sannino - der unus-omnia begriff im hermetismus

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  • ANTONELLA SANNINO

    DER UNUS-OMNIA BEGRIFFIM HERMETISMUS DES MITTELALTERS

    AbstractThis paper analyses a peculiar tenet of Late Antiquity and Medieval Hermetism,namely, the Unus-omnia and its theological and cosmological meaning. The au-thors analysis of relevant passages of Asclepius and Poimander will show thatGod comes to be the cause of creation, the Gubernator mundi, the Father. SomeGlosae super Trismegistums passages will show how the Unus-omnia concept wastransferred to Christian theology and viewed from the perspective of pure ex-emplarism and creationism. Finally, the author will point out references to thecosmological meaning of the Unus-omnia in three Latin versions of the Emer-ald Tablet.

    KeywordsLate Antiquity and Medieval Hermetism Unus-omnia Theology and Cos-mology Glosae super Trismegistum Tabula Smaragdina

    1. Einleitung1: Der Unus-omnia Begriff im Asclepius und im Poimander

    Der Ausdruck des Gttlichen im Poimander und im Asclepius fin-det seine hchste Vollendung in dem Begriff des Unus-omnia. Das Eine-Alles ist der Grundgedanke, nach dem alle Dinge im Wesen miteinanderverbunden sind und eine Einheit bilden, dabei ist das Eine alle Dinge.

    Die Formel Unus-omnia ist stoischen Ursprungs und fhrt auf dieVorsokratiker wie Heraklit und Parmenides zurck, doch steht sie eben-

    1 Berliner Redebeitrag im Rahmen der Internationalen Konferenz Totum unum etex uno omnia. Denkformen des Hermetismus in der frhen Neuzeit (20.-22. Februar2012), Freie Universitt Berlin, Institut fr Philosophie und Geisteswissenschaften. Frwertvolle Untersttzung mchte ich an dieser Stelle Martina Lux danken.

    Studi FilosoficiXXXV - 2012Bibliopolis

    Studi Filosofici 35 (2012)

  • so im Zentrum der berlegungen des Posidonius, Schler von Pantius(seinerseits Begrnder der mittleren Stoa). Unter Bercksichtigung pla-tonischer Einflsse entwickelte Posidonius eine weitreichende Syntheseder stoischen Tradition. Im Asclepius ist das Thema des Einer-Alles in ei-ne platonische Perspektive eingebunden und bedeutet, dass alle Dingesich in einem superkosmischen Gott, Schpfer, Vater und Herr allerDinge wiederfinden.

    Demgem behauptet Hermes im Asclepius 2: Omnia unum esse etunum esse omnia2, um erneut zu bekrftigen, was er zuvor im Asclepius1 mit omnia unius esse aut unum esse omnia; ita enim sibi est utrumqueconexum, ut separari alterum ab utro non possit3 formuliert hatte. Die en-ge Korrelation von Einheit und Totalitt nimmt Bezug auf die Wech-selbeziehung von Ursache und Wirkung sowie von Gott und Welt. Wasbedeutet, dass nichts neben Gott besteht, nichts unabhngig von ihmexi stieren kann und gleichsam nichts ihm eigenwillig ein Anderes seinkann. Nicht nur, dass alles in Gott ist, sondern es gibt auch keinen Gottneben Gott. Gott ist einer, perfekt, vollkommen, erhaben, unendlich.Nicht zufllig heit es in Asclepius 29, dass Gott sich selbst beinhaltet,aus sich selbst herrhrt, gnzlich in sich selbst eingeschlossen, voll undperfekt ist, denn in ihm ist alles und er ist alles. Der eine Gott kannfolglich nicht als zhlbare Entitt Einer unter Vielen verstandenwerden und genauso wenig als der Eine im Gegensatz zu den Vielen er wrde unmittelbar zu einem Teil. Er ist vielmehr als complicatio, alsunbegrenzter Raum von Beziehungen oder, wie Nikolaus von Kues ei-nige Jahrhunderte spter sagen sollte, als coincidentia oppositorum zuverstehen.

