tania giannouli - blätterkatalog.de · 2021. 1. 14. · die solo piano reihebei enjoy jazz: das...
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RICHTIG GESUND LEBEN, 29. APRIL 2011RNZ-SONDERBEILAGE, 19. SEPTEMBER 2020
Solo Piano
Tania
Brad MehldauHermann KretzschmarKatherine ZyablukJohanna SummerMichael Wollny
und weitere
Giannouli
ENJOY JAZZ 20202
Liebe Leserinnen,liebe Leser,
„Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen“. Das sahschon Kurt Tucholsky so. Und Rainer Kernsieht es offenbar genauso. Frauen dominieren die
ersten beiden Wochen des Enjoy Jazz Festivals. Frauen machenMusik, singen, jazzen und komponieren. Sie machen also all das,was auch Männer machen – aber sie machen es anders. Schön,dass Enjoy Jazz diesen Frauen-Schwerpunkt setzt und kein An-ti-Corona-Programm macht, sondern ein lebensbejahendes. Aberetwas anderes war von Rainer Kern und seinem Team auch nichtzu erwarten.
Natürlich stimmt es, wenn auch schon hundertmal geschrieben inden letztenMonaten: Wir alle dürsten nach Kultur, nach Konzerten,nach anderen Musikfans, nach der Enge, dem Krach, nach demApplaus, nach der Begeisterung einer johlenden Menschenmenge.Das alles gibt es in den nächstenWochenwenigstens zumTeil. Magsein, dass der Mundschutz stört, mag sein, dass die vielen Lückenin den Sitzreihen die Atmosphäre etwas beeinträchtigen, magsein, dass das gewohnte Glas Sekt oder Bier in der Pause nichtzu haben sein wird – aber Hauptsache, es wird überhaupt wiederöffentlich musiziert. Insofern ist der wichtigste Aspekt am 22. En-joy Jazz Festival, dass es überhaupt stattfindet. Danke dafür. Ins-
besondere an die Enjoy-Jazz-Macher, die in unsicherer Zeit einfachso tun, als ob. Denn absolute Gewissheit gibt es derzeit eben nicht.Ich selbst freue mich sehr auf den Auftakt mit Brad Mehldau. Alsalter Vertrauter von Enjoy Jazz kommt der Weltstar erneut zuDeutschlands größtem Jazzfestival. Im Frühjahr hat er im Am-sterdamer Corona-Lockdown das Soloalbum „Suite: April 2020“eingespielt, das er nun gleich zweimal präsentiert. Großartig, dassauf diese Weise bei den eingeschränkten Kapazitäten derzeitwenigstens doppelt so viele Menschen in den Genuss kommenwerden, Mehldau und seine Musik live zu erleben.
Seit mittlerweile 22 Jahren geht Enjoy Jazz immer neue Wege. Esmacht Spaß, einen Teil dieses Weges mitgegangen zu sein. In zweiJahrzehnten konnte man da viele neue Pfade entdecken, die ichheute nicht missen möchte, schließlich hat Musik auch sehr vielmit Neugierde zu tun. Und das ist meiner Meinung nach auch dasHauptmerkmal dieses Festivals. Um mit Tucholsky und seinem un-erschöpflichen Zitatenschatz nicht nur zu beginnen, sondern auchzu enden: „Nichts wird so respektiert wie der Erfolg“.
Ihr Klaus WelzelRNZ-Chefredakteur
Liebes Publikum,
seit ich Enjoy Jazz 1999 gegründet habe, frage ich
mich jedes Jahr: Warum eigentlich ein Festival?
Es gibt ja schließlich ganz schön viele davon, ge-
rade in unserer so lebendigen Region. Aber dieses Jahr hat diese
obligatorische Frage noch eine ganz andere Dimension erhalten.
Ein Festival ist ein Ort der Begegnung, des Austauschs und des
Ausprobierens. Ein Ort der Nähe. Und auch hier sollen wir – wegen
eines Kleinstlebewesens, genannt Virus – auf Distanz gehen?Wie,
bitteschön, soll das funktionieren: Begegnung und Distanz? Ist
das nicht ein unauflösbarer Gegensatz? Ja schon, aber Achtung:
Hier liegt ein großes Missverständnis vor. Denn worum es derzeit
geht, ist physische Distanz und nicht sozialer Abstand. Ganz im
Gegenteil: Dem sozialen Miteinander wurde durch die gegenwär-
tigen Umstände eine noch größere Bedeutung zugewiesen. Denn
was macht uns Menschen mehr aus als das Gemeinsame, das
Zusammensein? Nun ist allerdings etwas Ungewohntes hinzuge-
kommen, das dieses Begegnen regelt: der Abstand von 1,5 Me-
tern. Eine große und radikale Veränderung. Denn wenn wir uns bei
unserem schönen Festival begegnen, möchte ich Sie vor Freude
natürlich auchmal spontan umarmen und herzen können. Undwis-
sen Sie was: Genau das möchte ich auch dieses Jahr wieder tun,
nun schon zum 22. Mal. Das ist kein Trotz und auch kein hilfloser
Versuch eines „business as usual“, nein, es ist eine Verpflichtung.
Was wäre die Alternative? Wollen wir uns die Freiheit nehmen
lassen, gemeinsam Kunst zu genießen, noch dazu die wichtigste
Musikform der letzten gut 100 Jahre – den Jazz? Also, ich sehe
keinenGrund dafür. Damitwir uns nichtmissverstehen: Die absolut
richtige, weil zu unser aller Schutz notwendige physische Distanz
von gerade mal 1,5 Metern vermag es doch nicht, mir die Freude zu
nehmen, mich Ihnen – liebstes Publikum der Welt – dieses Jahr bei
Enjoy Jazz erneut nahe zu fühlen. Ich werde Ihnen, meiner leich-
ten Kurzsichtigkeit zum Trotz, ja nach wie vor, nur eben aus einer
etwas größeren Entfernung, in die Augen sehen können und freue
mich, wenn ich dabei Ihre Begeisterung sehe. So fühlen Sie sich
auch dieses Jahr auf das herzlichste umarmt und geherzt – mit
physischer Distanz, aber voller sozialer Wärme und Nähe.
Für Freiheit, Begegnung und Offenheit in Sicherheit.
Enjoy Jazz – und Anderes.
Ihr Rainer Kern
ENJOY JAZZ 2020 3
Uraufführung
So, 27.09.20, 16 Uhr
So viel mehr als nur ein Song
Nationaltheater MA
CD-ReleasekonzertFr, 23.10.20, 20 UhrAnja Lechner & François CouturierRokokotheater Schwetzingen
Premieren und mehr bei Enjoy Jazz 2020Weltpremiere
Fr, 02.10.20, 20 Uhr
Brad Mehldau spielt Suite: April 2020
BASF-Feierabendhaus LU
Ditzner’s Carte Blanche
So, 01.11.20, 19 Uhr & 21 Uhr
Mit Luc Ex & Mika Szafirowski
Alte Feuerwache MA
UraufführungSa, 03.10.20, 19 Uhr
#MeThr3e KollektivFreischwimmer LU
Uraufführung
Di, 03.11.20, Beginn tbc
NM3 - Carmen Mc Rae Tribute
Wollfabrik Schwetzingen
WeltpremiereFr, 16.10.20, 19:30 Uhr
Tania Giannouli SoloKunsthalle Mannheim
CD-Releasekonzert
Sa, 07.11.20, 20 Uhr
Die Motive des Richard W.
dasHaus LU
Bill Evans und Keith Jarrett angetreten
hat, aber lange schon in der Ahnengale-
rie des Jazzpianos einen eigenen her-
ausgehobenen Platz beansprucht. Was
ihn aber mit den beiden Heroen verbin-
det, ist die Anschlagskultur, die schier
grenzenlose Phantasie der Motiverfin-
dung und eine überwältigende Fähigkeit
zu kontrapunktischen Sätzen.
In all diesen Fähigkeiten steht ihm
Michael Wollny in nichts nach, der eine
ähnliche Stellung in Deutschland und in
Europa einnimmt wie Brad Mehldau in
Amerika; wenn man die Hemisphären
des Jazz überhaupt noch so trennen
kann. Michael Wollny wird den Klavier-
zyklus am 14. November in der Mannhei-
mer Christuskirche beenden. Und auch
bei ihm wird man etwas erleben, was
man so von keinem anderen Pianisten
zu hören bekommt: ein Ausloten aller
klaviertechnischen Möglichkeiten, die
der Jazz seit James P. Johnson und die
europäische Moderne mit Pierre Boulez
und Karlheinz Stockhausen erforscht
haben.
In diesen Goldrahmen der Klavierkunst
von Mehldau und Wollny fügt sich zu-
nächst die griechischePianistin TaniaGi-
annouli am 14. Oktober in der Kunsthalle
Mannheim ein, wobei der Austragungs-
ort ihres Konzerts auch Programm zu
sein scheint. Denn die Pianistin ist vor
allem daran interessiert, die Grenzen
zwischen Musik und Film, Klang, Instal-
lation und Bildkunst zu erweitern. Ganz
anders dagegen Hermann Kretzschmar
vom Ensemble Modern, der am 18. Okto-
ber bei einer Matinee sein postdigitales
Verfahren vorstellen wird, mit dem er
Klavierflüsterer müsste man sie alle-
samt nennen – die sechs Pianistinnen
und Pianisten, die die Solo Piano Reihe
bei Enjoy Jazz 2020 bestreiten werden.
Denn sie pflegen eine eigene Form der
Kommunikation mit ihrem Instrument.
Wenn sie die Tasten drücken, antwor-
tet ihnen der Flügel mit einem ganzen
Schwarm intelligenter Töne. Da brau-
en sich bei Brad Mehldau und Michael
Wollny, Johanna Summer und Hermann
Kretzschmar, Tania Giannouli und Ka-
therine Zyabluk phantastische Klänge
zusammen. Denn was die sechs Künst-
ler*innen verbindet, ist ihre Beziehung zu
Jazz, Klassik und Avantgarde gleicher-
maßen.
So entstehen bei ihren Improvisationen
fast schon impressionistische Gemälde,
in denen sich die Obertöne mischen, als
habe ein Claude Monet seine Finger im
Spiel. Bei diesem intensiven Eindringen
in das Klavier bekommt man jedenfalls
viele Töne zu hören, die gar nicht gespielt
werden, die nur mitschwingen und mit
einer kleinen Hilfe des Pedals sich zu
neuen Klängen formen. Bisweilen wird
der Flügel aber auch zum Morseappa-
rat, aus dem mysteriöse Klopfzeichen
heraustönen. Oder zum Zupfinstrument,
um unsere Sinne zu verwirren. Es ist die
Klangsensibilität, die die Pianistinnen
und Pianisten verbindet.
Und es ist ihre künstlerische Souveräni-
tät, die sie trennt. Da ist zunächst Brad
Mehldau, der am2. und 3. Oktober in Lud-
wigshafen die Reihe eröffnet. Momentan
gibt es keinen Pianisten aus Amerika,
der international mehr Furoremacht, als
der Mann aus Florida, der das Erbe von
Gestaltet den Ausklang des Festivals 2020: Michael Wollny Foto: Jörg Steinmetz
alle 32 Sonaten von Beethoven in einem
Konzert spielen wird: Scan-Sonaten für
rastlose Zeitgenossen.
