsforschung nutzen, um erfolg-reich zu sein.

Es ist unerlässlich für den Unternehmens-erfolg, nahe an Kunden sein zu können, diese zu verstehen, um damit besser ver-markten und verkaufen zu können (zum Beispiel Accenture, 2015). Dies ist prinzipiell unabhängig davon, ob es sich um Produkte, Dienstleistungen oder neue Geschäfts-modelle handelt. Deshalb haben Kunden-

erfahrungen («customer experience») im Zeitverlauf der sogennanten Ccustomer Journey (Kundenreise) in vielen Unterneh-men oberste Priorität. Dies ist deshalb in den Fokus gerückt, weil Kunden mittler-weile unzählige Berührungspunkte («touch points») besitzen, um mit Unternehmen zu interagieren oder sich zu informieren respek-tive Eindrücke zu verschaffen. Die Customer Experience ist dabei ein mehrdimensionales wirtschaftspsychologisches Konstrukt, das zusammengenommen verschiedene ge-dankliche, emotionale, sensorische oder verhaltensbasierte Aspekte umfasst (Bra-kus, Schmitt, & Zarantallo, 2009). Bei einem

WIE DAS NEUE IN DIE WELT DER KUNDEN KOMMT

INNOVATIONEN IN DER FRÜHEN PHASE WIRKSAM VERMARKTENvon Dr. Tobias Heilmann

Was können Unternehmen tun, um Innovationen in einer frühen Phase zu vermarkten? Vor allem, wenn Kunden noch keine Erfahrung mit der jeweiligen Innovation machen konnten? Der Beitrag beleuchtet, welche

Schritte und Methoden helfen, Unsicherheit abzubauen und die richtige Positionierung vorzunehmen.

Den Weg des Kunden erkennen.

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Ausgabe 1/2019 // Seite 17

HIGHLIGHT

Produkt könnte das zum Beispiel Folgen-des sein: Hilft mir das neue Produkt bei der Problemlösung? Mache ich positive emotionale Erfahrungen? Sieht das neue Produkt gut aus? Fühlt sich das neue Pro-dukt (im physischen Sinne) gut an? Bei Geschäftsmodellen, die beispielsweise auf neuen Technologien basieren, welche Kunden im eigentlichen Sinne nicht un-mittelbar «sehen» oder «spüren», ist dann die Customer Experience schon schwie-riger zu erfassen. Aber diese ist wichtig, weil stimmige und positive Erfahrungen die Wahrnehmung und damit den Unter-nehmenserfolg signifikant beeinflussen. Das macht sogar 30 Prozent der Marktka-pitalisierung der Standard & Poor’s 500 Fir-men aus (Larkin, 2013). Wo liegt jedoch die Herausforderung bei Innovationen – vor allem dann, wenn sie sich in einer frühen Phase befinden?

DIE PHASEN IN DER CUSTOMER JOURNEYDie sogenannte Customer Experience wird in der Forschung als Reise (daher: Customer Journey) konzipiert, auf die sich Kunden über die Zeit hinweg mit einem Unternehmen begeben. Dabei sammeln Kunden eine Menge von Erfahrungen in einem dynamischen Prozess. Dieser Pro-

zess besteht im Kern aus drei Phasen sowie die zugehörigen Feedbackschlaufen (Lemon & Verhoef, 2016):1. Pre-Kauf (engl. prepurchase):

Diese Phase umfasst alle Interaktionen mit einer Marke (Produkt, Dienstleis-tung, Technologie), bevor man sich final entschliesst, Kunde zu werden. Dies geschieht zum Beispiel durch Suchen im Internet oder durch Austausch in Foren oder durch Orientierung in Unternehmen vor Ort. Das bildet die Basis. Hier wird der Weg für den Kauf geebnet – oder eben nicht.