    Hierin liegt die Bewandtnis des EinerAlles im Asclepius. Ein ano-nymer Gott, denn in Asclepius 20 lesen wir, dass Gott Eins ist; aber dasEine braucht keinen Namen, es bleibt ohne oder vielmehr mit allen Na-men. Um das Eine und Alles zu sein ist es demnach notwendig alle Din-ge mit seinem Namen zu benennen. Dieser Auffassung zufolge verkr-pert Gott eine Art Idealitt, die Verbindung von allem mit allem. Nicht

    10 ANTONELLA SANNINO

    2 Asclepius 2, A.D. NOCK A. J. FESTUGIRE (ed.), Corpus Hermeticum, Paris, Les Bel-les Lettres 1960, II, pp. 296-355, jetzt in Corpus Hermeticum, italienische bersetzung,herausgegeben von V. Schiavone, Milano, Mondadori 2010, p. 392. Von nun an werdenwir uns auf diese Ausgabe beziehen, es folgen jeweils Kapitelangabe und Seitenzahl.

    3 Asclepius 1, p. 290.

  • von ungefhr hat die neueste Historiographie ich denke hierbei an dieMonographie von Ilaria Parri, folgendermaen przisiert:

    Lomnia infatti non linsieme delle singole cose nello spazio e neltempo, ma il loro modello eterno che in Dio. Lidentit dellunocon il tutto in realt lidentit di Dio con le idee da cui procede ilmondo4.

    Somit ist Gott unter eidetischem Aspekt betrachtet im Asclepius dasEine-Alles.

    Erinnern wir uns beispielsweise an Asclepius 34: Allein Gott ist derVater von allem; Gott ist alle Dinge, alle kommen von ihm und alle hngenvon seinem Willen ab 5. Alles kommt von ihm, alles ist in ihm, alles istdurch ihn. Die Einheit zwischen Gott und Welt wie sie im spten unddann im christlichen Platonismus zu finden ist fhrt zurck auf dieUnvergnglichkeit des gttlichen Gedankens, dessen Idealformen in dieWelt flieen: Alles ist Einer und Einer ist Alles, denn alle Dinge waren ur-sprnglich im Schpfer zu finden bevor er sie schuf 6.

    Schpfungsidee und Formenlehre garantieren daher gttlicheTranszendenz und verhindern eine pantheistisch-historische Auslegungder Begrifflichkeit Einer-Alles. Hier ist nicht der Ort zu zeigen auchweil bereits von Mah und Parri durchgefhrt wie im Asclepius dieThese der gttlichen Transzendenz keineswegs nur dieser Formel ber-antwortet, sondern weitergehend spekulativ untersucht wird. Sicher ist,dass die Theologie des Asclepius, ausgehend von Kausalitt und Schp-fung einerseits und Transzendenz andererseits, im Mittelalter eine leb-hafte Auseinandersetzung hervorrief, die vielleicht gerade in den Glosaezu einer interessanten Beweisfhung gelangt.

    An dieser Stelle seien kurz einige Bemerkungen zum Poimandereingefgt, die zeigen sollen, dass der Begriff Einer-Alles als topos im phi-

    DER UNUS-OMNIA BEGRIFF IM HERMETISMUS DES MITTELALTERS 11

    4 I. PARRI, La via filosofica di Ermete. Studio sullAsclepius, Firenze, Polistampa 2005(Hermetica Mediaevalia, 2), p. 197.

    5 Asclepius 34, pp. 362-364: Omnia enim deus et ab eo omnia et eius omnia vo-luntatis: quod totum est bonum, decens et prudens, inimitabile et ipsi soli sensibile at-que intellegibile et sine hoc nec fuit aliquid nec est nec erit. Omnia enim ab eo et in ip-so et per ipsum, et variae et multiformes qualitates et magnae quantitates et omnes men-suras excedentes magnitudines et omniformes species.

    6 Asclepius 2, p. 292.

  • losophischen Hermetismus zu verstehen ist. Im Asclepius umfasst dieGttlichkeit, wie bereits gesagt, die noch nicht zum Sein erstandeneWelt, whrend im Poimandres das Gttliche die archetypische Form be-wahrt, aus der das Wirkliche entstammt.

    Die bertragung der Definition des Unus-omnia auf offenkundigmonistische Doktrinen entspricht histographischer Auffassung; dennochschliet der Poimander, obwohl er sich in einen spekulativ dualistischenHorizont einfgen lsst, die These Gott ist gleich Einer-Alles nicht aus.Dieses Postulat entspricht im brigen der grundlegenden Definition derGottheit, ohne Widersprchlichkeiten hervorzurufen. Die dualistischeund antithetische Auffassung im Poimander, wonach die Vernderungder Gottheit (erkennbar am Licht) die Negativitt der Welt besttigt (er-kennbar am Schatten), findet in der Tat keine konkrete Prdikation inder Kosmogonie7. Im Poimander wird das Licht nmlich als archetypi-sche Form, als Voranfnglichkeit des unendlichen Anfangs beschrieben[ , ] und de-finiert die eidetische Ausbreitung des gttlichen Wesens, das, ebenso wiedas Licht, die ursprngliche Form des Wirklichen betrachtet. Das Sensi-ble, also der Kosmos, auch wenn ideell im plenum unius omnia erwhnt,ist eine Dimension, in der das Gttliche nicht ansssig ist8.

