martin grabmann die lehre des hl thomas von a 1

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    in 2011 with funding from

    University of Toronto

    http://www.archive.org/details/dielehredesheiliOOgrab

  • -L

    iitiNsinuTEorMroiArv

    Die Lehredes

    heiligen Tliomas Von Aquin

    von der Kirche als Gotteswerk.

    Ihre Stellung im thomistischen System und in derGeschiclite der mittelalterlichen Theologie

    Von

    Dr theol. et phil. Martin Grabmann,Priester der Dizese Eichsttt.

    Ih O

    GA9

    Mit oberhiitlicher Druckgenehmigung.

    Regensburg 1903.Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz, Buch- und Kunstdruckerei A.-G.

    Mnchen-Regensburg.

  • THt INSTITUTE OF MEPIAFVAL STU0IE310 ELMSLEy PLACE

    TOOMTO 6. CANAOA.

    OCTI3I931

    Imprimatur.

    Ratisbonae die 16. Decembris 1902.

    Dr. Fr. X. Leitner,Vic. gen.

  • Dem Andenkenvon

    Dr. Franz von P. Morgott

    in Dankbarkeit und Verehrung.

  • Vorrede des Verfassers.

    Bie erste Anregung zu dieser dogmengescliichtlichenMonographie gab mein seliger Professor Domdekan

    Dr. Morgott in Eichsttt, ein hervorragender Kenner der

    scholastischen Literatur. Anfangs wollte ich die Gesamt-

    lehre des Aquinaten von der Kirche behandeln, beschrnkte

    mich aber dann auf die Darstellung des gttlichen Mo-

    mentes im thomistischen Kirchenbegriffe, auf die Errte-

    rung der Wesens- und Lebensprinzipien der Kirche, kurzauf den Erweis der Kirche als eines Gotteswerkes in

    ihrem Wesen und Leben. Ich habe an verschiedenenStellen des Buches die Grundstze angedeutet, die mir bei

    der Arbeit als die massgebenden erschienen. Die Haupt-

    schwierigkeit ist die harmonische Vereinigung der histo-

    rischen und der systematischen Darstellungsweise. DieScholastiker waren ausgeprgte Systematiker, und dieBeschftigung mit ihrer Lehre fhrt leicht dazu, ber sie

    einseitig systematisch zu denken, d. h. lediglich den fer-

    tigen Gedankeninhalt ihrer Lehre dialektisch nachzu-

    denken. Die historische Betrachtungsweise forscht demWerden, dem Entstehen, der Entwicklung scholastischerLehrpunkte nach und stellt ihre Beziehung zu frherenoder spteren Denkrichtungen quellenmssig fest. Ausder Synthese beider Methoden ergibt sich ein objektives

  • VI

    Werturteil ber Scholastik und scholastische Lehre. Ichwar deswegen bestrebt, das Hervorwachsen der Lehre

    des heiligen Thomas von der Kirche aus der Patristikund Frlischolastik, sowie auch ihr Einwirken auf sptereAutt'assungen in einer geschichtlichen Einleitung zu cha-

    rakterisieren und in den einzelnen Teilen des Buchesdarzulegen.

    Die gedruckte Literatur wurde mir durch das freund-liche Entgegenkommen der kniglichen Hof- und Staats-bibliothek in Mnchen und der kniglichen Staatsbibliothekund Seminarbibliothek in Eichsttt zur Verfgung gestellt.Gedrucktes und besonders handschriftliches Materialschpfte ich aus italienischen Bibliotheken, namentlich aus

    der vatikanischen Bibliothek, aus der Biblioteca Casana-

    tense, B. Angelica und B. Vittorio Emanuele in Rom,aus der Biblioteca nazionale in Florenz, aus der Bibliothek

    von Montecassino, indem ich bei anderweitigen handschrift-

    lichen Studien auch hierher bezgliche und zweckdienlicheErgnzungen machen konnte. Den Vorstnden der ge-

    nannten Bibliotheken sei an dieser Stelle der geziemendste

    Dank ausgesprochen. Fr die Beihilfe bei der Revisiondes Druckes schulde ich H. H. Subregens A. Gerngross

    in Eichsttt den verbindlichsten Dank.

    Eichsttt, den 3. Dezember 1902.

    Dr. Grabmann.

  • Einfhrung des H. H. Prlaten Dr. Pruner.

    Bie Lehre von der Kirche Jesu Christi ist ein Zentral-punkt der theologischen Wissenschaften. Die Christo-

    logie, die Gnaden- und Gnadenmittel-Lehre berhren sich inihr. Verschiedene theologische Disziplinen begegnen sichin der Lehre von der Kirche. Die Einsetzung und Aus-gestaltung der Kirche und die in ihr wirkenden gttlichenund gottgesetzten Faktoren fallen zunchst in das Arbeits-feld des Dogmatikers. Mit ihrem inneren Leben und derdaraus fliessenden Selbstheiligung des Christen in ihren ver-schiedenen Formen, Abstufungen und Mitteln beschftigensich mehr die moraltheologischen Errterungen, whrenddie Kirche unter dem Gesichtspunkte der Gesellschaft undihrer in die ussere Erscheinung tretenden Verfassung undOrganisation einen Gegenstand des kanonischen Rechtesbildet. Um so wichtiger, aber auch um so schwieriger istdie Behandlung dieses Kernpunktes der kirchlichen Lehre.

    Es ist nicht leicht, das volle Wesen der Kirche gedank-lich zu erfassen und sprachlich auszudrcken. Zudem scheinthier dem Theologen der Weg nicht in gleicher Weise ge-ebnet zu sein, wie in andern dogmatischen Fragen. Whrendz. B. die Trinittslehre und Christologie schon in den erstenJahrhunderten von der Kirche gegenber den auftretendenHresien dogmatisch formuliert worden sind, und auch beiden Vtern und Scholastikern grndlich und allseitig errtertwurden, hat die Lehre von der Kirche erst das letzte all-gemeine Konzil ausfhrlich und erschpfend dargelegt.

  • VIII

    Ausser dem heiligen Cyprian, Irenus und Augustinnahmen die heihgen Vter nicht Anlass, eingehend und exprofesso die Glaubenswahrheiten von der Kirche darzu-stellen, und auch die Scholastiker scheinen nur gelegent-lich darber sich geussert zu haben.

    Auch der heilige Thomas von Aquin hat keine zu-sammenhngende und systematische Behandlung der auf dieKirche bezglichen Dogmen hinterlassen. Gleichwohl kommter sehr hufig auf die einzelnen einschlgigen Fragen zusprechen, und erlutert sie nach der ihm eigenen tiefsinni-gen, klaren und anregenden Darstellungsweise. So wurdeseine Auffassung vom Primate und von der Verfassungder Kirche von Torquemada, Savonarola, Cajetan,Banez und neuestens von Leitner, Bianchi, Groot usw.aus seinen Werken zusammengestellt. Aber seine Doktrinber das innere Wesen der Kirche, das gttliche Lebenund Wirken in ihr, wodurch sie zum Mysterium wird, dieVerarbeitung und Entfaltung des paulinischen GedankensEcclesia est Corpus Christi" hat noch keine Darstellunggefunden.

    Es ist daher ein sehr glcklicher Gedanke des HerrnVerfassers des vorhegenden Buches gewesen, eine Mono-graphie ber die Wesens- und Lebensprinzipien der KircheChristi nach der Lehre des heiligen Thomas zu bearbeitenund zu verffentlichen. Der junge strebsame Gelehrte hatsich bereits durch andre Publikationen als grndlicherKenner der Theologie des englischen Lehrers bewhrt. Die

    in dieser seiner neuesten Schrift sich gestellte Aufgabe hater nach Ansicht des Unterzeichneten in sehr anerkennens-werter Weise gelst, und damit einen kostbaren Beitrag zurLiteratur ber die Theologie des grossen Aquinaten geliefert.Es war eine schwierige Arbeit, aus allen Werken des hei-ligen Thomas die Errterungen ber die auf die Glaubens-wahrheiten von der Kirche bezglichen Fragen herauszu-suchen und zu einem Ganzen zusammenzufgen. Es durftedieses nicht eine mechanische Aneinanderreihung der ge-fundenen Stellen werden oder ein mit Thomasstellen aus-geflltes Schema eines modernen dogmatischen Traktates

  • - IX

    von der Kirche, sondern eine Monographie ber die Wesens-und Lebensprinzipien der Kirche im Geiste des heiUgenThomas und, soweit mghch, mit seinen Worten.

    Der Verfasser ist sodann von der Ueberzeugung aus-gegangen, dass der heihge Thomas nicht isohert von denVtern und den Frhscholastikern vollkommen richtig er-fasst werden kann, und hat daher seine Anschauungen inihren Beziehungen zu diesen aufgezeigt. Es geschieht dieshauptschlich in der ausfhrlichen historischen Einleitung,aber auch die ganze Darstellung ist von diesem Gedankenbeherrscht. Mit vieler Mhe und sehr geschickt sind diehierfr dienlichen Stellen und Belege ausgewhlt und ge-sammelt; es ist auch nicht unterlassen, darzutun, welchenEinfluss die thomistische Doktrin auf sptere Denker undLehrer gebt hat.

    B^r diese dogmengeschichtliche Seite des Bucheskam dem Verfasser ein zweijhriger Aufenthalt in Italienzu gute, wo er in der vatikanischen und in andern Biblio-theken reiches, darunter auch seltenes, noch ungedrucktesMaterial vorgefunden hat.

    Das Buch entbehrt auch nicht des apologetischenund praktischen Interesses. Auf gegnerischer Seite wirdvielfach behauptet, dass im katholischen KirchenbegrifFe einevangelisches, innerliches und ethisches Moment gnzlichfehle. Aber die vom heiligen Thomas erklrten Dogmenvom Wesen und Leben der Kirche, vom Walten und Wirkendes heiligen Geistes und Fortleben Christi in ihr weist eineneminent ethischen Gehalt auf: Grade in der thomistischenAuffassung dieser Wahrheiten ist ein ausgesprochener my-stischer Zug zu erkennen. Der heilige Thomas hat sie ge-wonnen aus dem zartesten sentire cum Ecclesia" und derinnigsten Hingebung an die Braut des Herrn, und dadurchist sie auch geeignet, Licht und Wrme auszustrahlen, in-dem sie tiefgrndiges Erkennen der gttlich geoffenbartenWahrheit vermittelt, und Liebe und Begeisterung fr dieheilige Kirche Christi einflsst. Beides ist gleich notwendigin unsern Tagen, in welchen alle Mittel der Lge und Ver-leumdung in infernalem Hasse aufgeboten werden, um die

  • X

    alleinige heilige Kirche Gottes zu diskreditieren, zu einemGegenstand der Schmhung, Verachtung und Verfolgungzu machen, und dadurch ihre gttliche Mission und aposto-lische Ttigkeit nach allen Beziehungen um ihre Wirksam-keit zu bringen.

    Der Unterzeichnete gibt dem schnen Buche nach Er-suchen der Verlagshandlung diesen Geleitsbrief mit unterdem innigsten Wunsche, es mge in den theologisch ge-bildeten Kreisen allwrts die freundlichste Aufnahme finden.

    Eich statt, den 1. Dezember 1902.

    Prlat Dr. J. Priiiier,Dompropst.

  • Inhaltsverzeichnis.

    Seite

    I. Kapitel. Die Stellung der Lehre des heiligen Thomas vonder Kirche in seinem System und in der Geschichte derTheologie 1

    1. Die Stellung der Lehre des heiligen Thomas von derKirche in seinem System 1

    2. Stellung der thomistischen Lehre von der Kirche inder Geschichte der Theologie 14

    II. Kapitel. Der thoraistische Kirchenbegriff im allgemeinen . 70 1. Die Voraussetzungen und Grundlagen des thomisti-

    schen Kirchenbegriffes 70

    2. Analyse des thomistischen Kirchenbegriffes ... 81

    3, Beurteilung des thomistischen Kirchenbegriffes durchneuere protestantische Theologen. Kritik und Anti-kritik 102

    Kritik der Harnackschen Autfassung vom thomistischenKirchenbegriff 105

    III. Kapitel. Der heilige Geist, das Wesensprinzip der Kirche . 115 1 Die Beziehungen zwischen dem heiligen Geiste und

    der Kirche im allgemeinen 115 2. Das erste Pfingstfest, der Geburtstag der Kirche . 123

    a) Sendung des heiligen Geistes an Christum und dieApostel 128

    b) Das heilige Pfingstfest 131a) Flle der Zeiten 132

    ) Die Pfingstgnade der Apostel .... 136y) Die Grundlegung des Glaubens (inchoatio fidei).