2. Kauf (engl. purchase): Klassisch beinhaltet die zweite Phase die Auswahl, die Bestellung und die Bezahlung – offline oder online – und die dabei gemachten Erfahrungen mit den verschiedenen Touch Points.

3. Post-Kauf (engl. postpurchase): Die dritte Phase beinhaltet sowohl Nutzung als auch Konsum oder auch Serviceanfragen. Das Produkt, die Dienstleistung oder die Technologie als solche bilden dann vor allem den Touch Point.

UNSICHERHEIT BEI WENIG ERFAHRUNG Die Fähigkeit, Innovationen zu vermarkten, die sich in einer frühen Phase – zum Bei-spiel einer neuen Technologie – befinden, ist offensichtlich ein kritisches Kernelement für Fortschritt und Wachstum (Gruber, MacMillan, & Thompson, 2013). Im Zusam-menhang mit der Pre-Kaufphase wird mehrheitlich implizit angenommen, dass Kunden vor dem Kauf aktiv recherchieren oder sich kundig machen. Das ist aber eben nicht immer der Fall. Vor allem nicht,

wenn es sich um Innovationen handelt, die fundamental neu und daher noch wei-testgehend unbekannt am Markt sind. Deshalb werden sie auch oft noch nicht verstanden. Man weiss noch nicht genau, in welchem Markt die Innovation genau platziert werden kann. Vor allem dann, wenn Innovationen plattformbasiert sind oder es sich um technologische Neue-rungen handelt, die nicht in einem spezi-fischen Produkt münden, sondern eine Reihe von Anwendungsmöglichkeiten bie-ten. Zum Beispiel hat eine Forschergruppe der Harvard University eine Metalinse hergestellt, die das gesamte sichtbare Lichtspektrum korrekt brechen kann. Dies klingt auf den ersten Blick vielleicht nicht sehr spannend, ist aber hoch interessant. Diese Innovation kann sowohl Smart Pho-nes, Kameras, Mikro skope oder VR-Brillen signifikant optimieren (Khorasaninejad et al., 2016). Patentiert ist die Metalinse be-reits – aber die Platzierung noch nicht klar und ein mögliches Produkt noch nicht eingeführt.

INNOVATION UND PSYCHOLOGIEAber wie können nicht vorhandene Erfah-rungen und damit die Black Box in der Customer Journey umgangen werden? Es ist nicht zu empfehlen, sich umfänglich an Bisherigem zu orientieren, da etablierte Strategien sich häufig nicht auf Innovatio-nen anwenden lassen. Deshalb müssen sich Unternehmen direkt an der besten Informationsquelle ausrichten: ihre Kun-den. Um Innovationen erfolgreich vorzu-nehmen und positionieren zu können, wer-den drei psychologische Elemente aus wirtschaftspsychologischer Sicht zur Mes-sung bei potenziellen Zielgruppen emp-fohlen (zum Beispiel Heilmann, 2018):

Kunden sind heute meistens top informiert.

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Seite 18 // kmuRUNDSCHAU

HIGHLIGHT

ist Studiengangsleiter MAS Wirtschafts-psychologie, Fernfachhochschule Schweiz (FFHS), Dozent Marken-, Werbe- & Personalpsychologie, Behavioral Economics und Statist ik / Methoden und Geschäfts-führer bei der campaignfit GmbH.

www.ffhs.ch www.campaignfit.ch

DR. TOBIAS HEILMANN

1. Eigen-Analyse: Wie wird die Innovation von aussen – von den Zielgruppen – wahrgenommen? Für welche Werte und Attribute steht dort die Innovation? Wodurch begeistert die Innovation aktuelle und potenzielle Zielgruppen?

2. Kundenbedürfnisse: Welche funktiona-len und emotionalen Bedürfnisse sind für die Zielgruppen – und damit für die Ausgestaltung und Vermarktung der Innovation – relevant?

3. Megatrends: Welche Umweltbeding-ungen und gesellschaftlichen Mega-trends sind für die Zielgruppen – und damit für die Innovation – relevant?