    2. Der Unus-omnia Begriff in den Glosae

    Auch in den Glosae super Trismegistum, hnlich wie im Asclepius,durchzieht das Thema Einer-Alles in seinen unterschiedlichen Aus-drucksformen den gesamten Text. Der Begriff Unus-omnia wird in denGlosae auf die christliche Theologie bertragen und aus dem Blickwinkeleines reinen Exemplarismus und Kreatianismus betrachtet.

    Nicht zufllig stt man auf die erste nennenswerte Erwhnung desUnusomnia im Kommentar zu Asclepius 1, wo es um die einzigartigeoder vielfltige Natur der Tugend geht. Es handelt sich um eine Formu-lierung, die an die ersten Seiten des Philebus von Platon9 erinnert, in de-nen das Problem der Tugend eingeleitet und auf die Frage des Einen undder Vielen zurckgefhrt wird.

    12 ANTONELLA SANNINO

    7 Poimandres 4-8, Corpus Hermeticum cit., pp. 57-65.8 Ivi 8, p. 64.9 PLATO, Philebus 14c-15c.

  • Hermes fordert seine Schler auf, bei der Lehre der anstehendenInhalte achtsam zu sein, wobei er davon berzeugt ist, dass diese bei rich-tiger Deutung zum Erwerb aller Tugenden fhren werden. Zweifellos be-zieht er sich hier auf die geistigen Tugenden, die zur Erlangung gttlicherErkenntnis fhren. Der Kommentar erlutert das Prinzip des Einer-Allesim Sinne einer umfassenden Verknpfung aller und einer unmglichenDifferenzierung einzelner Tugenden, die eine geschlossene Einheit bil-den. Ein Gedanke, der in anderer und abweichender Form bereits in denGlosae 8 auftaucht10.

    Der Versuch einer Textanalyse verdeutlicht, dass die hchste undwichtigste Tugend, nmlich Gott, und die angrenzenden Tugenden, alsodie himmlischen ebenso wie die vergnglichen, allesamt in einer einzigenUniversalitt zusammenlaufen11. Die geschaffenen Dinge, so erklrt deranonyme Autor, knnen insofern als Tugenden bezeichnet werden.Entstanden aus allerhchster Tugend, werden sie dank ihrem Wesen, se-cundum efficiendi rationem zu eben solchen.

    Die Universalitt der Tugenden lsst sich nicht nur ber ihr Wesendefinieren, das die Kategorien des Seins und der Tugendhaftigkeit um-schliet, sondern auch ber die Mglichkeit, sie in ihrer Totalitt in dieKategorie der Effekte eines Einzelneneinzuordnen. Das bedeutet, dasssich eine Kategorie ausmachen lsst, die fr alle Vertreter der sogenann-ten Schpfungsvernunft gilt, nach der quamvis enim plura sint bona, ta-men ab uno summo habent quod bona sunt. Dies besagt, dass nun nicht

    DER UNUS-OMNIA BEGRIFF IM HERMETISMUS DES MITTELALTERS 13

    10 Glosae Super Trismegistum 8, P. LUCENTINI (ed.), Glosae super Trismegistum. Uncommento medievale allAsclepius ermetico, Archives dHistoire Doctrinale et Littrairedu Moyen ge, 1995, LXII, pp. 189-293, jetzt in P. LUCENTINI, Platonismo, ermetismo,eresia nel Medioevo, Louvain-La-Neuve, FIDEM 2007 (Textes et tudes du Moyen ge,41), pp. 107-222; p. 137/89-92: Per hoc enim innuit in hoc opere intelligentiam con-stitui et de supremo bono, id est deo qui essentialiter bonus est, et de consequentibus bo-nis, scilicet creaturis que per creationem a summo bono descendentes ab ipso habent etquod sunt et quod bone sunt.

    11 Ivi 13, p. 146/22-31: Per hoc ergo quod ait OMNIUM BONORUM, hac uni-versitate vaga comprehendantur summum et essentiale bonum, id est deus, et adiacentiabona, id est creature tam celestes quam caduce, que in quantum sunt bona sunt, non so-lum bonitate sua verum etiam unius summi et boni principii, dei videlicet, a quo habentesse. Potest tamen hac universitate colligi non pluralitas bonitatum sed diversitas unius ef-fectuum, ut unum et supremum bonum plura vel omnia dicantur bona, non per pro-prietatem sed secundum efficiendi rationem: quamvis enim plura sint bona, tamen ab unosummo habent quod bona sunt.