    Das erste Pfingstfest, der Geburtstag der Kirche 145

    3. Thomas von Aquin und Joachim von Fiori . . . ir\5160168

    178

    184

    4. Der heilige Geist als Wesensprinzip der Kirche . 5. Der heilige Geist als Tiitigkeitsprinzip dei: Kirche 6. Der heilige Geist als Innerlichkeitsprinzip der Kirche 7. Spiritus sanctus, cor Ecclesiae

  • XII -

    Siute

    IV. Kapitel. Christus , das Daseinspiinzip der Kirche (caputEcclesiae) 19i 1. Die Lehre von Christo, dem Haupte der Kirche, in der

    Patristik und Scholastik ....... 196 2. Der Text des heiligen Thomas von Aquin . . 208 3. Die Person Jesu Christi und die Idee der Kirche . 213 4. Christus und das Sein der Kirche 224 5. Christus und das Leben der Kirche .... 233 6. Die physische Wirksamkeit Christi in der Kirche . 240 7. Die Vereinigung Christi mit der Kirche.... 249

    a) Matrimonium inter Christum et Ecclesiam" . . 251b) Christus und die Kirche una persona mystica" 259c) Communicatio idiomatum zwischen Christo und der

    Kirche 2G1V. Kapitel. Die heilige Eucharistie, Subsistenzgrund der Kirche 267

    1. Die heilige Eucharistie als Symbol und Ursache derunio Christi cum Ecclesia 267

    2. Die heilige Eucharistie irnd der Kreislauf des kirch-lichen Lebens 287

    VI. Kapitel. Maria und die Kirche. Schnheit der Kirche . 295

    Namenverzeichnis 308

  • I. Kapitel.

    Die Stellung der Lehre des heiligen Thomas vonder Kirche in seinem System und in der Geschichte

    der Theologie.

    1. Die Stellung der Lehre des heiligen Thomasvon der Kirche in seinem System.

    \ /hrend in der neueren katholischen Theologie der Lehrevon der Kirche eine hervorragende Stelle im Rahmen

    der theologischen Untersuchungen angewiesen wird, scheintdieser Fundamentalgegenstand in der mittelalterlichen Theo-logie nur eine gelegenheitliche und fragmentarische Behand-lung gefunden zu haben. Kleutgen^) bemerkt deshalb,dass ber die Kirche pauca apud S. Doctorem (sc. Thomam)eaque sparsa legantur". Die Scholastiker," schreibt Atz-berger,2) ^^haben die Lehre von der Kirche berhaupt nichteingehend und ex professo entwickelt, wenn sie auch dieeinschlgigen Grundgedanken mit der ihnen eigenen Tiefeund Przision an verschiedenen Stellen ihres Systems aus-gesprochen und speziell in dem Traktate von Christo alsdem Haupte der Kirche (S. Thomas, S. Th. III. q. 8.) dieStelle bezeichnet haben, wo die Lehre von der Kirche sichanschliessen konnte."

    ') Kleutgen, Institutiones theolog., vol. I., De Deo uno ettrino, pag. V.

    ^) Atzberge r Scheeben, Dograatik, 4. Bd. 1. Abt. S. 280.Grabmann, Lehre d. h Thomas v. Aq. 1

  • 2

    Wiewolil praktisch von der Idee der Kirche durch-leuchtet und durchlebt, hat die Scholastik dennoch theore-tisch und systematisch die Lehre von der Kirche nicht be-handelt. ') Der Grund dieser Erscheinung liegt in der Naturder Entwicklung der theologischen Wissenschaft und in dengeschichtlichen Verhltnissen des Mittelalters. 2)

    Eine Glaubenswahrheit wird nach dem Zeugnisse derDogmengeschichte Gegenstand allseitiger wissenschafthcherUntersuchung, wenn entgegengesetzte Hresien und Ir-rungen auftauchen. In den Zeiten aber, als die Scholastikerdas theologische Bewusstsein ihrer Zeit fixierten und mitden Mitteln der Logik und Metaphysik verdeutlichten, wurdedie Kirche in ihrem Wesen und in ihrer Auktoritt nochnicht in dem Masse direkt und ofiPen angegriffen und negiert,als wie dies spter der Fall war. Die Scholastiker sahensich deshalb auch nicht veranlasst, die ihnen selbstverstnd-liche Auktoritt der Kirche in frmlichen Traktaten zu er-rtern oder der Lehre von der Kirche eine bevorzugte Stelleim Organismus ihrer Summen und Sentenzenwerke einzu-rumen.

    Eine parallele Tatsache finden wir auf philosophischemGebiete. Solange im Kampfe philosophischer Meinungenlediglich einzelne Wahrheiten angegrifi'en und nicht dasWahrheitsziel und die Objektivitt des menschlichen Den-kens in Frage gestellt wurden, solange fanden die schola-stischen Philosophen auch keinen Anlass, dem Menschen-geiste das Lebensgut der Wahrheit in einer abgegrenztenErkenntnislehre oder Noetik zu wahren und zu sichern.

    ') Deswegen hat auch Raynerius a Pisis, dessen Pantheologiain Form einer Realenzyklopdie die scholastische Doktrin zusammen-fasst, keinen eigenen Artikel de Ecclesia Cfr. Raynerii de Pisis,0. Pr., Pantheologia, ed. Nicolai 0. Fr. Lugduni 1670.

    ') Vgl. auch Mausbach, Kirchenlexikon [2] XI. 1647, Artikelber Thomas von Aquin. Ueber den Grund, warum ber die K'chein der mittelalterhchen Theologie keine eigentlichen systematischenabgeschlossenen Traktate (wenigstens in der Zeit vor Torquemada)^schaffen wurden, vgl. auch die neue Bonarentura-Ausgabe vonQuaracchi, tom V., pag. 198.

  • - 3 -

    Wenn nun auch die Scholastik und im besonderen derFrst der Scholastik, St. Thomas von Aquin, keinen abge-schlossenen Traktat de Ecclesia im modernen Sinne hinter-lassen hat, so sind doch des Aquinaten verhltnismssigwenige Ausfhrungen hierber von hohem Werte undgrundlegender Bedeutung wegen ihrer spekulativen Tiefe.Es ist deshalb der Mhe wert, diese in smtlichen Werkendes heiligen Lehrers zerstreuten Gedanken zu sammeln undzu einem perspektivischen Bilde vom Wesen und Leben derKirche zu einigen.

    Der Wert der thomistischen Lehre von der Kirche wurdevon allen Theologen anerkannt, die ber diesen Punkt ge-arbeitet haben. ^)

    Turrecremata wrdigt die Lehre des heiligen Thomasber die Kirche also: ,,Sanctus Thomas inter doctores dehac materia loquentes magis rationabiliter et magis confor-miter ad dicta sanctorum Patrum et per consequens magisconsonanter ad pietatem fidei loqui videtur." (Summa deEcclesia IL 54,) Der heiHge Thomas konnte ber die Kirche,ber das Sein und Leben der Kirche in tiefgehender Weisehandeln. Er besass hierfr gnstige Vorbedingungen.

    Die rectitudo judicii entsteht aus einer gewissen conna-turalitas zum Forschungsgegenstande (S. Th. 2. IL q. 45. a. 2.).Da nun der englische Lehrer eine tiefgrndige Liebe zurheiligen Kirche und zu ihrem Oberhaupte im Herzen hegteund in Wort und Tat usserte, so besass er hiermit eineschtzbare Prdisposition zur wrdigen Darstellung der Vor-zge der heiligen Kirche. Die Liebe zu etwas geht aus derErkenntnis hervor und begeistert zu noch tieferem geistigenErfassen des geliebten Gegenstandes. 2)

    ') Der heilige Thomas hat, wie Schwane bemerkt, die Grund-zge der ganzen Lehre von der Kirche mit gebter Meisterhand sogezeichnet, dass den Nachfolgenden nur die Ausfhrung brig blieb."Dogmengeschichte der mittl. Zeit, Freiburg 18.^2, S. 498. Vgl. auchCeslaus M Schneider in Commers Jahrbuch fr Philos. u. spek.Theologie, XL 200 ff.

    ') Um des Aquinaten zarte Piett gegen die Kirche und ihreLehrorgane darzulegen, weisen wir hin auf die ngstliche Sorgfalt,

    1*

  • - 4

    Der heilige Thomas hatte ferner eine tiefgehende Auf-fassung von denjenigen Glaubenswahrheiten, welche mit derLehre von der Kirche in innigster organischer Verbindungstehen. Ihm war nmlich ein scharfer Einbhck in die Chri-stologie, in die Gnadenlehre und ein erhabenes Verstndnisfr die heilige Eucharistie eigen. Den Wert der Lehre desAquinaten ber die Person Jesu Christi hat nach dem Be-richte der ltesten Biographen') des Heiligen Christus selbstgewrdigt, indem der heilige Lehrer aus einem Bilde desGekreuzigten die Worte hrte: Bene scripsisti de me.*^

    Contenson macht hierzu die Bemerkung: Inde ex-tollit (sc. Christus) Thomam, ubi peperit Ecclesiam." ^j pQp_wahr es ist ein reiches und vollstndiges Christusbild, dasder Aquinate im dritten TeiJe seiner Summa entworfen hat,ein Bild voll Glaubensfrische und Ideenflle. ^) In Hinsicht

    ja stets der Lehre und dem Geiste der heiligen Kirche konform zusein. Immer kehren die Wendung-en wieder: secundum fidem ca-tholicam" (Pot III. a. 4. c); supposita catholicae fidel veritate'' (PotIII. a. II. c.) secundum sententiam fidf^i" (Verit. V. a. P . c.) - sedcontra est multarum Ecclesiarum usus" (S Th. IIT. q. 80. a. IJ. u. a. a.0.); impium est dicere, quod Ecclesia ahquid vanum faciat*(Suppl. q. 2^. a. I.e.); Ecclesia intendit suis statutis fidelium uti-litati providere" (S Th. III q. 80. a. 10 object. '\). Er hatte eine un-bedingte Hingabe an di^^ Auktoritt des Papstes, wie z. B. aus seinemherrlichen Widmungsschreiben der Catena aurea an Urban I . her-vorgeht Noch auf dem Sterbebette spricht er in Bezug auf seineliterarische Ttigkeit: Tomm relinquo correctioni Sanctae RomanaeEcciesiae, in cujus obedientia nunc traiiseo ex hac vita" (Guilielmusde Tocco, Vita S. Thom. Aqu. cp. X. BoU Mart. tom I. pag. )77).Vgl. meine Schrift: Der Genius der Werke des heiligen Thomas unddie Gottesidee, Paderborn 18't9, S 1.^ u IB. Dass des heiligen Tho-mas Leben und Wissen der Kirche geweiht war, spricht Gerardusde Fracheto aus: Cujus (sc. S. Thomae) vita et scientia nota estet perutilis Ecciesiae Dei." Vitae fratrum Ord. Praed ed Reichert0. Pr., Lovanii 1896, pag. 21'.

    ') Vita S. Thomae Aquinatis auctore Guilielmo de Tocco 0. Pr.,cap. VI. Acta Sanctorum Martii, tom. L, pag. 671.

    '^) Vincentius Contenson 0. Pr , Theologia mentis et cordis,Lugduni 16^7, tom. IL, Hb . 10. fin.

    ) Die Theologie der Vorzeit in ihrer mutigen Glaubenslust undGlaubensfrische wollte ein mglichst reiches und vollstndiges Chri-

  • 5

    aber auf die Gnadenlehre und das heiligste Sakrament ver-dient St. Thomas doctor gratiae et eucharistiae" genanntzu werden: lauter gnstige Vorbedingungen fr eine er-habene Vorstellung vom Wesen und Wirken der Kirche.

    Der heilige Thomas steht auch in einem innigenVerhltnis zu den Hauptquellen der dogmatischenLehre von der Kirche zum heiligen Paulus undzum heiligen Augustin.

    In den Briefen des Vlkerapostels (in cujus pectoreChristus resonat" Medina in IIl. q. 19. a. 4) findet der heigeThomas die ganze Lehre von der Kirche organisch vor-getragen. Das Thema dieser Briefe, bemerkt er in seinerEinleitung zu seinem Kommentar zu Paulus, ist die Gnade,welche eine dreifache Auffassung zulsst. Die Gnade, inso-fern sie im Haupte, d. h. in Christo ist, ist die leitendeIdee des Hehrerbriefes ; die Gnade, insofern sie in den vor-nehmeren Gliedern des mystischen Leibes ist, bildet denGegenstand der Briefe an Timotheus und Titus. Die Gnade,insofern sie im mystischen Leibe selbst ist, bildet den Grund-gedanken der paulinischen Briefe an die Heiden und zwarunter den folgenden Gesichtspunkten. Die Gnade an sichwird im Rmerbrief, die Gnade als sakramentale Gnade inden Korintherbriefen und im Galaterbrief behandelt. DieGnade bewirkt auch Einheit in der Kirche (secundum ef-fectum unitatis, quem in Ecclesia fecit"). Die Begrndungder kirchlichen Einheit errtert der Ephesierbrief, ihre Be-festigung der Philipperbrief, ber die Verteidigung dieserkirchlichen Einheit gegen die Hresie und falsche Gnosishandelt der Kolosserbrief, gegen die gegenwrtigen Gefahrender 1. Thessalonikerbrief, gegen die zuknftigen Verfolgun-gen der 2. Brief an die Thessaloniker. In dieser Weise hatder heilige Thomas die Lehre von der Kirche als eine beiPaulus grundlegende Idee bestimmt.

    Von der weitgehendsten Bedeutung fr die Lehre von

    stusbild und die mglichst erhabene Vorstellung von der Oekonomieseines Werkes und seines Reiches haben." Schzler, Wirksamkeitder Sakramente ex opere operato, Mnchen 1860, S. 573.

  • 6

    der Kirche ist August in, der Frst der Patristik. Wersich je mit der Lehre von der Kirche etwas eingehenderbeschftigt hat, wird bald gefunden haben, dass hier derName Augustinus eine kaum mindere Rolle spielt als in derLehre von der Gnade/ ^)

    Mhler sagt, dass die Ideen des heiligen Augustin berdie Kirche an Kraft des Gemtes und an Kraft der Ge-danken bei weitem das Herrlichste enthalten, was nach denZeiten der Apostel ber diesen Gegenstand geschriebenwurde."-)

    Wie in andern Fragen so schliesst sich auch in derLehre von der Kirche der heilige Thomas an Augustin an,indem er dessen Ideen weitergestaltet. Mit Recht verweistdeswegen Turrecremata in seiner Summa de Ecclesiastets auf die Kontinuitt zwischen Thomas und Augustin,und auch wir werden diesen Gesichtspunkt hervorzukehrensuchen.