Genauso gespannt sein darf man auf
die kompositorisch-improvisatorische
Adaption von Schumann-Werken durch
Johanna Summer (09. November, Alte
FeuerwacheMannheim) und den Auftritt
von Katherine Zyabluk, die in die Tiefen
ukrainischer Folklore wie in die Sphären
elektronischer Avantgarde vordringt
(30. Oktober, dasHaus Ludwigshafen).
Die Solo Piano Reihe bei Enjoy Jazz:
Das Versprechen auf eine pianistische
Völlerei. WALTER HOMOKI
Fr, 02.10.20, 20 UhrEröffnungskonzert: Brad MehldauBASF-Feierabendhaus LU
Sa, 03.10.20, 20 UhrBrad MehldauBASF-Feierabendhaus LU
Fr, 16.10.20, 19:30 UhrTania GiannouliKunsthalle Mannheim
So, 18.10.20, 20 UhrHermann KretzschmarAlte Feuerwache MA
Fr, 30.10.20, 20 UhrKatherine ZyablukdasHaus Ludwigshafen
Mo, 09.11.20, 20 UhrJohanna SummerAlte Feuerwache MA
Sa, 14.11.20 20 UhrAbschlusskonzert: Michael WollnyChristuskirche MA
und weitere
Robert Schumann hat den BluesDie Solo Piano Reihe bei Enjoy Jazz
ENJOY JAZZ 20204
Die Nachfrage nach dem neuen Mode-
tanz Jazz war in ganz Europa enorm.
Auch in Deutschland, das nach dem
verlorenen Weltkrieg erst langsam
wieder auf die Beine kommen musste,
liefen die Platten-Pressen Anfang der
1920er Jahre heiß. Vom kulturbeflis-
senen Bürgertum und den Zeitungen
wurde die Sehnsucht nach dem ame-
rikanischen Import jedoch skeptisch
betrachtet. „Wie man als gesunder
Mensch allerdings an dieser N*****-In-
strumenten-Klopferei Gefallen finden
kann, ist rätselhaft.“¹
Wie der Jazz nach
Europa kam
Wolfram Knauer zeichnet in seinem
Buch „Play yourself, man“ genau nach,
wie der Jazz nach Europa kam – mit
den Harlem Hellfighters und ihrem
Bandleader JamesReese Europe näm-
lich, einer Marschkapelle, die einer Ein-
heit schwarzer Soldaten angehörte. Er
zeigt vor allem, wie die neue Musik in
Deutschland rezipiert und schließlich
kopiert wurde. Dass bei den Gegnern
des frühen Jazz nicht nur ästheti-
sche Bedenken zum Tragen kamen,
sondern obendrein ein unverhohlener
Rassismus, lässt sich schon an dem
oben zitierten Artikel der Deutschen
Nachrichten-Agentur ablesen.
Schwarze hatten weder im Kaiser-
reich noch in der jungen Republik zum
Straßenbild gehört. 1919 schätzte das
Reichskolonialministerium, so können
wir bei Knauer lernen, die Anzahl der
in Deutschland lebenden Afrikaner
aus den ehemaligen Kolonien nur „auf
25 bis 30 Personen“. Fremde Kultu-
ren waren allenfalls in Büchern oder
in so genannten Völkerschauen zu be-
staunen gewesen – eine unrühmliche,
menschenunwürdige und seinerzeit
sehr beliebte Institution. Menschen
wurden wie Tiere in Zoos in ihrem „na-
türlichen Habitat“ zur Schau gestellt.
Kein Wunder, dass schwarze Musiker,
die in den 20er Jahren nach Europa
und Deutschland kamen, für Aufse-
hen sorgten. Allerdings erlagen die
deutschen Hörer, zumindest jene, die
in den urbaneren Zentren in Sachen
Hedonismus ganz vorn dabei waren,
schnell den ungewohnten Klängen und
vor allem Rhythmen. Und amerikani-
sche Instrumentalisten reisten gern
über den großen Teich. „Von den Musi-
kern, die 1918mit JamesReese Europe
nach Europa kamen oder die 1919 mit
dem Southern Syncopated Orchestra
durch den Kontinent tourten, blieben
etliche“, erzählt unsWolframKnauer in
seiner deutschen Jazzgeschichte. „Es
gab zwar auch Rassismus in Europa,
doch schien er ihnen weniger ausge-
prägt, entwürdigend und tödlich als in
den Vereinigten Staaten.“
Der Rassismus
in den USA
Wie ausgeprägt, entwürdigend und
tödlich dieser Rassismus in den USA
war, das lässt sich erahnen, wenn
man das Buch „Die Jazzmusiker und
ihre drei Wünsche“ aufschlägt. Viele
der von der Mäzenin und Jazzvereh-
rerin Pannonica de Koenigswaerter
vor mehr als 60 Jahren Befragten
wünschten sich Gesundheit, Glück und
Geld. Oder dass der Jazz endlich die
Anerkennung erfahre, die er verdient.
Nicht wenige formulierten aber auch
die Utopie einer Gesellschaft ohne
Rassentrennung. Das deutlichste Sta-
tement in dieser Hinsicht stammt von
Miles Davis. Auf die Frage, was seine
drei Wünsche seien, sagte er schlicht:
„weiß zu sein“.
Schwarz zu sein nämlich bedeutete
auch noch in den 50er und 60er Jah-
ren: miserable Arbeitsbedingungen,
schlechte Bezahlung, unwürdige Be-
handlung. Afroamerikanische Musiker
traten zuweilen in Clubs auf, in die sie
als Gäste keinen Einlass gefunden hät-
ten. In seiner Autobiografie schildert
Miles Davis eine berühmte Szene, die
zugleich zeigt, wie wenig sich in den
letzten 60 Jahren in den USA geän-
dert hat – Stichwort Polizeigewalt:
„Ichmachte gerade eineRadiosendung
zum ‚Armed Forces Day‘ (…). Hinterher
begleitete ich Judy, ein hübsches wei-
ßes Mädchen, nach draußen zum Taxi.
Sie stieg ein und ich blieb noch vorm
Birdland stehn, klatschnass, weil es ei-
ne heiße, dampfende, schwüle August-
nacht war. Plötzlich kam ein weißer
Polizist auf mich zu und sagte, ich soll
weitergehn. Durch mein Boxtraining
war ich ganz gut in Form, also dach-
te ich mir, eigentlich sollte ich diesem
Motherfucker gleich eine reinhaun,
denn mir war klar, was er vorhatte.
Stattdessen sagte ich: ‚Weitergehn?
Warum? Ich arbeite hier. Da oben
steht mein Name, Miles Davis.‘ Und ich
deutet auf die Markise, wo mein Name
in Leuchtbuchstaben stand.
‚Ist mir egal, wo du arbeitest‘, sagte er.
‚Ich hab gesagt, du sollst weitergehn.
Wenn du nicht verschwindest, verhaf-
te ich dich.‘“
Tatsächlich werden Davis Handschel-
len angelegt, er wird verhaftet und
verprügelt. Wenn man sich die Ereig-
nisse der letzten Monate und Jahre
in den USA ansieht, dann muss man
von Glück sagen, dass es bei Schlä-
gen blieb – der Griff zur Schusswaf-
fe scheint bei vielen Polizisten keine
sonderlich skrupelbehaftete Option
zu sein. Der Autor James Baldwin,
Rassismus und Jazzkürzlich groß wiederentdeckt und zur
Ikone der Black-Lives-Matter-Bewe-
gung erkoren, sagte einmal in einem
Interview: „Redet man davon, es als
Schriftsteller ganz allein zu schaffen,
dannmussman in der Lage sein, sämt-
liche Lebensantennen auszuschalten,
denn sobald man dieser Gesellschaft
den Rücken kehrt, schwebt man in
Lebensgefahr. Man kann sterben. Und
es ist sehr schwer, an einer Schreib-
maschine zu sitzen und sich darauf zu
konzentrieren, wenn man vor der Welt
da draußen Angst hat. Die Jahre in Pa-
ris haben mich von diesem speziellen
Sozialterror befreit, der keine Para-
noia von mir war, sondern eine reale
soziale Gefahr, die in den Gesichtern
von Polizisten, von Chefs, von allen zu
erkennen war.“
Baldwin war irgendwann vor diesem
alltäglichen Terror nach Frankreich
geflüchtet. Nicht wenige Jazzmusiker
taten es ihm gleich – bei Tourneen ver-
spürten sie in Europa eine andere Form
der Anerkennung ihrer Musik und des
persönlichen Respekts. Deshalb blie-
ben manche Jahre, ließen wie Dexter
Gordon oder DonCherry die USA hinter
sich. „Seit 28 Jahren lebe ich in diesen
Vereinigten Staaten, einem der übels-
ten, rassistischsten Gesellschafts-
systeme der Welt – vielleicht mit Aus-
nahme von Nordrhodesien, Südafrika
oder Südvietnam“, schrieb Archie
Shepp in den 60er Jahren. „Fragt ihr
euch nicht, wie mein kollektiver Furor
aussehen wird, wenn er erst – und das
ist unaufhaltsam – entfesselt ist? Un-
sere Verteidigung wird schwarz sein,
so wie schwarz die Farbe des Leidens
ist, so wie Fidel Castro schwarz ist, so
wie Ho Chi Minh schwarz ist. Ihr könnt
meinen Traum nicht länger stunden.
Ich werde ihn singen. Tanzen. Heraus-
schreien. Undwenn nötig, werde ich ihn
mir von dieser Erde stehlen. Ihr besitzt
die Musik, und wir spielen sie.“ Shepp
lebt seit Jahrzehnten in Paris.
Jazz und
Rassismus
Die Geschichte des Jazz ist ohne die
Geschichte des Rassismus nicht zu
denken. Entstanden im Süden der USA,
war er eine wilde Melange an Stilen,
die von den Entrechteten und Arbei-
tern, den ehemaligen Sklaven und den
weiterhin Gedemütigten, Drangsalier-
ten, Verachteten entwickelt wurde. Im
Jazz war sowohl Pein als auch Sehn-
sucht zu hören, der Blues und die Hoff-
nung. Jazz war eine Möglichkeit, der
schwarzen Erfahrung Klang und Rele-
vanz zu geben. Gerade in den 60ern
gab es dann eine offene Politisierung
Miles Davis wird 1959 Opfer von Polizeigewalt Foto: picture-alliance/dpa
ENJOY JAZZ 2020 5
undHinwendung zu afrodiasporischem
Bewusstsein – von Max Roach über
John Coltrane bis Ornette Coleman.
Bis heute ist Jazz eine Kunst des Wi-
derstands und der Unduldsamkeit ge-
blieben. Wie ein roter Faden zieht sich
dieses Erbe durch dieMusik – vonwem
sie auch gespielt, von wem sie auch
weiterentwickelt wird. Ohne diese
Tradition lässt sich Jazz nicht denken.
Das heißt zugleich, dass er eine Ver-
pflichtung enthält – Musik zu sein, die
niemals ausgrenzt, die verschiedenste
Haltungen zu integrieren im Stande ist,
die frei ist und einen zutiefst menschli-
chen Kern besitzt.
