in copyright - non-commercial use permitted rights ...zeigten keine schäden, weil sie tief fundiert...

9
Research Collection Journal Article Das grosse Hanshin-Erdbeben vom 17. Januar 1995 Author(s): Koller, Martin G.; Studer, Jost A.; Wenk, Thomas Publication Date: 1995-03-09 Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-006395955 Rights / License: In Copyright - Non-Commercial Use Permitted This page was generated automatically upon download from the ETH Zurich Research Collection . For more information please consult the Terms of use . ETH Library

Upload: others

Post on 07-Feb-2021

0 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

  • Research Collection

    Journal Article

    Das grosse Hanshin-Erdbeben vom 17. Januar 1995

    Author(s): Koller, Martin G.; Studer, Jost A.; Wenk, Thomas

    Publication Date: 1995-03-09

    Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-006395955

    Rights / License: In Copyright - Non-Commercial Use Permitted

    This page was generated automatically upon download from the ETH Zurich Research Collection. For moreinformation please consult the Terms of use.

    ETH Library

    https://doi.org/10.3929/ethz-a-006395955http://rightsstatements.org/page/InC-NC/1.0/https://www.research-collection.ethz.chhttps://www.research-collection.ethz.ch/terms-of-use

  • Bautechnik Schweizer Ingenieur und Architekt Nr. 11, 9. März 1995 258

    Martin G. Koller, Carouge,Jost A. Saider, Thomas Wenk, Zürich

    Das Grosse Hanshin-Erdbebenvom 17. Januar 1995Das Grosse Hanshin-Erdbeben vom17. Januar 1995 stellt das folgen¬schwerste Beben der letzten 50Jahre in Japan dar und hat die Indu¬striestadt Kobe ins Herz getroffen.Es forderte 5380 Tote und 27 000Verletzte. 107 000 Häuser (entsprichtetwa 30% aller Gebäude) wurdenzum Teil stark beschädigt, davonstürzten etwa 20 000, in erster LinieHolzhäuser, ein. Ein Erkundungsteamder Schweizer Gesellschaft für Erd¬bebeningenieurwesen und Bau¬dynamik (SGEB) innerhalb des SIAweilte eine Woche im Schadengebietund konnte dort wertvolle Beobach¬tungen machen.

    Die Erkundungsmission der drei beauf¬tragten Experten verfolgte die folgendenZiele:

    einen Schadenüberblick, namentlichbei modernen Bauten, als Grundlage zurBeurteilung der Zuverlässigkeit heutigerErdbebenauslegung und Normen zu erarbeiten¦ Kontakte ftir nachfolgende vertiefteUntersuchungen und Abklärungen zuknüpfen.

    Die Mission erfolgte in Zusammenar¬beit mit dem Schweizerischen Katastro-phenhilfekorps (SKH). Weitere finanzielleUnterstützung leisteten das SchweizerischeKomitee der Internationalen Dekade zur

    Reduktion der Nauirgefahren (IDNDR)sowie das Nationale Forschungsprogramm(NFP) 31.

    Schadenübersicht

    Kobe Industriestadt und wichtigsterHafen Japans zählt 1.5 Mio. Einwohner.Der industrielle Aufschwung begann nachdem grossen Kanto-Beben von 1923, als einTeil der Industtie aus Sicherheitsgründenaus der Gegend von Tokio nach Kobe über¬siedelte. Im Zweiten Weltkrieg wurde Kobefast völlig zerstört. Die Nachkriegszeit bisAnfang der siebziger Jahre zeichnet sichdurch eine starke Bautätigkeit aus. VieleNeubauten dokumentieren eine regeBautätigkeit in den achtziger und neunzigerJahren. Die Bausubstanz darf deshalb alsweitgehend jung bezeichnet werden.

    Die nachfolgende Schadenübersichtbasiert auf japanischen Zeiamgsangaben.Die durch die japanische MeterologicalAgency ermittelten Intensitäten sind in Ta¬belle 1 zusammengefasst.