    Von grossem Einfluss auf die mittelalterliche Theologie

    ') Specht, Die Lehre des heiligen Augustin von der Kirche,Vorwort. Der Augustinismus konzentriert sich um den Begriff derKirche.'^ Windelband, Geschichte der Philosophie [2], S. 217. DieLehre des heiligen Augustin von der Kirche ist erschpfend darge-stellt von Specht, Die Lehre des heihgen Augustin von der Kirche,Paderborn 1892. Vgl. Harnack, Dogmengeschichte, Freiburg 1897,III. 131156. Desgleichen Rudolf Eucken, Die Lebensanschauungender grossen Denker, Leipzig 1896, S. 239 217. lieber das Ver-hltnis zwischen Thomas u. Augustin siehe Willmann, Geschichtedes Idealismus, IF. 458 ff. Commer, Die immerwhrende Philosophie,Wien 1899, S. 82, 88. Harnack, a. a. 0., S. 4U. Mandonnet,Siger de Brabant, Fribourg (Suisse) 1899, pag. 57 ff.

    ^) Mhler, Symbolik, Mainz 1835, S. 35k Kirsch: Am ein-gehendsten und am tiefsten von allen theologischen Schriftstellerndes Altertums hat der heilige Augustin die Lehre von der Kirchebehandelt." Kirsch, Die Lehre von der Gemeinschaft der Heiligen imchristlichen Altertum, Mainz 1900, S. 144. Xamenich hat der heiligeAugustin die innere Seite der Kirche, das geheimnisvolle vom hei-ligen Geist geleitete und gewirkte Gnadenleben der Kirche errtert.Vgl. Kirsch, a. a.

    , S. 132 u. 133. Die Stellen aus Augustins Werkenber die Kirche sind zusammengestellt in; Sancti Aurelii AugustiniMilleloquium'' des Augustiners Bartholomus von Urbino [ed.laris. 1645, pag. 353 365].

  • 7

    waren die Schriften des Pseudo-Dionysius Areopagita.Namentlich hat seine Lahre von der Hierarchie auf dieEntwicklung des mittelalterlichen Kirchenbegriffs bestim-mend eingewirkt. Die bedeutendsten Scholastiker Hugo vonSt. Viktor, Albert d. Gr., Thomas von Aquin usw. habendie Schriften des Areopagiten kommentiert und dessen Ideenin ihren eigenen Werken mannigfach verwertet. Unter dendeutschen Scholastikern hat sich besonders auch Ulrich vonStrassburg zu Dionysius hingezogen gefhlt. Der heiligeThomas hat aus Dionysius viele Stze herbergenommen.Corderius, der eine vorzgliche Ausgabe der Werke desAreopagiten veranstaltet hat, macht in seinen Adnotationesauf die Beziehungen zwischen Thomas und dem Areopagitenaufmerksam In seinen einleitenden Observationes generalesfhrt derselbe gelehrte Jesuit auf drei Polioseiten alle die

    Stellen an, welche der Aquinate aus den Werken des Dio-nysius zitiert. Grade auch in der Lehre von der Kirchebezieht sich der englische Lehrer auf den Areopagiten, soz. B. in de Verit. q. 29. a. 5., wo er die Wirkkraft der gratiacapitis darlegt.^)

    ^) Das Verhltnis des Areopagiten zur Scholastik tritt uns kon-kret entgegen in dem|Sammelwerke: Opera Dionysii, veteris et no-vae translationis , etiam novissimae ipsius Marsilii E'icini oum com-mentariis Hugonis, Alberti, Thomae, Ambrosii oratoris, Linconiensiset Vercellensis. Argentorati 1502. Corderius S. J. hat eine vor-zgliche Ausgabe des Dionysius publiziert unter dem Titel: SanctiDionysii Areopagitae opera omnia et commentarii, quibus illustran-tur. Im 1. Bande gibt er den lateinischen und griechischen Text desAreopagiten sowie die paraphrasis Georgii Pachymerae. Wertvollsind die Adnotationes zu den einzelnen capita. In den Adnotationesad librum de ecclesiastica hierarchia cap. 111. (I. 198200) beleuchteter das Verhltnis des heiligen Thomas zu Dionysius in Fragen, welchemit der Lehre von der Kirche zusammenhngen. Auf den Seiten}^',XI und XII der Einleitung findet sich die Uebersicht ber die beiThomas vorfindlichen Dionysius-Citate. Der 2. Band bietet Schollenund schtzbare Detailuntersuchungen ber des Dionysius Person undSchriften. Die Lehre des Areopagiten von der Kirche hat darge-stellt: Jos. Stiglmayr S. J. : Die Lehre von den Sakramenten undder Kirche nach Pseudo-Dionysius; Innsbrucker theol. Zeitschr. 1898.S. 246303. Fr das Verstndnis des Dionysius Areopagita in seinem

  • Fr ein tieferes \>rstndiiis des Wesens und Lel)ensder Kirche kam dem heiligen Thomas auch seine grndhcheKenntnis und Wertschtzung des kanonischen Rechtes so-wie sein Einbhck in das Hturgische Leben der Kirche treif-Hch zu statten. Wie man vom Ttigsein auf das Wiesenschhessen kann, so tritt auch das innere Wesen der Kirchemehr oder minder deuthch entgegen im kirchhchen Rechtund in der Liturgie, dieser Handlung der Kirche per emi-nentiam''. Der heilige Thomas hat nicht bloss theoretischeinen klaren Rechts- und Gesetzesbegriff entwickelt, er kenntund zitiert auch das kirchliche Recht. ^) Wir begegnen fortund fort bei ihm Zitaten aus Isidor von Sevilla, Gratian,den Dekretalen, aus den verschiedensten Konzilien und auchaus dem Zivilrecht. Obwohl der heilige Thomas die Theo-logie prinzipiell als spekulative Wissenschaft betonte, ber-trifft er doch in Kenntnis de& kanonischen Rechtes selbstRichard von Mediavilla und Johann Baconthorp, welche(namentlich letzterer) mit Vorliebe auf das kirchhche Rechtsich beziehen.

    Verhltnisse zum Xeuplatonismus ist von hohem Werte: HugoKoch, Pseudo-Dionysius Areopagita in seinen Beziehungen zumXeuplatonismus und Mj^sterienwesen , Mainz 1900. Vgl. besondersS. 17.-) ff. u. S. 190 ff.

    ') Eine Wrdigung des thomistischen Rechts- und Gesetzesbe-griffes gibt Haring, Der Rechts- und Gesetzesbegriff in der kathol.Ethik und Jurisprudenz, Graz 1809, S. 2, Anm. 2. Ueber denEinfiuss des thomistischen Rechtsbegriffes auf die Folgezeit vgl.J. E. Erdmann, Grundriss d. Gesch. d. Philosophie, 4. Aufl. I. Bd.,S. 632, 252. Ueber das Verhltnis des heiligen Thomas zum ka-nonischen Rechte bemerkt Schulte: Obwohl er keine eigentlichkanonistischen Werke verfasst hat, ist er durch seinen Einfluss aufdie gesamte Wissenschaft des spteren Mittelalters auch fr daskanonische Recht von einer unermess'ichen Bedeutung. Das Studiumseiner Schriften ist fr jeden Punkt des kanonischen'Rechtes, der inirgend welchem Zusammenhange mit der Theologie steht, unent-behrlich zur Erkenntnis der inneren Entwicklung." Schulte, Gesch.d. Quellen und Literatur des kan. Rechtes, Stuttgart 1877, I. Bd.,S. 2^, Anm. 9. Vgl. auch die spanische Zeitschrift: La cienciaeristiana", Madrid 1887, Tl. pag. 37 und 120: Santo Tomas de.Vquino, luz los jurisconsultos por D. Antonio Jose Pou y Orderas.

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    Konrad KUin bemerkt mit Grund: Jam supra etalias quoque recensui, quod Gratiani dicto Doctor Sanctusplus quam Scotus tribuerit." ') Gar hufig fhrt der heiligeThomas die kirchlichen Rechtsbestimmungen auf das innereWesen der Kirche zurck. So z. B. in S. Th. 2. II. q. 40.a. 2., ibid. q. 70. a. 2. ad 3"^ ibid. q. 64. a. 4.

    Der heilige Thomas besass auch ein warmes Verstnd-nis fr das liturgische Leben der Kirche. In der kirch-lichen Liturgie findet sich der praktische Ausdruck deskirchlichen Selbstbewusstseins ber ihr eigenes inneres Wesenund Sein, geradeso wie im Gebete des einzelnen Menschendessen innerstes Fhlen und Denken und Streben nachaussen tritt. An vielen Stellen^ so z. B. in IV. Sent. dist.13. q. 1. a. 2. sol. 3. und S. Th. III. q. 83. a. 3. und namenthchin S. Th. I. 11^^ q. 101. gibt ihm die kirchliche Liturgie An-lass zu dogmatischen Erwgungen ber die Kirche. Derheilige Lehrer hat auch eine grosse Sympathie fr die Kirchedes christliehen Altertums, die ,,Ecclesia primitiva", quandomagna vigebat devotio fidei christianae" (S. Th. III. q. 80.a. 10. ad 5'^). 2)

    In formeller Beziehung standen dem heiligen Thomasauch fr seine Darlegungen ber die Kirche eine seltenelogische Gebtheit zur Verfgung, die keineswegs den idealenGeistesschwung hemmte. ,.In der Bildung grosser Schluss-reihen, dem Herstellen von Berhrungen, dem Verbindeneiner weiten Mannigfaltigkeit wird er von wenig Denkern

    'J Konrad Koellin, Quodlibet V., fol. 52. Der heilige Thomasteilt Dicht die Abneigung anderer Scholastiker gegen die Juristen.Ein Beispiel dieser Abneigung gegen die Juristen findet sich z. B. inden Quodlibetales des hervorragenden Kanzlers der Pariser Univer-sitt, Gottfried von Fontaines: Quodlib. X., 20.: Utrum melius rege-retur ecclesia per bonum juristam quam per bonum theologum."Cod. Vatic. Lat. 1031. fol. 56.

    ^) In primitiva Ecclesia, quando vigebat devotio major ex pro-pinquitate passionis Christi et erat major impugnatio ab infidelibus."IV. Sent dist, 12. q. 3. a. 1. sol. 3. Sehr ausfhrlich und mit grosserBegeisterung handelt ber die Ecclesia primitiva AugustinusTriumph US in seiner Summa de potestate ecclesiastica, q. 92, 93und 94.

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    hertrofTeii.'* ^) Wir finden demgemiiss bei Thomas von Aquinlauter gnstige Voraussetzungen fr eine tiefgehende Auf-fassung von der Kirche. Der englische Lehrer konnte dieLehre von der Kirche behandeln.

    Hat er nun tatschlich die Kirche zum Gegen-stande seiner Forschung gemacht und wenn, anwelchen Stellen und in welcher Weise?^)

    Da die Lehre des heiligen Thomas ber die Kirchekeineswegs als frmlicher abgeschlossener Traktat, als selb-stndiges Bauglied seines monumentalen Wissensdomes er-scheint, sondern vielmehr als architektonisches Gesetz denganzen Bau durchherrscht und an verschiedenen Stellen inErscheinung tritt, so wird dieselbe auch an verschiedenenStellen seiner Werke zerstreut sich vorfinden.

    Zunchst kommt er in seinen grsseren Werken im An-schluss an die Christologie -auf die Kirche zu sprechen(corpus Christi mysticum). So namentlich in S. Th. III.q. 8.; III. Sent. dist. 13.; de Verit. q. 29. a. 4., Comp, theol.cap. 215. u. a. a. 0. Willmann charakterisiert deswegenmit Recht die Tertia der theologischen Summa mit Kirche".^)

    ') Eucken, Die Philosophie des Thomas von Aquino und dieKultur der Neuzeit, Halle 1886, S. 11.

    ') Was die Entstehungszeit , die Authentizitt usw. der ein-zelnen Werke des heiligen Thomas betrifft, so haben immer noch dieDissertationes des De Rubeis massgebenden Wert, wenngleich diehandschriftliche Ueberlieferung der Werke des Aquinaten nur unvoll-stndig bercksichtigt wurde. Sehr bedeutsam fr die Authentizi-ttsfrage einzelner opuscula des Aquinaten ist das von P. Denifleim Archiv fr Literatur- und Kirchengesch. d. M.-A. IL 225240verffentlichte Stamser Verzeichnis, das aus dem Anfang des14. Jahrhunderts stammt. Vgl. auch Mausbachs Artikel berThomas von Aquin im Kirchenlexikon [2] XI. 1631 ff. MichaelWitt mann, Die Stellung des heiligen Thomes von Aquin zu Aven-cebrol. Mnster 1900, S. 32, Anm. 2. Fr die scholastische Literatur-geschichte bietet namentlich nach der handschriftlichen Seite reich-liches Material: Ehrle, Historia Bibliothecae Romanorum Pontificum,tom. I., Romae 1890. Ehrles Anmerkungen zu den ltesten Rezen-sionen der ppstlichen Bibliothek sind fr die Bestimmung der Autor-schaft scholastischer Traktate von hohem Werte.