  • lnger die Frage nach dem Ursprung der Gutherzigkeit, sondern jenenach dem Ursprung der Tugendhaftigkeit gestellt wird.

    Der Analyse des Satzes aus Asclepius 1 si tamen multa sunt bona etnon unum, in quo sunt omnia12 folgen berlegungen zum Verhltnis zwi-schen hchster Tugend und den vielseitigen Dingen, die zwei mglicheInterpretationen zulassen.

    Die erste behauptet, dass Gott einzigartig und Ursprung aller Din-ge ist (es sei daran erinnert, dass er an anderer Stelle des Kommentars alscreator und gubernator bezeichnet wurde). Durch ewige preconceptio(Vor-Anschauung) existieren die Tugenden in ihm seit der Ewigkeit, erverleiht ihnen die Berechtigung zur grundstzlichen Tugendhaftigkeit.Aber was versteht er unter preconceptio? Das gttliche Wissen. Hier be-gegnen wir einer Przisierung der theologischen Bedeutung des Unus-omnia, die bereits andernorts als ewige Vor-Anschauung der Vielfltig-keit bezeichnet wurde. Gemeint ist, dass die Vielen vor der Erschaffungin der Materie auf ewig in Gott vereint waren.

    Die zweite Deutung verhlt sich gegenstzlich. Sie geht von derVielfltigkeit der weltlichen Tugenden aus, die sich ursprnglich vonein-ander unterscheiden und sodann zu einer Einheit verschmelzen. Diesewiederum schafft die sensible Welt, definiert als wesentliche Tugend, derdie vielfltigen Tugenden entstammen und zu der sie hinstreben.

    Der erste Interpretationsansatz definiert nach Glosae 15 den Einenals alle Dinge, dementsprechend als Ursprung dieser und bezeichnet dieVielfltigkeit der Dinge eine Einheit. Denn alle Vielfltigkeit entstam-me einem einzigen und selben Prinzip, in dem sie zusammenlaufe13.

    Der zweite Ansatz geht davon aus, dass die Welt alle Dinge ist, dasie aus ihnen besteht. Erst in der Einmaligkeit jedes geschaffenen Wesensunterscheidet sie sich. Gleichzeitig unterstreicht er die Einheit der viel-fltigen Dinge, die die Einheit der Welt, der sie angehren, schaffe undbewirke.

    Demnach konvergiert die Einheit der vielfltigen und geschaffenenDinge mit der mundus-Auffassung und lsst eine Untersuchung der Be-ziehung zwischen den Teilen und dem Ganzen notwendig werden.

    An diesem Punkt sehen wir, wie bereits in Asclepius 3, die FormelUnus-omnia auf eine kosmologische Ebene transponiert, doch dazu sp-ter mehr. Bleiben wir vorerst bei den Glosae, die, um mit Boethius zu

    14 ANTONELLA SANNINO

    12 Ivi 14, pp. 146/33-147/58. 13 Ivi 15, p. 148/59-79.

  • sprechen, die Spannung der geschaffenen Dinge im Sinne des Seins dar-stellen, das wiederum durch Gott bestimmt ist. Hier wird das Bild einercatena bemht (ohne sich dabei ausdrcklich auf die Erscheinung der ca-tena aurea zu beziehen), von der es heit, dass:

    quedam inveniantur operantia et quasi imperantia, ut stelle et duosuperiora elementa, quedam vero obedientia et obtemperantia, utduo inferiora elementa14.

    In einer Art Resmee der zuvor beleuchteten Positionen wird be-hauptet, dass

    Igitur propter unam originem, propter eundem finem, propter pro-portionis habitudinem, omnia unum esse dicimus15

    und es heit, dass der Eine alle Dinge ist. Die zwei Aspekte sind unmit-telbar miteinander verbunden durch den Satz Et convenienter creatorpropter predictas rationes dictus est omnia16.

    Kommen wir nun zur catena aurea, die im 12. Jahrhundert ebensoin den Werken von Gullielmus von Conches auftaucht und die in denGlosae den Gedanken des Unus-omnia in kosmologischem Sinn versteht.