    Die hohe Zahl der Toten und Verletz¬ten wäre sicher noch wesentlich höher aus¬gefallen, wenn das Beben nicht um 05.46Lokalzeit, sondern nur wenige Stundenspäter während der Stosszeit mit den überfüllten Vorortszügen und Hochstrassen er¬folgt wäre. Das lokale Bahnnetz mit sehrdichten Zugsfolgen und das Hochlei-stungsstrassennetz wurden weitgehend zer¬

    stört. Dies führte zu einem immensen Ver¬kehrschaos durch den Privatverkehr, derdie Rettungs- und Aufräumarbeiten starkbehinderte. Die Behörden setzten deshalbihren Schwerpunkt in der - mindestens provisorischen - Wiederherstellung von Ei¬senbahnlinien und Verkehrswegen. Bis al¬lerdings das Eisenbahnnetz wieder durch¬gehend befahrbar ist, werden Monate ver¬gehen.

    Beim Beben fiel die Strom-, Wasser-und Gasversorgung in der AgglomerationKobe praktisch vollständig aus. Erstaunlichrasch konnten bereits nach sechs Tagen alleGebäude - mit Ausnahme von 40 000 Haus¬halten in instabilen und zerstörten Bauten- wieder ans Stromnetz angeschlossen wer¬den. Auch die Wasserzufuhr funktioniertebehelfsmässig in den weniger beschädigtenQuartieren bereits etwa 14 Tage nach demEreignis wieder. Der Ausfall der Wasserlei¬tungen verunmöglichte die Bekämpfungder über 350 Brandherde, namentlich in denWohngebieten mit Holzhäusern. Diesewaren zum Teil nach zwei Tagen noch nichtgelöscht. Bereits nach drei Tagen war Kobedurch eine Vielzahl von Satelliten-Telefon¬anschlüssen mit der Aussenwelt verbun¬den, die jedermann kostenlos benützenkonnte. Dies ist eine grundsätzlich andereDoktrin als die in der Schweiz vorgesehe¬ne Massnahme, bei einer Grosskatastropheprivate Telefonanschlüsse zu sperren.

    Wenn auch in den japanischen Mediendas Anlaufen der Rettungsarbeiten unmit-

    Intensitätjapanische MSKSkala

    im Hauptschadengebiet von Kobeim grössten Teil von Kobe, in Sumoto und imNorden von Awajiin Kyoto. Hikon, Toyookain Osaka, Nara, Maizuru, Wakayama und Himeji

    Tabelle 1.Beobachtete Intensitäten des Grossen Hanshin-Erdbebens vom 17.1.1995

    7

    6

    XIVIII X

    5

    4

    VI VIIV. VI

    Bild 1.Gerundete horizontale Spitzenbodenbeschleunigungen

    Rokko-Gebirge23 22

    obeO

    Osakaê».j.

    Epizentrum

    liAwaji

    km18 13

  • Bautechnik Schweizer Ingenieur und Architekt Nr. 11, 9. März 1995 259

    Beschleunigung [g]¦V \TT ».

    Vert

    A0 5

    O w02

    O 1

    0.050,1 02 0,5 1 2

    Periode [s]

    Bild 2.Antwortspektrum 5% Dämpfung (Geo ResearchInstitute, Osaka).

    Beschleunigung [g]TT N

    ^S nex,

    .> __.

    0.5

    c. -0 20 1

    0 050 50 20,1Periode

    Beschleunigung [g]

    «Kobe Motoyama»;«Kobe University»

    s me

    __ f'

    0.2

    o- 0.1

    0050,1 0.2 0,5 1 2

    Periode [s]

    telbar nach dem Beben als zu langsam undunkoordiniert kritisiert wurde, darf fest¬gehalten werden, dass die Aufräumungs¬arbeiten aussergewöhnlich rasch und effi¬zient vorangetrieben werden.

    Seismologische Aspekte

    Die Hafenstadt Kobe und ihre Vororte bil¬den einen langen Streifen, eingebettet zwi¬schen der Meeresbucht von Osaka und demzur Küste parallel verlaufenden Rokko-birge (Bild l). Ein Schnitt quer zur Kü¬stenlinie zeigt, dass die äussersten bergseitigen Quartiere auf Granit gebaut sind; ineinem überwiegenden mittleren Bereichbesteht der Untergrund aus "mittels reifen»alluvialen Ablagerungen - im wesendichenein Kiessand mit einer Scherwellengeschwindigkeit von etwa 350 m/s in Ober¬flächennähe. Die Mächtigkeit dieser Abla

    gerungen nimmt zur Küste hin zu und er¬reicht dort Werte von einigen hundert Me¬tern. Ein Küstenstreifen von mehreren hun¬dert Metern Breite sowie zwei vorgelager¬te, dicht bebaute künstliche Inseln bestehenaus Aufschüttungen.

