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  • 135

    Geo.Alp, Vol. 11 2014 135 - 160

    ber den Minierkrieg in hochalpinen Fels- und Eisregionen (1. Weltkrieg, SW-Front, Tirol 1915-1918) aus ingenieurgeologischer Sicht

    On subsurface warfare in high alpine rock and ice regions (World War I, southwestern front, Tyrol 1915-1918) from engineering geological view

    Daniela Angetter1 & Josef-Michael Schramm2

    1 Institut fr Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung, Forschungsbereich sterreichisches Biographisches Lexikon der sterreichischen Akademie der Wissenschaften (AW) Wien

    2 Fachbereich Geographie und Geologie, Universitt Salzburg

    Zusammenfassung

    Nach der Kriegserklrung des Knigreichs Italien an das Kaiserreich sterreich-Ungarn im Mai 1915 begannen die Kampfhandlungen im sdalpinen Hochgebirge nur zgerlich und erstarrten alsbald zu einem erbitterten Stellungskrieg. Um die statische Front aufzubrechen und zwecks Gelndegewinn gingen beide Seiten zu einem in Fels und Eis unterirdisch gefhrten Minierkrieg ber. Die gegenseitigen Vortriebsarbeiten (Stollen, Gegenstollen, Horchstollen und Kavernen) erfolgten sowohl mit einfachen bergmnnischen Mitteln (Hammer und Meiel), als auch mittels verbessertem technischen Aufwand (pneumatisches und elektrisches Bohren, konventioneller Sprengvortrieb). Bis 1918 wurden insgesamt 34 exponierte Gipfelstellungen gesprengt.Der Einfluss ingenieurgeologischer Faktoren (z. B. Lithologie, Struktur: rumliche Orientierung von Trenn-flchen, Zahl und Abstand von Kluftflchen, Kluftletten, Bergwasser) auf den Stollenvortrieb und Spreng- erfolg wird an ausgewhlten Beispielen (Lagazuoi, Col di Lana und Monte Sief, Marmolada, Monte Cimone und Pasubio) erlutert.Die Erfahrungen aus den spektakulren, jedoch taktisch wie auch operativ unbedeutenden Sprengun-gen, haben in der Nachkriegszeit wesentlich zur Entwicklung einer modernen Ingenieurgeologie (ins-besondere bei Untertage-Projekten fr den Verkehrswege- und Kraftwerksbau) beigetragen.

    Abstract

    Soon after the Kingdom of Italy declared war on the Austro-Hungarian Empire in May 1915, the hostilities in the high mountains of the Southern Alps began hesitantly and at once solidified to a fierce positional war. In order to break the static front and for territorial gains, both sides proceeded to a subsurface warfare in hard rock and glacier ice (mining war). Simple mining tools (hammer and chisel) as well as increased technical equipment (drilling by means of pneumatic and electric hammers and blasting) were applied to the mutual tunneling operations (galleries, counter galleries, galleries to locate enemy tunnels and caverns). Until 1918, a total of 34 peak positions were blown up.The impact of engineering geological factors (e.g. lithology, structure: spatial orientation of bedding planes, number and distance of joints, seam filling, groundwater) on tunnel driving and blasting success is explained by selected examples (Lagazuoi, Col di Lana and Monte Sief, Marmolada, Monte Cimone and Pasubio).The experience from the spectacular blasting operations, both tactically and operationally insignificant, contributed essentially to the development of modern engineering geology (especially subsurface projects of roads, rails and power plants) in the postwar period.

  • 136 Geo.Alp,Vol.112014

    1. Einleitung

    Bis zur zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts galt der Gebirgskrieg nur als Abart des infanteris-tischen Kampfes. Krieg im Winter und in extre-men Hhen hatte einfach nicht stattzufinden, weshalb auch keine spezifischen Weisungen und Ausbildungsvorschriften existierten. Itali-en formierte 1872 fnfzehn Kompanien Alpini (die erste Hochgebirgstruppe) und Frankreich stellte seine Chasseurs Alpins 1888/89 auf. In sterreich-Ungarn grndete man 1906 erst auf Betreiben des spteren k.u.k. Generalstabschefs Franz Conrad von Htzendorf (1852-1925) eine Gebirgstruppe (zuerst drei Gebirgsregimenter, ab 1911 bestanden fnf Gebirgsregimenter mit 51 Gebirgs-Kompagnien und 16 Gebirgs-Maschi-nengewehrabteilungen). Diese hatten die Hoch-gebirgsgrenze zwischen dem Ortlermassiv und den Julischen Alpen zu schtzen, zumal Conrad von Htzendorf als Landesverteidigungskom-mandant von Tirol auf Grund der besonderen Situation an der Grenze zu Italien bereits frh eine bevorstehende Gefahr aus dem Sden erkann-te und ab 1907 berlegungen zum Kriegsfall I (I = Italien) anstellte.Vor einem Jahrhundert wurden whrend des Ersten Weltkrieges erstmalig systematische Kampfhandlungen mit groen Truppenstrken in hochalpinen und vergletscherten Gebirgsregio-nen vorgenommen. Die dort herrschenden, be-reichsweise extremen Naturbedingungen stellten an Mensch, Tier und Material bislang nicht be-kannte Herausforderungen dar. Unter derartigen topographisch wie klimatisch uerst schwieri-gen Bedingungen waren die bis dahin gltigen Grundstze militrischer Operationen nicht mehr anwendbar. Das exponierte Terrain erforderte ein zielgerechtes taktisches und logistisches Vorge-hen, wie es die gegnerischen Armeen sterreich-Ungarns und Italiens vorher nie ben konnten. Dennoch erfolgte die hochalpine Kriegsfhrung zwischen sterreich-Ungarn und Italien zunchst nach traditionell bewhrten militrischen Grund-stzen fr einfache Bedingungen im Bergland. Je-doch wurde der militrischen Fhrung erst nach und nach bewusst, dass im Hochgebirge eine gezielte Anwendung geomorphologischer und geologischer Kenntnisse wesentlich zum Erfolg von militrischen Operationen beitragen kann (Schramm 2011b).