    ^) Will man, Geschichte des Idealismus IL 474. Die gleiche

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    In diesem Zusammenhange mit Christo kommen die Prin-zipien des Seins und Lebens der Kirche zur Errte-rung. Die Stellung des heihgen Geistes zur Kirche wird inder Trinittslehre bei Besprechung der missio divinarumpersonarum (S. Th. I. q. 43. u. I. Sent. dist. 15. u. 16.) be-

    handelt.

    In der Abhandlung vom Glauben kennzeichnet der hei-lige Thomas die Kirche als Organ der Wahrheit (S. Th.2. IL q. 1. a. 10.). Die spteren Thomisten, z. B. Johannesa Sto. Thoma, Ferro, Banez, Toletus, Wiggers u. a. habendeswegen ihre Traktate de Ecclesia unschwer an die Be-sprechung von S. Th. 2. II. q. 1. a. 10. anfgen knnen.

    Als Organ der Gnade tritt uns die Kirche an vielenStellen der Sakramentenlehre des heiligen Thomas, beson-ders in seinen Traktaten ber die heilige Eucharistie und denOrdo entgegen. Namenthch dient ihm letzterer dazu, seineTheorie vom Primate zu entwickeln. (In IV. Sent. dist. 24.)Vornehmlich hat er in der Summa contra Gentes im Anschlussan den Ordo seine grundlegenden und tiefgehenden Ge-danken ber den Primat ausgesprochen. (S. c. G. IV. 76.)^)

    Viele anregende Gedanken ber das innere Wesen undLeben der Kirche finden sich im Traktat de lege nova(S. Th. 1. IL q. 106109.). Desgleichen kommt fr die tho-mistische Lehre von der Kirche eine reiche Flle zerstreuterStellen aus den exegetischen Schriften des Aquinaten, be-sonders aus seinen Kommentaren zu den Psalmen, zumHohenliede und zu den paulinischen Briefen in Betracht.

    Von seinen opuscula sind fr die Lehre von der Kirchebeachtenswert das Schriftchen: de regimine principum" unddie viel umstrittene Monographie: ,,contra errores Graeco-rum". Diese letztere Arbeit des Aquinaten hat zur Zeit desvatikanischen Konzs eine gewisse Berhmtheit erlangt, in-dem Dllinger in seinem Janus" wie auch in seinen Er-

    Auffassung findet sich in einer Reihe anonymer Sentenzenkommen-tare. Cfr Cod. lat. VIT. C. 14. der Biblioteca nazionale zu Neapel.

    ^) lieber die Bedeutung der Summa contra Gentes vgl. dieschnen Ausfhrungen in der Apologetik von Professor Alois v.Schmid, Freiburg 1900, S. 29 ff'.

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    waguiigen fr die Bischfe des Konziliums" grade im Hin-blick auf dieses opusculum behauptete, Thomas sei dasOpfer eines literarischen Betruges, des sogenannten Pseudo-Cyrillus gewesen und habe auf Grund dieser falschen Texteseine Lehre vom Primat und von der ppsthchen Unfehl-barkeit ausgebildet. Es hat sich auf diese BehauptungDllingers hin eine lebhafte Kontroverse erhoben, die ineiner Anzahl von Abhandlungen und Artikeln zum Austragkam.M

    Fr unsere Zwecke gengen einige Bemerkungen zurCharakteristik des genannten opusculum.

    Zur Herstellung dieses opusculum diente dem Aquinatenals Vorlage nicht der thesaurus des Bonacursius, sondernein von Papst Urban IV. ihm zur Wrdigung zugestellterlibellus. (Cod. Vatic. Lat. 808. von Uccelli auch im Druckeverffentlicht.)

    Das opusculum contra errores Graecorum hat vielegleichzeitige und gleichnamige Parallelschriften, so vonMagister Rainald und dem Benediktiner Andreas Hi-spanus de Scobar (beide Cod. Vatic. Lat. 4953.), von demDominikaner Pantaleon (Cod. Vatic. Lat. 4065.), von Guido

    ') Die hauptschlichste Literatur hierber ist folgende: De R-be is, De gestis, scriptis et doctrina S. Thomae dissert. XVII. c. 2. Alessandro Reali 0. Pr., San Tommaso d' Aquino e 1' infallibilitadei Romani Pontefici, Roma 1870, p. 7. Werner, Thoraas von AquiiiI. 7B0. Uccelli, Dei testi esaminati da S Tommaso d' Aquinoneir opusculo contra gli errori dei Greci relativemente all' infallibi-lita pontifici:!. Zeitschrift La scienza e la fede", auch separat er-schienen. Leitner, Der heilige Thomas von Aquin ber das un-fehlbare Lehramt der Kirche, Regensburg 1

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    T e r r e n a ^) (Cod. Palat. Lat. 679.) und mehreren anonymenVerfassern (Cod. Vatic. Lat. 4260.). Der Schlusssatz derBulle Unam Sanctam": Porro subesse Romano Pontificiomni humanae creaturae (cfr. 1. Petr. 2, 13.) declaramus . . .esse de necessitate salutis" ist aus dem genannten opus-culum des Aquinaten entnommen'^) und auch in die Bulle:Pastor aeternus" vom 19. Dezember 1516 mit der Umnde-rung von omnis humana creatura'^ in omnes Christi fide-les" aufgenommen worden.

    Was die Bedeutung dieser Monographie des Aquinatenanbetrifft, so ist dieses opusculum contra errores Graecorumfr die Lehre des heiligen Thomas vom Primat keineswegsvon massgebender Bedeutung. Die Lehre des heiligen Tho-mas vom Primat fliesst nicht aus den Texten des angezo-genen opusculum, sondern vielmehr aus der Heiligen Schriftund den Vtern, sowie besonders aus seiner tiefen Auffas-sung vom Wesen und Zweck der Kirche als Trgerin undVermittlerin der Wahrheit und Gnade Christi. Ein augen-scheinlicher Beweis hierfr ist der Umstand, dass der Aqui-nate in seiner theologischen Summa (S. Th. 2. IL q. 1. a 10.)sich auf keinen einzigen der im besagten opusculum auf-gefhrten Texte beruft. Desgleichen zeigt die Zentralstelleber den Primat in S. c. G. IV. 76., dass des heiligen Leh-rers Anschauung vom Primate auf ganz anderem Funda-mente ruht als auf den Vterstellen des opusculum contraerrores Graecorum, von denen er auch hier keine einzigebietet. Ausserdem ist schon durch die ganze Methode desAquinaten, besonders auch durch die Eigenart, wie er dieauctoritates auf sich zur Ausgestaltung seiner Doktrin wirkenlsst, eine bestimmende, richtunggebende Beeinflussung derfraglichen Texte ausgeschlossen. Die Einleitung des heiligenThomas zu seinem opusculum contra errores Graecorum zeigtuns, dass er aus den ihm vorliegenden Vterstellen nicht eine

    ^) lieber Guido Terrena vgl. Bibliotheca Carmelitana, Aure-lianis 17; >2, p. .^81.

    ') Hierauf macht schon Gieseler, Lehrbuch der Kirchenge-schichte, 2. Bd., 2. Abt., 2. Aufl., S. li)5, aufmerksam. -

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    neue Lehre, sondern nur eine Besttigung der veritas catho-lica erzielen wollte.

    2. Stellung der tliomistischen Lehre von der Kirchein der Gescliiclite der Theologie.

    Dass der heilige Thomas in der Geschichte der katho-lischen Theologie eine hervorragende und in mancher Be-ziehung einzige Stellung einnimmt, ist unleugbare Tatsache.Franz von Ferrara hat den heiligen Thomas den ,,homoomnium horarum'' genannt, der die Forschungsresultate derVergangenheit sich angeeignet und auf die wissenschaftlicheEntwicklung der Folgezeit einen bestimmenden Einflussausgebt hat. ') Welche Stellung nimmt nun die Lehre desheiligen Thomas von der Kirche in der Geschichte derTheologie ein? Es ist ja von hohem Werte, die Lehre desheiligen Thomas nicht bloss in 'ihre logischen, ontologischenund berhaupt spekulativen Bestandteile zu zerlegen, son-dern dieselbe auch nach ihren historischen Komponenten zubetrachten und festzustellen, welche Ideen der Aquinate ausder Patristik und frheren Scholastik herbergenommen undseinem System eingegliedert hat. Desgleichen ist es vonhohem wissenschaftlichen Interesse, die nachhaltige Einwir-kung der thomistischen Auffassung auf den fortschrittlichenEntwicklungsgang der theologischen Wissenschaft bis aufunsere Tage zu verfolgen.

    Rcksichtlich der Vergangenheit bentzt der eng-lische Lehrer das ihm aus der Patristik und frheren Scho-lastik vorliegende Material, indem er dasselbe planmssigordnet, ergnzt und weiterbildet. Aus der Patristik habenauf die Lehre des heiligen Thomas von der Kirche beson-ders der heilige Augustin, Dionysius Areopagita und auch

    ^) Diese zentrale Stellung des Aquinaten im Reiche der philo-sophischen und theologischen Spekulation wurde auch durch dieDarstellungen des heiligen Thomas in der mittelalterlichen Kunst(Francesco Traini, Orcagna, Filipino Lippi, Freskogemlde derKapelle Spagnoli in St. Maria Novella in Florenz) veranschaulicht.Vgl Keppler, St. Thomas in der mittelalterlichen Malerei. Histo-risch-politische Bltter 1881, S. 885-897.

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    Johannes von Damaskus Einfluss ausgebt. Von den fr-heren Scholastikern sind fr den heihgen Thomas nament-lich der heihge Anselm, Hugo und Richard von St. Viktorund der Lombarde massgebend gewesen. Sicherlich sindauch Wilhelm von Auvergne, Wilhelm von Auxerre, Ale-xander von Haies, Bonaventura, Albert d. Grosse von tief-

    gehendster Bedeutung fr den heiligen Thomas gewesen.Freilich ist es sehr schwer, in den einzelnen Fragen

    den bestimmenden Einfluss dieser grossen Scholastiker aufdas System des heihgen Thomas genau festzustellen. Derenglische Lehrer pflegt eben keinen dieser grossen Theolo-

    gen namenthch anzufhren, er begngt sich bei Auff'hrungverschiedener Lehrmeinungen, deren Vertreter nur als alii,quidam" zu bezeichnen. Von grsstem Werte, '^ bemerktP. Ehrle,^) wren Schriftstcke oder Stehen, in welchensich die in Frage stehenden Autoren selbst ber die Grndeder zwischen ihnen zu Tage tretenden Gegenstzlichkeitaussprechen. Aber leider sind nicht nur Schriftstcke dieserArt, sondern selbst solche Stellen so selten, dass sogar fr

    die Unterschiede der Hauptvorstellungen bisher kaum dieeine oder andere beigebracht wurde. Es sind eben dieeigentlichen Schriftstcke: Die Kommentare zu den Senten-zengebhren, die Summen, die Quodhbeta" und Quaestio-nes disputatae" besonders in dieser Periode so abstrakt undunpersnlich gehalten, dass in der Regel die Gegner nurals alii" oder quidam" auftreten. Und findet sich einName im Text, so bedarf es erst noch einer genauerenPrfung, ob er nicht etwa bloss einer vom Rande her ein-geschmuggelten Glosse eines Abschreibers von zweifelhafterGlaubwrdigkeit sein Dasein verdankt."

    Grade in der Lehre von der Kirche ist der tatschhcheEinfluss der andern grossen Scholastiker auf die Anschau-ungen des heiligen Thomas ungleich schwerer zu erweisen,weil grade dieser Lehrpunkt in der Scholastik eine spora-

    ') Ehrle, Der Augustinismus u. der Aristotelismus in der Scho-lastik gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Archiv fr Lit.- u Kirch.-Gesch. d. M.-A., I. Bd., S. 603 u. 604.

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    dische Behandlung gefunden hat. Nur die christologischeSeite der Kirche, die Lehre von Christo, dem Haupte derKirche, hat, wie wir spter sehen werden, eine ausfhrhchereBehandlung in der Scholastik erfahren.')

    In der Zeit der werdenden Scholastik ist die Idee vonder Kirche vorzglich in liturgischen Traktaten zur Dar-stellung gekommen. Bei der Besprechung des Kirchenge-budes und seiner Bestandteile, bei der Behandlung derliturgischen Zeremonien , namentlich des Kirchweihfestes,erkannten diese Liturgiker, ein Honorius Augustodu-nensis, ein Sicardus und spter Durandus in der mate-riellen Kirche das Abbild der grossen geistigen Kirche, ^jHierbei entwickelten sie mit mystischer Tiefe den paulini-schen Gedanken vom corpus Christi mysticum. Freihchwurde in der Symbohk mitunter nicht das rechte Mass ein-gehalten. So wurde z. B. vielfach die Parallele zwischender Kirche und dem menschlichen Leibe in einer fast ansKomische grenzenden Detaillierung durchgefhrt. Beweishierfr ist auch der anonyme Cod. Vatic. Lat. 5046., inwelchem fr jedes Glied des menschlichen Organismus einAnalogon im mystischen Leibe Christi aufgestellt wird.