Dass wir das im Jahr 2020 betonen
müssen, hat natürlich Gründe: Rassis-
mus und Antisemitismus, menschen-
verachtendeWorte und Taten haben in
den letzten Jahren auf beängstigende
Weisen in Deutschland und Europa zu-
genommen. Das Kämpferische in der
Musik, das in den 80ern und 90ern
verloren schien, lässt sich nun aus ge-
gebenemAnlasswieder spüren – etwa
bei jungen Protagonisten wie Jaimie
Branch oder Moor Mother, Shabaka
Hutchings oder Moses Boyd, sogar bei
deutschen Instrumentalistinnen wie
Anke Helfrich. Fast täglich hören wir
inzwischen von Angriffen auf demo-
kratische Institutionen, auf Menschen
anderer Hautfarbe oder Religion. Weil
der Jazz wie kaum eine andere Kunst-
form von jeher die durch rassistische
Ausgrenzung erzeugte Gewalt spie-
gelt, kommt ihm bei der Reflexion der
gesellschaftlichen Verwerfungen viel-
leicht eine besondere Rolle zu. Sowie
all jenen, die ihm eine Plattform bieten.
Das ist der Grund, warum ein Jazzfes-
tival nicht nur ästhetische Entwicklun-
gen im Blick haben kann, sondern die
politische Dimension mitdenken muss.
Kulturrelle
Enteignung
Es gibt aber noch eine andere Ebene
des Rassismus, mit dem der Jazz kon-
frontiert ist: Immer wieder wurde die
These vertreten, europäischer Jazz
habesichvoneinembestimmtenPunkt
ab eigenständig und ohne großen Ein-
fluss aus denUSAentwickelt. Früh gab
es so etwas wie kulturelle Enteignung
afroamerikanischer Musikerinnen und
Musiker – weiße Jazzer enterten die
Bühnen, ohne den Urhebern der Musik
ihre Reverenz zu erweisen. Nach dem
Motto: Die einen entwickeln neue For-
men, die anderen verdienenGeld damit.
Zuletzt hat der Saxophonist und Kul-
turwissenschaftler Harald Kisiedu
in seiner Studie „European Echoes“
gezeigt, wie stark die Entwicklung ei-
Anzeige
VerantwortungSeit rund 125 Jahren schafft Roche Innovationen für einbesseres Leben und investiert damit gleichzeitig in die Zukunft.Neben diesen wirtschaftlichen gehören auch soziale undökologische Faktoren zum Nachhaltigkeitsverständnis von Roche.Die Ziele sprechen eine deutliche Sprache: Roche will zum Beispielseinen ökologischen Fußabdruck im Laufe der nächsten zehn Jahreum die Hälfte reduzieren. Mit Hightech und Innovationskrafttragen die deutschen Standorte einen großen Teil zum Schutz vonUmwelt und Ressourcen bei.
nes europäischen und speziell deut-
schen experimentellen Jazz an den
afro-amerikanischen Jazz gekoppelt
war, wie sehr ästhetische Formen im
Austausch und in der Auseinanderset-
zung mit schwarzer Musik entstan-
den sind. Die Bedeutung des originär
afro-amerikanischen Jazz darf also
nicht in kulturimperialistischer Ma-
nier verwischt werden. Auch das ist
die Aufgabe eines Jazzfestivals: Linien
aufzuzeigen, Dialoge zu ermöglichen,
die Tradition zuwürdigen, um dasNeue
als etwas zu begreifen, das dem Ver-
gangenen verpflichtet ist. Enjoy Jazz
hat diese Herausforderung in den letz-
ten Jahren immer wieder angenom-
men – nicht nur in Konzerten, sondern
auch in Symposien, Vorträgen oder
Filmvorführungen. „Ich verstehe das
Enjoy Jazz Festival als einen Ort, an
dem unterschiedlichste Sprechweisen
und Positionen zusammenkommen
können – einen geschützten, experi-
mentierfreudigen und gesellschaft-
lich relevanten Raum. Musik steht im
Mittelpunkt – aber Musik, wie ich sie
verstehe, reagiert immer auf das, was
um uns passiert“, sagt Festivalleiter
Rainer Kern. „Für mich persönlich ge-
hört zur Tradition des Jazz der Kampf
gegen Rassismus, Ausgrenzung und
Gewalt. Das möchte ich abbilden und
starkmachen, beim diesjährigen Festi-
val und auch in den folgenden Jahren.“
ULRICH RÜDENAUER
¹ von der Redaktion geändert
“Ihr besitzt die Musik, und wir spielen sie.” (Archie Shepp) Foto: Christian Gaier
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ENJOY JAZZ 2020 7
Unter einem Standard versteht man
eine allgemein anerkannte Art und
Weise zu denken oder zu handeln, die
sich gegenüber anderen Möglichkei-
ten durchgesetzt hat. Standards sind
Destillate ihrer Zeit und der dazuge-
hörigen Ideengeschichte. Sie sollen
Einheitlichkeit und Verbindlichkeit her-
stellen sowie Kontinuität sichern.
Wir kennen solche Standards vor al-
lem aus Wissenschaft und Technik.
Aber es gibt sie auch in der Kunst.
Paradoxerweise kommt ihnen in einer
der freiesten Kunstformen eine be-
sonders tragende Rolle zu. Im Jazz be-
zeichnenStandards nämlichSongs, die
sich zu einem Kanon verdichtet haben
und dadurch zumglobalen Ermöglicher
eines ganzen Musik-Genres geworden
sind. Jazz-Standards sind eine Univer-
salsprache, die vonMusiker*innen aller
Kontinente gesprochen und von Men-
schen aller Kulturen verstanden wird.
Und, so der Jazz-Komponist Steve
Swallow: „Durch Standards kann man
lernen, was eine Komposition braucht,
um attraktiv für Improvisatoren zu
sein.“
Ihre Wirkungsweise ist aktueller denn
je. Denn das Prinzip Jazz-Standards
enthält alle Attribute eines permanen-
ten gesellschaftlichen Wandels. Es ist
inklusiv, kommunikativ, nachhaltig und
inspirierend. Gleichzeit wohnt ihmaber
ein verhängnisvoller Hang zur Rück-
wärtsgewandtheit inne. Von den 1.000
meistgespielten Jazz-Standards ist
keiner jünger als 40 Jahre. Wie lässt
sich dieses Paradox erklären?
Das freiheitliche
Spielverständnis im Jazz
Alles beginnt mit der lapidaren Fest-
stellung, dass der Jazz von seinem
Material, also von der Komposition,
unabhängiger ist als andere Musik-
formen. Denn das Material ist nur der
Grundstoff für das Eigentliche, die
konstitutive kreative Neuschöpfung
durch Bearbeitung und Improvisation.
Deshalb hat sich der Jazz der Einfach-
heit halber von Beginn an überall dort
freimütig bedient, wo ohnehin Kom-
positionen entstanden, vor allem am
Broadway bzw. in der Tin Pan Alley, die
über Jahrzehnte hinweg Unmengen
an Material ausgespuckt hat. Nicht
über seine Kompositionen, sondern
über sein freiheitliches Spielverständ-
nis erlangte der Jazz seit den 1940er
Jahren eine neue gesellschaftspoli-
tische Relevanz, mit der er beispiels-
weise unmittelbar in die Bürgerrechts-
bewegung hineinwirkte. Jazz war der
Soundtrack des Aufbruchs.
Das hat sich schleichend gewandelt.
Die großen sozialen und politischen
Themen wurden zuletzt weniger im
Jazz verhandelt, zumindest nicht in
seinem Zentrum, als in Musikgenres
wie Rap und Hip-Hop. Seit den 1970er
Jahren ist der Jazz spürbar geal-
tert. Darüber hat er seinen Status
als führender Amalgamierer der mu-
sikalischen Welten verloren bzw. an
Sampling affinere Musikformen abge-
geben, die den Jazz zumeist deutlich
überzeugender als Inspirationsquelle
nutzten als umgekehrt.
Wo sind die neuen
Impulse?
Eng damit zusammen hängt eine wei-
tere Entwicklung: Der Jazz ist heute
anerkannt als wichtigster Beitrag
Amerikas bzw. Afroamerikas zur Mu-
sikgeschichte. Ein großer Schritt, der
aber nicht nur ein gestiegenes Selbst-
bewusstsein zu Folge hat, sondern
auch zwei Auswirkungen von höchst
ambivalentemCharakter: den Versuch
der Musealisierung durch ebenso mei-
nungs- wie finanzstarke konservative
Kräfte rund um das Lincoln Center und
die zunehmendeAkademisierung. Heu-
te findet man im professionellen Jazz
kaum noch Autodidakt*innen bzw.
nicht konsequent institutionell durch-
geschulte Musiker*innen. Das ist einer
der Gründe, warum dem zeitgenössi-
schen Jazz oftmals die neuen subs-
tanziellen Impulse fehlten.
Inzwischen aber ist eine Trendwende
erkennbar. Soziale Bewegungen wie
#MeToo oder BLM (Black LivesMatter)
beginnen, den Jazz vor allem in den
USA wieder stärker zu politisieren. Es
ist, als hätte man ihm sein Generalthe-
ma und damit eine fast vergessene
Bedeutung zurückgegeben, die ihm
neue Möglichkeiten zugespielt, sich
als wichtige Stimme der Gleichheit in
Freiheit gesellschaftlich zu verorten.
Enjoy Jazz und
die Standards
Umdie komplexe Gemengelage, die da-
durch rund um das Thema Jazz-Stan-
dards entstanden ist, nach und nach
neu zu sortieren, hat das Enjoy Jazz
Festival einen unkonventionellen An-
satz gewählt: In einer Art Bestands-
aufnahme werden Standards zu-
nächst als Inspirationsquelle neu
erfahrbar gemacht – auch außermu-
sikalisch. Dazu wurden Jazz-Lieb-
haber*innen aufgefordert, Texte
einzureichen, die in Bezug zu einem
Standard stehen. Ergänzt um anekdo-
tische Song-Porträts und reduzierte
Live-Versionen der zugrundliegenden
Musikstücke hat ein Autoren-Team,
dem auch Grimme-Preisträger und
Jazz-Flötist August Zirner angehört,
daraus unter dem Titel „So viel mehr
als nur ein Song“ einemusikalische Re-
vue entwickelt. Sie wird als Kooperati-
on mit dem Nationaltheater Mannheim
am 27.9. zu sehen sein. Eine Buchaus-
gabe folgt 2021.
Jazzhistorie und
Frauenbild
August Zirner, der für viele eine Entde-
ckung als Musiker sein dürfte, ist auch
an einem zweiten Projekt aus dem
Themenkreis der Standards beteiligt:
In ihremDuo-Programm „Transatlanti-
sche Geschichten“ flechten Zirner und
der für seinen lyrischen Ton internati-
onal geschätzte Bassist Sven Faller in
ein wundersames Band biografischer
Analogien zahlreiche Song-Perlen
aus der Jazzhistorie ein. Daraus ist
ein kammermusikalischer Geschich-
ten-Abend entstanden, der zugleich
ein spannender Geschichts-Abend ist.