    Das Epizentrum des Grossen HanshinBebens mit einer Magnitude von Mt 7.2liegt zwischen der Insel Awaji und demFestland. Die Herdtiefe beträgt 13 km. Einoberflächennaher Scherbruch (strike-slip»)hat sich bis nach Kobe und längs der Stadtauf einer Länge von 40 km ausgebildetwahrscheinlich in Form zweier wenigeSekunden auseinanderliegender Bruchvor¬gänge.

    In entgegengesetzter Richtung hat sichder Bruch endang der Nordwestküste derInsel Awaji über etwa 10 km fortgebildetund dabei auf 9 km Länge die Oberflächeerreicht. Der Spannungsabfall in der Bruch¬fläche ist zwar noch nicht zuverlässig er¬mittelt, doch dürfte er ausgesprochen hoch

    \>

    ___3 HauptschadcnsgcbielVcnverfungen

    km

    Bild 3.Hauptschadensgebiet Grossraum Kobe

    gewesen sein; provisorische Werte vonüber 100 bar wurden schon genannt.

    In Bild 1 sind die maximalen Werte derhorizontalen Bodenbeschleunigungen eingetragen, die entweder direkt gemessenoder aus Geschwindigkeitsmessungen er¬rechnet wurden. Im alluvialen Bereich sindan verschiedenen Orten Werte bis über80% g horizontal zu verzeichnen, was ein¬mal mehr unterstreicht, dass auch aufLockergestein so hohe Werte möglich sind.

    Was den Raum Kobe anbetrifft, so sindbisher nur zwei Seismogramme des Haupt¬bebens öffentlich zugänglich. Es handeltsich um Geschwindigkeitsmessungen inden Stationen »Kobe University- auf Felsund -Kobe Motoyama» auf Alluvium,wobei letztere leider bei 400 mm/s gesättigtwurde. Trotzdem Hessen sich aus den un¬gesättigten Teilen Akzelerogramme undwenigstens näherungsweise Antwortspek¬tren errechnen (Bild 2). Einmal mehr wurdedamit widerlegt, dass die maximal auftre¬tenden Beschleunigungswerte in den Ant¬wortspektren auf mittelsteifen alluvialenBöden höchstens gleich gross oder gar kleiner seien als die maximalen Werte auf Fels.Im weiteren fällt auf, dass für einen "Strikeslip-Mechanismus ausgesprochen hohevertikale Bodenbeschleunigungen aufge¬treten sind, was sich mit der unmittelbarenHerdnähe erklären lässt.

    Das auffälligste - und bisher noch nichtwirklich verstandene - Merkmal dieses Bebens ist, dass die Hauptschadenszone einenrund 30 Kilometer langen und nur ein biszwei Kilometer breiten Streifen darstellt(Bild 3). Die bergseitige Begrenzung folgtzwar teilweise, aber keinesfalls überall derGrenze zwischen Granit und Alluvium, undmeerseitig liegen die Bereiche künsdicherAufschüttungen im wesentlichen ausser¬halb der Hauptschadenszone. Ungünstigelok.de LJntergrundcinflüsse scheinen des¬halb auf den ersten Blick keine vorherr-

    5

  • Bautechnik Schweizer Ingenieur und Architekt Nr. 11, 9. März 1995260

    êczcislI1

    _:_.-

    Bild 4.

    Setzungen infolge Bodenverflüssigung auf Port-Island

    Bild 5.Umfangreiche horizontale und vertikale Boden¬

    verschiebungen infolge Versagen der Hafenmo¬len auf Port-Island

    sehende Rolle gespielt zu haben, was zahl¬reiche Experten dazu verleitet hat, dieschmale Hauptschadenszone als Abbild derunmittelbar unter ihr liegenden Bruch¬fläche zu erklären.