    Eine massvolle symbolisch -mystische Auffassung vonder Kirche findet sich in den Werken des Wilhelm vonAuvergne, eines der originellsten Denker des Mittelalters.Er schildert mit Vorliebe die Herrlichkeiten der Kirche unterschnen Bdern, unter dem Bilde der Olive, des Tempels,des Ackers Gottes. Die Kirche ist ihm Herd und Hort desGlaubens: ,,Quicquid credit Ecclesia catholica in articulis

    ') Die Untersuchung des Verhltnisses des Aquinaten zu seinenscholastischen Quellen ist auch dadurch erschwert, dass dieselbengrossenteils ujgedruckt geblieben sind. Ungedruckte vorthomistischetheologische Summen haben wir von Prpositinus, Robert vonMelun, Petrus von Capua, Simon von Tournai, Gaufriedvon Poitiers, Philippe de Greve usw.

    ^) Hierber handelt in grndlicher Weise Sauer, Symbolik desKirchengebudes und seiner Ausstattung in der Auffassung desMittelalters. Mit Bercksichtigung von Honorius Augustodunensis,Sicardus und Durandus, Freiburg 1902. Namentlich S. lol ff. und375 ff.

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    fidei suae, Deo testificante credit: quare etiam si erraret inaliquo, quod tarnen impossibile est, non ei esset imputandum,sed Deo testificanti; secure igitur sola credit, quae Deumsola testem habet credulitatis suae et cujus credulitas nonnisi Deo imputari potest/")

    In den ungedruckt gebliebenen Distinctiones des Pe-trus Cantor (Cod. Vatic. Lat. 1003), welche in alphabeti-scher Reihenfolge die theologisch-biblischen Hauptbegriffeerlutern, ist ebenfalls die Kirche in mystisch-symbolischerWeise ins Auge gefasst. Sehr sinnvoll werden die^ verschie-denen Namen der Kirche erlutert. Auch die Symbolik desKirchengebudes gibt zu kurzen Erwgungen ber das in-nere Leben und Sein der Kirche Veranlassung. Diese litur-gisch-mystische Prgung des Kirchenbegriffs ging auch nichtverloren, als die mehr scholastische Richtung zur Idee derKirche Stellung nahm.

    Einen grundlegenden Einfluss besonders in theologischenFragen hat auf die sptere Scholastik ausgebt Hugo vonSt. Viktor, ein Deutscher von Geburt. Er lsst die Lehrevon der Kirche unmittelbar auf die Lehre von der Inkar-nation folgen. 2) Die Kirche definiert er also: Ecclesiasancta corpus est Christi uno Spiritu vivificata et unita fideuna et sanctificata."^) Hugo von St. Viktor hat eine tiefeAuffassung vom Wirken und Walten der gratia capitis inChristo; zugleich trgt er klar und bestimmt die kirchlicheLehre vom Primate vor. Die Stelle in der Bulle ,,UnamSanctam" ber das Verhltnis beider Gewalten ist, wieFunk^) mit Recht bemerkt, entnommen aus Hugos vonSt. Viktor bedeutendster Schrift de sacramentis" (IL 2. 4.)und findet sich fast wrtlich auch bei Alexander vonHaies. (S. Th. IV. 10. 5. 2.) Petrus Lombardus, derMagister sententiarum , hat abgesehen von seinen Ausfh-

    *) Am Schluss seines Tractatus de fide. Opera omnia. Aureliani1674 I. 18.

    ') IL Sent. pars 1: de incarnatione verbi; p. 2. de Ecclesia.') 1. c. 1. IL p. 2 c. 2. Mig. P. L. 176, col. b.*) Funk, Kirchengeschichtl. Abhandlungen u. Untersuchungen.

    Paderborn 1897, L Bd., S. 486.Grabmann, Lehre d. h. Thomas v. Aq. 9

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    rungen ber die gratia capitis wenig ber die Kirche ge-liandelt;') ein Grund^ warum so viele seiner spteren Kom-mentatoren diesen Gegenstand fast ganz ausser achtgelassen haben. Auch die anderen Sentenzenwerke vonRolandus, Omnibene, Gandulph, Petrus von Poitiers usw.,enthalten nur wenige Andeutungen ber unseren Gegen-stand.

    Eine der ltesten ungedruckten Summen der Scholastikist die Summa theologiae Magistri Petri Capuani,^)die in 2 Exemplaren sich in der vatikanischen Bibliothekvorfindet. In seinem kurzen Prologe charakterisiert Petrusvon Capua seine Methode also: Modus autem tractandiquaestiones theologicas secundum magistrum talis est. Primojacietur fundamentum auctoritatum, secundo erigentur pa-rietes argumentorum et quaestionum, tertio supponetur tectumsolutionum et rationum." Frwahr es ist der Aufbau diesereinfachen Summa des Petrus von Capua zu vergleichen mitder Struktur eines schlichten Hauses, whrend die Summades heiligen Thomas den hochragenden, von einem grossenarchitektonischen Gedanken beherrschten gotischen Domendes Mittelalters vergleichbar ist.

    In Bezug auf die Lehre von der Kirche gibt Petrus vonCapua mannigfache Andeutungen, namentlich ber Christum

    ) Und trotzdem bemerkt Kgel von Petrus Lombardus ganzrichtig: Die Kirche ist ihm sein Ein und Alles." Kgel, PetrusLombardus in seiner Stellung zur Philosophie des Mittelalters. Greifs-wald 1897, S. 31. Ueber die Stellung des Petrus Lombardus im Ent-wicklungsgang der Scholastik handelt mit grosser GrndhchkeitEspenb erger, Die Philosophie des Petrus Lombardus, Mnster1901, bes. S. 25-30.

    ^) Petrus von Capua, zuerst Kardinaldiakon von Maria in vialata, hernach Kardinalpriester von S. Marcellus, starb um 1214 inRom. Nheres bei JafiFe, Reg. pont. Rom. S. 87. Fotthast, R. P. R.(1874) 464466. Die beiden vatikanischen Codices sind: Cod. Vatic.Lat. 4296. und 4.304. Die Lehre von der gratia capitis findet sich imersteren Kodex auf fol. .^9. u. 60. Von der Summa des Petrus vonCapua finden sich auch zwei Handschriften m Montecassino (mss-;)51. u. 475.), Montpellier usw. Die Summa des Petrus von Capua isteigentlich eine freiere Kommentierung der Sentenzen des PetrusLombardus, eine Summa super libro Sententiarum".

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    als das Haupt der Kirche, ber die claves sacerdotales",ber die Beziehungen der heihgen Eucharistie zAir Kirche.Der am hufigsten zitierte Vater ist August in.

    Ein vom heihgen Thomas oftmals zitierter und bekmpf-ter Summist ist Prpositinus von Cremona. Seine unge-druckte, prgnante, an spekulativer Tiefe dem ebengenanntenWerke des Petrus von Oapua weit berlegene Summa ent-hlt ber die Kirche keinerlei Gedanken, nur einen kurzenAbschnitt de clavibus^'J)

    Die Lehre des Papstes Innocenz IlL ber die Kirchehat Harter in seiner Biographie dieses grossen Papstes dar-gestellt.'^) Auf die Beziehungen zwischen Alexandervon Haies und dem heiligen Thomas werden wir imLaufe der Darstellung oftmals hinweisen mssen.^) Diesergeniale Grnder der Franziskanerschule hat in seiner monu-mentalen Summa die Hauptpunkte ber die dogmatischeLehre von der Kirche gelegentlich errtert. Eine ziemlicheingehende Theorie von der Kirche hat uns ein lterer Or-densgenosse des heiligen Thomas, der Dominikaner Monetavon Cremona in seiner Summa adversus Catharos et Val-denses" hinterlassen.^)

    *) Prpositinus von Cremona (nicht Prpositivus, wie mangewhnlich gedruckt liest) ist nicht, wie auch Hurter, NomenclatorIV. 171. flschlich annimmt, identisch mit dem Pariser Universitts-kanzler Magister Prpositinus von Paris (ca. 1206.). Cfr. Denifle,Chartularium I. 66. Auch die Summa des Prpositinus ist eine freiereBearbeitung der Sentenzen des Lombarden. Es heisst deswegen auchim Cod. Ottob. Lat 601. fol. 45.: Incipit prologus super SummamMagistri Prepositini Cremonensis super Sententias Magistri PetriLombardi." Die Handschriften des Prpositinus sind hufig, so z. B.Cod. Vat. Lat. 1174.; Cod. Vindob. 1409.; Cod. Paris. 15738.; Cod.Oxon., Coli. univ. n. 61. Auch die Erlangener Universittsbibliothekenthlt ehien Prpositinuskodex. (Cod. Lat. 3.53.)

    ') Hurter, Gesch. Papst Innocenz III., Bd. 3, S. 40 fl'.^) Die Hauptstellen der Lehre des Alexander von Haies ber

    die Kirche sind: S. Th. III. q. 12. membr. 3.: Die Lehre von der gratiacapitis; IIL q. 40. membr. 5.: Verhltnis von weltlicher und geist-licher Gewalt; III. q. 5\ ff.: Traktat de lege evangelica; IV. q. 2.membr. 4.: de initio et fine Ecclesiae".

    ") Venerabilis Patris Monetae Cremonensis Ord. Praed. adv9*

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    Im 5. Buche gibt Moneta gegenber den damaligenZeitirrtmern eine eingehende praktisch und polemisch ge-haltene und von ausgiebigem Schriftbeweise gesttzte Ab-handlung ber die Kirche. Er ussert sich ber den Begriff?den Anfang und die Dauer der Kirche, er errtert klar undkorrekt die Rechte der kirchlichen Obrigkeit und kmpftgegen die Auffassung von einer lediglich unsichtbaren Kirchean. Thomas Ricchini 0. Pr., der Monetas Werk fr denDruck besorgte, weist in seinen Anmerkungen oftmals aufdie Konkordanz zwischen Moneta und dem Aquinatenhin. Wie Moneta, so hat auch sein Ordens- und Zeitge-nosse Rainer Sacchoni gegen die Catharer und die soge-nannten Armen von Lyon in einer freilich kleineren Schriftangekmpft, welche bei Martene abgedruckt ist.')

    Das Verhltnis des heiligen Thomas zu seinem grossenLehrer Albert ist bislang hoch nicht ganz untersucht.Dass der englische Lehrer manche Idee von seinem grossenMeister herbergenommen hat in philosophischer und theo-logischer Beziehung j ist selbstverstndlich und auch von

    Catharos et Valdenses libri quinque edidit Thomas Augustinus Ric-chini 0. Pr., Romae 1748. Das Werk ist verfasst nach 1250 (cfr.lib. 3. cap. 3. -. u. lib. 5. cap. 1. 4.). Wir verweisen auf folgendeKapitel des ''. Buches: cap. 1.: Ecclesia catholica quae sit? cap. 2.Quando incoeperit Ecclesia Dei in hoc mundo? Er errtert hier auchdie Frage, ob Petrus in Rom gewesen, und bespricht das Verhltniszwischen Sylvester 1. und Konstantin d. Gr. cap. 8. An postquaraDei Ecclesia coepit, desierit esse? cap. 5 De praelatis Ecclesiae Erhandelt hier besonders ber die praelati mali in der Kirche und ver-teidigt die Gltigkeit der von denselben gespendeten Sakramente undbetont, dass auch schlechten kirchlichen Obern Gehorsam in kirch-lichen Dingen zu leisten sei. cap. ^i. An Ecclesia possit facere novasconstitutiones? cap. 7. An Ecclesia possit possidere div^itias? cap 8.De domo materiali, de figuris et imaginibus Ecclesiae. lieber Mo-neta vgl auch Hurt er, Nomenclator IV. 208. In fratris Galuagnide la Flamma Chronica Ord. Praed heisst es: Magister Moneta, quierat super omnes magistros mundi famosissimus.'' Ed. Reichert,Romae 18H7, pag. 19.

    ') Summa fratris Renerii Sacchoni Pr. de Catharis et Leonistisseu Pauperibus de Lugduno bei Martene, Thesaurus novus Anecdo-torum, i aris 1717. V. 17091776.

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    zeitgenssischen Autoren zugegeben, wie denn z. B. einevatikanische Handschrift unter anderem auch ^quaestiones,quas collegit D. Thomas ex libris Alberti Magni'^ enthlt.

    Namentlich in seinem Sentenzenkommentar gibt derDoctor universalis an verschiedenen Stellen vorzglich berChristum, das Haupt der Kirche, lichtvolle Errterungen.Auf seine Lehre vom Primat und von der ppsthchen Unfehl-barkeit hat Leitner hingewiesen, whrend Bischof Ignatiusvon Regensburg hierber eine eigene Monographie geschrie-ben hat.

    Ungleich reichhaltiger ist die Lehre des heiligen Bona-ventura ber die Kirche. Der seraphische Lehrer hat mitbesonderer Tiefe das innere mystische Wesen der Kirche inseinen Collationes in Hexaemeron behandelt. Dabei hatSt. Bonaventura auch die hierarchische Seite einlsslich be-handelt. Er handelt ber den Primat in seinen Schriften:de perf. ev. q. 2. a 2; Breviloqu. VI. c. 10. und 12. und anverschiedenen zerstreuten Stellen seines Sentenzenwerkes.Die Idee der Kirche bildet auch beim heiligen Bonaventuraden Hintergrund, aus dem die gesamte theologische Wahr-heit wirkungsvoll hervortritt. Auch die Lehre von derppstlichen Unfehlbarkeit findet sich, wie der unermdlicheBonaventuraforscher F. Pidelis a Fanna in einer eigenenMonographie bewiesen hat, klar und deutlich in den Schriftendes Doctor Seraphicus" ausgedrckt, i) Unter den vonP. Pidelis a Fanna und P. Jeder aufgefundenen und her-ausgegebenen Quaestiones Disputatae des heiligen Bonaven-tura findet sich als Schlusartikel der quaestiones disputataede perfectione evangelicae paupertatis (q. 4. a 3.) eine sehrausfhrliche und gedankentiefe Abhandlung de obedientiasummo Pontifici debita'', in welcher aus der Heihgen Schrift,den heihgen Vtern und aus der ratio theologica der Primatund die hchste Lehrauktoritt des Papstes erwiesen wird.