In einer weiteren Veranstaltung zum
Thema kontrastiert das Heidelberger
Künstlerinnen-Kollektiv #MeThr3e
Schnitzlers inneren Monolog „Fräu-
So, 27.09.20, 16 UhrSo viel mehr als nur ein SongNationaltheater MA
Sa, 03.10.20, 19 Uhr#MeThr3e KollektivFreischwimmer LU
Do, 22.10.20, 19:45 UhrAugust Zirner & Sven Fallerengelhorn Mode im Quadrat
lein Else“ – ein feministisches Schlüs-
selwerk seiner Zeit, das formal einer
Jazz-Improvisation nicht unähnlich
ist – mit dem Frauenbild bekannter
Jazz-Standards. Das Ergebnis ist ein
meisterhaft komponiertes Gesamt-
kunstwerk aus Schauspiel, Musik,
Gesang und Live-Painting, das eine
suchende junge Frau des frühen 20.
Jahrhundert ins Hier und Heute stellt.
Im nächsten Jahr wird sich das Fes-
tival dann mit der Frage beschäfti-
gen, wie man den sehr hermetischen
Standards-Kanon an den Rändern
öffnen kann für zeitgenössische
musikalische Strömungen, die gerade
mit Macht in den Jazz zurückdrängen.
Eine Entwicklung, die beweist, dass der
Jazz nicht nur ein unverändert lernfä-
higer, sondern ein tatsächlich lernen-
den Organismus ist. Eine Haltung, die in
diesen Zeiten unverzichtbar ist.
VOLKER DOBERSTEIN
Das Prinzip Jazz-StandardEine kritische Betrachtung
Mit Enjoy Jazz gegen den musealisierten Zeitgeist: Schauspieler, Autor, Jazz-Flötist und Grimme-Preisträger August Zirner Foto: Robert Doppelbauer
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Vom Denken in der KriseWenn Weitsicht wirkt
DieWelt war noch eine andere, als Festi-
valleiter Rainer Kern vor zwei Jahren be-
schloss, ein Gremium einzuberufen, das
sich langfristig mit der Frage nach den
Rahmenbedingungen für dasKultur-Fes-
tival der Zukunft beschäftigen sollte: die
„Thinkers in Residence“.
Die Fragestellung hinter dem Programm
lautet: Wie müssen oder sollten sich äs-
thetische Formate vor dem Hintergrund
sich verändernder Gesellschaften ent-
wickeln?Wie kann die konkrete Lebens-
wirklichkeit derMenschen in ihrer Diver-
sität, also in ihren unterschiedlichen Er-
fahrungen und Möglichkeiten, ihren Brü-
chen und ihrer manchmal irritierenden
Vielfalt in Kulturveranstaltungen kreativ
abgebildet undmit den Mitteln der Kunst
bearbeitet werden?
Der Faktor Zeit
Das Ungewöhnliche an diesem Pro-
gramm ist aber nicht nur die Fragestel-
lung, sondern auch der Rahmen. Zumeist
werden Perspektiv-Themen in Panels
oder Wochenend-Symposien abgehan-
delt. Die zeitliche Verknappung fördert
aber häufig eher Denk-Routinen als
neues Denken, weil der Raum für groß-
flächige und tiefgreifende gedankliche
Entwürfe fehlt. Deshalb ist die wich-
tigste Ressource, die das Festival den
Thinkers bereitstellt, der Faktor Zeit.
Ursprünglich über eine Dauer von einem
Jahr geplant, findet der kontinuierliche
Austausch nun bereits seit zwei Jahren
statt und hat eine enorme Dynamik und
Qualität entwickelt.
Das hochkarätig besetzte internationa-
le Gremium, in dem u.a. Künstler*innen,
Kurator*innen, Festivalleiter*innen, ein
Kulturphilosoph sowie ein Theater-In-
tendant versammelt sind, hatte sich bis-
lang mit Themen wie Partizipation, Gen-
der Equality, Dekolonisation, Antirassis-
mus, Digitalisierung, Nachhaltigkeit oder
Inklusion beschäftigt, als Anfang des
Jahres ein Virus das Leben und damit
auch das Denken zu verändern begann.
Dadurch wurden z.B. Themen wie die
Verantwortung der Kultur und die Ver-
antwortung gegenüber der Kultur in ein
neues Licht gerückt. Denn der Gedanke,
dass die öffentliche Kultur einmal per
behördliche Verfügung komplett aus-
gesetzt werden könnte, stand bislang
nicht auf der Agenda. Kernthesen wie
die Definition des Festivals als „Festa“
(Giovanni Campus), also als ein Fest und
eine Feier der analogen physischen Be-
gegnungen und des Austausches muss-
ten unter Corona-Bedingungen neu aus-
geleuchtet und um eigenständige alter-
native und insbesondere adäquate digi-
tale Lösungsansätze erweitert werden.
Aus den Köpfen
in das Festival
Derzeit verdichten die einzelnen Thin-
kers ihre Überlegungen zum Kulturfes-
tival der Zukunft zu Thesenpapieren, die
während des Festivals nochmals ge-
meinsam diskutiert werden. Die Ergeb-
nisse sollen dann im kommenden Jahr
in Buchform veröffentlicht werden. So
lange muss das interessierte Publikum
aber nicht warten. Alle Thinkers werden
zum diesjährigen Festival anreisen. Eini-
ge werden von ihnen selbst kuratierte
Veranstaltungen präsentieren, also ihre
Ideen einem Praxis-Test vor Publikum
unterziehen. Geplant ist auch eine of-
fene Diskussionsreihe. Dabei werden
einzelne Thinkers, jeweils unterstützt
von einer Moderatorin und einem Gast,
anhand eines Schlüsselthemas tiefe-
re Eimblicke in ihre Arbeit geben und
selbstverständlich auch für Fragen und
Anregungen zur Verfügung stehen. Da
diese Panels international besetzt sein
werden, gilt auch hier, dass die aktuel-
le Corona-Situation als Co-Regisseur
fungiert. Das heißt: Die entsprechenden
Termine können leider erst relativ kurz-
fristig imOnline-Programmauf derWeb-
site des Festivals bekanntgegeben bzw.
final bestätigt werden.
VOLKER DOBERSTEIN
Die Thinkers in Residence: Das hochkarätig besetzte internationale Gremiumbeschäftigt sich mit der Zukunft von Kultur-Festivals Foto: Max P. Martin
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2. Oktober bis 14. November 2020
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Gemeinhingilt Jazz janichtunbedingtalsbevorzugtes musikalisches Genre vonKindern und Jugendlichen. Das mag fürmanchen Jazzer gar eine künstlerischeAuszeichnung sein – tatsächlich aberverkennt diese Annahme bloß, wie viel-seitig und offen die jungen Hörerinnenund Hörer für spannende Musik sind.Hauptsache, es langweilt nicht – unddas sollte in der dynamischen Klangweltdes Jazz nun wirklich kein Problemsein. Für alle Eltern, deren Nachwuchsbeim Radiohören, Plattenauflegenoder Playlist streamen regelmäßigdie Luftgitarre zur Hand nimmt, ver-anstaltet Enjoy Jazz mit freundlicherUnterstützung der BASF in diesem Jahrdeshalb zwei Familienkonzerte.Beinahe schon ein Klassiker in deut-schen Kinderzimmern ist das Hörspiel„Eule findet den Beat“. Dessen kleineProtagonistin folgt eines Abends denverlockendenTöneneinesPopsongsundbegibt sich so eine abenteuerliche Reisedurch dieWelt der Musik. Dabei trifft sieauf schrullig-liebenswerte Tierewie den
tiefenentspannten Papagei oder denrockenden Maulwurf und lernt Genreswie Reggae, Rock, Jazz oder Oper ken-nen. Inszeniert als Musiktheater mitBandbesetzung kommen nicht nur diezahlreichen Fans des Hörspiels hier vollauf Ihre Kosten.Wie man Kinder aber auch ausschließ-lich mit Jazz begeistern kann, zeigt dasMitmachkonzert „Frau Gerburg ver-kauft den Jazz“. Witzige Dialoge, mit-reißende Improvisationen und eine tolleBand um den Speyerer SchlagzeugerStefan „Hering“ Cerin bringen Kindernauf spielerische Art und Weise die Weltvon Septakkord, Saxofon und Swingnäher. Prädikat: Pädagogisch wertvoll!
ALEX GRAF
Pädagogisch wertvolles Mitmachkonzert: Frau Gerburg verkauft den JazzFoto: Rolf Freiberger
Mit Bus und BahnFreie Fahrt zum Festival
Seine Premiere bei Enjoy Jazz feiert
2020 das VRN-Kombiticket. Damit
können Besucher*innen in diesem Jahr
kostenlos und klimafreundlich am Ver-
anstaltungstag im gesamten Gebiet des
VRN zu den Konzerten an- und wieder
abreisen. Nur einige wenige Veranstal-
tungen, die in Zusammenarbeit mit an-
deren Institution angeboten werden,
sind hiervon ausgenommen. Checken
Sie die Eintrittskarte zu Ihrem ganz per-
sönlichen Enjoy Jazz Konzert. Sie finden
darauf das oben abgebildete Kombiti-
cket-Logo? Dann gilt Ihr Ticket nicht nur
für die Veranstaltung, sondern auch für
die Anreise mit Bus und Bahn.
Gute Fahrt wünschen Enjoy Jazz und
der Verkehrsverbund Rhein-Neckar!