    Allein, diese Interpretation hält einergenaueren Prüfung nicht stand. Wäre dieBruchfläche des Bebens tatsächlich überallunterhalb der Hauptschadenszone verlaufen, so hätten sich die Stationen «Kobe Uni¬versity» (a_llx 31% g in Bild l) und «Kobe

    Motoyama» (a_,.LX 78% g in Bild l), soweitaus den verfügbaren Karten hervorgeht,auf den einander gegenüberliegenden Seiten der Bruchfläche befunden. Die Polari¬sierung der horizontalen Bodenbewegungen ist aber an beiden Orten dieselbe, wasfür dieselbe Seite spricht. Auch die Lokali¬sierung der zahlreichen Nachbeben, derenHypozentren gewöhnlich in und vor allemam Rand der Hauptbruchfläche liegen, wi¬derspricht der erwähnten Hypothese: DerBruch dürfte sich vielmehr endang den inBild 3 gezeichneten, bekannten Verwer-fungssegmenten und damit längs demnordwestlichen Stadtrand ausgebildethaben. Die schmale Hauptschadenszonemusste damit doch überwiegend auf Standorteinflüsse zurückzuführen sein. Weshalbaber zeigten dann die Bereiche der Auf¬schüttungen nicht die grössten Schäden,wie dies gewöhnlich zu beobachten ist?

    Auf den ersten Blick ist man versucht,starke nichtlineare Effekte in den Auf¬schüttungen zur Erklärung beizuziehen.Doch hat sich auch bei schwachen After¬shocks gezeigt - die Universität Kyoto hat

    nach dem Hauptbeben mehrere Messgeräteinstalliert -, dass die spektralen Beschleuni¬

    gungen innerhalb des Hauptschadengebie¬tes insbesondere im Bereich von 2 Hz deut¬lich höher ausfielen als auf den Aufschütaingen: Erklärt etwa eine Koinzidenz derStandort- und der Gebäude-Eigenffequen-zen das schmale Band der Hauptschadenszone? Eine abgesicherte Erklärung wird erstmit Hilfe tiefergehender Untersuchungenzu finden sein.

    Geotechnische Aspekte

    Der Grossteil der baugrundinduziertenSchäden wurde auf den kiessandigen Allu-vionen in der Küstennähe, den künsdichenAufschüttungen im Hafen und den künst¬lichen Inseln beobachtet. In grossen Bereichen der Hafenanlagen und auf den künst¬lichen Inseln konnten grosse vertikale undhorizontale Bodenverschiebungen beob¬achtet werden. Diese wurden durch dieweidäufige Bodenverflüssigung ausgelöst.Die Oberfläche der künstlichen Inseln setzte sich grossflächig zwischen 0.3 m und 1 m.Hafenmauern versagten aufweite Strecken,was zu horizontalen Deformationen vonmehreren Metern und zu lokalen Setzun¬

    gen bis zu drei Metern führte. Bilder um¬gekippter Wohnbauten und aufgeschwom¬mener unterirdischer Tanks, wie sie von Ni-jagata (1964) bekannt sind, konnten jedochdank den Fortschritten der Fundations-technik nicht beobachtet werden. Die Schä¬den an Bauten sind deshalb erstaunlich ge¬

    ring. So blieb das Spital auf Port-Island, dasauf 60 m langen Pfählen fundiert sein soll,funktionstüchtig. Geringes Schiefstellenoder Aufschwimmen konnte nur bei weni¬gen Bauten, meist weniger wichtigen, beobachtet werden.

    Das infolge der Bodenverflüssigungausgespülte Material zeigt die typischeKorngrössenverteilung eines schlechtabge¬stuften homogenen Feinsandes. Das ausgespülte Material überdeckte grosse Flächenmit einer mehrere Zentimeter dickenSchicht. Die Strassen und Plätze müsstenim folgenden wie bei Schneefall geräumtwerden.

    Auf der künstlichen Insel Port-Islandverläuft eine aufgeständerte Hafenbahn.Deutlich ist in Bild 4 die grosse Setzung(knapp 1 m) der Umgebung eines Pfeilerszu erkennen. Pfeiler und Überbau der Ha¬fenbahn und Bauwerke im Hintergrundzeigten keine Schäden, weil sie tief fundiertsind. Bild 5 zeigt eine der vielen beschädig¬ten Hafenmauern. Die horizontalen Defor¬mationen betragen mehrere Meter. Dieetwas zurückgesetzten, tief fundierten Ge¬bäude sind weitgehend unbeschädigt.