    Die Symbolhaftigkeit der Kette ist dicht und prgnant, steht siedoch fr die Beziehungen und Verbindungen, die zwischen Himmel undErde verlaufen. Von Homer und Platon eingesetzt, wird das Bild der Ket-te auch von Pseudo-Dionisius verwendet, der sie als unendlich hell undim Universum allgegenwrtig beschreibt. Die catena aurea erlangt durchdie Skizzierung des Unus-omnia emblematischen Charakter, da sie frdie Verbindung aller Wesen untereinander steht; in der Tat heit es,durch sie (per quam) designatur ordinata conexio create universitatis17.

    Das Bild einer Verkettung der Wesen findet sich weitere zwei Malein den Glosae 72 und 92.

    In den Glosae 72 erscheint die Kette als ordinata rerum contexio18

    und versteht sich als eine Art Hierarchie, an dessen Gipfel Gott steht,

    DER UNUS-OMNIA BEGRIFF IM HERMETISMUS DES MITTELALTERS 15

    14 Ivi 36, p. 163/58-61.15 Ibid. p. 163/61-63.16 Ibid. p. 163/76-77.17 Ivi 8, p. 138/97-98.18 Ivi 72, p. 204/102-110: Et nota quod in predicta clausula aurea cathena Ho-

    meri innuitur id est ordinata rerum contexio. Hic enim innuitur deus tanquam caput et

  • Anfang aller Dinge, creator der Gesamtheit, die aus ihm das eigene Seinund das eigene Wesen gewinnt, und gubernator. Es folgen die weltlicheSeele, dann die himmlischen Dinge (geschaffen in gttlicher Vorherse-hung und unter Mitwirkung des zweiten Elements) und schlielich dieirdischen Dinge einschlielich der Natur, die den zuvor erwhnten We-sen erliegen und ihnen willfhrig sind.

    In den Glosae 92 versinnbildlicht das Bild der Kette das Verhltnisvon Ursache und Wirkung in Bezug auf Gott und die geschaffenen Din-gen: Gott wird allen voran als causa imperante19 definiert, die hherenDinge als causae administratorie und die niederen als causae obtemperan-tes et materiales.

    An dieser Stelle dient der Gebrauch des Kettenbildes auch demZweck, die bestehende Verbindung zwischen Arten und Gattungen auf-zuzeigen. Auch sie sind Gegenstand einer Hierarchisierung, denn aufGott folgen zuerst die hheren Arten und Gattungen, dann die niederen.

    Das System der Kausalitt kann als weitere Kategorie betrachtetwerden, in der sich die allgemeinen Elemente und die Korrelation derDinge auszeichnen, denn diese unterliegen laufenden Hierarchisierun-gen. Daraus folgt, dass auch die darstellerische Modalitt, in der die Din-ge klassifiziert werden, in gewissem Sinne das Prinzip des Einer-Allesausdrckt. Die Vielfltigkeit der Elemente wird auf ein alleiniges Prinzipzurckgefhrt, das sie vereint und ihre Ordnung ermglicht. Schlielichsei Ilaria Parri zitiert, die in Bezug auf den Asclepius formuliert, dass

    sebbene ogni individuo segua i caratteri e le qualit del genere al qua-le appartiene, non vi separazione tra i generi, ma la possibilit diuna comunicazione, di un legame20.

    16 ANTONELLA SANNINO

    principium singulorum, a quo tam celestia quam terrestria essentiam sortiuntur. Innui-tur etiam mundana anima, que ab ipso secundum phisicam assertionem descendit. Ex-primuntur etiam celestia que quasi tertium locum obtinent, que a predictis duobus de-scendunt: operatione enim dei et mundane anime cooperatione omnia sunt. Innuunturetiam terrestria eorumque natura, que predictis sunt obedientia.

    19 Ivi 92, pp. 219/11- 220/19: Postquam auctor quasi in quadam cathena aureacausam imperantem deum, causas administratorie operantes superiora, causamque ob-temperantem et materialem, inferiora scilicet, ordinavit, habitudinemque inter generasuperiorum eorumque species ostendit, similiter et inferiorum generum et specierum ha-bitudines demonstravit, consequenter deum generaque superiorum et inferiorum eorun-demque species quasi localiter ordinat, in celo quasi in excellentiori loco ponens deum,in medio genera specierum, in infimo species generum.