    ') Seraphici Doctoris D. Bonaventurae de R. Pontificis primatuet infallibillitate a P. Fid. a Fauna coUecta et annotata, Taurini, Ma-rietti 1870. Vgl. St. Bonaventura und das Papsttum. Dogma-tische Studie von P. Thomas Villanova, Kapuziner, Bregenz 1902.

  • 22

    Unseres Wissens ist dies die ausfhrlichste wissenschaftlicheDarstellung dieser Lehre aus der Bltezeit der Scholastik.

    Rcksichtlich der Zukunft hat die Lehre des hei-ligen Thomas ber die Kirche einen hochbedeutsamen Ein-fluss auf die Anschauungen der spteren Theologen ausge-bt. Eine gedrngte literarhistorische Uebersicht wird denBeweis hierfr erbringen. Es haben sich schon zu Lebzeitendes heiligen Lehrers und noch mehr nach seinem Tode selbstim eigenen Orden lebhafte Kontroversen ber manchePunkte der thomistischen Lehre gebildet,-, so dass Bern-hard von Clermont 0. Pr. den englischen Lehrer selbstgegen Aegidius Romanus in Schutz zu nehmen sich veran-lasst sah. ^) Jedoch die Lehre des heiligen Thomas von derKirche w^urde in diesen Kontroversschriften nicht berhrt,ebensowenig wie in den Zusammenstellungen von Antilo-gieen zwischen dem Sentenzeiikommentar und der theolo-gischen Summa des Aquinaten.-)

    Unmittelbare Schler des englischen Lehrers sind Pto-lemus von Lucca und Petrus von Tarentasia aus demPredigerorden, Aegidius Romanus und Augustinus Triumphusaus dem Augustinerorden. Ptolemus von Lucca ^)

    ') Diese Kontroversliteratur ist grossenteils ungedruckt; dieVerteidigung richtet sich hauptschlich gegen H einrieb von Gent,Wilhelm de la Marc u. a Die Apologie des Bernhard von Clermontfindet sich Cod. Vatic. Lat. 772. fol. 4.: ,,Incipiunt impugnationesBernardi claramontanensis contra fratrem egidium contradicentemthome super primo sententiarum.'' Aus dem Dominikanerorden tratenausserdem mit Verteidigungsschriften gegen die corruptores fratristhome" auf Joannes Parisiensis, Hervus Natalis, Thomas de Sutona,Rupertus de Erfort und Wilhemus de Masfeit. Eine solche Vertei-digungsschrift wurde in Kln 1516 unter dem Namen des AegidiusRomanus gedruckt, die jedoch nach Quetif-Echard (I. 503.1 eher demJob. V. Paris und nach andern dem Richard Crapuel zuzuschreibenist. Cfr. Catalog. Cod. Manuscript. Bibliothek. Angel, ed. Narducci,Romae 1893, pag. 35 u. 36. Ueber diese Kontroversen vgl. auch Mar-tene-Durand, Veterum Scriptorum et Monumentorum CoUectio VI. 370.

    ) Beispiele solcher Zusammenstellungen finden sich Cod. Vatic.Lat. 751:. 813.; Cod. Lat. Palat. 608. usw.

    ^) Eine Biographie findet sich in der Ausgabe des Hexaemeronsdurch Masetti 0. Pr., pag. IXXVI.

  • 23

    (eigentlich Tholomus=Bartholomus) verweist in seinem vonMasetti herausgebenen Hexaeraeron auf ein von ihm verfassteshbellus sive tractatus de jurisdictione Imperii et SummiPontificis".') Von dieser Schrift findet sich jedoch keinerleihandschriftliche Spur, noch ist dieselbe im Stamser Katalog,bei Pignon und Quetif-Echard, notiert. Masetti'^) vermutetmit Recht, dass Tholomus hierunter seine Fortsetzung derSchrift des heiHgen Thomas de regimine principum verstehe.

    Petrus von Tarentasia^) ist neben Albert d. Gr. unddem heihgen Thomas als ein Haupttrger der Doktrin desPredigerordens anerkannt worden. In philosophischen Fragenist der selige Petrus von Tarentasia, der als Innocenz V.

    eine Zierde des ppstlichen Stuhles gewesen, vielfach etwas

    Platoniker, in der Theologie schliesst er sich in gleicherWeise an Thomas und an Bonaventura an. Von seinemjetzt hchst selten gewordenen Sentenzenkommentar be-merken Quetif-Echard: ,,Revera scriptum Petri est vel-uti compendium scripti S. Thomae in Sententias.'^ Petrusvon Tarentasia gibt eine sehr klare und tiefe Lehre vonChristo, dem Haupte der Kirche, wobei er auch an Alexan-der von Haies wrtlich sich anschliesst. In seinem Prologzum I. Sentenzenbuche gibt er anknpfend an Sprichw. 30,18. 19: Drei Dinge kann ich nicht begreifen, und dasvierte verstehe ich gar nicht: den Weg des Adlers amHimmel, den Weg der Schlange auf dem Felsen, den Wegdes Schiffes mitten im Meere, und den Weg des Mannes inder Jugend," den Ideengang des Sentenzenbuches wieder

    ') Hexaemeron ed. Masetti, pag. 116.^) 1. c. vgl. auch F. de Maria, Opuscula S. Thomae selecta

    tom. II,

    pag. 1 3.') Die Biographie Innocenz V. findet sich gedrujkt an der Spitze

    der Ausgabe seines Sentenzenkommentars Tolosaa 1852: Innocentiiquinti vita ex varii auctoribus collecta; vgl. Rainaldi, Annal. eccles.an. 1272, cap. 6768; an. 1276, cap. 1825; Quetif-Echard 1. 350 sqq ;Touron, Hist. des hommes illustr. de 1' ordre de S. Dominique I. 344 ff

    ;

    Muratori, Rerum itahc. Script. III. 605. Vie du bienheureux Inno-cent. V

    ,Rome 1896. Feret, La faculte de theologie de Paris. II. 485

    bis 494. Bestimmung des Provinzialkapitels von Orthez 1316 beiDenifle-Chatelain, Chartularium Univ. Paris. II. 174. n. 717. Anm.

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    und bezeichnet als Grundidee des 4. Buches die Kirche.^Per hoc, quod dicitur [via navis in medio niaris] Signaturmateria quarti hbri. Xavis quippe est Ecclesia. Haec estPetri navicula, in quam Christus ascendit ... In quartoautem hbro tractatur, quahter ecclesia per suos ministros inhoc mundo regatur per ecclesiastica sacramenta et quomodotandem ad gloriam perducatur."

    Ein so inniges Verhltnis zu seinem Lehrer Thomasvon Aquin, wie wir dasselbe z. B. bei Tholomus von Lucca,Bernard von Clermont und etwas spter bei Hervus Natahsfinden, lsst sich aus den Schriften des Petrus von Taren-tasia nicht ersehen. Er gehrt eben neben Roland vonCremona, Robert Fitzacker, Robert Kilwardby u. anderen zuder streng augustinistischen Schule des Dominikanerordens,welche von der durch Albert d. Gr. und Thomas von Aquingepflegten aristotelischen Richtung mehr oder minder unbe-rhrt geblieben ist, ja derselben sich ablehnend wenigstensin der Person des Robert Kilwardbv gegenbergestellt hat.

    Nicht ein Schler des heiligen Thomas, wohl aber ausderselben Schule wie der englische Lehrer stammend istUlrich von Strassburg 0. Pr.. ein Lieblingsschler desgrossen Albertus und ein Haupttrger des deutschen Ele-mentes in der Scholastik. Ulrich nennt voll Begeisterungseinen Lehrer ^nostri temporis Stupor et miraculum".') Ueberdie Lebensumstnde dieses hervorragenden Scholastikers istnicht viel bekannt ausser dass er einige Zeit Lektor inStrassburg, spter (wahrscheinlich von 12721277) Provin-zial von Deutschland gewesen und um das Jahr 1277 in Parisgestorben ist. Dass er zu seiner Zeit im hchsten Ansehenstand, geht aus dem einhelligen Lobe der zeitgenssischenAutoren hervor. Seine grossartig angelegte Summa ist nichtgedruckt; nur Dionysius, der Kartuser, fhrt in seinemSentenzenkommentar fters Belegstellen aus dem MagisterL^lricus an und bezeichnet ihn als ,,discipulus et imitatorAlberti". (Dionys. in I. Sent. dist. 1. q. 3.) Auch die deut-

    ') Summa de bono Cod Vatic. Lat. IBll. lib. IV. tract. 3. cap. 9.lol. 120.

  • 25

    sehen Dominikaner Johannes Lektor und Johannes Niderzitieren Stellen aus Ulrich von Strassburg. Ein herrliches,mit schnen Initialen ausgestattetes Manuskript der Summade bono des Ulricus de Argentina ist Cod. Vatic. Lat. 1811.Wir wollen hier nur auf die Stellen in dieser von hoherspekulativen Kraft und von deutscher Gemtstiefe zugleichzeugenden Summa verweisen, welche mit der Lehre von derKirche im Zusamenhang stehen. ') Vor allem finden wirbei Ulrich (lib. Y. tract. 1. cap. 13.) eine tiefgehende Er-rterung ber Christum, das Haupt der Kirche, desgleichenschtzenswerte Ideen ber das Verhltnis des heiligen Gei-stes zur Kirche (lib. III. tract. 3. cap. 7.). Ueber den Primatbietet das 6. Buch manche zerstreute Notiz (lib. VI. tract. 8.cap. 9.; tract. 4. cap. 22.). Sehr ausfhrlich handelt er de

    ') Ueber das Leben, die Person und die Werke, besonders berdie Summa de bono vgl. die nachfolgende Literatur: Martene-Durand,Veterum Scriptorum et Monumentorum collectio tom. VI. pag. 70u. 368. Quetif-Echaid I. 353 ff. Ambrosius de Abtamura 0. Pr.,Bibliotheca Dominicana, Romae 1677. pag. 46. Trithemius, Descriptoribus eccles , n. 17,5. Labbe, De Script, ecclesiasticis TL 4i6. Haurcau, Histoire de la Philosophie scolastique, Paris. 1^80. IIL41 ff., wo er also sich ussert: L' auteur s'y montre, en effet, sa-vant theologien et savant philosophe." Ulysse Chevalier, Reper-toire des sources historiques etc , Paris. 18771886. pag. 643. Hist.litt, de France XIX. 438. Paulus de Loe 0. Pr. : De vita et scri-ptis B. Alberti Magni in Anal, Holland. XIX. pag 260. 281. Hurter,Nomenciator IV. 30t. Finke, Ungedruckte Dominikanerbriefe,Paderborn 1891, S. 1822. Der vatikanische Kodex der Summa debono stammt aus der Wende des 13. u. 14. Jahrhunderts. Die Summazerfllt in 6 Bcher. Im 1. Buch gibt eine grndliche Errterungber Wesen und Methode der theologischen Wissenschaft, das 2. Buchhandelt von Gott dem Einen, das nchste von der Trinitt, das viertegibt eine ausfhrliche Schpfungslehre mit grndlichster Behandlungder kosmologischen Lehre von Materie, Form usw., das 5. Buch istder Christologie und Soteriologie gewidmet, das 6. Buch handelt berdie gnadenspendende Ttigkeit des heiligen Geistes und ber dieEthik. Ulrich von Strassburg ist durchgehends originell und selb-stndig, er vermeidet die scholastische Form. Ein mystischer Zugund grosse Gemtstiefe weht uns aus diesem Werke entgegen. Dievon Ulrich angefhrte und bentzte Literatur ist eine sehr umfang-reiche. Besondere Vertrautheit bekundet er mit Aristoteles und denarabischen Philosophen.

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    comparatione judicis ecclesiastici adjudicem saecularem" (VI.tr. 4. cap. 22.), wo er namentlich auch die Lehre von denzwei Schwertern zur Anwendung bringt. Jedoch eine der-artig grinidhche und ideenreiche Behandhmg der Lehre vonder Kirche wie bei Thomas von Aquin suchen wir bei Ulrichvon Strassburg vergeblich. Freilich ist Ulrichs Summa un-vollendet geblieben. Die Sakramentenlehre, die ja Anlasszu Bemerkungen ber die Kirche bieten konnte, fehlt inder Summa Ulrichs gnzlich. Die Lehre von den beidenSchwertern finden wir auch in einer vielleicht gleichzeitigenSumma eines deutschen Autors, deren Manuskript in dervatikanischen Bibliothek betitelt ist als Summa .magistriB. de Lang (cod. Yatic. Lat. 4297.). In der q. 135 beweistdieser Summist, dass der Kirche die beiden Schwerter zueigen seien (quod uterque gladius sit Ecclesiae", fol. 99 u.100.). In hohem Ansehen stajid besonders in Deutschlanddas sogenannte Compendium theologicae veritatis, das balddem Aegidius Romanus, bald dem heiligen Thomas oder demheihgen Bonaventura, dann wieder dem seligen AlbertusMagnus und auch einem Albert von Sachsen zugeschriebenwird. Selbst Ulrich von Strassburg wird als Verfasser ge-nannt. Der wirkliche Verfasser scheint jedoch Hugo vonStrassburg zu sein. Wie dem auch sein mag, ber dieLehre von der Kirche enthlt dieses Compendium gar nichtsausser einer kurzen Bemerkung von der gratia capitis. Das-selbe gilt auch von den zahlreichen gleichzeitigen Compen-dia theologiae, die meist anonym in den Handschriftenbe-stnden sich vorfinden. Dieselben sind fr die Bildung einesWerturteils ber die Entwicklung der scholastischen Lehrevon der Kirche von keiner erheblichen Bedeutung.