    Da beim Hochgebirgskrieg ab 1915 aber nicht alleine geomorphologische und geologische Aspekte, sondern klimatische Faktoren die Tak-tik und Logistik mageblich beeinflussen (K.u.k. Landesverteidigungs-Kmdo in Tirol 1915, Abbil-dung 1), mussten in der sterreichisch-ungari-schen Armee erneut Soldaten zum Kampf unter schwierigsten Bedingungen im hochalpinen Ge-lnde ausgebildet werden, zumal die bewhrten Gebirgs-Regimenter an der ostwrtigen Front gegen Russland strkste Verluste hinzunehmen hatten. Zudem berieten Geologen der gegneri-schen Streitkrfte ihre Truppen bei der Anlage und Befestigung von Stellungen, beim Bau von Kavernen und Stollen, bei der Versorgung mit Trinkwasser und Entsorgung von Abwasser so-wie hinsichtlich der Verfgbarkeit mineralischer Baurohstoffe. Somit entwickelte sich die Militr-geologie whrend des Ersten Weltkrieges zu ei-nem ersten Hhepunkt in ihrer Geschichte, was in Friedenszeiten letztlich die Entwicklung zur modernen Ingenieurgeologie bzw. Technischen Geologie frderte.

    Abb. 1: Buchdeckel (Faksimile) Alpine Weisungen fr den Gebirgskrieg, gedruckt 1915.Fig. 1: Book cover (facsimile) Alpine instructions for moun-tain warfare, printed in 1915.

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    2. Geschichtlicher Abriss

    Zusammen mit den Kaiserreichen sterreich-Ungarn und Deutschland gehrte das Knigreich Italien vor dem Ersten Weltkrieg dem mitteleuro-pischen Dreibund an. Die Ermordung des ster-reichisch-ungarischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand von sterreich-Este (1863-1914) in Sarajevo (Bosnien-Herzegowina) am 28. Juni 1914 fhrte Schritt-um-Schritt zu gegenseiti-gen Kriegserklrungen: sterreich-Ungarn und Deutschland gegen Serbien sowie alle Entente-Mchte, und umgekehrt. Nach Kriegsausbruch setzte Italien jedoch seine Verpflichtungen gegenber dem Dreibund aus und verhielt sich zunchst neutral.Als die triple-Entente (Frankreich, Grobritan-nien und Russland) Italien im Geheimvertrag von London (26. April 1915) groe Gebietsgewinne zu Lasten sterreichisch-ungarischen Gebietes (Tirol sdlich des Alpenhauptkammes) nach Ende des Krieges in Aussicht stellte (URL 6), ent-sprach dies ganz der italienischen Ideologie von Risorgimento und Irredenta. Dies forcierte den Seitenwechsel und die Kriegserklrung Italiens an sterreich-Ungarn am 23. Mai 1915. Beim Ein-tritt in den Ersten Weltkrieg verfgte die sterrei-chisch-ungarische Monarchie mit dem 14. Armee-korps ber eine bestens geschulte alpine Truppe. Jedoch wurden die speziell ausgersteten und ausgebildeten Regimenter von der Tiroler Sd-grenze, zu deren Schutz die Gebirgstruppe jah-relang ausgebildet worden war, auf Grund ihrer Leistungsfhigkeit zur ostwrtigen Front gegen Russland abgezogen. In den Ebenen Galiziens und in den Karpaten verblutete im ersten Kriegs-jahr die Elite der bergerfahrenen Soldaten Tirols, Salzburgs und Krntens, sodass mit Kriegsein-tritt Italiens kaum noch alpin ausgebildete Trup-pen zur Verteidigung der Sdgrenze verfgbar waren. Neben 22 Landsturmbataillonen sowie den Besatzungen der stndigen Grenzsperren wurden in aller Eile Landes- und Standschtzen aufgeboten, allesamt nicht mehr oder noch nicht militrpflichtig (Abbildung 2). Auch das Deutsche Alpenkorps half an der Tiroler Grenze aus. Trotz permanenter Unterlegenheit an Truppenstrke und Bewaffnung gelang es der Donaumonarchie jedoch, ihr Territorium mit Ausnahme operativer Frontbegradigungen entlang der alten Tiroler

    Grenze bis zum Waffenstillstand (unterzeichnet am 3. November 1918) zu verteidigen.

    Schlielich legte der Vertrag von Saint-Germain (10. September 1919) anhand sprachlich falscher Landkarten (fake maps: Glockenkarkopf bzw. Klockerkarkopf 2911 m, durch den Nationalisten und spter faschistischen Politiker Ettore Tolomei 1905 zur Vetta dItalia italienisiert, Abbildung 3) und unter Missachtung vorhandener ethno- und geographischer Fakten unter anderem fest, die jahrtausendlang bestehende ethnische Einheit Tirols durch eine neue Grenzlinie zu teilen, wel-che rund 90 Kilometer (Luftlinie) nrdlich der his-torischen Sprachgrenze entfernt liegt (Salurner Klause Brenner)! Die internationale Exekution dieser strategischen Teilung Tirols widersprach und widerspricht sowohl vlkerrechtlichen Nor-men als auch den Punkten 9 und 10 der Vier-zehn Punkte von Prsident Woodrow Wilson (programmatische Rede vor beiden Husern des US-Kongresses, 8. Jnner 1918), und birgt bis zur jngsten Vergangenheit ein latentes Konflikt-potentia