Familienprogramm
Sa, 17.10.20, 16 UhrEule findet den BeatKarlstorbahnhof HD
So, 01.11.20, 14:30 Uhr + 16:30 UhrFrau Gerburg verkauft den JazzdasHaus LU
PROGRAMM EN
Sa, 10.10.20Sona JobartehAlte Feuerwache MABeginn 19 Uhr & 21 Uhr
So, 11.10.20„These Girls“Juliane Streich &Julia NeupertBetriebswerk HDBeginn 11 Uhr
Mo, 12.10.20Ameli in the WoodsElla & Louis MABeginn 19 Uhr & 21:15 Uhr
Di, 13.10.20Gabrielle Randrian Koehlhoeffer Trio„TANY“Karlstorbahnhof HDBeginn 18:30 Uhr
Mi, 14.10.20The Book of Lost SongsOrt tbcBeginn tbc
Do, 15.10.20New Jazz Voices Triofeat. Marie SéférianElla & Louis MABeginn 19 Uhr & 21:15 Uhr
Fr, 16.10.20Tania Giannouli SoloKunsthalle MannheimBeginn 19:30 Uhr
Sa, 17.10.20Eule findet den BeatKarlstorbahnhof HDBeginn 16 Uhr
Sa, 17.10.20Mani Neumeier &Uchihashi Kazuhisa DuoAlte Feuerwache MABeginn 19 Uhr & 21 Uhr
Sa, 17.10.20Ausstellung„zeichNotizen“ von Henning BolteTandem Art Space HDBeginn tbc
So, 18.10.20Günther HuesmannFlieg, Vogel, Flieg! Bird@100Ort tbcBeginn tbc
So, 18.10.20Hermann KretzschmarDie 32 ScansonatenAlte Feuerwache MABeginn 20 Uhr
Mo, 19.10.20David Helbock’s Random/ControlTour D’HorizonElla & Louis MABeginn 19 Uhr & 21:15 Uhr
Di, 20.10.20Nik BärtschOrt tbcBeginn tbc
Mi, 21.10.20Anja Lechner & Björn MeyerOrt tbcBeginn tbc
Do, 22.10.20August Zirner & Sven Faller„Transatlantische Geschichten“engelhorn Mode im QuadratBeginn 19:45 Uhr & 21:45
Fr, 23.10.20Anja Lechner & François CouturierRokokotheater SchwetzingenBeginn tbc
Fr, 23.10.20Jazz x persönlich mit Joe BauschGangsterbluesElla & Louis MABeginn 19 Uhr & 21 Uhr
Sa, 24.10.20„Eingesperrt“Lutherkirche HDBeginn 20 Uhr
So, 25.10.20„Music was my first lmit Marcel BeyerOrt tbcBeginn tbc
So, 25.10.20Blind DateOpen-Air-Bühneim ZeughausgartenReiss-Engelhorn-MusBeginn 18:30 Uhr
So, 25.10.20Swinging BirdsBig Band der StaatspRheinland-PfalzPfalzbau LUBeginn 19:30 Uhr
Mo, 26.10.20Allen Blairman presenKarlstorbahnhof HDBeginn 18:30 Uhr
Di, 27.10.20Sokratis SinopoulosFriedenskirche HDBeginn 18:30 Uhr
Mi, 28.10.20SWR Jazzpreis RheinDaniel ErdmanndasHaus LUBeginn 19 Uhr
Fr, 30.10.2020Katherine ZyablukdasHaus LUBeginn 20 Uhr
Sa, 31.10.20Vincent Peirani & ÉmChristuskirche MABeginn 20 Uhr
Fr, 02.10.20 I EröffnungskonzertBrad MehldauBASF–Feierabendhaus LUBeginn 20 Uhr
Sa, 03.10.20Brad MehldauBASF–Ludwigshafen LUBeginn 20 Uhr
Sa, 03.10.20#MeThr3e Kollektiv„Fräulein Else reload“Freischwimmer LUBeginn 19 Uhr
So, 04.10.20“I am here”Nicht-Gedichte von Rozana MihalacheBetriebswerk HDBeginn 11 Uhr
So, 04.10.20Maria Răducanu TrioBetriebswerk HDBeginn 20 Uhr
Mo, 05.10.20DinosaurdasHaus LUBeginn 19 Uhr
Di, 06.10.20Julia Kadel TrioKarlstorbahnhof HDBeginn 18:30 Uhr
Do, 08.10.20Els VandeweyerKarlstorbahnhof HDBeginn 18:30 Uhr
Fr, 09.10.20Tineke PostmadasHaus LUBeginn 19 Uhr
OKTOBER
So, 27.09. | Standards
So viel mehr als nur ein Song
mit August Zirner
Nationaltheater Mannheim
Beginn 16 Uhr
JOY JAZZ 2020
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seen Mannheim
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nland-Pfalz
ile Parisien
So, 01.11.20Siggi LochOrt tbcBeginn 11 Uhr
So, 01.11.20Frau Gerburg verkauft den JazzdasHaus LUBeginn 15 Uhr & 17 Uhr
So, 01.11.20Erwin Ditzner’s Carte BlancheAlte Feuerwache MABeginn 19 Uhr & 21 Uhr
Mo, 02.11.20Slowly Rolling CameraBASF–Feierabendhaus LUBeginn 20 Uhr
Di, 03.11.20NM3The Singer’s SingerCelebrating the 100th Birthdayof Carmen McRaeWollfabrik SchwetzingenBeginn tbc
Mi, 04.11.20Alexandra LehmlerAlte Feuerwache MABeginn 19 Uhr & 21 Uhr
Mi, 04.11.20Live-Hörspiel„Der Besuch der alten Dame“Hilde–Domin–Saal HDBeginn 19:30 Uhr
Do, 05.11.20Sepalot QuartetKarlstorbahnhof HDBeginn 18:30 Uhr
Do, 05.11.20Jean-Louis Matinier & Kevin SeddikiElla & Louis MABeginn 19 Uhr & 21:15 Uhr
Fr, 06.11.20Carsten Lindholm TrioElla & Louis MABeginn 19 Uhr & 21:15 Uhr
Sa, 07.11.20Die Motive des Richard W. mit LömschLehmann, TC Debus & Erwin DitznerdasHaus LUBeginn 20 Uhr
So, 08.11.20Silje Nergaard DuoKarlstorbahnhof HDBeginn 18:30 Uhr & 21 Uhr
Mo, 09.11.20Johanna SummerAlte Feuerwache MABeginn 20 Uhr
Di, 10.11.20Jens ThomasdasHaus LudwigshafenBeginn 20 Uhr
Mi, 11.11.20Shama BongoKarlstorbahnhof HeidelbergBeginn 18:30 Uhr
Do, 12.11.20Bohren & Der Club of GoreAlte Feuerwache MABeginn 20 Uhr
Do, 12.11.20Wolfgang Muthspiel Triofeat. Danny Ziemann & Jeff BallardBASF–Feierabendhaus LUBeginn tbc
Sa, 14.11.20 I AbschlusskonzertMichael WollnyChristuskirche MABeginn 20 Uhr
NOVEMBER
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Das Programm auch unter:
Fr, 20.11.20 I Encore ISWR New Jazz MeetingAlte Feuerwache MABeginn tbc
Mo, 23.11.20 I Encore IIBeyond BordersKonzert im DunkelnSchloss-Schule IlvesheimBeginn 20 Uhr
ENJOY JAZZ 2020 ENCORE
Änderungen vorbehalten.
VorverkaufTickets gibt es unter www.enjoyjazz.deund an allen bekannten Reservix-Vor-verkaufsstellen. Karten für die Kon-zerte der BASF SE in Ludwigshafenerhalten Sie unter www.basf.de/kultur.
Umwelt schonen und sparenBei Vorlage eines tagesaktuellenRheinland-Pfalz-Tickets oder einerVRN-Tages-Karte erhalten Sie an derAbendkasse 10% Ermäßigung auf denAbendkassenpreis.
Wir bleiben in BewegungDie hier abgedruckten Informatio-nen entsprechen dem Stand der Pro-grammplanung zum Zeitpunkt derDrucklegung. Aufgrund der aktuellenSituation empfehlen wir Ihnen, sichzeitnah vor der jeweiligen Veran-staltung auf www.enjoyjazz.de übermögliche Änderungen zu informieren.
So bleiben Sie informiertWir senden Ihnen gerne regelmäßigunseren Newsletter oder kostenloseProgramminformationen zu. Tragen Siehierfür Ihre Kontaktdaten gerne unterwww.enjoyjazz.de ein.
ENJOY JAZZ 202012
Voriges Jahr bereitete ein Podcast
mit dem Titel Frauen im Jazz den Weg,
jetzt gehen die Macher*innen beim En-
joy Jazz Festival 2020 programma-
tisch aufs Ganze: Zwei Wochen lang
nach der Eröffnung werden zu Beginn
des Festivals alle Konzerte entwe-
der von Solistinnen oder von Ensemb-
les unter weiblicher Führung gespielt.
Damit kommt Enjoy Jazz dem Verspre-
chen nach, das mit dem Beitritt zur Key-
change-Initiative gegeben wurde. Key-
change ist ein Zusammenschluss von
Mitwirkenden rund ums Musikgeschäft
mit unter anderen dem Ziel, dass zukünf-
tig bei Konzerten und Festivals die Hälfte
aller auftretendenKünstler*innen Frauen
sind. DieMusikjournalistin Pinky Rose be-
fragte dazu Christina Schäfers, Project
Lead Keychange international.
Pinky Rose: Christina, wie beurteilst du
diesen Schritt der konsequenten Pro-
grammgestaltung?
Christina Schäfers: Das ist klasse! Da-
mit haben die Kolleg*innen nicht nur ein
sicher hochkarätiges Line-Up kuratiert,
sondern setzen auch noch ein Statement
für mehr Sichtbarkeit von weiblichen Ta-
lenten. Das hat Vorbildcharakter.
Pinky Rose: Dein Wirkungsfeld als Ver-
anstalterin zum Beispiel beim Hambur-
ger Reeperbahnfestival umschließt ja
eher ein Klientel, bei dem du offene Türen
einrennst mit dem Keychange-Anspruch,
die Acts mögen mindestens zur Hälfte
Musikerinnen sein. Stellst du dir das im
Bereich der Jazzmusik anders, vielleicht
sogar schwieriger vor?
Christina Schäfers: Grundsätzlich ist
auch der Jazzbereich dafür offen und
gesprächsbereit. Doch auch hier fin-
det man natürlich in der Praxis oft das
Phänomen der eingetretenen Pfade, wo-
durch es vermeintlich so aussieht, dass
es weniger Jazzinstrumentalistinnen als
männliche Kollegen gibt. Wir haben aktu-
ell rund 25 auf den Jazz ausgerichtete
Musikorganisationen, die sich der Keych-
ange Pledge angeschlossen haben, und
die meisten von ihnen sind Festivals. Je-
des Genre, jeder Sektor, jede Region ha-
ben ihre eigenenHerausforderungen. Aus
dem Jazz bekommen wir das Feedback,
dass es nicht nur darumgeht, mehr Frau-
en und geschlechtsspezifische Minder-
heiten auf die Bühne zu bringen, sondern
auch darum, sie in verschiedenen Rollen
zu bekommen: am Schlagzeug, an der
Trompete, an der Gitarre und vielesmehr.
Pinky Rose: Aus welchen unterschied-
lichen Musiksparten hast du für Keych-
ange oder im Sinne der Keychange-Ziele
bereits Konzerte oder Veranstaltungen
mitbetreut? War schon mal etwas aus
dem Jazzbereich dabei?
Christina Schäfers: Die Teilnehmer*in-
nen kommen aus sämtlichen Bereichen
der Musikwirtschaft. Uns ist es wichtig,
nicht nur nach den Genre zu gucken,
sondern auch nach den Mechanismen
der unterschiedlichen Bereiche wie Re-
corded, Publishing oder Live. Ein aktuelles
‚best practise‘-Beispiel aus dem Bereich
Jazz ist das Cheltenham Jazz Festival in
Großbritannien. Die Kolleg*innen dort ha-
ben die Gleichstellung der Geschlechter
in jedemElement ihrer Arbeit berücksich-
tigt. Mithilfe von wissenschaftlichen Stu-
dien und Umfragen haben sie sämtliche
Barrieren hinterfragt, die Frauen und ge-
schlechtsspezifische Minderheiten dar-
an hinderten, ihre Talentförderungsmög-
lichkeiten zu nutzen und auf ihre Bühnen
zu gelangen. Ihre Arbeit war für uns sehr
wertvoll, denn sie hat gezeigt, dass das
Versprechen 50:50 bis 2022 zu errei-
chen die Fortschritte der Gleichstellung
nachweislich fördert, darüber hinaus
aber weitere Arbeit erforderlich ist. Die
Wege zum Erfolg in der Jazzmusik hän-
gen vonKonservatorien, Geldgeber*innen
und einem relativ traditionellen Medien-
kontext ab. Es wurde also erkannt, dass
es wichtig ist, neben den strukturellen
Veränderungen auch mit Einzelpersonen
an einer langfristigen Entwicklung zu ar-
beiten.