    Die Lehre von der Kirche wurde mit einer gewissenVorliebe gepflegt und weiter entwickelt von den Schlerndes heiligen Thomas aus dem Augustinerorden. Im Vorder-grunde stehen hier Aegidius Romanus und AugustinusTriumphus.

    Aegidius von Rom,^) aus dem Geschlecht der Colonna,

    ') Gilles de Rome (Aegidius Romanus) und Aegidius Colonna

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    der doctor fundatissimus", prora et puppis theologorum"hat ausser einigen Errterungen in seinem Sentenzenkom-mentar eigene Schriften ber die Gewalt des Papstes ver-fasst. Bekannt ist seine Monographie de renuntiatione Pa-pae", in welcher er die Mglichkeit einer Abdankung vonSeiten eines Papstes prinzipiell erweist. ^) Anlass zu dieser

    Schrift war die Abdankung Clestin V. Fernerhin hat Aegi-dius eine eingehende Schrift ber die kirchliche Gewalt ge-schrieben: Aegidii Columnae Romani de ecclesiastica pote-state ad summum Pontificem Bonifacium VIII. libri tres/'-jP. Ludovicus Jak. a Sto. Carole berichtet in seiner Biblio-theca Pontificia, dass Aegidius auch eine Abhandlung ^deexcellentia summi Pontificis" verfasst hat.^) Aegidius hates verstanden, die Gedanken des heiligen Thomas ber diekirchliche Gewalt weiter zu entwickeln und auf die Zeit-fragen anzuwenden, wie er denn auch stets ehrerbietig vonseinem Lehrer redet und ihn als magnus vir, doctus virvel magister" bezeichnet. Leider sind die Werke des Aegi-dius bislang noch nicht kritisch untersucht; dieselben sindzum Teil noch ungedruckte Manuskripte in der vatikanischenBibliothek oder in der Bibliotheca Angelica in Rom.'^)

    sind ein und dieselbe Person, nicht zwei wie flschlich Ludwig Steinannimmt in: Die Sozialphilosophie im Zeitalter der RenaissanceArchiv f Gesch. d. Philos. X. 161." lieber Aegidius von Rom vgl.auch: Werner, Der Augustinismus des spteren Mittelalters, Wien1881, S. 12 ff.; Prantl, Geschichte d. Logik im Abendlande IIL 257;Haureau, Hist. de la phil. scol. II[. 165 ff.; Schulte, Quellen d.kan. Rechtes, Stuttgart 1877, II. Bd., S. 182; Feret 1. c. II. 459475.

    ') Diese Monographie ist auch abgedruckt bei Roccaberti, ibl.Pontir. Max. IL 1. sqq., vgl. hierber auch Denifle-Chatelain,Chartularium IL 77. n. 604. Anm.

    ^) Bibliotheca Angelica, Cod. Lat. 367 (D. 1. 13.), fol. 365 sqq.;Bibl. nazionale in Florenz, Cod. I. VII. 12.

    ^) r. Ludov. Jacobi a Sto Carole 0. Carm. , Biblioth. Pontif.,Lugduni 1643. pag. 241.

    ^) In der vatikanischen Bibliothek sind die Werke des AegidiusRomanus enthalten in den Cod. Vatic. Lat. 823848. Der Verfasserder Bulle: Unam Sanctam" scheint Aegidius Romanus nicht gewesenzu sein, da ein von Prof. Grauert entdeckter ungedruckter Traktatdes Minoriten Aegidius von Perugia (aus den Jahren 1324 132G)

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    Von noch hherer Bedeutung fr die Lehre von derKirt'he ist Augustinus Triumphus von Ancona,^) beidem sich auch der Einfluss seines Lehrers Thomas vonAquin viel leichter nachweisen lsst. Augustinus Triumphus(geb. 1243), wurde 1265 Augustiner, danach in Paris Schlerdes heiligen Thomas; auf dem Konzil von Lyon II im Jahre1274 nahm er die Stelle seines Lehrers Thomas von Aquinein, der auf der Reise zum Konzil gestorben war. Gestorben

    ist Augustinus Triumphus 1328 zu Neapel, wo er in derKirche der Augustiner begraben liegt. Sein Hauptwerk istdie auf Befehl des Papstes Johann XXII. im Jahre 1320verfasste: Summa de Potestate ecclesiastica." Fr dashohe Ansehen dieses Werkes zeugt der Umstand, dass sichvon demselben eine grosse Zahl von Manuskripten in dervatikanischen Bibliothek, in der Bibhotheca Angelica in Romund auch in der Mnchener Staatsbibhothek befindet. Esist dieses Werk auch frhzeitig und fters gedruckt worden^zum erstenmal in Augsburg (1473), spter in Kln (1475), inVenedig (1487) und in Rom (1583).

    Die Summa de potestate ecclesiastica des AugustinusTriumphus umfasst 112 Qustionen, die wieder in Artikel

    die positive Angabe enthlt, dass Bonifaz VIII. selber die berhmteBulle konzipierte. Siehe Deutsche Literarturzeitung 1902. n. 23. Sp.1426 u. 1427.

    ') Ueber Augustinus Triumphus finden sich schtzbare Notizenin der rmischen Ausgabe seiner Summa de potestate ecclesiasticavon 1583. Torelli, Secoli Agost. V. 447. Friedberg, Diemittelalterliche Lehre ber das Verhltnis von Kirche und Staat,Leipzig 1874, IL 1 ff. Riezler, Die literarischen Widersacher derPpste zur Zeit Ludwigs des Bayers, Leipzig 1874, S. 286. Holl-weck, Der Apostolische Stuhl und Rom, Mainz 1895, S. 20 u. 21.Schulte, a. a. 0., S. 193 ff , der den Augustinus Triumphus unnobel,wenn nicht ungerecht behandelt. Werner, Geschichte d. apolog.u. polem. Lit. III. S. 532. Feret, La- faculte de theologie de Paris.

    III. 4P5-4S8. - Denifle-Chatelain, a. a. 0., IL 289. n. 848. ImAugustinerorden wird Augustinus Triumphus als Seliger verehrt.Auf seinem Grabmal in Neapel vor dem Hochaltare der Augustiner-kirche steht unter anderm geschrieben: Sanctus in vita et clarusin scientia, unde omnes debent sequi talem virum, qui fuit religionisspeculum."

  • - 29

    geteilt sind. Der erste Teil dieser Summa (von q. 185)handelt de potestate papae secundum se. Vofi q. 10 14gibt er einen ausfhrlichen Exkurs ber den Umfang desppstlichen Lehramtes, gleichsam einen eingehenden Kom-mentar zur Stelle des heihgen Thomas: S. Th. 2. IL q. 1.a. 10. Der zweite Teil (von q. 3576) handelt: de pote-state papae, ut comparatur ad effectum. Der dritte Teil

    (q. 76 112) handelt de potestate papae, ut comparatur adstatum. Triumphus ist ein begeisterter Anhnger des hei-ligen Thomas, von dem er mitunter ganze Partien wrtlichherbernimmt. ^) Er gleicht dem englischen Lehrer auchdurch die Klarheit und Durchsichtigkeit der Darstelhmg,durch die edle Milde in der Polemik und durch die Objek-tivitt und Ruhe, welche ber das ganze Werk ausgegossenist. Wie Thomas zitiert er auch hufig Aristoteles, die ara-bischen Aristoteliker, den heiligen Augustin und die kirch-lichen Rechtsquellen. Seine Lehre ber die Kirche und dieGewalt des Papstes hat einen ausgesprochenen dogmatischenCharakter, allenthalben geht er von hheren Prinzipien undvon der Erwgung des inneren Wesens und Lebens derKirche aus. Eine innige Liebe zur Kirche und ihrem Ober-haupte, eine aus innerster Ueberzeugung hervorgehende Be-geisterung fr die kirchliche Auktoritt, ein festes Vertrauenauf die stete Widerstandskraft der Kirche gegen ihre Feindetritt uns allenthalben in diesem Werke entgegen. Wieschn sind nicht die Worte in der Widmung an Papst Jo-hann XXII., in welchen er die Unberwindlichkeit der Kirchealso ausspricht: ,,His omnibus modis impugnatur quandoqueChristi sponsa, sed vinci non potest: tempestas suscipit, sed

    non demergitur: jacula mittuntur in eam, sed non perfora-tur; machinamenta praeparantur, sed turris Davidica noneliditur.''

    Freilich ist es nicht zu leugnen, dass Augustinus Trium-phus in seinen Ansichten ber die Gewalt des Papstes zu

    ') So nimmt er z. B. in q. 11. a. 1. ganz wrtlich eine lngereStelle aus der Erklrung des heiligen Thomas zum apostolischenSymbolum an.

  • so-

    weit gegangen ist, indem er eine potestas directa papae inteniporalibus im weitesten Umfange verteidigte. Namentlichin q. 86: de imperii derivatione kommt diese seine ber-triebene Anschauung zum Ausdrucke, indem er von derAnalogie des Verhltnisses zwischen Sonne und Mond aus-gehend sicherlich dem Papste in teniporalibus zu viel, demKaiser hierin zu wenig Recht einrumt. Hier ist Augusti-nus Triumphus auch nicht mehr den Anschauungen seinesLehrers Thomas von x\quin konform*, welch letzterer, wieaus seinem opusc. de regimine principum I. 14. und andernStellen sowie aus der Erklrung seiner besten Kommenta-toren Konrad Kllin und Franz von Victoria hervorgeht,nur eine potestas indirecta in temporalia dem Papste zu-gesteht. Man msste freilich in der Behandlung der Lehre desheiligen Thomas vom Verhltnis zwischen Kirche und Staatauf diesen Punkt ausfhrlich zu sprechen kommen. AugustinusTriumphus hat auch einen eigenen Traktat de sacerdotioet regno** geschrieben. M Diese bertriebenen Anschauungenunseres Augustinus Triumphus und anderer zeitgenssischerAutoren erklren sich", wie Schrrs mit Recht bemerkt,-)nicht aus einer unwrdigen Devotion gegen den heiligenStuhl, sondern aus den leidenschaftlichen Gegenstzen jenerZeit". Ausserdem drften diese Uebertreibungen mitbeur-sacht sein durch bermssige Anwendung der deduktivenMethode, durch Ausserachtlassung der bei aller Konsequenzdoch ntigen Unterscheidungen und Restriktionen und be-sonders auch durch Mangel an Kenntnis der Kirchenge-schichte. Fernerhin fehlten grade in diesen komplizierten

    ') Biblioth. Angelica. Cod. Lat. 739. Vgl. Ludov. Jacob, a Sto.Carolo, Biblioth. Pontificia, pag. 272.

    ') Historisches Jahrbuch der Grresgesellschaft, Bd. XV, S. 133,Anna. 1. Vielleicht etwas zu scharf urteilt ber Agostino Trionfound Alvaro Pelayo Pastor in seiner Papstgeschichte [1], I. Bd.,S. 69 Finke hat die Auszge Lamprechts aus Agostino Trionfonher geprft und die demselben von Lamprecht und Harnack ge-machten Vorwrfe als bertrieben und unberechtigt gefunden. Vgl.Finke, Die kirchenpolitischen und kirchlichen Verhltnisse zu Endedes Mittelalters nach der Darstellung K. Lamprechts. Rom 1896,S. i2 ff.

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    Fragen abschliessende und erschpfende Vorarbeiten undGesamtdarstellungen.

    Dem Augustinerorden gehrte auch Jakob Capoccivon Viterbo (doctor speculativus f 1308 als Erzbischofvon Benevent) an^ der ein inniger Verehrer und vielleichtauch ein Schler des heiligen Thomas war. ^) Er hat einsehr gedankenreiches Buch de regimine Christiane" ver-fasst, in welchem er die Kirche besonders unter dem Ge-sichtspunkte des Reiches Gottes wrdigt. Es ist dieseSchrift vorzugsweise dogmatisch gehalten und bewegt sichnamentlich in der Lehre von Christo, dem Haupte der Kirche,ganz in thomistischen Gedanken. ^j Das Buch, das demPapste Bonifaz VIII. gewidmet ist, wurde nie gedruckt. Eszerfllt, wie wir aus einem Kodex der rmischen BibliothecaAngelica entnehmen,^) in zwei Traktate. Der erste handelt

    ') lieber Jakob Capocci von Viterbo handeln Werner, DerAugustinismus, S. 13 u, 14; Haureau, Hist. de la phil. scol. III. 159.u. 160.; - Feret, 1. c. III. 479.

    ^) Namentlich zeigt sich diese Uebereinstimmung mit Thomasin tract. 2. cap. 1., wo fast wrtlich die Lehre des heihgen ThomasS. Th. III. q. 8. a. 6. wiedergegeben ist.