    20 I. PARRI, La via filosofica di Ermete, cit., p. 41.

  • Ferner wird die Frage gestellt, ob es mglich ist Gott zu erkennenund ihn aus der Kenntnis der Vielen zu lsen. Die vorgeschlagene L-sung ist gleichsam bejahend wie verneinend. Der Gedankengang ist fol-gender: von dem Moment an, wo die geschaffenen Dinge Teil des Gan-zen sind und wo aus der Kenntnis der Teile eine Kenntnis der von ihnenbegrndeten Einheit erwchst, msste es dementsprechend mglich seineine gewisse Erkenntnis des Gott und Schpfers zu erlangen. Ausgehendvon den einzelnen Wesen, die wiederum aus seinen Teilen oder Mem-branen identifiziert werden.

    Doch in welchem Sinne ist es mglich, die geschaffenen Dinge alsTeil Gottes zu betrachten? Sie knnen als solche verstanden werden, dasie begrndete Einzelteile der sie allesamt in ihrem Inneren umschlie-enden gttlichen Erkenntnis sind oder auch weil sie besondere Bezei-gungen seines universellen Wissens sind.

    Diese Behauptungen gestatten jedoch keineswegs das Infragestel-len der absoluten Einfachheit Gottes, die mehrfach in den Glosae un-terstrichen wird und zu seinen wichtigsten Eigenschaften zhlt: Gottbesteht nicht wirklich aus Teilen. In ihm bewahrheitet sich die Einheitder Teile, die als solche nicht lnger erkennbar sind. Sie weisen keineUnterschiede auf, sondern sind vllig absorbiert und in ihm einge-schlossen.

    Aber so wie im Asclepius ist der Gott Einer-Alles auch in den Glo-sae eben erkennbar (mit allen Namen), eben unerkennbar (ohne Na-men). An diesem Punkt ist es naheliegend an die Position von Theodo-ricus von Chartres, den vielleicht subtilsten Denker des 12. Jahrhun-derts, zu erinnern. berzeugend erfasst er die tiefe dialektische Bezie-hung zwischen der hermetischen Idee des erhabenen Gottes und derLehre des Unus-omnia, zwischen der einsamen Transzendenz Gottes undseiner ordnenden Gegenwrtigkeit im Geschaffenen21.

    DER UNUS-OMNIA BEGRIFF IM HERMETISMUS DES MITTELALTERS 17

    21 THEODORICUS CARNOTENSIS, Lectiones in Boethii librum De trinitate 4, 11, ed. N.M. HRING, Commentaries on Boethius by Thierry of Chartres and His School, Toronto,Pontifical Institute of Medieval Studies 1971, pp. 257-300 (pp. 189-190); Ivi 4, 28, p.195; Commentum super Boethii librum De trinitate 4, 8, ed. N.M. Hring, Commentarieson Boethius, cit. pp. 231-256 (p. 97).

  • 3. Der Unus-omnia Begriff in der Tabula Smaragdina

    Im Asclepius erscheint die Formel Unus-omnia im Bedarfsfall auchauf die kosmologische Ebene erhoben: die Welt hat eine vollendeteStruktur, ein geordnetes Bild, das ihr Einheit verleiht; was aus der Welteinen Kosmos, eine Einheit macht, ist die Abhngigkeit von einem al-leingltigen Prinzip (ex uno). Das Verhltnis zwischen Gott und zweiweiteren metaphysischen Prinzipien, nmlich der Seele und der Materie,ist ein Verhltnis der Unterordnung. Gott ist ihr Herr und Schpfer desUniversums; er regiert den Himmel, die Seele und alles, was auf der Weltist. Diese Anschauung aus dem Asclepius wird in den Glosae, wie bereitsaufgezeigt, durch einen ausfhrlichen Kommentar ergnzt (die catenaaurea). Spterhin wird sie in besonderer Weise die hermetischen Kosmo-logien kennzeichnen, die die theoretische Grundlage fr das astrologi-sche, magische und alchemische Wissen bilden.

    In drei lateinischen Versionen der Tabula Smaragdina, die bekann-termaen Teil der hermetischen Kosmologie De secretis naturae ist, findetsich ein Bezug auf die kosmologische Bedeutung des Unus-omnia: sie er-gibt sich aus der Verkettung von Himmel und Erde. So treffen wir bei-spielsweise in der vulgren Version auf die Behauptung:

    Superiora de inferioribus, inferiora de superioribus, prodigium ope-ratio ex uno, quemadmodum omnia ex uno eodemque ducunt ori-ginem, una eademque consilii administratione22.

    Von besonderem Interesse fr die mittelalterliche Rezeption scheintmir die Version von Philippus von Tripoli, spter verbessert durch RogerBacon, in der das Verhltnis zwischen inferiora et superiora hingegen aus-drcklich auf die theologische Bedeutung des Gottes Unus-omnia ver-weist.