Pinky Rose: Welche Rolle spielen für
dich persönlich und in deiner Arbeit für
Keychange Vorbilder? Hast du Lieblings-
musikerinnen und -sängerinnen? Was
bedeuten deine Favoritinnen für deine
Inspiration zur Durchsetzung feministi-
scher Ziele?
Christina Schäfers: Peaches, Kate
Nash, Shirley Manson und Tony Viscon-
ti sind nicht nur Teil unserer Anchor
Award Jury, sie haben uns bei den letz-
ten Reeperbahn Festival Editionen auch
massiv unterstützt, die Botschaft zu
verbreiten, dass nach wie vor Missstän-
de in der Musikindustrie vorherrschen,
die sich nicht von alleine beheben – und
das, obwohl gerade die Popkultur so ei-
nen diversen Eindruck macht. Menschen
wie Mel C oder Tones and I begeistern al-
lein schon durch ihre Persönlichkeit und
ihr Engagement für diejenigen, die in der
Maistreamkultur als ‚Sonderlinge‘ gelten.
Für mich persönlich sind es natürlich
besonders die Frauen hinter der Bühne,
an denen ich mich orientiere. Keychange
wird ja von Creative Europe der Europäi-
schen Union co-finanziert. In dem Team
arbeiten tolle Frauen wie Susanne Holl-
mann und Barbara Gessler, die die Ge-
schicke der Kreativindustrie lenken. Im
Keychange Team sind es unsere Projekt-
Frauen auf die BühneEin Anspruch nistet sich ein
managerinnen Marie Fol (Amsterdam),
Mia Ternstrøm (Stockholm) und Maxie
Gedge (UK), die mich mit ihrer täglichen
Arbeit begeistern und beindrucken.
Die ersten Frauen in Führungspositionen,
die einen bleibenden Eindruck bei mir hin-
terlassen haben, waren und sind die In-
tendantin von Kampnagel, dem interna-
tionalen Zentrum für schönere Künste,
Amelie Deuflhard, sowie die leider mitt-
lerweile verstorbene Kultursenatorin
Barbara Kisseler.
Pinky Rose: Gibt es im Jazz Musikerin-
nen oder Sängerinnen, die du verehrst?
Christina Schäfers: Beim Elbjazz 2019
habe ich das Londoner Kollektiv KOKO-
ROKO [umjubelter Auftrtitt bei Enjoy Jazz
2019, Anm. d. Red.] in Hamburg erlebt.
Geleitet wird die Band von weiblichen
Bläsern und der Saxofonistin Cassie Ki-
noshi. Überhaupt hat die Londoner Szene
viele spannende Jazzmusikerinnen und
Bandleaderinnen zu bieten, wie Nubya
Garcia oder unsere Keychange-Teilneh-
merin Poppy Adjudha. Wir haben einige
erstaunliche Unterstützerinnen, die im
Jazz arbeiten: GDRN aus Island, Kirke
Karja Quartett aus Estland, Akua Naru
aus Deutschland. Unsere Botschafterin
Joy Denalane ist eine solche Inspiration
– Gleichberechtigung ist Teil ihrer DNA!
Pinky Rose: Davon ausgehend, dass
Lieblingsmusikerinnen und Idole durch-
aus eine große Rolle dabei spielen, für
mehr Geschlechtergerechtigkeit und
Sichtbarkeit auf der Bühne zu sorgen,
stellt sich trotzdem die Frage, ob wir
uns nicht weg von den ganz großen
Showauftritten und hin zu regionaleren
Veranstaltungen mit mehr Vielfalt wen-
den müssten, was im Übrigen ja auch
der aktuellen Coronalage angepasster
wäre. Sind kleinere Strukturen geeigne-
ter um mehr Kreativität von Frauen zu
mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen?
Christina Schäfers: Das ist eine
spannende Frage. Wir probieren gera-
de beides: National und International.
Mit Keychange haben wir Partner*in-
nen in vielen europäischen Ländern,
den USA und Kanada und die Bewegung
wächst kontinuielich und transkontinen-
tal. Für die regionale und nationale Arbeit
haben wir uns mit Music Women Germa-
ny unter der Leitung von Andrea Rothaug
zusammengetan, dem ersten bundes-
weiten Netzwerk für alle Musikfrauen* in
Deutschland. Darin sind 16 Ländernetz-
werke (tw. in Gründung) zur Förderung,
Vernetzung und Sichtbarmachung von
Frauen* in der Musikwirtschaft vereint.
Christina Schäfers Foto: Karine Bravo
ENJOY JAZZ 2020 13
Wunderbare Künstlerinnen bei Enjoy Jazz 2020: Marie Séférian (oben), Tineke Postma, Els Vandeweyer, Gabrielle RandrianKoehlhoeffer (unten von links nach rechts)
Pinky Rose: Es gibt ja den Hang zum tra-
ditionell erwartbaren „weiblichen“ Instru-
mentarium, die Geige in der Klassik, die
Sängerin im Jazz, die Frontfrau im Rock
und Pop. Oder als Gegenpol dazu eine Nei-
gung zum Außenseiterinstrument, wie bei
der 2007 verstorbenen Jazzharfenistin
Alice Coltrane. Was denkst du, was von
beidem treibt Musikerinnen heute mehr
um: Im Traditionellen eine freie, eigene
Position zu finden oder „das schrägste
Ding“ zu machen um sich zu behaupten?
Wo siehst du aktuell mehr Mut zur Gren-
züberschreitung, im Pop oder im Jazz,
oder noch woanders?
Christina Schäfers: Wir freuen uns na-
türlich wie Bolle, dass mehr Frauen alle
Rollen im Jazz besetzen und diese Räume
zurückerobern. Die besonders aktive bri-
tische Szene hatte ich ja schon erwähnt,
unsere Keychange-Teilnehmerin Kine
Lundervold pflegt eine ähnliche Szene in
DeutschlandundNorwegen, sie hatYoung
Professionals in Jazz initiiert. Insgesamt
sehen wir viele Genreüberschreitungen
und Kollaborationen: Rap mit Poppy und
Akua, Klassik mit Kirke Karja, Elektronik
mit GDRN.
Pinky Rose: Was antwortest du Leuten,
die meinen, eine gerechte Geschlechter-
verteilung in der Konzertbranche wäre
zum Nachteil der musikalischen Qualität,
weil man dann auch auf „weniger gute“
Musikerinnen zurückgreifen müsse um
den Pool zu füllen und nicht mehr aus-
schließlich nach inhaltlichen Kriterien
auswählt?
Christina Schäfers: Frauen und ge-
schlechtsspezifischeMinderheiten liefern
die gleicheQualität derArbeitwieMänner.
Leider hindern die Strukturen innerhalb
der Musikindustrie sie daran, ihr volles
Potenzial auszuschöpfen. Talente gibt
es überall, Chancen nicht. Unser Ziel bei
Keychange ist es, alle Geschlechter in die
Lage zu versetzen, die Branche zu verän-
dern und Barrieren abzubauen, damit wir
alle mehr Musik vonmehr Schöpfer*innen
genießen können, in einer Musikindustrie,
die aufregender und repräsentativer ist.
Pinky Rose:Was würdest du einem Fes-
tival wie Enjoy Jazz raten, wie man es
noch besser machen, noch erfolgreicher
Musikerinnen veranstalten kann?
Christina Schäfers: Ich denke, dass
das Enjoy Jazz Festival hier seinen An-
spruch gut erfüllt, auch in diesem Punkt
ein wegweisendes Jazzfestival zu sein.
Toll ist, wenn sie ihr Wissen weiter teilen
und Miteifer*innen ermutigen, sich dem
Vorhaben von Keychange anzuschließen.
Für einen nachhaltigen und langfristigen
Wandel ist eswichtig, nicht nur den sicht-
baren Teil, die Line-Ups auf den Bühnen,
geschlechterparitätisch zu besetzen,
sondern auch die Gremien und Entschei-
der*innenpositionen.
Sa, 03.10.20
#MeThr3e Kollektiv
„Fräulein Else reload“
Freischwimmer LU
Beginn 19 Uhr
So, 04.10.20
“I am here”
Nicht-Gedichte von Rozana Mihalache
Betriebswerk HD
Beginn 11 Uhr
So, 04.10.20
Maria Răducanu Trio
Betriebswerk HD
Beginn 20 Uhr
Mo, 05.10.20
Dinosaur
dasHaus LU
Beginn 19 Uhr
Di, 06.10.20
Julia Kadel Trio
Karlstorbahnhof HD
Beginn 18:30 Uhr
Do, 08.10.20
Els Vandeweyer
Karlstorbahnhof HD
Beginn 18:30 Uhr
Fr, 09.10.20
Tineke Postma
dasHaus LU
Beginn 19 Uhr & 21 Uhr
Sa, 10.10.20
Sona Jobarteh
Alte Feuerwache MA
Beginn 19 Uhr & 21 Uhr
So, 11.10.20
„These Girls“
Juliane Streich &
Julia Neupert
Betriebswerk HD
Beginn 11 Uhr
Mo, 12.10.20
Ameli in the Woods
Ella & Louis MA
Beginn 19 Uhr & 21:15 Uhr
Di, 13.10.20
Gabrielle Randrian Koehlhoeffer Trio
„TANY“
Karlstorbahnhof HD
Beginn 18:30 Uhr
Mi, 14.10.20
The Book of Lost Songs
Ort tbc
Beginn tbc
Do, 15.10.20
New Jazz Voices Trio
feat. Marie Séférian
Ella & Louis MA
Beginn 19 Uhr & 21:15 Uhr
Fr, 16.10.20
Tania Giannouli Solo
Kunsthalle Mannheim
Beginn 19:30 Uhr
Fotos (oben) : Paul Aiden Perry / Merlijn Doomernik /
Lothar Fietzek / Haingo Madazikart
ENJOY JAZZ 202014
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YOUR CULTURAL SPIRIT
mobisys zeigt inCOVID-19 ZeitenSolidarität für dieWeiterführung derKultur in der Metropol-region Rhein-Neckar,als offizieller
GEMEINSAMFÜR DIE KULTUR
www.mobisys.comFörderer des22. Enjoy Jazz Festivals.
Und plötzlich hielt die Welt an.
2020 wurden wir in voller Fahrt abge-
bremst und gehörig durchgeschüttelt.
Unsere Leben veränderten sich auf ei-
ne Weise, wie wir es noch kurz zuvor
nicht für möglich gehalten hätten.
Sichtbar wurde dies auch in der
Deutschland-Zentrale von SAS in Hei-
delberg: die Räumlichkeiten fast voll-
ständig verwaist, die Mitarbeiter*innen
von einem Tag auf den anderen von zu
Hause aus arbeitend.
Wenn ich heute darauf zurückblicke,
wie die Menschen bei SAS die Situati-
on angenommen, die vielen Herausfor-
derungen gemeistert haben und dies
weiterhin tun, empfinde ich vor allem
eines: Stolz.
Stolz bin ich – als Vetreterin des Haupt-
förderers – auch auf Enjoy Jazz. Seit
16 Jahren unterstützt SAS Rainer Kern
und sein Team, die sich in diesem Jahr
der neuen Realität stellen und mit viel
Einsatz und Enthusiasmus das 22. In-
ternationale Festival für Jazz und An-
deres unter deutlich anderen Bedin-
gungen veranstalten.