    3) Biblioth. AngeHca. Cod. Lat. 3G7. (D. 1. 13.) fol. 67-180. Einzweiter Kodex befindet sich in derselben Bibliothek: Cod. 344. (fol. 1.bis 169.) Zur Beurteilug des Werkes diene die nachstehende Inhalts-befsicht:

    Tract. I. De regni ecclesiastici gloria. cap. 1. Quod Ecclesiaconvenienter et proprio Regnum dicitur. cap. 2. Quod Ecclesiaest regnum orthodoxum. cap. 3. Quod Regnum Ecclesiae estunum. cap. 4. Quod Regnum Ecclesiae est catholicum. cap. 5.Quod Ecclesiae Regnum est sanctum. cap. 6. Quod EcclesiaeRegnum est Apostolicum. (Eine sehr eingehende dogmatische Dar-stellung der Eigenschaften der Kirche.)

    Tract. II. De potentia Christi regis et sui Vicarii. cap. 1. Depotentia. cap. 2. Quod Christi potentia communicanda fuit homi-nibus. cap. 3. Quibus hominibus communicata est Christi potestas. cap. 4. De differentia sacerdotalis et regalis potentiae in praelatisEcclesiae. cap. 5. De gradibus et inaequalitatibus sacerdotalispotestatis et regiae. Ubi etiam agitur de primaria Summi Pontificissuper omnes Ecclesias. cap. 6. De differentia et convenientia du-plicis potestatis regiae, scilicet spiritualis et saecularis. cap. 7.De quibusdam aliis comparationibus potestatis temporalis et spiri-

  • 32 -

    von der Herrlichkeit des Reiches der Kirche im allgemeinen,der zweite von der Gewalt Christi und seines Stellvertreters.Im zweiten Traktate (cap. 7.) ussert er her das Verhlt-nis von Kirche und Staat ungefhr dieselben Anschauungenwie sein Ordensgenosse Augustin von Ancona.

    Im besonders hohem Masse klingt die Lehre des heiligenThomas von dem Wesen und der Gewalt der heiligen Kirchewieder in den Schriften der Dominikanerschule des 14. Jahr-hunderts. Die Haupttrger der thomistischen Tradition sindJohannes von Neapel, Hervus Natahs und Petrus von Pa-lude. ') Namentlich die beiden ersten Thomisten erklrendie Ideen des Aquinaten mit einer Einfachheit, Klarheit undObjektivitt, wie man sie bei spteren Thomisten nicht allzuoft findet.

    Johannes von Neapel, 2) um das Jahr 1315 Professor

    tualis. cap. H. De quibusdam considerandis notabiliter circa po-testates praedictas. cap. 9. Quod in summa potestate spiritualiest plenitudo potestatis pontificalis et regalis. cap. 9. Objectioneset earum solutiones.

    ') Auch Wilhelm Durandusa S. Porciano 0. Pr. hat einenbeachtenswerten Tractat de jurisdictione ecclesiastica" geschriebenVgl Hurter, Xomenclator IV. l'it. Der Traktat des DominikanersJohannes von Paris IL: de potestate regali et papali" ist nach denIntentionen Philipps des Schnen abgefasst.

    ) Johannes von Neapel (f zwischen 13231S30) 0. Pr., wareiner der vortrefflichsten Verteidiger des heiligen Thomas. In einemVatikanischen Kodex aus dem 14. Jahrhundert ^Cod. Vatic. Lat. 772.fol. 97. sqq.) finden sich ungedruckte Quodlibeta desselben. Auffol. 100 V beginnt er eine scharfsinnige Apolologie des heiUgen Tho-raas: Queritur, utrum licite possit doceri parisiis doctrina fratristome quoad omnes questiones eius." Auch sein Kommentar zu denSentenzen ist ungedruckt geblieben. Seine quaestiones variae (42)Parisiis disputatae, welche fr seine Auffassung vom Primat vonBelang sind, sind 161H durch seinen Ordensgenossen Gravina ver-ffentlicht worden und zwar in Neapel. Sie gehren zu den schn-sten Werken der lteren Thomistenschule. Er kennt auch das ka-nonische Recht. Seine Lehre vom l'rimat sttzt er keineswegs blossauf den liber thesaurorum, den er auch kennt und zitiert. PetrusNiger zhlt in seinem Prolog zum Clypeus thomisticus den Jo-hannes von Neapel mit Hervus, Paludanus und Capreolus zu denberhmtesten Doktoren des Predigerordens. Vgl. auch Haurdau,Histoire de la Philos. scol. [2] III. 343. Hurter, Nomenciator IV. 435.

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    in Paris^ hat in seinem: Quaestiones variae Parisiis dispu-tatae" betiteltem Werke die Auktoritt der Kirche und desPapstes namentlich gegen Occam verteidigt. In der quae-stio 39 genannten Werkes gibt der gelehrte Dominikanereine sehr klare Abhandlung ber den Primat, wobei er dieLehre des frater thoraas" (S. c. G. IV. 76.) dialektisch zer-gliedert. Ueber das Verhltnis von Kirche und Staat findensich bei ihm dieselben Anschauungen, wie bei AugustinusTriumphus.

    Ein hervorragender Thomist, der ein feines Verstndnisfr die Eigenart und Inhaltlichkeit der philosophisch-theolo-gischen Spekulation des Aquinaten bekundet und durchmetaphysische Tiefe, sowie auch durch Klarheit der Beweis-fhrung und Darstellung dem englischen Lehrer congenialist, ist Hervus Natalis (de Nedellec), auch Brito (wegenseiner Herkunft aus der Bretagne) zubenannt, frhzeitigMitglied des Dominikanerordens, dann Professor in Parisund schliesslich Generalmagister des Predigerordens, alswelcher er im August 1323 starb.

    ')

    Hervus Natalis, unter dessen Generalat der Aquinatevon Johann XXII. kanonisiert wurde, hatte im Konventvon Paris, dem er nachweisbar schon im Jahre 1303 zu-gehrte,'*) sich grndlich in den Geist und die Lehre des

    ') lieber Hervus Natalis handeln Quetif-Echard 1. c. I. 533bis 534; Haureau, Histoire de la philos. scolastique. III 327. sqq.;Haur^au, Notices et extraits des man. latins de la ibl. nat. V. 20.;Prantl, Gesch. der Logik III. 264. Hurter, Nomenciator IV. 384.Douais, Essai sur 1' Organisation des etudes dans V ordre des frrespr^chem-s, Paris 1884, pag. 99 sq. Werner, Thomas von Aquin III.104 tf. Reinhold Seeberg ber Hervus Natalis in Hauck's Real-nzyklopdie fr protest. Theologie und Kirche (3. Aufl.) VII. 771.Hervus Natalis ist wohl zu unterscheiden von seinem etwas spterlebenden Ordensgenossen Hervus de Cauda, von dem sich in derBiblioteca Laurenziana in Florenz eine Tabula super omnes librosS. Thomae befindet. Cod. Fes. CIX. fol. 1105. Das Explicit be-ginnt: Explicit tabula super libros Sancti Thome edita a fratreherveo de cauda, magistro in theologia tempore quo erat lector in-ordine predicatorum."

    ') Denifle-Chatelain, Chartul. Univ. Paris IL 107.Qrabmann, Lehre d. h. Thomas v. Aq. .- 3

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    heiligen Thomas hineinvertieft. Er war auch Zeuge dervielen Widersprche und Befehdungen, denen das thomi-stische System an der Wende des Jahrhunderts begegnete.Er sthlte sich in diesem Geisterkampfe zum mchtigenApologeten des Doktor Angelikus. Sein Hauptwerk, derverhltnismssig kurze Sentenzenkommentar (lectura supersententias) ist ein wirklich goldener Schlssel zum Verstnd-nis der littera et mens Aquinatis. ^) Er verliert sich nicht,wie viele seiner Zeitgenossen, in kleinlichen Fragen undZweifeln, sondern zeigt vielmehr seine Geistesschrfe ineiner metaphysischen und organischen Behandlung und all-seitigen Beleuchtung der Hauptpunkte der thomistischenDoktrin. Fr den Nachweis, welches in schwierigen Streit-fragen eigentlich das vom Aquinaten beabsichtigte Urteilsei, ist die objektive und wohlbegrndete Entscheidung desHervus Natalis von hohem Werte. Fr die Lehre von derKirche, die in diesem Sentenzenkommentar nicht eigens be-handelt ist, wirft die tiefgehende Errterung der Hauptfragender Christologie und der Sakramentenlehre reichlich Licht.

    Die philosophischen Schriften des Hervus Natalis ver-teidigen die Philosophie des Aquinaten mit Sicherheit undMssigung gegen Heinrich von Gent, Skotus, Durandus^Aureolus und Gottfried von Fontaines. ^) Nur ein Teil seiner

    ') Dieser Sentenzenkommeutar ist gedruckt Venetiis 1505 undParisiis 16 i7. Vgl. auch Feret, La faculte de theologie de Paris,Paris 1894. III. 386-390.

    .') Der Cod. Vatic. Lat. 859, fol. 1117 enthlt die QuodHbeta(es sind jedoch eigentUch Quaestiones disputatae) gegen Heinrichvon Gent (de ente et essentia, de formis). Diese Abhandlungen desHervus NataUs gegen den doctor solemnis sind wohl seine bedeu-tendste philosophische Leistung, sind jedoch ungedruckt und wohl zuunterscheiden von seinen andern QuodHbeta (Cod. Vat. Lat. 860 u.861.), welche grossenteils spter gedruckt wurden Venetiis 14-J undm einer durch 8 Traktate vermehrten grsseren Ausgabe ibid. 1513.Auch die vatikanischen Codices 772 und 817 (Hervei Natalis defensadoctrina D. Thome in duas partes divisa) enthalten einige Schriftendes Hervus Natalis. In der Nationalbibliothek zu Florenz (Cod.S. Maria Novella 532. E. 5.) befindet sich: Gotofredi quodlibeta abbre-viata per magistrum Herveum, fol. 1 102. Hieran schliesst sichfol. 102106 eine tabula ber das ganze Werk und von fol. 106108

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    gehaltvollen philosophischen Abhandlungen ist gedrucktworden, whrend seine hchst bedeutsamen Arbeiten gegenHeinrich von Gent lediglich Manuskript geblieben sind. Fruns kommt zunchst sein

    ,wie aus der grossen Zahl

    von Handschriften erhellt, im Mittelalter sehr geschtzterTraktat de potestate papae" (von einigen Codices auch depotestate ecclesiasticae jurisdictionis genannt) in Betracht,welcher spter auch im Druck erschienen ist^) und auch inden Verhandlungen des Yatikanums wegen seiner klarenFassung der ppstlichen Unfehlbarkeit zitiert wurde. 2) Wieaus einer Florentiner Handschrift hervorgeht ist diese Schriftdes Hervus gegen Johannes de Polliaco gerichtet: Incipittrctatus fratris hervei natalis, magistri in theologia ordinispraedicatorum de potestate ecclesiastice jurisdictionis contramagistrum Joannem de puliacho." Hervus Natalis verbreitetsich mit der ihm eigenen logischen Strenge: de potestatepape, de potestate prelatorum inferiorum, de comparationeunius potestatis ad aliam, wobei er in strittigen Fragen alleGrnde pro et contra ausfhrlich prft und die von ihmselbst fixierte conclusio durch eine klare, auf die HeihgeSchrift, die Vter und Vernunftgrnde (persuasiones logi-cales", wie er sich ausdrckt) sich sttzende, stellenweisein syllogistischer Form fortschreitende Beweisfhrung be-grndet. Erst nachdem er so die Wahrheit allseitig errtertund beleuchtet hat, geht er an die Kritik der errores quo-rumdam modernorum". Der ganze Gedankengang dieserSchrift des grossen Thomisten ist von philosophischem, me-taphysischem Geiste getragen, worauf auch die hufigen

    eine tabula super eodem quodlibet in quibus locis idem eontradicitaliis doctoribus vel nova dicif, wo namentlich das betont ist, wascontra thomam" ist.

    *) Handschriften dieses Traktates (Incipit: Apostolus ad Roma-nos X. loquens") finden sich u; a. in der MarkusbibHothek in Venedig(Cod. Lat. CXCIII Bess.), in der Florentiner Nationalbibliothek (Cod.I. X. 51. S. Marco). Ferner Cod. Vatic. Lat. 4109. 4131. (enthlt vonHervus Natalis einen Traktat de potestate pape, desgleichen dejurisdictione, de exemptione), 4132 usw. Cod. Palat. lat. 679. Ge-druckt wurde dieser Traktat, Paris 1500, 1506 und 1647.

    ^) Collectio Lacensis VII. 1708.3*

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    Aristoteleszitate hindeuten. Eine ideale Auffassung vomZwecke der Kirche sichert dem dogmatischen Moment dieerste Stelle in der Beurteilung der kirchlichen Gewalt.Finis totius jurisdictionis ecclesiastice (que post Christumprincipaliter residet ad papam) est ordinre communitatemchristianam ad impendendum deo cultum debitum et sibiacceptum et per consequens vite eterne meritorium.*^ SeineKonvenienzgrnde fr den Primat sind vom Zweckgedankeninspiriert und erinnern an des heiligen Thomas S. c. G. IV.76. Die Entwicklung des dogmatischen Gehalts von Matth.16, 18 mit Zuhilfenahme der Vterlehre ist ein beachtens-wertes Beispiel eine