    Diese theologisierende Lesart erkennt Gott als einzigen Wunder-tter an (Wunder sind kennzeichnend fr die christliche Tradition) aberauch als Urheber der mirabilia, also der auergewhnlichen Phnomene,wie beispielsweise alchemistische Transformationen. Eben diese Lesart

    18 ANTONELLA SANNINO

    22Tabula Smaragdina, versio A, ed. J. M. MANDOSIO, La Tabula Smaragdina e i suoicommentari medievali, in P. LUCENTINI - I. PARRI - V. PERRONE COMPAGNI (eds.), Hermetismfrom Late Antiquity to Humanism. La tradizione ermetica dal mondo tardo-antico allUmane-simo, Atti del Convegno internazionale di studi (Napoli, 20-24 novembre 2001), Turnhout,Brepols 2003 (Instrumenta Patristica et Mediaevalia, 40), pp. 681-696 (p. 691).

  • findet erfolgreich Anwendung bei Thomas Bradwardine, dem englichenMathematiker, Philosophen und Theologen aus dem 14. Jahrhundert.

    Es ist verbreitete Meinung bei Kirchenvtern und Philosophen,dass die Wahrheiten, die man zuweilen im Traum oder durch Vorahnender Zukunft erkennt, dem Menschen von Gott offenbart werden23.Demgem wurden auch die Wunder, excedentia vires naturae, von denheidnischen Autoren als auerordentliche Ereignisse anerkannt.

    Wunder bezeugen die Gre Gottes und sind fr das rationelleDenkvermgen des Menschen schwer zu begreifen24. Denjenigen, diedie Wunder in Zweifel ziehen, hlt Bradwardine die Meinung von Phi-losophen entgegen. Er nennt beispielsweise Aristoteles, Plinius, Autordes Secretum Secretorum und Hermes, der in der Tabula Smaragdina aufGott als einzigen Urheber der Wunder verweist25. Anscheinend achtetBradwardine in der Tabula nicht auf die enigmatische Entwicklung vonder Metaphysik ber die Ontologie bis zur Alchemie.

    4. Der Unus-omnia Begriff in der Philosophie des 13. und 14. Jahrhun-derts

    Im Folgenden mchte ich kurz auf die gelungene Rezeption desUnus-omnia seitens einiger einflussreicher Vertreter des Hermetismus

    DER UNUS-OMNIA BEGRIFF IM HERMETISMUS DES MITTELALTERS 19

    23De causa Dei I, 1, cor. 32, ed. H. SAVILE, Londini 1668, 32B: Amplius autemomnes vera somnia concedentes, vera iudicia futurorum, praeteritorum et praesentiumhabent, et consequenter Prophetarum et Prophetiarum concedere veritatem: veritatemautem Somniorum concedunt omnes Philosophi et vulgares.

    24Ivi, 39B: Amplius autem, si Historiis Christianorum de miraculis apud ipsosfactis non credis, crede Historiis Philosophorum, Poetarum, Chronographorum, Genti-lium, et illorum qui nunquam receperunt fidem Christi, et ipsis etiam Christianis de mi-raculis factis apud exteras nationes.

    25 Ibid.: Et supra eodem [scil. Secretum Secretorum] part. 3. cap. I; allegat Her-mogenem haec verba. Pater noster Hermogenes, qui triplex in Philosophia optime Phi-losophando dixit; veritas ita se habet, et non est dubium, quin inferiora superioribus, etsuperiora inferioribus respondent: operator miracolorum unus et solus Deus est, a quodescendit omnis operatio mirabilis; Ivi, 42C: Quare et Pater Philosophorum Hermo-genes dicit, quod operator miracolorum unus et solus est Deus, cuius Aristoteles SecretoSecretorum suorum consentit, sicut erat superius recitatum; Ivi, 46B: Nonne Hermo-genes, sive Hermes Pater vester, et vos ipsi Aristoteles et Avicenna istud superius affirma-tis, deum videlicet esse miracolorum factorem?.

  • eingehen, denn abgesehen von einem Fall scheint mir, dass eben sie unsdie beiden Hauptdeutungen in der theologischen Interpretation desUnus-omnia liefern: die des Exemplaristen und des Kreatianisten.