Ich bin ihnen und den vielen anderen
Veranstalter*innen und Künstler*innen
sehr dankbar, die es mit Umsicht und
unter Einhaltung der vielen notwen-
digen Einschränkungen ermöglichen,
dass Kultur auch in diesen Zeiten statt-
findet.Wie schmerzlichwurde uns allen
doch bewusst, wie sehr die Kultur fehl-
te, als sie fehlte. Und wie kraftraubend
muss es derzeit sein, Konzepte immer
wieder ent- und dann zu verwerfen, A-,
B- und C-Pläne zu machen, Unsicher-
heiten auszuhalten und die Improvisati-
on als Normalzustand zu erleben.
ImWissen um all das und mit der Wert-
Was tun, wenn alles anders ist?Vorangehen in der neuen Realität
Julia Kadel Foto: Lisa Wassmann
schätzung für die Arbeit im Veran-
staltungssektor ist meine Vorfreude
auf Enjoy Jazz vielleicht sogar noch
größer geworden: auf zwei Wochen
voller Frauenpower, in denen nur So-
lokünstlerinnen oder Formationen mit
Bandleaderinnen wie das Julia Kadel
Trio auftreten; auf viele junge Künst-
ler*innen; auf die Solo-Piano-Reihe und
auf noch so viel mehr. Belohnen Sie den
Mut des größten deutschen Jazzfes-
tivals, indem Sie die Veranstaltungen
von Enjoy Jazz 2020 besuchen. Und
schenken Sie sich so selbst eine gute
Zeit mit wunderbarer und inspirieren-
der Livemusik.
ANNETTE GREEN,
VICE PRESIDENT DACH, SAS
Foto: SAS
Annette Green leitet seit Anfang 2019 als
Vice President DACH die Geschäfte von
SAS in Deutschland, Österreich und der
Schweiz. Bei SAS ist die gebürtige Deut-
sche bereits seit rund 30 Jahren – bisher
in der Konzernzentrale im US-amerikani-
schen Cary, North Carolina und weiteren
amerikanischen SAS-Standorten.
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Die Matineen bei Enjoy Jazz 2020Gesprächsweise Schlaglichter set-
zen, farbenreiche Tupfer anbringen,
Umfelder und Hintergründe ausleuchten,
tiefer in Erinnerungsgründe eintauchen,
in Geschichten, die das Leben spielt und
die Musik erzählt, das Kleine im Großen
entdecken und umgekehrt, das ist, was
in Enjoy Jazz Matineen geschieht. In Be-
kanntem neue Dimensionen auftun und
entfalten - das ist, was Matineen neugie-
rigen Geistern in anregender Unterhalt-
samkeit bietet.
Etwa die bis heute spürbare Langzeitwir-
kung der kurzzeitigen Injektion durch ei-
nen jungenMusiker ausKansasCity in die
urbane Unterhaltungsmusik des Big Ap-
ple zur Mitte des letzten Jahrhunderts.
Oder ein Jungenstraum zu gleicher
Zeit im Norden Deutschlands, der zu
einer glänzenden Karriere im Auf und
Ab des Musikbusiness führte und
in eine ausgestreckte, markant jazzge-
tränkte Apotheose mündete, die u.a. we-
sentlich zur Profilierung von „Jazz aus
Germany“ beitrug und nun in jungen Hän-
den fortwirkt.
Große maskulin gefärbte Würfe, ja, aber
wie sieht es mit der Vielzahl von Frauen
aus, die in dermusikalischen Entwicklung
an markanten Schaltstellen wirkte und
neue Richtungen entscheidend präg(t)
e? SWR-Redakteurin Julia Neupert in-
spiziert mit Juliane Streich “These Girls”,
140 kurzweilige Portraits von prägenden
Musikerinnen als Kontrapunkt zur männ-
lich dominiertenSäulenhalle - ein anderes
Herangehen einer jungen Journalist*in-
nengeneration, die von vorne guckt und
neue Töne anschlägt. Welche Namen von
Musikerinnen fallen Ihnen ein? Machen
Sie die Probe und testen Sie das Inhalts-
verzeichnis des Buches.
Die Kunst zweier Frauen dürfen Sie bei
einer Matinee mit dem Titel „I am here“
im neu eröffneten Tandem Art Space
in Heidelberg erleben, wenn die rumäni-
sche Schriftstellerin Rozana Mihalache
ihre „Nicht-Gedichte“ vorträgt, umrahmt
vom Gesang der ebenfalls aus Rumänien
stammenden Sängerin Maria Răducanu.Rozana Mihalaches koordiniert das Pro-
gramm in einem der bekanntesten ru-
mänischen Jazz Clubs, dem Green Hours
jazz&theatre-café und leitet das Green
Hours Jazz Fest. Die „Nicht-Gedichte“
der „Nicht-Dichterin“, wie sie sich selbst
nennt, sind von Leonhard Cohen inspi-
riert.
Musik entsteht in und aus einem Umfeld,
wirkt darauf ein, durchdringt es. Sprache,
Sprechen, Musik, zeigen, lauschen, hor-
chen … wo finden sich Schneisen von der
Wortkunst zur Musik? Es gibt bekannte
Grenzgänger, die sich über die Schnei-
sen zwischen beiden Domänen bewegen
wollen, können, müssen. Wenn einer sich
dort auskennt und manifestiert, dann
So 04.10.20, 11 Uhr„I am here“Nicht-Gedichte von Rozana MihalacheBetriebswerk HD
So 11.10.20, 11 Uhr„These Girls“Juliane Streich & Julia NeupertBetriebswerk HD
So 18.10.20, Beginn tbcGünther HuesmannFlieg, Vogel, Flieg! Bird@100Ort tbc
So 25.10.20, Beginn tbcMusic was my first loveMarcel BeyerOrt tbc
So 01.11.20, 11 UhrSiggi LochOrt tbc
ist es Marcel Beyer, der in der Matinee
Einblicke gewährt. Und von Friederi-
ke Mayröcker führt garantiert ein Weg
zu Jazz und zurück zu SWR-Jazzchef
Günther Huesmann (über Charlie Par-
ker) und zu ACT Labelchef Siggi Loch.
HENNING BOLTE
RozanaMihalache Foto: Catalina Faminzeanu
ENJOY JAZZ 202016
Wenn es etwas gibt, was Jozua Knol
so gar nicht leiden kann, dann ist das
wohl Belanglosigkeit. Nichts scheint
der Geschäftsführer des Ludwigsha-
fener Kulturzentrums Freischwimmer
bei seiner Arbeit mehr vermeiden zu
wollen als Durchschnittliches, Ange-
passtes oder Harmloses. „Wir wollen
hier Kultur machen, die aneckt“, sagt
der 61-Jährige und lässt den Blick
durch die lichtdurchflutete Eingangs-
halle schweifen. „Schauen Sie sich die-
se Haus doch nur mal an: Das ist doch
selbst schon alles andere als belang-
los.“
Tatsächlich hat Knol nach einer langen
Karriere in Musikbranche und Ener-
giewirtschaft hier Ende vergangenen
Jahres noch einmal eine ganz beson-
dere Aufgabe übernommen. Denn das
ehemalige Hallenbad im Norden der
pfälzischen Arbeiterstadt ist ein Ort,
der große Ideen geradezu einfordert.
Ein geschichtsträchtiges Gebäude, in
dessen Saunabereich schon der ehe-
malige Bundeskanzler Helmut Kohl re-
gelmäßig den Stress des großen Am-
tes ausschwitzte – für den Austausch
mit dem sowjetischen Kollegen Michail
Gorbatschow gab es eigens eine ab-
hörsichere Kabine.
Die Zeiten großer Politik in Ludwigsha-
fen sind allerdings lange vorbei. Nach
einer traditionsbewussten und gleich-
zeitig zukunftsweisenden Renovierung
wartet das im Jahr 1956 errichtete
Bad darauf, wieder mit Leben gefüllt
zu werden. Schon jetzt gibt es an je-
der Ecke spannende Kontraste: Der
Co-Working-Bereich liegt zwischen
ehemaligen Umkleidekabinen, den Es-
presso gibt es in der Milchbar mit nos-
talgischem 50er-Charme und im ehe-
maligen Lehrschwimmbecken treffen
Seifenhalter an der Kachelwand auf
modernste Medientechnik. Wenn es
nach Knol geht, dann werden hier, wo
Generationen von Ludwigshafener*in-
nen einst ihr Seepferdchen ablegten,
künftig radikale und kühne Gedanken
auf ihre Wasserfestigkeit hin geprüft.
Da erscheint die in diesem Jahr erst-
mal stattfindende Kooperation mit En-
joy Jazz nur logisch. Wo sonst als beim
Jazz werden bequeme und altbewähr-
te Lösungen schließlich so konsequent
vermieden? Kein Wunder, dass Knol
und Festivalmacher Rainer Kern offen-
bar gleich auf einer Wellenlänge unter-
wegs waren. „Es geht uns beiden um
Innovation“, sagt Knol. „Und die kann
durchaus auch mal anstrengend sein.“
Derzeit finden hier vor allem Seminare,
Workshops und Konzerte statt. Mittel-
fristig sieht Knol das Freischwimmer
aber als Ort mit durchaus überregio-
naler Strahlkraft. „Man weiß ja nie, wo
so ein Projekt genau hinführt. Aber wer
nicht anfängt, findet es auch nie her-
aus“, sagt Knol und lächelt. Hauptsa-
che, es wird nicht belanglos.
ALEX GRAF
Sa, 03.10.20, 19 Uhr#MeThr3e Kollektiv„Fräulein Else reload“Freischwimmer LU
Willkommen bei Enjoy Jazz!Freischwimmer in Ludwigshafen
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Zur aktuellen SituationDas Enjoy Jazz Festival geht ver-antwortungsvoll mit der derzei-tigen Situation um. Für jedenVeranstaltungsort existieren Hy-gienekonzepte, die individuell an diedort bestehenden Bedingungen an-gepasst sind. Die Kartenkontingentesind stark reduziert und orientierensich an den derzeit geltenden ge-setzlichen Regelungen. Wo möglich,bietet Enjoy Jazz Zusatzkonzerteder Künstler*innen an. Enjoy Jazzist und war von jeher ein inter-nationales Festival – so auchin diesem besonderen Jahr. Die
Möglichkeit der Einreise internati-onaler Künstler*innen ist abhängigvon der dann aktuellen Situationim Herkunftsland. Es kann daherzu kurzfristigen Änderungen imProgramm kommen. Wir empfehlen,sich regelmäßig über die Medien,unsere Website www.enjoyjazz.desowie unsere Social-Media-Kanälezu informieren.
Die Informationen in dieser Sonder-beilage repräsentieren den Standder Planungen zum Veröffentli-chungszeitpunkt.