    Im Stadtgebiet gibt es drei grössereStrassen- und zwei grössere Eisenbahntun¬nel. Zwei Strassen- und ein Eisenbahntun¬nel von je etwa 7 km Länge unterquerendas Rokko-Gebirge senkrecht zur Küste;der Tunnel der Schnellbahn Shinkansen(Länge zweimal 15 km) verläuft parallel zurKüste im Rokko-Gebirge. Während dieStrassentunnel nach japanischen Angabenoffenbar keine Schäden erlitten haben, soll

  • Bautechnik Schweizer Ingenieur und Architekt Nr. 11, 9. März 1995 261

    im Innern des Shinkansentunnels an einerStelle, vermutlich in der Nähe der Verwer¬fung, die Tunnelauskleidung leicht beschä¬digt sein.

    Industrieanlagen

    Die meisten Industrieanlagen Kobes befin¬den sich in Küstennähe und damit im Be¬reich der Aufschüttungen. Die wesentlich -sten Schäden ergaben sich aus den grossenBodendeformationen; direkte Schäden in¬folge der Erdbebenbeschleunigungen alssolche waren nur wenige zu sehen.

    Aus wirtschaftlicher Sicht sind dieSchäden an den Hafen- und Industrieanlagen als verheerend zu bezeichnen, dies ins¬besondere, wenn auch die umfassendenProduktionsausfälle berücksichtigt wer¬den, die sich über viele Monate hinziehenwerden. Aus dem Blickwinkel von Umweltschutz und Sicherheit hingegen habensich die meisten Lager und Anlagen zufrie¬denstellend verhalten. Zwar meldete die«Japan Times» vom 5.2.95, 40 % von Kobes415 Tanklager ftir Erdölderivate seien beschädigt worden. Doch handelte es sichhierbei in der Mehrzahl um von Auge kaumfeststellbare bleibende Verformungen undgeringfügige Schrägstellungen, die nur inEinzelfällen spektakuläre Ausmasse annah¬men (Bild 6). Es gelang den Autoren je¬denfalls nicht, auch nur einen einzigen Tankzu finden, der infolge der Erdbebener¬schütterung kollabiert wäre oder das typi¬sche Schadenbild eines «Elephantenfusses»aufgewiesen hätte. Trotzdem ist wohl alsgrosses Glück zu bezeichnen, dass in denIndustrieanlagen, im Gegensatz zu den

    Wohnzonen, kein einziges nennenswertesFeuer ausgebrochen ist.

    Den Autoren kam ein einziger ernst¬hafter Zwischenfall zu Ohren: ein Leckeines Ventils in einer Leitung für toxischesGas, was eine Evakuation der Bevölkerungim Umkreis weniger Kilometer notwendigmachte. Im weiteren waren da und dortRisse in Sohle und Wänden von Auffangbecken von Tanklagern zu beobachten(Bild 7), die sich aber nicht auswirkten, dakeine Lecks in Tanks entstanden sind.

    Im allgemeinen war es erwartungs-gemäss unmöglich, Zutritt zu den Indu¬striearealen zu erhalten; Beobachtungen er¬folgten gewöhnlich von aussen. Eine Aus¬nahme bildete die Nilion Oil (KobeDepot), deren Direktor die Autoren per¬sönlich durch sein Tankareal führte und be¬reitwillig Auskunft erteilte. Dieser Besuchhatte sich über einen hohen Beamten derStadtverwaltung organisieren lassen undwar dem Goodwdll zu verdanken, den derEinsatz der Schweizer Rettungskette ge¬schaffen hatte.

    Über ein Dutzend unverankerte, dasheisst auf der Fundamentplatte frei auflie¬gende grosse zylindrische Tanklager derNihon Oil mit Durchmessern bis 25 m sindüber zahlreiche, ausschliesslich oberirdi¬sche Rohrleiuingen miteinander und mitder Abfüllstation auf der Hafenmole ver¬bunden. Obwohl diese Mole sich fast fünfMeter meerwärts verschoben hatte, warkeine einzige Leitung gerissen eine einzi¬ge Fuge war leicht undicht. Zu beachten ist,dass das ganze Rohrleimngssystem mit un¬zähligen Verschiebungskompensatoren be¬stückt war. Strom- wie Wasserversorgung,deren Leitungen sich alle im Boden befan-

    r-__2S^f=L-__|-NiA

    ,.-S3_*-.¦..-' i

    r;» \yr~- - \.

  • Bautechnik Schweizer Ingenieur und Architekt Nr. 11, 9. März 1995 262

    :_;;

    '".-; iti.

    y: -

    Si

    y

    Bild 8.