    Der Autor beispielsweise, der sich im Mittelalter am ausfhrlich-sten auf den Asclepius bezieht, nmlich der englische FranziskanermnchThomas von York in seinem Sapientiale (1250-56) 26 zeigt eine Haltungtiefen Respekts fr das heidnische Wissen des Hermes, auch wenn diesesmanchmal in gegenlufige Thesen mndet oder zu Problemen fhrt, dievom Autor nicht gelst werden. So auch, wenn er sich fragt, wie eine Be-ziehung zwischen der Einfachheit der Natur Gottes und der Vielfltig-keit des Ganzen mglich sei. Er kommt zu dem Schluss, dass die Viel-fltigkeit sich nicht auf Gott beziehe, sondern auf seine Wirkung odervielmehr auf die Welt. Demnach findet sich bei Thomas von York eineder mageblichsten Aussagen des Unus-omnia wieder: die Einheit ver-krpert Gott, die Vielfltigkeit die Schpfung.

    Bei Berthold von Moosburg, Domenikanermnch aus dem 14.Jahrhundert, stoen wir auf eine neuartige und detaillierte Interpretationdes Lehrsatzes Unus-omnia. Anders als Albertus Magnus, der den Ascle-pius ebenfalls positiv bewertet, erkennt er den Unus-omnia in all seinenunterschiedlichen Facetten an. Dabei zeigt er sich in der Lage, ihn auf dieLehre von Platon im Filebus sowie auf jene des Proclus zu bertragen,wobei er das Problem der Tugend auf die Frage nach dem Einen und Vie-len zurckfhrt. In diesem Sinne ist Hermes nicht nur der Philosoph desExemplarismus und des Kreatianismus, sondern auch eingebunden in ei-ne Geschichte der platonisierenden Philosophie.

    Der von Berthold eingeschlagene Weg ist anders als der von Tho-mas von York (auf den er sich bisweilen, aber keineswegs immer bezieht)und auch anders als der von Albertus Magnus. Letzterer erkennt zwarHermes die Begrndung des metaphysischen Idealismus zu, jenes Ur-sprungs einer spekulativen Tradition, die von Sokrates und Platon biszum christlichen Neoplatonismus des Pseudo-Dionigi reicht, doch be-hauptet er gleichsam, dass die frhen Philosophen Trismegistus et Apolloet Hermes Aegyptius et Asclepius27 die Art (modus) des Einflusses verkannt

    20 ANTONELLA SANNINO

    26 D. PORRECA, Hermes Trismegistus in Thomas of York: A 13th-Century Witness tothe Prominence of an Ancient Sage, in Archives dHistoire Doctrinale et Littraire duMoyen ge, 2005, LXXII, pp. 147-275.

    27 A. SANNINO, Berthold of Moosburgs Hermetic Sources, in Journal of the Warburgand Courtauld Institutes, 2001, LXIII, pp. 243-258 (Appendix. Hermetic References

  • haben: sie erklrten nmlich, dass das Oberste Prinzip alle Dinge durch-dringt und dass es das Sein an sich aller Dinge ist. Demzufolge versichertHermes Gott ist alles das, was ist und begeht damit einen unverbesserli-chen Fehler, da er die Wesensebenen zerstrt Et opinio quidem antiquo-rum pessimus error est28. So der Wortlaut der strksten Anschuldigungvon Albertus, der sich um eine Theorie bemht, die das formale Wesens -prinzip im Obersten und Universellen Sein sieht. Ein Pantheismus, derin Gott die entmaterialisierte Form des Ganzen sieht und so die hierar-chische Ordnung der Seinsebenen zerstrt29.

    5. Schlussbemerkung

    Der platonische und platonisch-christliche Ansatz, der die Behand-lung des Unus-omnia im Asclepius und in den Glosae super Trismegistumbestimmt, berlebt bei den Autoren platonischer Ausrichtung, wie amBeispiel Theodoricus von Chartres, Thomas von York, Berthold vonMoosburg gezeigt, und hlt bis zur frhen Neuzeit an. Infolgedessen ge-winnt die Debatte um die Wahl zwischen den beiden groen Instanzen,Platon und Aristoteles, eine weitere Autoritt: Hermes Trismegistus.

    DER UNUS-OMNIA BEGRIFF IM HERMETISMUS DES MITTELALTERS 21

    in Berthold of Moosburgs Expositio super Elementationem theologicam Procli, pp. 253-258).

    28 ALBERTUS MAGNUS, De causis et processu universitatis I, 4, 3, ed. A. BORGNET (Ope-ra omnia, X), Paris, Vives 1891, p. 414a-b.

    29 Ivi, p. 414b: Omne quod est formatur immediate ab ipsa primi essentia, et se-cundum hoc primum materiae commiscibile est et esse materiale accipiens.

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