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Di, 27.10.20, 18:30 UhrSokratis SinopoulosFriedenskirche Heidelberg
Sa, 31.10.20, 20 UhrVincent Peirani & Émile ParisienChristuskirche Mannheim
Sa 14.11.20, 20 UhrAbschlusskonzert: Michael WollnyChristuskirche Mannheim
Genreschubladen kennt man dort dann
nur noch vom Hörensagen. Dass Kon-
ventionen sowieso bloß dazu da sind,
um sie zu brechen, weiß Sokratis Sino-
poulos schon lange. Denn der Grieche
hat sich mit der Lyra ein Instrument
ausgesucht, das in seiner Heimat eng
mit traditionellem Liedgut und entspre-
chenden Erwartungen verknüpft ist.
Mit seinemQuartett lässt er sich davon
aber nicht beeinflussen, sondern er-
schafft zeitlos intensive Klangwelten,
die zwischen Archaik und Gegenwart
oszillieren. ALEX GRAF
Auch wenn Enjoy Jazz vor allem für
den Sound von morgen steht, gönnt
sich das Festival doch die eine oder
andere bewährte Tradition. So auch
die seit vielen Jahren stattfindenden
Kirchenkonzerte, bei denen die weit-
räumigen Hallkörper der eindrucks-
vollen Kirchenschiffe regelmäßig für
geradezu entrückte Musikerlebnisse
sorgen. Möglich macht das unter an-
derem eine Kooperation mit der Evan-
gelischen Stiftung Pflege Schönau
(ESPS), die mit ihrer Arbeit den Erhalt
von 85 Kirchen in Baden sicherstellt.
Darunter auch der diesjährige Festi-
val-Spielort Friedenskirche. Dabei ist
ein Konzert im Gotteshaus mitnichten
für jeden Künstler etwas. Akustik und
Symbolik fordern die Musik zu einem
Dialog heraus und wollen als Mitspieler
ernstgenommen werden. Wer sich da
allzu verbissen an der gewohnten Blau-
pause festklammert, kann durchaus
scheitern. Für Michael Wollny sind das
allerdings geradezu perfekte Bedin-
reits, dass hier nichts anderes als eine
absolute Sternstunde zu erwarten ist.
Im majestätischen Kuppelbau in der
Mannheimer Oststadt trifft sich auch
eines der dynamischsten und gleichzei-
tig ungewöhnlichsten Duos der Szene.
Vincent Peirani am Akkordeon und So-
pransaxofonist Émile Parisien treiben
sich gegenseitig immerwieder in atem-
beraubende Höhen der Spielkunst –
gungen. Denn der Leipziger Ausnahme-
pianist ist bekannt für sein empathi-
sches Spiel und das Talent für eindring-
liche Dramaturgien – zudem stammt
von ihm die radikale These, dass jedes
Jazzkonzert eigentlich nur fulminant
misslingen oder zu einer absoluten
Sternstunde werden könne. Wer aber
sowohl Wollny als auch die Mannhei-
mer Christuskirche kennt, ahnt be-
Sokratis Sinopoulos (Mitte) und sein Quartett Foto: Tryfon Tsatsaros
In weiträumigen HallkörpernDie Kirchenkonzerte
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Karten-Vorverkauf für Enjoy Jazz:Online unter www.enjoyjazz.de und anallen bekannten VVK-Stellen (eine voll-ständige Liste finden Sie unter www.reservix.de) oder telefonisch überdie ReserviX-Ticket-Hotline 01806700733 (0,20 €/Minute aus dem deut-schen Festnetz; aus dem Mobilfunknetzhöchstens 0,60 €/Minute
Für Konzerte der BASF SE in Ludwigs-hafen sind Karten zusätzlich erhält-lich unter www.basf.de/kultur odertelefonisch unter 0621. 6099911.
Weitere Infos unter www.enjoyjazz.de
Jan Josef Liefers& Radio Doria
09. Okt 20 · 18.00 & 20.30 UhrBASF-Feierabendhaus LUTickets und Infos unter: www.basf.de/kultur ©
Joac
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ImpressumRhein-Neckar-Zeitung GmbHNeugasse 269117 HeidelbergTel.: 06221/519-0
Redaktion:Enjoy Jazz, Michael Braun(verantwortlich)Anzeigen:Andreas Miltner (verantwortlich)Bildbearbeitung: RNZ-ReproGrafik: Frank Büchmann (RNZ)Herstellung: Eric Säubert (HMG)
Personalisierte JazzgeschichteMit 22 entdeckte und produzierte
er Klaus Doldinger, mit 25 wurde er
Deutschlands jüngster Plattenboss,
damals noch bei Liberty, mit 42 dann
der vermeintliche Höhepunkt dieses
rasanten Aufstiegs: Siggi Loch wurde
Präsident von Warner Europe und da-
mit einer der einflussreichsten Musik-
manager der Welt. Doch sein größter
Coup sollte erst noch folgen. Mit 52
Jahren erfüllte sich der Produzent aus
Leidenschaft einen alten Jugendtraum:
Er gründete das Label ACT.
Die Plattenfirma trug von Anfang an
die Handschrift ihres Gründers: Nicht
nur, dass er seine beiden großen Lie-
ben synergetischmiteinander verband:
den Jazz und die bildende Kunst. Das
Label war eine von Entdeckergeist an-
getriebene Unternehmung, die, den gu-
ten Kontakten seines Chefs zum Trotz,
nicht etwa auf etablierten Namen setz-
te, sondern das Neue suchte. Natürlich
profitierte ACT dabei vom untrüglichen
Gespür Siggi Lochs für Meta-Trends.
Wobei sich der Labelchef insbesondere
zwei Verdienste erworben hat. Er hat,
dem Gender-Equality-Diskurs Jahr-
zehnte voraus, in bis dahin im Jazz
nicht gekanntem Maße Frauen unter
Vertrag genommen. Das jüngste Bei-
spiel, die Pianistin Johanna Summer,
ist, neben anderen Label-Künstlern, in
diesem Jahr bei Enjoy Jazz zu hören.
Zudem hat er sich als wichtiger För-
derer des europäischen Jazz erwiesen
und dabei insbesondere der schwedi-
schen Szene zu Weltruf verholfen. Da-
für erhielt Loch u.a. das Ritterkreuz 1.
Klasse des königlich-schwedischen
Nordstern-Ordens. Unvergessen in
diesem Zusammenhang ist das tiefe
Erschrockenheit ausdrückende Cover
des wichtigsten Jazz-Magazins der
Welt, des „Down Beat“, mit der Schlag-
zeile „European Invasion“. Dahinter
verbarg sich eine Story über den leider
früh verstorbenen Pianisten Esbjörn
Svensson, der wie kaum ein anderer
Künstler von der klugen und empathi-
schen Artist-and-Repertoire-Pflege
Siggi Lochs profitiert hat.
Aktuelles Aushängeschild des Labels
ist der deutsche Pianist Michael Woll-
ny. In seiner Entwicklung kontinuierlich
begleitet auch vom Enjoy Jazz Festival,
wo Wollny beispielsweise ein legendä-
res Duo-Konzert mit der unlängst
verstorbenen Bass-Legende Gary Pe-
acock spielte, hat Siggi Loch diesen
europäischen Jahrhundert-Jazzer mit
sicherem Gespür sukzessive mit auf-
gebaut und ihn darin unterstützt, sein
Repertoire zu erweitern. Heute gilt
Wollny als ein intellektueller Universa-
list seines Instruments. In diesem Jahr
wird er übrigens dasAbschlusskonzert
bei Enjoy Jazz spielen.
Und Siggi Loch? Der unermüdliche
Liebhaber und Förderer des Jazz hat
unlängst seinen 80. Geburtstag gefei-
ert und lässt es sich nicht nehmen, in
diesem Jahr bei Enjoy Jazz vorbeizu-
schauen. VOLKER DOBERSTEIN
InformationKarten-Vorverkauf für Enjoy Jazz:Online unter www.enjoyjazz.de und anallen bekannten VVK-Stellen (eine voll-ständige Liste finden Sie unter www.reservix.de) oder telefonisch über dieReserviX-Ticket-Hotline 01806 700733(pauschal 0,20 € aus dem deutschenFestnetz; aus dem deutschen Mobil-funknetz pauschal 0,60 €)
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Am 01. November zu Gast: Siggi LochFoto: Steven Haberland
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MusikerlebenEinfachm
al
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an sie zu denken, während ich spiele.
Das ist exakt der Moment, an dem die
Improvisation einsetzt.“
In diesem Sinne hat sich mit der Coro-
na-Pandemie in das diesjährige Enjoy
Jazz Festival eine Melodie in Moll ein-
geschlichen, die sich als so schwierig
und komplex erwies, dass sie den Ma-
chern unvorbereitet ein neues Impro-
visationsverständnis abverlangt hat.
Das Festival musste in völlig neuer
Weise von seinemeigenen Gegenstand
lernen – und ist ihm dabei vielleicht so
nahe gekommen, wie in keinem Jahr
zuvor. Dass aus diesem Grenzgang
wie selbstverständlich eine neue pro-
grammatische Vielfalt in bewährter
Qualität hervorgegangen ist, darf als
kleines Wunder betrachtet werden.
So bestätigt sich einmal mehr die Er-
kenntnis des Filmemachers Francois
Truffaut: „Improvisation, das ist, wenn
niemand die Vorbereitung merkt.“
VOLKER DOBERSTEIN
Improvisation ist nicht das Gegenteil
vonPlanung, sonderndaskreativeSpiel
mit dem einer Planung zugrundeliegen-
den Material. Mittels der Improvisation
wird dieses Material in neue Kontex-
te gestellt und damit gewissermaßen
nebenbei auch einem Qualitätstest un-
terzogen, der es widerstandsfähiger
gegenüber Abweichungen macht.
Der Jazz ist sicher nicht der Erfinder
der Improvisation in der Kunst, aber
nur für ihn ist sie konstitutiv, spätes-
tens seit dem Bebop. Die Improvisation
gilt als Inbegriff der Individualität. Aber
das ist nur die halbeWahrheit. Denn sie
hat genauso viel mit der Fähigkeit des
Zuhörens zu tun, wie mit dem Wunsch,
Gehör zu finden. In ihren besten Mo-
menten balanciert eine Improvisation
immer auch das Kollektiv wie die Situ-
ation neu aus. Sonny Rollins ist dafür
ein perfektes Beispiel. Sein als „Stre-
am of Consciousness“ populär gewor-
denes Improvisations-Verfahren hat
inzwischen mehrere Generationen von
Musiker*innen beeinflusst. Auf das
hohe Maß an Struktur angesprochen,
das diese so frei mäandernden Soli
auszeichnet, sagte er am Rande eines
Auftritts bei Enjoy Jazz: „Das liegt da-
ran, dass ich immer sehr genau weiß,
was ich spiele. Ich muss jede noch so
einfache Melodie fast zwanghaft ge-
nau studieren. Ich analysiere die Melo-
die, die harmonische Struktur, die ge-
nerelle Funktionsweise eines Stückes.
Am wichtigsten aber ist die Melodie.
Ich übe sie, bis ich sie vorwärts und
rückwärts, im Wachzustand und im
Schlaf spielen kann, bis sie ein Teil von
mir geworden ist und sich gewisser-
maßen in mir aufgelöst hat. Dadurch
verändert sich mein Bewusstsein von
dieser Melodie. Ich höre auf, in ihr und
Mehr Jazz war nieWenn die Sicherheit fehlt
Meister der Improvisation: Festivalleiter Rainer Kern Foto: Daniel Lukac
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