    Abgebrochene undausgeknickte Beweh¬rung am Fuss einerrunden Stütze desHanshin-Expressways

    Bild 10.AbgebrocheneStumpfschweiss-stösse der vertikalenBewehrung (Detailaus Bild 9)

    Tff

    J

    Bild 9.Bruchzone auf mittlerer Höhe einer Stütze desHanshin-Expressways

    Reserven gegenüber einer momentanenBeanspruchungsspitze während des Erd¬bebens. Um ein günstigeres, duktiles Stüt¬zenverhalten zu erreichen, musste einewirksamere Verbügelung vorgesehen unddie Schweissnähte ausserhalb der plasti¬

    schen Gelenkzone am Stützenfuss ver¬schoben werden.

    Einige massive, rechteckige Brücken¬stützen dergleichen Hochstrasse wiesen aufminierer Höhe ein praktisch horizontalesBand mit Betonabplatzungen auf (Bild 9).

    ¦

    y

    y8Bb1?ii$yk__i_É-#

    r_p»»"IJW1 ^

    Jy*>Am m

    'èW4My j _..>. f

    '._ :(»¦».

    Bid 11Absturz des Trägers einer Verbundbrücke

    Eine Detailaufnahme dieses Bereichs er¬klärt, warum die Schwachstelle gerade hieraufgetreten ist und nicht am höher bean¬spruchten Stützenfuss: Fast alle Vertikalstä¬be sind wieder bei den Suimpfschweiss-stössen gebrochen (Bild 10). Zwar sindzwei gegenseitig versetzte Niveaus derStösse zu erkennen, doch der Abstand beträgt nur etwa zehnmal den Durchmesserder Vertikalbewehrung. Als Umschnü-rungsbewehrung sind einzig rechteckigeUmfassungsbügel über die gesamte Breitedes Stützenquerschnitts in der ersten unddritten Lage zu erkennen. Eine zusätzlicheStabilisierungsbewehrung fehlt.

    Ahnliche rotationssymmetrische Scha¬denbilder auf mittlerer Höhe konnten auchbei einer Reihe von runden Stahlbeton- undStahlstützen beobachtet werden. Das Endeder inneren Vertikalbewehrungslage beiden Stahlbetonstützen bzw. die Abstufungder Wandstärke der zylindrischen Stahl¬stützen dürften für das Auftreten der Schä¬den auf dieser Höhe verantwortlich sein.Die Rotationssymmetrie der Schäden lässteinen ungewöhnlich starken Einfluss derVertikalbeschleunigung vermuten. Eben¬falls ftir diese Hypothese sprechen die gros¬sen gemessenen Spektralwerte der Verti¬kalbeschleunigung von über 1 g bei hohenFrequenzen (ausgezogene Linie in Bild 2,links).

  • Bautechnik Schweizer Ingenieur und Architekt Nr. 11, 9. März 1995 263

    Der Absturz des Trägers bei zu kurzenAuflagerbereichen ist ein bekannter Scha¬denmechanismus von Balkenbrücken, derauch hier wieder einige Male aufgetreten ist.Bild 11 zeigt den Absturz einer gekrümm¬ten Verbundbrücke im Bereich eines Ver-zweigungsbauwerkes des Hanshin-Express¬ways. In Bild 12 wäre der obere Träger fastvom zweistöckigen Brückenjoch hinunter¬gefallen. Eine relativ breite Auflagerbankhat Schlimmeres verhindert. Immerhinsind oberer und unterer Träger über meh¬rere Felder von den Lagern auf die Brücken¬joche gestürzt.

    Bei einer dreifeldrigen Eisenbahnbrücke hielt das besondere Horizontalkraft¬lager auf Seite des Widerlagers mit festerLagerung der Erdbebenbeanspruchungnicht stand (Bild 13). Die Ankerplatte istausgerissen, ein Absuirz des Trägers vomWiderlager konnte vermutlich durch einenAnprall auf das gegenüberliegende, bewegliche Widerlager verhindert werden.