Natürlich sind diese drei Aspekte hier ver-kürzt dargestellt. Nichtsdestotrotz: Alle drei Elemente lassen sich mittels präziser, quantitativer, wirtschaftspsychologischer Verfahren erfassen und für Unternehmen modellieren (Predictive Analytics). Und solche Daten sind sehr genau. Sie dienen dann dazu, eine richtige Positionierung in Strategie und Umsetzung mit erhöhter Erfolgswahrscheinlichkeit vornehmen zu können. Es ist in diesem Zusammenhang zweitranging, ob zukünftigen Kunden all-fällige Parameter noch nicht hinlänglich bekannt sind. Denn wir wissen aus der Verhaltensökonomie (behavioral econo-mics), dass Kunden nicht durchweg logisch oder rational entscheiden oder alle Infor-mationen bis in das letzte Detail benöti-gen. Sehr oft wird nach sogenannten

Heuristiken entschieden (Gigerenzer, 2008). Solche Heuristiken sind oft genutzte Faust-regeln, die wir Menschen verwenden, um zu einem Urteil zu gelangen. Heuristiken sind in vielen Fällen effektiv – selbst wenn rein rational noch nicht alle Informationen zur Entscheidung vorhanden sind und öko-nomisch gewichtet wurden.

Wenn Unternehmen Innovationen planen oder entwickeln, dann müssen sie sich damit also nicht im Dunkeln bewegen. Es gibt die Möglichkeit, Daten für die ver-ständliche und wirksame Vermarktung zu generieren. Mit diesen Analysen und Daten besitzen Unternehmen dann aber bereits präzise Anhaltspunkte, um das Marketing und den Verkauf – und damit die Customer Journey – sinnvoll auf stra-tegischer und operativer Ebene planen und umsetzen zu können.

LITERATURVERZEICHNISAccenture (2015). Improving Customer Experience Is Top Business Priority for Companies Pursuing Digital Transfor-mation, According to Accenture Study news release, www.newsroom.accenture.com/news/improving-customer-experienceis-top-business-priority-for-companies- pursuing-digital-transformation-according-to-accenture-study.htm.

Brakus, J. J., Schmitt, B. H., & Zarantonello, L. (2009). Brand experience: what is it? How is it measured? Does it affect loyalty? Journal of Mar-keting, 73(3), 52-68.

Bloching, B., Leutiger, P., Oltmanns, T., Rossbach, C., Schlick, T., Remane, G.,… & Shafranyuk, O. (2015). Die digitale Transformation der Industrie; Was sie bedeutet. Wer gewinnt. Was jetzt zu tun ist. Roland Berger Strategy Consultants and BDI, Munich, Berlin, February.

Gigerenzer, G. (2008). Why heuristics work. Perspectives on psychological science, 3(1), 2029.

Gruber, M., MacMillan, I. C., & Thompson, J. D. (2013). Esca-ping the prior knowledge corridor: What shapes the number and variety of market opportunities identified before market entry of technology startups? Organization Science, 24(1), 280-300.

Heilmann, T. (2018). Die Bilder in unserem Kopf: Die Psychologie der Geschäftsmodellinnovation. kmuRUNDSCHAU, 2, 34-36.

Khorasaninejad, M., Chen, W. T., Devlin, R. C., Oh, J., Zhu, A. Y., & Capasso, F. (2016). Metalenses at visible wavelengths: Diffraction-limited focusing and subwavelength resolution imaging. Science, 352(6290), 1190-1194.

Larkin, Y. (2013). Brand perception, cash flow stability, and financial policy. Journal of Financial Economics, 110, 232-253.

Lemon, K. N., & Verhoef, P. C. (2016). Understanding custo-mer experience throughout the customer journey. Journal of Marketing, 80(6), 69-96.

Das zentrale Ziel ist, nahe am Kunden zu sein.