    Zur Bauzeit vieler eingestürzterBrücken in denjahren 1950 bis 1970, in diesePeriode fällt auch der Hanshin-Expressway,schrieben die japanischen Brückennormenlediglich einen seismischen Koeffizientenvon, je nach Bodenverhältnissen, 15 bis 35%g vor. Für den Nachweis der Erdbebensi¬cherheit durften die zulässigen Spannungengegenüber den Nachweisen für Eigenge¬wicht und Nutzlasten um bis zu 80% erhöhtwerden. Verglichen mit den während desErdbebens gemessenen Bodenbeschleuni¬gungswerten (Bild 2) sind die damaligenAnnahmen eindeutig zu gering. Erst An¬fang der achtziger Jahre wurden moderneErdbebenbestimmungen mit duktilen Kon¬zepten und höheren Einwirkungswerteneingeführt.

    x; v

    ^S

    L-Lü

    ¦ '¦¦¦¦¦¦ v:,. .,¦¦.¦,¦,¦¦¦

    Bild 13.Aus der Verankerung gerissenes Horizontal¬kraftlager einer Eisenbahnbrücke

    Bild 12.Beinahe-Absturz des oberen Brückenträgers

    Holzhäuser

    Niedrige Holzhäuser gelten in der Fachweltals weitgehend erdbebensicher. In Kobeaber traten die grossen Verluste an Men¬schenleben in den engen Wohnquartierenmit Holzhäusern auf. Für diese traditionel¬len Bauten sind bis zu zwei Stockwerkenkeine ingenieurmässigen Nachweise derErdbebensicherheit erforderlich. Es zeigtesich, dass viele dieser Bauten infolge typi¬scher «soft-story»-Effekte strassenweise um¬kippten oder das Erdgeschoss einfach ein¬knickte.

    An einigen Neubauten konnte die Bau¬weise näher untersucht werden. Es zeigte

    sich, dass sie keine oder nur ungenügendeQuerverstrebungen aufweisen. Die seitli¬che Steifigkeit wurde meistens durch Vernageln von Putzplatten auf einen Lattenrostan den Aussenwänden erzielt. Diese Ver¬steifung genügte bei relativ kleinen Erdbe¬ben und liess sich im folgenden auch leichtreparieren. Bei einem starken Beben zer¬brechen diese Platten aber spröde, und derBau verliert weitgehend seine horizontaleSteifigkeit. Die traditionelle japanische Bau¬weise besitzt praktisch keine aussteifendenInnenwände. Zudem waren in Kobe in vielen Häusern im Erdgeschoss Läden undHandwerkerräume untergebracht. Beidesunterstützte die «soft-story-Effekte. Aus

  • Bautechnik Schweizer Ingenieur und Architekt Nr. 11, 9. März 1995 264

    WiiiiV*

    f*- £2

    klimatischen Gründen waren auf dem Dachmeist 5 bis 10 cm Sandschicht als Unterlagefür die relativ schweren Ziegel (Taifun-Schutz) vorhanden, was sich ebenfallsungünstig auswirkte.

    Bild 14 zeigt typische Schadenmerk¬male eines Holzbaus. Das Gebäude ist in¬folge eines «soft-story»-Effekts etwa 1.5 mnach links gekippt. Deutlich erkennbar istdas wenig versteifte Untergeschoss. Auf derrechten Seite ist eine 1.5 m bis 2 m breiteWand als Versteifung vorhanden. Die auf¬genagelte Wandplatte ist im Erdgeschossvollständig, im Obergeschoss teilweise ab¬gebrochen. Als Versteifung bleibt nur nochder nicht diagonal versteifte Lattenrostübrig.

    Hochbauten aus Beton und Stahl

    Sehr eindrücklich war, dass immer wiederdicht nebeneinander ältere Bauten einge¬stürzt, während neue Bauten praktischohne Schäden blieben (Bilder 15,17 und 18).

    ^Ss-P*~i

    ïï^̂3S=_

    ¦1r_i

    ,l.J;.

    'm

    ¦V.'.».

    Bild 14.Nach links gekipptes Holzhaus («soft-story»-Effekt)

    Bild 15.Gebäude der Stadtverwaltung mit Mittelgeschosseinsturz

    Bild 16.Umgestürzte Büromöbel in Gebäude von Bild 15

    10

  • Bautechnik Schweizer Ingenieur und Architekt Nr. 11, 9. März 1995 265

    __j um

    tii i - /m

    AA AJ1./A3JLD

    __UHW**>

    ¦¦

    ¦

    ntisa im^r.

    _^-_~=.--J»

    Bild 17.Geschäftshaus mit Mittelgeschosseinsturz

    Bild 18.Eingestürztes älteres Gebäude lehnt sich anunbeschädigten Neubau

    Hierzu hat sicher die wesentliche Verschär¬fung der japanischen Erdbebenbestimmun¬gen für Hochbauten im Jahre 1981 beigetragen. So ist zum Beispiel der flache Bauder Stadtverwaltung von Kobe aus demJahre 1957 im drittobersten Stockwerk eingestürzt (im Vordergrund von Bild 15), da¬gegen blieb das 1989 eingeweihte Hochhausder Stadtverwaltung voll funktionstüchtig,inklusive Lifte (im Hintergrund von Bild15). Neben den Baunormen spielte liier dasunterschiedliche Schwingungsverhaltender beiden Bauwerke eine wichtige Rolle.Der steifere Flachbau war viel empfindli¬cherer auf die relativ hochfrequente Bo¬denbewegung. Einen Einblick in ein Gross¬raumbüro des Flachbaus unmittelbar unter¬halb des eingestürzten Stockwerkes bietetBild 16. Neben dem allgemeinen Durch¬einander fiel auf, dass das Tragwerk hier nurwenige Risse aufwies. Die Schäden bliebenpraktisch auf das darüberliegende, eingestürzte Stockwerk begrenzt.

    Der Einsturz eines einzelnen Stock¬werks, sei es des Erdgeschosses oder einesGeschosses auf mitderer Höhe, war der charakteristische Schadenmechanismus mehrgeschossiger Skelettbauten. Betroffenwaren vor allem Geschäftshäuser (Bild 17),aber auch einzelne Wohnbauten und einSpital. Der obere, eingestürzte Teil wiesdabei eine auffallend geringe horizontaleVerschiebung auf. Wenn der Einsturz imErdgeschoss stattfand, war dies in vielenFällen auf grosse Öffnungen und entspre¬chend reduzierte Steifigkeiten in diesemGeschoss, sogenannte «soft-story»-Effekte,zurückzuführen. Zur abschliessenden Er¬klärung der vielen Mittelgeschosseinstürze

    sind vertiefte Untersuchungen notwendig.Folgende Gründe könnten diesen Einsturz¬typ möglicherweise verursacht haben:> Starker Steifigkeits- und Tragwider-standssprung durch Abstufung der Stüt¬zenabmessungen unterhalb des eingestürz¬ten Stockwerks.

    Abrupter Übergang von Verbundstützen auf reinen Stahlbetonquerschnitt ohneWalzprofil auf Höhe des gleichen Stockwerkes.

    Diskontinuität in der Aussteifüngswir-kung sekundärer Elemente wie nichttragende Wände.

    Ungünstiges Zusammenwirken vonhorizontaler und vertikaler Anregung.

    Schlussfolgerungen

    Basierend auf den Beobachtungen der Er¬kundungsmission können die Schlussfol¬gerungen wie folgt zusammengefasst wer¬den:

    Die grosse Zahl der Toten und Verletzten ist auf die fehlende Erdbebensicherheit der traditionellen Holzbauten zurück¬zuführen.

    Bauten, die den neusten japanischenErdbebennormen entsprechen, haben dasErdbeben mit verhältnismässig wenig Schä¬den überstanden.

    Durch entsprechend ausgebildete Fun¬dationen können Schäden auch in Gebie¬ten mit ausgedehnter Bodenverflüssigungbegrenzt werden.

    Die grossen Schäden an den älterenBauten sind in erster Linie auf ein zu gerin¬ges Bemessungsbeben, wie die gemessenen

    Beschleunigungswerte zeigten, und aufveraltete Bemessungskonzepte zurückzuführen.

    Das Ausmass solcher Katastrophenlässt sich mittelfristig nur verringern, wennauch bestehende Bauten verstärkt werden.

    Adressen der Verfasser:Dr. Martin G. Koller, dipl. Bau-Ing. ETH/SIA,Resonance Ingénieurs-Conseils SA, 21 rue J.Grosselin, 1227 Carouge,Dr. Jos/ A. Studer, dipl. Bau-Ing. ETH/SIA, Sni¬der Engineering, Steinwiesstrasse 30,8032 Zürich,Thomas Wenk. dipl. Bau-Ing. ETH/SIA, Institutfur Baustatik und Konstruktion, ETH Zürich,8093 Zürich.

    11